Etymologie, Etimología, Étymologie, Etimologia, Etymology, (griech.) etymología, (lat.) etymologia, (esper.) etimologio
DE Deutschland, Alemania, Allemagne, Germania, Germany, (esper.) Germanujo
eXterne Wortlisten, (esper.) eksteruloj vortlistoj
XADE_v - Adelung - Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart
V

(E?)(L?) https://woerterbuchnetz.de/?sigle=Adelung#0

Adelung: Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart




Erstellt: 2021-01

A

Adelung, Johann Christoph
Hochdeutsches Wörterbuch
Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart,
mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten,
besonders aber der Oberdeutschen [Adelung]

(E?)(L?) http://www.bastisoft.de/misc/adelung/

Zu den Daten

Hier finden Sie den vollständigen Text des "Grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen" von Johann Christoph Adelung. Er entspricht der Ausgabe von 1811, die vom Münchener Digitalisierungszentrum der Bayerischen Staatsbibliothek eingescannt und mit einem Texterkennungsprogramm in Textform überführt wurde. Text und Bilder hat die sogenannte Digitale Bibliothek auf Ihrem Web-Server verfügbar gemacht, jedoch nicht als fortlaufenden Text. Das ist die Lücke, die diese Datei füllen soll.

Wichtige Hinweise zu dieser Version: Der Text unterliegt keinem urheberrechtlichen Schutz, da dieser nach deutschem Recht nur Werken gewährt wird, deren Urheber noch lebt oder höchstens seit 70 Jahren tot ist.

Sebastian Koppehel


Erstellt: 2010-02

B

C

D

E

F

G

H

I

J

K

L

M

N

O

P

Q

R

S

T

U

V

V (W3) [Adelung]


V, der zwey und zwanzigste unter den Deutschen Buchstaben und der siebzehnte unter den Mitlautern, welcher seiner heutigen gewöhnlichsten Aussprache nach dem f gleich lautend ist, er stehe zu Anfange eines Wortes, Vater, viel, voll, Volk, oder am Ende, brav, massiv, oder auch in der Mitte, Larve, Nerve, Pulver. In dem letztern Worte wird es von vielen gelinde, wie ein w gesprochen, welche Aussprache es auch bekommt, wenn es in der Mitte zwischen zwey Selbstlautern stehet; wie in Frevel, Stüver, Sclave, wo es wie ein w oder sanftes b ausgesprochen wird. Die Deutschen haben diesen Buchstab mit dem ganzen übrigen Alphabete von den Lateinern angenommen. Allein, bey diesen hatte er, aus Armuth an Schriftzeichen, einen sehr mangelhaften Gebrauch. In ihrer größern Schrift mußte das V so wohl den Selbstlaut u, als auch den gelindern Blaselaut, ausdrücken, für welchen wir jetzt das w haben, und ob sie gleich in ihrer spätern kleinern und Current-Schrift zwey verschiedene Zeichen u und v annehmen, so waren doch die Schreiber durch die ältere größere Schrift schon so sehr verwöhnt, daß der Gebrauch der letztern sehr unbestimmt und schwankend wurde. Diese Verwirrung schlich sich mit der Schrift auch in die Deutsche Schreibart ein. Zwar half man einem Theil derselben dadurch ab, daß man für den sanftern Blaselaut, welchen das V, v oder u, wenn es das Zeichen eines Mitlauters war, ausdrucken mußte, das w annahm und nicht Vein, vehe mir, Vind u. s. f. sondern Wein, wehe, Wind schrieb; allein, sie ward auf der andern Seite wieder vermehret, indem man das v nicht nur als völlig gleich bedeutend mit dem f gebrauchte, welches die Lateiner nicht thaten, bey welchen es, wenn es ein Mitlaut war, wie unser w lautete, sondern es auch nach Art derselben anstatt des Selbstlautes u schrieb. Im ersten Falle, schrieb man ohne Unterschied Fater und Vater, fon und von, Folk und Volk, im zweyten aber vnnd und und, dauon und davon. Nach und nach ward die Rechtschreibung einförmiger, und der Mitlauter v theilte sich mit dem f in diejenigen Fälle, in welchen der harte Blaselaut Statt fand, obgleich diese Theilung sehr ungleich und willkührlich geschahe, indem man sich dabey bloß nach dem Gebrauche richtete, und bald das f, bald aber auch das v schrieb, so wie dieses oder jenes allgemeiner geworden war. Man schrieb daher Volk, behielt aber das f in dem Stammworte folgen; auf ähnliche Art entstanden die Ungleichheiten in der Schreibart der Wörter viel, voll und Fülle, füllen, vor und für u. s. f. Einige Wörter hat man noch sehr lange so wohl mit einem v, als mit einem f, geschrieben; z. B. Vehwamme und Fehwamme, vest und fest, und in manchen Gegenden schreibt man sie noch jetzt mit dem v. In solchen Fällen nun, wo der Gebrauch schwankend zu seyn scheinet, erklärt man sich billig allemahl für das f, weil dieses in den allermeisten Fällen zur Bezeichnung des harten Blaselautes angenommen ist, dagegen man das v vergleichungsweise nur in einigen wenigen beybehalten hat. Es ist nur die Frage, ob man es nicht auch in diesen wenigen verbannen und dafür das bessere f einführen könne. Da f und v unserer Aussprache nach völlig gleichlautend sind, das letztere sich auch nur durch einen Mißbrauch anstatt des erstern eingeschlichen hat, so wäre es allerdings zu wün- schen, daß die ersten Schreiber und Schriftsteller dasselbe vermieden hätten. Allein, da die ganze Nation diese Ungleichheit einmahl angenommen, und dadurch stillschweigend gebilliget hat, so kann solche auch nicht anders, als durch ihre allgemeine Einwilligung, wieder abgeschaffet werden, wozu heutiges Tages keine vernünftige Hoffnung ist. Es sind daher alle Bemühungen einzelner Sprachlehrer seit mehr als hundert Jahren in diesem Stücke fruchtlos gewesen und haben ihnen keinen andern Vortheil gebracht, als daß man sie als Sonderlinge verlacht hat, und man kann mit Gewißheit behaupten, daß die Bemühungen derer, welche sich in den neuesten Zeiten zu Sprach- und Schriftverbesserern anwerfen, kein besseres Schicksal haben werden. Überdieß würde die Verwirrung, welche eine so wesentliche Veränderung, als die Ausstoßung eines ganzen allgemein angenommenen Buchstabens ist, weit mehr Nachtheil verursachen müssen, wen sie auch gewisser Maßen allgemein werden sollte, als der kleine etwa damit verbundene Nutzen wieder ersetzen könnte. Was den Gebrauch des v anstatt des u betrifft, so hat sich derselbe sehr lange erhalten, wozu bey Wiederherstellung der alten Römischen Litteratur die Pedanterey einiger Lateinischen Gelehrten das ihrige beytrug, welche das u zu Anfange eines Wortes mit v und in der Mitte mit u ausgedruckt wissen wollten; eine Pedanterey, welche sich, so seltsam und thöricht sie auch ist, doch sehr lange erhalten hat. Allein, endlich behaupteten Vernunft und Geschmack ihr Recht, wenigstens in der Deutschen Schreibart, und zeigten ihnen, wie seltsam es sey, vnd zu schreiben, und nunmehr ward der Mitlaut v mit fast einstimmiger Bemühung überall verbannet. Ein Überbleibsel des alten Vorurtheils, das u und v als einen und eben denselben Buchstaben zu betrachten, hat sich indessen noch bis auf unsere Zeiten erhalten, und dieser bestehet darin, daß man in allen Registern und alphabetischen Verzeichnissen den Selbstlaut u mit dem Mitlaut v vermengt, und die damit anfangenden Wörter nach Maßgebung des folgenden Buchstabens ordnet. Wie seltsam diese Vermischung zweyer in der Gestalt und Aussprache so verschiedener Buchstaben ist, wofür man keinen andern Grund hat, als weil die alten Römer in ihrer großen Schrift, aus Armuth an Schriftzeichen, für beyde nur Einen Buchstab hatten, darf wohl nicht erst gesagt werden. Es wird also auch nicht erst einer Entschuldigung bedürfen, daß ich in diesem Wörterbuche U und V, als zwey verschiedene Buchstaben, so wie sie es wirklich sind, behandelt habe.


Vagabunde (W3) [Adelung]


Der Vagabunde, des -n, plur. die -n, aus dem Latein. vagabundus, ein Landstreicher; im Oberd. ein Vagant. Von dessen Stammworte vagare hat man im gemeinen Leben auch das Zeitwort vagieren, welches so wohl mit etwas unbehuthsam hin und her fahren, jemanden mit der Hand vor dem Gesichte herum vagieren, als auch unstät herum laufen, herum schweifen, bedeutet. Auf den Gassen, im Lande herum vagieren. Das Lat. vagare ist mit unserm fachen, fackeln u. s. f. Eines Geschlechtes.


Valant (W3) [Adelung]


Der Valant, des -es, plur. inus. in einigen gemeinen Sprecharten ein Nahme des Teufels, S. Faland, und das folgende.


Valentin (W3) [Adelung]


Valentin, -s, ein männlicher Taufnahme, welcher aus dem Lat. Valentinus entlehnt ist, und im gemeinen Leben gemeiniglich in Velten verkürzt wird. Da in der Römischen Kirche der heil. Valentin in der Epilepsie angerufen wird, weil er sich selbst in seinem Leben davon nicht befreyen konnte, so wird diese Krankheit in einigen gemeinen Mundarten, besonders Oberdeutschlandes, noch jetzt Valentins-Krankheit, ingleichen Veltens-Tanz genannt. Wenn aber der große Haufe nach Potz Velten! oder daß dich der Velten! gebraucht, so zielet er damit wohl nicht, wie Frisch glaubt, auf den Nahmen dieses Heiligen, oder auf die von ihm genannte Krankheit, sondern Velten ist hier allem Ansehen nach aus Valant verderbt.


Valet (W3) [Adelung]


* Valet, ein aus dem Lat. valete entlehntes unabänderliches Wort, welches ehedem mit einigen Zeitwörtern üblich war, und es im gemeinen Leben wohl noch jetzt ist. Jemanden Valet geben oder sagen, Abschied von ihm nehmen. Daher auch die Zusammensetzungen die Valet-Rede, der Valet-Schmaus u. s. f. wofür doch Abschiedsrede und Abschiedsschmauß anständiger und üblicher sind.


Vampyr (W3) [Adelung]


Der Vampyr, des -s, plur. die -en, ein ausländisches Wort, einen ausländischen Aberglauben zu bezeichnen, wodurch man eine Leiche verstehet, welche so lange an ihrem eigenen Leibe sauget oder naget, als sie etwas davon erlangen kann, und während dieser Zeit ihre Verwandte, Feinde oder andere ehedem mit ihr in Gemeinschaft befindlich gewesene Personen umbringet, welche alsdann gleichfalls Vampyren werden müssen; anderer abergläubigen Erdichtungen zu geschweigen. Im Deutschen pflegt man solche Leichen Blutsauger oder Menschensauger zu nennen. Wort und Sache wurden vornehmlich um das Jahr 1732 bekannt, da die Vampyren in dem Königreiche Servien unter den dasigen Heyducken viele Bewegung machten, und nicht nur in Deutschland viele Schriften, sondern auch verschiedene Untersuchungen des kaiserlichen Hofes veranlasseten. Ob nun gleich erweislich ist, daß die Beschaffenheit des Erdbodens an manchen Orten die Leichen lange Zeit unverweslich erhält, so glaubt der große Haufe in Servien, Ungarn und den einverleibten Ländern noch immer Vampyren, und hält besonders diejenigen nach ihrem Tode dafür, welche im Kirchenbanne, in der Zauberey u. s. f. sterben. Daß dieser Aberglaube in der Griechischen Kirche, zu welcher sich die Heyducken bekennen, schon sehr alt ist, erhellet unter andern aus des Du Fresne Lex. med. et inf. Graecitatis, wo sie Bulcolaccae und Tympanitae genannt werden, weil sie nach ihrem Tode wie eine Trommel auflaufen sollen. Der Ursprung des Wortes Vampyr selbst muß in den Servischen oder einer der verwandten Sprachen aufgesucht werden. Wenn es mit den jetzt gedachten Nahmen der mittlern Griechen gleich bedeutend ist, so scheinet es mit dem Oberdeutschen Wamme, Wampe, ein Wanst, dicker Bauch, verwandt zu seyn. Übrigens wird in der Naturgeschichte der Neuern auch eine Art Amerikanischer Fledermäuse, welche den Menschen und Thieren im Schlafe das Blut aussauget, Vampyrus Linn. mit diesem Nahmen belegt.


Vanille (W3) [Adelung]


Die Vanille, (sprich Wanilje) plur. doch nur von mehrern Arten, die -n, die balsamischen gewürzhaften Samenkörner einer in beyden Indien einheimischen kletternden Pflanze, welche einer Winde gleicht, und daher auch Vanillen-Winde genannt wird; Epidendrum Vanilla Linn. Das Mark des Samens, welcher in Schoten wächst, wird wegen seines feinen flüchtigen und balsamischen Öhles unter andern auch zur Chocolate gebraucht; der Nahme aber ist so ausländisch als die Frucht selbst.


Varinas (W3) [Adelung]


Der Varinas, plur. car. der Nahme eines Amerikanisches Tabakes, welcher schmale, rauche und zugespitzte Blätter hat, welche aber nur 9 Zoll lang sind; daher der daraus bereitete Rauchtobak gleichfalls diesen Nahmen führet. Der Nahme ist ausländisch, und vermuthlich Amerikanisch.


Vase (W3) [Adelung]


Die Vase, (sprich Wase,) plur. die -n, aus dem Französischen Vase, und dieß von dem Lat. Vas, in den bildenden Künsten, ein gemahltes oder aus erhabener Arbeit verfertigtes Gefäß zur Zierde, nach alter Griechischer oder Römischer Art.


Vater (W3) [Adelung]


Der Vater, des -s, plur. die Väter, Diminut. das Väterchen, Oberd. Väterlein, ein Wesen männlichen Geschlechtes, welches durch die Befruchtung eines weiblichen ein anderes Wesen seiner Art zeuget, zum Unterschiede von der Mutter und im Gegensatze des Kindes, wo es so wohl von Thieren, als auch, und zwar am häufigsten, von Menschen gebraucht wird. 1. Eigentlich. (1) Absolute. Vater werden, ein anderes Wesen seiner Art zeugen. Vater von vier Kindern seyn. Ein glücklicher Vater, welcher Freude an seinen Kindern erlebet. (2) In näherer Beziehung auf das Kind oder auf die Kinder. Nicht Vater von dem Kinde oder des Kindes seyn. Lebt sein Vater noch? Ein Kind hat keinen Vater mehr, wenn derselbe gestorben ist. In einem andern Verstande sagt man, ein Kind habe keinen Vater, wenn derselbe unbekannt ist. Von der Gewohnheit der Kinder, ihren Vater mit diesem Worte anzureden. ( S. Papa.) In weiterer Bedeutung beziehet sich dieses Wort auch auf die entfernten Nachkommen, so fern sie ihrem Wesen nach in jemanden gegründet sind. Abraham war ein Vater vieler Völker, 1 Mos. 17, 4. Daher der Stammvater, derjenige, von welchem ein Geschlecht, ein Volk seinen Ursprung hat. Auch die Vorfahren männlichen Geschlechtes werden um deßwillen Väter genannt, besonders in der edlern und höhern Schreibart. 2. Figürlich. (1) Eine bejahrte Person männlichen Geschlechtes pflegt man im gemeinen Leben häufig mit Vater, guter Vater, alter Vater anzureden, so wie man eine solche hoch bejahrte Person in der vertraulichen Sprechart auch wohl ein altes Väterchen zu nennen pflegt. (2) Eine Person männlichen Geschlechtes, welche die Stelle eines Vaters bey einem andern vertritt, den Grund ihres Unterhaltens, ihres Glückes enthält. So wird der Landesherr oder Regent der Landesvater, der Vater des Volkes genannt, so wie auch Stadtobrigkeiten Väter der Stadt genannt werden. In der Deutschen Bibel kommt es von der Obrigkeit mehrmahls vor. Diese Benennung gründet sich theils auf die zärtliche, väterliche Vorsorge, welche Obrigkeiten für ihre Untergebene zu tragen verbunden sind, theils auch auf die ehemahlige Gewohnheit, nur bejahrte und erfahrne Personen zu Obrigkeiten zu ernennen. Mit der Seelsorge versehene Geistliche werden daher auch geistliche Väter genannt. (Siehe auch Beichtvater.) Ferner gehören hierher die Zusammensetzungen Hausvater, Pflegevater, Schwiegervater, Stiefvater, Waisenvater u. s. f. 3) Eine Person, ein Ding, eine Sache, welche den Grund des Daseyns und der Fortdauer eines andern enthält, wenn diese Person oder Sache männlichen Geschlechtes ist. So heißt Gott der Vater der Menschen, der Welt, so fern er den Grund aller zufälligen Dinge und ihrer Erhaltung enthält. Von der veralteten Stellung des Fürwortes in dem Vater Unser, ( S. Unser.) In einer andern Bedeutung, welche sich der ersten eigentlichen nähert, heißt die erste Person in der Gottheit der Vater, wegen ihres innern Verhältnisses gegen die beyden übrigen, besonders gegen die zweyte oder den Sohn. Opitz heißt der Vater der Dichtkunst, Leibnitz der Vater der Philosophie, weil beyde ihnen nicht so wohl die Entstehung, als vielmehr ihre Wiederherstellung, Verbesserung zu danken haben. Der Teufel ist ein Vater der Lügen, Joh. 8, 44.

Anm. Schon in den ältesten Denkmählern unserer Sprache, als dem Isidor, Kero u. s. f. Fater, im Nieders. Vader, und mit der dieser Mundart gewöhnlichen Ausstoßung des d Vahr, im Dän. Fader, im Angels. Faeder, im Engl. Father, im Schwed. Fader, im Pers. Pader, im Lat. Pater, im Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - . Es ist eine seltsame Pedanterey, dieses Wort unmittelbar aus dem Lateinischen, so wie Mutter von Mater, abzuleiten, gerade, als wenn die alten Deutschen die Urheber ihres Daseyns erst von den Römern härten müssen nennen lernen. Diese Ableitung erscheinet desto ungereimter, wenn man erwäget, daß dieses Wort schon in so frühen Zeiten vorkommt, da die Deutsche Sprache durch die Lehrer der Religion noch nicht mit so vielen Lateinischen Wörtern und Begriffen bereichert war, als in den folgenden Zeiten geschehen. Vater ist eines der ältesten Stammwörter, welches alle Europäischen und Nordasiatische Sprachen und Mundarten aus einer ältern gemeinschaftlichen Sprache beybehalten haben. Die letzte Sylbe ist die den Deutschen, Lateinern, Griechen u. s. f. gemeinschaftliche Ableitungssylbe er, ein Subject zu bezeichnen, daher es nur noch auf die Stammsylbe Vat oder Fad ankommt. Schon ältere Wortforscher haben diese Sylbe von einem alten Zeitworte fodan, föden, abgeleitet, welches noch im Niedersächs. vorkommt, wo es ernähren bedeutet, und das Stammwort von unserm futtern ist. Allein, es bedeutet nicht allein ernähren, sondern auch zeugen, welche Bedeutung das Schwedische föda, Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - noch hat, so wie fode im Dän. gebären bedeutet. Diese Ableitung ist noch jetzt die wahrscheinlichste, so daß Vater eigentlich einen Zeuger bedeutet, Genitor von gignere. Da föden aber auch gebären bedeutete, so sind Fodrein bey dem Ulphilas die Ältern überhaupt, daher Vater auch in Gevatter von beyden Geschlechtern gebraucht wird. Das Zeitwort hatte ehedem den niedrig schmutzigen Nebenbegriff nicht, welchen das Lat. futuere, das Französ. fouter u. s. f. angenommen haben. Es erhellet daraus zugleich daß Vater keines von denjenigen Wörtern ist, welche ihr Entstehen dem ersten Stammeln der Kinder zu verdanken haben, wie Abba, Atta, Tatta, Papa, Mamma, Amma, das Fries. Haita u. s. f. Siehe auch Vetter, Gevatter und Pathe. Einige Provinzen sprechen das a kurz, Vatter, und man kann es ihnen nicht wehren, wenn sie es auch so schreiben wollen; seltsam aber ist es, wenn einige Sprachlehrer diese provinzielle Aussprache den Hochdeutschen aufbringen und Vatter geschrieben wissen wollen, obgleich kein reiner Hochdeutscher so spricht, Gevatter gründet sich freylich auf eine solche Aussprache, aber in diesem Worte ist dieselbe auch im Hochdeutschen allgemein. Im Oberdeutschen declinirt man dieses Wort im Singular mit einem n, des Vatern, dem Vatern, welche Form aber im Hochdeutschen gleichfalls unbekannt ist.


Vaterbruder (W3) [Adelung]


Der Vaterbruder, des -s, plur. die -brüder, den Bruder des Vaters, welcher im Oberdeutschen Oheim, und nach einem Französischen Ausdrucke auch Onkel, Oncle, genannt wird, obgleich beyde auch den Mutterbruder bezeichnen. Vatersbruder mit dem s der zweyten Endung ist nicht so gangbar, Vaterbruder aber ist Oberdeutsch, von dem Genitiv des Vatern.


Vaterherz (W3) [Adelung]


Das Vaterherz, des -ens, plur. die -en, das zärtliche Herz eines Vaters gegen seiner Kinder; wie Mutterherz.


Vaterland (W3) [Adelung]


Das Vaterland, des -es, plur. welcher doch wenig gebraucht wird, die -länder, eigentlich das Land des Vaters oder dasjenige Land, in welchem der Vater einheimisch ist oder gewesen, d. i. dasjenige Land, in welchem jemand geboren und erzogen worden. In seinem Vaterlande sterben. Die Liebe zum Vaterlande. Sein Vaterland verlassen. Die Erde ist unser aller Vaterland. In weiterer Bedeutung pflegt man auch zuweilen dasjenige Land, welchem man als ein Einwohner einverleibet ist, in welchem man den Schutz und die Wohlthaten eines ordentlichen Bürgers genießet, sein Vaterland zu nennen.

Anm. Im Dänischen Fäderneland. Es scheint erst in den spätern Zeiten nach dem Latein. Patria gebildet zu seyn; wenigstens war es zu den Zeiten des alten Übersetzers eines Stückes aus dem Isidor, und des Notker noch nicht gangbar, denn der erste gebraucht dafür Odhil, welches zu letztern Hälfte in Allodium, vielleicht auch zur ersten in Adel gehöret, der letztere aber Heimchommeniu.


Vaterländisch (W3) [Adelung]


Vaterländisch, adj. et adv. in dem Vaterlande gegründet, aus demselben her, in demselben üblich. Die vaterländischen Sitten.


Väterlich (W3) [Adelung]


Väterlich, -er, -ste, adj. et adv. 1. Dem Vater gehörig, von demselben herrührend; ohne Comparation. Das väterliche Gut, welches jemand von dem Vater ererbet hat. Das väterliche Vermögen. Der väterliche Nahme, der Nahme des Vaters. Das väterliche Land, das Vaterland, in der höhern Schreibart. Die väterliche Liebe, welche ein Vater gegen seine Kinder hat. In weiterer Bedeutung, den Vätern, d. i. Vorfahren gehörig, von ihnen herrührend, in welchem Verstande in der Deutschen Bibel das väterliche Gesetz, väterliche Satzungen, nach väterlicher Weise vorkommen, ist es im Hochdeutschen nicht mehr üblich. 2. Nach Art eines Vaters, in der Eigenschaft, Liebe eines Vaters gegründet; mit der Comparation. Jemanden väterlich lieben, ermahnen, als ein Vater. Väterlich, auf das väterlichste für jemanden sorgen. Bey dem Notker faterlich.


Vaterliebe (W3) [Adelung]


Die Vaterliebe, plur. car. die Liebe, welche ein Vater gegen seine Kinder hat.


Vaterlos (W3) [Adelung]


Vaterlos, adj. et adv. des Vaters beraubt, keinen Vater mehr habend; wie mutterlos. Eine vaterlose Waise. Daher die Vaterlosigkeit, welches doch seltener gebraucht wird.


Vatermord (W3) [Adelung]


Der Vatermord, des -es, plur. die -e, die Ermordung seines Vaters. Einen Vatermord begehen.


Vatermörder (W3) [Adelung]


Der Vatermörder, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vatermörderinn, eine Person, welche einen Vatermord begangen, ihren Vater ermordet hat.


Vaternahme (W3) [Adelung]


Der Vaternahme, des -ns, plur. die -en, das Wort Vater als ein Nahme betrachtet. Den süßen Vaternahmen führen, Vater genannt werden, d. i. Kinder haben. Von dem eigenthümlichen Nahmen des Vaters ist es nicht üblich, weil man dafür lieber der väterliche Nahme oder der Nahme des Vaters sagt.


Vatersbruder (W3) [Adelung]


Der Vatersbruder, S. Vaterbruder.


Vaterschwester (W3) [Adelung]


Die Vaterschwester, plur. die -n, die Schwester des Vaters, wie Mutterschwester; welche sonst auch die Muhme, und mit einem Französischen Ausdrucke die Tante genannt wird.


Vatersinn (W3) [Adelung]


Der Vatersinn, des -es, plur. inus. der Sinn, d. i. das Gemüth, die Gesinnung eines Vaters gegen seine Kinder, ein größten Theils veraltetes Wort; das Vaterherz.


Vaterstadt (W3) [Adelung]


Die Vaterstadt, plur. welcher doch seltener gebraucht wird, die -städte, die Stadt, aus welcher jemand gebürtig ist, in welcher er geboren und erzogen worden, in welcher sein Vater wohnhaft war. Die väterliche Stadt, bey Ramlern die mütterliche Stadt, ob man gleich nicht Mutterstadt sagt.


Vaterstelle (W3) [Adelung]


Die Vaterstelle, plur. inus. die Stelle eines Vaters. Vaterstelle bey jemanden vertreten.


Vatertheil (W3) [Adelung]


Das Vatertheil, des -es, plur. die -e, derjenige Theil einer Erbschaft, welcher von dem Vater herrühret; zum Unterschiede von dem Muttertheile.


Vech (W3) [Adelung]


Vech, Vehe, ein Thier, S. Fehe.


Vehde (W3) [Adelung]


Die Vehde, S. Fehde.


Vehm (W3) [Adelung]


Vehm, S. Fehm.


Vehwamme (W3) [Adelung]


Vehwamme, S. Fehe.


Veit (W3) [Adelung]


Veit, Lat. Virus, ein männlicher Vornahme, welcher alten Deutschen Ursprunges ist, und aus Guido zusammen gezogen worden. Von einem Heiligen dieses Nahmens hat man die Veitsbohnen, in einigen Gegenden ein Nahme der Feigbohnen, Lupinus albus L. entweder aus diesem Worte verderbt, oder auch, weil sie um St. Viti oder Veit schon zu genießen sind; der S. Veits-Tanz, eine ehedem bekannte Krankheit, wobey die damit behafteten anfingen zu tanzen. S. Spangenberg diss. de Chorea S. Viti.


Velten (W3) [Adelung]


Velten, S. Valentin.


Vendite (W3) [Adelung]


Die Vendite, in einigen Gegenden, besonders Preußens, der Trödel, S. dieses Wort.


Venedig (W3) [Adelung]


Venedig, der Nahme einer bekannten Stadt in Italien, Venetiae. Man hat von demselben ein doppeltes Beywort, Venedisch, welches doch nur in einigen Fällen üblich ist, ob es gleich der Analogie der Deutschen Sprache gemäßer ist, Venedische Seife, Venedisches Glas; und Venetianisch, welches nach einem mittlern Latein. venetianus gebildet ist, welches in den meisten Fällen gebraucht wird, aber so, wie die meisten übrigen Beywörter dieser Art auf anisch und ianisch, fehlerhaft ist, weil sie zu der ausländischen adjectivischen Endung noch die Deutsche isch fügen, das Venetianische Gebieth, Venetianische Münzsorten, das Venetianische Meer und so ferner. Daher der Venetianer, die Venetianerinn, eine aus Venedig gebürtige Person, wofür man ehedem richtiger Venediger, Venedigerinn sagte, und in einigen Oberdeutschen Gegenden noch jetzt sagt.


Venerisch (W3) [Adelung]


Venerisch, adj. et adv. aus dem Lat. venereus, für unzüchtig. Die venerische Liebe, besser die unzüchtige. Am häufigsten gebraucht man es von den durch unreinen Beyschlaf erworbenen Krankheiten. Die venerische Krankheit, Lues venerea, ( S. Franzosen). Venerisch seyn, mit einer solchen Krankheit behaftet seyn.


Ventil (W3) [Adelung]


Das Ventil, des -es, plur. die -e, Diminut. das Ventilchen, aus dem mittlern Lat. Ventil, ein beweglicher Theil in einer Röhre, welcher einen flüssigen Körper zwar in die Röhre hinein dringen, aber nicht wieder zurück treten läßt. Gemeiniglich hat er die Gestalt einer Klappe, oft aber auch eines Stöpsels. Man gebraucht die Ventile nicht nur in aeromatischen und hydraulischen Maschinen, sondern es gibt ihrer auch in den Blutadern der Menschen und Thiere. So fern sie Klappen sind, könnte man sie Luftklappen nennen.


Ventilator (W3) [Adelung]


Der Ventilator, des -s, plur. ut nom. sing. das neuere Latein. Ventilator, ein in den neuern Zeiten von Hales in England erfundenes Werkzeug, die Luft in einem eingeschlossenen Raume zu erneuern. Man hat ihrer von verschiedener Art, und Zusammensetzung; die neueste und bequemste Erfindung bestehet in einem Rade, welches in eine Öffnung angebracht, und von der äußern Luft, in Bewegung gesetzt wird. In den Messinghütten hat man schon lange ein ähnliches Werkzeug gehabt, den schädlichen Messingstaub abzuführen, welches daselbst das Windrad genannt wird.


Ventose (W3) [Adelung]


Die Ventose, plur. die -n, aus dem Französ. Ventouse, in einigen Gegenden ein Nahme der Schröpfköpfe der Wundärzte.


Venus (W3) [Adelung]


Die "Venus", plur. car. in der Götterlehre der Römer, die Göttinn der Liebe zu dem andern Geschlechte, und figürlich diese Liebe selbst, in welchem Verstande dieses Wort auch noch bey den Deutschen Dichtern vorkommt. Es ist schon von andern bemerkt worden, daß die Stammsylbe dieses Wortes "Ven", mit dem bey dem Willeram und andern alten Schriftstellern befindlichen "Win", "wino", ein "Geliebter", "Win", ein "Freund" u. s. f. verwandt ist, welches wiederum zu unserm "fein" gehören kann. (Siehe dasselbe.)

Im Gothischen ist "Wino", "Wen", und im Angels. "Win", die "Gattinn", "Ehefrau". In der Astronomie ist "Venus" der Nahme des schönsten Planeten am Himmel, welcher mit zu den andern Planeten gehöret, nächst dem Merkur der Sonne am nächsten ist, und, nachdem er von der Sonne hergehet oder ihr folget, der Morgen- oder Abendstern genannt wird.

Von der "Venus" in der ersten Bedeutung hat man auch im Deutschen verschiedene Zusammensetzungen. Der "Venus-Berg", in der Chiromanthie, eine gewisse Erhöhung in der flachen Hand, der Liebesberg; die "Venus-Beule", in der Arzneykunst, eine durch unreinen Beyschlaf verursachte Beule, die Bubone, Feigwarze; "Venus-Blümchen", im gemeinen Leben, Finnen im Gesichte, so fern sie von unreinem oder gemißbrauchtem Beyschlafe herrühren; das "Venus-Haar", ein Kraut, Polytrichum commune L. ( S. Goldhaar und Frauenhaar;) die "Venus-Krankheit" oder "Venus-Seuche", bey einigen Ärzten, die venerische Krankheit, (S. Franzosen;) der "Venus-Nabel", ein Kraut, Colylledon communis L. (S. Nabelkraut;) der "Venus-Schacht", die "Venus-Muschel" oder die "Venus-Schnecke", eine einschalige ungewundene Schnecke in Gestalt einer glatten weißen Röhre, die "Porzellan-Schnecke", der Porzellanit; der "Venus-Schuh", eine Pflanze, vermuthlich wegen des bauchigen aufgeblasenen Honigbehältnisses, Cypripedium L. Marien-Schuh, Pantöffelchen, und noch andere mehr.


Verabfolgen (W3) [Adelung]


Verabfolgen, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben gebraucht wird, wo ver bloß zur Bildung eines Activi zu dienen scheinet. Man wollte es ihm nicht verabfolgen. In dem Neutro verabfolgen lassen, für abfolgen lassen, ist es völlig unnütz. Daher die Verabfolgung.


Verabreden (W3) [Adelung]


Verabreden, verb. reg. act. Abrede wegen etwas nehmen, mit dem Accusativ dieses Etwas. Wir haben es so verabredet. Es ist verabredet worden. Daher die Verabredung. Das Zeitwort ist vermittelst der Partikel ver von dem Hauptworte Abrede gebildet, doch kann auch aus abreden entstanden seyn, da denn ver eine mehrere Thätigkeit zu dem Worte bringen würde.


Verabsäumen (W3) [Adelung]


Verabsäumen, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben für das bessere versäumen üblich ist. Er versprach nichts zu verabsäumen, die Sache beyzulegen.


Verabscheuen (W3) [Adelung]


Verabscheuen, verb. reg. act. Abscheu gegen etwas hegen und äußern. Das Laster verabscheuen. Zu heftig und zu wenig begehren und verabscheuen ist ein innerlicher Krieg unsers Willens mit dem Verstande, Gell. Daher die Verabscheuung. Es ist von Abscheu vermittelst der Partikel zu einem thätigen Zeitworte gebildet. S. Ver 2.


Verabschieden (W3) [Adelung]


Verabschieden, verb. reg. act. 1. Den Abschied geben, mit dem Abschiede von sich entlassen, am häufigsten von Soldaten und Bedienten. Verabschiedete Truppen. Einen Bedienten verabschieden. 2. Von Abschied, ein gerichtlicher Ausspruch oder Bescheid, bedeutet es in den Gerichten einiger Gegenden so viel, als durch einen Rechtsspruch, durch ein Urtheil entscheiden. Daher die Verabschiedung in beyden Bedeutungen. Anm. Dieses Wort wird oft irrig verabscheiden geschrieben. Allein, es stammet nicht von abscheiden her, sondern von dem Hauptworte Abschied, von welchem hier vermittelst der Partikel ver ein thätiges Zeitwort gebildet worden. S. Ver 2.


Verabschossen (W3) [Adelung]


Verabschossen, verb. reg. act. im gemeinen Leben und in den Gerichten, den Abschoß von etwas geben. Sein Vermögen verabschossen. So auch die Verabschossung. S. Ver 2.


Veraccisen,Veraccisieren (W3) [Adelung]


Veraccisen oder Veraccisieren, verb. reg. act. auch nur im gemeinen Leben, die Accise von etwas geben. Eine Waare veraccisen. Im Nieders. verzisen. Daher die Veraccisierung, dagegen Veraccisung nicht üblich ist. S. Ver 2.


Veraccordieren (W3) [Adelung]


Veraccordieren, verb. reg. act. welches nur in den niedrigen Sprecharten gangbar ist. Einem Arbeiter eine Arbeit veraccordieren, mit ihm wegen des Preises einig werden. Es ist von accordieren vermittelst der Partikel zu einem thätigen Zeitworte gebildet worden. S. Ver 5.


Verachten (W3) [Adelung]


Verachten, verb. reg. act. aller Achtung unwerth halten, und diese Meinung äußern. Andere gegen sich verachten. Was verachtest du deinen Bruder? Röm. 14, 10. Guten Rath verachten. Das ist nicht zu verachten; der Rath ist nicht zu verachten. Ein Geschenk, eine Gabe verachten, sie der Annahme unwerth achten. Frost und Hitze verachten, sie der Empfindung unwerth halten. Nur der emsige Schnitter verachtet die Strahlen der Sonne, Und mäht fort, Zach. Daher das Mittelwort verachtet, -er, -ste. Verachtet seyn, werden. Ein von jedermann verachteter Mann. Ingleichen das Hauptwort die Verachtung. S. solches besonders.

Anm. Schon bey dem Kero farhacton, und bey dem Ottfried mit einer andern Vorsylbe abachten. Ver scheint in dieser Bedeutung eine Figur der ersten eigentlichen Bedeutung zu seyn, und zunächst eine Entfernung von sich weg zu bezeichnen wie in verschmähen, verstoßen, obgleich auch der siebente Fall der ersten Bedeutung hier Statt finden kann, nach welchem es eine Destinction, die durch das Zeitwort näher bestimmt wird, bezeichnen würde. Mit andern Zeitwörtern heißt verachten bey dem Kero, Willeram u. s. f. farmanen, vermanen, vermeinen, welches jetzt aber eine andere Bedeutung hat, und bey dem Hornegk verchiesen, verkiesen, eigentlich in der Wahl verstoßen.


Verächter (W3) [Adelung]


Der Verächter, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin, die Verächterinn, eine Person, welche andere Dinge oder Personen verachtet, in einzelnen Fällen. Die Verächter Gottes und seines Wortes. Ein Verächter des Todes.


Verächtlich (W3) [Adelung]


Verächtlich, -er, -ste, adj. et adv. 1. Der Verachtung werth, objective. Ein verächtliches Insect. Ein verächtlicher Kunstgriff. Sich verächtlich betragen. Das ist ihm zu verächtlich. Sich durch sein Betragen verächtlich machen. 2. Verachtung hegend und äußernd, in der Verachtung gegründet, subjective. Jemanden sehr verächtlich begegnen. Eine verächtliche Behandlung. Verächtliche Mienen. Meine Brüder gehen verächtlich vor mir über, Hiob. 15. Verächtlich von jemanden reden. So auch die Verächtlichkeit, in beyden Bedeutungen.


Verachtung (W3) [Adelung]


Die Verachtung, plur. inus. das Verbale des Zeitwortes verachten, welches so wohl subjective als objective gebraucht wird. 1. Subjective, der Zustand, da man ein Ding verachtet, d. i. der Achtung unwerth hält. Mit Verachtung von jemanden reden. Seine Verachtung merken lassen. Die Verachtung des Todes, des Reichthums u. s. f. 2. Objective, der Zustand, da ein Ding verachtet, der Achtung unwerth gehalten wird. In großer Verachtung leben. Sich aus der Verachtung empor schwingen. Ehedem auch der Veracht.


Veralten (W3) [Adelung]


Veralten, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert, durch Alter unbrauchbar, abgenutzt werden. Veralten, wie ein Kleid, Es. 50, 9. Ihre Kleider und Schuhe veralteten nicht, 5 Mos. 8, 4. Kap. 29, 5. Ein veralteter Greis. Die Hoffnung ist veraltet und kahl, zeige mir nur ein Haar, wo du sie fassen könntest! Weiße. Eine im achtzehnten Jahre schon veraltete Jugend, die keine Zeit wieder herstellen kann. Ingleichen Alters wegen ungangbar werden. Veraltete Wörter, Sitten, Kleider, Gebräuche, Moden. Eine Tochter, wenn sie jung ist und noch unberathen, macht dem Vater viel Sorgens, daß sie möchte veralten, Sir. 42, 8. Daher das Veralten.

Anm. Bey dem Ottfried und Notker iralten, entweder von dem Beyworte alt, welches hier durch die Vorsylbe nur zu einem Zeitwort umgebildet wird, ( S. Ver 2,) oder auch von dem Zeit- worte alten, und der Partikel, welche hier entweder eine Intension, oder auch eine völlige Verderbung und Veränderung bezeichnen kann, ( S. Ver 1. (h) und 5.) In den gemeinen Sprecharten ist von dem Intensivo altern auch veralten üblich.


Veränderlich (W3) [Adelung]


Veränderlich, -er, -ste, adj. et adv. 1. Fähig, verändert, d. i. seinem Zustande nach anders bestimmt zu werden, was auch auf andere Art möglich ist. In diesem weitesten, aber nicht gewöhnlichsten Verstande sind alle endliche Dinge veränderlich, und nur Gott allein ist unveränderlich. 2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung ist veränderlich, fähig und geneigt, sich oft und leicht anders zu bestimmen, und im engsten Verstande, wenn solches ohne Noth, ohne hinlängliche Bewegungsgründe geschiehet; unbeständig. Ein sehr veränderlicher Mensch, welcher sich in seinen Entschließungen, Meinungen u. s. f. leicht ändert. Ein veränderliches Gemüth haben. Die Witterung ist sehr veränderlich. Die veränderliche Mode. So auch die Veränderlichkeit. Bey dem Ottfried ohne Vorsylbe anderlich.


Verändern (W3) [Adelung]


Verändern, verb. reg. act. anders bestimmen, den Zustand eines Dinges ändern. Ein Testament, die Ordnung der Worte, eine Gewohnheit, seine Stimme verändern. Verändern sie die Sprache bey Julchen etwas, Gell. Ingleichen ein Ding an die Stelle des andern setzen. Seine Kleidung verändern, andere Kleider anlegen. Seinen Nahmen verändern, sich einen andern Nahmen beylegen. Seine Wohnung verändern, eine andere Wohnung beziehen. Sein Haus verändern, so wohl es anders machen, einrichten, als auch ein anderes Haus beziehen. Indessen ist in beyden Fällen in der thätigen Gestalt, das einfache ändern üblicher. Der Schneider ändert ein Kleid, ein Schriftsteller die Worte u. s. f. Am häufigsten ist dieses zusammen gesetzte Zeitworte in Gestalt eines Reciproci, sich verändern, seinen Umständen, besonders der äußern Gestalt, nach, anders bestimmt werden. Man sagt, es habe sich jemand sehr verändert, wenn sich seine Gesichtsbildung, seine Gesinnung u. s. f. verändert hat. Der Wind hat sich verändert, eine andere Richtung genommen. Die Zeiten, die Moden verändern sich. Jemandes Farbe verändert sich, wenn er im Gesichte roth wird, wo man auch sagt, er veränderte die Farbe. Im engsten Verstande ist sich verändern, theils sich verheirathen, ingleichen, obgleich seltener, seine Lebensart, seine Wohnung verändern.

Anm. Es ist entweder vermittelst der Partikel ver von dem Nennworte an der gebildet, ( S. Ver 2,) oder auch noch wahrscheinlicher von dem Zeitworte ändern, da denn die Partikel ver nur mehr Thätigkeit in dasselbe bringen, oder auch eine Intension andeuten, und ein sehr merkliches, gänzlich es ändern, bezeichnen würde, daher verändern auch eigentlich einen höhern Grad ausdruckt, als das einfache ändern. ( S. Ver 1 (h) und 5.) Im mittlern Lateine wird der Begriff durch exalterare ausgedruckt, ausändern, d. i. sehr ändern. Übrigens sind abändern und verändern allem Anscheine nach gleich bedeutend, indem ab und ver in den Zusammensetzungen häufig für einander stehen, auch einerley Stammbegriff der Entfernung haben.


Veränderung (W3) [Adelung]


Die Veränderung, plur. die -en, die Handlung des Veränderns, der Ertheilung einer andern Bestimmung, active, ingleichen der Zustand, da ein Ding sich verändert oder verändert wird, passive. Alle Dinge sind der Veränderung unterworfen. Die Veränderung des Ortes, des Sinnes, der Sitten, wofür auch nur Änderung üblich ist. Die Juden wollten nicht willigen in die Veränderung ihres Gottesdienstes, 2 Macc. 11, 24. Eine große Veränderung in seinem Hause vornehmen. Es stehet eine große Veränderung in der Regierung bevor. Sich eine Veränderung machen, in engerer Bedeutung sich zur Zerstreuung mit etwas anderm beschäftigen. Alle Veränderungen, die sich in einem einfachen Dinge ereignen können, sind nur Abwechselungen der Grade. Daher die Veränderungsgesetze, allgemeine Sätze, woraus sich die Veränderungen in einzelnen Fällen erklären lassen, die Veränderungskraft, die Kraft und das Bestreben, seinen Zustand zu verändern, welche mit der Natur eines Dinges gleich bedeutend ist.


Verankern (W3) [Adelung]


Verankern, verb. reg. act. mit Ankern verbinden. Eine Mauer verankern, mit eisernen unter dem Nahmen der Anker bekannten Banden. Daher die Verankerung, S. Ver 3.


Veranlassen (W3) [Adelung]


Veranlassen, verb. reg. act. Anlaß zu etwas geben. Einen Befehl, eine That veranlassen. Jemanden zu etwas veranlassen, oft auch ihn dazu bewegen. Der Landesherr veranlasset ein Collegium etwas zu thun, als ein glimpflicher Ausdruck für befehlen. Es hat mich niemand dazu veranlasset. Daher die Veranlassung, nicht allein die Handlung des Veranlassens, sondern auch das Ding, welches etwas veranlasset, der Anlaß.

Anm. Es ist vermittelst der Partikel ver aus dem Hauptworte Anlaß zu einem thätigen Zeitworte gebildet, welches auch aus der regelmäßigen Conjugation erhellet; denn wenn es von dem Zeitworte lassen wäre, so müßte es irregulär gehen. S. Ver 2.


Veranstalten (W3) [Adelung]


Veranstalten, verb. reg. act. Anstalt zu etwas machen. Einen Schmaus, eine Untersuchung, eine Feyerlichkeit veranstalten. Es wird schon alles zum Kriege veranstaltet. So auch die Veranstaltung. Gleichfalls von dem Hauptworte Anstalt, vermittelst der Partikel ver. S. Ver 2.


Verantworten (W3) [Adelung]


Verantworten, verb. reg. act. mit der vierten Endung der Sache, mit Worten vertheidigen, in der weitesten Bedeutung dieses Wortes. Er soll in fürantwurten, soll ihn vertheidigen, im Schwabenspiegel. Im Nieders. ehedem verantwoorden. In diesem meinem Gefängnisse, darin ich das Evangelium verantworte, Phil. 1, 7. Es ist in dieser weitern Bedeutung veraltet, indem es nur noch auf eine doppelte Art gebraucht wird. 1. Als ein Activum, von Sachen, und auch hier nur in engerer Bedeutung, Rede und Antwort, d. i. Rechenschaft, von einer Handlung geben, eine begangene Handlung vertheidigen. Das will ich verantworten. Das läßt sich unmöglich verantworten. Eine Nothlüge läßt sich verantworten, Weiße. 2. Von Personen, als ein Reciprocum, sich verantworten, sein Betragen, seine Handlungen mit Worten vertheidigen, ihre Rechtmäßigkeit behaupten. Paulus verantwortete sich, Apost. 24, 10. Sorget nicht, wie ihr euch verantworten sollet, Luc. 21, 14. Sich vor jemanden, gegen jemandem, im gemeinen Leben auch, bey jemanden verantworten. Sich vor Gericht verantworten. Willst du dich noch gegen mir verantworten? eine ungebührliche Handlung vertheidigen? Aber mit der zweyten Endung der Sache ist es im Hochdeutschen gleichfalls veraltet: sich der Anklage verantworten, Apost. 25, 16; besser, wegen der Anklage. So auch die Verantwortung, welches Wort ehedem auch, so wie das Zeitwort, von einer gerichtlichen Schutzschrift, Vertheidigung oder Defension gebraucht wurde. Thue auf meine Verantwortungen, auf meine Gefahr, ich will es verantworten, dafür stehen. Jemanden zur Verantwortung ziehen, ihn nöthigen, Rechenschaft von seinen Handlungen zu geben.

Anm. Es ist entweder von dem Hauptworte Antwort oder auch von dem Zeitworte antworten gebildet. In beyden Fällen dienet die Partikel dazu, ein thätiges Zeitwort zu bilden, welches mit der vierten Endung der Sache verbunden werden könne. S. Ver. 2.


Verantwortlich (W3) [Adelung]


Verantwortlich, adj. et adv. in der ersten Bedeutung des vorigen Zeitwortes, was sich verantworten, als Handlung vertheidigen lässet. Es ist in dem Gegensatze unverantwortlich üblicher, als für sich allein. So auch die Verantwortlichkeit.


Verarbeiten (W3) [Adelung]


Verarbeiten, verb. reg. act. 1. In Arbeit verwandeln, durch Arbeit veredeln. Verarbeitete Naturalien, im Gegensatze der unverarbeiteten oder rohen. Verarbeitetes Gold und Silber. Ingleichen als ein Material zu seiner Arbeit gebrauchen. Der Tischler verarbeitet Holz, der Goldschmid Gold und Silber. 2. Ein Material durch Arbeit erschöpfen; im gemeinen Leben auch aufarbeiten. Der Zimmermann hat alles Holz, der Schuster alles Leder verarbeitet. Daher die Verarbeitung, doch nur in der ersten Bedeutung. S. Ver 1 (a).


Verargen (W3) [Adelung]


Verargen, verb. reg. act. 1. * Ärger, d. i. schlimmer machen; Schwed. förarga. Eine im Hochdeutschen fremde, nur noch im Oberdeutschen übliche Bedeutung. Weil sich die Krankheit schnell verargte. 2. Zum Argen deuten, d. i. übel auslegen; verdenken. Einem etwas verargen. Das kann ich ihm nicht verargen. Jedermann verargt dir das. Daher die Verargung, welches doch seltener gebraucht wird.

Anm. Es ist von dem Beyworte arg gebildet, indem das einfache Zeitwort argen allem Ansehen nach nie üblich gewesen. Das Schwed. förarga bedeutet auch ärgern, zum Zorne reißen. S. Ver 2.


Verarmen (W3) [Adelung]


Verarmen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, arm werden. Die Säufer und Schlemmer verarmen, Sprichw. 23, 21. Er ist darüber verarmt. Es ist von dem Beyworte arm, S. Ver. 2. In einigen Oberdeutschen Gegenden ist dafür erarmen üblich.


Verarrendieren (W3) [Adelung]


Verarrendieren, verb. reg. act. im gemeinen Leben einiger Gegenden für verpachten, von dem Franz. Arrende, Pacht, und arrendieren, pachten.


Verarrestieren (W3) [Adelung]


Verarrestieren, verb. reg. act. mit Arrest belegen, auch nur in den niedrigen Sprecharten. Jemanden seine Güter verarrestieren. So auch die Verarrestierung. S. Ver 2.


Verarten (W3) [Adelung]


Verarten, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert, aber im Hochdeutschen wenig gebraucht wird, indem ausarten, zuweilen auch entarten dafür üblich sind. Was mindert nicht die Zeit? Verarten wir nicht immer? Haged. Ein verartetes Geschöpf. Ver hat hier die Bedeutung der gänzlichen Veränderung seines Zustandes, der gänzlichen Abweichung von demselben.


Verarzeneyen (W3) [Adelung]


Verarzeneyen, verb. reg. act. welcher nur im gemeinen Leben gehöret wird. Sein Vermögen, viel Geld verarzeneyen, auf Arzeneyen wenden. Im Oberd. verarzten, von Arzt. S. Ver 2.


Verauctionieren (W3) [Adelung]


Verauctionieren, verb. irreg. act. in Gestalt einer Auction, oder an die Meistbiethenden, verkaufen. Ein Gut, allerley Hausgeräth verauctionieren. Etwas verauctionieren lassen. Daher die Verauctionierung. Im Oberdeutschen verganten, versteigern.


Veräußern (W3) [Adelung]


Veräußern, verb. reg. act. das Eigenthum eines Dinges an einen andern übertragen, als ein allgemeiner Ausdruck, welcher das verschenken, vertauschen, versetzen, verkaufen, in sich begreift. Indessen wird es doch am häufigsten in engerm Verstande für verkaufen gebraucht. Ein Gut veräußern. Seine Bibliothek, seinen Hausrath veräußern. So auch die Veräußerung.

Anm. Im Nieders. verüttern und üttern, im Schwed. yttra, im mittlern Lat. extraneare. Es scheinet nach dem Lat. alienare und abalienare gebildet zu seyn, und stammet entweder von dem Neutro äußern, oder auch von dem Nennworte außer her. In beyden Fällen macht ver ein thätiges Zeitwort daraus.


Verbacken (W3) [Adelung]


Verbacken, verb. irreg. act. ( S. Backen.) Als Material zum Backen brauchen. Der Dorfbäcker verbackt Rocken- der Stadtbäcker Weitzenmehl. Ingleichen, durch Backen verbrauchen. Der Bäcker hat alles Mehl verbacken. ( S. Ver 1 (b).) 2. Im Backen verderben. Der Bäcker hat das Brod verbacken. ( S. Ver 1 (h). So auch das Verbacken.


Verballasten (W3) [Adelung]


Verballasten, verb. reg. act. mit Ballast versehen, welches auch nur vallasten genannt wird. Ein Schiff verballasten. Daher auch die Verballastung.


Verbällen (W3) [Adelung]


Verbällen, verb. reg. act. welches nur in einigen Gegenden üblich ist. Sich den Fuß verbällen, nicht so wohl ihn verstauchen, vertreten, welches wohl auch zuweilen durch dieses Zeitwort ausgedruckt wird, als vielmehr sich durch Gehen Schmerzen oder Taubheit in den Füßen zuwege bringen. In diesem Verstande wird es besonders von den Pferden gebraucht, welche sich verbällen, wenn sie lange unbeschlagen gebraucht werden. So auch das Verbällen. Im gemeinen Leben verbellen, in einigen Gegenden auch erbellen, erbällen. Bällen stammet hier allem Ansehen nach von wallen, gehen, her. S. dasselbe, ingleichen Ver 1 (h).


Verband (W3) [Adelung]


Der Verband, des -es, plur. die -bände, von dem Zeitworte verbinden, doch nur in Einer Bedeutung desselben, dasjenige, womit eine Wunde verbunden wird, auch nur der Band. Den Verband von der Wunde reißen. Seine Füße lagen in Betten und dicken Verbänden, Zach.


Verbannen (W3) [Adelung]


Verbannen, verb. reg. act. welches nach den verschiedenen Bedeutungen der Wörter Bann und bannen ehedem in verschiedenen Verstande gebraucht wurde, und zum Theil noch gebraucht wird. 1. * Von bannen, gebiethen, befehlen, war verbannen ehedem verbiethen; eine sehr alte Bedeutung, in welcher dieses Wort schon in achten Jahrhunderte forbannen lautet, Isländ. förbanna. Besonders bey Strafe verbiethen. Das Recht verbannen, ehedem, es bey Strafe zu hindern oder zu stören verbiethen. Noch jetzt sagt man in einigen Gegenden, ein Feld, eine Wiese verbannen, die Huth auf denselben bey Strafe verbiethen. Ein verbannter Weg, welcher zu befahren verbothen ist. 2. * In den Bann thun, mit dem Banne belegen, wofür Ottfried firmeinsamen, nach dem Lat. excommunicare gebraucht; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, wofür man jetzt lieber sagt, in den Bann thun. 3. * In der Deutschen Bibel altes Testamentes, bedeutet dieses Wort sehr häufig in engerm Verstande, ein Ding Gott so widmen, daß es nicht mehr zum gemeinen Gebrauche dienen konnte, sondern getödtet oder zerstöret und verbrannt werden mußte, da es denn oft auch für ausrotten, niedermachen und zerstören gebraucht wird. Wer den Göttern opfert, der sey verbannt, 2 Mos. 22, 20. Dem Herren verbannt seyn, 3 Mos. 27, 28. Ein verbannter Acker, V. 21. Der Herr wird verbannen den Strom des Meeres in Ägypten, Es. 11, 15. Und so in vielen andern Stellen mehr, wo auch mit dem Schwerte verbannen, so viel, als niedermachen ist, in so fern man glaubt, Gott einen Dienst damit zu thun. 4. * Verwünschen, verfluchen, sich verbannen, sich zusammen verschwören, eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, welche noch im Neuen Testamente vorkommt. Die Juden schlugen sich zusammen und verbannten sich, weder zu essen noch zu trinken u. s. f. Apost. 23, 12, 14, 21; sie verschworen sich. Ich habe gewünscht verbannet zu seyn von Christo, Röm. 9, 3; anathema fieri, und wird kein Verbanntes mehr seyn, - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - . Offenb. 22, 3, 5. Von Bann, die Gränze, vielleicht auch von bannen, befehlen, gebiethen, ist verbannen, durch ein Urtheil aus den Gränzen eines Gerichtsbezirkes oder einer Provinz vertreiben, ehedem auch ausbannen, verbannisieren. Bey dem Ottfried irbannen, im mittlern Lat. exbannire, elimitare. Daher ein Verbannter, Ital. bandito; wovon nachmahls Bandit üblich geworden. Es kommt auch hier im eigentlichen gerichtlichen Verstande im gemeinen Sprachgebrauche wenig mehr vor, in- dem verweisen, und in manchen Fällen in die Acht erklären, dafür üblicher sind. Am häufigsten gebraucht man es noch in weiterer und figürlicher Bedeutung für vertreiben und verjagen überhaupt, besonders in der höhern und dichterischen Schreibart. Jemanden aus seiner Gegenwart von sich verbannen. Verbanne Gram und Sorgen. Die Liebe verbannt die Furcht. Gram und Sorge verbannen die Heiterkeit aus meinem Gesichte, Dusch. So auch die Verbannung. Anm. Bey dem Ottfried irbannen. Ver hat hier die erste Bedeutung des fort und fern, gleichsam von einem Orte wegbannen. Im Österreichischen ist verbannt durch viele Verweise verstockt gemacht, von dem veralteten bannen, ausfilzen, Schwed. banna.


Verbasten (W3) [Adelung]


Verbasten, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur bey den Jägern üblich ist. Der Hirsch verbastet, wenn er den Bast oder die rauhe Haut von seinem Gehörne abschlägt, welches auch verschlagen, ingleichen schlagen und fegen, genannt wird. Daher das Verbasten.


Verbauen (W3) [Adelung]


Verbauen, verb. reg. act. 1. Durch einen Bau, durch Bauen verschließen und versperren. Den Eingang in den Hof verbauen. Jemanden das Licht verbauen, ihm durch einen aufgeführten Bau das Licht benehmen. Gott hat mich verbauet, Klagel. 3, 5. sehr uneigentlich, für Gott hat mich mir Widerwärtigkeiten umgeben; vermuthlich so fern verbauen ehedem auch belagern, blockiren bedeutete. ( S. Ver 4.) 2. Auf einen Bau verwenden, durch Bauen verzehren. Viel Holz verbauen, durch Bauen verbrauchen. Sein Geld verbauen. Hundert Thaler sind bald verbaut. Im gemeinen Leben sagt man auch, sich verbauen, wenn man mehr Geld auf einen Bau wendet, als man im Vermögen hat. (Siehe Ver 1, (a). 3. Im Bergbaue verbauet sich eine Zeche, wenn sie so viele Ausbeute gibt, als zu ihren Kosten erfordert wird. Daher die Verbauung in der ersten und das Verbauen in den beyden folgenden Bedeutungen.


Verbeilen (W3) [Adelung]


Verbeilen, S. Verbellen.


Verbeißen (W3) [Adelung]


1. Verbeißen, verb. irreg. recipr. ( S. Beißen,) welches nur in dem Jagdwesen üblich ist. Man sagt daselbst, die wilden Änten verbeißen sich in das Gras oder Rohr, wenn sie sich in demselben verstecken, so daß man sie nicht finden kann. Beißen bedeutet hier allem Ansehen nach nicht mordere, sondern hat hier noch die alte Bedeutung des Niederthuns, Fallens, welche noch in der R. A. übrig ist, in das Gras beißen. S. Beißen.


Verbeißen (W3) [Adelung]


2. Verbeißen, verb. irreg. act. ( S. Beißen.) 1. Durch Zusammenbeißung der Zähne den Ausbruch einer Empfindung zu unterdrücken suchen. Das Lachen, das Weinen, den Schmerz verbeißen. Der Seufzer, den du jetzt verbeißest, Weiße. ( S. Ver 1 (c)). 2. Abbeißen, besonders vorn abbeißen, wo ver das Latein. prae ausdruckt; eine im Hochdeutschen seltene Bedeutung. Ja, da er sich aus Zorn die Nägel schon verbissen, Günth. In weiterer Bedeutung sagt man zuweilen, die Wörter verbeißen, die Endsylben in der Aussprache verschlucken, daher auch einige, die unter dem Nahmen der Syncope bekannte grammatische Figur die Verbeißung nennen wollen. ( S. Verbeitzen.) 3. In der Jägerey sagt man, der Auerhahn habe verbissen, wenn er aufhöret zu balzen, wo es als ein Neutrum gebraucht wird; wo ver entweder ein Aufhören, und beißen, sehr uneigentlich sein mit der Balz verbundenes Schreyen bedeutet, oder auch, so fern das Ende der Balz alsdann einzutreten pflegt, so bald der Auerhahn die jungen Knospen der Birken und Buchen zu kosten anfängt. ( S. das gleich folgende Verbeitzen.) 4. So fest zubeißen, daß man den Mund nicht mehr öffnen, oder die Zähne nicht mehr von einander bringen kann, als ein Reciprocum, auf welche Art sich die Hunde oft zu verbeißen pflegen, da man sie denn ab- oder losbrechen muß; auch verfangen. So auch die Verbeißung und das Verbeißen.


Verbeitzen (W3) [Adelung]


Verbeitzen, verb. reg. act. ein besonders bey den Jägern für verbeißen 2 übliches Wort, vorn abbeitzen, oder abbeißen. Das Vieh verbeitzet den jungen Wuchs, wenn es das junge aufgeflogene Holz abfrißt, abbeißet. Abgebeitzte Hiebe, wo das junge Holz solcher Gestalt abgefressen ist. Entweder von ver, prae, oder auch von Ver 1 (h).


Verbellen (W3) [Adelung]


1. Verbellen, S. Verbällen.


Verbellen (W3) [Adelung]


2. Verbellen, verb. reg. et irreg. act. ( S. Bellen,) welches nur bey den Jägern üblich ist, durch Bellen bekannt machen, wo es besonders von den Saufindern und Schweißhunden gebraucht wird, welche eine Sau verbellen, wenn sie selbige stellen und vor ihr laut werden. In den gemeinen Sprecharten verbeilen. Daher das Verbellen. Von ver, so fern es eine Bekanntmachung bedeutet, wie vermelden, welche Bedeutung eine Figur der ersten eigentlichen ist.


Verbergen (W3) [Adelung]


Verbergen, verb. irreg. act. ( S. Bergen,) vermittelst Erregung eines Hindernisses der Kenntniß und Wissenschaft anderer zu entziehen suchen. 1. Eigentlich, vermittelst eines davor befindlichen körperlichen Hindernisses; wofür man im gemeinen Leben auch verstecken sagt. Sich unter die Treppe verbergen. Sich vor jemanden verbergen. Ich muß mich vor deinem Angesichte verbergen, 1 Mos. 4, 14. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg, Es. 53, 3, durch Wegwenden oder Bedecken. Ich habe mein Angesicht ein wenig von dir verborgen, Kap. 54, 8; welche Wortfügung mit von für vor, veraltet ist. Sie verbarg Mosen drey Monden, 2 Mos. 2, 2. Rahab verbarg die Männer und Bothen, Joh. 2, 4, 16. Sie nahmen Silber, Gold und Kleider und verborgen (verbargen) es, 2 Kön. 7, 8. Den Schiefer findet man tief verborgen, Hiob 28, 3. Behemoth liegt im Rohr verborgen, Kap. 40, 16. Ein verborgener Schatz. Sich an einem Orte verborgen halten. Der Mond verbirgt sich hinter den Wolken, ist hinter den Wolken verborgen. 2. In weiterer Bedeutung, auf jede andere Art der Kenntniß, der Wissenschaft anderer entziehen. Das Geboth ist dir nicht verborgen, 5 Mos. 30, 11. Salomo war nichts verborgen, unbekannt, 2 Chron. 9, 2. Mein Seufzen ist dir nicht verborgen, Ps. 38, 10. Verzeihe mir die verborgenen Fehler, Ps. 19, 17. Die Wahrheit, die im Verborgenen lieget, Ps. 51, 8. Verborgene Sachen offenbaren, Dan. 5, 12. Die verborgene Schreibart. Mein Jammer ist desto größer, je mehr ich ihn verbergen muß, Weiße. Eine Leidenschaft, eine Empfindung verbergen. Etwas verborgen halten. 5. In engerer Bedeutung auch zuweilen für verschweigen, durch nicht sagen der Kenntniß eines andern entziehen, welches, wenn es auf eine unweise oder unerlaubte Art geschiehet, verhehlen heißt. Man hat mir das verborgen, hat es mir verschwiegen. Dem Arzte und Beichtvater muß man nichts verbergen. Ein Mensch, der nichts verbergen kann. In welcher Bedeutung in einigen Fällen auch bergen üblich ist. Ich kann ihm das nicht bergen, nicht verschweigen. So auch die Verbergung, von der Handlung des Verbergens. Aber für ein Ding, welches ein anderes verbirget, wie Es. 4, 6: der Herr wird eine Verbergung seyn vor dem Wetter und Regen, ist es ungewöhnlich. S. auch Verborgenheit, von dem Mittelworte verborgen.

Anm. Schon bey dem Ottfried und Notker ferbergen; indessen wurde das einfache bergen ehedem häufig in eben diesem Verstande gebraucht, so wie man noch jetzt sagt, er kann den Schalk nicht bergen; chiborgonun hort, ein verborgener Schatz, im Isidor. Es scheinet daraus zugleich zu erhellen, daß ver hier bloß eine intensive Bedeutung hat, obgleich auch die vierte Bedeutung desselben hier Statt finden kann. Ehedem hatte man noch ein anderes gleich bedeutendes Wort, welches aber jetzt veraltet ist, und verbaren lautete. Dieses ist der Gegensatz von offenbaren, und von baren, sichtbar, bekannt machen, abgeleitet. Die Niedersachsen sagen für verbergen verhüden. S. Bergen, ingleichen Verhehlen.


Verbesserer (W3) [Adelung]


Der Verbesserer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin, die Verbessererinn, kürzer, um des Wohlklanges willen, Verbesserinn, ( S. Er,) eine Person, welche etwas verbessert oder verbessert hat, zwey Wörter, welche nur selten vorkommen.


Verbesserlich (W3) [Adelung]


Verbesserlich, adj. et adv. was sich verbessern lässet, ein Wort, welches in dem Gegensatze unverbesserlich am üblichsten ist.


Verbessern (W3) [Adelung]


Verbessern, verb. reg. act. besser machen. 1. * Das Schadhafte an einem Dinge wegschaffen, und es dadurch besser machen; eine im Hochdeutschen unbekannte Bedeutung, wofür daselbst ausbessern üblich ist. Indessen sagt man doch in einigen Gegenden, ein Haus, ein Schiff, ein Kleid verbessern, für ausbessern. 2. Das Fehlerhafte wegschaffen, und dadurch besser machen, in weichem Verstande es im Hochdeutschen allein üblich ist, und auch hier nur von Sachen gebraucht wird. Jemandes Aufsatz, Zeichnung, Entwurf u. s. f. verbessern. Haben sie nur Geduld, der Fehler verbessert sich von sich selbst. 3. Im weitesten Verstande, für besser machen überhaupt, für welchen Begriff sonst das einfache bessern üblich ist, sagt man ein Gut verbessern, es in bessern Stand setzen, es einträglicher machen. So auch die Verbesserung, die Handlung des Verbesserns.

Anm. Es ist entweder unmittelbar von dem Comparativ besser, da denn das ver nur zur Bildung eines thätigen Zeitwortes dienen würde, ( S. Ver 2); oder auch nur von dem Zeitworte bessern, da denn ver eine Änderung, andere Bestimmung, bezeichnen, oder auch nur zur Erhöhung des Begriffes dienen würde, S. ver 1. (c) und 5.


Verbethen (W3) [Adelung]


Verbethen, verb. reg. act. durch Bethen tilgen, oder wegschaffen; ein nur in der vertraulichen Sprechart übliches Wort. Ich will meine Sünde noch heute verbethen, Gell. Sie möchte sich immer ein Gebeth machen lassen, um des Abends die Sünde zu verbethen, die sie den Tag über mit Bethen und Singen begeht, eben ders. Du kannst diese Verläumdung in Ewigkeit nicht verbethen, eben ders. So auch das Verbethen. Siehe Ver 1.


Verbeugen (W3) [Adelung]


Verbeugen, verb. reg. recipr. welches mit verbiegen nicht als gleich bedeutend angesehen muß, und nur in engerer Bedeutung üblich ist. Sich verbeugen, vor jemanden verbeugen, sich aus Ehrfurcht vor ihm beugen oder biegen, sich neigen, im gemeinen Leben sich verneigen. Es wird in der edlern Schreibart von beyden Geschlechtern gebraucht, dagegen im gemeinen Leben von dem männlichen sich bücken, und von dem weiblichen sich verneigen, üblich ist. So auch die Verbeugung im gemeinen Leben von dem männlichen Geschlechte ein Bückling, Reverenz, und von dem weiblichen ein Knix, eine Neige. Die stolze Hofdame, die ihrer Frau eine schiefe Verbeugung und ein durchlauchtiges Lächeln abgelernt hat.


Verbiegen (W3) [Adelung]


Verbiegen, verb. irreg. act. ( S. Biegen,) durch Biegen entstellen, unbrauchbar machen. Die Gabel, das Messer, der Schlüssel hat sich verbogen.


Verbiethen (W3) [Adelung]


Verbiethen, verb. irreg. act. ( S. Biethen.) 1. * Ankündigen, ingleichen vor seinen Obern fordern, laden, citiren; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche noch in einigen Provinzen vorkommt. Schon bey dem Ulphilas ist faurbiudan, be- fehlen. Einen neuen Bau verbiethen, ankündigen, in der Jülich. Polizey-Ordnung. Im Nieders. ist daher verbaden, laden, citiren, und im Sachsenspiegel unverbothen, nicht citiret. Es ist in diesem Verstande noch bey einigen Handwerkern üblich, z. B. bey den Maurern, wo der Junggeselle die andern verbiethen muß, d. i. das Nöthige im Nahmen der Obern bey ihnen anbringen. Wenn es hier nicht aus verbiethen verdeckt worden, so hat ver hier eine bloß intensive Bedeutung, indem biethen und gebiethen in eben demselben Verstande vorkommen. 2. Im gewöhnlichsten Verstande ist verbiethen, befehlen, daß etwas nicht geschehe, untersagen, im Gegensatze des gebiethen und befehlen im engern Verstande; wo es so wohl mit der vierten Endung der Sache und der dritten Person, als mit dem Infinitiv und dem Wörtchen zu, verbunden wird. Das Spielen, das Tanzen, das Fluchen verbiethen. Einem etwas verbiethen, es ihm bey schwerer Strafe verbiethen. Das verbiethet sich wohl von selbst. Alles, was Gott verbothen hat, was im Gesetz verbothen ist. Verbiethen zu spielen, zu tanzen, zu sündigen. Es war mir dieses zu thun verbothen. Ingleichen in den elliptischen R. A. Jemanden den Hof, das Haus, die Stadt verbiethen, ihm verbiethen, das Haus, die Stadt, den Hof zu betreten. Jemanden den Wein verbiethen, den Gebraucht des Weines. Sollte ich ihm deßwegen meine Gegenwart verbiethen? Da in diesem Zeitworte schon eine Verneinung liegt, so darf dieselbe in dem Nachsatze ordentlich nicht wiederhohlet werden, daher diejenigen Wörter, welche dergleichen enthalten, wie nicht, nichts, kein, niemand, hier eigentlich fehlerhaft sind. Ich verbiethe dir, es nicht zu thun, besser, ich befehle dir, es nicht zu thun, oder, ich verbiethe dir, es zu thun. Es ist verbothen, niemanden etwas davon zu sagen, besser, jemanden. Ich verbiethe dir, keinem etwas davon zu sagen, oder, daß du keinem etwas davon sagest, besser, jemanden etwas davon zu sagen. Christus verboth seinen Jüngern, daß sie niemanden sagen sollten u. s. f. Joh. 6, 15. Marc. 9, 9. Kap. 5, 43. und in andern Stellen mehr. Daher sich denn auch das Bindewort daß nur selten ohne Mißlaut mit diesem Zeitworte verbinden lässet, indem es in den meisten Fällen eine Verneinung nach sich haben müßte. Aber auch, wo diese fehlt, wird in den meisten Fällen der Infinitiv mit dem Wörtchen zu schicklicher seyn. Es scheinet, daß diese Construction mit verneinenden Wörtern noch ein Überbleibsel der alten ersten Bedeutung des Befehlens ist. Daher das Verbiethen. S. auch Verboth.

Anm. Schon bey dem Ottfried firbitan, in den folgenden Jahrhunderten verbiuten, im Nieders. verbeden, verbeen, im Schwed. förbjuda, im Angels. forbeodan, im Engl. forbid, ( S. Ver 1 (d).) Von der Oberdeutschen Conjugation du verbeuthst, er verbeuth, ( S. Biethen.) Ehedem war auch verheften dafür üblich, welches mit dem Lat. prohibere sehr nahe verwandt ist.


Verbinden (W3) [Adelung]


Verbinden, verb. irreg. act. ( S. Binden,) welches nach Maßgebung der Partikel ver von verschiedener Bedeutung ist. 1. Falsch binden, im Binden einen Fehler begehen, von ver 1 (g) (h). Ein Packet ist verbunden, wenn es nicht recht gebunden ist. Am üblichsten ist es von dem Binden der Buchbinder, wo ein Buch verbunden wird, wenn ein oder mehrere Blätter an den unrechten Ort gebunden sind, welches, so fern der Fehler im Heften geschiehet, auch verheften genannt wird. 2. Zubinden, von ver 4. Eine Flasche verbinden; in welchem und andern ähnlichen Fäden man doch lieber zubinden sagt. Hingegen ist in folgenden verbinden üblicher, wenigstens edler. Du sollst den Ochsen, der da drischet, nicht das Maul verbinden, 5 Mos. 25, 4. Sich die Augen verbinden. Mit verbundenen Augen. Sich den Kopf verbinden, ein Tuch um den Kopf binden. Mit verbundenem Kopfe. Besonders von Wunden und Beschädigungen. Eine Wunde verbinden, ein Heilmittel vermittelst des Verbandes darauf befestigen. Mit verbundenem Arme, Fuße. Einen Patienten verbinden, dessen Munde. Daher das Verbinden. 3. Unter andere Dinge binden, nur in einigen Fällen. Unter den guten Flachs pflegt sehr häufig schlechter verbunden zu werden. 4. Mehrere Dinge einem Ganzen zusammen fügen, und an einander befestigen ( S. Ver 3.) wo es ein allgemeiner Ausdruck ist, der die nähere Art und Weise unentschieden und unbestimmt läßt, indem dieses auf sehr vielfache Art geschehen kann. Es unterscheidet sich dadurch zugleich von den ähnlichen Zeitwörtern, vereinigen, vermengen, vermischen u. s. f. welche theils besondere Arten bezeichnen, theils die Verbindung aus einem andern Gesichtspuncte betrachten. (1) In eigentlichem und weiterm Verstande. Einen Theil mit dem andern verbinden, es geschehe nun vermittelst eines Bandes oder des Leimes, oder des Nagels, oder auf irgend eine andere Art, wo oft auch das Ganze, dessen Theile mit einander verbunden werden, in der vierten Endung steht. Ein Faß verbinden, bey den Böttchern, es mit den gehörigen Reifen versehen. Ein Haus, das fest mit einander verbunden ist, Sir. 32, 9. Die Theile einer Rede mit einander verbinden. Die Wörter sind nicht gehörig mit einander verbunden. Wolf war der erste, welcher die Mathematik mit der Philosophie verband. Anmuth mit Gründlichkeit verbinden. Der Mahler muß die Farben wohl mit einander verbinden. Eine Gruppe wohl mit einander verbundener Figuren. Das Wasser läßt sich nicht mit dem Öhle verbinden, vermischen. In der Seife ist das Fett mit dem Alkali auf das genaueste verbunden, vereiniget. Und so in hundert andern Fällen mehr, wo es oft im weitesten Verstande ein bloßes Stellen oder Setzen neben einander bezeichnet, auch wenn solches nur in Gedanken geschiehet. Eine Idee mit der andern verbinden, sie sich mit der andern zugleich vorstellen. In einem andern Verstande sind zwey Dinge mit einander verbunden, quorum vno posito ponitur alterum. Was mit und nach eigener Wahl geschiehet, ist mit einer Sittlichkeit und Zurechnung verbunden. (2) In engerer und figürlicher Bedeutung, a) Sich mit jemanden verbinden, ein Verhältniß zu Erreichung einer gemeinschaftlichen Absicht mit ihm errichten; wo es wieder ein allgemeiner Ausdruck ist, der die nähere Art und Weise so wohl, als die Rechtmäßigkeit, unbestimmt läßt. Daß ihr euch alle verbunden habt wider mich, 2 Sam. 22, 8. Zwey Mächte verbinden sich, wenn sie ein Bündniß mit einander errichten, oft auch nur, wenn sie einen gemeinschaftlichen Entschluß fassen, etwas gemeinschaftlich verabreden. Frankreich und Spanien haben sich verbunden, der Krone England die Oberherrschaft zur See streitig zu machen. Auf das genaueste mit einander verbunden seyn. Sich mit einem Eide unter einander verbinden, im gemeinen Leben sich verschwören. Die Aufrührer hatten sich verbunden, den König von dem Throne zu stoßen. Die Verbundenen, verbundene Personen, es sey auf welche Art es wolle. Zwey Personen ehelich mit einander verbinden, im gemeinen Leben, sie copuliren, trauen. Daher sich zwey Personen im engsten Verstande verbinden, wenn sie sich heirathen. Edle Seelen entdecken einander mitten in dem Gedränge der Welt, die sich nur aus Eitelkeit und Eigennutz zu verbinden pflegt, Gell. Siehe auch Vereinigen. b) Auf feyerliche Art versprechen, sich zu etwas anheischig machen, als ein Reciprocum, und gleichfalls als ein allgemeiner Ausdruck, mit dem Worte zu. Sich zu etwas verbinden, oder sich verbinden etwas zu thun. Wenn ein Weibsbild dem Herren ein Gelübde thut und sich verbindet, 4 Mos. 30, 4. Wenn jemand sich mit einem Eide verbindet, Kap. 11. Sich zur Hülfsleistung, zur Bezahlung u. s. f. verbinden. Ich habe mich dazu verbunden, oder verbindlich gemacht. Sich für jemanden verbinden, etwas an seiner Statt zu thun versprechen, auch für ihn Bürge werden. ( S. Verbindlich und Verbündniß.) Verpflichten wird in ähnlichem Verstande gebraucht. c) Überwiegende Bewegungsgründe zu einer Handlung geben oder veranstalten, etwas als eine Pflicht auflegen; welches besonders auch auf dreyfache Art geschehen kann. 1. Vermöge eines Gesetzes; verpflichten. Das Gesetz verbindet alle Menschen, legt ihnen eine Pflicht auf, alle Menschen sind an dasselbe gebunden. Das verbindet mich nicht. Jemanden mit Treue verbunden seyn, ihm Treue schuldig seyn. Du bist verbunden, dieses zu thun, kraft eines Gesetzes, es sey von welcher Art es wolle, dazu gedrungen, es ist deine Pflicht dieses zu thun. Ich fühle mich dazu verbunden. Dazu verbindet mich meine Aufrichtigkeit. Das Mittelwort verbunden wird in dieser Bedeutung nur als ein Nebenwort gebraucht. 2. Durch ein feyerliches Versprechen; doch nur selten. Jemanden verbinden, ihn ein feyerliches Versprechen ablegen lassen. Geschiehet dieses eidlich, so ist dafür verpflichten, vereiden u. s. f. gebräuchlicher. Am üblichsten ist es in diesem Verstande in der vorigen reciproken Bedeutung, sich verbinden, feyerlich versprechen. 3. Durch Gefälligkeiten und Wohlthaten, ihm dadurch gleichsam Gegengefälligkeiten zur Pflicht machen. So wohl absolute. Sich jemanden verbinden. Ihn durch Wohlthaten verbinden. Jemanden verbunden seyn, ihm gar sehr, auf das höchste verbunden seyn. Ich hätte sehr gewünscht, ihn mir verbinden zu können, Less. Sie haben mich ihnen dadurch gar sehr verbunden. Als auch mit dem Wörtchen zu. Jemanden zum Danke, zu Gegengefälligkeiten verbunden seyn. Da denn auch das Mittelwort in der Sprache der gesellschaftlichen Höflichkeit sehr gangbar ist. Ich bin ihnen für diese Nachricht gar sehr verbunden, erkenne mich ihnen dafür zum Danke verpflichtet. Mein dir verbundenes Herz. Ich bin ihr verbundener, verbundenster Diener. Jemanden ein verbundenes Compliment machen, ein fehlerhafter Gebrauch für verbindlich. Daher die Verbindung, ( S. solches besonders.) Es scheinet in den letzten figürlichen Bedeutungen nach dem Muster der Latein. obligare, aligare und obstringere, gebildet zu seyn.


Verbindlich (W3) [Adelung]


Verbindlich, -er, -ste, adj. et adv. welches vermittelst der Ableitungssylbe lich von dem vorigen Zeitworte gebildet, aber nur in der dritten figürlichen Bedeutung üblich ist, und zwar auf doppelte Art. 1. In der thätigen Bedeutung, überwiegende Bewegungsgründe zu einer Handlung gewährend, eine sittliche Nothwendigkeit auflegend, und darin gegründet, und zwar, a) Vermöge eines Gesetzes oder des Willens eines Höhern. Ein verbindliches Gesetz, ein verbindlicher Befehl, welcher uns zum Gehorsam verbindet. Das ist für mich nicht verbindlich, verbindet mich nicht zum Gehorsam. Ein sehr verbindliches Versprechen, welches uns zur Erfüllung verbindet. b) Vermöge der Gefälligkeit und Wohlthat, zu Gegenfälligkeiten verbindend, und darin gegründet. Ein sehr verbindliches Betragen. Das Geschenk wurde mit dem verbindlichsten Complimente begleitet. Auf eine sehr verbindliche Art. 2. In passiver Bedeutung, einem andern verbunden, ihm zu gewissen Diensten verpflichtet, doch nur so fern diese Nothwendig- keit sich entweder auf ein feyerliches Versprechen, oder auch auf genossene Gefälligkeiten und Wohlthaten gründet. Ein Soldat ist seinem Landesherren verbindlich, vermöge seines Eides zur Treue verbunden, wofür doch verpflichtet üblicher ist. Jemanden verbindlich werden, wegen empfangener Gefälligkeiten ihm zu Gegengefälligkeiten verpflichtet seyn. Sich jemanden verbindlich machen. Es gibt eine Art Stolz, welche niemanden verbindlich seyn will.


Verbindlichkeit (W3) [Adelung]


Die Verbindlichkeit, plur. die -en, von dem vorigen Beyworte. 1. In der thätigen Bedeutung. a) Die Eigenschaft eines Dinges, da uns dasselbe eine moralische Nothwendigkeit aufleget, zu gewissen Handlungen überwiegende Bewegungsgründe dazu darreicht; ohne Plural. Die Verbindlichkeit eines Gesetzes, eines Befehles. Ingleichen durch Gefälligkeit. Die Verbindlichkeit eines Mannes, eines Complimentes. Die Verbindlichkeit, mit welcher das Geschenk begleitet war. b) Handlungen, welche den andern überwiegende Bewegungsgründe zu ähnlichen Handlungen darreichen, wo es doch nur von Gefälligkeiten oder Wohlthaten gebraucht wird, so fern sie den andern zu Gegengefälligkeiten verbinden. Viele Verbindlichkeiten von jemanden genossen haben. Ich habe Timanten viele Verbindlichkeiten, Cron. besser: ich bin ihm viele Verbindlichkeiten (zu erwiedern) schuldig. 2. In passiver Bedeutung, der Zustand, da man sich in der moralischen Nothwendigkeit zu einer Handlung befindet, sie rühre nun von einem Gesetze, oder von einem freywilligen Versprechen, oder endlich auch von empfangenen Gefälligkeiten und Wohlthaten her. Jemanden eine Verbindlichkeit auflegen, durch ein Gesetz, einen Befehl. Sich eine Verbindlichkeit auflegen, durch ein Versprechen. Deine Wohlthaten setzen mich in die Verbindlichkeit, dir wieder zu dienen. Die Verbindlichkeit, sein Wort zu halten.


Verbindniß (W3) [Adelung]


Das Verbindniß, S. Verbündniß.


Verbitten (W3) [Adelung]


Verbitten, verb. irreg. act. ( S. Bitten,) durch Bitten, oder durch eine Bitte abzuwenden suchen. Einen Besuch verbitten, bitten, daß derselbe nicht kommt. Das will ich verbitten, ich will bitten, daß solches nicht geschehe. Ehedem sagte man auch, jemandes Tod verbitten, in welcher Bedeutung es aber veraltet ist. Siehe Ver 1 (c) (d).


Verbittern (W3) [Adelung]


Verbittern, verb. reg. act. bitter machen. 1. In mehr eigentlichem Verstande, etwas Angenehmes unangenehm machen. Das verbittert mir mein Leben, macht mir dasselbe im hohen Grade unangenehm. Unsere Freude, das Vergnügen ward uns gar sehr verbittert. 2. So auch die Verbitterung. 2. Nach einer noch weitern Figur, mit bitterm Hasse oder Grolle erfüllen, zum bittern Hasse und Unwillen reitzen, Schwed. förbittra. Das Land hat alles verbittert, Jer. 50, 21. Daher die Verbitterung, so wohl die Versetzung in diesen Zustand, als auch der bittere Haß und Groll selbst. Verstocket eure Herzen nicht, als geschahe in der Verbitterung, Ebr. 3, 8. Verbitterung anrichten, V. 16. In der edlern Schreibart ist in dieser zweyten Bedeutung erbittern und Erbitterung üblicher, S. dieselben. In beyden Bedeutungen, besonders aber der ersten, ist es vermittelst der Partikel von dem Beyworte bitter gebildet. S. Ver 2.


Verbläffen (W3) [Adelung]


Verbläffen, S. Verbleffen.


Verblasen (W3) [Adelung]


Verblasen, verb. irreg. ( S. Blasen,) welches in doppelter Gestalt üblich ist. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, bis zu Ende blasen, so lange blasen, bis die Luft nach und nach erschöpft ist, wo es nur von Menschen und Thieren nach einer heftigen mit starkem Athemhohlen verbundenen Bewegung üblich ist, wie verschnaufen, Nieders. verpusten. Die Pferde verblasen lassen. Er hat noch nicht verblasen, nach heftigem Laufen. S. Ver. 1. (a) (b). 2. Als ein Activum, wo es nur bey den Mahlern üblich ist, wo es die Gegenstände schwächer mahlen bedeutet, sie gleichsam mit einem Nebel überziehen, Franz. effumer, Ital. sfumare, welches von dem Verwaschen der Wasserfarben, und Vertreiben der Öhlfarben noch verschieden ist, ob es gleich von einigen auch in diesem Verstande gebraucht wird. Daher die Verblasung. Wenn das Zeitwort in dieser Bedeutung nicht nach dem Italiän. sfumare gebildet ist, so scheinet blasen hier zu Blässe und blasonieren zu gehören, und eigentlich vermahlen zu bedeuten. S. diese Wörter.


Verblassen (W3) [Adelung]


Verblassen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, blaß werden, ( S. Ver 2); wofür doch in der edlern Schreibart erblassen üblicher ist, S. dasselbe.


Verblaten (W3) [Adelung]


Verblaten, verb. reg. act. welches vornehmlich im Weinbaue üblich ist. Den Wein verblaten, die Blätter an dem Weinstocke abbrechen, damit die Trauben von der Sonne desto mehr getroffen werden können, welches auch verhauen genannt wird. Von Blat, blaten und ver 1. (h)


Verblättern (W3) [Adelung]


Verblättern, verb. reg. act. durch Blättern in einem Buche verlieren. Eine Stelle verblättern, durch fehlerhafte Umschlagung der Blätter. Daher die Verblätterung. S. Ver 1 (c).


Verblechen (W3) [Adelung]


Verblechen, verb. reg. act. mit Blech beschlagen, welches nur in einigen Fällen des gemeinen Lebens gebraucht wird. Die Balken verblechen. So auch die Verblechung.


Verbleffen (W3) [Adelung]


Verbleffen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur bey den Jägern üblich ist, wo man sagt, das Birkgeflügel habe verbleffet, wenn es sich nicht mehr zusammen lockt, wofür auch verschlagen üblich ist. In den gemeinen Sprecharten einiger Gegenden, besonders Niederdeutschlandes, hat man das thätige Zeitwort verbleffen oder verblüffen, schüchtern, scheu machen; verblefft seyn, bestürzt, schüchtern. Eben daselbst bedeutet das einfache bleffen, blüffen, furchtsam, schüchtern machen. In einem andern Verstande ist bey den Jägern und auch sonst im gemeinen Leben, sich verbleffen, einen Fehler wider die Regeln der Kunst begehen, und die Verbleffung, die Begehung eines solchen Fehlers, und der Fehler selbst. Bleffen scheint hier zu bläuen, schlagen, zu gehören, zumahl, da man in der ersten Be- deutung auch verschlagen, und in der zweyten auch schlägeln sagt.


Verbleiben (W3) [Adelung]


Verbleiben, verb. irreg. neutr. ( S. Bleiben,) mit dem Hülfsworte seyn. 1. Für das einfache Zeitwort, in dessen gewöhnlichster Bedeutung, doch mit mehrerm Nachdrucke, ein anhaltenderes, dauerhafteres Bleiben zu bezeichnen, so daß ver hier eine blosse Intension gewähret; Lat. permanere. Auf seiner Meinung verbleiben, unverrückt auf seiner Meinung bleiben. Es hat dabey sein Verbleiben, in den Kanzelleyen, es soll unverändert dabey bleiben. Ich verbleibe, Ew. - in Briefen. Wo daher keine Intension Statt findet, da stehet auch dieses Zeitwort am unrechten Orte. Wie Kluge zu genießen wissen, Verbleibt dem Pöbel unbewußt, Haged. Wo es um des Sylbenmaßes willen mit merklichem Mißklange für das einfache bleiben stehet. So auch das Verbleiben, und, obgleich nur selten, in einigen Fällen die Verbleibung. 2. * Unterbleiben, eine im Hochdeutschen unbekannte Bedeutung, welche indessen noch im Niederdeutschen gangbar ist. Es ist alles kommen (erfüllet worden) und keines verblieben, Jos. 23, 21.


Verbleichen (W3) [Adelung]


Verbleichen, verb. irreg. neutr. ( S. Bleichen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, bleich werden, wofür doch auch erbleichen üblich ist. Der Verblichene, figürlich, der Verstorbene, der verblichene Leichnam, der erblichene. Eine besondere Wortfügung mit der zweyten Endung ist die R. A. Todes verbleichen, d. i. sterben, welche doch nur in den vergangenen Zeiten gebraucht wird, aber so, wie die ähnliche Todes verfahren, nur in dem feyerlichen Kanzel- und Kanzelley-Styl üblich ist, wo sie aus dem Oberdeutschen beybehalten worden. Ingleichen bleich, d. i. unkenntlich, unleserlich werden, von Schriften und Farben, in welchem Falle erbleichen nicht üblich ist; verschießen. Die Schrift ist ganz verblichen. Verblichene Dinte. Verblichener Taffent, verschossener. Die Rosen verbleichen, auf ihrem schönen Gesichte, Weiße. Ernstlich ist sie bemühet, auf ihren verblichenen Wangen künstliche Rosen zu schaffen, Zachar. Von der Gesichtsfarbe ist in einem andern Falle auch erblassen üblich. Einige Schriftsteller conjugieren es regulär: durch diese Denkungsart ist unter Freuden mir das Haar verbleicht, Kleist. Allein, diese verwechseln das reguläre Activum bleichen, bleich, weiß machen, mit dem Neutro, bleich werden, welches ehedem durchgängig irregulär ging, und diese Form noch in den Zusammensetzungen beybehalten hat.


Verblenden (W3) [Adelung]


Verblenden, verb. reg. act. welches eigentlich blind machen bedeuten sollte, aber nur in engerer und figürlicher Bedeutung gebraucht wird, durch Darstellung eines falschen Gegenstandes dasjenige zu sehen hindern, was man sehen sollte oder wollte, wo es wieder auf doppelte Art gebraucht wird. 1. Objective, von demjenigen Gegenstande, welcher durch Darstellung eines falschen dem Gesichte entzogen wird; wo es doch nur als ein Kunstwort, in einigen einzelnen Fällen gebraucht wird. So sagt man im Bergbaue, die Erze und Anbrüche verblenden, sie verschmieren, verzimmern oder verhauen, damit andere sie nicht gewahr werden. In weiterm Verstande verblendet man einen Stollen, wenn man ihn mit Bretern verschlägt und zumacht, damit die Luft sich einen andern Ausgang suche. In der Baukunst pflegt man das Holzwerk an den Gebäuden mit Blendsteinen zu verblenden, es dem Gesichte zu entziehen, vornehmlich aber es vor dem Wetter zu sichern. Im Jagdwesen wird der Zeug verblendet, wenn er mit grünen Reisern besteckt wird, damit er dem Hirsche nicht sogleich in die Augen falle, und so in andern Fällen mehr. 2. Subjective, in Beziehung auf den Gehenden, ihn durch Darstellung eines falschen Gegenstandes, den wahren, oder durch Darstellung einer falschen Seite, eines falschen Verhältnisses der Sache, die wahre Seite, ihre wahre Beschaffenheit zu erblicken hindern; besonders in weiterer und figürlicher Bedeutung. Ihre schönen Schuhe verblendeten ihn, Judith 16, 11. Geschenke verblenden die Weisen, Sir. 20, 30. Er hat ihre Augen verblendet, Joh. 12, 40. Sie sind verblendet, Es. 44, 18. Das Glück verblendet schwache Gemüther. Anm. Bey dem Notker irblenden. S. Blenden.


Verblendung (W3) [Adelung]


Die Verblendung, plur. die -en, von dem vorigen Zeitworte. 1. Als ein Abstractum, ohne Plural. (1) Die Handlung des Verblendens im thätigen Verstande, wo es in beyden Bedeutungen gebraucht wird. (2) Der Zustand, da man verblendet ist, in der zweyten Bedeutung. Die Verblendung höret auf, hat ein Ende. 2. Dasjenige falsche Ding, was uns den Anblick des wahren entziehet, doch nur in der ersten Bedeutung des Zeitwortes, und auch hier nur in einigen Fällen.


Verbleyen (W3) [Adelung]


Verbleyen, verb. reg. act. mit Bley versehen, versetzen, nur in einigen Fällen. In dem Hüttenbaue wird das Erz, der Rohstein verbleyet, wenn man sie mit zugesetztem Bleye schmelzet, damit sich das Metall in das Bley ziehe, aus welchem es leichter wieder geschieden werden kann. Ein Erz verbleyet sich selbst, wenn es vieles Bley bey sich führet, und daher keinen Zusatz desselben bedarf. In einem andern Verstande verbleyet man Waaren u. s. f. wenn man sie mit einem bleyernen Siegel versiehet, wofür doch das Französische plombieren üblicher ist.


Verblicken (W3) [Adelung]


Verblicken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches gleichfalls nur im Hüttenbaue üblich ist. Das Silber hat verblickt, wenn es auf dem Treibeherde geblickt, und dadurch die Vollendung des Treibens angedeutet hat.


Verblinden (W3) [Adelung]


Verblinden, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, blind werden, ( S. Ver 2.) wofür doch erblinden üblicher ist, obgleich auch dieses im Hochdeutschen selten gebraucht wird.


Verblitzen (W3) [Adelung]


Verblitzen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, aufhören zu blitzen, ein so wie abblitzen nur im gemeinen Leben übliches Wort. S. Ver 1. (b).


Verblüffen (W3) [Adelung]


Verblüffen, S. Verbleffen.


Verblühen (W3) [Adelung]


Verblühen, verb. reg. neutr. 1. Mit dem Hülfsworte seyn, aufhören zu blühen, von den Blumen und Blüthen. Die Rosen sind verblühet. Ingleichen figürlich, vergehen, besonders von dem Reitze, der Anmuth. Ihre Schönheit ist verblühet. Verblühete Wangen. Eine verblühete Schönheit. 2. Mit dem Hülfsworte haben, von den Gewächsen, seine Blumen verwelken, fallen lassen. Der Baum hat verblühet. Die Hyacinthen haben schon verblühet. So auch das Verblühen. Schon bey dem Notker ferbluon.


Verbluten (W3) [Adelung]


Verbluten, verb. reg. neutr. bis auf Erschöpfung alles oder doch des meisten Blutes bluten. Da er gar verblutet hatte, 2 Maccab. 14, 16. Charlotte, laß den Riß, wie tiefer ist, verbluten! Gryph. Im Hochdeutschen ist es in Gestalt eines Reciproci am üblichsten, sich verbluten. Er hat sich sehr verblutet, hat viel Blut verloren. Mein Herz blutet, ach, daß es sich in dieser meiner letzten Umarmung verbluten möchte! Figürlich sagt man im gemeinen Leben: 1. Sich verblutet haben, seine Kräfte, und besonders sein bares Vermögen erschöpft haben. 2. Die Sache hat sich verblutet, wenn sie nicht mehr in Bewegung ist, wenn es nach und nach davon stille geworden ist. Daher die Verblutung, im eigentlichen Verstande. S. Ver 1. (a) (b) (c)


Verborgen (W3) [Adelung]


Verborgen, verb. reg. act. an einen andern borgen, im gemeinen Leben auch ausborgen, ( S. Ver 1.) Sein Geld verborgen. Getreide verborgen. Ich habe es verborgt. Ingleichen auf Borg, d. i. auf Credit verkaufen. Waaren verborgen. Daher die Verborgung und das Verborgen.


Verborgen (W3) [Adelung]


Verborgen, das Mittelwort des Zeitwortes verbergen, ( S. dasselbe.) Von diesem Mittelworte hat man das Abstractum.


Verborgenheit (W3) [Adelung]


Die Verborgenheit, plur. car. der Zustand, da ein Ding verborgen, dem Gesichte, der Kenntniß und Wissenschaft eines andern entzogen ist. In der Verborgenheit leben, in einem Zustande, da man wenigen bekannt wird. Die Verborgenheit eines Ortes.


Verbösern (W3) [Adelung]


* Verbösern, verb. reg. act. böser machen, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort, wofür daselbst verschlimmern üblich ist. Wer sagt mir, ob wir selbst so grundverbös'te Zeiten Verbösern, oder ob die Zeiten uns verleiten? Logau. Das in eben dieser Stelle befindliche verbösen, von dem Primitivo Böse ist noch ungewöhnlicher. S. Ver 2.


Verboßen (W3) [Adelung]


Verboßen, verb. reg. act. et recipr. welches nur in den gemeinen Sprecharten für das anständigere erboßen üblich ist, in Bosheit, d. i. hohen Grad des Zornes, versetzen. Verboßt seyn. Sich verboßen.


Verboth (W3) [Adelung]


Das Verboth, des -es, plur. die -e, von dem Zeitworte verbiethen, der Befehl eines Höhern oder Vorgesetzten, wodurch die Unterlassung einer Handlung gebothen wird, Gegensatze des Gebothes. Die Macht, Geboth und Verboth zu erlassen, zu gebiethen und zu verbiethen. Ein Verboth erlassen, ehedem thun. Jemandes Verboth nicht achten. Dieses Verboth trifft uns nicht, gehet uns nicht an. Ein Verboth aufheben. Eine Handlung mit einem Verbothe belegen.


Verbothen (W3) [Adelung]


Verbothen, S. Verbiethen.


Verbothschaften (W3) [Adelung]


* Verbothschaften, verb. reg. act. durch Bothschaft bekannt machen, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort für verkündigen. Willkommen, großes Kind, gesehn an allen Enden, Verbothschaft in der Luft, Opitz. S. Ver 2.


Verbrämen (W3) [Adelung]


Verbrämen, verb. reg. act. mit einer Bräme, d. i. einem Rande von Pelzwerk versehen. Eine Mütze mit Hermelin, ein Kleid mit Zobel verbrämen. Ingleichen zuweilen in weiterm Verstande, mit einem zierlichen Saume oder Rande versehen, von Kleidungsstücken. Ein Kleid, mit Treffen verbrämt. Ehedem pflegte man die Überzüge der Betten mit einem Strichgenähe zu verbrämen. Die Kupferstecher verbrämen eine Kupferplatte, wenn sie ihr einen Rand von Wachs geben, damit das Scheidewasser nicht abfließe. Ingleichen figürlich, mit unnöthigen überflüßigen Zierrathen versehen. Mit aller hermenevtischen Denkungsgabe verbrämt, Herd. Daher das Verbrämen und die Verbrämung.


Verbrand (W3) [Adelung]


Der Verbrand, des -es, plur. car. ein nicht allgemein übliches Wort, dasjenige, was man als ein Nahrungsmittel des Feuers gebraucht und verbraucht, als Holz, Kohlen, Topf, wofür in manchen Fällen auch Feuerung üblich ist. In den Schmelzhütten beträgt der Verband des Jahres viel. S. Verbrennen II. 1.


Verbrauch (W3) [Adelung]


Der Verbrauch, des -es, plur. car. der Zustand, da man etwas verbraucht, oder da eine Waare, die Materialien verbraucht werden; ein bequemes Wort, das ausländische Consumtion, wenigstens in einzelnen Fällen mit dem Beysatze der Sache, auszudrucken, ob es gleich noch nicht sehr gangbar ist.


Verbrauchen (W3) [Adelung]


Verbrauchen, verb. reg. act. 1. Als Materialien zu einer Arbeit gebrauchen und verwenden. Der Zimmermann verbraucht Holz, der Schuster Leder; wofür doch verarbeiten u. s. f. üblicher sind. Daher der Verbrauch. 2. In engerer Bedeutung, durch den Gebrauch alle machen, der Menge, dem Vorrathe nach erschöpfen. Der Tischler hat alles Holz, der Maurer allen Kalk, der Schuster alles Leder verbraucht. Meine Geduld war gar bald verbraucht, besser erschöpft. Daher das Verbrauchen. Notker gebraucht dieses Wort auch in der jetzt ungewöhnlichen Bedeutung, durch den Gebrauch abnutzen, mine ougen sint verbruchet.


Verbrauen (W3) [Adelung]


Verbrauen, verb. reg. act. 1. Als Materialien zum Brauen gebrauchen. Der Brauer verbrauet allerley Malz. 2. In engerer Bedeutung, durch Brauen alle machen, dem Vorrathe nach erschöpfen. Der Brauer hat alles Malz, alles Wasser verbrauet. Daher das Verbrauen.


Verbrausen (W3) [Adelung]


Verbrausen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, bis zur Erschöpfung oder Beruhigung der brausenden Kräfte brausen, folglich aufhören zu brausen, im gemeinen Leben auch ausbrausen. Der Sturm hat verbrauset. Laß den geschwollnen Strom vorjetzt (für jetzt) verbrausen! Schleg. Der Wein, das Bier verbrausen, wenn sie aufhören zu gähren. Figürlich sagt man, ein Mensch habe verbrauset, wenn seine ungestümen Leidenschaften und Begierden durch reifere Jahre geschwächt werden. So auch das Verbrausen. S. Ver 1. (a).


Verbrecher (W3) [Adelung]


Der Verbrecher, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verbrecherinn, eine Person, welche ein Verbrechen begangen, muthwillig wider ein mit schwerer Strafe verbundenes Gesetz gesündigt hat.


Verbrecherisch (W3) [Adelung]


Verbrecherisch, -er, -te, adj. et adv. einem Verbrechen gleich und ähnlich, darin gegründet, von Sachen; ingleichen eines oder mehrerer Verbrechen schuldig, von Personen; beydes am häufigsten in der höhern Schreibart, obgleich dieses Beywort, so wie mehrere auf "-isch", das feinere Gehör beleidigt. Eine verbrecherische That, ein Verbrechen. Ein verbrecherisches Geschlecht, lasterhaftes, boshaftes.


Verbreiten (W3) [Adelung]


Verbreiten, verb. reg. act. et recipr. welches in der edlern Schreib- und Sprechart für das niedrigere ausbreiten üblich ist, besonders in dessen weiterer und figürlicher Bedeutung. Dort, wo waldichte (waldige) Höhe den blauen Rücken verbreitet, Zach. Was für Glückseligkeiten verbreitet nicht ein tugendhaftes Herz um sich her! Weiße. Eine Freundschaft, die sich über das Grab hinaus verbreitet, Gell. Ein Gram, der eigensinnig ist, verbreitet sich nicht so natürlich über fremde Gegenstände, Hermes. Ein stiller Gram war auf ihrem Gesichte verbreitet. So auch ein Gerücht verbreiten, ausbreiten, unter die Leute bringen. Daher die Verbreitung. Im Nieders. verspreden, von spreden; spreiten, dem Intensivo von breiten.


Verbrennen (W3) [Adelung]


Verbrennen, verb. irreg. et reg. ( S. Brennen), welches in doppelter Gestalt üblich ist. I. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, von dem Feuer verzehret werden. Steine verbrennen nicht. Talglichter verbrennen schneller als Wachslichter. Erlenholz verbrennt sehr geschwinde. II. Als ein Activum. 1. Als ein Nahrungsmittel des Feuers gebrauchen, wofür doch das einfache brennen üblicher ist. In Holland verbrennt man den Torf in den Kaminen, besser brennt. ( S. Ver 1 (a) und Verbrand.) 2. Durch Brennen, als ein Nahrungsmittel des Feuers, verbrauchen, dem Vorrathe nach erschöpfen. Jährlich viel Holz verbrennen. Man verbrennt immer viel Öhl in den Lampen. ( S. Ver 1 (a)). 3. Durch Feuer zerstören, bis zur Erschöpfung aller brennbaren Theile brennen. (1) Eigentlich. Etwas zu Asche verbrennen. Einen Brief verbrennen. Einen Missethäter lebendig verbrennen. In der Feuersbrunst ist viel Vieh mit verbrannt. (2) In weiterem Verstande mit Feuer, durch übermäßige Hitze verletzen. Sich die Hand, den Mund, den Finger verbrennen. Figürlich sagt man im gemeinen Leben, sich den Mund, das Maul verbrennen, durch Unbesonnenheit im Reden einen andern beleidigen. Sich die Finger verbrennen, sich durch eine unbesonnene Handlung Schaden zufügen. Ein verbranntes Kind (eigentlich, ein Kind, welches sich verbrannt hat,) fürchtet das Feuer. In noch weiterm Verstande gebraucht man dieses Zeitwort in allen Fällen, wo eine Sache durch allzu viele Hitze ihre gehörige Gestalt, Beschaffenheit oder Güte verlieret. Von der Sonne verbrannt seyn, schwärzlich geworden seyn. Die Sonne verbrennt das Gras, das Getreide, wenn sie es ausdörret. Die Auen in der Wüste verbrennen, Joel, 1, 19. Der Färber verbrennt einen Zeug in der Farbe, der Bäcker das Brot u. s. f. In noch weiterm Verstande auch von andern scharfen Dingen, besonders, wenn die Körper dadurch verbrannten, in der Farbe ähnlich werden. Der kalte Wind, der Frost hat das Getreide verbrannt. Das Scheidewasser verbrennet das Tuch. Daher das Verbrennen, und im thätigen Verstande zuweilen auch die Verbrennung. Anm. Schon bey dem Ottfried, Notker und im Tatian firbrennen, ferbrennen, furbrennen. Im Hochdeutschen werden, so wohl das Neutrum als das Activum, durchgängig irregulär abgewandelt, dagegen man in einigen Oberdeutschen Gegenden das Activum richtiger regulär behandelt. Die Summe der Verbrennten, 1 Maccab. 10, 85.


Verbrennlich (W3) [Adelung]


Verbrennlich, -er, -ste, adj. et adv. was sich verbrennen, durch Feuer zerstören lässet, im Gegensatze des unverbrennlich. Das Holz ist verbrennlich.


Verbriefen (W3) [Adelung]


Verbriefen, verb. reg. act. 1. Mit einem oder mehrern Briefen, d. i. Urkunden, versehen; damit bestätigen, ein großen Theils veraltetes, nur noch hin und wieder gangbares Wort. Die Mit- gift ist verbriefet, es ist darüber eine förmliche Urkunde vorhanden. Verbriefte Schulden, worüber man Briefe und Siegel hat, im Gegensatze der unverbrieften. Sich für jemanden verbriefen, schriftlich verbürgen. Dennoch wird man Äcker um Geld kaufen und verbriefen, Jer. 51, 44. 2. In einem andern Verstande war in den Deutschen Rechten der mittlern Zeiten verbrieft, so viel als anrüchtig, und verbriefen, für anrüchtig erklären, von Brief, so fern es auch den Prozeß und die Verurtheilung eines flüchtigen Verbrechers bedeutete. S. Klotzsch vom Verzellen S. 110. Es ist von Brief und ver, S. Ver 2.


Verbringen (W3) [Adelung]


Verbringen, verb. irreg. act. ( S. Bringen.) 1. Durchbringen, verschwenden; ein nur noch hin und wieder im gemeinen Leben übliches Wort. Sein ganzes Vermögen verbringen. Siehe Ver 1 (a). 2. Zu Stande bringen, vollbringen, auch nur noch selten. Mit aller Mühe nichts verbringen. Den Schein, den mancher von sich giebet, Verbringet keine Ritterthat, Opitz. S. Ver 5. So auch die Verbringung.


Verbröseln (W3) [Adelung]


Verbröseln, verb. reg. act. in Brosame verwandeln und dadurch unbrauchbar machen, oder vernichten. Das Brot verbröseln.


Verbrüdern (W3) [Adelung]


Verbrüdern, verb. reg. act. zum Bruder eines andern Dinges machen, wie verschwägern, verschwistern. Es ist als ein Reciprocum am üblichsten, und auch hier nur im figürlichen Verstande von einer Art genauer, gleichsam brüderlicher Verbindung. Siehe Erbverbrüderung. Durch diese Kunst verbrüdern sich die Herzen, Haged. Wir, die der Weisheit nach, mit ihm verbrüdert hießen, Günth. So auch die Verbrüderung. S. Ver 2.


Verbrühen (W3) [Adelung]


Verbrühen, verb. reg. act. durch übermäßiges Brühen mit heißem Wasser verderben, ingleichen mit heißem Wasser verletzen. Ein Huhn verbrühen, es zu sehr brühen. Sich die Füße verbrühen, mit heißem Wasser verletzen. Figürlich sagt man, die Bienen werden verbrühet, wenn sie verfahren werden, und die große Hitze ihnen unterweges tödtlich wird. Daher das Verbrühen. S. Ver 1. (e).


Verbrunften (W3) [Adelung]


Verbrunften, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, aufhören zu brunften, in der Jägerey, wofür auch abbrunften üblich ist. Der Hirsch hat verbrunftet. Daher das Verbrunften. S. Ver 1. (a) (b).


Verbuben (W3) [Adelung]


Verbuben, verb. reg. act. welches nur in den gemeinen und harten Sprecharten gebraucht wird, durch Buben, d. i. niedrige Unzucht, verlieren und durchbringen. Seine Ehre, sein Vermögen verbuben. So auch das Verbuben.


Verbügen (W3) [Adelung]


Verbügen, verb. reg. act. 1. Sich verbügen, sich den Bug verrenken. Ein Pferd verbügt sich, wenn es hart gegen ein anderes oder gegen eine Wand läuft. 2. Bey den Fleischern wird ein Schwein verbüget, wenn es nahe über dem Buge abgestochen, und dadurch das Fleisch verletzet wird, eine fehlerhafte Art des Abstechens, wo es auch erbügen, und nach einer fehlerhaften Aussprache erbiegen lautet. Es stammet in beyden Fällen von Bug ab, und muß daher mit verbiegen nicht verwechselt werden.


Verbuhlt (W3) [Adelung]


Verbuhlt, -er, -este, adj. et adv. eigentlich das Mittelwort von dem in diesem Verstande ungewöhnlichen Zeitworte verbuhlen, der Buhlerey ergeben, verliebt. Verbuhlt seyn. Ein verbuhltes Frauenzimmer. Daher das Hauptwort die Verbuhltheit. ( S. Ver 5.) In einem andern Verstande wäre verbuhlen, durch Buhlen verlieren. Seine Ehre, sein Vermögen verbuhlen.


Verbum (W3) [Adelung]


Das Verbum, des -bi, plur. die -ba, S. Zeitwort.


Verbünden (W3) [Adelung]


Verbünden, verb. reg. act. vermittelst eines Bundes oder Bündnisses vereinigen, ein nur noch im Oberdeutschen gangbares, und unmittelbar von Bund abgeleitetes Wort, wofür im Hochdeutschen das allgemeinere verbinden üblich ist. Die verbündeten Städte, die verbundenen.


Verbündniß (W3) [Adelung]


Das Verbündniß, des -es, plur. die -e, auch nur noch im Oberdeutschen, wofür im Hochdeutschen entweder Bündniß oder auch das allgemeinere Verbindung üblich ist. In der Deutschen Bibel wird es mehrmahls für ein Gelübd gebraucht, wodurch man sich zu etwas verbindlich macht, welche Bedeutung im Hochdeutschen noch mehr veraltet ist. Und ihr Gelübd und Verbündniß, daß sie thut über ihre Seele, 4 Mos. 30. 5. 6. 7. 8. 9. 15. In welchem Falle es billig Verbindniß geschrieben werden sollte, von sich verbinden.


Verbürgen (W3) [Adelung]


Verbürgen, verb. reg. act. et neutr. Bürge für etwas werden. Am häufigsten als ein Reciprocum. Sich für jemanden verbürgen. Da sich Timotheus verbürget hatte, 2 Maccab. 12, 25. Seltener als ein Activum. Das will ich verbürgen, verantworten, dafür stehen. Eine Geschichte, deren Wahrheit ich verbürgen kann. Daher die Verbürgung.


Verbüßen (W3) [Adelung]


Verbüßen, verb. reg. act. durch Buße, d. i. Geld- oder Leibesstrafe tilgen, Strafe für etwas geben oder leiden, ein noch hin und wieder in den Gegenden übliches Wort. Ein Vergehen mit zehn Thalern, durch Gefängniß, durch Arbeit verbüßen. So auch die Verbüßung.


Verbutten (W3) [Adelung]


Verbutten, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert, aber nur in den gemeinen Sprecharten üblich ist, butt, d. i. klein und unansehnlich werden und bleiben. Bäume, Gewächse, Thiere, Kinder verbutten, wenn sie nicht gehörig wachsen. Ein verbuttetes Kind. Das Niederdeutsche butt bedeutet so wohl stumpf und plump, als auch kurz und dick. S. Ver 2.


Verch (W3) [Adelung]


Verch, Blut, Verchwunde, S. 2 Ferch.


Verclausulieren (W3) [Adelung]


Verclausulieren, verb. reg. act. mit Clauseln, Einschränkungen und Bestimmungen versehen, im gemeinen Leben. Einen Kauf-Contract verclausulieren. S. Ver 2.


Verdacht (W3) [Adelung]


Der Verdacht, des -es, plur. welcher doch selten gebraucht wird, die -e, wahrscheinliche Meinung oder muthmaßliches Urtheil, von der von einem andern begangenen nachtheiligen oder unerlaubten Handlung; ein Wort, welches in manchen Fällen auf eine eigene und seltene Art verbunden wird. Einen Verdacht haben oder hegen. Einen Verdacht auf jemanden haben, oder jemanden in Verdacht haben, muthmaßen, daß er der Urheber einer gewissen üblen Handlung sey; ihn in Verdacht ziehen. Einen Verdacht schöpfen. Bey jemanden im Verdachte stehen, daß man es gethan habe. Jemanden seinen Verdacht benehmen. Es stieg mir ein kleiner Verdacht auf. Ich will doch nicht hoffen, daß sie mein Herz mit diesem Herren in Verdacht haben? Gell. Ich bitte sie, lassen sie diesen Mann aus dem Verdachte, eben ders. haben sie ihn nicht im Verdacht. Es entstehet ein Verdacht, daß u. s. f. Verdacht machen, erwecken, verursachen, Anlaß dazu geben. Es könnte leicht Verdacht erwecken. Das machte, gab, erweckte, erregte mir Verdacht. In Verdacht kommen, gerathen. Wegen eines Verbrechens in Verdacht, (im Verdachte) seyn. Er ist in dem Verdachte der Untreue. Jemanden in Verdacht bringen, setzen. Den Verdacht fahren lassen. Einen Verdacht von sich ablehnen. Jemanden außer Verdacht setzen.

Anm. Dieses Hauptwort, welches bey unsern alten Oberdeutschen Schriftstellern nicht vorkommt, stammt von dem Zeitworte verdenken, und zwar von dessen Mittelworte verdacht ab, ( S. Verdenken.) Dem heutigen Gebrauche nach gründet sich der Verdacht auf wahrscheinliche Umstände, Argwohn aber bedeutet bloß eine üble Meinung, ohne zu bestimmen, ob sie muthmaßliche Gründe für sich hat. Indessen werden sie im gemeinen Leben häufig für einander gebraucht.


Verdächtig (W3) [Adelung]


Verdächtig, -er, -ste, adj. et adv. im Verdacht seyend, Anlaß zum Verdachte gebend, wo es in noch weiterer Bedeutung, als das vorige Hauptwort, gebraucht wird, und in allen Fällen Statt findet, wo man muthmaßliche oder wahrscheinliche Gründe zu einer üblen Meinung von einer Person oder Sache hat. Der Mensch ist mir verdächtig, die Waare siehet sehr verdächtig aus. Zur verdächtigen Zeit zu jemanden kommen. Einen verdächtigen Umgang mit jemanden haben. Jemanden verdächtig machen. Sich durch etwas verdächtig machen. Verdächtiger Weise. Daher die Verdächtigkeit, die Eigenschaft, da eine Person oder Sache verdächtig ist. Subjective, Verdacht habend, ist es nicht gebräuchlich.


Verdämmen (W3) [Adelung]


Verdämmen, verb. reg. act. 1. Mit einem Damme verschließen, versperren; zudämmen. Einen Weg, den Ausfluß eines Baches verdämmen. 2. Durch Dämmen, d. i. Stampfen und Stoßen, versperren oder einschließen, eine nahe verwandte Bedeutung, in welcher es in der Geschützkunst üblich ist, wo die Kammer in dem groben Geschütze, die Kugel in dem Geschütze verdämmet werden. So auch die Verdämmung.


Verdammen (W3) [Adelung]


Verdammen, verb. reg. act. für straffällig, für einen Übertreter eines Strafgesetzes erklären. 1. Eigentlich. (1) Im gerichtlichen Verstande. Jemanden zum Tode verdammen. Ihn wegen eines Verbrechens zu einer Geldstrafe verdammen. Dein Mund wird dich verdammen, Hiob 15, 6. Welchen die Götter (die Obrigkeit) verdammen, 2 Mos. 22, 9. Es wird in diesem Verstande nur noch theils im gemeinen Leben, theils aber, und noch häufiger, in der höhern Schreibart gebraucht. Zur Sclaverey verdammt, Gell. In andern Fällen, selbst in der edlern Schreibart, ist dafür verurtheilen üblicher. (2) In der Theologie sagt man, Gott verdamme den Menschen, wenn er ihn der auf die Übertretung seines Gesetzes gesetzten Strafe schuldig erkennet, im Gegensatze des rechtfertigen; besonders in engerm Verstande, ihn der ewigen Strafe schuldig erkennen und derselben wirklich übergeben. Wer nicht glaubt, der wird verdammt, Macc. 16, 16. Die Verdammten in der Hölle. 2. In weiterem und theils figürlichem Verstande. (1) Im gemeinen Leben wird es, so wie richten, häufig für straffällig, strafbar erklären, gebraucht. Seinen Nächsten verdammen. Dieses Mittel kann ich nicht verdammen, nicht für gesetzwidrig erklären, oft auch in noch weiterm Verstande nicht für nachtheilig erklären, es nicht verwerfen. (2) Sich zu etwas verdammen, es als ein Übel freywillig übernehmen, auch in der edlern Schreibart. Wie viel Anmuth des Lebens rauben sich diejenigen, die sich aus Eigensinn zu einem ehelosen Stande verdammen! Gell. (3) Das Mittelwort verdammt wird im gemeinen Leben häufig für im hohen Grade lasterhaft und abscheulich gebraucht. Der verdammte Geitz! ein verdammter Bösewicht! Ingleichen in noch weiterm Verstande, in einem hohen Grade, besonders von Übeln. Seine Seele muß verdammt hartnäckig seyn. Da es denn oft auch als ein nichtsbedeutendes Ausrufungswort der mit Unwillen verbundenen Bewunderung, des Entsetzens, des Erstaunens gebraucht wird. Verdammt! ich glaube gar, sie meinen mich. Verdammt? das hätte ich dazumahl wissen sollen!

Anm. Schon bey dem Ottfried firdamnen, welches das vermittelst der Endsylbe nen gebildete intensive Zeitwort von dem einfachern ferdamon, fortuomon u. s. f. ist, welches in dieser Gestalt noch bey dem Notker und in der Übersetzung des Tatians vorkommt; Holländ. verdoemen, Schwed. fördöma. Im Tatian wird es für richten überhaupt gebraucht; ni curet tuomon, thaz ir ni sit fortuomot! richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet? In andern Sprachen ist es ohne Vorsylbe üblich, wie das Engl. to damm. Man würde sich sehr irren, wenn man glauben wollte, die Deutschen hätten das einfache dammen aus dem Lat. damnare und condemnare angenommen. Dom, Dum, domen u. s. f. sind sehr alte Stammwörter, welche in allen Europäischen und nordasiatischen Sprachen eingetroffen werden, und Herrschaft, Gewalt, herrschen, und in engerer Bedeutung Gericht, und richten, Recht sprechen, bedeuten. Schon bey dem Ulphilas ist domjan, richten. Bey unsern alten Oberdeutschen Schriftstellern kommt Doam, Duom, Tuom, Nieders. Döm. Schwed. Dom, häufig für Gericht, und duomen, tuomen, Schwed. döma, im Isländ. daema, im Angels. deman, für richten vor, womit das Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - und in der weitern Bedeutung der Gewalt auch die Lat. domare, Dominus verwandt sind. In verschiedenen nordischen Sprachen ist Domer noch ein Richter. ( S. auch -Thum.) Übrigens sind auch diese Bedeutungen nur Figuren einer ältern mehr in die äußern Sinne fallenden, wozu ohne Zweifel auch Damm, Dämmen 1 und 2, dämpfen und andere mehr gehören. Das Franz. condamner bedeutet so wohl verurtheilen, als auch verdämmen. In einem andern Verstande der Vorsylbe ist fordeman im Angels. falsch urtheilen, ein irriges Urtheil fällen.


Verdammlich (W3) [Adelung]


Verdammlich, -er, -ste, adj. et adv. so beschaffen, daß es verdammet, d. i. für eine Übertretung eines Strafgesetzes erkläret werden muß; doch nur noch in der biblischen Schreibart. Es ist nichts verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, Röm. 8, 1. So auch die Verdammlichkeit.


Verdammniß (W3) [Adelung]


Die Verdammniß, plur. car. der Zustand, da jemand verdammt, d. i. für einen Übertreter eines Strafgesetzes erkläret, und der verdienten Strafe übergeben wird; ein nur in der theologischen Schreibart von der Bestrafung nach diesem Leben übliches Wort. Die ewige Verdammniß. Der Weg, der zur Verdammniß führet, Matth. 7, 13. Darum werdet ihr desto mehr Verdammniß empfahen, Kap. 23, 14. Sie sind in gleicher Verdammniß, sagt man wohl noch im gemeinen Leben, d. i. sie haben einerley Strafe verdient. Da die mit -niß zusammen gesetzten Wörter bald weiblichen, bald auch ungewissen Geschlechtes sind, so wird auch dieses in einigen Gegenden in dem letztern gebraucht, welches auch einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt. Das Verdammniß und der Tod sprechen, Hiob 28, 22. Welcher Ende das Verdammniß, Phil. 3, 19. Indessen ist im Hochdeutschen das weibliche am üblichsten. S. -Niß.


Verdammung (W3) [Adelung]


Die Verdammung, plur. inus. die Handlung des Verdammens; am häufigsten noch in der theologischen Bedeutung. Daher das Verdammungsurtheil, auch im gerichtlichen Verstande, das Urtheil, worin und wodurch jemand verdammt, d. i. für straffällig erkläret wird. Schon bey dem Notker Ferdamnunga.


Verdampfen (W3) [Adelung]


Verdampfen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, durch Dampfen verfliegen, wie ausdampfen. Alle Feuchtigkeit verdampfen lassen.


Verdämpfen (W3) [Adelung]


Verdämpfen, verb. reg. act. 1. Als das Activum des vorigen, welches doch seltener gebraucht wird. 2. In einem andern Verstande des Zeitwortes sagt man, die jungen Fichten verdämpfen das Laubholz, wenn sie selbiges ersticken. In einigen Mundarten verdaumen, welches sich dem Stammworte nähert, und wovon verdämpfen das Intensivum ist. So auch die Verdämpfung.


Verdanken (W3) [Adelung]


Verdanken, verb. reg. act. wegen einer Sache danken, wegen derselben zum Danke verpflichtet seyn mit der vierten Endung dieser Sache und der dritten der Person. Ich habe diesen Vortheil bloß dir zu verdanken. Verdanken sie es der Tugend, daß sie uns durch Liebe und Freundschaft das Leben zur Lust macht, Gell. Verdankt sey ihnen die edle Thräne. Hauptwörter sind von diesem Zeitworte nicht gangbar.

Anm. Wer hat hier allem Ansehen nach eine bloß intensive Bedeutung, indem das einfache danken schon eben dieselbe Art gebraucht wird, ( S. Ver 5.) Daher dieses Zeitwort so unnöthig und verwerflich nicht ist, als Frisch ehedem glaubte. Die Dänen sagen dafür fuldrakke, mit einer andern intensiven Vorsylbe. In einem andern Verstande war der Verdank ehedem die Überlegung, der Aufschub, wo es aber unmittelbar von denken abstammet.


Verdauen (W3) [Adelung]


Verdauen, verb. reg. act. durch die Dauung auflösen, d. i. die dem Magen anvertrauten Speisen so auflösen, daß der Nahrungssaft daraus abgeschieden werden kann. Der Magen verdauet die Speise. Eine Speise, welche leicht, schwer zu verdauen ist. Ingleichen von der Person. Diese Speise kann ich nicht verdauen. Ein Kranker verdauet schlecht. Figürlich sagt man: eine Beschimpfung, einen Verweis u. s. f. nicht verdauen können, nicht verschmerzen, vertragen können. Dieses Vorgeben ist schwer zu verdauen, schwer zu begreifen. Daher die Verdauung, doch nur in der eigentlichen Bedeutung, die Verdauungskraft, die Verdauungswerkzeuge, Verdauungsmittel u. s. f. Der Verdauungssaft, der Magensaft, welcher die Speisen im Magen verdauen hilft; der aber mit dem Chilus oder Nahrungssaft, welcher nachmahls aus den verdauten Speisen abgeschieden wird, nicht verwechselt werden muß, wie wohl von einigen geschiehet.

Anm. Schon bey dem Kero fardeuuen, bey dem Notker ferdeuuen, im Nieders. gleichfalls verdauen, S. Dauen.


Verdaulich (W3) [Adelung]


Verdaulich, -er, -ste, adj. et adv. was sich verdauen, ingleichen, was sich leicht verdauen lässet, im Gegensatze des unverdaulich. Verdauliche Speisen. Daher die Verdaulichkeit.


Verdaumen (W3) [Adelung]


Verdaumen, verb. reg. act. im Forstwesen, S. Verdämpfen.


Verdeck (W3) [Adelung]


Das Verdeck, des -es, plur. die -e, ein Ding, welches ein anderes deckt oder verdeckt, ein nur noch in dem Schiffsbaue übliches Wort, wo der Boden eines Schiffes, der dasselbe horizontal in zwey Räume abtheilet, das Verdeck, im Niederdeutschen nur das Deck, genannt wird. In weiterm Verstande bezeichnet es bey den Schiffen das, was man an Gebäuden auf dem festen Lande einen Stock oder ein Stockwerk zu nennen pflegt. Große Kriegesschiffe haben drey, Gallionen wohl fünf bis sechs Verdecke. Im mittlern Lat. Coperta. ( S. Halbverdeck, Oberverdeck, Hinterverdeck, Bodenverdeck.) Das oberste Verdeck eines Schiffes wird auch der Überlauf genannt.


Verdecken (W3) [Adelung]


Verdecken, verb. reg. act. vermittelst einer Decke, durch Zudecken, dem Gesichte, der Kenntniß anderer entziehen. Ein verdecktes Essen, auch figürlich Verstellung, Nachstellung, verborgene Ränke. Denn sie hatte ihr Angesicht verdeckt, 1 Mos. 38, 15. Da fingen etliche an ihn zu verspeyen, und zu verdecken sein Angesicht, Marc. 14, 65. Rahab verdeckte die Kundschafter unter die Flachsstengel, Joh. 2, 6; in welcher Bedeutung für verbergen, verstecken, welche auch Hiob 14, 13 vorkommt, ach daß du mich in der Hölle verdecktest und verbürgest! es doch veraltet ist. Ach Erde, verdecke mein Blut nicht, Kap. 16, 18. Er, dem kein Jammer verdeckt ist, verborgen; welche figürliche Bedeutung doch außer der höhern Schreibart nicht mehr gebraucht wird, wohin auch die verdeckten Worte, Ezech. 20, 49, und das verdeckte Evangelium, 2 Cor. 4, 3 gehören. So auch die Verdeckung.

Anm. Das einfachere verdagen, wovon verdecken das Intensivum ist, kommt für verbergen noch bey dem Stryker vor. (Siehe Dach.) Bedecken heißt nur mit einer Decke belegen, zudecken, überall bedecken, verdecken aber, vermittelst einer Decke dem Gesichte entziehen. S. Ver 4.


Verdenken (W3) [Adelung]


Verdenken, verb. irreg. act. ( S. Denken,) welches ehedem in verschiedenen Bedeutungen üblich war. 1. * Mit seinen Gedanken in der Irre herum schweifen, als ein Neutrum; eine längst veraltete Bedeutung. So geschiehet uns danne uuir uuellen betondo an Got tenchen, daz uuir an ander unsih ferdenchen, Notker. Ver hat hier die Bedeutung des Irrthums, ( S. Ver 4. (g)). 2. * Bedenken, überlegen, Schwed. förtänka, eine gleichfalls veraltete Bedeutung, wo ver eine intensive Bedeutung gehabt zu haben scheinet. 3. * Ernstlich, stets an etwas gedenken; in welchem Verstande man in dem Mittelworte ehedem sagte auf oder an etwas verdacht seyn, S. Ver. 5. Wie tuon ich so das ich so herzekliche Bin an si verdaht, Heinr. von Morunge. Ich was so verre an si verdaht Das ich mich underwilent niht versan, Fried. von Hufen. Das ich uf sorge bin verdaht, Reinmar der Alte. Auch diese Bedeutung ist veraltet. 4. * Muthmaßliche Gedanken eines begangenen Übels von jemanden haben, mit der vierten Endung der Person. Auch diese Bedeutung ist nicht mehr gangbar, indem man jetzt dafür sagt, jemanden in Verdacht haben, welches Hauptwort selbst noch ein Überbleibsel dieser Bedeutung ist. Wenn jemand einer Missethat verdacht wirdt, Constit. Carol. 1532, Art. 28; wegen einer Missethat in Verdacht ist. Oder war darunder gewohnt oder verdacht were, in einer Öster. Urk. von 1440. Ver scheinet hier und in der folgenden Bedeutung eigentlich eine Verschlimmerung des Zustandes vermittelst des Zeitwortes zu bezeichnen, ( S. Ver 2. (h)) 5. Übel auslegen, eine mit der vorigen verwandte Bedeutung, welche die einzige noch gangbare ist, und in welcher es auf doppelte Art gebraucht wird. (1) Mir der dritten Endung der Person, und der vierten der Sache, welche Wortfügung im Hochdeutschen am gangbarsten ist. Wer will mir das verdenken? Wenn er es thut, so kann ich es ihm nicht verdenken. (2) Mit der vierten Endung der Person, welche Wortfügung in einigen Oberdeutschen Gegenden die herrschende ist. Wird mich demnach hoffentlich niemand verdenken, daß u. s. f. Opitz; wo statt des Accusativs der Sache auch wohl das Wörtchen darum gebraucht wird. Ich glaube nicht, daß er mich drum verdenket. Gesetzt, ich wüßt' es auch, Ich wollte sie darum noch lange nicht verdenken, Günth.


Verderb (W3) [Adelung]


Der Verderb, des -es, plur. car. von dem folgenden Zeitworte. 1. Eine Handlung, wodurch etwas verdorben, zu Grunde gerichtet wird; nur noch zuweilen in einigen Fällen, besonders in den Zusammensetzungen Zeitverderb, Holzverderb. Das ist ein wahrer Verderb der Zeit oder Zeitverderb. 2. * Das Verderben; eine in der edlern Sprechart veraltete Bedeutung. Dein Feind, Herr, dein Feind senket Sich in Verderb und Noth, Opitz Ps. 92. Verderb ist ihres Herzens Grund, eben ders. Nur im gemeinen Leben sagt man noch zuweilen: das ist eben der Verderb, das Übel.


Verderben (W3) [Adelung]


Verderben, verb. irreg. et reg. welches in der erstern Gestalt auf folgende Art abgewandelt wird: ich verderbe, du verdirbst, er verdirbt; Conj. ich verderbe, verderbest, verderbe. Imperf. ich verdarb; Conj. verdürbe. Mittelw. verdorben. Imper. verdirb. Es ist auf eine doppelte Art üblich. I. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert, wo die irreguläre Conjugation ohne Ausnahme üblich ist. 1. Unbrauchbar, untauglich werden, die zu seiner Bestimmung und Absicht nöthige Eigenschaft verlieren. Das Bier verdirbt, wenn es schal und sauer wird. Der Wein ist verdorben. Verdorbenes Obst. Alles verderben lassen. Das Fleisch ist verdorben, wenn es riechend geworden ist. Die Waare ist in der Nässe verdorben, wenn sie verstockt, verfault u. s. f. ist. Es wird in diesem eigentlichen Verstande am häufigsten von solchen Dingen gebraucht, welche durch eine innere Gährung oder ähnliche Veranlassung von innen, die zu ihrer Absicht nöthige Brauchbarkeit verlieren; das folgende Activum aber wird in einem weitern Umfange der Bedeutung gebraucht. Wenn man daher sagt, das Werkzeug ist schon verdorben, das Pferd ist bereits verdorben u. s. f. so scheinet es hier das Activum zu seyn, und ist verdorben für ist verdorben worden, zu stehen, weil man nicht sagt, das Werkzeug verdirbt, oder das Pferd verdarb, sondern wird und ward verdorben. Besondere, doch nur in der vertraulichen Sprechart übliche R. A. sind. An dir ist ein Lobredner verdorben, Less. d. i. du hättest dich zum Lobredner geschickt, wenn du deine Fähigkeiten ausgebildet hättest. So auch: an ihm ist ein Soldat, ein Poet, ein Advocat u. s. f. verdorben. Hingegen: ich bin zum Comödianten verdorben, Less. bedeutet, ich tauge nicht dazu. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) Im theologischen Verstande, in welchem doch das Mittelwort der vergangenen Zeit am gangbarsten ist, heißt die menschliche Natur verdorben, so fern sie durch die Sünde ihre ursprüngliche Vollkommenheit verloren hat, zu ihrer ursprünglichen Bestimmung unfähig geworden ist; in welchem Verstande es doch bey vielen regulär verderbt lautet, unser verderbtes Fleisch, der verderbte Wille, da es denn zu dem folgenden Activo gehören würde. Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voll Frevels, 1 Mos. 6, 11. (2) In Verfall der Nahrung gerathen, doch nur im gemeinen Leben; wo man sagt, ein Kaufmann sey verdorben, wenn er bankerott geworden ist. (3) Im höchsten Grade unglücklich werden, umkommen, zu Grunde gehen, eine in der Deutschen Bibel noch sehr gangbare Bedeutung, welche aber in der edlern Schreibart immer mehr zu veralten anfängt, obgleich das Hauptwort das Verderben noch in derselben üblich ist. Siehe, wir verderben und kommen um, 4 Mos. 17, 12. Es ist besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe, Joh. 11, 50. Vor Hunger verderben; Hiob 80, 3. Du hast dich meiner Seele herzlich angenommen, daß sie nicht verdürbe, Es. 38, 17. Wer sich gern in Gefahr begibt, der verdirbt darin, Sir. 3, 27. Wer sehr pranget, der verdirbt, Kap. 20, 10. II. Als ein Activum, wo es im Hochdeutschen gemeiniglich auch irregulär, im Oberdeutschen aber regulär abgewandelt wird. 1. Ein Ding zu seiner Absicht, zu seiner Bestimmung untauglich machen, aus dem gehörigen guten Zustande in einen schlimmen versetzen; wo es ein Wort von sehr weitem Umfange ist, welches alle besondere Arten unter sich begreift, daher auch in manchen einzelnen Fällen bestimmtere Ausdrücke üblicher sind. Ein ungeschickter Schneider verdirbt das Kleid, welches er verfertigen soll. Wenn jemand seinen Knecht in ein Auge schlägt, und verderbet es, 2 Mos. 21, 26. Die wilden Thiere haben deinen Weinstock verderbt, Ps. 80, 14. Ein Hümpler verdirbt ein Ding, Sprichw. 26, 10. Mehltau verdirbt die Frucht, Kap. 28, 3. Ein einiger Bube verdirbet viel Gutes, Pred. 9, 13. Ein Widerspenstiger verdirbt ein mildes Herz, Kap. 7, 8. Ein schlechter Reiter verdirbt ein gutes Pferd. Böse Exempel verderben gute Sitten. Seine Gesundheit durch Ausschweifungen verderben. Das verdirbt mir die ganze Sache. Jemanden das Spiel verderben. Jemanden seine Freude verderben. Kein Ekel verderbt ihm die immer neuen Freuden, die die Schönheiten der Natur in endloser Mannigfaltigkeit ihm anbiethen, Geßn. Dieß verdarb mir den ganzen Abend, brachte mich um den angenehmen Genuß desselben. Es mit niemanden verderben, seine Gunst verscherzen, ihn sich zum Feinde machen. Mit der Tugend werde ichs von freyen Stücken niemahls verderben, Herr Orgon bey Gell. Er hat es mit mir verdorben. Von einer Person, welche ein guter, ein angenehmer Gesellschafter ist, sagt man, sie verderbe keine Gesellschaft. Der Hochmüthige, der Mißmüthige verdirbt alle Gesellschaften. 2. Unglücklich machen, besonders im höchsten Grade unglücklich machen. Das ein ledic wib mich verderbet gar ane schulde. Es fängt in dieser Bedeutung an zu veralten, indessen kommt sie von zeitlichem Unglücke noch zuweilen von der Versetzung in das ewige Unglück, d. i. von der Verdammniß, in der theologischen Schreibart noch häufig vor. Netze stellen zu verderben, Ps. 35, 7. Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle, Matth. 10, 28. 3. Den völligen Untergang eines Dinges bewirken, zerstören, tödten, umbringen, gleichfalls als ein sehr allgemeines und unbestimmtes Wort, daher es in dieser Bedeutung noch mehr veraltet ist, als in der vorigen. Die Sündfluth soll alles Fleisch verderben, 1 Mos. 6, 17. Ehe der Herr Sodoma und Gomorra verderbte, Kap. 13, 10. Herr, Herr verderbe dein Volk nicht, 5 Mos. 9, 26. Pfeile zu verderben zurichten, Ps. 7, 14. Mit dem Schwert verderben, Jer. 8, 17. Plötzlich rede ich wieder ein Volk, daß ichs ausrotten, zerbrechen und verderben wolle, Jer. 18, 7. Daher die Verderbung, welches doch nur in einigen wenigen Fällen der ersten Bedeutung des Activi gebraucht wird.

Anm. 1. Im Oberdeutschen unterscheidet man das Activum von dem Neutro sehr genau, auch in der Conjugation und macht das erste regulär, das letztere aber irregulär. Wer nicht verderbet wird durch Liebe, der verdirbet, Opitz. Allein, im Hochdeutschen ist dieser Unterschied nicht angenommen worden, sondern man macht daselbst das Activum eben so irregulär, als das Neutrum, obgleich einzelne Schriftsteller den Unterschied zu beobachten gesucht haben. Das verderbt ihren Werth, Gell. In der Deutschen Bibel wird das Activum bald regulär, bald irregulär abgewandelt, wie schon ans den im vorigen angeführten Beyspielen erhellet, daher sich diejenigen irren, welche glauben, daß Luther den Unterschied allemahl auf das genaueste beobachtet habe. Indessen kann diese Ungleichheit auch von den Herausgebern und Correctoren herrühren. Zu wünschen wäre es freylich, daß man das Activum von dem Neutro in gleichlautenden Zeitwörtern, da, wo es das Alterthum hergebracht hat, auch in der Conjugation unterschiede, so wenig solches auch im Hochdeutschen geschiehet. S. auch Brennen. Anm. 2. Im Nieders. verdarfen und bedarfen, im Schwed. förderfva. Das Wort ist alt, ob es gleich in dieser Gestalt bey unsern ältesten Oberdeutschen Schriftstellern vor den Zeiten der Schwäbischen Dichter nicht vorkommt, als welche dafür fürwerden, verwerden, verneißen, Notker verniuzzen, ohne Zweifel als der Gegensatz von genesen gebrauchen. Wachter, Frisch, und andere leiten es von derb her, und legen der Partikel ver hier eine destruirende Bedeutung bey. Allein, da in den verwandten Sprachen auch das einfache derben in eben derselben Bedeutung vorkommt, wohin das Schwed. derfva, das Angels. derven, und selbst das von Hickes angeführte Alemannische derben gehören, welche insgesammt verderben bedeuten, so findet diese Ableitung hier wohl nicht Statt, und ver kann hier keine andere als intensive Bedeutung haben. Bey dem Ottfried und andern alten Schriftstellern kommt ein Zeitwort daron, schaden, verletzen, vor, welches das nächste Stammwort von diesem derben zu seyn scheinet, und mit der zweyten Hälfte des Lat. perdere vermuthlich ein und dasselbe Wort ist. Indessen ist es wahrscheinlich, daß das Activum verderben, perdere, von dem Neutro verderben, perire, auch in der Abstammung verschieden ist, und da läßt sich jenes, als einen Verwandten von dem schon gedachten daren, verletzen, dem Angels. teran, zerreißen, zerren, von stören in zerstören, ansehen, dieses aber zu darben, sterben und ihren Verwandten rechnen. Der Unterschied der Conjugation, welcher im Oberdeutschen, als der ältesten Mundart, schon alt ist, wie aus den Schwäbischen Dichtern erhellet, bestätiget diesen Unterschied in der Abstammung.


Verderben (W3) [Adelung]


Das Verderben, des -s, plur. inus. der Infinitiv des vorigen Zeitwortes, als ein Hauptwort gebraucht. 1. Von dem Activo verderben, diese Handlung zu bezeichnen; in welchem Verstande es doch nur zuweilen im gemeinen Leben gebraucht wird. Das Verderben ist eine schlechte Kunst. In einigen Fällen ist dafür Verderbung üblich. 2. Von dem Neutro verderben. (1) Der Zustand, da ein Ding verdirbt, oder verdorben ist, in allen Bedeutungen desselben. a) Der Zustand, da ein Ding zu seiner Bestimmung oder Absicht unbrauchbar, unfähig wird, aus einem guten Zustande in den entgegen gesetzten schlimmen geräth, wo es im eigentlichen Verstande nur zuweilen von leblosen Dingen gebraucht wird. Das Fleisch, die Früchte, den Wein, das Obst vor dem Verderben bewahren. Da das Wort hier sehr unbestimmt ist, so bedienet man sich in den meisten Fällen dafür lieber der bestimmtern Fäulniß, Verstockung u. s. f. Im moralischen Verstande, der Zustand, da man aus einem moralisch guten Zustande in den entgegen gesetzten schlimmern geräth oder gerathen ist, in welchem Verstande man in der theologischen Schreibart das Verderben des menschlichen Herzens, der menschlichen Natur kennet, wofür man doch, um der Zweydeutigkeit der folgenden Bedeutungen willen, lieber Verderbniß, noch mehr aber Verdorbenheit oder Verderbtheit gebraucht. Das natürliche Verderben, das Übergewicht der Sinnlichkeit über die obern Kräfte des Menschen. b) Der Zustand des höchsten Unglücks, so wohl im weltlichen als geistlichen Verstande, so fern dasselbe in der Zerstörung des Wohlstandes bestehet, Untergang, Tod, Verdammniß u. s. f. gleichfalls als ein sehr allgemeines und unbestimmtes Wort. In sein Verderben rennen. Der dein Leben vom Verderben erlöset, Ps. 103, 4. Sein Leben ins Verderben bringen, Sprichw. 6, 32. Jemanden in das Verderben stürzen. Nach dem Verderben ringen, Weish. 1, 12. Zu seinem Verderben in den Krieg gehen. (2) Ein Ding, welches das Verderben eines andern befördert, daran Schuld ist, in dieser letzten Bedeutung. Sünde ist der Leute verderben, Sprich. 14, 34. Das Spiel ist dein Verderben. Dieser Umgang wird einmahl dein Verderben seyn. Im gemeinen Leben auch der Verderb.

Anm. Der Plural ist völlig ungewöhnlich, obgleich Klopfstock ihn gewagt hat: alle deine Verderben zogst du Ewiger an.


Verderber (W3) [Adelung]


Der Verderber, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verderberinn, eine Person, welche verderbt, in allen Bedeutungen des Activi. Der Herr wird den Verderber (den Würgengel) nicht kommen lassen in eure Häuser, 2 Mos. 12, 23. Eines Verderbers Gesell, Sprichw. 28, 24. Für sich allein wird es nur in der höhern Schreibart gebraucht. In der Zusammensetzung aber sagt man auch im gemeinen Leben Spielverderber, Zeitverderber, Sprachverderber u. s. f.


Verderblich (W3) [Adelung]


Verderblich, -er, -ste, adj. et adv. 1. Von dem Neutro verderben, in dessen erster Bedeutung, dem Verderben unterworfen, was leicht verdirbt, in welcher Bedeutung es im Handel und Wandel häufig ist. Eine verderbliche Waare, welche bald oder leicht verdirbt, wie eingemachte Sachen, verschiedene flüssige Waaren u. s. f. 2. Von dem Activo, doch nur in dessen beyden letzten Bedeutungen, Verderben verursachend, die Zerrüttung, Zerstörung des physischen, bürgerlichen und moralischen Wohlstandes bewirkend, wo es oft für im hohen Grade schädlich überhaupt gebraucht wird. Verderbliche Secten, 2 Pet. 2, 1. Ein verderbliches Wesen, V. 12. Der verderbliche Krieg. Das verderbliche Spiel. Dieser Umgang wird dir verderblich seyn. Ohne die Herrschaft des Verstandes über den Willen arten die natürlichen Triebe in verderbliche Leidenschaften aus.


Verderblichkeit (W3) [Adelung]


Die Verderblichkeit, plur. car. 1. Die Eigenschaft eines Dinges, da es dem Verderben unterworfen ist, leicht verdirbt. 2. Die Eigenschaft eines Dinges, da es das Verderben anderer nach sich ziehet, ihren Wohlstand in aller Betrachtung zerrüttet und zerstöret.


Verderbniß (W3) [Adelung]


Das Verderbniß, des -sses, plur. inus. 1. Von dem Neutro verderben, in dessen erster Bedeutung, der Zustand, da ein Ding verdorben, aus einem anfänglich guten Zustande in den entgegen gesetzten schlimmern gerathen ist, wo es füglich für das vieldeutige Verderben gebraucht wird, so wohl im physischen als moralischen Verstande. Der Grad des Verderbnisses flüssiger Körper. Wenn nichts das Verderbniß der Menschen bewiese, so würde es der Stolz allein beweisen, Gell. ( S. auch Verderbtheit und Verdorbenheit.) 2. * Das Verderben in der zweyten neutralen Bedeutung; ein im Hochdeutschen veralteter Gebrauch. Hölle und Verderbniß werden nimmer voll, Sprichw. 27, 20. Hölle und Verderbniß ist für (vor) dem Herrn, Sprichw. 15, 11.

Anm. Sein Verderbnuss, für Untergang, kommt schon in einer Verordnung Kaiser Friedrichs von 1236 vor. Einige, selbst Hochdeutsche Schriftsteller gebrauchen es nach dem Muster der Oberdeutschen im weiblichen Geschlechte. Endlich stieg die Verderbniß des Menschen aufs höchste, Gottsch. Die Verderbniß der Sprache, eben ders. Die Verderbniß des Menschen, Less. Indessen ist doch im Hochdeutschen das ungewisse Geschlecht am gangbarsten. S. -Niß.


Verderbtheit (W3) [Adelung]


Die Verderbtheit, plur. car. das Abstractum von dem activen Mittelwort verderbt, der Zustand, da ein Ding durch ein anderes verderbt, d. i. aus einem bessern in einen schlimmern Zustand versetzt worden; wo es doch nur in moralischen Verstande üblich ist, denjenigen Zustand zu bezeichnen, da das Begehrungsvermögen eines vernünftigen Wesens aus dem ursprünglichen guten Zustande in den entgegen gesetzten schlimmern versetzet worden. Die Verderbtheit der menschlichen Natur. Verdorbenheit, welches in eben diesem Verstande üblich ist, ist zunächst von dem Mittelworte des intransitiven Zeitwortes, verdorben, gebildet. Für beyde gebraucht man auch so wohl Verderbniß, als Verderben.


Verdeutschen (W3) [Adelung]


Verdeutschen, verb. reg. act. in das Deutsche, in die Deutsche Sprache übersetzen. Golgatha, das ist verdeutschet Schedelstätte, Matth. 27, 33. Daher die Verdeutschung. Siehe Ver 2.


Verdichten (W3) [Adelung]


Verdichten, verb. reg. act. dicht oder dichter machen, ein im gemeinen Leben in verschiedenen einzelnen Fällen übliches Wort. So auch die Verdichtung. S. Ver 2.


Verdicken (W3) [Adelung]


Verdicken, verb. reg. act. dick oder dicker machen, auch von flüssigen Körpern. Ein Decoct, einen Safe verdicken, bis zu mehrerer Dicke abdampfen, abrauchen lassen. Die Luft verdicken, entweder mehr Luft in einen Raum zusammen pressen, oder auch flüssige Theile in dieselbe bringen. Daher die Verdickung. Ehedem war dafür auch nur das einfache dicken üblich, welches in diesem Verstande schon im Tatian vorkommt.


Verdielen (W3) [Adelung]


Verdielen, verb. reg. act. mit Dielen versehen, ausschlagen, belegen; auch nur dielen. Einen Fußboden verdielen, ihn dielen. Daher das Verdielen.


Verdienen (W3) [Adelung]


Verdienen, verb. reg. act. welches in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. 1. Dienste für etwas leisten, durch Dienste erwiedern. In diesem Verstande sagt man im Lehenrechte, ein Lehen verdienen, persönliche Dienste für ein empfangenes Lehen leisten, auf welche Art ehedem alle Lehen verdient werden mußten. In weiterm, aber doch ähnlichen Verstande sagt man noch im Niedersächs. etwas verdienen, etwas mit Dank erwiedern, durch Gegengefälligkeiten ersetzen. 2. In gewöhnlicherm Verstande ist verdienen, eigentlich durch seine Dienste, durch seine Arbeit erwerben. Viel Geld verdienen. Bey der Handlung ist jetzt nicht viel zu verdienen. Ein fauler Arbeiter verdient sein Tagelohn mit Sünden. Der verdiente Lohn. In noch weiterer Bedeutung verdient man etwas, wenn man durch seine Handlungen ein gegründetes Recht auf etwas bekommt, wo dieses Etwas so wohl ein Gut, als auch ein Übel seyn kann. Ehre, Lob, Ruhm, Dank verdienen: aber auch Strafe, Tadel, Schande verdienen. Er leidet die verdiente Strafe. Ich liebe ihn, wie er es verdient. So, wie du es verdienet hast, wirst du belohnet oder bestrafet werden. Einem jeglichen wird widerfahren, wie er es verdient hat, Sir. 16, 14. Unsere Missethaten haben es verdient, Jer. 14, 7. Unverdienter Weise leiden müssen. Das hast du mit deinen Sünden bey Gott verdient; außer welchem Falle diese Wortfügung mit bey wenig üblich ist. Die Person aber, auf welche sich die Handlung beziehet, und bey welcher man sich ein Recht auf etwas erwirbt, wird dagegen mit um ausgedruckt. Er hat es um mich verdient, es sey nun Dank, Lob oder Strafe, Tadel u. s. f. Verdiene ich das um dich, meine Julie! Weiße. Noch häufiger sagt man in engerm Verstande sich um jemanden verdient machen, sich durch seine Wohlthaten ein Recht auf dessen Dank, auf dessen Liebe erwerben. Sich um den Staat verdient machen. Das Mittelwort verdient wird auf doppelte Art gebraucht. 1. Objective, und im gewöhnlichen passiven Verstande, von demjenigen, worauf man sich durch seine Handlungen ein gegründetes Recht erwirbt. Der verdiente Lohn, die verdiente Strafe. 2. Subjective und im thätigen Verstande, von derjenigen Person, welche sich durch ihre Handlungen ein gewisses Recht erwirbt, wo es doch nur in engerm Verstande gebraucht wird, von einer Person, welche sich durch freywillige Dienste oder Wohlthaten ein Recht auf den Dank des andern erworben hat. Sich um jemanden verdient machen. Ingleichen in Gestalt eines Beywortes. Ein verdienter Mann, in noch engerm Verstande, welcher sich um die bürgerliche Gesellschaft, in welcher er lebt, verdient gemacht, auf ihren Dank ein Recht erworben hat. Man hat diesen Gebrauch getadelt; allein verdient hat in diesem Falle das Beyspiel so vieler hundert anderer passiver Mittelwörter vor sich, welche gleichfalls im subjectiven und thätigen Verstande gebraucht werden. Daher das Verdienen, welches doch nur selten gebraucht wird. Anm. Bey dem Ottfried irthionen, so daß er und ver hier ein Erreichen, ein Erwerben bezeichnen. Indessen gebrauchen er und seine Nachfolger bis in das 15te Jahrhundert noch häufig das einfache dienen und gedienen, statt dieses zusammen gesetzten Zeitwortes. We wes hat sich diu liebe an mir gerochen Oder wie han ich gedienet das? Rudolph von Rothenburg. Kero gebraucht dafür kearnen, und Kearnung für das folgende Verdienst, welche Wörter zu unserm ernten und dem alten arnen gehören, so fern dieses letztere eigentlich arbeiten bedeutete.


Verdienst (W3) [Adelung]


Der und das Verdienst, des -es, plur. die -e, von dem vorigen Zeitworte. 1. Dasjenige, was man verdienet oder erworben hat; ohne Plural. (1) Eigentlich, derjenige Lohn, welchen man sich durch seine Dienste und Arbeiten erworben, ingleichen, auf welchen man sich dadurch ein Recht erworben hat; eine im gemeinen Leben sehr häufige Bedeutung, wo es nicht allein von dem bereits erworbenen Lohne oder Gewinne seiner Arbeit sondern auch von dem künftigen möglichen gebraucht wird. Es ist in dieser Bedeutung fast durchgängig männlichen Geschlechtes. Der Verdienst ist bey den theuren Lebensmitteln schlecht, man verdient wegen der theuren Lebensmittel jetzt durch seine Arbeit wenig. Vielen, guten Verdienst haben, viel verdienen. Schlechten, wenig Verdienst haben. Ich möchte ihm diesen Verdienst gern zuwenden. Das ist mein ganzer Verdienst, verdienter Lohn, im eigentlichen Verstande. (2) In weiterer und figürlicher Bedeutung, dasjenige, auf welches man sich durch seine freyen Handlungen ein Recht erworben, es sey nun zur Belohnung oder zur Bestrafung, der verdiente Lohn, in figürlichem Verstande. Darum schüttete ich meinen Zorn über sie - und gab ihnen also ihren Verdienst auf ihren Kopf, Ezech. 22, 23. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, wo man es nur noch in der Theologie in engerer Bedeutung gebraucht, wo das Verdienst Christi doch wohl eigentlich nichts anders ist, als dasjenige, worauf er uns durch sein Leiden und Tod ein Recht erworben, was er uns dadurch verdienet hat; in welchem Falle es aber zugleich ungewissen Geschlechtes ist. 2. Das Recht, welches man sich durch seine freyen Handlungen auf etwas erworben hat, in welcher Bedeutung es im weitesten Verstande üblich ist, und so wohl das Recht auf Belohnungen, als auch die Verpflichtung zur Strafe, in sich schließe. Es ist hier ungewissen Geschlechtes, wird aber nur im Singular ohne Artikel und am häufigsten mit dem Vorworte nach gebraucht; nach Verdienst. Nach Verdienst vergelten, Jer. 25, 14. Nach Verdienst strafen, 2 Macc. 4, 38. Jemanden nach Verdienst befördern, so wie er es verdienet hat. Nach Verdienst belohnet werden. In der Deutschen Bibel kommt es noch in andern Verbindungen vor, welche aber außer der biblischen Schreibart wenig mehr gebraucht werden. Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, Röm. 3, 24. Ists aber aus Gnaden, so ists nicht aus Verdienst der Werke. - Ists aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts, sonst wäre Verdienst nicht Verdienst, Röm. 11, 6. Wo es gleichfalls zunächst das Recht bedeutet. 3. Die Handlung, und in weiterm Verstande auch die Eigenschaft, durch welche man ein Recht auf die Belohnung, Achtung oder Erkenntlichkeit anderer hat; wo es gleichfalls ungewissen Geschlechtes ist, und das dadurch erworbene Recht zugleich mit in sich schließt. Man gebraucht es so wohl von einzelnen Handlungen und Eigenschaften. Wenn es nach den Verdiensten ginge, so würde er gewiß reich sein. Ein Mann von vielen Verdiensten; so wohl der viele Handlungen ausgeübt hat, die ihm ein Recht auf die Achtung anderer erwerben, als auch der viele solche Eigenschaften besitzet, ein verdienter Mann. Die Person, um welche man sich verdient gemacht, bekommt hier gleichfalls das Vorwort um. Große und viele Verdienste um die Stadt, um den Staat, um jemanden haben. Deine Verdienste um mich. Man kann ihm das Verdienst nicht absprechen, daß er die Bahn dazu gebrochen hat. Auch sein Vergehen ist noch ein Verdienst, Gell. Ihre gute Figur ist ihr ganzes Verdienst, das einzige, welches ihr auf die Achtung anderer ein Recht geben kann. Als auch collective und ohne Plural; der ganze Umfang von Handlungen und Eigenschaften, welche jemanden ein Recht auf die Achtung anderer gewähren. Jemandes Verdienst erkennen. Wo es auch figürlich von verdienten Personen gebraucht wird. Das Verdienst hervor ziehen. Wehe dem Lande, wo das Verdienst nach Brote geht!

Anm. Das Wort scheint, besonders in den weitern und figürlichen Bedeutungen, spätern Ursprunges zu seyn, denn im 14ten Jahrhunderte kommt dafür noch Gedintz vor. Noch höher hinauf übersetzt Roter Meritum durch Guottat, und Kero durch Arnungo. Der Unterschied des Geschlechtes gründet sich bloß auf den Gebrauch, und vermuthlich ursprünglich auf zwey verschiedene Mundarten; denn das einfache der Dienst ist in manchen Gegenden ungewissen Geschlechtes.


Verdienstlich (W3) [Adelung]


Verdienstlich, -er, -ste, adj. et adv. ein Verdienst enthaltend, gewährend, d. i. ein Recht auf die Belohnung eines andern gewährend, in welchem Falle es besonders in der Theologie üblich ist. Verdienstliche Handlungen, welche uns ein Recht auf die Belohnung von Gott erwerben, dergleichen in der Römischen Kirche angenommen werden, wo sie auch gute Werke heißen. In weiterm Verstande, ein Recht auf die Achtung, Erkenntlichkeit anderer gewährend. Das ist sehr verdienstlich. In einem etwas andern Verstande nennet man in der Theologie das Leiden und den Tod Christi verdienstlich, so fern er den Menschen dadurch ein Recht auf gewisse göttliche Wohlthaten erworben hat. So auch die Verdienstlichkeit, die Eigenschaft, da eine Handlung verdienstlich ist, in allen obigen Fällen.


Verding (W3) [Adelung]


Der Verding, eine Münze, S. Ferding.


Verding (W3) [Adelung]


Das Verding, des -es, plur. die -e, von dem folgenden Zeitworte, ein nur in einigen Gegenden übliches Wort. 1. Die Handlung des Verdingens, ohne Plural; wofür im Hochdeutschen Verdingung üblicher ist. 2. Ein Vertrag, Contract, worin man jemanden etwas verdinget.


Verdingen (W3) [Adelung]


Verdingen, verb. irreg. act. ( S. Dingen,) gegen einen verglichenen Lohn übergeben. Die Schweine in die Mast, ein Kind jemanden in die Kost verdingen. Besonders von Arbeiten. Jemanden eine Arbeit verdingen. Im umgekehrten Verstande, der aber im Hochdeutschen ungewöhnlich ist, gebraucht Uz es für vermiethen: Ich mag die güldnen (goldnen) Saiten dem Pöbel nicht verdingen. Daher die Verdingung.


Verdolmetschen (W3) [Adelung]


Verdolmetschen, verb. reg. act. etwas dolmetschen, d. i. es aus einer unbekannten Sprache in eine bekanntere übertragen. Immanuel, das ist verdolmetschet, Gott mit uns, Matth. 1, 23. Melichisedek wird verdolmetschet, ein König der Gerechtigkeit, Ebr. 7, 2. Daß Lysimachus den Brief verdolmetschet hätte, St. Esth. 5, 1. Es wird, so wie das einfache dolmetschen, wenig mehr gebraucht, außer, wo noch eigentliche Dolmetscher vorhanden sind, welche mündliche Vorträge aus einer unbekannten Sprache in eine bekanntere übertragen und in derselben erklären. In andern Fällen ist dafür theils übersetzen üblicher, obgleich solches von weiterm Umfange ist, und überhaupt aus einer Sprache in die andere übertragen bedeutet, theils aber auch erklären. So auch die Verdolmetschung.


Verdoppeln (W3) [Adelung]


Verdoppeln, verb. reg. act. 1. Von Doppel, einer Art Würfel- und Kartenspieles, in diesem Spiele verlieren; ein, so wie das Spiel selbst, größten Theils veraltetes Wort. 2. Von doppelt, doppelt, d. i. zwiefach, setzen. Eine Zahl verdoppeln. Seine Wohlthaten gegen jemanden verdoppeln. So auch die Verdoppelung. S. Ver 2.


Verdorben (W3) [Adelung]


Verdorben, das Mittelwort von verderben. ( S. dieses.) Daher die Verdorbenheit, der Zustand, da etwas verdorben ist, doch nur im figürlichen Verstande, der Zustand, da ein Ding aus seiner ersten bessern Beschaffenheit in die entgegen gesetzte schlimmere übergegangen ist. Empörer standen auf, die Ordnung zu zerrütten, Und Zwiespalt brütete Verdorbenheit der Sitten, Dusch. S. auch Verderbtheit.


Verdorren (W3) [Adelung]


Verdorren, verb. reg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, dürre werden, d. i. die zu seiner Erhaltung nöthige Feuchtigkeit nach und nach völlig verlieren. Das Gras, die Blume, ein Gewächs, ein Baum verdorret. Ein Mensch mit einer verdorreten Hand, Marc. 3, 1, 3. Vor Hitze verdorren. 2. * Als ein Activum, dürre machen; eine im Hochdeutschen ungewöhnliche Bedeutung, in welcher es eigentlich verdörren lauten müßte, ( S. Dörren.) Die Flamme wird seine Zweige verdorren, Hiob 15, 30; dürre machen. Daher die Verdorrung in der Bedeutung der ersten Form, obgleich die Neutra nur selten Verbalia auf ung verstatten. Bey dem Ottfried irthorren, bey dem Notker erdorren, im Tatian aber schon furthorran.


Verdrängen (W3) [Adelung]


Verdrängen, verb. reg. act. fortdrängen, wegdrängen, durch drängen von einem Ort oder Stelle wegschaffen. Jemanden verdrängen ihn von seinem Platze drängen. Ingleichen in weiterer Bedeutung durch seine Gegenwart, Veranlassung, seines Platzes, und in noch weiterm Verstande, seines Vortheiles berauben. Man wird verdrängt, wenn man seinen Platz, seine Stelle, eine Würde u. s. f. einem andern überlassen muß. Jemanden von seinem Amte verdrängen. So auch die Verdrängung. In eben demselben Verstande gebraucht man auch das irreguläre verdringen, S. dasselbe.


Verdrehen (W3) [Adelung]


Verdrehen, verb. reg. act. durch Drehen aus seiner gehörigen Gestalt oder Lage bringen. Einen Schlüssel verdrehen. Einem ein Glied verdrehen. Die Augen verdrehen. Ingleichen figürlich. Ein Wort, den Sinn einer Rede verdrehen, ihnen vorsetzlich und in böslicher Absicht eine falsche Deutung geben. Das Recht verdrehen, durch Verdrehung der Worte des Gesetzes. So auch die Verdrehung.


Verdrieß (W3) [Adelung]


* Der Verdrieß, des -es, plur. car. ein im Oberdeutschen veraltetes Wort für Verdruß, welches noch einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt. Daß sie mir Verdrieß thun, Jer. 7, 18. Zu Verdrieß des Hausherren, Ezech. 8, 3. Wo es in einigen Ausgaben irrig Verdrüß geschrieben wird. S. Verdruß.


Verdrießen (W3) [Adelung]


Verdrießen, verb. irreg. ich verdrieße, du verdrießest, (Oberd. verdreußest,) er, es verdrießt (Oberd. verdreußt); Imperf. verdroß, Conj. verdrösse; Mittelw. verdrossen. Es ist ein unpersönliches Zeitwort, welches mit der vierten Endung der Person und der ersten der Sache verbunden, zuweilen aber auch persönlich gebraucht wird, welches doch nur in der dritten Person geschehen kann. 1. * Unlust erwecken, in dem weitesten Umfange dieser Bedeutung. Es, oder die Sache verdrießt mich, erweckt mir Unlust, ich empfinde Unlust darüber. Es ist in dieser weitern Be- deutung veraltet, indessen ist verdrießlich, so fern es unlustig überhaupt bedeutet, noch von derselben übrig. Man gebraucht es nur noch, 2. in engerer Bedeutung, von verschiedenen Arten der Unlust. (1) * Mißfallen, Unlust über das Verhalten anderer. Da verdroß sie es sehr, daß ein Mensch kommen wäre, der Gutes suchte für die Kinder Israel, Nehem. 2, 10. Drey Stücke sind, denen ich von Herzen feind bin, und ihr Wesen verdreußt (verdrießt) mich übel. Siv. 25, 3. Welches sie gar übel verdroß, Weish. 12, 27. Mich verdreußt die Hoffarth Jacob, Amos 6, 8. Es ist auch in dieser Bedeutung im Hochdeutschen veraltet, noch mehr aber, wenn der persönliche Gegenstand mit dem Vorworte auf ausgedruckt wird. Es verdreußt mich auf sie, daß sie sich wieder dich setzen, Ps. 139, 21. Üblicher ist es, (2) in engerer Bedeutung, von der Unlust über eine empfangene Beleidigung, wo es einen von außen merklichen aber doch geringern Grad der Unlust bezeichnet, als kränken, schmerzen u. s. f. eine Unlust, welche durch beleidigten Stolz erweckt wird. Es ist zwischen gleichen Personen am üblichsten. Verdrießt dich das? Es verdroß ihn, da man ihn der Faulheit beschuldigte. Wie kann dich das verdrießen? Gell. Ingleichen zuweilen persönlich, doch nur in der dritten Person und von Sachen. Dieser Vorwurf verdroß mich. Dem (den) Gratulant (Gratulanten) verdroß die angethane Schmach, Zach. Ingleichen, obgleich in dieser Bedeutung seltener, mit dem Zeitworte lassen, sich etwas verdrießen lassen, Unlust darüber empfinden. (3) Unlust über die anhaltende Fortdauer einer Sache. Mich verdreußt zu leben, 1 Mos. 27, 46. Meine Seele verdreußt mein Leben, Hiob 10, 1. Wo es im Oberdeutschen auch wohl mit der zweyten Endung der Sache gebraucht wird. Mich verdrießt meines Lebens. Wanta mih der uuerlte bedruzet, Willer. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, wo dafür überdrüßig seyn und werden üblich ist. Die Niedersachsen sagen noch, es soll ihn endlich wohl verdrießen, er soll es schon überdrüßig werden. (4) Unlust über anhaltende Beschwerden; eine im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart übliche Bedeutung. Thes Ganges thih n' irthruzzi, Ottfried. Im Hochdeutschen gebraucht man es nur noch mit dem Zeitworte lassen. Er läßt sich die geringste Arbeit verdrießen. Am häufigsten mit der Verneinung. Ob dirs sauer wird mit deiner Nahrung und Ackerwerk, das laß dich nicht verdrießen, Sir. 7, 16. Gott lob, daß ich mich keine Mühe dauern und auch um einen Pfennig keinen Weg verdrießen lasse, Gell. Das Mittelwort verdrossen wird daher sehr häufig als ein eigenes Beywort im intransitiven Verstande gebraucht, geneigt, und Fertigkeit besitzend, über jede Bewegung, und in weiterm Verstande, über jede eigene Thätigkeit Unlust zu empfinden, und darin gegründet; träge mit Widerwillen. Zu etwas verdrossen seyn. Ein verdrossener Mensch. Das Volk war verdrossen auf dem Wege, 4 Mos. 21, 5. Ein Weib, da der Mann keine Freude an hat, die macht ihn verdrossen zu allen Dingen, Sir. 25, 31. Werdet nicht verdrossen Gutes zu thun, 2 Thess. 3, 14. Die Munterkeit erstarb in der verdroßnen Menge, Zachar. Jemanden verdrossen machen. Daher die Verdrossenheit. (5) Unlust über eine Handlung, die man entweder schon begangen hat, für gereuen, oder während des Begehens derselben; wo es im Hochdeutschen nur in der vertraulichen Sprechart, und auch hier nur mit dem Zeitworte lassen und der Verneinung gebraucht wird. Du sollst ihm geben, und dein Herz nicht verdrießen lassen; daß du ihm gibst, 5 Mos. 15, 10. Lassen sie sichs nicht verdrießen, diese Kleinigkeit an ihn gewandt zu haben. Er läßt sich keine Kosten verdrießen, es gereuen ihn keine Kosten.

Anm. Schon bey dem Ottfried firthriezen, im Nieders. verdreten; mit andern Vorsylben, bey dem Ulphilas usthriutan, bey dem Notker irdriezen, pedriezen. Das einfache drießen, ist längst veraltet, aber die Oberdeutschen haben davon noch Druße, Plage, und die Niederdeutschen Dröte, Verdruß. In verschiedenen mit der Deutschen verwandten Sprachen hat dieses Zeitwort mit seinen Verwandten in den verschiedenen Bedeutungen auch verschiedene Formen. Im Schwed. ist Förtret, Beschwerde, und förtreda, Beschwerde, Unlust erwecken, fortryta aber, gereuen, beneiden, ermüden; trött ist eben daselbst träge, müde, Isländ. thrit, und trötta, müde machen, tryta, kraftlos, förtryta, aufhören, tryta aber, Überdruß und Unlust über etwas empfinden; und schon bey dem Ulphilas ist ustrudjan, schwach, müde werden, abnehmen, usthriutan aber, Überdruß erwecken. Es kann seyn, daß in einigen dieser Wörter verschiedene Stammbegriffe zum Grunde liegen; allein im Deutschen scheint, um des einförmigen unpersönlichen Gebrauches willen, nur ein einziger Statt zu finden, zumahl, da alle dem Anscheine nach verschiedene Bedeutungen sehr leicht und natürlich aus einander herfließen. Hornegk gebraucht für verdrießen auch betragen und pevillen. Die Wortfügung mit der zweyten Endung der Sache, welche im Oberdeutschen in mehrern Bedeutungen üblich ist, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. S. auch Verdruß.


Verdrießlich (W3) [Adelung]


Verdrießlich, -er, -ste, adj. et adv. von dem vorigen Zeitworte und der Ableitungssylbe lich. Es ist im doppeltem Verstande üblich. 1. Subjective, Unlust oder Widerwillen empfindend und denselben äußernd; in welchem Verstande es im gemeinen Leben, besonders Niederdeutschlandes, üblich ist. Verdrießlich seyn, unmuthig und diesen Unmuth bey jeder Veranlassung äußernd. Eine verdrießliche Miene. Ein verdrießlicher Mensch, welcher Fertigkeit besitzt, bey jedem, auch noch so geringem Anlasse Unlust und Unmuth zu äußern. 2. Objective, verdrießen machend, in dessen ältester und weitester Bedeutung, Unlust des Gemüthes erweckend, und darin gegründet. Aber die Männer sind mir verdrießlich, 2 Sam. 3, 39; zuwider. Der Narren Rede ist über die Maße verdrießlich, Sir. 27, 14. Es ist verdrießlich zu hören, wenn sie sich so zerschelten, V. 16. Es ist auch in dieser Bedeutung in der vertraulichen Sprechart am üblichsten, wo es oft für unangenehm überhaupt gebraucht wird. Eine verdrießliche Sache. Ein verdrießlicher Handel. Es ist mir verdrießlich, wenn ich so lange warten muß.

Anm. Viele schreiben dieses Wort verdrüßlich, als wenn es von Verdruß abgeleitet wäre; allein, es ist wahrscheinlicher, daß es von dem Zeitworte abstammet, zumahl, da in Verdruß das u kurz ist, in dem Beyworte hingegen das ü lang seyn müßte. Auch die Aussprache ist für das ie. S. "-Lich".


Verdrießlichkeit (W3) [Adelung]


Die Verdrießlichkeit, plur. die -en, von dem vorigen Beyworte. 1. Die Eigenschaft, da eine Person oder Sache verdrießlich ist, in beyden Bedeutungen und ohne Plural. Die Verdrießlichkeit eines Menschen, subjective. Die Verdrießlichkeit einer Sache, objective. 2. Eine verdrießliche Sache, wo man es doch nur, so wie Verdruß, von einem unangenehmen Handel mit andern Personen, von einem Streite gebraucht. In Verdrießlich- keit mit jemanden gerathen. Jemanden allerley Verdrießlichkeiten machen, ihn in unangenehme Streitigkeiten verwickeln. Alle Verdrießlichkeiten zu vermeiden.


Verdringen (W3) [Adelung]


Verdringen, verb. irreg. act. ( S. Dringen,) fortdringen, aus seiner Stelle dringen, ein Wort, welches häufig für verdrängen gebraucht wird, besonders im Oberdeutschen, dagegen in der edlern Schreibart der Hochdeutschen das letztere üblicher ist. Die höllische Gestalt hat Gottes Bild verdrungen, Gryph. Bis ich sie daraus verdrungen habe, Less. So auch die Verdringung. S. Verdrängen, ingleichen Dringen.


Verdrossen (W3) [Adelung]


Verdrossen, -er, -ste, adj. et adv. eigentlich das Mittelwort des Zeitwortes verdrießen, welches in Einer Bedeutung desselben, als ein eigenes Beywort gebraucht wird. Unlust zur Bewegung und Thätigkeit verrathend und darin gegründet, träge, S. Verdrießen.


Verdrossenheit (W3) [Adelung]


Die Verdrossenheit, plur. car. der Zustand, die Eigenschaft, da man verdrossen ist, Unlust zur Bewegung oder Thätigkeit, Trägheit.


Verdrucken (W3) [Adelung]


Verdrucken, verb. reg. 1. Falsch, unrecht drucken, besonders von dem Drucken der Bücher, eigentlich von der falschen Stellung der Columnen, in weiterer Bedeutung aber auch von den Fehlern, welche die Setzer im Setzen begeht. Das Wort ist verdruckt. 2. Als Material zum Drucken gebrauchen. Viel Papier, Farbe verdrucken. 3. Als Kosten durch Drucken verwenden, verzehren. Sein Geld verdrucken, es auf das Drucken eigener Verlagsbücher wenden. So auch das Verdrucken. 4. * Aus seiner Stelle drücken, ingleichen unterdrücken, in welcher Bedeutung es im Hochdeutschen ungewöhnlich ist. Helfet dem Verdruckten, Es. 1, 17. S. das folgende.


Verdrücken (W3) [Adelung]


Verdrücken, verb. reg. act. aus seiner Stelle drücken, ingleichen unterdrücken; in welchen beyden Bedeutungen es doch im Hochdeutschen wenig gebräuchlich ist. Verdrücke den Seufzer nicht, der deinen Busen hinauf bringt, Geßn. im Hochdeutschen unterdrücke.


Verdruß (W3) [Adelung]


Der Verdruß, des -sses, plur. car. von dem Zeitworte verdrießen, daher es ehedem auch Verdrieß lautete. 1. Die Empfindung, d. i. merkliche Unlust des Gemüthes. (1) * Überhaupt, für Unlust, unangenehme Empfindung des Gemüthes überhaupt; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Es ist kein Verdruß mit ihr umzugehen, Weish. 8, 16. Ich feiner Kunst mit Verdrieß bit, Theuerd. ich warte mit Schmerzen auf seine Ankunft. Man gebraucht es, so wie das Zeitwort, (2) Nur noch im engern Verstande, von denjenigen Arten der Unlust und des Unwillens, in welchen das Zeitwort noch jetzt üblich ist, die letzte fünfte der Reue ausgenommen, in welcher das Hauptwort nicht gangbar ist. Indessen sich doch in allen diesen Fällen der allgemeine Begriff des Unwillens vor. Etwas mit Verdruß thun, mit merklichem Widerwillen. Voller Verdruß seyn, voll Unwillen. Seinen Verdruß verbergen, überwinden. Besonders von dem Unwillen über das Verhalten anderer. Jemanden Verdruß machen. Viel Verdruß von seinen Kindern haben. Jemanden etwas zum Verdrusse thun. Allen Menschen zum Verdruß. 2. Dasjenige, was diesen Unwillen erreget. Jemanden allen Verdruß anthun. Besonders, so wie Verdrießlichkeit, in engerm Verstande, von einer unangenehmen Streitigkeit, von einem unangenehmen Handel mit einem andern. Einen Verdruß mit jemanden haben, einen unangenehmen Streit. Es wird einen Verdruß setzen, geben. Einen Verdruß anrichten. Sich bey jemanden Verdruß machen, sich seinen Verweisen aussetzen. Er würde nur Verdruß von Edelmanne haben, Gell.

Anm. Dieses Hauptwort ist so alt, als das Zeitwort, und lautet bey dem Notker Urdruzzi, Urdruzedo, im Nieders. Verdröt, ingleichen nur Dröt, im Holländ. Verdriet, welches sich dem veralteten Verdrieß nähert. Im Oberdeutschen ist dafür auch Widerdruß und Widerdrieß üblich.


Verdrüßlich (W3) [Adelung]


Verdrüßlich, S. Verdrießlich.


Verduften (W3) [Adelung]


Verduften, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, in Gestalt des Duftes verfliegen, verschwinden. Aller Geruch ist verduftet. Eine Landschaft, auf welcher der Thau in flüchtigem Nebel verduftet. Der Verstand ist bey ihm verduftet, verflogen.


Verdummen (W3) [Adelung]


Verdummen, verb. reg. neutr. gleichfalls mit dem Hülfsworte seyn, dumm werden, ein im Hochdeutschen eben so ungewöhnliches Wort, als das gleich bedeutende erdummen.


Verdunkeln (W3) [Adelung]


Verdunkeln, verb. reg. act. dunkel machen. Ein Zimmer verdunkeln. Ingleichen unscheinbar, unkenntlich machen, oft auch nur das Licht, den Schein oder Glanz vermindern, schwächen. Die Wolken verdunkeln den Mond. Dieser Fehltritt verdunkelt seine Verdienste. Die Thaten des Vaters wurden von den Verdiensten des Sohnes verdunkelt. So auch die Verdunkelung. Bey dem Notker petunkeln.


Verdünnen (W3) [Adelung]


Verdünnen, verb. reg. act. dünne machen, besonders von flüssigen Körpern. Die Sonnenstrahlen verdünnen die Luft. Das Blut verdünnen, die demselben fehlenden wässerigen Theile durch Wasser ersetzen. Daher die Verdünnung.


Verdunsten (W3) [Adelung]


Verdunsten, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, in Gestalt des Dunstes verfliegen. Die Feuchtigkeit ist verdunstet.


Verdünsten (W3) [Adelung]


Verdünsten, verb. reg. act. in Gestalt des Dunstes vertreiben, vermindern, welches doch wenig gebraucht wird. Abdünsten, abdämpfen sind dafür in manchen Fällen üblicher.


Verdursten (W3) [Adelung]


Verdursten, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, vor Durst vergehen, umkommen. Ein Thier verdursten lassen. Es ist verdurstet. In weiterm Verstande ist das Mittelwort verdurstet im gemeinen Leben sehr durstig, verdurstet seyn. S. Ver. 5.


Verdüstern (W3) [Adelung]


Verdüstern, verb. reg. act. ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort für verfinstern, von dem Niederdeutschen düster, dunkel, finster, ( S. dasselbe.) Wenn es 1 Tim 6, 3, 4. heißt: so jemand anders lehret, der ist verdüstert, und weiß nichts, sondern ist seuchtig in Fragen u. s. f. so ist wohl unstreitig, daß Luther damit die Düsternheit oder Finsterniß des Verstandes ausdrucken wollen, und dabey auf die nächste Abstammung des Wortes - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, von - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, Rauch, Dunst, gesehen, ob gleich dieses hernach figürlich Schwulst und Stolz bedeutet; eine Bedeutung, welche düster, finster u. s. f. nie gehabt noch haben können. Im ähnlichen Verstande sagt Gryphius: Geht immer hin? geht, ihr verirrte Sinnen? Wählt, weil ihr so verdüstert seyd, Die schnöden Gläser vor Juwelen; d. i. verfinstert.


Verecken (W3) [Adelung]


Verecken, verb. reg. act. mit Ecken versehen, besonders im Jagdwesen, wo es als ein Neutrum gebraucht wird. Der Hirsch hat vereckt, wenn dessen Geweih alle Enden bekommen hat; wo Ecke die Enden des Geweihes zu bezeichnen scheinet. Der Hirsch gehet hoch verecket, in eben diesem Verstande. In einigen Mundarten verenket. S. Aussetzen, welches in eben demselben Verstande gebraucht wird.


Veredeln (W3) [Adelung]


Veredeln, verb. reg. act. edler machen, einen höhern Grad des innern Werthes ertheilen, und sich veredeln, edler werden. Im Bergbaue veredelt sich der Gang, wenn mehr oder besseres Erz in demselben gebrochen wird. Die Erze veredeln sich, wenn sie reichhaltiger werden. Hauptschweine veredeln eine Jagd, machen sie ansehnlicher, vorzüglicher. Durch Oculiren, Pfropfen u. s. f. werden die Obstarten veredelt. Gesunde Weltweisheit erhöhet und veredelt das Herz. Besorgniß für sich selbst veredelt bald die Triebe Und mäßigt Eigennutz durch sanfte Menschenliebe, Dusch. In engerm Verstande werden die Erzeugnisse eines Landes veredelt, wenn sie verarbeitet werden, im weitesten Verstande, indem sie dadurch einen größern Werth erhalten. In England wird keine Rolle mehr ausgeführet, sondern im Land selbst veredelt, verarbeitet. So auch die Veredelung oder Veredlung.


Verehelichen (W3) [Adelung]


Verehelichen, verb. reg. act. ehelich machen, d. i. verheirathen, ein in dem feyerlichen Kanzel-Style noch am meisten gangbares Wort. Seine Tochter an jemanden verehelichen. Sich mit einer Person verehelichen, sie heirathen. Johanna Maria Schnips, verehelichte Poch. Daher die Verehelichung. Von ehelich und ver 2; oder auch von ehelichen und ver, so fern es eine Verbindung bezeichnet.


Verehren (W3) [Adelung]


Verehren, verb. reg. act. welches in einer doppelten Bedeutung üblich ist. 1. Ehrerbiethung gegen jemanden hegen und empfinden. Jemanden verehren. Ich verehre seine Verdienste, und hasse seine Laster. Ich verehre in ihnen auch den Anschein von Billigkeit. 2. Ein Geschenk geben; indem ein Geschenk eines der ältesten äußern Merkmahle der Ehrerbiethung und Verehrung war, wo es auf doppelte Art gebraucht wird. (1) * Mit dem Accusativ der Person, da denn das Geschenk vermittelst des Vorwortes mit ausgedruckt wird; eine im Hochdeutschen völlig veraltete Form. Den Tempel mit gebührlichen und herrlichen Geschenken verehren, 3 Macc. 3, 17. Daß ich ihn mit diesem Gedichte verehre, Opitz. (2) Mit der dritten Endung der Person, und der vierten der Sache. Einem etwas verehren. Da die Geschenke schon längst nicht mehr Beweise der Verehrung sind, so ist diese Bedeutung auch in der edlern Schreibart veraltet, und nur noch unter dem großen Haufen im Gange. Schon die Lateiner brauchten honorare für beschenken und Honorarium für ein Geschenk. Im Niedersächsischen bedeutete verehren, in noch mehr eigentlichem Verstande, zu Ehren bringen. Eine geschwächte Person verehren, sie heirathen und dadurch wieder zu Ehren bringen.


Verehrer (W3) [Adelung]


Der Verehrer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verehrerinn, eine Person, welche eine andere verehret, hohen Grad der Ehrerbiethung für sie heget. In engerer Bedeutung ist es oft eine Person, welche für eine Person des andern Geschlechtes Liebe empfindet und nähret, wie Anbether und Anbetherinn, ob gleich diese einen weit höhern Grad der Verehrung bezeichnen.


Verehrung (W3) [Adelung]


Die Verehrung, plur. die -en, von dem Zeitworte verehren. 1. In dessen erster Bedeutung die Empfindung eines hohen Grades der Ehrerbiethung; ohne Plural. Jemanden göttliche Verehrung erweisen, ihn wie einen Gott verehren. Daher verehrungswürdig, wofür eben nicht nöthig ist, verehrenswürdig zu sagen, weil ja anbethungswürdig, achtungswürdig, annehmungswürdig u. s. f. ohne Tadel sind. 2. In der zweyten, die Handlung des Verehrens, d. i. des Schenkens, ohne Plural; noch mehr aber das Geschenk selbst, mit dem Plural. Eine Verehrung bekommen, ein Geschenk. Es ist in dieser Bedeutung eben so veraltet, als das Zeitwort.


Vereiden (W3) [Adelung]


Vereiden, verb. reg. act. durch einen Eid verbinden, verpflichten. Wird sie sich falsch vereiden? Opitz. Am häufigsten active, einen andern durch einen Eid verbinden, in Eid nehmen. Die Truppen vereiden, sie den Eid der Treue schwören lassen. Einen Zeugen vereiden. So auch die Vereidung.


Vereignen (W3) [Adelung]


* Vereignen, verb. reg. act. das Eigenthumsrecht einer Sache einem andern übertragen, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort, wofür veräußern üblicher ist, mit welchem es den allgemeinen und unbestimmten Begriff gemein hat, so daß es die Verschenkung, Vertauschung, den Verkauf u. s. f. unter sich begreift. So auch die Vereignung.


Verein (W3) [Adelung]


Der Verein, des -es, plur. die -e, ein von dem Zeitworte vereinen nur im Oberdeutschen übliches Hauptwort, für Vereinigung, Verbindung, Bund. Wie sy dann ein Verein Zusammen hetten gemacht, Theuerd. Kap. 24. Im Deutschen Staatsrechte kennt man die Churfürstlichen Vereine oder die Churvereine, d. i. die Verbindungen, Verträge der sämmtlichen Churfürsten zur Erhaltung ihrer und des Reichs Gerechtsame, von den Jahren 1338, 1399, 1424 u. s. f. In einigen Oberdeutschen Gegenden ist es weiblichen Geschlechtes, da denn der Plural die -en, lautet.


Vereinbaren (W3) [Adelung]


* Vereinbaren, verb. reg. act. vereinigen, d. i. so wohl eins, als auch einig, machen. Zwey Stücke Holz mit einander vereinbaren, verbinden, sie zu einem Stücke verbinden, es sey auf welche Art es wolle. Streitige Gemüther vereinbaren, vereinigen. Seine Truppen mit den Truppen eines andern vereinbaren. Sich mit jemanden vereinbaren. Das läßt sich mit deiner schuldigen Pflicht nicht vereinbaren, vereinigen, widerspricht derselben. Die Vereinbarung mit Gott, Vereinigung. Das ganze Zeitwort ist im Oberdeutschen am üblichsten, und wird nur hin und wieder von einigen Hochdeutschen zur Nachahmung gebraucht. Die einfachern einbaren und einbar sind längst veraltet. In den mittlern Zeiten kommt noch geeinbaren für vereinbaren vor.


Vereinbarlich (W3) [Adelung]


* Vereinbarlich, -er, -ste, adj. et adv. was sich vereinbaren lässet; auch nur im Oberdeutschen. Was mit der Pflicht nicht vereinbarlich ist.


Vereinen (W3) [Adelung]


Vereinen, verb. reg. eins und einig machen, wie vereinbaren, nur mit einer andern Endsylbe. Es ist im Hochdeutschen gleichfalls selten, indem dessen Intensivum vereinigen dafür üblicher ist; nur die Dichter erhalten es, um des bequemen Sylbenmaßes willen, noch im Andenken. ( S. Vereinigen, in dessen sämmtlichen Bedeutungen es gebraucht wurde, ingleichen Verein.) Die noch kürzern gieinon und einon kommen für vereinigen bey dem Ottfried und seinen Nachfolgern noch häufig vor.


Vereinigen (W3) [Adelung]


Vereinigen, verb. reg. act. so wohl eines als einig machen. 1. in mehr eigentlichem Verstande, zwey oder mehr Dinge so mit einander verbinden, oder zusammen gehören machen, daß sie nur als Ein Ganzes angesehen werden können, wo man Dinge auf eben so viele Arten vereiniget, als sie als Ein Ganzes betrachtet werden können. Im eigentlichsten Verstande vereiniget man zwey Stücke Holz mit einander, wenn man sie so an einander befestiget, daß sie nur Eines ausmachen, wofür doch verbinden üblicher ist. Öhl und Wasser lassen sich nicht vereinigen, zu einem und eben demselben flüssigen Körper vermischen. Zwey Gärten, zwey Häuser, zwey Provinzen mit einander vereinigen. Die sieben vereinigten Provinzen, oder die vereinigten Niederlande, so fern sie nur Einen Staatskörper mit einander ausmachen. Die katholische und protestantische Religion vereinigen wollen. Zwey Armeen, zwey Flotten vereinigen sich, wenn sie sich so verbinden, daß sie nur eine Armee, eine Flotte ausmachen. Die Vereinigung der zwey Naturen in Christo, so fern sie nur eine und eben dieselbe Person ausmachen. 2. Den Absichten, und auch oft den Kräften nach mit einander verbinden, ein solches gegen seitiges Verhältniß unter mehrern Dingen bewirken, daß sie einerley Absichten und diese mit gemeinschaftlichen Kräften zu erreichen suchen, wo es, so wie verbinden, von allgemeinen Umfange ist, und die Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit unentschieden läßt. Darnach vereinigte sich Josaphat, der König Juda, mit Ahasja, dem Könige Israel, 2 Chron. 20, 35. Die Feinde der Kirche haben sich mit einander vereiniget, Ps. 83, 6. Die Juden hatten sich vereiniget, in den Bann zu thun, den u. s. f. Joh. 9, 22. Der Freund kann nicht Freund seyn, ohne sich mit mir zur Tugend zu vereinigen, Gell. In diesem Verstande ist auch verbinden üblich und beynahe noch üblicher. Hierher gehöret auch mit einigen Abänderung die Vereinigung mit Gott in der Theologie, das gegenseitige nähere Verhältniß Gottes und des Menschen zu bezeichnen; ingleichen die Vereinigung des Leibes und der Seele in der Philosophie, die Verbindung beyder zu Einer Person durch gegenseitige Wirkung in einander. 3. Widerwärtige, widersprechende Meinungen und Ansprüche auf Einen Zweck leiten, einig machen. Verschiedene Meinungen vereinigen. Die Gläubiger haben sich mit dem Schuldner vereinigt. Sich über die Beute nicht vereinigen können. In diesem Verstande ist jetzt vergleichen üblicher und edler, auch zur Vermeidung der Zweydeutigkeit mit der vorigen Bedeutung vorzuziehen. Ehedem war aber auch einigen in diesem Verstande sehr üblich, da denn Einigung jede selbst gerichtliche Schlichtung oder Beylegung eines Streites war. 4. Eine Übereinstimmung zwischen zwey Dingen zu einerley Absicht entdecken. Das läßt sich damit nicht vereinigen. Diese Handlung läßt sich mit deiner Pflicht unmöglich vereinigen. In diesem Verstande ist von einigen das veraltete vereinbaren vorgeschlagen worden, welches, so wie vereinen, ehedem für vereinigen üblich war. So auch die Vereinigung.


Vereinzeln (W3) [Adelung]


Vereinzeln, verb. reg. act. ein Ganzes in einzelnen Stücken oder Theilen veräußern. Eine Bibliothek, eine Münzsammlung, eine Bildersammlung vereinzeln, sie nicht im Ganzen, sondern in einzelnen Stücken verkaufen. Ein Gut vereinzeln, die dazu gehörigen einzelnen Stücke verkaufen. So auch die Vereinzelung. Ver hat hier die erste Bedeutung des fort, der Entfernung, daher es nicht bloß einzeln machen bedeutet, und man also auch nicht das Franz. detaillierten durch vereinzeln, und Detail nicht durch Vereinzelung übersetzen kann, wie von einigen geschiehet.


Vereiteln (W3) [Adelung]


Vereiteln, verb. reg. act. eitel machen, d. i. der Wahrheit und Dauer berauben, die Wirklichkeit gehoffter möglicher Dinge hindern. Das hat mir alle meine Hoffnung, meine Freude, meinen Gewinn vereitelt. So auch die Vereitelung. ( S. Ver 2. und Eitel 2 (b)), in dessen übrigen Bedeutungen es nicht gangbar ist.) Ehedem wurde es in mehrern Fällen gebraucht. Im Tatian wird aritalen von dem Salze gebraucht, dumm, unkräftig werden. Bey andern kommt es für demüthigen vor.


Vereitern (W3) [Adelung]


Vereitern, verb. reg. recipr. sich vereitern, sich in Eiter verwandeln, ingleichen sich mit Eiter anfüllen. Eine Wunde vereitert sich, wenn sie Eiter ansetzt. So auch die Vereiterung, Suppuratio.


Verekeln (W3) [Adelung]


Verekeln, verb. reg. act. ekelhaft machen, Ekel, d. i. hohen Grad der Abneigung, des Widerwillens gegen etwas erwecken, mit der dritten Endung der Person. Jemanden eine Speise verekeln. Das verekelt mir die Welt. Daher die Verekelung.


Verenden (W3) [Adelung]


Verenden, verb. reg. act. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. * Als ein Activum, völlig zu Ende bringen, wo ver eine intensive Bedeutung hat; ein veralteter Gebrauch, wofür jetzt endigen und beendigen üblich sind. So wurde es nach minem willen so verendet, das u. s. f. Rudolph von Rotenburg. Und wil min leben also verenden u. s. f. Fridr. von Hufen. 2. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, für sterben; eine gleichfalls veraltete und nur noch bey den Jägern übliche Bedeutung, wo der Hirsch verendet, wenn er stirbt, es geschehe nun natürlicher oder gewaltthätiger Weise.


Verengen (W3) [Adelung]


Verengen, verb. reg. act. enge oder enger machen. Einen Raum, einen Weg verengen. Zuweilen, obgleich nicht so gewöhnlich, auch in die Enge, d. i. in einen engern Raum, bringen. So verenget man im Hüttenbaue das Erz, wenn man mehr Materie desselben in einen kleinen Raum zusammen bringt, welches unter andern auch durch das Rösten geschiehet. Daher die Verengung.


Verenken (W3) [Adelung]


Verenken, bey den Jägern, S. Verecken.


Vererben (W3) [Adelung]


Vererben, verb. reg. act. als ein Erbe übertragen. 1. Als ein Erbtheil oder Erbgut einem andern hinterlassen. Nach Erbgangsrecht etwas auf jemanden vererben. Das Gut, welches von meinem Vater, von meinen Vorfahren auf mich vererbet worden. Seltener mit der dritten Person, einem etwas vererben. 2. So fern Erbe auch erbliches Eigenthum ist, bedeutet vererben in einigen Gegenden auch, als ein Eigenthum übertragen, besonders gegen einen gewissen Erbzins. Hochfürstliche Durchlaucht haben uns die Schaftrift unlängst vererbt. So auch die Vererbung.


Vererden (W3) [Adelung]


Vererden, verb. reg. act. in Erde verwandeln, besonders im Hüttenbaue und der Chymie. Der Rost vererdet das Eisen. So auch die Vererdung.


Vererzen (W3) [Adelung]


Vererzen, verb. reg. act. in Erz, d. i. genaue Verbindung metallischer Theile mit gewissen Mineralien, verwandeln. Wenn die metallischen Dünste auf eine Stein- oder Erdart treffen, in welche sie entdringen können, so werden diese vererzet. Daher die Vererzung. Der Schwefel und den Arsenik sind die vornehmsten Vererzungsmittel, oder vererzende Materien.


Verewigen (W3) [Adelung]


Verewigen, verb. reg. act. ewig dauernd machen, doch nur in einigen Fällen.

1. "Verewigt werden", "in die glückliche Ewigkeit übergehen", d. i. "sterben", in der höhern Schreibart. Unser verewigter Freund.

2. Von ewig, lange während, verewigt man seinen Nahmen, sein Gedächtniß, wenn man dieselben durch eine merkwürdige That lange dauernd macht. Herostrat, Nero, Ravaillac u. s. f. haben sich durch Laster und Bosheiten, die Antonine durch Tugenden verewigt. So auch die Verewigung.


Vereyden (W3) [Adelung]


Vereyden, S. Vereiden.


Verfachen (W3) [Adelung]


Verfachen, verb. reg. act. 1. Mit einem Fachwerke versehen oder einschließen, in dem Wasserbaue. Einen Fluß verfachen. 2. * Sich mit jemanden verfachen, sich mit ihm abfinden, abtheilen; eine veraltete, vielleicht nur noch in einigen Gegenden übliche Bedeutung. Eine Witwe, ehe sie verheirathet, soll mit ihren Kindern zuvor verfacht seyn, Matthes. Bergpost. bey dem Frisch. So auch die Verfachung.


Verfackeln (W3) [Adelung]


Verfackeln, verb. reg. 1. Ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, als eine Fackel schnell wegbrennen. Das Licht ist verfackelt. 2. Ein Activum, auf solche Art, ingleichen durch fackeln, d. i. unnutzes und schnelles hin und her bewegen, verbrennen machen. Viel Licht verfackeln.


Verfahen (W3) [Adelung]


* Verfahen, verb. irreg. et reg. act. welches in Hochdeutschen veraltet ist, S. Verfangen.


Verfahren (W3) [Adelung]


Verfahren, verb. irreg. ( S. Fahren,) welches nach Maßgebung des einfachen fahren in verschiedener Bedeutung üblich ist. Es wird auf doppelte Art gebraucht. I. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, in Einer Bedeutung auch wohl mit haben. 1. Eine Sache auf eine gewisse Art behandeln, welche Art durch Nebenwörter oder Umschreibungen ausgedruckt wird. Strenge, grausam, unordentlich, rechtlich verfahren. Rechtlich in einer Sache verfahren. In dieser Sache bist du nicht als ein weiser Mann verfahren. Der persönliche Gegenstand bekommt das Vorwort mit; grausam, gelinde, gültig mit jemanden verfahren. Habe ich das an dir verdient, daß du so mit mir verfährest? Daher das Verfahren. Ein grausames, hartes, gelindes Verfahren. Das rechtliche Verfahren, die in den Gerichten übliche Art und Weise der Behandlung. Da verfahren in dieser Bedeutung mehr eigene Thätigkeit ausdruckt, als in den folgenden, so wird von einigen in derselben auch das Hülfswort haben gebraucht; indessen ist doch seyn am üblichsten. Ehedem gebrauchte man dafür häufig das einfache fahren, daher noch Luther übersetzt, fahret säuberlich mit dem Knaben Absalon. Ver scheint hier eine bloß intensive Bedeutung zu haben. In weiterm Verstande wurde es ehedem auch für handeln überhaupt gebraucht. Gott rottet aus, zerstreuet und verkehrt, Wer gottlos ist und wider ihn verfährt, Opitz. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, indem man es daselbst nur gebraucht, wenn zugleich die Art und Weise des Handelns ausgedruckt wird. 2. * Vergehen; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Reiß mich ja nicht so von hinnen, Starker Gott, in meinen Jahren, Weil sie kaum sind halb verfahren, Opitz.

3. Sterben, eine Fortsetzung der vorigen Bedeutung, in welcher verfarn schon im Schwabenspiegel vorkommt. Gelebt, als ein Tyrann, und alt doch beym Verfahren, Opitz. Auch diese Bedeutung ist veraltet, außer daß man im Oberdeutschen, und aus dieser Mundart in den Kanzelleyen, noch mit der zweyten Endung des Wortes Tod die Redensart Todes verfahren für sterben, mit Tode abgehen gebraucht. II. Als ein Activum. 1. Waaren verfahren, sie auf der Achse an einen andern Ort fahren oder führen; wofür doch verführen üblicher ist. (Siehe Ver 1.) 2. Ausfahren, durch Fahren aushöhlen; nur in einigen Fällen des gemeinen Lebens. Wege, die verfahren, soll man höhen, in der Jülich. Polizey-Ordn. Hierher scheint auch der bergmännische Gebrauch zu gehören, wo ein verfahrnes Feld, ein solches ist, wo das Erz schon ausgehauen ist. 3. Vorbey fahren. (1) Im Bergbaue wird ein Gang verfahren, wenn man neben dem Gange hin arbeitet, den Gang aber stehen lässet. (2) In engerer Bedeutung verfähret man den Zoll, wenn man bey einer Zollstätte vorbey, oder um dieselbe herum fähret, ohne den gebührenden Zoll zu entrichten. Im Schwabenspiegel verfüren, ingleichen hinfüren. 4. Irre fahren, ohne Vorsatz falsch fahren, als ein Reciprocum, doch nur im gemeinen Leben. Sich verfahren. Dahin scheint auch der Gebrauch der Buchdrucker zu gehören, welche sich verfahren, wenn sie die Form aus einem Versehen nicht weit genug unter den Tiegel schieben. 5. Seine Schicht verfahren, im Bergbaue, seine Schicht durch Ein- und Ausfahren zur gehörigen Zeit, beobachten, die bestimmte Arbeit verrichten. 6. Aus einander fahren oder treiben, ein nur in der Jägerey üblicher Gebrauch, wo der Hirsch die Ameisenhaufen verfähret, wenn er sie mit seinem Gehörn und Läufen aus einander schlägt, welches daselbst auch wimbeln genannt wird. So auch das Verfahren in allen Bedeutungen beyder Formen, besonders in der ersten Bedeutung des Neutrius, die Art und Weise ein Ding zu behandeln.


Verfall (W3) [Adelung]


Der Verfall, des -es, plur. car. der Zustand, da ein Ding verfallen ist, oder zu verfallen drohet, in der figürlichen Bedeutung von verfallen 2. In Verfall kommen oder gerathen. In Verfall der Nahrung kommen, in Abnahme. Man geräth in Verfall, wenn sich die Nahrungsumstände merklich verschlimmern. Eine Gewohnheit, eine Sache kommt in Verfall, wenn sie nicht geübet, nicht beobachtet wird. Sich zum Verfalle neigen. Den Verfall des Christenthumes beklagen. Im eigentlichen Verstande sagt man nicht leicht der Verfall eines Hauses. Im Oberdeutschen auch Zerfall. Der Verfall eines Wechsels, der Zustand, da er verfallen ist, da er unaufhaltbar bezahlet werden muß. In einem etwas andern Verstande ist der Verfall eines Pfandes, der Zustand, da es dem Inhaber anheim gefallen ist. Daher die Verfallzeit oder der Verfalltag, die Zeit, da solches geschiehet, so wohl von Pfändern, als auch von Wechseln und andern fälligen Zahlungen.


Verfallen (W3) [Adelung]


Verfallen, verb. irreg. neutr. ( S. Fallen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, und nach Maßgebung so wohl der Partikel, als auch des einfachen Zeitwortes, in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. 1. Für das einfache fallen, so daß ver hier eine bloße Intension bezeichnet, doch nur in einigen figürlichen Bedeutungen. (1) In ein Übel gerathen. In Sünde, in Laster verfallen, wofür man doch lieber fallen sagt. Da sieht man, wohin ein so böses Gemüth verfallen kann. In Strafe verfallen, straffällig werden. Unter das Todesurtheil Gottes verfallen seyn. (2) In weiterer Bedeutung ist auf etwas verfallen, so wie fallen, mit den Gedanken von ungefähr darauf gerathen, einen Einfall bekommen. Wie verfällst du darauf? Darum bin ich auf Blumen verfallen, weil sie jetzt selten sind. In beyden Fällen kann indessen auch die folgende vierte Bedeutung Statt finden. 2. Einfallen zu Boden fallen, eigentlich nur von Gebäuden und deren Theilen. Ein Haus ist verfallen, wenn es entweder ganz, oder zum Theil eingefallen ist. Der Brunnen war verfallen, Sir. 50, 3. Eine verfallene Mauer. Figürlich bedeutete es ehedem auch, in einen üblen Zustand der Nahrung, in Abnahme gerathen, ingleichen nicht mehr beobachtet, nicht mehr geübt werden. Das Christenthum verfällt. Wofür man jetzt lieber sagt, in Verfall kommen und gerathen. 3. * Von einem eingefallenen Dinge verschüttet werden; eine im Hochdeutschen fremde Bedeutung. Sind durch den Dampf erstickt, verfallen durch die Wände, Opitz. 4. In folgenden Fällen hat ver zunächst die Bedeutung des Fort, der Entfernung, doch mit verschiedenen Schattirungen. (1) In der Schifffahrt verfällt ein Schiff, wenn es von seinem Laufe abfällt. Schiffe, welche nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung segeln wollen, verfallen oft auf die Brastlische Küste. (2) Die Zeit ist verfallen, die bestimmte Zeit ist um, verstrichen; in welcher Bedeutung es noch hin und wieder gangbar ist. Am häufigsten gebraucht man es in diesem Verstande von Zahlungen, Schuldverschreibung u. s. f. wenn die Zeit, da eine Zahlung geschehen sollte, um ist. Ein Wechsel ist verfallen, wenn die Zahlungszeit da ist. (3) Einem andern Eigenthümer anheim fallen, doch nur, so fern solches so wohl durch Versäumniß der bestimmten Zeit, als auch durch Unterlassung der schuldigen Pflicht, geschiehet. Im erstern Falle verfällt ein Pfand, wenn es durch Versäumniß der bestimmten Einlösungszeit dem Inhaber anheim fällt. Verfallene Pfänder. Im Oberdeutschen gebraucht man dafür auch das Zeitwort verstehen; verstandene Pfänder. Im zweyten Falle verfällt ein Lehen, wenn es durch versäumte Lehensempfängniß, ingleichen durch unterlassene Lehenspflichten, dem Lehensherren anheim fällt. Eine Waare ist verfallen, wenn der gehörige Zoll davon nicht entrichtet wird. Sein Haus soll dem Gericht verfallen seyn, um der That willen, Esr. 6, 11. In ähnlichen Verstande wird auch verwirken gebraucht, nur daß dieses mehr Thätigkeit, verfallen aber mehr eine Unterlassung bezeichnet. Ungewöhnlich ist es im Hochdeutschen, wenn verfallen seyn in dieser Bedeutung mit der ersten Endung der Person und der vierten der Sache als ein Activum gebraucht wird. Das ist das Schuldopfer, das er dem Herren verfallen ist, 3 Mos. 5, 19. Sie sollten Habe, Geld und Land verfallen seyn, Opitz. In welchem letztern Beyspiele es in noch weiterm Verstande für verlustig seyn, oder verlustig gehen, stehet. (4) An gutem Wohlstande, an blühender Gesundheit abnehmen. Er verfällt ganz, sagt man von jemanden, welcher mager und kraftlos wird. Daß euch die Angesichte verfallen, und der Leib verschmachte, 3 Mos. 26, 16. Meine Gestalt ist ganz verfallen, Ps. 6, 8. Sein verfallnes Gesicht war in Schwermuth und Verdruß eingehüllet. Abfallen wird im gemeinen Leben in ähnlichem Verstande gebraucht.

(5) * Sterben, umkommen; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Eure Leiber sollen in der Wüste verfallen, 4 Mos. 14, 29, 32. Wenn aber beyde in Gott den Herren verfallen sind, in einer alten Urkunde. In andern Urkunden kommen auch die R. A. vor, Todes wegen verfallen, Todes halben verfallen, Todes verfallen, wo dieses Zeitwort so wie Todes verfahren gebraucht wird. Nach einer noch weitern, aber eben so veralteten Figur heißt es in der Deutschen Bibel: es ist keines von allen seinen Worten verfallen, 1 Kön. 8, 56, umgekommen, auf die Erde gefallen. So auch das Verfallen.


Verfällen (W3) [Adelung]


Verfällen, verb. reg. welches das Activum des vorigen ist, verfallen machen, aber im Hochdeutschen wenig gebraucht wird. 1. * Verfallen, d. i. einfallen machen, zerstören; eine im Hochdeutschen unbekannte Bedeutung. Der in ein rauhes Feld und Steine ließ verfällen Die Stadt Jerusalem mit ihren schönen Wällen, Opitz. 2. * Eine Jungfrau verfällen, sie zu Falle bringen, schwächen, im Oberdeutschen, welche Bedeutung im Hochdeutschen gleichfalls veraltet ist. 3. Durch Erbfall an jemanden verlassen, jemanden anheim fallen lassen, eine noch zuweilen in den Kanzelleyen übliche Bedeutung. Das von seinem Vater an ihn verfällete Gut. Die Grafschaft ist durch des letzten Grafen Absterben auf eine andere Linie verfället worden. 4. In ähnlicher, aber doch noch verschiedener Bedeutung verfället man etwas, wenn man sich durch unterlassene Pflicht des Eigenthumes desselben verlustig macht, wenn man es verwirket; ( S. Verfallen 4 (3).) Ein Lehen verfällen, durch einen Lehensfehler. Auch diese Bedeutung ist im Oberdeutschen gangbarer als im Hochdeutschen. So auch die Verfällung.


Verfalltag (W3) [Adelung]


Der Verfalltag, des -es, plur. die -e, die Verfallzeit, plur. die -en, S. der Verfall.


Verfälschen (W3) [Adelung]


Verfälschen, verb. reg. act. falsch machen, d. i. durch einen betrüglichen Zusatz schlechterer Dinge geringhaltiger machen, des wahren Werthes berauben. Die Münze, den Wein, das Geld, das Silber verfälschen. Verfälschte Waare. Das Wort Gottes verfälschen, 2 Cor. 2, 17; durch eigenmächtige Zusätze. So auch die Verfälschung.

Anm. Bey dem Notker gefelscen. In den spätern Zeiten gebrauchte man dafür auch nur das einfache fälschen.


Verfälscher (W3) [Adelung]


Der Verfälscher, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verfälscherinn, eine Person, welche ein Ding verfälscht, aus betrüglicher Absicht durch Beymischung eines schlechtern Dinges geringhaltiger macht.


Verfang (W3) [Adelung]


* Der Verfang, des -es, plur. car. ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Hauptwort, von dem folgenden Zeitworte. 1. Der Zustand, da etwas verfängt, als Mittel die verlangte Wirkung hervor bringt. Wo kein Verfang der Güter mehr zu hoffen ist. 2. Der Nachtheil. Seinen Erben zum Verfange ein Testament machen. 3. In einigen Gegenden wird der den Kindern gehörige väterliche oder mütterliche Theil das Verfangrecht genannt.


Verfangen (W3) [Adelung]


Verfangen, verb. irreg. ( S. Fangen,) welches auf doppelte Art gebraucht wird. I. Als ein Activum oder vielmehr als ein Reciprocum, wo es nach Maßgebung so wohl der Partikel, als auch des einfachen Zeitwortes, in verschiedenem Verstande üblich ist. 1. * Verpflichten, in Pflicht nehmen, und sich verfangen, sich verpflichten, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche indessen noch in den Oberdeutschen Urkunden vorkommt. 2. Sich verfangen, sich fangen lassen, sich in etwas, als in einem gelegten Netze verwickeln, eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher das noch mehr veraltete verfahren noch einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt. Daß du dich nicht verfähest in dem Silber oder Gold der Götzen, 5 Mos. 7, 25. Verfahe dich nicht an ihren Augenliedern, Sprichw. 7, 25. In figürlichem Verstande wird verfangen in den Rechten zuweilen für befangen gebraucht; in Streit verfangene Güter. In einem etwas andern Verstande sind in einigen Gegenden verfangene Güter, Güter welche mit einer Art von Fidel-Coinmiß belegt sind, mit welchen der Eigenthümer nicht nach Belieben schalten kann. ( S. Verfangenschaft.) 3. In nahe verwandter Bedeutung sagt man der Wind habe sich verfangen, wenn er in einem Raume gleichsam eingesperret oder gefangen ist, so daß er keinen freyen Ausgang hat. Der Wind verfängt sich in dem Mantel, Subjective verfängt man sich, wenn man in heftiger Bewegung allzu viele Luft einschlucket, so daß dadurch das Athemhohlen erschweret, und oft der Leib aufgetrieben wird, wo sich eigentlich die Luft in der Lunge verfängt. Die Windhunde verfangen sich, wenn sie zu heftig gegen den Wind laufen, welches auch von den Pferden und Menschen gilt. Bey den Pferden belegen ungeschickte Pferdeärzte mehrere ganz verschiedene Krankheiten mit dem Nahmen des Verfangens, vermuthlich, weil sie sich von außen durch einerley Merkmahle verrathen; z. B. Krankheiten, die von einem Trunke in der Hitze, von unterdrückter Ausdünstung u. s. f. herrühren, ( S. Rehe), welches gleichfalls ein Nahme dieser Krankheit ist. Übrigens ist für verfangen in dieser Bedeutung auch verschlagen üblich. 4. Oft wird verfangen auch für verbeißen gebraucht, zu heftig zubeißen oder fangen, so daß man den Mund nicht wieder öffnen kann, auf welche Art sich die Hunde zu verfangen pflegen. 5. Sich an etwas verfangen, vergreifen, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Sich an Gottes Geboth verfangen, in einer Schrift von 1540. 6. Im Bergbaue sagt man, das Erz verfange sich, wenn es seine Farbe an der Luft verliert und blaß wird, wie das rothgüldene Erz thut. Vielleicht ist es hier eine Figur der vorigen dritten Bedeutung. 7. * Sich verfangen, für unterfangen, ein im Hochdeutschen ungewöhnlicher Gebrauch. II. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, als ein Mittel, die verlangte Wirkung hervor bringen. Es verfängt nichts mehr bey ihm, es hilft nichts mehr, nichts thut einige Wirkung mehr. Es wollen weder Ermahnungen noch Züchtigungen etwas bey ihm verfangen. Die Arzeney will nichts mehr verfangen. Wenn fast kein Mittel mehr in solcher Noth verfing, Gryph. Diese Bedeutung ist alt. Das mir herunder al min kumber und min dienest niht verfaht, Ulrich von Gnotenburg. Ehedem gebrauchte man es auch in weiterer Bedeutung für helfen, nützlich seyn, und zwar nach dem Muster des Latein. juvare, mit der vierten Endung der Person. Was ist sie iro Wistuom verfangen? Notker, was hat ihnen ihre Weisheit geholfen? Swas ich der guoten ie gesang, Das hat mih noh vervangen niht, Graf Kraft von Toggenburg. Sin spehe rede in sol luizel wider mich vervahen, Reinmar der Alte. Es scheint, daß es in dieser Bedeutung nach dem Latein. proficere gebildet worden, so daß fangen und sahen hier in einer seiner weitesten Bedeutungen stehet. Indessen ist verschlagen in ähnlichem Verstande üblich. So auch das Verfangen, in den meisten der vorigen Bedeutungen.

Anm. Es scheint, daß es ehedem auch für anrechnen gebraucht worden Nieman im es vervienge Zeiner grossen missetat Ob er danne gienge, Reimar der Alte. Auch kommt sich verfahen für, sich verwundern, bey sich anstehen, in ältern Schriften vor, anderer veralteten Bedeutungen zu geschweigen.


Verfangenschaft (W3) [Adelung]


Die Verfangenschaft, plur. car. ein nur an einigen Orten, z. B. zu Ulm, Frankfurt, übliches Wort, dasjenige Recht zu bezeichnen, nach welchem die Güter des verstorbenen Ehegatten seinen Kindern zufallen, doch so, daß der Überlebende davon die Nutzung ziehe; der Verfang, das Verfangrecht. S. Verfangen I. 2.


Verfänglich (W3) [Adelung]


Verfänglich, -er, -ste, adj. et adv. von dem Zeitworte verfangen, doch nur in einigen Bedeutungen. 1. * Von verfangen II. die verlangte Wirkung thun, ist verfänglich, diese Wirkung gewährend; doch nur im Oberdeutschen. Die Vollziehung eines Befehles mit verfänglichem Ernste andeuten. 2. Von verfangen I. 2, in der veralteten thätigen Bedeutung des Fangens, wobey eine verborgene Gefahr, besonders eine verborgene Nachstellung möglich ist. Eine verfängliche Frage, welche darauf abzielet, jemanden zu fangen. Da es denn zuweilen auch für nachtheilig überhaupt gebraucht wird. Verfängliche Worte, welche der Ehre nachtheilig sind. Das ist mir verfänglich. Siehe Verfang.


Verfänglichkeit (W3) [Adelung]


Die Verfänglichkeit, plur. die -en. 1. Die Eigenschaft, da etwas verfänglich ist, ohne Plural. 2. Ein verfängliches Ding, mit dem Plural.


Verfärben (W3) [Adelung]


Verfärben, verb. reg. act. 1. Die Farbe verändern, doch nur als ein Reciprocum, im engern Verstande, die Gesichtsfarbe aus lebhafter innern Empfindung verändern, blaß, schamroth werden, wofür in der edlern Schreibart entfärben üblicher ist; sich verfärben. Seltener ist die active Form. Die Gräfinn verfärbte bescheiden die Wange, Zach. 2. Absolute und in Gestalt eines Neutrius sagt man im Jagdwesen, das Wildbret verfärbet oder färbet, wenn es sich im Frühlinge häret, die bleichen Winterhaare verlieret, und dafür das dunklere Sommerhaar bekommt. So auch das Verfärben.


Verfassen (W3) [Adelung]


Verfassen, verb. reg. act. wo ver eine Verbindung zu bezeichnen scheinet, daher verfassen eigentlich durch Fassen verbinden, zusammen fassen oder verbinden bedeutet. 1. Im eigentlichen Verstande, in welchem es noch zuweilen im gemeinen Leben vorkommt. In der Zimmermannskunst hat man Haupthölzer, welche zu oberst über den Ständern liegen, und sie also zusammen verfassen, verbinden. 2. In weiterm und figürlichem Verstande. (1) * Auf daß alle Dinge zusammen in ein Haupt verfasset würden in Christo, Ephes. 1, 10; verbunden, vereiniget. Da er die Tiefen mit seinem Ziel verfassete, Sprichw. 8, 27; einschränkte, in ihre Gränzen schloß. Das wird in diesem Worte verfasset u. s. f. Röm. 13, 9. In welchen Fällen es doch gleichfalls veraltet ist. (2) * Die Theile eines Ganzen in Ordnung und gehörige Verbindung bringen; eine gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher noch Verfassung üblicher ist, ( S. dasselbe.) (3) In engerm Verstande gebraucht man es, so wie abfassen, noch von schriftlichen Aufsätzen, eine Rede schriftlich aufsetzen, eigentlich, sie allen ihren Theilen nach gehörig verbinden. Einen Brief, eine Rechnung, eine Klage u. s. f. verfassen, sie aufsetzen. Ein Gedicht verfassen, es machen. Ein Buch verfassen, es schreiben, verfertigen. Daniel schrieb denselbigen Traum und verfassete ihn also, Daniel 7, 1; setzt ihn so auf. ( S. auch Abfassen.) Es fängt in dieser Bedeutung im Hochdeutschen an zu veralten, obgleich Verfasser noch vollkommen gangbar ist.


Verfasser (W3) [Adelung]


Der Verfasser, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verfasserinn, welche nur in der letzten Bedeutung der vorigen Zeitwortes üblich sind, eine Person zu bezeichnen, welche eine schriftliche Rede verfasset, d. i. aufgesetzt, verfertiget hat; der Urheber. Der Verfasser eines Briefes, eines Gedichtes, eines Aufsatzes, eines Buches u. s. f.


Verfassung (W3) [Adelung]


Die Verfassung, plur. die -en. 1. Die Handlung des Verfassens, wo es doch nur zuweilen im gemeinen Leben gebraucht wird; ohne Plural. 2. Figürlich, und von Verfassen 2 (2), die Art und Weise der Verbindung der Theile zu einem Ganzen, wo es doch nur in einigen wenigen Fällen gebraucht wird. Besonders ist die Verfassung eines Landes oder die Landesverfassung, die Art und Weise, wie dasselbe nach allen Theilen regieret und verwaltet wird; in welchem Falle auch der Plural gebraucht wird. Die Kreisverfassung, die innere Einrichtung eines Kreises. Zuweilen bezeichnet es auch die Verbindung der äußern und innern Umstände eines Menschen. Man muß ihm wegen seiner jetzigen Verfassung sehr liebreich nachsehen. In engerer Bedeutung und ohne Plural ist die Verfassung, die Verbindung der äußern Umstände zur Erreichung einer Absicht, die Anstalten, die Bereitschaft. Sich auf einen Krieg in gute Verfassung setzen. In guter Verfassung seyn, stehen. Sich zu einem Bau in Verfassung setzen, die nöthigen Anstalten dazu machen. Den Feind in schlechter Verfassung antreffen, in schlechter Bereitschaft. Außer aller Verfassung zu etwas seyn, ganz unbereitet. Ein Herz, das in der Verfassung steht, sich wegen des Mangels der äußern Güter zu beruhigen. Im gemeinen Leben ist dafür auch das ausländische Positur üblich, so wie man von der innern Verfassung des Gemüthes in einzelnen Fällen lieber Fassung gebraucht.


Verfaulen (W3) [Adelung]


Verfaulen, verb. reg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, durch die Fäulniß verzehret werden. In der Erde verfaulen. Verfaultes Holz. Daher das Verfaulen. Bey dem Notker irfulen, im Oberd. noch jetzt erfaulen. 2. Als ein Activum, faul machen, eine im Hochdeutschen ungewöhnliche Bedeutung. Wenn scharfe Pestilenzen Verfaulen Land und Luft, Opitz. In andern Oberdeutschen Gegenden ist dafür verfäulen üblich.


Verfaulenzen (W3) [Adelung]


+ Verfaulenzen, verb. reg. act. welches nur in der niedrigen Sprechart üblich ist, durch Faulenzen verderben, verlieren, verscherzen. Die Zeit verfaulenzen. Ein Glück verfaulenzen.


Verfechten (W3) [Adelung]


Verfechten, verb. irreg. act. ( S. Fechten,) für etwas fechten, es fechtend vertheidigen, wo es im eigentlichen Verstande nur noch zuweilen in der dichterischen Schreibart vorkommt. So lang' er noch geglaubt, daß er der Britten Rechte, Die Schottland an sich riß, durch seinen Muth verföchte, Weiße. Am häufigsten gebraucht man es in weiterm Verstande, mit Worten für etwas streiten, es vertheidigen. Jemandes Ehre verfechten. Die Wahrheit auf das muthigste verfechten, Sprichw. wer alles verfechten will, hat vieles zu rechten. Indessen ist auch hier von der Vertheidigung einer guten und gerechten Sache vertheidigen edler und üblicher. So auch das Verfechten, seltener die Verfechtung.


Verfechter (W3) [Adelung]


Der Verfechter, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verfechterinn, eine Person, welche etwas verficht, eine böse Sache vertheidigt, ingleichen eine gute Sache mit Heftigkeit und Ungestüm vertheidigt.


Verfedern (W3) [Adelung]


Verfedern, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur im Jagdwesen üblich ist, die Federn ändern, von dem Federwildbret, im gemeinen Leben, sich mausen. Der Vogel hat verfedert, wenn er sich gemauset hat.


Verfehlen (W3) [Adelung]


Verfehlen, verb. reg. act. aus einem Fehler, Versehen, das nicht treffen, was man treffen, berühren oder erreichen wollte, am häufigsten mit der vierten Endung der Sache. Den rechten Weg verfehlen. Das Ziel verfehlen, es nicht treffen. Eine Gelegenheit verfehlen. Im Oberdeutschen und der höhern Schreibart der Hochdeutschen auch mit der zweyten Endung. Des Weges, des Zieles verfehlen. Es würde sie schmerzen, deines Anblickes so zu verfehlen, Less. Ich horchte still, als ein Wandrer, Der seines Weges verfehlt, Weiße. Daher das Verfehlen.


Verfeinden (W3) [Adelung]


Verfeinden, verb. reg. act. welches, so wie anfeinden, nur im gemeinen Leben für hassen üblich ist. Die aber mich verfeinden, Opitz Ps. 42.


Verfeinern (W3) [Adelung]


Verfeinern, verb. reg. act. feiner machen, am häufigsten im figürlichen Verstande. Die Sitten und Gesinnungen verfeinern. Die Sprache wird sich bald durch den Umgang verfeinern. Sie wissen nicht, wie bald die Liebe solche Herzen verfeinern kann. Daher die Verfeinerung.


Verfertigen (W3) [Adelung]


Verfertigen, verb. reg. act. eigentlich völlig fertig machen, so daß ver eine intensive Bedeutung hat. Indessen wird es nur im weitern Verstande gebraucht, als ein Werk der Kunst, im weitern Verstande, hervor bringen. So wohl von körperlichen Werken. Der Schneider verfertigt ein Kleid, der Schuster ein Paar Schuh. Den Band eines Buches aus Leder verfertigen. Ein Gemählde, eine Bildsäule, eine Zeichnung verfertigen. Wo es oft als ein edlerer Ausdruck für das niedrigere machen, üblich ist, obgleich dieses in manchen Fällen nur allein gebraucht werden kann; z. B. Butter, Käse, Würste machen, nicht verfertigen. Auch in solchen Fällen, wo diese Hervorbringung ihr eigenes Zeitwort hat, ist das unbestimmtere verfertigen nicht üblich. Ein Haus bauen, eine Mauer führen, aufführen, einen Graben ziehen oder führen, einen Teich graben, einen Kranz winden u. s. f. nicht verfertigen. Als auch von Werken des Geistes, doch nur in einigen Fällen. Ein Gedicht, ein Buch, einen Aufsatz verfertigen. So auch die Verfertigung.

Anm. Es wird jetzt nur von Werken der Kunst gebraucht, daher es in dem Verstande, worin es 2 Cor. 5, 9 vorkommt: daß sie voran zögen zu euch, zu verfertigen diesen zuvor verheißenen Segen, d. i. die versprochene Steuer zu sammeln und in Bereitschaft zu halten, sie fertig zu halten, ungewöhnlich ist. So fern fertigen auch verschicken bedeutet, ist verfertigen im Oberdeutschen auch verschicken, versenden. Güter, Waaren verfertigen.


Verfertiger (W3) [Adelung]


Der Verfertiger, des -s, plur. ut nom. sing. derjenige, welcher etwas verfertiget oder verfertigt hat. Von Werken des Geistes ist dafür Verfasser zuweilen das noch allgemeinere Urheber gewöhnlich.


Verfesten (W3) [Adelung]


Verfesten, verb. reg. act. ein veraltetes, nur noch hin und wieder in den Rechten übliches Wort, fest setzen, in das Gefängniß werfen. Einen ergriffenen Übelthäter verfesten. S. auch die Verfestung.


Verfeuern (W3) [Adelung]


Verfeuern, verb. reg. act. 1. Durch Feuern verzehren, alle machen. Viel Holz verfeuern. Ingleichen, so fern feuern aus Feuergewehren schießen bedeutet. Alles Pulver, alle Patronen verfeuert haben. 2. In der Jägerey bedeutet es ein Jagen, oder den Platz, worin sich das Wild vor der Jagd befindet, mit angemachtem Feuer umgeben, welches auch befeuern genannt wird. So auch die Verfeuerung.


Verfilzen (W3) [Adelung]


Verfilzen, verb. reg. act. zu einem Filz unter einander verwickeln. Die Haare verfilzen. Verfilzte Haare. Daher die Verfilzung.


Verfinstern (W3) [Adelung]


Verfinstern, verb. reg. act. finster machen, wie verdunkeln, dunkel machen. Die Heuschrecken verfinstern das ganze Land. 2 Mos. 10, 15. Sonne und Mond werden verfinstert, wenn uns ihr Licht durch einen dazwischen getretenen dunkeln Körper entzogen wird. Ein Zimmer verfinstern, es finster machen. Ingleichen figürlich. Ihr Herz ist verfinstert, Röm. 1, 21. Noch mehr von dem Verstande, wie Ephes. 4, 18. Daher die Verfinsterung. Bey dem Notker beuinstiren.


Verfirsten (W3) [Adelung]


Verfirsten, verb. reg. act. mit einer Firste versehen. Ein Dach verfirsten, die Firste oder Spitze des Daches wider Schnee und Regen verwahren. Daher die Verfirstung.


Verfitzen (W3) [Adelung]


Verfitzen, verb. reg. act. welches im gemeinen Leben verwirren, verwickeln üblich ist. Ein Gespinnst verfitzen. Verfitzte Fäden. Verfitzte Haare, verworrene. Sich mit den Füßen in einen Strick verfitzen. Daher die Verfitzung.


Verflächen (W3) [Adelung]


Verflächen, verb. reg. act. Sich verflächen, sich in die Fläche verlieren, von Bergen, Anhöhen u. s. f.


Verflackern (W3) [Adelung]


Verflackern, verb. reg. act. S. Flackern.


Verflechten (W3) [Adelung]


Verflechten, verb. irreg. act. ( S. Flechten.) 1. In einander flechten. Fest in einander verflochtene Zweige. Ingleichen figürlich. Durch das Labyrinth verflochtner Hindernisse, Dusch. 2. Falsch flechten. 3. Durch Flechten, als Materialien, erschöpfen. Alle Reiser, allen Bindfaden verflechten. So auch die Verflechtung.


Verflicken (W3) [Adelung]


Verflicken, verb. reg. act. durch Flicken als Materialien erschöpfen, alle machen. Allen Zwirn, alle Lappen verflicken.


Verfliegen (W3) [Adelung]


Verfliegen, verb. irreg. neutr. ( S. Fliegen,) welches das Hülfswort seyn erfordert. 2. Sich fliegend entfernen, wo es nur in weiterm Verstande von Dünsten und Dämpfen, und was damit eine Ähnlichkeit hat, gebraucht wird. Die Kraft des Weines ist verflogen. Das Wasser der See ist in Dünste verflogen, Hiob 24, 11; nach Michaelis Übersetzung. Der Geruch verfliegt in der freyen Luft. Ingleichen figürlich. Die Hitze der Soldaten verfliegen lassen. Lassen sie ihren Zorn hier verfliegen! Gell. Nach einer noch weitern Figur schnell vorbey eilen, besonders von der Zeit und ihren Theilen. So schnell mir auch die Augenblicke verfliegen. 2. Zu weit fliegen, ingleichen sich im Fluge verirren, von dem Geflügel. Der Falk verfliegt sich, wenn er sich im Fluge verirret. Wahr ist es, dieser Schwan fliegt wenig, Doch er verfliegt sich nicht, Haged. So auch das Verfliegen.


Verfließen (W3) [Adelung]


Verfließen, verb. irreg. neutr. ( S. Fließen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, abfließen, sich fließend entfernen und zugleich erschöpft werden, zunächst von flüssigen Dingen. Das Wasser nahm ab und verfloß, Jos. 3, 16. Das Wasser wird verfließen müssen, Nahum. 2, 9. Noch häufiger figürlich von der Zeit und ihren Theilen. So wohl überhaupt. Die Zeit verfließet, gehet vorüber. Wie schnell verfließen uns die angenehmen Augenblicke! Als auch von einer bestimmten Zeit. Die Zeit ist verflossen, die bestimmte Zeit ist vorbey. Es ist ein Jahr verflossen, seitdem ich ihn nicht gesehen habe. Ehe drey Monathe verflossen sind. Daher die Verfließung, am häufigsten von einer bestimmten Zeit. Nach Verfließung dreyer Tage, wofür auch das im eigentlichen Verstande ungewöhnliche Verfluß gebraucht wird. Nach Verfluß dieser Zeit, nach deren Verlauf, Endigung.


Verflistern (W3) [Adelung]


Verflistern, verb. reg. act. mit Flistern verbringen. Den langen Abend zu verflistern, Kleist.


Verflößen (W3) [Adelung]


Verflößen, verb. reg. welches das Activum von verfließen im eigentlichen Verstande ist, in die Ferne flößen, durch Flößen verführen. Holz verflößen. Daher die Verflößung.


Verfluchen (W3) [Adelung]


Verfluchen, verb. reg. act. 1. Mit einem Fluche die Unterlassung eines Dinges angeloben; nur im gemeinen Leben. Das Spielen verfluchen, es verschwören. 1. Mit einem Fluche aus der Reihe glücklicher Dinge entfernen, den höchsten Grad immerwährenden Unglückes mit einem Fluche anwünschen, ein höherer Grad, als verwünschen. Jemanden verfluchen. Hiob verfluchte den Tag seiner Geburt. Christus den Feigenbaum. Liebe, wie oft habe ich deine Fesseln verflucht! In der Deutschen Bibel bedeutet es mehrmahls, theils in einen unglücklichern Zustand versetzen und diese Versetzung ankündigen, verflucht sey der Acker um deinet willen, die Erde verfluchen; theils auch den höchsten Grad immerwährenden Unglücks nach Verdienst ankündigen; verflucht sey, wer seinem Vater oder Mutter flucht, 5 Mos. 27, 16. f. Das Mittelwort verflucht ist, besonders im gemeinen Leben, von einem noch weitern Umfange, als das Zeitwort. Man gebraucht es theils als ein Beywort für im höchsten Grade verabscheuungs hassenswürdig. Ein verfluchter Mensch. Das verfluchte Spiel. Damiens verfluchte That. Verflucht sey dieser Schmeichler, sey diese Sclavenhand, Die um den Schlaf der Ruhmsucht den ersten Lorber wand! Dusch. Theils als ein Nebenwort in den niedrigen Sprecharten für sehr, im hohen Grade, von unangenehmen Dingen. Das ist doch verflucht ungezogen. Verflucht schwer, grob u. s. f. Da es denn auch oft als ein unnützer Ausruf, besonders bey unangenehmen Dingen, gebraucht wird. Ey, verflucht! 3. Sich verfluchen, mit einem Fluche, und in noch weiterm Verstande, mit einem Schwure betheuern; doch nur im gemeinen Leben. Petrus hub an, sich zu verfluchen und zu schwören, Matth. 26, 74. Daher die Verfluchung, in der zweyten Bedeutung, und das Verfluchen, in der ersten.

Anm. Im Nieders. verflöken, schon in dem alten Fragmente auf Carln den Großen bey dem Schilter verflochen.


Verflucher (W3) [Adelung]


Der Verflucher, des -s, plur. ut nom. sing. derjenige, welcher einen andern verflucht; ein ungewöhnliches, nur Hiob 3, 8. befindliches Wort.


Verflüchtigen (W3) [Adelung]


Verflüchtigen, verb. reg. act. flüchtig machen, doch nur in der Chymie, einen mineralischen Körper in Dämpfen verfliegen machen. Schwefel und Arsenik verflüchtigen. Daher die Verflüchtigung.


Verfluß (W3) [Adelung]


Der Verfluß, des -sses, plur. car. von dem Zeitworte verfließen, die Endigung einer bestimmten Zeit und ihrer Theile, wofür auch Verfließung und Verlauf üblich sind. Nach Verfluß dieser Zeit. Vor Verfluß des Jahres. In andern Verbindungen, als mit den Vorwörtern vor und nach, wird es wenig gebraucht.


Verfolg (W3) [Adelung]


Der Verfolg, des -es, plur. car. von dem folgenden Zeitworte, ein nur von der Fortsetzung einer Handlung oder Erzählung übliches Wort. Wie man im Verfolge der Erzählung sehen wird, Gell. Das wird aus dem Verfolg der Sache erhellen.


Verfolgen (W3) [Adelung]


Verfolgen, verb. reg. act. einem Dinge folgen oder nacheilen, um denselben Schaden zuzufügen. 1. Eigentlich. Ein Thier auf der Jagd verfolgen. Den flüchtigen Feind verfolgen. Den Feind durch die Reiterey verfolgen lassen. Einen ausgerissenen Übelthäter verfolgen. Jemanden mit Steinen, mit Schmähungen, mit Steckbriefen verfolgen. Alle diese Flüche werden dich verfolgen, 5 Mos. 28, 45. Unglück verfolgt die Sünder, Sprichw. 13, 21. Traurige Ahndungen verfolgen mich, und die Nächte quälen mich mit fürchterlichen Träumen. Weiße. Hat ein Unmuth je mich in deine Arme verfolgt? Geßn. Wo es oft für das einfache folgen gebraucht wird, doch allemahl nur von einem lästigen, schädlichen oder unangenehmen Dinge. 2. Figürlich. (1) In engerer Bedeutung verfolget man jemanden, wenn man ihm ohne dessen Verschulden, ingleichen, um seines guten Verhaltens willen, bey allen Gelegenheiten Schaden zuzufügen sucht; in welcher Bedeutung es in der Deutschen Bibel häufig vorkommt. Der Fromme wird verfolgt. Jemanden um der Religion willen verfolgen. (2) In noch engerer Bedeutung verfolget man, wenn man andere durch äußere Zwangsmittel zu Annehmung einer Religion zu nöthigen sucht, in welcher Bedeutung es gemeiniglich absolute gebraucht wird, und dem dulden, so wie Verfolgung der Duldung und Duldsamkeit, entgegen stehet. Verfolgend seyn. (3) Fortsetzen, doch nur noch in einigen Fällen. Seinen Weg, seine Reise verfolgen. Verfolge nun ferner Deinen Weg von diesem Flusse nach jenen Gefilden, Zach. Sein Recht verfolgen, fortfahren es zu suchen. S. Verfolg. Anm. Es scheinet nach dem Muster des Latein. persequi gebildet zu seyn. Bey den Pferdgelehrten wird verfolgen und Verfolgung in manchen Gegenden in engerer Bedeutung gebraucht, wenn von zwey hinter einander gehenden Pferden das hintere so nahe an das vordere geht, daß es demselben mit den Vordereisen in die hintern Fersen tritt.


Verfolger (W3) [Adelung]


Der Verfolger, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verfolgerinn, eine Person, welche die andere verfolgt, am häufigsten in den beyden ersten figürlichen Bedeutungen. Hilf mir von allen Verfolgern, Ps. 7, 2. Die Andacht ist eine Krankheit kleiner Seelen; sie macht einen Fürsten allemahl zu einem Verfolger und seine Unterthanen zu Schwärmern. In der letzten Bedeutung ist es nicht gewöhnlich.


Verfolglich (W3) [Adelung]


* Verfolglich, adv. welches im Oberdeutschen und den gemeinen Sprecharten der Hochdeutschen für folglich gebraucht wird, der anständigen Schreibart aber fremd ist.


Verfolgung (W3) [Adelung]


Die Verfolgung, plur. die -en, die Handlung des Verfolgens, in allen Bedeutungen des Zeitwortes. Die Verfolgung des flüchtigen Feindes. In der ersten figürlichen Bedeutung ist die Verfolgung das Bestreben, andern ohne ihr Verschulden, oder um einer guten Sache willen, zu schaden; in der zweyten aber, das Bestreben, eine Religion durch äußere Gewalt und Zwangsmittel auszubreiten. Daher der Verfolgungsgeist, die herrschende Nei- gung, dazu. Die zehn Hauptverfolgungen der Christen. Kero, Ottfried und Notker gebrauchen statt dieses Wortes noch Ahta, Achtung, Achtunga, von Acht, ächten.


Verforsten (W3) [Adelung]


Verforsten, verb. reg. act. Im Forstwesen einiger Gegenden. Einen Baum verforsten, die Forstgebühren davon erlegen. So auch die Verforstung.


Verfrachten (W3) [Adelung]


Verfrachten, verb. reg. act. 1. Das Frachtgeld von etwas geben, im gemeinen Leben einiger Gegenden. 2. In die Ferne frachten, d. i. als Fracht in die Ferne schicken oder befördern. Waaren verfrachten. So auch die Verfrachtung.


Verfressen (W3) [Adelung]


Verfressen, verb. irreg. act. ( S. Fressen.) 1. Durch Fressen, d. i. Unmässigkeit im Essen, verzehren. Sein Vermögen, das Seinige verfressen. 2. Verfressen seyn, nur im Mittelworte, eine unmäßige Begierde zu essen haben, in der niedrigen Sprechart, wie versoffen, verbuhlt, verliebt u. s. f. Ein verfressener Mensch. S. Ver 5.


Verfrieden (W3) [Adelung]


Verfrieden, verb. reg. act. im gemeinen Leben einiger Gegenden, mit einer Befriedigung umgeben, befriedigen. Einen Acker, einen Garten verfrieden. So auch die Verfriedung. S. Friede.


Verfrieren (W3) [Adelung]


Verfrieren, verb. irreg. neutr. ( S. Frieren,) welches das Hülfswort seyn erfordert. 1. Im gemeinen Leben für das edlere erfrieren. 2. Das Mittelwort verfroren wird zuweilen, doch auch nur im gemeinen Leben, für frostig, geneigt, leicht zu frieren, gebraucht. Ein verfrorener Mensch. Verfroren seyn. In welchem Verstande erfroren nicht üblich ist. S. Ver 5.


Verfröhnen (W3) [Adelung]


Verfröhnen, verb. reg. act. die Frohndienste von etwas leisten. Sein Gut verfröhnen. Ingleichen in einer andern Verbindung: es sind von dem Gute zwey Pferde zu verfröhnen, das Gut muß mit zwey Pferden Frohndienste leisten.


Verfuchsschwänzen (W3) [Adelung]


Verfuchsschwänzen, verb. reg. act. welches nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist. Jemanden bey einem andern verfuchsschwänzen, ihm durch Fuchsschwänzerey, d. i. Schmeicheley, bey demselben nachtheilig werden. S. Fuchsschwänzen.


Verfügen (W3) [Adelung]


Verfügen, verb. reg. act. welches in doppelter Bedeutung üblich ist. 1. Anstalt treffen, veranstalten; zunächst durch einen Befehl, als ein gelinder Ausdruck für das härtere befehlen. Den Aufbruch der Truppen verfügen. Verfügen, daß etwas geschehe. Die Verfügung thun. Es ist in diesem Verstande im Oberdeutschen am häufigsten. Üblicher ist es im Hochdeutschen, für Anstalt treffen, veranstalten, besonders durch ertheilte Befehle, wo doch auch Verfügung treffen gangbarer ist. Jemandes Verfügung billigen, tadeln. Fügen und Fügung werden in ähnlichem Verstande gebraucht. 2. Sich verfügen, sich an einen Ort begeben, ohne nähere Bezeichnung der Art und Weise. Sich auf das Land, in die Kirche, zu einem Freund verfügen. Ich habe mich bey Zeiten hierher verfügt. Daher die Verfügung.

Anm. In der zweyten Bedeutung war ehedem auch das einzelne fügen gangbar, bey dem Ottfried fuagen. So fueg dich auf die hohen platten, Theuerd. Kap. 47.


Verführen (W3) [Adelung]


Verführen, verb. reg. act. 1. Für das einfache führen, doch in einer jetzt veralteten Bedeutung, so daß ver eine bloße Intension bezeichnet. Einen Lärmen, ein großes Geschrey verführen, d. i. erheben und fortsetzen. Nicht, wie der rohe Schwarm, der ein Geschrey verführt, Wenn wo ein Bürgerweib ein Kind zur Welt gebiert, Bernh. Man gebraucht es nur mit den schon angezeigten und einigen ähnlichen Hauptwörtern. 2. In die Ferne führen, es geschehe nun auf der Achse oder auf einem Schiffe. Waaren, Güter verführen, wie der Fuhrmann und Schiffer thun. 3. Irre führen, falsch führen, S. Ver 1. (2) (3). (1) Eigentlich. Von seinem Weg- weiser verführet werden, wofür man doch lieber sagt, irre geführet werden. Wie ein Irrlicht, welches den Wanderer verführet. Noch häufiger, (2) Figürlich, durch Beybringung unrichtiger Vorstellungen zu einer bösen Handlung bewegen, wo dieses Zeitwort freylich mehr sagt und härter ist, als verleiten, ( S. dasselbe.) Jemanden zu etwas verführen. Die Israeliten ließen sich verführen, andere Götter anzubethen, 5 Mos. 30, 17. Sich von dem Zorne, von der Sinnlichkeit verführen lassen. Ingleichen absolute, durch irrige Vorstellungen jemandes Sitten verschlimmern. Einen jungen Menschen verführen. Er ist schon verführet worden. In weiterm Verstande bedeutet es oft, doch gemeiniglich nur im Scherze jemanden durch Vorstellungen, besonders durch sinnliche Vorstellungen, zu etwas bewegen, welches er vorher nicht willens war. Jemanden zu einem Spaziergange verführen. Daher die Verführung, besonders in dieser letzten Bedeutung, die Handlung, da man andere verführet, zuweilen auch der Zustand, da man verführet wird. Sich vor der Verführung bewahren. Ingleichen die Gelegenheit verführet zu werden. In volkreichen Städten ist die Verführung immer groß.

Anm. Notker gebraucht ferfuoren und verfuoren in den jetzt veralteten Bedeutungen des Wegführens und Versetzens.


Verführer (W3) [Adelung]


Der Verführer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verführerinn, nur in der letzten Bedeutung des vorigen Zeitwortes, eine Person, welche durch irrige Vorstellungen eine andere zum Bösen bewegt. Ein Verführer des Volkes. Die Verführer deiner Jugend.


Verführerisch (W3) [Adelung]


Verführerisch, -er, -te, adj. et adv. gleichfalls nur in der letztern Bedeutung, besonders sinnliche Bewegungsgründe zum Bösen gewährend und enthaltend. Der verführerische Glanz des Goldes. Die verführerische Stimme der Sirenen. Der Stolz ist ein gutes Gegengift wider die verführerische Schmeicheley der Mannspersonen, Sonnenf. Ingleichen in weiterer unschuldiger Bedeutung, sinnliche Bewegungsgründe zu etwas gewährend. Das ist sehr verführerisch.

Anm. Es ist zunächst von dem vorigen Hauptworte gebildet, wie heuchlerisch, schöpferisch, Schweitzerisch, diebisch u. s. f. von Heuchler, Schöpfer, Schweitzer, Dieb. Luthers verführisch hingegen, von dem Zeitworte verführen, ist im Hochdeutschen nicht gewöhnlich. Es ist eitel nichts und ein verführisch Werk, Jer. 10, 15. Sie werden anhangen den verführischen Geistern, 1 Tim. 4, 1.


Verfüttern (W3) [Adelung]


Verfüttern, verb. reg. act. 1. Als Futter gebrauchen. Hier wird für die Pferde nichts als Hafer verfüttert. 2. Als Futter verbrauchen, alle machen. Alles Heu, alles Stroh verfüttern. 3. Durch ungebührliches Füttern, oder schädliches Futter verderben. Das Pferd ist schon verfüttert. Daher das Verfüttern, und obgleich seltener, die Verfütterung.


Vergaffen (W3) [Adelung]


Vergaffen, verb. reg. recipr. sich an oder in etwas vergaffen, durch den bloßen äußern Schein desselben zur Begierde gereitzet werden. Sich in eine Person vergaffen, verlieben. Du hast dich in die Welt vergafft, Cron. Zuweilen auch im Mittelworte und mit seyn, in etwas vergafft seyn. Er ist so vergafft in sie, daß er sie lieber heut als morgen nähme, Less.


Vergähren (W3) [Adelung]


Vergähren, verb. irreg. neutr. ( S. Gähren,) welches das Hülfswort haben erfordert. nach Vollendung des Gährens aufhören zu gähren, im gemeinen Leben auch ausgähren. Der Most, das Bier hat vergohren. 2. Zu viel gähren, sich übergähren.


Vergallen,Vergällen (W3) [Adelung]


Vergallen und Vergällen, verb. reg. act. 1. Den Fisch vergällen, in den Küchen, die Galle im Ausnehmen zerreißen, und dadurch dem Fische einen bittern Geschmack beybringen, wo es auch wohl vergallen lautet. 2. Figürlich vergällt man jemanden etwas, wenn man ihm den Genuß einer angenehmen Sache im hohen Grade unangenehm macht, im hohen Grade verbittern. Das vergällt mir das Leben. Ich wünsche mir auf dieser Welt Nur den Genuß der Zärtlichkeiten, Die Neid und Argwohn nicht vergällt, Haged. 3. Nach einer andern Figur ist ein vergalltes Gemüth, ein mit bitterm Hasse und Grolle angefülltes Gemüth, in welchem Verstande vergällt nicht gewöhnlich ist.


Vergänglich (W3) [Adelung]


Vergänglich, -er, -ste, adj. et adv. fähig und geneigt zu vergehen. Alles ist in der Welt vergänglich. In engerer Bedeutung, was leicht, was bald vergehet; beydes im Gegensatze des unvergänglich. Vergängliche Farben, welche leicht und bald verschießen. Die vergängliche Freude. Wie vergänglich ist alles unter dem Monde! Im Niedersächsischen hat man noch das Hauptwort der Vergang, welches daselbst für das folgende Vergänglichkeit gebraucht wird; in dem Zeuge ist kein Vergang, er ist unvergänglich, nicht zu verwüsten.


Vergänglichkeit (W3) [Adelung]


Die Vergänglichkeit, plur. inus. die Eigenschaft eines Dinges, da es vergänglich ist. Zuweilen auch der Zusammenhang aller vergänglichen Dinge auf Erden.


Verganten (W3) [Adelung]


Verganten, verb. reg. act. ein nur in einigen Oberdeutschen Gegenden übliches Wort, an den Meistbiethenden verkaufen, wofür im Hochdeutschen veranctioniren gebraucht wird. So auch die Vergantung. S. Gant.


Vergatten (W3) [Adelung]


Vergatten, verb. reg. act. 1. * Verbinden, ein jetzt veraltetes Wort. Es scheint, daß das jetzige verkröpfen der Tischler ehedem vergatten genannt worden, wenigstens wird bey ihnen noch derjenige kleine, gemeiniglich eiserne Hobel, womit die Göhrung, d. i. die diagonale Fläche an denjenigen Dingen, welche verkröpfet werden sollen, bestoßen wird, der Vergatthobel genannt. Es stammt in dieser Bedeutung unstreitig von gatten, zusammen fügen, her. 2. In einem andern Verstande wird es in der Landwirthschaft einiger Gegenden, z. B. Obersachsens, gebraucht. Die Felder mit seinen eigenen Pferden pflügen und vergatten; wo es so viel als bestellen zu bezeichnen scheinet. So auch die Vergattung.


Vergattern (W3) [Adelung]


1. Vergattern, verb. reg. act. mit einem Gatter oder Gitter verschließen, verwahren, besonders im Niedersächsischen, wo es vergadern lautet. Daher die Vergatterung.


Vergattern (W3) [Adelung]


2. Vergattern, verb. reg. act. welches nur bey den Soldaten üblich ist, wo man die Soldaten vergattert, wenn man sie durch den Trommelschlag zusammen beruft, wofür man doch häufiger Vergatterung schlagen sagt. Vergattern ist das Iterativum von dem vorigen vergatten, und bedeutet eigentlich versammeln, Nieders. gadern, vergadern, Engl. gather. Wenn der Trommelschlag Abends bey Verschließung der Gatter oder Thore, der Zapfenstreich, die Vergatterung hieße, alsdann würde es das vorige Zeitwort seyn. S. Gattern.


Vergatthobel (W3) [Adelung]


Der Vergatthobel, des -s, plur. ut nom. sing. S. Vergatten.


Vergeben (W3) [Adelung]


Vergeben, verb. irreg. act. ( S. Geben,) welches in verschiedenen Bedeutungen vorkommt. 1. Falsch geben, von Ver 1 (2) (g). Sich vergeben, sich im Geben oder Ausgeben irren. Die Karten vergeben, sie falsch geben. Die Karten sind vergeben. Daher das Vergeben, indem die Vergebung in dieser Bedeutung nicht üblich ist. 2. Die bestimmten Abgaben von etwas geben, mit dem Accusativ dieses etwas. Eine Waare vergeben, die Accise, den Zoll davon geben. Der Wein ist noch nicht vergeben. Sein Vermögen vergeben, die Vermögensteuer davon entrichten. Es ist hier ein allgemeiner Ausdruck, welcher das versteuern, veraccisiren, verzollen u. s. f. unter sich begreift. 3. Gift beybringen, und dadurch tödten, durch Gift hinrichten. Man gebrauchte es ehedem mit der dritten Endung der Person. Einem im Essen vergeben, Theuerd. Es ist ihm vergeben worden. Leider, ihm ward vergeben, Hornegk. Im Oberdeutschen sagt man noch jetzt einem mit Gift vergeben. im Hochdeutschen gebraucht man es nie anders, als mit der vierten Endung der Person. Jemand vergeben, oder ihn mit Gift vergeben. Er ist vergeben worden. Katzen und Mäuse vergeben. Sich selbst vergeben. Die Vorsylbe scheint hier eine Destruction zu bezeichnen, S. Ver 1 (2) (h). Daher das Vergeben, und, obgleich seltener, die Vergebung. 4. * Ohne Wirkung, ohne gehofften Nutzen geben, so daß die Partikel die Bedeutung des Verlustes hat, S. Ver 1 (2) (c). Es ist in dieser Bedeutung veraltet, von welcher indessen doch vergebens und vergeblich noch üblich sind. In einigen Gegenden, z. B. in Obersachsen, wird auch noch das Mittelwort vergeben für das sonst üblichere vergeblich gebraucht. Einem vergebene Mühe machen, Less. Eine vergebene Reise, Gell. Vergebene Eide schwören, Raben. 5. * Umsonst, ohne Lohn geben, eine mit der vorigen sehr nahe verwandte Bedeutung, welche aber gleichfalls veraltet ist. Das vergebene Himmelbrot, Geb. Frank, das umsonst gegebene. 6. Weggeben, an einem andern geben, wo ver die erste eigentliche Bedeutung der Entfernung hat. (1) Eigentlich, wo es doch nur in einigen Fällen üblich ist. Meine Hand ist schon vergeben. Seine Tochter vergeben, sie jemanden zur Ehe versprechen, in einigen Gegenden auch, sie ausstatten. Den ausgesetzten Preis vergeben. Ein Stipendium, ein Amt, eine Bedienung vergeben. Die Stelle ist noch nicht vergeben. Wenn die Person ausgedruckt werden soll, so bekommt sie das Vorwort an. Ein Amt an jemanden vergeben. So auch die Vergebung. (2) Figürlich, mit der dritten Endung der Person, sich oder einem andern etwas vergeben, etwas von seinen oder des andern Befugnissen zu seinem oder dessen Nachtheile fahren lassen. Ich kann mir, meinem Rechte nichts vergeben, ich kann nichts von meinen Gerechtsamen zu meinem Nachtheile fahren lassen. Seinem Nachfolger etwas vergeben. Seiner Würde etwas vergeben, etwas thun oder dulden, was seiner Würde nicht angemessen ist. Er vergibt sich nichts, thut oder leidet nichts, was ihm nachtheilig wäre. 7. Die Schuld und Strafe einer zugefügten Beleidigung erlassen, und zugleich den durch die Beleidigung verursachten Unwillen fahren lassen, im mittlern Lat. condonare, perdonare, im Franz. pardonner. Es scheinet in dieser Bedeutung eine Fortsetzung der vorigen zu seyn. Es lautet in derselben schon bey dem Ottfried firgeban, im Angels. forgifan, Engl. forgive. Jemanden ein Verbrechen, eine Beleidigung vergeben. Vergebet, so wird euch vergeben, Luc. 6, 37. Gott vergibt die Sünde. Das kann ich dir nicht vergeben. In weiterm Verstande bedeutet es oft den Unwillen wegen einer Handlung fahren lassen. Ich würde es mir niemahls vergeben, wenn ich ihn unglücklich gemacht hätte. Vergeben wird in dieser Bedeutung am häufigsten, theils im theologischen Verstande von Gott, theils auch im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart gebraucht; in der edlern, besonders von hohen Personen, ist verzeihen, und von der gerichtlichen Erlassung der Schuld und Strafe, begnadigen üblicher. Daher die Vergebung. Die Vergebung der Sünden, einer Beleidigung u. s. f. Anm. Kero gebraucht farkeban für das einfache geben, der alte Übersetzer Isidors aber firgheban für constitutum.


Vergebens (W3) [Adelung]


Vergebens, adv. 1. * Umsonst, ohne Vergeltung, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche indessen noch in einigen Oberdeutschen Gegenden gangbar ist. Sie stammet von vergeben her, so fern es ehedem auch ohne Vergeltung geben, bedeutete. 2. Ohne Erreichung der vor Augen gehabten Absicht, wofür auch das folgende vergeblich gebraucht wird. Jemanden vergebens anflehen, ohne von ihm gehöret oder erhöret zu werden. Du bemühest dich vergebens, ohne die Absicht zu erreichen. Alle Arbeit ist vergebens. Soll ich ihn vergebens auf einen Brief hoffen lassen? Vergebens bemühete ich mich, den Streit beyzulegen. Ich suchte ihn vergebens, ohne ihn zu finden. Du strebest glücklicher zu werden, Und stehst, daß du vergebens strebst, Gell. Vergebens lächelt ihr im angenehmen Garten Die blühende Natur Zufriedenheit und Ruh, Zach. Anm. In einigen Niederdeutschen Gegenden vergywisk. Das Schwed. förgäfves hat beyde Bedeutungen. Unser vergebens ist vermittelst des adverbischen s aus dem schon oben gedachten Mittelworte vergeben gebildet, welches in eben demselben Verstande, als ein Bey- und Nebenwort gebraucht wird, aber im Hochdeutschen doch seltener vorkommt. Schon bey dem Notker ist fergebono so wohl umsonst, gratis, als auch vergebens, frustra.


Vergeblich (W3) [Adelung]


Vergeblich, -er, -ste, adj. et adv. gleichfalls von dem Zeitworte vergeben. 1. Was vergeben werden kann, in der letzten Bedeutung des Zeitwortes und im Gegensatze des unvergeblich. Eine vergebliche Sünde, eine erlaßliche. Indessen wird es in dieser Bedeutung nur selten gebraucht. 2. Von vergeben, ohne Erreichung seiner Absicht geben, ist vergeblich, was ohne Erreichung der dabey gehabten Absicht ist oder geschiehet, für das minder übliche vergeben, und in der Adverbial-Form, wie vergebens. Vergebliche Worte, Ephes. 5, 6, welche ihre Absicht nicht erreichen, und also von den unnützen noch verschieden sind. Sich viele vergebliche Mühe machen. Alle deine Arbeit ist vergeblich. Seine Gnade ist nicht an mir vergeblich gewesen, 1 Cor. 15, 10. So durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben, Gal. 2, 21. Vergeblich böthe sie mir heut Mit ihrer Hand Unsterblichkeit, Raml. Jemanden eine vergebliche Hoffnung machen. Anm. Es ist vermittelst der Ableitungssylbe lich von dem Zeitworte vergeben gebildet, und sollte eigentlich auf eine vergebene Art bedeuten, wird aber doch für das Beywort vergeben selbst gebraucht. Das Nebenwort vergeblich ist zwar vollkommen gangbar, indessen wird doch vergebens bey nahe häufiger gebraucht, besonders in dem gesellschaftlichen Umgange.


Vergeblichkeit (W3) [Adelung]


Die Vergeblichkeit, plur. inus. die Eigenschaft einer Sache, besonders einer Handlung, da sie vergeblich ist, am häufigsten in der zweyten Bedeutung des vorigen Wortes. Die Vergeblichkeit einer Bemühung. Vergeblichkeit macht, daß der Fleiß ermüdet.


Vergebung (W3) [Adelung]


Die Vergebung, plur. inusit. S. in Vergeben.


Vergehe (W3) [Adelung]


Die Vergehe, plur. die -n, ein nur im gemeinen Leben übliches Wort gewisse Arten von Ausschlägen auf der Haut zu bezeichnen, welche bald wieder vergeben, aber dafür an einem andern Orte wieder zum Vorscheine kommen. S. Flechte.


Vergehen (W3) [Adelung]


Vergehen, verb. irreg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. I. Als ein Reciprocum, sich vergeben, fehl gehen, irre gehen. 1. * Eigentlich, in welcher Bedeutung es im Hochdeutschen veraltet ist. Das manch Mensch sich darin verging, Hans Sachs. Ich habe dieses neue Jahr Nicht, wie es billig angefangen, Und mit der Sünder leichten Schar Von deinem Wege mich vergangen, Gryph. Bey den Schlesischen Dichtern kommt es in dieser Bedeutung mehrmahls vor. 2. Figürlich, einen sittlichen Fehler begehen, aus Übereilung oder Unachtsamkeit wider ein sittliches Gesetz handeln, wodurch es sich von versehen unterscheidet. Sich im Zorne vergehen. Sich im Trunke vergehen, zu viel trinken und aus Trunkenheit sündigen. Sich wider jemanden vergehen, ihn aus Unachtsamkeit oder Übereilung beleidigen. Sich mit Worten wider ihn, oder auch wohl an ihm vergehen. Sich thätlich wider jemanden vergehen, sich an ihm vergreifen. Du hast dich gröblich wider das Gesetz vergangen. Daher das Vergehen und die Vergehung, nicht allein von dieser Handlung, sondern auch von solchen Fehlern und Übereilungen selbst, da sie denn auch den Plural leiden. Jemanden seine Vergehungen oder Vergehen verzeihen. In weiterer Bedeutung wird auch wohl eine jede Übertretung eines Gesetzes, so fern man sie aus Glimpf aus einer Übereilung herleitet, mit dem Zeitworte vergehen und den davon abgeleiteten Hauptwörtern ausgedruckt. II. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, vorbey gehen, in die Ferne gehen. 1. * Eigentlich; eine jetzt veraltete Bedeutung, in welcher es ehedem auch active mit der vierten Endung der Person gebraucht wurde. In diesem Verstande hat schon Ottfried firgehan, und Notker irgehan, für praeterire. In weiterm Verstande heißt es bey den Schwäb. Dichtern, diu Zit vergat mih, die Zeit vergehet mit, diu Wunne vergat mih, gehet bey mir vorbey. In dieser thätigen Form ist es im Hochdeutschen veraltet. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) Sich dem Gesichte, und in weiterm Verstande, der Empfindung nach und nach entziehen, und dadurch sein scheinbares Daseyn verlieren; wo verschwinden eine größere Geschwindigkeit ausdruckt. Der Nebel, der Rauch vergehet. Die Wolken sind vergangen. Der Fleck auf der Haut vergehet, ist vergangen. Der Schmerz vergehet. Alle Kraft ist mir vergangen. Das Gesicht vergehet, wenn die Kraft zu sehen nach und nach abnimmt. Hören und Sehen möchte einem darüber vergehen. Besonders von der Zeit und ihren Theilen. Die Zeit vergehet geschwinde. Das Jahr ist vergangen. Ehe ein Monath vergehen wird. Da die sieben Tage vergangen wären, 1 Mos. 7, 10. Da der Sabbath vergangen war, Marc. 16, 1. Die Nacht ist vergangen, und der Tag ist herbey kommen, Röm. 13, 12. In einigen gemeinen Sprecharten wird daher das Mittelwort, als ein Bey- und Nebenwort, auch von einer jüngst vergangenen Zeit gebraucht. Vergangene Woche, oder in vergangener Woche, vorige Woche. Im vergangenen Jahre, im vorigen. Vergangen, als ich ihn sprach, neulich, vor kurzen. Ich hab' ihn vergangen gesprochen, neulich. Die Niedersachsen gebrauchen dafür auch verleden, andere Hochdeutsche aber verwichen. (2) Aufhören zu existieren, besonders nach und nach aufhören, als ein sehr allgemeines und unbestimmtes Wort, daher man es nur noch in einigen Fällen gebraucht, wo die nähere Art und Weise entweder nicht bestimmt werden soll, oder nicht kann. Sein Gedächtniß wird vergehen, Hiob 18, 17. Alles Fleisch würde mit einander vergehen, Hiob 34, 15. Himmel und Erde werden vergehen. Dieß Geschlecht wird nicht vergehen (untergehen), Matth. 24, 34. Er vergehet in seinem Elende. Man möchte vor Ärgerniß, vor Gram vergehen. Von einer Person, welche an Gesundheit und Kräften merklich abnimmt, sagt man, sie vergehe, wie ein Schatten. Anm. Im Niedersächsischen bedeutet sich vergehen, so wie das Oberdeutsche sich ergehen, auch, spazieren gehen, sich eine Veränderung durch Gehen machen.


Vergehen (W3) [Adelung]


Das Vergehen, des -s, plur. ut nom. sing. 1. Die Handlung des Vergehens, in den meisten Bedeutungen des vorigen Zeitwortes und ohne Plural. 2. Die unvorsetzliche Übertretung eines Gesetzes, mit dem Plural, S. Vergehen I. 2.


Vergehung (W3) [Adelung]


Die Vergehung, plur. die -en, welches nur allein in der letzten Bedeutung des vorigen Hauptwortes gebraucht wird, S. Vergehen I. 2.


Vergeleiten (W3) [Adelung]


Vergeleiten, verb. reg. act. Reisende und Güter zur Sicherheit begleiten, wofür auch geleiten üblich ist. ( S. dasselbe.) Güter, Personen vergeleiten. So auch die Vergeleitung.


Vergelten (W3) [Adelung]


Vergelten, verb. irreg. act. ( S. Gelten.) 1. * Wieder erstatten, im eigentlichen Verstande, eine sehr alte, aber auch zugleich veraltete Bedeutung. 2. Das Schuldige bezahlen, entrichten. (1) * Eigentlich, in welchem Verstande man schon im achten Jahrhunderte sagte, den Zehenten vergelten, d. i. entrichten. In engerer Bedeutung, für bezahlen, kommt es noch in weit spätern Zeiten vor. Sie haben uns das Hus vergolten, d. i. bezahlt, in Höns Coburg. Chron. Im Niedersächsischen wird vergelden noch in diesem Verstande gebraucht. Man kann es nicht vergelten, nicht mit Gelde bezahlen. Auch diese Bedeutung ist im Hochdeutschen veraltet. (2) In weiterer und figürlicher Bedeutung, das Verhalten eines andern durch ein veranstaltetes verhältnißmäßiges Verhalten gleichsam wieder erstatten oder zurück geben, wo es, als ein allgemeiner Ausdruck, die Erwiederung, so wohl guter als böser Handlungen in sich schließt; wieder vergelten, welche Verlängerung doch unnöthig ist. Einem gleiches mit gleichem vergelten. Vergeltet nicht Böses mit Bösem, Röm. 12, 17. Gutes mit Bösem vergelten, 1 Mos. 44, 4. Gott vergilt dem Menschen, darnach er verdienet hat, Hiob 34, 11; wo doch die Auslassung des Accusativs der Sache im Hochdeutschen selten ist. Wie kann ich dir alle deine Wohlthaten vergelten? Gott vergelte es ihnen! nähmlich die Wohlthat. Ich will es ihm schon vergelten, nähmlich die Beleidigung. Die vergeltende Gerechtigkeit Gottes, welche die belohnende und bestrafende in sich begreift. So auch die Vergeltung, so wohl von der Handlung des Vergeltens, als auch von der veranstaltenden guten oder bösen Handlung zur Erwiederung einer vorher gegangenen ähnlichen. Das Vergeltungs- oder Wiedervergeltungsrecht, Lat. Ius talionis, Franz. Droit de Represailles. In engerer Bedeutung ist Vergeltung im gemeinen Leben oft eine Belohnung, besonders diejenige kleine Belohnung, welche auch unter dem Nahmen des Trinkgeldes bekannt ist. Um eine Vergeltung bitten. Jemanden eine Vergeltung geben.

Anm. Schon bey dem Kero firkeltan, bey dem Ottfried firgeltan, bey dem Ulphilas usgeltan, im Oberdeutschen ehedem auch nur gelten, S. dieses Wort.


Vergelter (W3) [Adelung]


Der Vergelter, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vergelterinn, eine Person, welche etwas vergilt. Gott sey dein Vergelter! Der oberste Vergelter, Sir. 3, 34.


Vergesellschaften (W3) [Adelung]


Vergesellschaften, verb. reg. act. Gesellschaft mit etwas machen, in Gesellschaft mit etwas treten, als ein Reciprocum. Sich mit jemanden vergesellschaften, in Gesellschaft, Verbindung mit ihm treten. Noch mehr figürlich, Tugend mit Reitzen vergesell- schaftet, verbunden. Da, wo sich Ernst mit menschenfreundlicher Güte vergesellschaftet.


Vergessen (W3) [Adelung]


Vergessen, verb. irreg. act. ich vergesse, du vergissest, zusammen gezogen vergißt, er vergißt; Imperf. ich vergaß; Conj. vergäße; Mittelw. vergessen; Imperat. vergiß; die Erinnerung einer gewußten oder gedachten Sache verlieren, sich dieselbe nicht wieder vorstellen, oder vorstellen können. 1. Eigentlich, wo die Sache im Hochdeutschen gewöhnlich die vierte Endung bekommt. Es ist vergessen worden. Ich habe es längst wieder vergessen. Ein Wort, eine Sprache vergessen haben. Ich will es gewiß nicht vergessen. ich habe vergessen es zu thun, an dich zu schreiben, es dir zu sagen. Man vergißt eine Person, wenn man nicht an sie denkt, entweder überhaupt, oder auch in besondern Fällen und Umständen. Über dem Spielen das Essen vergessen. Es wird mir sehr leicht über ihrem Herzen das Glück zu vergessen, Gell. Das vergißt sich leicht, wird leicht vergessen. Im Oberdeutschen wird es sehr häufig mit der zweyten Endung der Sache gebraucht. Ich vergisse meines Schadens, Stryck. Welche Wortfügung nicht nur in der Deutschen Bibel häufig angetroffen wird. Gott hat mich lassen vergessen alles meines Unglücks, 1 Mos. 41, 51. Ich will meiner Klage vergessen, Hiob 9, 27; und so in hundert Stellen mehr, dagegen auch in einigen die vierte Endung gebraucht wird. Ich will deine Befehle nimmermehr vergessen, Ps. 119, 93. Sondern es wird selbige auch in der höhern und dichterischen Schreibart gebraucht. Das der Vernunft vergißt, wie aller Sprachgesetze, Us. Der seiner Wechsel selbst vergaß, Haged. Vergaß mit Lust der Herden, Gell. Hingegen die Ausdrückung der Sache mit dem Vorworte auf, welche gleichfalls im Oberdeutschen üblich ist, ist im Hochdeutschen völlig ungangbar. Sie vergaßen dabey auf das Feuer. Ich habe auf ihn vergessen. In einigen Gegenden gebraucht man dafür das Vorwort an, an etwas vergessen. Ungewöhnlich ist der Gebrauch des Mittelwortes der gegenwärtigen Zeit in folgendem Falle: sie sind allein im Stande, mir (mich) das Andenken dieses Verlustes vergessend zu machen. Besser, mich ihn vergessen zu machen, im Infinitiv. Wohl aber wird das Mittelwort der vergangenen Zeit, nach dem Beyspiele so vieler anderer, thätig gebraucht, da es denn auch als ein eigenes Beywort üblich ist, wo es denn ohne Ausnahme die zweyte Endung der Sache erfordert. Seiner Pflicht, seiner Schuldigkeit vergessen seyn. Ein Pflicht vergessener Mann. Gottes vergessen seyn. Wo es gemeiniglich den Nebenbegriff des vorsetzlichen Mangels der Erinnerung bey sich führet. Wer will nun aller Scham dermaßen seyn vergessen, Opitz. Sie (die Dichtkunst) Lacht alte Thoren weise und Schamvergeßne roth, Dusch. Da es denn auch wohl mit dem Hauptworte in manchen Fällen zusammen gezogen wird. Das Mittelwort der gegenwärtigen Zeit, ein pflichtvergessender, gottesvergessender Mensch, ist hier nicht so nachdrücklich, weil es nur auf die gegenwärtige Zeit, auf einen einzelnen Fall, gehet, vergessen aber die ganze Fertigkeit ausdruckt. In noch weiterm Verstande nennet man jemanden, welcher leicht etwas vergißt, im gemeinen Leben einen vergessenen Menschen, wofür doch vergeßlich üblicher ist. ( S. auch Vergessenheit.) Daß vergessen übrigens auch im passiven Verstande wie eigentlich alle Mittelwörter der vergangenen Zeit, üblich ist, verstehet sich von selbst. Eine vergeßne Sache, die man vergessen hat. 2. In einigen engern, theils figürlichen Bedeutungen. (1) Elliptisch sagt man, etwas vergessen, es bey jemanden vergessen, es mit zu nehmen, abzuhohlen u. s. f. vergessen. Man vergißt jemanden, wenn man dasjenige vergißt, was man in Ansehung seiner thun wollte. (2) Eine Beleidigung vergessen, den Unwillen darüber und gegen den Beleidiger fahren lassen. Es soll vergeben und vergessen seyn. Ich will dir es mein Tage nicht vergessen. (3) Sich vergessen, aus Mangel des Bewußtseyns seiner selbst und seines Verhältnisses gegen andere, einen Fehler begehen, wie sich vergehen, aus Übereilung. Ich habe mich schon wieder vergessen. Ein Gott vergißt sich selbst im Zorn, Weiße. Wer wollte sich so vergessen! Daher das Vergessen, welches doch seltener vorkommt. Noch ungewöhnlicher ist das Hauptwort die Vergessung. Anm. Bey dem Kero erkezzan, bey dem Ottfried irgezzan, bey dem Notker irgezen, ergezen, agezen, wo auch Ageze, das Vergessen ist, bey dem Willeram aber schon vergezzen, im Nieders. vergeten, im Angelsächs. forgytan, im Engl. forget, im Schwed. förgäta. Das Stammwort ist das Schwed. gäta, Isländ. gata, Angels. gytan, sich erinnern, ingleichen denken, eingedenk seyn, wovon noch die Niedersachsen ihr gissen, muthmaßen, haben, und womit auch unser Geist verwandt ist, ( S. dasselbe in der Anmerk.) Im Angels. ist daher ondgytan, verstehen, erkennen. Ver hat also hier eine aufhebende oder destruirende Bedeutung. Ehedem wurde es auch im factitiven Verstande gebraucht, für vergessen machen. Diu blindi irgezzet in Gotes, die Blindheit macht, daß er Gottes vergißt. S. auch Vergiß.


Vergessenheit (W3) [Adelung]


Die Vergessenheit, plur. inus. von dem Mittelworte vergessen, daher dieses, so wie jenes, so wohl im passiven als activen Verstande, gebraucht wird. 1. Im passiven, der Zustand, da etwas vergessen wird. In Vergessenheit kommen, gerathen, vergessen, werden. Bin ich denn so sehr bey dir in Vergessenheit gerathen? Etwas in Vergessenheit stellen, es vergessen, ist in der edlen Schreibart veraltet. 2. Im activen Verstande, der Zustand, da man etwas vergißt, in engerer Bedeutung, da man etwas leicht oder bald vergißt, das Unvermögen, sich an eine Sache wieder zu erinnern, in welcher engern Bedeutung doch Vergeßlichkeit üblicher ist. Gottesvergessenheit, Pflichtvergessenheit, Ehrvergessenheit, die vorsetzliche Unterlassung der thätigen Erinnerung an Gott u. s. f. Anm. Ehedem in der ersten Bedeutung nur der Vergeß, bey dem Kero Akezzalii, bey dem Notker Ageze, von dem veralteten Zeitworte agezzen, vergessen.


Vergeßlich (W3) [Adelung]


Vergeßlich, -er, -ste, adj. et adv. welches gleichfalls so wohl im passiven als activen Verstande gebraucht wird, so wie das Mittelwort vergessen, von welchem es zunächst abstammet. 1. Im passiven Verstande, was vergessen werden kann, sich vergessen lässet, im Gegensatze des unvergeßlich: wo es doch nur zuweilen als ein Nebenwort gebraucht wird. Deine Wohlthaten sollten mir vergeßlich seyn? Noch häufiger. 2. Im activen Verstande, der leicht etwas vergißt, im gemeinen Leben auch vergessen. Ein vergeßlicher Hörer des Wortes, Jac. 1, 25. Sehr vergeßlich seyn. Ein vergeßlicher Mensch.

Anm. Im Nieders. vergeten. Frisch und andere Sprachlehrer tadeln diese zweyte Bedeutung, so wie den activen Gebrauch des Mittelwortes vergessen, und erklären ihn ohne Umschweif für einen Mißbrauch. Allein, sie haben nicht erwogen, daß es im Deutschen, so wie in andern Sprachen, eine große Menge so genannter passiver Mittelwörter gibt, welche im thätigen Verstande gebraucht werden, z. B. bedient, ein Bedienter, beweglich, betrieglich, nachdrücklich, und viele mit ver, verliebt, verdros- sen, verdient, verderblich, verbuhlt u. s. f. welche noch niemand getadelt hat.


Vergeßlichkeit (W3) [Adelung]


Die Vergeßlichkeit, plur. car. die Eigenschaft, da eine Person oder Sache vergeßlich ist, in beyden Fällen, besonders in dem letzten.


Vergewaltigen (W3) [Adelung]


Vergewaltigen, verb. reg. act. welches nur im Oberdeutschen, und allenfalls in den Kanzelleyen der Hochdeutschen, gebraucht wird, Gewalt anthun. Jemanden vergewaltigen, ihm Gewalt anthun. Daher die Vergewaltigung, besser die Gewaltthätigkeit.


Vergewerken (W3) [Adelung]


Vergewerken, verb. reg. act. welches nur im Bergbaue üblich ist. Ein Berggebäude vergewerken, es an Gewerken bringen, vertheilen, welches auch vergewerkschaften genannt wird.


Vergewissern (W3) [Adelung]


Vergewissern, verb. reg. act. gewiß machen, weiches gleichfalls nur im Oberdeutschen und in den Hochdeutschen Kanzelleyen üblich ist, in der edlern Schreibart aber nicht vorkommt. 1. Fest, gewiß machen, bestätigen. Einen Contract vergewissern. Zu mehrerer dessen Vergewisserung ist gegenwärtiges - unterzeichnet und untersiegelt worden, für Gewißheit. 2. Gewisse Nachricht, gewisse Überzeugung gewähren. Jemanden vergewissern, ihn von etwas vergewissern. Sich vergewissern, sich überzeugen. So auch die Vergewisserung.


Vergießen (W3) [Adelung]


Vergießen, verb. irreg. act. ( S. Gießen.) 1. Fehl gießen, im Gießen irren, als ein Reciprocum; sich vergießen. 2. Durch zu vieles Gießen verderben, im gemeinen Leben. Pflanzen, Gewächse vergießen, sie zu sehr begießen, daß sie davon erkranken und eingehen, sie übergießen. 3. Durch Gießen befestigen, verbinden. Die Klammern in einer Mauer mit Bley vergießen. 4. Durch Gießen alle machen, der Quantität nach erschöpfen. Alles Wasser vergießen, durch Begießen u. s. f. 5. In weiterer Bedeutung vergießt man einen flüssigen Körper, wenn man ihn ganz oder zum Theil ausfließen lässet. Den Wein, das Bier vergießen, aus Versehen ausfließen lassen, wofür doch verschütten üblicher ist. Am häufigsten gebraucht man es, so wohl von den Thränen, als auch von dem Blute. Thränen vergießen, weinen. O wüßtest du, wie viele Thränen ich um dich vergossen habe. Jede vergoßne Zähre schreyt um Rache. Sein Blut für jemanden vergießen, so wohl Wunden, als auch einen gewaltsamen Tod für ihn leiden. Der Held, der sein Blut für das Vaterland vergießt. In mehr thätigem Verstande und nach einer noch weitern Figur ist Blut vergießen, andere gewaltsamer Weise um das Leben bringen. Wer Blut vergeußt (vergießt,) daß Blut soll wieder vergossen werden, 1 Mos. 9, 6. Viel unschuldiges Blut vergießen, 2 Kön. 21, 16. S. Blutvergießen. Daher das Vergießen in allen Bedeutungen, und die Vergießung in der letzten. Unter Vergießen vieler Thränen.

Anm. Im Nieders. vergeten. Im Oberdeutschen wurde in der letzten Bedeutung dafür auch das einfache gießen gebraucht. Er goz sin bluot, Ottfr. Zu gießen Menschenblut, Opitz.


Vergiften (W3) [Adelung]


Vergiften, verb. reg. act. von dem Hauptworte Gift. 1. Giftig machen, mit Gift vermischen, bestreichen u. s. f. Vergiftete Pfeile. Die Speisen, das Getränk vergiften. Die Brunnen vergiften. Faule Dünste vergiften die Luft. Figürlich vergiftet man etwas, wenn man den Genuß einer angenehmen oder unschädlichen Sache im höchsten Grade traurig oder schädlich macht, im hohen Grade verbittern. Die Rache vergiftet unsere Vergnügungen. Ich will dir deine Freude nicht vergiften. Jemanden seine Tage durch verursachten Gram vergiften. 2. Durch beygebrachtes Gift hinrichten, wie vergeben. Jemanden vergiften. Sich selbst vergiften. So auch die Vergiftung.

Anm. Im 12ten und dem folgenden Jahrhunderte war auch das Wort Vergift üblich, welches nicht allein Vergiftung, sondern auch Gift bedeutete.


Vergifter (W3) [Adelung]


Der Vergifter, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vergifterinn, eine Person, welche Personen, besonders Sachen, vergiftet, oder vergiftet hat.


Vergiß (W3) [Adelung]


Vergiß, der Imperativ des Zeitwortes vergessen, ( S. dasselbe.) Vergiß mein nicht, ist der Nahme einer kleinen Pflanze, welche eine Art Mäuseöhrchen ist, in wässerigen und feuchten Gegenden wächset, und ihre kleinen blauen Blumen den ganzen Sommer hindurch bringt, Myosotis palustris Linn. blauer Augentrost. Wie frische Milch ist sein Gesicht, Sein Auge, wie Vergiß mein nicht, Das an dem Bache blüht, Weiße. Es heißt im Engl. gleichfalls forget me not, und scheint diesen Nahmen entweder wegen seiner vorzüglichen Heilkräfte bekommen zu haben, oder nach Frischens Meinung, weil die den ganzen Sommer durch auf einander folgenden Blumen, als ein Sinnbild der Beständigkeit in der Liebe und Freundschaft angesehen worden. In einigen Gegenden wird indessen auch der Gamander, Veronica Chamaedris Linn. Vergiß mein nicht genannt, wo denn der Nahme wohl unstreitig von dessen medicinischen Kräften herrühret. Übrigens wird vergessen in diesem Nahmen nach alter Oberdeutscher Art mit der zweyten Endung verbunden; mein für meiner.


Vergittern (W3) [Adelung]


Vergittern, verb. reg. act. mit einem Gitterwerke verschließen, versehen. Die Fenster mit eisernen Stangen vergittern. So auch die Vergitterung.


Vergleich (W3) [Adelung]


Der Vergleich, des -es, plur. die -e, von dem folgenden Zeitworte. 1. Die Handlung des Vergleichens, die Vergleichung, in der zweyten Hauptbedeutung, oder vielmehr die Ähnlichkeit zwischen zwey Dingen, welche eine Vergleichung möglich macht; eine nur im gemeinen Leben übliche Bedeutung, in welcher der Plural nicht Statt findet. Und doch ist zwischen ihm und Damon kein Vergleich, es findet keine Vergleichung zwischen ihnen Statt, sie sind nicht mit einander zu vergleichen. Opitz gebraucht dieses Hauptwort mehrmahls für Vergleichung. 2. Ein Vertrag zur Hebung einer bereits entstandenen oder bevorstehenden Streitigkeit, woraus zugleich erhellet, daß Vergleich eine Unterart des Vertrages, folglich von engerm Umfange der Bedeutung ist. Einen Vergleich mit jemanden treffen. Einen Vergleich machen. Es kommt zu einem Vergleiche, zu einem gütlichen Vergleiche. Die Sache zu einem Vergleiche bringen, einleiten. Sich in einen Vergleich einlassen, einen Vergleich eingehen. Jemanden zum Vergleiche bewegen. Den Vergleich halten, brechen.


Vergleichen (W3) [Adelung]


Vergleichen, verb. irreg. act. ( S. Gleichen,) welches in einer doppelten Hauptbedeutung gebraucht wird. 1. Gleich, d. i. eben machen, ingleichen einem andern Dinge gleich machen; mit der vierten Endung der Sache. (1) Eigentlich, in welchem Verstande es bey den Handwerkern und im gemeinen Leben noch in manchen Fällen üblich ist. Auf den Eisenhämmern werden die geschmiedeten Eisenstangen verglichen, wenn sie gerade gerichtet werden, wofür auch ausgleichen üblich ist. Bey steinernen Treppen werden die Staffeln gerundet und verglichen. Wenn der Goldschläger die Goldblätter in der zweyten Quetsche geschlagen hat, so vergleichet er sie, d. i. er sortiret sie nach der Schwere vermittelst der Form, damit zu einer Form nur lauter Blätter kommen, welch einerley Schwere haben, wo das Zeitwort aber auch zu der folgenden Hauptbedeutung gehören kann. (2) Figürlich. (a) Dem Werthe nach gleich machen, im gemeinen Leben. Wenn man eine Gefälligkeit von einem andern genossen hat, so hört man zuweilen sagen, ich will es schon wieder zu vergleichen suchen, besser, gleich zu machen. So auch einen Verlust vergleichen, besser, ersetzen. (b) Streitige Meinungen und Ansprüche gleich machen, d. i. auf einerley Ziel lenken. Man vergleicht zwey streitige Personen, wenn man sie bewegt, einerley zu wollen. So auch das Reciprocum sich vergleichen. Beyde streitende Parteyen hatten sich schon verglichen. Sie konnten sich wegen des Preises nicht vergleichen. Die Gläubiger haben sich mit dem Schuldner verglichen. Er will sich schlechterdings nicht vergleichen. Streitigkeiten vergleichen, beylegen, ob es gleich häufiger von Personen, als von Sachen, gebraucht wird. Im Nieders. verlikenen, Schwed. förlika. Das Hauptwort die Vergleichung kommt in dieser Bedeutung wohl nicht leicht vor, indem der Vergleich dafür üblicher ist. 2. Von gleich, ähnlich, ist vergleichen, (1) Die Gleichheit oder Ungleichheit, Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zwischen zwey oder mehrern Dingen zu entdecken suchen, so wohl überhaupt, als in einigen besondern Umständen. Eine Handschrift vergleichen, mit dem Gedruckten. Die Person und Sache, mit welcher eine andere verglichen wird, wird im Oberdeutschen häufig in der dritten Person ausgedruckt. Euer Gedächtniß wird vergleicht (verglichen) werden der Asche, Hiob 13, 12. Wem vergleicht ihr mich denn? Es. 46, 5. Wem soll ich dich vergleichen? Klagel. 2, 13. Wem wollen wir das Reich Gottes vergleichen, Macc. 4, 30. Im Hochdeutschen kommt diese Wortfügung nur noch zuweilen in der höhern Schreibart vor, indem dafür das Vorwort mit üblicher ist. Alexandern mit Cäsarn vergleichen. Zwey Dinge mit einander vergleichen. Kleine Dinge mit großen vergleichen. Wie soll ich deine Lebensart mit deinen Grundsätzen vergleichen? eine Übereinstimmung zwischen ihnen zu entdecken. So auch die Vergleichung. Eine Vergleichung anstellen. Die Vergleichung taugt nichts. (2) Sich vergleichen, gleich, ähnlich seyn, eine nur noch in den niedrigen Sprecharten übliche Bedeutung.

Anm. Der Regel nach sollte dieses Zeitwort freylich regulär abgewandelt werden, um es als ein Activum von dem Neutro glei- chen zu unterscheiden. Luther gebraucht das zusammen gesetzte vergleichen auch wirklich regulär, und das einfache Activum gleichen wird in manchen Gegenden und Fällen gleichfalls so gebraucht. Indessen ist die irreguläre Conjugation im Hochdeutschen einmahl völlig allgemein. ( S. Gleichen.) In der zweyten Hauptbedeutung lautet dieses Wort bey dem Kero kelihhisen, und im Oberdeutschen noch bis in die spätesten Zeiten nur gleichen. Allein Keros Nachfolgern muß dieses Zeitwort unbekannt gewesen seyn, indem sie comparare, theils durch ebenen, wie Notker, theils durch ebenmazzen, wie Willeram, theils aber auch durch uuidarmezan, uuidermezzen, ausdrucken, wie Willeram und der alte Übersetzer Tatians. Auch bey dem Ruotpert aus dem 9ten Jahrhunderte in dem Goldast heißt die Vergleichung Widermezunga.


Vergleichlich (W3) [Adelung]


Vergleichlich, adj. et adv. was sich vergleichen läßt, in der zweyten Hauptbedeutung des Zeitwortes, welches doch nur in dem Gegensatze unvergleichlich üblich ist, S. dasselbe.


Vergleichung (W3) [Adelung]


Die Vergleichung, plur. die -en, von dem vorigen Zeitworte, ( S. dasselbe,) besonders in der zweyten Hauptbedeutung. Daher die Vergleichungsstraffeln, in der Sprachkunst, Gradus Comparationis; vergleichungsweise, in Gestalt einer Vergleichung.


Verglimmen (W3) [Adelung]


Verglimmen, verb. irreg. neutr. ( S. Glimmen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, aus Mangel der Nahrung aufhören zu glimmen. Das Feuer, das Licht ist verglommen. Besonders in der höhern Schreibart, und in figürlichem Verstande. Des Lebens Tocht ist ganz verglommen, Gryph. Kaum war der erste Zorn der Kaiserinn verglommen, Weiße. So auch das Verglimmen.


Verglühen (W3) [Adelung]


Verglühen, verb. reg. neutr. welches gleichfalls das Hülfswort seyn erfordert, nach und nach aufhören zu glühen. Das Eisen verglühet. Ingleichen im figürlichen Verstande und in der höhern Schreibart. Glaubst du, die Raserey wird je in ihr verglühn? Weiße.


Vergnüglich (W3) [Adelung]


"Vergnüglich", -er, -ste, adj. et adv. welches so wohl subjective als objective gebraucht wird, aber in beyden Fällen in der edlern Schreibart der Hochdeutschen selten vorkommt.

2. Subjective von Vergnügen in der veralteten weitern Bedeutung der Zufriedenheit, ist es, mit dem, was zur Nothdurft gehöret, zufrieden, wofür aber genügsam und vergnügsam üblicher sind. So auch die "Vergnüglichkeit", besser "Vergnugsamkeit". 2. Objective, Vergnügen erweckend.

(1) In der zweyten Bedeutung des Zeitwortes befriedigend, Zufriedenheit erweckend; in welchem Falle es noch zuweilen im gemeinen Leben gebraucht wird. Vergnüglich Zahlung leisten, vergnüglich bezahlen, zur Zufriedenheit des Gläubigers.

(2) In der Bedeutung des Hauptwortes, Vergnügen erweckend, mit Vergnügen. Wir haben daraus vergnüglich ersehen, in den Kanzelleyen, besser mit Vergnügen. Um diese Pilgrimschaft vergnüglich zu vollenden, Haged. besser vergnügt. So auch die "Vergnüglichkeit".


Vergnügsam (W3) [Adelung]


"Vergnügsam", -er, -ste, adj. et adv. mit der Nothdurft, mit seinen jedesmahligen Umständen zufrieden, ohne ein mehreres zu verlangen, und darin gegründet, im Gegensatze des unvergnügsam; Fertigkeit besitzend, sich an seinen jedesmahligen Umständen zu vergnügen, so daß vergnügsam eigentlich eine lebhaftere Zufriedenheit bezeichnet, als genügsam, obgleich dieses häufiger ist.


Vergnügt (W3) [Adelung]


"Vergnügt", -er, -este, adj. et adv. eigentlich das Mittelwort des Zeitwortes "vergnügen", besonders in dessen letzten Bedeutung, wo es so wohl subjective als objective, oder so wohl active als passive, gebraucht wird, nach dem Beyspiele so vieler anderer Mittelwörter dieser Art. Subjective, Vergnügen empfindend, verrathend und darin gegründet. Vergnügt seyn. Ein vergnügter Mann. Eine vergnügte Miene. In engerer Bedeutung ist man vergnügt, wenn man Fertigkeit besitzet, in allen Vorfallenheiten des Lebens zufrieden und vergnügt zu seyn. Objective oder passive, Vergnügen gewährend, wofür doch angenehm üblicher ist. Eine vergnügte Nachricht, eine angenehme. Siehe "Vergnügen", das Zeitwort.


Vergnügung (W3) [Adelung]


Die "Vergnügung", plur. die -en, die Handlung des Vergnügens, besonders von dem Reciproco, sich vergnügen, der Zustand, da man angenehme Empfindungen hat, und sich selbige erweckt, ohne Plural. Ingleichen die angenehme Empfindung selbst, wo es zuweilen im Plural statt des ungewöhnlichern Plurals von Vergnügen gebraucht wird. Die Vergnügungen der Freundschaft gehören zu den süßesten moralischen Empfindungen.


Vergöhren (W3) [Adelung]


Vergöhren, richtiger vergehren, verb. reg. act. welches bey verschiedenen Handwerkern und Künstlern üblich ist, mit einer Gehrung versehen, d. i. nach einer Diagonal-Linie schneiden oder bilden. Daher das Vergehrungsbret, bey den Glasern, worauf das Karnießbley verzehret wird; der Vergehrungskolben, die Vergehrung damit zusammen zu löthen. Siehe Gehren und Gehrung.


Vergolden (W3) [Adelung]


Vergolden, verb. reg. act. mit einer dünnen Oberfläche von Gold überziehen, welches so wohl mit dünn geschlagenen Goldblättern, als auch im Feuer mit verquicktem Golde geschiehet. Holz, Zinn, Silber vergolden. Im Feuer vergolden. Vergoldetes Papier. Vergoldete Tapeten. Daher die Vergoldung, so wohl die Handlung, als auch die Art und Weise zu vergolden. Eine dauerhafte Vergoldung. Der Vergoldpinsel, bey den Goldschmieden, das verquickte Gold auf dem Silber aus einander zu streichen. In den gemeinen Sprecharten vergulden, im Oberdeutschen vergülden. Vergüldete Götzen, Bar. 6, 50. Übergolden wird im gemeinen Leben in eben demselben Verstande gebraucht.


Vergönnen (W3) [Adelung]


Vergönnen, verb. reg. act. 1. Gönnen, daß etwas geschehe, d. i. zu thun erlauben, verstatten, so daß ver eine intensive Bedeutung hat. Die Edomiter weigerten sich, Israel zu vergönnen, durch ihre Gränze zu ziehen, 4 Mos. 20, 21. Es soll dir vergönnt seyn. Das ist mir nicht vergönnt. Vergönne mir, Najade, nachzulallen, Was mein erstauntes Ohr durchdrang, Raml. Nieders. vergunnen, Schwed. förunna. S. auch Vergünstigen. 2. * Nicht gönnen, so daß rer eine destruirende Bedeutung hat; eine im Hochdeutschen völlig veraltete Bedeutung. Daß ein Mann - wird seinem Bruder, und dem Weibe in seinen Armen - vergönnen, zu geben u. s. f. 5 Mos. 28, 54, 56. Der verzärtelte - Mann wird seinem Bruder, der Frau in seinem Arm - den Bissen vom Fleisch seiner Söhne nicht gönnen, Michael.


Vergöttern (W3) [Adelung]


Vergöttern, verb. reg. act. zu einem mythologischen Gott erheben, unter die Götter zählen und versetzen. Ingleichen figürlich, als einen Gott erheben, die höchste nur mögliche Lobeserhebungen von etwas machen. Eine Person vergöttern. So auch die Vergötterung.


Vergraben (W3) [Adelung]


Vergraben, verb. irreg. act. ( S. Graben.) 1. Durch Graben entschließen, oder vielmehr absondern. Einen Acker, eine Wiese vergraben, durch einen gezogenen Graben das Befahren oder Betreiben desselben hindern. 2. Durch Graben verbergen, in die Erde graben, um es zu verbergen. Einen Schatz vergraben, ein vergrabener Schatz. Wenn sie sich gleich in die Hölle vergrüben, Amos 9, 2. Ver verzeichnet hier eine Verbergung, daher wird eine Leiche eigentlich nicht vergraben, sondern begraben. So auch die Vergrabung.


Vergrammen (W3) [Adelung]


* Vergrammen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, welches im Hochdeutschen unbekannt ist, und noch im Oberdeutschen für ergrimmen vorkommt, S. dasselbe. Wodurch den Gott vergrammt, oft ausgeschickt von Norden Nun dieß ein andres Volk, Opitz.


Vergrasen (W3) [Adelung]


Vergrasen, verb. reg. 1. Als ein Activum, des Grases berauben, in einigen Gegenden der Landwirthschaft. Das Getreide vergrasen, das zu sehr in das Gras gewachsene Getreide beschneiden, es schrepfen. 2. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, vergraset ein Platz, wenn er mit Gras überwächset. Daher die Vergrasung in der thätigen Form.


Vergreifen (W3) [Adelung]


Vergreifen, verb. irreg. act. et recipr. ( S. Greifen.) 1. Durch Greifen alle machen, der Quantität nach erschöpfen, wo es doch nur im figürlichen Verstande von Waaren gebraucht wird, wenn sie bereits verkauft sind, oder häufig Liebhaber finden. Man gebraucht es hier so wohl im Passivo: die Waare ist schon vergriffen, wird bald vergriffen seyn, die ganze Auflage ist schon vergriffen. Als auch in der Gestalt eines Reciproci. Die Waare, das Buch hat sich vergriffen. Eine gute Waare vergreift sich bald. Als ein Hauptwort ist hier weder das Vergreifen noch die Vergreisung, üblich. Ver hat hier die Bedeutung der Entfernung, wie in verkaufen, vertauschen, verschenken u. s. f. Daher Gottscheds Ausspruch, daß diese Bedeutung gar nichts tauge, voreilig und ungegründet ist. 2. Durch Streifen das Gelenk der Hand beschädigen, wie verrenken, verstauchen, verletzen, die Hand durch einen falschen Griff verrenken, als ein Reciprocum, sich die Hand vergreifen, auch wohl, sich vergreifen. Daher das Vergreifen. 3. Fehl, falsch greifen, das Unrechte ergreifen, als ein Reciprocum. Man vergreift sich, wenn man aus Versehen ein Ding anstatt des andern ergreift. Ich habe mich vergriffen. Daher das Vergreifen. 4. Unbefugter Weise nach etwas greifen, vermuthlich eine Fortsetzung der vorigen Bedeutung. (1) In mehr eigentlichem Verstande, sich eines fremden Gutes unbefugter Weise bemächtigen. Sich an fremden Geldern vergreifen, sie sich unbefugter Weise anmaßen, sie in seinen Nutzen verwenden; oft als ein glimpflicher Ausdruck für das härtere stehlen. Sich an den Feldfrüchten, an jemandes Eigenthum vergreifen. Daher, obgleich selten, die Vergreifung. (2) Sich an jemanden vergreifen, ihn unbefugter Weise beleidigen, es sey mit Worten oder mit der That, im letztern Falle als ein glimpflicher Ausdruck für das härtere schlagen, prügeln u. s. f. Sich mit Worten an jemanden vergreifen, die schuldige Achtung in hohem Grade durch Worte verletzen. Laßt uns ihn den Is- maeliten verkaufen, daß sich unsere Hände nicht an ihn (ihm) vergreifen, 1 Mos. 37, 27. Wenn eine Seele sündigen würde, und sich an dem Herren vergreifen, 3 Mos. 6, 2. Der sich am Könige vergriffen hat, Bar. 6, 17. Aber absolute, mit Verschweigung der Person, wie 3 Mos. 5, 15: Wenn sich eine Seele vergreift, daß sie es verstehet und sich versündigt, ist es im Hochdeutschen veraltet. Daher die Vergreifung. Das Vergreifen ist seltener; Ahab machte des Vergreifens am Herrn noch mehr, 2 Chron. 28, 22. Die Vergreifung absolute für Versündigung, ist eben so veraltet, als das absolute sich vergreifen. Es versammelten sich zu mir alle - um der großen Vergreifung willen, Esra 9, 4. Kap. 10, 6. Vergreifen scheint in der letzten Bedeutung gleichfalls fehl greifen, aus Versehen unrecht greifen, zu bezeichnen, welchen Begriff die Partikel auch in sich vergehen, sich versehen u. s. f. hat.


Vergrößern (W3) [Adelung]


Vergrößern, verb. reg. act. größer machen, so wohl durch Vermehrung der Zahl, eine Zahl vergrößern, als auch der Maße, einen Garten, ein Haus, sein Vermögen, als endlich zuweilen auch der Intension, in welchem letztern Falle aber vermehren üblicher ist; die Schmerzen vergrößern sich. Sich vergrößern, sein Gebieth erweitern und mit demselben zugleich seine Macht vermehren. Figürlich vergrößert man etwas, wenn man es größer, wichtiger vorstellet, als es ist. Eine That vergrößern. Ein rund geschliffenes Glas vergrößert die Gegenstände. Jemandes Reichthum ungebührlich vergrößern, ihn größer angeben, als er ist. So auch die Vergrößerung, das Vergrößerungsglas, welches die Gegenstände größer vorstellet, als sie wirklich sind. Im Oberdeutschen auch ergrößern.


Vergrünen (W3) [Adelung]


Vergrünen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, aufhören zu grünen, in der dichterischen Schreibart. Mein Frühling ist in Angst vergrünt, Günth. Daher das Vergrünen.


Vergülden (W3) [Adelung]


Vergülden, S. Vergolden.


Vergunst (W3) [Adelung]


* Die Vergunst, plur. car. von vergönnen, erlauben, ein veraltetes, noch in einigen gemeinen Sprecharten übliches Wort, für Erlaubniß, welches 1 Cor. 7, 6 vorkommt: solches sage ich aus Vergunst.


Vergünstigen (W3) [Adelung]


* Vergünstigen, verb. reg. act. welches in der anständigern Schreibart der Hochdeutschen eben so sehr veraltet ist, als das vorige, und noch im Oberdeutschen für erlauben, vergönnen, gebraucht wird, von welchem letztern es ein Intensivum ist. So auch die Vergünstigung, die Erlaubniß.


Vergüten (W3) [Adelung]


Vergüten, verb. reg. act. wieder gut machen, ersetzen. Jemanden den erlittenen Schaden vergüten, ersetzen. O, wie werde ich mein Verbrechen vergüten! Weiße. Daher die Vergütung, der Ersatz. Im Nieders. vergöden, vergöen.


Verhaaren (W3) [Adelung]


Verhaaren, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben. 1. Die Haare verwechseln, wofür sich haaren üblicher ist. In der Jägerey gebraucht man das Wort verhaaren von dem Randwilde, dagegen von dem Roth- und Schwarzwilde färben und sich färben üblicher ist. 2. Aufhören sich zu haaren. Ein Thier hat verhaaret, wenn es sich nicht mehr haaret, seine Haare schon verwechselt hat.


Verhack (W3) [Adelung]


Der Verhack, des -es, plur. die -e, eine Versperrung von niedergehackten, d. i. gefälleten Bäumen, welcher auch der Verhau genannt wird. Einen Verhack machen. Im mittlern Lat. Concisa. Anstatt des Zeitwortes verhacken, durch einen Verhack versperren, ist im Hochdeutschen verhauen üblicher.


Verhadern (W3) [Adelung]


Verhadern, verb. reg. act. durch Hadern, d. i. unnützes Streiten und Prozessiren verlieren, alle machen. Viel Geld, sein Vermögen verhadern.


Verhaft (W3) [Adelung]


Der Verhaft, des -es, plur. inus. welches von dem folgenden Zeitworte nur in engerer Bedeutung üblich ist, den Zustand des Befindens im Gefängnisse, in gerichtlicher Verwahrung, zu bezeichnen, wo es von Personen am üblichsten ist; im gemeinen Leben der Arrest. Jemanden in Verhaft nehmen, ihn zum Verhaft bringen. Im Verhafte seyn. Jemanden des Verhaftes entlassen. Sich aus dem Verhafte los machen. In Verhaft gerathen. Zum Überflusse wird oft noch das Beywort gefänglich hinzu gesetzt. In gefänglichen Verhaft nehmen. Seltener gebraucht man es von Sachen. Sachen in Verhaft nehmen. Verhaft auf Waaren legen, Arrest. In einigen Gegenden ist es im weiblichen Geschlechte üblich: jemanden zur gefänglichen Verhaft bringen; welches denn das einfache die Haft für sich hat, welches ehedem für Verhaft gebraucht wurde, und auch noch dafür üblich ist. Zur Haft bringen.


Verhaften (W3) [Adelung]


Verhaften, verb. reg. act. von dem einfachen haften, so fern es für häften oder heften active gebraucht wurde. 1. Die persönliche Freyheit durch gerichtliche oder obrigkeitliche Einsperrung einschränken. Jemanden verhaften, wofür doch in Verhaft nehmen, und bey den Soldaten arrestiren und verarrestiren üblicher sind. In manchen Kanzelleyen hat man dafür auch das Zeitwort inhaftiren, im barbar. Lateine inhaftare. Daher ein Verhafteter, welcher sich im Verhaft befindet, im gemeinen Leben ein Arrestant, in den Gerichten ein Arrestat, zuweilen auch ein Inhaftirter, und in manchen Fällen ein Gefangener. 2. Als ein Unterpfand einem andern in dessen Gewalt übertragen, oder ihm zum Unterpfande setzen, wie verpfänden, welches doch nur in engerm Verstande üblich ist. Wirst du Bürge für deinen Nächsten, und hast deine Hand bey einem Fremden verheftet, (verhaftet;) Sprichw. 6, 1. Sey nicht bey denen, die ihre Hand verhäften (verhaften,) und für Schuld Bürge werden, Kap. 22, 26. In diesem Verstande sagt man nur noch zuweilen, jemanden verhaftet seyn, ihm als Bürge verpflichtet seyn. Daher ist in einigen Gegenden das Angeld, Handgeld, auch unter dem Nahmen des Verhaftgeldes oder Verhaftpfenniges bekannt. 3. In noch weiterer Bedeutung ist jemanden verhaftet seyn, ihm zu gewissen persönlichen Obliegenheiten verbunden seyn, wo es doch auch nur noch selten und nur in einigen Fällen gebraucht wird. Der Schuldner ist seinem Gläubiger verhaftet, vermuthlich, so fern der Gläubiger bey unterbleibender Zahlung ein gewisses Recht auf die Person des Schuldners hat; wo man auch sagt, jemanden mit Geld, mit Schuld verhaftet seyn, ihm schuldig seyn. Dem Fleiße will ich seyn, als wie ein Knecht, verhaft, (verhaftet,) Damit ich möge seyn ein Herr der Wissenschaft, Logau. Gott verhaftet werden, zur Erduldung der verdienten Strafe von Gott verpflichtet werden. So auch die Verhaftung.

Anm. Ver hat in der ersten Bedeutung eine mehr intensive Kraft, in den folgenden aber scheint es eigentlich eine Entfernung, Übertragung an einen andern, zu bezeichnen, wie im verpfänden, versetzen, veräußern, Luthers verhäften und verheften ist zwar der Regel nach richtig, von dem Activo häften, aber ganz wider den Hochdeutschen Sprachgebrauch.)


Verhäkeln (W3) [Adelung]


Verhäkeln, verb. reg. act. mit Häkeln, kleinen Haken verbinden, ingleichen, damit verschließen. Daher die Verhäkelung.


Verhalten (W3) [Adelung]


Verhalten, verb. irreg. act. et recipr. ( S. Halten,) welches nach Maßgebung beyder Theile seiner Zusammensetzung auch in verschiedenen Bedeutungen üblich ist. 1. Den Zügel verhalten, bey einigen, dem Pferde den Zügel schießen lassen, wofür doch verhängen üblicher ist. Mit verhal- tenem Zügel, mit verhängtem. Ver scheint hier eine destruirende oder auch entfernende Bedeutung zu haben. 2. Zurück halten, eigentlich durch Halten einsperren, einschließen. (1) In mehr eigentlichem Verstande, wo es im gesellschaftlichen Leben in sehr vielen Fällen gebraucht wird, wo ein Ding, oder doch dessen Wirkung zurück gehalten wird. Den Urin verhalten. Das Verhalten, die Verhaltung des Urins. Den Athem verhalten, ihn an sich halten. Verhaltene Winde in den Gedärmen, verschlagene. Einem ein anvertrautes Gut verhalten, edler vorenthalten. Verhaltene Dämpfe in den Bergen, eingeschlossene. Den Most verhalten, dessen Gährung hindern, aufhalten. Verhaltener Most, dessen Gährung gehindert worden. Die Sterne verhalten ihren Schein, Joel 2, 10. Auch habe ich den Regen über euch verhalten, Amos 4, 6. Darum hat der Himmel über euch den Thau verhalten, Haag 1, 10. Ich weiß, du strafst mich nicht, Wenn der verhaltne Strom aus meinen Augen bricht, Weiße. Ein andrer, den ein Strom verhaltner Weisheit bläht, Dünkt, wenn er dunkel schreibt, sich mehr als Epiktet, Bernh. (2) In weiterer und figürlicher Bedeutung. (a) Verweilen, sich aufhalten, eine nur im Niederdeutschen befindliche Bedeutung, wo sie aber auch anfängt zu veralten. (b) Mit dem Nebenbegriffe der Verbergung, zurück halten, um zu verbergen, gleichfalls in vielen Fällen des gesellschaftlichen Lebens. Es hatte sich etwas Feuer in der Asche verhalten. Verhaltene Funken. In der Jägerey werden die Lockvögel verhalten, wenn man sie im Frühlinge an einem finstern Orte aufbewahret, damit sie mit Pfeifen und Singen innehalten, und hernach auf dem Vogelherde desto stärker schlagen. In einem andern Verstande sagt man daselbst von dem Rothwildbrete, es verhalte sich, wenn es sich in einem Dickigt verbirgt. Es ist unnöthig, verhalten in dieser Bedeutung von verhehlen abzuleiten, indem sie ganz natürlich aus der vorigen fließt; indessen sind hehlen und halten in ihrem Ursprunge nahe verwandt. (c) Verschweigen, um es einem andern zu verbergen. Einem etwas verhalten. Daß wirs nicht verhalten sollen ihren Kindern, Ps. 78, 4. Ich will dich etwas fragen, lieber, verhalte mir nichts, Jer. 38, 14. Ich will euch aber nicht verhalten, daß ich mir oft habe vorgesetzt, u. s. f. Röm. 1, 13. Es ist in diesem Verstande vorzüglich in den Kanzelleyen üblich. Wir haben euch solches nicht verhalten mögen. Wo denn das Mittelwort in Gestalt eines Nebenwortes auch wohl überhaupt für unbekannt, subjective, gebraucht wird. Es kann denenselben nicht verhalten seyn, was für Unfug u. s. f. Daher der Gegensatz unverhalten. Es sey dir unverhalten, nicht verschwiegen. In dieser ganzen zweyten Hauptbedeutung ist so wohl das Verhalten, als auch in der eigentlichen Bedeutung der Zurückhaltung die Verhaltung, üblich. 3. Sich verhalten, als ein Reciprocum, den zufälligen Umständen nach bestimmt werden, und seine zufälligen Veränderungen nach den äußern Umständen bestimmen; besonders in folgenden nahe verwandten Fällen. (1) Im weitesten Verstande, den zufälligen Umständen nach bestimmt werden, in welchem es nur von geschehenen Dingen, und der Art, wie sie geschehen sind, gebraucht wird. Die Sache verhält sich so. Die Sache verhält sich ganz anders. Es hat sich so verhalten. Da sich nun dieses so verhielt, Wie verhält sich die Sache? oder, wie verhält sichs mit der Sache? In dieser Bedeutung ist von dem Zeitworte kein Hauptwort, selbst nicht das Verhalten, üblich. (2) In Beziehung auf ein anderes ähnliches Ding, in Vergleichung mit demselben beschaffen seyn, von allen Arten der Beschaffenheit, besonders aber von der Größe und Intension, da denn dasjenige Ding, mit welchem das erste gleichsam verglichen wird, das Vorwort zu bekommt. Die Höhe verhält sich zur Breite, wie zwey zu Eins, d. i. die Höhe ist um so viel größer, als die Breite, um so viel zwey größer ist, als eins. Ingleichen, wenn die zwey Dinge von Einer Art sind, auch ohne Vorwort: die Räume verhalten sich, wie die Geschwindigkeiten, d. i. der eine Raum verhält sich zu dem Raume, wie die eine Geschwindigkeit zu der andern. Es ist in dieser Bedeutung in der Mathematik am üblichsten, aus welcher es hernach auch auf andere Gegenstände angewandt worden. Die Liebe verhält sich zur Freundschaft, wie ein Flammenfeuer zur sanften Sonnenwärme. Donner und Blitz verhalten sich zu einander, wie die Wirkung zur Ursache. In dieser Bedeutung ist kein anderes Hauptwort, als das Verhältniß üblich. (3) Von einem andern Dinge seinen äußern Umständen nach bestimmt werden, doch nur mit ausdrücklicher Bezeichnung der Art und Weise. Wie verhält sich das Bley im Feuer? was für Veränderungen erleidet es in demselben? Antw. Es schmilzt. Glas verhält sich unter dem Hammer ganz anders, als das Gold. In diesem Verstande ist allenfalls das Verhalten üblich. (4) Im engsten und moralischen Verstande heißt sich verhalten, seine eigenen Veränderungen in Rücksicht oder nach Maßgebung der Dinge außer uns bestimmen. Ich weiß nicht, wie ich mich in oder bey dieser Sache verhalten soll. Wie habe ich mich in diesem Falle zu verhalten? Verhalte dich ruhig. Sich nach der Vorschrift des Gesetzes verhalten. Sich sehr ungeberdig verhalten. Sich in seinem Amte unsträflich verhalten. Es ist in diesem Verstande ein sehr allgemeines Zeitwort, welches die engern sich betragen, sich aufführen, welche nur von besondern Arten des Verhaltens üblich sind, mit in sich begreift. Es wird daher nicht gern in solchen Fällen gebraucht, wo man ein bestimmteres Wort hat. Man sagt zwar, sich als ein tapferer Mann, sich standhaft im Unglücke verhalten; aber nicht gern, sich hart, gütig gegen jemanden verhalten, sondern betragen. Der Gegenstand der Person, auf welche sich die Veränderungen beziehen, bekommt das Vorwort gegen. Daher das Verhalten, S. solches so gleich besonders.

Anm. Die eigentliche Bedeutung der Partikel in dieser dritten Hauptbedeutung ist dunkel; allem Ansehen nach ist sie bloß intensiv, indem das einfache halten in ähnlicher Bedeutung üblich ist, z. B. sich tapfer halten. Halten aber scheint hier eigentlich die Bestimmung der äußern Stellung und Geberden zu bezeichnen, so wie haben, gehaben, und habere, welche in ähnlichen Fällen gebraucht werden.


Verhalten (W3) [Adelung]


Das Verhalten, des -s, plur. doch nur selten in der zweyten Bedeutung von mehrern Arten, ut nom. sing. 1. Die Handlung des Verhaltens, in einigen Bedeutungen des vorigen Zeitwortes, ( S. dieselben.) Am häufigsten, 2. In der letzten Bedeutung des Zeitwortes, die freye Bestimmung eigener Veränderungen in Beziehung auf die Dinge außer uns, der Inbegriff mehrerer übereinstimmiger Handlungen dieser Art, indem einzelne Handlungen noch kein Verhalten ausmachen können. Sein Verhalten nach den Vorschriften eines andern einrichten. Das Verhalten des Menschen gegen Gott, gegen den Nächsten und gegen sich selbst. Das Gesetz bestimmt das Verhalten des Menschen. Kann man überall Weisheit und Ordnung in der Einrichtung der Natur bemerken, und kein Verlangen füh- len, in seinem eignen Verhalten auch Weisheit, auch Ordnung zu beobachten? Gell. Es ist, so wie das Zeitwort, ein allgemeiner Ausdruck, der die besondern, Betragen, Aufführung u. s. f. unter sich begreift.


Verhältniß (W3) [Adelung]


Das Verhältniß, des -sses, plur. die -e, welches nur allein von verhalten 3 (2) üblich ist, die Beschaffenheit eines Dinges in Beziehung auf ein anderes, oder in Betrachtung eines andern ähnlichen Dinges zu bezeichnen, da denn dieses Wort alles das ausdruckt, was die Lateiner durch respectus, relatio und proportio geben, oft auch ein bloßer Scherwenzel der Katheder-Philosophie ist, dunkele und verworrene Begriffe darunter zu verstecken, Alexander wurde im Verhältnisse (nach eben dem Maße) kleiner, wie seine eroberten Gebiethe größer wurden. Das Verhältniß der Unterthanen zur (nicht gegen die) Obrigkeit, ihr Zustand, ihre Beschaffenheit, in Rücksicht auf dieselbe, und zwar in jeder Rücksicht, selbst die Obliegenheiten mit eingeschlossen. Unser Verhältniß gegen Gott. Die Verhältnisse unsers Lebens, die äußern Zustände desselben, die Zustände in Rücksicht der Dinge außer uns. Die Verhältnisse der Theile des menschlichen Leides, die Größe und Stärke jedes Theiles in Beziehung auf die übrigen, und auf den ganzen Körper. So auch die Verhältnisse in der Baukunst. Verhältnißmäßig, nach Maßgebung der verschiedenen Stufen. Mit jemanden im Verhältnisse stehen, in Verbindung. Das arithmetische Verhältniß zweyer Zahlen, welches zeigt, wie viel Einheiten eine Zahl mehr oder weniger enthält, als die andere, zum Unterschiede von dem geometrischen, demjenigen Zustande, da eine Zahl mehrmahl größer oder kleiner ist, als die andere.

Anm. Einige wenige gebrauchen dieses Wort im weiblichen Geschlechte, die Verhältniß, da denn der Plural die Verhältnissen heißen müßte, S. -Niß.


Verhandeln (W3) [Adelung]


Verhandeln, verb. reg. act. 1. Durch schriftliche Handlungen zu Stande bringen, so daß ver hier größten Theils einer bloß intensive Bedeutung hat; eine Bedeutung, welche im Oberdeutschen und den Hochdeutschen Kanzelleyen noch am meisten vorkommt. Einen Frieden, Vergleich verhandeln, wo es noch von weiterm Umfange der Bedeutung ist, als unterhandeln. Noch üblicher ist in diesem Verstande das Hauptwort die Verhandlung, plur. die -en, nicht nur die Unterhandlung, sondern auch das ganze schriftliche Verfahren in einem Geschäfte zu bezeichnen. Landtagsverhandlungen, Handlungen. 2. Das Eigenthum durch Handel und Wandel an einen andern übertragen, wo ver den Begriff der Entfernung hat, wie in verkaufen, verschenken, vertauschen. Etwas verhandeln, eigentlich nur, sich wegen des Preises einer Sache, die man veräußern will, vergleichen, in weiterer Bedeutung auch für verkaufen und vertauschen selbst. So auch die Verhandlung, plur. inus.


Verhanden (W3) [Adelung]


Verhanden, S. Vorhanden.


Verhandlohnen (W3) [Adelung]


Verhandlohnen, verb. reg. ein nur in einigen Gegenden übliches Wort, den Handlohn, d. i. die Lehenwaare, von einem Lehen entrichten. Ein Gut verhandlohnen. Daher die Verhandlohnung. S. Handlohn.


Verhängen (W3) [Adelung]


Verhängen, verb. reg. act. 1. Zuhängen, durch eine vorgehängte Decke verschließen, wo ver eine Verschließung bezeichnet. Ein Fenster mit einem Tuche verhängen. Eine verhängte Öffnung. 2. Weit hängen lassen, wo ver eine Entfernung, oder auch Intension bezeichnet. (1) Eigentlich, in welchem Verstande es nur noch von dem Zügel des Pferdes üblich ist. Dem Pferde den Zügel verhängen, ihm den Zügel schießen lassen. Noch häufiger ist in diesem Verstande das Mittelwort. Mit verhängtem Zügel, d. i. in vol- lem Galoppe. Sie kamen mit verhängtem Zügel gesprengt. In einigen Gegenden sagt man dafür, mit verhaltenem Zügel. Diese Bedeutung ist alt, wenigstens kommt das einfache Zeitwort schon in derselben vor. Dem rosse er do hanckte Czu Genelun er sprankte, Stryker. Dem Rosse verhängte er da (den Zügel) und sprengte auf Genelun zu. (2) Figürlich, erlauben, verstatten, wie das Lat. permittere. (a) * Im weitesten Verstande, in welcher das einfache hängen schon bey unsern ältesten Schriftstellern vorkommt. Iz Gott ni hengit, das erlaubet Gott nicht, Ottfr. Honida gihengen, etwas Schändliches verstatten, ebend. Taz er iz in ni henge, daß er es euch nicht erlaube, eben ders. Verhänge deinem Munde nicht, daß er das Fleisch verführe, Pred. 5, 5. In welcher Bedeutung im Oberdeutschen auch wohl das irreguläre verhangen vorkommt. Gott hat es ihm verhangen, Opitz d. i. erlaubt. Und den Verwirrungen des Herzens nicht verhangen, eben ders. Was du, Gott verhangen hast, eben ders. Bey andern kommt dafür verhenken vor. Doch in dieser ganzen Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, wo es, (b) nur noch in engerer Bedeutung üblich ist, ein Übel nicht allein zulassen, geschehen lassen, sondern es auch veranstalten, wo es so wohl absolute, als auch mit Bezeichnung des persönlichen Gegensatzes, vermittelst des Vorwortes über, gebraucht wird. Es wird indessen auch in dieser Bedeutung am häufigsten von Gott, seltener, und besonders in den Kanzelleyen, aber auch von mächtigen Personen gebraucht. Gott verhängt die Übel als Strafen, verstattet und veranstaltet sie. Der Herr hat solches verhängt, 2 Macc. 5, 17. Was Gott über mich verhängt, wird in der Folge Glück für mich werden, Gell. Die Ruchlosen, welche gestraft werden, mit den Sünden, die über sie verhängt werden, Weish. 1, 5; wo es zunächst zulassen bedeutet, dagegen in andern Fällen der Begriff der thätigen Zuschickung und Veranstaltung hervor sticht. Es ist von Sr. Königl. Majestät eine Inquisition über die verdächtigen Cassen-Beamten verhängt worden, d. i. veranstaltet. Ew. Kaiserl. Majestät werden über mich nicht verhängen, daß ich ungehört zu Grunde gerichtet werde. Daher das Verhängen, welches doch in der ersten Bedeutung am üblichsten ist. In der letzten ist das folgende Verhängniß am gangbarsten.


Verhängniß (W3) [Adelung]


Das Verhängniß, des -sses, plur. die -e, welches nur in den figürlichen Fällen der zweyten Hauptbedeutung des vorigen Zeitwortes vorkommt. 1. * Die Erlaubniß, ohne Plural; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, in welcher sich noch im Oberdeutschen einige Prälaten und Äbte zu schreiben pflegen: Wir aus Gottes Verhängniß Abt u. s. f. für von Gottes Gnaden, durch Gottes Erlaubniß. 2. Eine verhängte, d. i. von einem höhern veranstaltete Veränderung, besonders die äußern Veränderungen des menschlichen Lebens, so fern sie von Gott verhängt werden, oder von einem andern aus unbekannten Ursachen herrühren, wo dieses Wort oft mit Schicksal gleich bedeutend gebraucht wird. Alle besondern Absichten der Rathschlüsse und Verhängnisse Gottes einsehen wollen, ist unsinnige Begehrlichkeit, Gell. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung ist das Verhängniß ein von einem Höhern über uns verhängtes Übel. Ein trauriges, ein hartes, ein schweres Verhängniß. Geduld in allen Verhängnissen. Es ist ein Verhängniß Gottes, ein von Gott verhängtes Übel. Da denn auch wohl das höhere unbekannte Wesen, welches außer Gott die menschlichen Veränderungen bestimmen soll, das Verhängniß genannt wird, in welchem Falle es denn gleichfalls mit Schicksal gleich bedeutend ist. Das unvermeidliche Verhängniß, Fatum. Der Held, um den du bebtest, wenn im Streite, Wohin ihn dein Verhängniß trug, Der ehrne Donner von den Bergen, ihm zur Seite Die Feldherrn niederschlug, Raml. Mein Verhängniß hat es so gewollt. S. auch Schicksal.

Anm. In einigen Oberdeutschen Gegenden ist dieses Wort weiblichen Geschlechts, die Verhängniß, S. -Niß, indessen ist im Hochdeutschen das ungewisse das herrschende.


Verharren (W3) [Adelung]


Verharren, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, bey einigen auch mit seyn, welches in der figürlichen Bedeutung des einfachen Zeitwortes harren gebraucht wird, an einem Orte, in einem Zustande zu seyn anhaltend fortfahren, wie verbleiben, so daß ver hier eine intensive Bedeutung hat. An einem Orte verharren, bleiben, verbleiben, welche für verhaaren üblicher sind. Sie haben drey Tage bey mir verharret, Marc. 8, 2. Noch häufiger von einem Zustande, in welchem Falle es doch aber auch in der feyerlichen und höhern Schreibart am üblichsten ist; beharren. Sie verharren in ihrer Hoffahrt, Ps. 59, 13. In der Sünde, in den Lastern verharren. Auf seiner Meinung verharren, beharren. Er verharrete bey seiner Ernsthaftigkeit. Ich verharre u. s. f. in den Unterschriften der Briefe, wie verbleiben. Es ist zu lang verharrt im Lust- und Lasterleben, Can. So auch das Verharren und die Verharrung. Anm. Im Schwed. framhärda. Im Oberdeutschen wird dieses Zeitwort gern mit dem Hülfsworte seyn verbunden, wobey es denn nicht allein das Beyspiel von verbleiben, sondern auch die Natur der Sache vor sich hat, weil das Verharren mit so wenig Thätigkeit, als möglich, verbunden ist. Das einfache Harren in der eigentlichen Bedeutung des ängstlichen Wartens ist mit mehr Thätigkeit verbunden, und bekommt daher von rechtswegen das Hülfswort haben.


Verharrlich (W3) [Adelung]


Verharrlich, -er, -ste, adj. et adv. welches von einigen für das edlere beharrlich gebraucht wird, ( S. dasselbe.) So auch die Verharrlichkeit.


Verharschen (W3) [Adelung]


Verharschen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, harsch werden, ( S. dieses Wort, auch erharschen.) Die Wunde verharscht, ist verharscht. Eine verharschte Wunde wieder aufreißen. Das Wasser verharscht, von dem Froste. So auch die Verharschung.


Verhärten (W3) [Adelung]


Verhärten, verb. reg. welches in doppelter Gestalt üblich ist. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, hart werden; in welcher Gestalt doch im Hochdeutschen erhärten üblicher ist. Im Oberdeutschen lautet es in dieser Form richtiger erharten und verharten. Deine Unreinigkeit ist so verhärtet, u. s. f. Ezech. 24, 13; wo es aber auch das Mittelwort des folgenden Activi seyn kann, für ist verhärtet worden. 2. Als ein Activum, hart machen. (1) Eigentlich, wo doch in machen Fällen auch das einfache härten üblich ist. Das Feuer verhärtet den Thon. (2) Figürlich. (a) Manche Speisen verhärten den Leib, wenn sie denselben verstopfen. Die Verhärtung des Leibes, die Verstopfung. (b) Im moralischen Verstande, gegen alle sanftern und pflichtmäßigen Empfindungen unempfindlich machen, ingleichen sich verhärten, als ein Reciprocum. Wird er ein Barbar seyn, und sein Herz verhärten können? Und sein verhärteter Ohr ist taub bey unserm Flehn, Schleg. In der Deutschen Bibel verhärtet Gott den Menschen, wenn er zuläßt, daß er gegen alle Bewegungsgründe der Heilsordnung unempfindlich wird, welches auch verstocken genannt wird. Man steigt von Laster zu Laster, bis man endlich in dem Verbrechen verhärtet ist. So auch die Verhärtung, so wohl von der Handlung des Verhörens, als auch im moralischen Verstande von der Fertigkeit, gegen alle pflichtmäßige Bewegungsgründe unempfindlich zu seyn. Schon Kero gebraucht furihertan im moralischen Verstande nach dem Muster des Latein. obdurare.


Verhaspeln (W3) [Adelung]


Verhaspeln, verb. reg. act. mit Haspen oder kleinen Haken verschließen. Eine Thür verhaspeln. Daher in einigen Gegenden in figürlichem Verstande, sich in etwas verhaspeln, verwickeln.


Verhaßt (W3) [Adelung]


Verhaßt, -er, -este, adj. et adv. im hohen Grade gehaßt. Ein verhaßter Mensch. Eine verhaßte Gewohnheit. Das ist mir verhaßt. Sich bey einem verhaßt machen. Jemand verhaßt machen, ihn bey andern verhaßt machen. Ver hat hier eine intensive Bedeutung.


Verhätscheln (W3) [Adelung]


+ Verhätscheln, verb. reg. act. welches nur in einigen niedrigen Sprecharten für verzärteln üblich ist, S. dasselbe.


Verhau (W3) [Adelung]


Der Verhau, des -es, plur. die -e, von dem Zeitworte verhauen, eine Versperrung von niedergehauenen Bäumen, im Nieders. und den gemeinen Hochdeutschen Sprecharten, ein Verhack. Einen Verhau machen.


Verhauchen (W3) [Adelung]


Verhauchen, verb. reg. act. welches nur in der dichterischen Schreibart üblich ist, durch Hauchen der Menge nach erschöpfen; im gemeinen Leben aushauchen. "Den Athem verhauchen", "sterben". Die ermunterten Blumen eröffnen sich duftend In dem frischesten Schmuck und verhauchen Gerüche von Balsam, Zach.


Verhauen (W3) [Adelung]


Verhauen, verb. irreg. act. ( S. Hauen.) 1. * Niederhauen; eine jetzt veraltete Bedeutung. Einen Baum furhouwan, im Tatian. Er hat ihren Bruder verhauen und erstechen lassen, Buntings Braunschw. Chron., wo es aber auch für zerhauen stehen kann. In figürlichem, aber auch veraltetem Verstande, bedeutete es ehedem auch, in einem Treffen schlagen und überwinden. 1. Kürzer oder kleiner hauen, eine noch hin und wieder übliche Bedeutung. Der Herr wird die Äste mit Macht verhauen, Es. 10, 33. Die Daumen verhauen, Richt. 1, 6. Verhauene Daumen, V. 7. Die Winzer verhauen den Weinstock, wenn sie ihn beschneiden. 3. Behauen, d. i. durch Hauen eine Art von Zubereitung geben, nur noch in einigen Fällen, Die Stiefel hatten oben roth Leder und waren verhauen, Faust Limp. Chron. vielleicht ausgehauen, ausgezackt. Bey dem Keltern des Weines wird das Bett verhauen, d. i. die zusammen gepreßten Hülfen werden von Zeit zu Zeit aufgehauen und aufgelockert. Bey den Tuchscherern wird das Tuch auf der linken Seite verhauen, wenn es, ohne vorher gerauhet zu werden, geschoren wird. 4. Durch Hauen versperren, wo man es doch nur in denjenigen Fällen gebraucht, wo man durch niedergehauene Bäume einen Ort versperrt und unzugänglich macht. Einen Wald verhauen. Sich im Walde verhauen. Jemanden den Weg verhauen, eigentlich durch niedergehauene Bäume, figürlich aber auch für versperren überhaupt. ( S. Verhau.) Im Nieders. sagt man in diesem Verstande verhacken, daher daselbst auch Verhack für Verhau üblich ist. 5. Sich verhauen, in der Fechtkunst, nicht so wohl falsch oder fehl hauen, in der folgenden Bedeutung als vielmehr mit dem Begriffe der Erschöpfung, so hauen, daß man nach geführtem Hiebe dem Gegner eine Blöße gibt, die man nicht so gleich wieder decken kann. Figürlich bedeutet es, sich durch Unbesonnenheit im Reden bloß geben. 6. Fehl hauen, gleichfalls als ein Reciprocum, sich verhauen. 7. Falsch hauen, oder vielmehr durch Hauen verderben. So verhauet der Fleischer das Fleisch, wenn er es in unbequeme oder untaugliche Stücke zerhauet. Daher das Verhauen, seltener die Verhauung.


Verhausen (W3) [Adelung]


Verhausen, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben vorkommt, durch übles Hausen, d. i. Haushalten, durchbringen, verschwenden. Sein Vermögen verkaufen. Daher das Verhausen. Von hausen, wohnen, ist verhausen in einigen Oberdeutschen Gegenden, seine Wohnung und in weiterm Verstande, den Ort seines Aufenthaltes verändern.


Verheben (W3) [Adelung]


Verheben, verb. irreg. act. ( S. Heben.) 1. Als ein Reciprocum, sich verheben, sich durch Heben Schaden thun, etwas verrenken oder verletzen. 2. Falsch heben, und besonders falsch abheben. Die Karten werden verhoben, im Kartenspiele, wenn sie falsch abgehoben werden. Ein rohes Buch wird verhoben, wenn die Lagen unrecht abgehoben werden. Daher das Verheben, und in der letzten Bedeutung auch die Verhebung.

Anm. Im Hochdeutschen veraltete Bedeutungen sind: 1. Verhalten, verrücken, einem seine Fehler, genossene Wohlthaten verheben, wo ver für vor zu stehen scheinet. 2. Zuhalten, wo ver eine Verschließung, heben aber im weitesten Verstande, haben, d. i. halten, bedeutet. Jemanden den Mund verheben. Die Nase, die Augen verheben. 3. Zurück halten, wie verhalten. Das Weinen verheben. Alle diese Bedeutungen sind noch in einigen gemeinen Oberdeutschen Sprecharten gangbar.


Verheeren (W3) [Adelung]


Verheeren, verb. reg. act. durch Zerstören und Verwüsten zu Grunde richten, besonders von der Oberfläche der Erde und den darauf befindlichen Dingen. Das Land ist allenthalben jämmerlich verheeret, Ps. 74, 20. Verheerte Städte, Ezech. 36, 38. Der Krieg verheeret die Länder. Die Heuschrecken verheeren die Felder. Daß keine Fluth meine Fluren verheerete. Meine schönste Hoffnungen haben sie in ihrer Blüthe verheeret, von Brawe. Daher die Verheerung. Eine große Verheerung anrichten.

Anm. Bey dem Notker herron, bey andern alten Oberdeutschen Schriftstellern heren, beheren, geheren, im Angels. hergian, in einigen Schweizerischen Gegenden behergen, im Schwed. härja. Es stammet von Heer her, wie populari von populus, und - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - von - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, ( S. Heeren,) und bedeutet daher eigentlich, vermittelst eines Heeres oder in Gestalt eines Heeres, mit einer großen Menge verwüsten. Es wird daher figürlich nur von beträchtlichen Theilen der Erdfläche gebraucht, wenn die Verwüstung und Verderbung gleich nur von einem einzelnen Dinge geschiehet, z. B. von einem Sturme, einem Erdbeben, der Fluth u. s. f. Von einzelnen Gebäuden gebraucht man es nicht. Daraus erhellet zugleich, warum der figürliche Gebrauch, jemandes Herrlichkeit, Hoffnung, Freude u. s. f. verheeren, hart und ungewöhnlich ist. Da das einfache heeren schon diese Bedeutung allein hatte, so stehet ver hier bloß intensive. Vermöge seiner Abstammung bedeuteten heeren und verheeren ehedem noch: 1. Mit Krieg überziehen, bekriegen, heran, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno; Schwed. härja. 2. Überwältigen, überwinden, bey den Schwäbischen Dichtern beheren und verheren. 3. Rauben und plündern, und in weiterm Verstande, berauben. Got wil an froiden mich verheru, Graf Kraft von Toggenburg. Welche aber gänzlich veraltet sind.


Verheften (W3) [Adelung]


Verheften, verb. reg. act. 1. Zusammen heften, wo ver eine Verbindung bezeichnet, in verschiedenen einzelnen Fällen. Eine Wunde verheften, bey den Wundärzten. Bey der Stickarbeit wird der Grund verheftet, wenn man zu den Figuren erst einen Grund von Zwirn legt. Der Bortenwirker verheftet den langen Einschlag der Tresse, wenn er ihn mir feiner Seide unter dem Anschweife befestigt. 2. Falsch heften. So verheftet der Buchbinder ein Buch, wenn er die Bogen und Blätter nicht in der gehörigen Ordnung heftet. So auch die Verheftung.


Verhehlen (W3) [Adelung]


Verhehlen, verb. reg. act. welches jetzt regulär gehet, das Mittelwort ausgenommen, welches aus ein Bey- und Nebenwort noch zuweilen verhoolen lautet. 1. Es ist eigentlich mit verbergen, und figürlich auch mit verschweigen gleich bedeutend. Daß das Land wird offenbaren ihr Blut, und nicht weiter verhehlen, die darin erwürget sind, Es. 26, 21. Meine Augen sehen auf alle ihre Wege, daß sie vor mir sich nicht verhehlen könnet. Jer. 16, 17. In den mittlern Zeiten wurde das Fest der Empfängniß Mariä häufig unser Frauen Tag der verhohlnen, die sich verborgen hatte, genannt. Sie (die Weisheit) ist verhohlen vor den Augen aller Lebendigen, Hiob 28, 21. Diu nahe in minem herzen lit Verholne nu vil manigentac, Reinmar der Alte. Doch in dieser weitern Bedeutung, welche noch in dem Gegensatze unverhohlen vorkommt, ist es jetzt im Hochdeutschen veraltet. 2. Man gebraucht es jetzt nur noch in engern Verstande, auf eine pflichtwidrige Art verbergen, verbergen, was man nicht verbergen sollte, so wohl eigentlich von Sachen. Gestohlne Sachen verhehlen. Als auch, und zwar am häufigsten, auf solche Art verschweigen. Ich verhehle meine Missethat nicht, Ps. 32, 5. Die Wahrheit verhehlen. Verhehle mir nichts. Ich habe keinen Umstand verhehlet oder verhohlen. So auch das Verhehlen und die Verhehlung.

Anm. Dieses alte Wort lautet schon bey dem Kero farhelan, bey dem Ottfried firhelan, bey dem Willeram verhelan, die es insgesammt in der ersten weitern Bedeutung des Verbergens gebrauchen, und auch das einfache helan in eben demselben Verstande haben. Im mittlern Lateine ward es durch foriscelare übersetzt. ( S. Hehlen, wo schon die Abstammung dieses Wortes gezeiget worden.) Beyde, so wohl das einfache als zusammen gesetzte Zeitwort, gingen ehedem irregulär: Imperf. ich hahl, verhahl, wovon noch das Mittelwort verhohlen üblich ist, welches noch häufig für verhehlet gebraucht wird, obgleich das Imperfectum im Hochdeutschen jederzeit regulär gebraucht wird.


Verheilen (W3) [Adelung]


Verheilen, verb. reg. act. et neutr. im letzten Falle mit dem Hülfsworte seyn. 1. Zuheilen, so wohl active, zuheilen machen, als auch intransitive, heil werden. Die Wunde ist verheilet. Der Wundarzt hat die Wunde verheilet. 2. Castriren, verschneiden, S. 2. Heilen. S. auch die Verheilung.


Verheimlichen (W3) [Adelung]


Verheimlichen, verb. reg. act. heimlich halten, besonders von Sachen, welche man theils nicht nöthig hat, heimlich zu halten, theils nicht heimlich halten sollte, im letzten Falle ungefähr so, wie verhehlen. Einen gefundenen Schatz, gestohlne Sachen verheimlichen. Einen entdeckten Anschlag verheimlichen. Etwas vor jemanden verheimlichen. Sie wurde nicht die mindeste Ursache haben, ihre Empfindung zu verheimlichen, Weiße. Ein entstandenes Feuer verheimlichen. Daher die Verheimlichung.


Verheirathen (W3) [Adelung]


Verheirathen, verb. reg. act. durch Heirath mit einer andern Person verbinden, so wohl absolute. Seine Tochter verheirathen, im gemeinen Leben auch ausheirathen. Sich verheirathen. Verheirathete Kinder haben. Verheirathet seyn. Als auch mit Bezeichnung der Person, welche durch Vorwörter ausgedruckt wird. Seine Tochter an einen angesehenen Mann verheirathen. Noch häufiger mit dem Vorworte mit. Seinen Sohn mit einer Person verheirathen. Sich mit einer Person verheirathen, sie heirathen. Aber der biblische intransitive Gebrauch, ohne Reciprocation, welcher verheirathet, der thut wohl, welcher aber nicht verheirathet, der thut besser, 1 Cor. 7, 38, ist wider den Sprachgebrauch. Daher die Verheirathung.


Verheißen (W3) [Adelung]


Verheißen, verb. irreg. act. ( S. Heißen,) welches ehedem für versprechen, promittere, sehr üblich war, besonders für versprechen, etwas zu thun, oder zu geben. In der Deutschen Bibel kommt es daher noch sehr häufig vor. Und verheißen ihnen Freyheit, 2 Pet. 2, 9. Menelaus verhieß dem Ptolemäo, viel Gutes, 2 Macc. 4, 45. Was der Herr verheißen hat, 1 Mos. 15, 19. Das verheißene Land, Ebr. 11, 9. Und so in hundert Stellen mehr. Im Hochdeutschen gebraucht man es am häufigsten im engern Verstande, ein Gutes zu geben versprechen. Der verheißne Segen: Folgen denn Ehre und Ansehen so gewiß der Tugend nach, als man uns in unsern jüngern Jahren rednerisch verheißt? Gell.

Anm. Schon bey dem Kero forakeheizan, bey andern alten Schriftstellern theils nur heißen, theils auch geheißen und beheißen, bey dem Opitz verheischen, im Nieders. verheten, welches daselbst auch als ein Reciprocum gebraucht wird, sich verheißen, angeloben, etwas nicht zu thun. S. Heißen.


Verheißung (W3) [Adelung]


Die Verheißung, plur. die -en, das Versprechen eines künftigen Guten. Das Wort der Verheißung, in der Theologie, diejenigen Worte, welche das mit dem Genusse des Sacramentes verheißne Gute enthalten, zum Unterschiede von den Worten der Einsetzung. Die biblischen R. A. einem Verheißung thun, mir ist die Verheißung worden oder geworden, sind veraltet.


Verhelen (W3) [Adelung]


Verhelen, S. Verhehlen.


Verhelfen (W3) [Adelung]


Verhelfen, verb. irreg. act. ( S. Helfen,) zum Besitze oder Genusse einer Sache helfen, mit der vierten Endung der Person. Jemanden zu etwas, zu einem Amte, zu einer Beförderung verhelfen. Ich habe ihn zu einem ansehnlichen Gewinn verholfen. Ich will dich zu der Ehre verhelfen, daß du ihn sehen sollst. Daher die Verhelfung.

Anm. Gemeiniglich gebraucht man dieses Wort mit der dritten Endung, einem zu etwas verhelfen, Gottsch. welches aber ganz wider die Natur der mit ver zusammen gesetzten Zeitwörter ist, welche allemahl die vierte Endung der Sache erfordern.


Verhenkert (W3) [Adelung]


Verhenkert, adj. et adv. ein nur in den gemeinen Sprecharten übliches Wort, als ein glimpflicher Ausdruck für das härtere verteufelt, im hohen Grade arg, böse u. s. f. Das wäre ein verhenkerter Streich. Ein verhenkerter Mensch; Verhenkert böse. Im Nieders. hengersk, verhengert. S. Henker.


Verhergen (W3) [Adelung]


* Verhergen, eine veraltete Form für verheeren, welche noch 3 Esr. 4, 45 vorkommt. S. Verheeren.


Verherrlichen (W3) [Adelung]


Verherrlichen, verb. reg. act. herrlich machen, die Herrlichkeit ertheilen. Die verherrlichten Gerechten, die Seligen im Himmel. Ingleichen die Herrlichkeit einer Person feyerlich offenbaren. So ward Christus bey seiner Verklärung verherrlichet. Gott verherrlichen seine Vollkommenheiten im hohen Grade bekannt machen. Daher die Verherrlichung.


Verhetzen (W3) [Adelung]


Verhetzen, verb. reg. act. durch Hetzen, d. i. mehrmahliges Unterreden zu einer bösen Sache bewegen. Zu etwas verhetzet werden. Jemanden zu etwas verhetzen. In engerer Bedeutung, auf solche Art wider jemanden aufbringen. Sie verhetzen den Demetrium wider Judam, 2 Maccab. 14, 11. Nieders. verschünden.


Verhinderlich (W3) [Adelung]


Verhinderlich, -er, -ste, adj. et adv. was verhindert, Verhinderung bringt, wofür doch hinderlich üblicher ist.


Verhindern (W3) [Adelung]


Verhindern, verb. reg. act. welches mit hindern gleichbedeutend ist, nur das ver hier eine Intension bezeichnet. Etwas verhindern, Ursache werden, das es nicht geschehe. Jemanden an etwas verhindern, Ursache seyn, daß jemand etwas nicht vollbringe. Bisher bin ich verhindert (worden) zu euch zu kommen, Röm. 1, 12.


Verhinderniß (W3) [Adelung]


* Das Verhinderniß, des -sses, plur. die -e, ein im Hochdeutschen seltenes Wort, für Hinderniß oder Verhinderung, welches im Oberdeutschen am gangbarsten ist, und von einigen auch im weiblichen Geschlechte gebraucht wird.


Verhinderung (W3) [Adelung]


Die Verhinderung, plur. die -en. 1. Die Handlung des Verhinders, ohne Plural. 2. Dasjenige, was uns verhindert, das Hinderniß, mit dem Plural. Lauter Verhinderungen haben.


Verhitzen (W3) [Adelung]


Verhitzen, verb. reg. act. et recipr. 1. Sich verhitzen, im gemeinen Leben einiger Gegenden für das edlere erhitzen. 2. Auf eine fehlerhafte Art, zu sehr hitzen, auch zuweilen nur im gemeinen Leben. Den Ofen verhitzen. Besser verheitzen.


Verhoffen (W3) [Adelung]


Verhoffen, verb. reg. act. et neutr. welches im letztern Falle das Hülfswort haben bekommt, und zuweilen statt des einfachen hoffen gebraucht wird, so daß ver hier bloß intensive stehet. Zu Lacedämon, da er verhoffte einen Aufenthalt zu finden, 2 Macc. 5, 9. Daher das Verhoffen, besonders mit dem Vorworte wider. Es geschah wider alles Verhoffen. Anm. In den Oberdeutschen Kanzelleyen ist man mit dieser müßigen Verlängerung noch nicht zufrieden, sondern gebraucht dafür wohl gar anverhoffen. Bey den Jägern wird dieses Wort noch in mehr eigentlichem Verstande gebraucht, indem man daselbst von einem Thiere sagt, es verhoffe, wenn es stutzig wird, stille stehet, und sich umsiehet. So fern ver eine destruirende Bedeutung hat, war verhoffen ehedem die Hoffnung fahren lassen, in welcher Bedeutung es aber längst veraltet ist.


Verhoffentlich (W3) [Adelung]


Verhoffentlich, adv. welches im gemeinen Leben für hoffentlich gebraucht wird, der edlern Schreibart aber fremd ist.


Verhohlen (W3) [Adelung]


Verhohlen, S. Verhehlen.


Verhöhnen (W3) [Adelung]


Verhöhnen, verb. reg. act. mit Hohn belegen, im gemeinen Leben auch aushöhnen, Nieders. hohnecken. Es ist in der anständigern Schreibart am üblichsten. Wir haben sie nicht verhöhnet, 1 Sam. 25, 7. So auch die Verhöhnung. Bey dem Ottfried nur gihonen.


Verhör (W3) [Adelung]


Das Verhör, des -es, plur. die -e, die gerichtliche Anhörung und Veranstaltung der Aussagen anderer. Ein Verhör anstellen. Jemanden zum Verhöre ziehen, seine Aussage gerichtlich zu thun auflegen. Das Zeugenverhör, oder Verhör der Zeugen. Eine Sache in Verhör ziehen. Für Audienz oder Gehör ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich. Im Oberdeutschen wird es im weiblichen Geschlechte gebraucht, die Verhör, plur. die -en.


Verhören (W3) [Adelung]


Verhören, verb. reg. act. 1. Als Richter die Aussagen eines andern anhören. Verhöret eure Brüder, und richtet recht zwischen jedermann, 5 Mos. 1, 16. Christus wurde vor Pilato verhöret, Luc. 23, 14. Richtet unser Gesetz auch einen Menschen, ehe man ihn verhöret? Joh. 7, 51. Man verhöret so wohl einen Beklagten, als auch einen Zeugen. Im gemein. Leben einiger Gegenden sagt man auch, jemanden seine Lection verhören, für überhören. 2. Bey den Jägern wird es in noch weiterm Verstande gebraucht, den Aufenthalt eines Wildes oder Geflügels aus seiner Stimme ausfindig machen; da denn so wohl Hirsche, als auch Auerhähne und Feldhühner, verhöret werden, wofür auch bey einigen verlusen üblich ist, von dem veralteten lusen, hören, ( S. Lauschen.) 3. Eine Sache aus Unachtsamkeit entweder gar nicht hören, wie überhören, oder sie falsch hören. Das habe ich verhöret. Die sich aus Eigensinn von der Ehe abhalten lassen, verhören die weise Stimme der Natur, Sonnenf. Die Unschuld schreyt zu dir, verhör nicht ihre Stimme, Weiße. So auch das Verhören.


Verhörer (W3) [Adelung]


* Der Verhörer, des -s, plur. ut nom. sing. von Verhören. 1. ein ungewöhnliches Wort, einen Richter zu bezeichnen, welcher die Klagen willig anhöret. Du hast keinen Verhörer vom Könige, 2 Sam 15, 8. Wer gibt mir einen Verhörer? Hiob 31, 35.


Verhüllen (W3) [Adelung]


Verhüllen, verb. reg. act. vermittelst einer Hülle verbergen, durch eine Hülle, das ist, Decke, verbergen, dem Gesichte anderer entziehen, in welchem Verstande es mehr in der edlern Schreibart, als im gesellschaftlichen Umgange, vorkomm. Rebecca verhüllete sich mit dem Mantel, 1 Mos. 24, 65. So auch das Haupt, das Angesicht, den Mund verhüllen, in andern Stellen. Seinen Leib gebührlicher Weise verhüllen, Sir. 38, 16. d. i. bedecken. Ingleichen figürlich für sich verbergen, verdecken, in der edlern Schreibart. Deine Feinde werden sich in Scham verhüllen. Das Licht der Seele verhüllt sich in Finsternisse, wenn wir es mißbrauchen, Gell. Alles schien sich um mich her in Nacht und Grauen zu verhüllen. Des Schöpfers weisen Willen Pflegt eine dunkle Nacht vor uns noch zu verhüllen, Weiße. So auch die Verhüllung. S. Hüllen.


Verhungern (W3) [Adelung]


Verhungern, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn. 1. Vor Hunger umkommen, im Oberdeutschen erhungern. Jemanden verhungern lassen. Daher das Verhungern. 2. Das Mittelwort verhungert bedeutet außerdem noch sehr hungrig, gleichsam ausgehungert. S. Ver 2. Verhungert seyn, aussehen. Ein verhungert Hühnchen fand Einen feinen Diamant, Haged.


Verhunzen (W3) [Adelung]


Verhunzen, verb. reg. act. welches nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist, eigentlich verstümmeln, und dadurch des gehörigen Ansehens berauben, am häufigsten aber figürlich, verderben, besonders so verderben, daß eine Sache ihre gehörige Gestalt und Brauchbarkeit verliere. Der Pfuscher verhunzt die Arbeit. Jemanden die ganze Sache verhunzen. Die Sache ist schon verhunzt, verdorben. Daher das Verhunzen.


Verhuren (W3) [Adelung]


Verhuren, verb. reg. act. welches auch nur in den niedrigen Sprecharten gebraucht wird. 1. Mit Huren durchbringen. Sein Vermögen verhuren. 2. * Sich verhuren, sich durch Hurerey, und figürlich durch Abgötterey, versündigen, Richt. 8, 27, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. Schon Ottfried gebraucht sirhuaran, für das einfache huren. 3. Das Mittelwort verhurt bedeutet überdieß noch in den harten und niedrigen Sprecharten, der Hurerey ergeben. Siehe Ver 2. Verhurt seyn. Ein verhurter Mensch.


Verhüthen (W3) [Adelung]


Verhüthen, verb. reg. act. welches in doppelten Verstande üblich ist. 1. Von hüthen, das Vieh auf der Weide beobachten, ist verhüthen, es falsch, nachlässig hüthen, so daß dadurch ein Schade entsteht. Man verhüthet die Schafe, so wohl, wenn man sie auf verbothene, ingleichen auch auf unreine und ungesunde Weide treibet, als auch, wenn eins oder mehrere Schafe durch Nachläßigkeit des Hirten verloren gehen. 2. Von hüthen, Aufsicht über etwas haben, ist verhüthen, Ursache werden, daß ein Übel nicht erfolge. Schaden und Nachtheil verhüthen. Verhüthen, daß uns nicht jemand übels nachreden möge. 2 Cor. 8, 20. Das wolle Gott verhüthen! Gott verhüthe es! So auch das Verhüthen und die Verhüthung.


Verjagen (W3) [Adelung]


Verjagen, verb. reg. act. in die Ferne jagen, so daß sich das Zeitwort mehr auf die Entfernung, als auf den Ort beziehet, auf welchem jemand gejagt wird. Die Diebe wurden verjagt. Die Vögel verjagen. Jemanden von Haus und Hof verjagen, oder vertreiben. Die Verjagten herbergen, Es. 16, 3, 4. Daher die Verjagung.

Anm. Schon bey dem Ottfried firjagen. Das Nieders. verjagen bedeutet außer dem noch erschrecken, so wohl active als intransitive. Daher ist die Verjagniß daselbst der Schrecken, und verjagsam, schreckhaft, furchtsam. Auf ähnliche Art ist erschrecken von schrecken, springen und springen machen gebildet.


Verjähen (W3) [Adelung]


* Verjähen, ein veraltetes Wort für bekennen, S. Beichten.


Verjähren (W3) [Adelung]


Verjähren, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert. 1. * Eigentlich, wie veralten, nicht bloß alt werden, sondern zu einer gewissen Bestimmung zu alt werden; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, in welcher im Nieders. unverjahrt zum Heirathen noch nicht zu alt, bedeutet. Si wil mih lan in diesen zwein veriaren, Graf Kraft von Toggenburg. 2. In engerer Bedeutung ist verjähren durch eine lange Reihe von Jahren so wohl rechtskräftig, rechtmäßig, als auch umgekehrt un gültig werden. Landesherrliche Regalia verjähren niemahls, die unterlassene Ausübung derselben gereicht ihnen durch keine Zeitdauer zum Nachtheil, sie können zu allen Zeiten wieder in Besitz genommen werden, dagegen in andern Fällen die Ansprüche nach einem ununterbrochenen Besitz von gewissen Jahren verjähren, d. i. ungültig werden. Ein verjährter Besitz, der durch eine lange Zeitdauer rechtskräftig geworden. Daher auch figürlich, verjährte Vorurtheile, die durch die lange Zeitdauer ein ehrwürdiges Ansehen gewonnen haben. Eigentlich bedeutet verjähren, durch eine lange Reihe von Jahren ungültig werden, der Menschheit unverjährte Rechte, Hall. Es geschiehet daher nicht ohne Zweydeutigkeit, wenn es von einigen im entgegen gesetzten Verstande gebraucht wird, dadurch gültig werden. So auch die Verjährung, Praescriptio. Ehedem war für verjähren auch verwähren üblich.


Verich (W3) [Adelung]


Verich, Vering, S. Alose.


Verinteressieren (W3) [Adelung]


Verinteressieren, verb. reg. act. im gemeinen Leben, Interesse von etwas geben, verzinsen. Ein Capital verinteressieren.


Verirren (W3) [Adelung]


Verirren, verb. reg. welches so wohl als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, als auch als ein Reciprocum gebraucht wird, durch Irrthum von dem rechten Wege abkommen, in die Irre gerathen. Als ein Neutrum. Ein Hirte sucht seine Schafe, wenn sie von seiner Herde verirret sind, Ezech. 34, 12. Sie sind verirret im Lande, 2 Mose 14, 3. Er fing zwey Seufzer auf, die aus der Brust verirrten, Zachar. Aber als ein Activum, wie Offenb. 18, 23: sie sind verirret worden, in die Irre geführet worden, ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich, obgleich das Nieders. vererren noch so gebraucht wird. Am üblichsten ist es als ein Reciprocum. Sich im Walde verirren. Ein Schaf, welches sich von der Herde verirret hat. Ein verirrtes Schaf. Ingleichen figürlich. So manches Herz, das sich verirrte, hat an dem Freunde einen Retter gefunden, Gell. Ihre verirrte Fantasie gebietet diese Schreckbilder. Daher das Verirren, und die Verirrung. Schon bey dem Notker ferirron.


Verjüngen (W3) [Adelung]


Verjüngen, verb. reg. act. 1. Wieder jung machen, sich verjüngen, wieder jung werden. Sich verjüngen als ein Adler. Die Schlangen verjüngen sich durch Abstreifung der Haut. Figürlich verjüngt sich im Frühlinge die Natur. Die verjüngte Schönheit der Natur. 2. Dünner und kleiner machen. (1) Dünner. Ein Stück Stein verjüngen. Eine Säule verjüngt sich nach oben zu. Schiffe, welche schnell segeln sollen, müssen sich von ihrer Mitte an gegen das Vorder- und Hin- tertheil verjüngen. (2) Verkleinern, doch nur am häufigsten im engern Verstande, ein Ding im Kleinen einem größern ähnlich machen, mit Beybehaltung des Verhältnisses aller Theile, besonders in den bildenden Künsten. Eine Zeichnung, einen Riß verjüngen. Der verjüngte Maßstab. So auch die Verjüngung.

Anm. In der ersten Bedeutung hatte man ehedem dafür so wohl das Neutrum jungen, als auch das Activum jüngen, welches noch bey dem Notker und den Schwäbischen Dichtern vorkommt.


Verkalben (W3) [Adelung]


Verkalben, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, in der Hauswirthschaft. Eine Kuh verkalbet, wenn sie ihr Kalb zur unrechten Zeit, oder auf die unrechte Art, zur Welt bringet, wenn sie mißgebäret, bey andern Thieren verwerfen. Daher das Verkalben.


Verkalken (W3) [Adelung]


Verkalken, verb. reg. act. zu Kalk brennen, in Kalk verwandeln, calcinieren, in manchen Fällen auch nur brennen. Steine verkalken. Die Goldschmiede gebrauchen verkalkten Weinstein.


Verkälten (W3) [Adelung]


Verkälten, verb. reg. act. kaltmachen, welches indessen nur in engerer Bedeutung und als ein Reciprocum üblich ist, sich verkälten; sich durch Kälte oder Kühle eine Unpäßlichkeit zuziehen, sich erkälten. Daher die Verkältung.


Verkappen (W3) [Adelung]


Verkappen, verb. reg. act. mit einer Kappe verhüllen, verbergen. Verkappt seyn, gehen, dem Gesichte nach. In der Jägerey wird der Falke verkappt, wenn man ihm eine Kappe über die Augen ziehet. Figürlich nennt man jemanden verkappt, wenn er sich aus böser Absicht unter einen falschen Nahmen verbirget. Ein verkappter Schriftsteller. Daher die Verkappung.


Verkauf (W3) [Adelung]


Der Verkauf, des -es, plur. die Verkäufe, die Handlung, da man etwas verkauft, das Eigenthum einer Sache einem andern gegen einen gewissen Preis überträget. Der Verkauf eines Hauses. Einen Verkauf bestätigen. Nieders. Verkopp.


Verkaufen (W3) [Adelung]


Verkaufen, verb. reg. act. das Eigenthum einer Sache an einen andern gegen ein bedungenes Stück Geld übertragen, Waare gegen Geld geben. Einem etwas verkaufen. Eine Sache wohlfeil, theuer verkaufen. Etwas für einen hohen Preis verkaufen. Waaren zu verkaufen haben. Etwas aus freyer Hand verkaufen, im Gegensatze des gerichtlichen Verkaufes. Etwas an einen, oder einem etwas verkaufen. An die Meistbiethenden verkaufen, verauctionieren. Die Einwohner eines Landes zu Sclaven verkaufen. Mit Schaden verkaufen. Cartesius verkaufte uns Träume für Wahrheiten. Daher das Verkaufen und die Verkaufung, für welches letztere doch Verkauf üblicher ist.

Anm. Schon bey dem Kero farchaufan, im Tatian furcoufen, bey dem Ottfr. firkoufen, im Nieders. verkopen. Ver hat hier die erste Bedeutung der Entfernung.


Verkäufer (W3) [Adelung]


Der Verkäufer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verkäuferinn, derjenige, welcher etwas verkauft, zum Unterschiede von dem Käufer.


Verkäuflich (W3) [Adelung]


Verkäuflich, adj. et adv. 1. In Gestalt eines Verkaufes, wie käuflich, doch nur als ein Nebenwort. Jemanden etwas verkäuflich überlassen, besser, es ihm verkaufen. 2. Was sich leicht verkaufen lässet, gut abgehet, hin und wieder im gemeinen Leben. Eine verkäufliche Waare. In welchem Verstande man auch wohl das Hauptwort die Verkäuflichkeit hat. Oft gebraucht man beyde auch wohl in weiterm Verstande, was verkauft werden kann. Das ist mir nicht verkäuflich.


Verkauten (W3) [Adelung]


* Verkauten, verb. reg. act. welches nur in den gemeinen Sprecharten einiger Gegenden für vertauschen üblich ist. S. Kaudern.


Verkehr (W3) [Adelung]


Der Verkehr, des -es, plur. car. ein nur in Einer Bedeutung des folgenden Zeitwortes übliches Wort, so wohl den Handel und Wandel zu bezeichnen. Es ist vieler Verkehr an einem Orte, wenn viele Waaren daselbst verkehret oder abgesetzet werden, vieler Handel und Wandel. Als auch in noch weiterm Verstande, Verkehr mit jemanden haben, Umgang, Gemeinschaft. Wir haben vielen Verkehr mit einander gehabt. Ich habe keinen Verkehr mit ihm. Nieders. gleichfalls Verkeer. Von vielen wird es im ungewissen Geschlechte gebraucht, das Verkehr.


Verkehren (W3) [Adelung]


Verkehren, verb. reg. act. welches in einer doppelten Hauptbedeutung gebraucht wird. 1. Anders kehren oder wenden, so daß ver hier bloß eine Änderung, andere Richtung, oder auch nur eine Intension bezeichnet. Es ist in dieser Bedeutung nur noch in einigen figürlichen Fällen gangbar. (1) Absolute bedeutet verkehren noch im gemeinen Leben, besonders mancher Gegenden, Waaren absetzen, Handel und Wandel treiben, verkaufen; Nieders. gleichfalls verkeeren. Jemand verkehrt viel, wenn er viel Waaren absetzt. Es wird bey ihm, an diesem Orte nicht viel verkehrt. Nach einer noch weitern Figur sagt man im gemeinen Leben, so wohl Ober- als Niederdeutschlandes, mit jemanden verkehren, Gemeinschaft, Umgang mit ihm haben. Ich habe in meinem Leben viel mit ihm verkehrt. (2) Verwandeln in den entgegen gesetzten guten oder bösen Zustand versetzen. Swenne si wil mir verkeren den Kumber min, der Schenke von Limburg. Das Leid in gute Tage verkehren, Esth. 9, 22. Eure Traurigkeit soll in Freude, Joh. 16, 20; eure Freude in Traurigkeit verkehret werden, Jac. 4, 9. Die Sonne in Finsterniß verkehren, Apost. 2, 20. In dieser Bedeutung ist es um der Zweydeutigkeit mit der folgenden Willen veraltet. 2. Aus der gehörigen oder doch gewöhnlichen Richtung in die entgegen gesetzte falsche oder ungewöhnliche bringen. (1) Eigentlich, wo es in manchen Fällen von allen Richtungen gebraucht wird. Die Augen verkehren, besser verdrehen. Am häufigsten aber nach der gewöhnlichen oder gehörigen Richtung der entgegen gesetzten kehren, das obere unten, das vordere hinten kehren; umkehren hat den Begriff der falschen ungehörigen Richtung nicht, welchen verkehren gewähret. Ein Buch verkehren. Am üblichsten ist indessen in dieser Bedeutung das Mittelwort verkehrt, in Gestalt eines Nebenwortes. Das Buch verkehrt nehmen, halten, so daß das untere oben komme. Die Strümpfe verkehrt anziehen, so daß die innere Seite wider die Gewohnheit auswärts komme. Etwas verkehrt angreifen, an dem ungewöhnlichen, unrechten Ende. (2) Figürlich, wo es, (a) in vielen Fällen gebraucht wird, wo man etwas in derjenigen Art thut, welche der gewöhnlichen und allein als richtig angenommenen Art entgegen gesetzt ist. Die Ordnung der Natur verkehren. Jemandes Worte verkehren, besser verdrehen, ihnen die entgegen gesetzte unrichtige Deutung geben. Das Recht verkehren, besser verdrehen, so fern von einer unrichtigen Deutung die Rede ist. Die Geschenke verkehren die Sache der Gerechten, 2 Mos. 23, 8. So auch das Mittelwort verkehrt. Alle seine Sachen verkehrt anfangen, anstellen. Lauter verkehrte Arbeit machen. Außer dieser objectiven und passiven Bedeutung wird das Mittelwort nach dem Muster so vieler anderer auch noch in subjectiven und thätigem Verstande gebraucht, und da ist ein verkehrter Mensch, welcher die Gewohnheit, Fertigkeit besitzt, auf eine der gewöhnlichen oder richtigen, entgegen gesetzte Art zu handeln, und darin gegründet. Ein verkehrtes Betragen. ( S. Verkehrtheit.) (b) In der Deutschen Bibel ist verkehren, zur Sünde verleiten, von dem Wege der Tugend auf den entgegen gesetzten bringen. Die reitzende Lust verkehrt unschuldige Herzen, Weish. 4, 12. Daß die Bosheit seinen Verstand nicht verkehre, V. 11. Und haben etlicher Glauben verkehrt, 2 Mos. 2, 18. Da denn auch das Mittelwort häufig für lasterhaft, böse, gebraucht wird. Die verkehrte Art, 5 Mos. 32, 5, 20. Bey den Verkehrten bist du verkehrt, 2 Sam. 22, 27. Ein verkehrter Sinn, Röm. 1, 28. Außer der biblischen Schreibart wird diese Bedeutung wenig mehr gebraucht, außer, wo sie mit der vorigen weitern zusammen schmilzt. So auch die Verkehrung.

Anm. Das Verkehren, eine Art des Bretspieles, wo man mit fünf Steinen und Banden spielet, gehöret zur ersten veralteten weitern Hauptbedeutung des Veränderns, indem es seinen Nahmen unstreitig von den schnellen Glücksfällen, die dabey vorfallen, hat. Huiusmodi appellatio nem meruit hic ludus, propter subitas mutationes, quae inter ludendum accidere solent u. s. f. Hyde de ludis orient. Im Holländ. wird es gleichfalls Varkeer, im Dän. Forkeering, und im Französ. mit einem aus dem Deutschen gemodelten Worte Verquier genannt. Hyde zeigt, daß es bey den Arabern und andern Morgenländern üblich ist.


Verkehrtheit (W3) [Adelung]


Die Verkehrtheit, plur. die -en. 1. Die Eigenschaft, da ein Ding verkehret ist, am häufigsten in den figürlichen Fällen der zweyten Hauptbedeutung, und ohne Plural. Es wird dabey so wohl objective gebraucht. Die Verkehrtheit des Gemüths, einer Handlung u. s. f. Als auch subjective. Die Verkehrtheit eines Menschen. 2. Eine verkehrte Handlung, auch nur in den figürlichen Bedeutungen, und mit dem Plural.


Verkeilen (W3) [Adelung]


Verkeilen, verb. reg. act. mit Keilen befestigen, verbinden. So auch die Verkeilung.


Verkeilspitzen (W3) [Adelung]


Verkeilspitzen, verb. reg. act. welches nur im Festungsbaue üblich ist, Keilspitze machen, dadurch bezeichnen. S. Keilspitz.


Verkennen (W3) [Adelung]


Verkennen, verb. reg. act. ( S. Kennen,) irrig erkennen, doch nur im engern Verstande, aus Irrthum für etwas anders halten, als es ist. Jemanden verkennen, ihn für eine andere Person halten. Den Werth einer Sache verkennen, ihn entweder gar nicht kennen, oder ihn doch nicht gehörig zu schätzen wissen. Wie ist es möglich, einen Mann zu schätzen, der seinen eigenen Werth verkennt! Wie sehr verkennen sich die Menschen, die von dem feinern Vergnügen nichts wissen wollen, die ihnen der Schöpfer vorgesetzt hat! Der mich und dich verkennt, Opitz.


Verketteln (W3) [Adelung]


Verketteln, verb. reg. act. mit Ketteln, d. i. kleinen Ketten befestigen, verbinden. Eine Thür verketteln. Daher die Verkettelung.


Verketten (W3) [Adelung]


Verketten, verb. reg. act. mit Ketten verbinden. Besonders im figürlichen Verstande. Ein wohl verketteter Schluß, wo alle Sätze auf das genaueste verbunden sind. Daher die Verkettung.


Verketzern (W3) [Adelung]


Verketzern, verb. reg. act. für einen Ketzer erklären, besonders in engerm Verstande, auf unbefugte, unnöthige, ungegründete Art für einen Ketzer erklären. Jemanden verketzern. Daher die Verketzerung.


Verkielen (W3) [Adelung]


Verkielen, verb. reg. act. mit Kielen versehen. Das junge Federvieh verkielet sich, wenn es gehörige Federn zum Fliegen bekommt.


Verkitten (W3) [Adelung]


Verkitten, verb. reg. act. mit Kitt befestigen, verbinden. So auch die Verkittung.


Verklagen (W3) [Adelung]


Verklagen, verb. reg. act. Klage wider jemanden bey einem führen. Jemanden verklagen, ihn bey einem andern, bey der Obrigkeit verklagen. Jemanden vor einem andern verklagen, für bey, ist veraltet. Jemanden wegen eines Verbrechens, wegen eines Diebstahles, wegen eines Mordes verklagen. Verklagt werden. Der Verklagte, wofür im gerichtlichen Verstande Beklagte üblicher ist, so wie verklagen überhaupt mehr im außergerichtlichen, klagen aber mehr im gerichtlichen Verstande üblich ist. So auch die Verklagung, wofür doch die Klage üblicher ist. Anm. Ehedem wurde es auch für beklagen, d. i. über den Verlust einer Sache klagen, gebraucht, in welchem Verstande es bey dem Stryker mehrmahls vorkommt.


Verkläger (W3) [Adelung]


Der Verkläger, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verklägerinn, eine Person, welche eine andre verklagt, wofür doch jetzt Kläger üblicher ist. Weib, wo sind deine Verkläger? Joh. 8, 10.


Verklammen (W3) [Adelung]


Verklammen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn bekommt, vor Kälte erstarren, ein nur in den gemeinen Sprecharten übliches Wort. Die Hände sind ihm verklammt. S. Klamm.


Verklammern (W3) [Adelung]


Verklammern, verb. reg. act. mit Klammern befestigen, verbinden. Die Hängesäulen werden auf den Balken mit Eisen verklammert, mit eisernen Klammern. In weiterm Verstande wird in der Zimmermannskunst auch die Verbindung mit Schwalbenschwänzen die Verklammerung genannt.


Verklären (W3) [Adelung]


Verklären, verb. reg. act. klar machen. 1. Eigentlich, klar, helle, heiter machen, in welchem Verstande es doch nur noch zuweilen in der dichterischen Schreibart vorkommt. Den unwirthbaren Sitz Verklärt, doch selten nur, ein rother schneller Blitz, Hag. Doch, wie schön entwölkt, wie verklärt lächelt der Himmel wieder, Gieseke. 2. Figürlich. (1) * Klar, d. i. deutlich machen; eine veraltete Bedeutung, wofür jetzt erklären üblich ist. Ehedem wurde es auch für erklären, feyerlich aussagen, declarare, gebraucht. (2) Deutliche Erkenntniß von jemandes Klarheit, d. i. Herrlichkeit, wirken; eine nur in der Deutschen Bibel und biblischen Schreibart übliche Bedeutung. Vater erkläre deinen Nahmen, Joh. 12, 28. Nun ist des Menschen Sohn verkläret, und Gott ist verkläret in ihm, und wird ihn bald verklären, Kap. 13, 51. (3) Nach einer andern gleichfalls nur biblischen Bedeutung bezeichnet es durch eine Verwandlung der außerwesentlichen Umstände einen höhern Grad der Klarheit, der Feinheit, der Bewegungskraft und Geschwindigkeit ertheilen. In diesem Verstande ward Christus auf Thabor verklärt. Welcher verklären wird unsern nichtigen Leib, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe, Phil. 3, 21. So auch die Verklärung.


Verklatschen (W3) [Adelung]


Verklatschen, verb. reg. act. welches nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist. 1. Etwas verklatschen, eine Sache durch Ausklatschen, d. i. unzeitige Bekanntmachung, voreilige Schwatzhaftigkeit verderben. Die Sache ist schon verklatscht. Auch nur überhaupt so viel, wie ausklatschen. 2. Jemanden verklatschen, ihn durch Klätscherey in einen übeln Ruf bringen. So auch die Verklatschung. S. Klatschen.


Verklecken (W3) [Adelung]


Verklecken, verb. reg. act. durch Klecken der Menge nach erschöpfen. Viel Dinte verklecken.


Verkleiben (W3) [Adelung]


Verkleiben, verb. irreg. act. 1. Durch Kleiben alle machen, der Menge nach erschöpfen. Vielen Lehm verkleiben. 2. Zukleiben, durch Kleiben verstopfen. Ein Loch mit Lehm verkleiben. 3. Durch Kleiben verbinden. So auch die Verkleibung.


Verkleiden (W3) [Adelung]


Verkleiden, verb. reg. act. 1. Mit einer Bekleidung überziehen, in der weitesten Bedeutung des Wortes kleiden, in welchem Verstande es bey den Handwerkern und Künstlern häufig vorkommt. Die Sparren eines Daches mit Bretern verkleiden, in einigen Gegenden auch ausschalen. Eine Thür, ein Fenster verkleiden, mit Bretern einfassen. Die Thür, oder Fensterverkleidung. Die Schiffe werden mit Planken verkleidet, welche Planken alsdann auch die Verkleidung heißen. Eine hölzerne Wand mit einer Mauer verkleiden. 2. Anders kleiden, wie umkleiden. In dieser weitern Bedeutung ist es veraltet; man gebraucht es nur noch in engerer, fremde Kleider anlegen, um unerkannt zu bleiben. Sich verkleiden. Sich in einen Bauer, als ein Bauer verkleiden. Verkleidet seyn. Ein verkleideter Spion.


Verkleinen (W3) [Adelung]


Verkleinen, verb. reg. act. klein machen, ein nur im Bergbaue übliches Wort, wo das Gestübe verkleint oder gekleint wird, wenn es klein gestoßen wird. So auch die Verkleinung.


Verkleinerlich (W3) [Adelung]


Verkleinerlich, -er, -ste, adj. et adv. ein nur in der figürlichen Bedeutung des folgenden Zeitwortes übliches Wort, dem Werthe, guten Rufe einer Sache nachtheilig, ein geringerer Grad, als schimpflich. Das wäre Gott verkleinerlich, würde zur Verkleinerung seines Ruhmes gereichen. Von deiner Majestät sprach er verkleinerlich, Haged. Seltener gebraucht man es als ein Beywort. Ein verkleinerliches Urtheil, besser ein verkleinerndes oder nachtheiliges.


Verkleinern (W3) [Adelung]


Verkleinern, verb. reg. act. kleiner machen, doch nur in engerer Bedeutung, kleiner vorstellen, als ein Ding ist. Man hat Gläser, welche die Gegenstände verkleinern, so wie man welche hat, welche sie vergrößern. Die Umstände verkleinern, sie kleiner, geringer vorstellen, als sie sind, im Gegensatze des Vergrößerns. Verkleinernde Wörter, oder Verkleinerungswörter, in der Grammatik, Diminutiva. Figürlich und in engerer Bedeutung verkleinert man eine Person oder Sache, wenn man ihren Werth, ihre Güte geringer vorstellt, als er in der That ist. Jemanden verkleinern. Man beneidet mich, sonst würde man sie nicht verkleinern, Gell - So auch die Verkleinerung.


Verkleistern (W3) [Adelung]


Verkleistern, verb. reg. act. mit Kleister verschließen, zukleistern. Ein Loch, die Fenster verkleistern. Jemanden die Augen verkleistern, figürlich, ihn bestechen, ingleichen ihm einen blauen Dunst vor die Augen machen. Daher die Verkleisterung.


Verklettern (W3) [Adelung]


Verklettern, verb. reg. recipr. Sich verklettern, zu weit klettern, so daß man nicht wieder zurück kann, wie versteigen.


Verkluften,Verklüften (W3) [Adelung]


Verkluften, oder Verklüften, verb. reg. act. welches nur bey den Jägern üblich ist, wo sich der Dachs verklüftet oder verklufter, wenn er sich eingräbt, daß man ihn nicht finden kann. Von Kluft.


Verknistern (W3) [Adelung]


Verknistern, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur in der Chymie üblich ist, aus Erschöpfung aufhören zu knistern, decrepitare. Das Salz hat verknistert. In andern Fällen ist dafür verpuffen üblich.


Verknoten (W3) [Adelung]


Verknoten, verb. reg. act. welches nur im Weinbaue üblich ist, die Knoten oder Triebe an dem Weinstocke bis auf drey oder fünf Augen abschneiden. Daher die Verknotung.


Verknüpfen (W3) [Adelung]


Verknüpfen, verb. reg. act. 1. So knüpfen, daß man etwas nicht wieder auflösen kann. Das Band ist verknüpft. 2. Vermittelst eines oder mehrerer geknüpfter Knoten verbinden, wo es eine stärkere Art der Verbindung bezeichnet, als verbinden, und daher auch oft in figürlichem Verstande statt dieses Zeitwortes gebraucht wird, wenn eine solche Intension bezeichnet werden soll. Mit Ungerechtigkeit verknüpft seyn, Apost. 8, 23. Sich mit einer Person verknüpfen, durch Heirath u. s. f. auf das festeste verbinden. Dinge sind mit einander verknüpft, wenn jedes von ihnen den Grund enthält, warum das andere neben ihm zugleich ist, oder auf dasselbe folget. Die Verknüpfung der Dinge, der Schlüsse, der Ideen u. s. f. In der Jägerey wird sich verknüpfen von dem Wolfe und Luchse für sich belaufen, sich begatten, gebraucht. So auch die Verknüpfung.


Verkochen (W3) [Adelung]


Verkochen, verb. reg. act. durch Kochen verzehren, der Menge nach erschöpfen. Alles Wasser verkochen. Den Most auf die Hälfte verkochen, besser einkochen.


Verkohlen (W3) [Adelung]


Verkohlen, verb. reg. act. in Kohlen verwandeln. Es wurden jährlich tausend Klafter Holz verkohlt. Man verkohlt hier nichts als Fichtenholz. Daher das Verkohlen.


Verkommen (W3) [Adelung]


* Verkommen, verb. irreg. ( S. Kommen,) welches im Hochdeutschen unbekannt ist, aber doch noch in einigen gemeinen Sprecharten gebraucht wird. 1. Als ein Activum, für verhüthen, vielleicht für zuvor kommen, in welcher Bedeutung es im Theuerdanke vorkommt. 2. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn. (1) Verderben, umkommen, so daß ver eine destruirende Bedeutung hat. (2) Erschrecken; eine veraltete Bedeutung, in welcher Ottfried irqueman gebraucht. (3) Fortkommen, so wohl im eigentlichen als figürlichen Verstande, so daß ver eine Intension zu bezeichnen scheinet, oder auch aus fort verderbt ist. Er kann bey der Sache nicht verkommen, bestehen, fortkommen. (4) Überein kommen. Mit jemanden verkommen, sich mit ihm einverstehen; daher denn auch das Verkommniß in einigen Gegenden ein Vertrag ist.


Verkornen (W3) [Adelung]


Verkornen, verb. reg. recipr. welches nur in der Landwirthschaft einiger Gegenden üblich ist. Das Getreide verkornet sich, hat sich verkornet, wenn es nach vollendeter Blüthe Körner gewinnt.


Verköstigen (W3) [Adelung]


Verköstigen, verb. reg. act. mit der nöthigen Kost versehen, wofür doch beköstigen üblicher ist.


Verkramen (W3) [Adelung]


Verkramen, verb. reg. act. an einen unrechten und unbekannten Ort kramen oder räumen, verräumen.


Verkriechen (W3) [Adelung]


Verkriechen, verb. irreg. recipr. ( S. Kriechen,) sich durch Kriechen verbergen, an einen verborgenen Ort kriechen. Die Mäuse verkriechen sich in die Löcher. Sich unter das Holz verkriechen. Eigentlich nur von kriechenden Thieren, figürlich und mit Verachtung auch von andern, für verbergen. Die Israeliten verkrochen sich in Höhlen vor den Philistern, 1 Sam. 13, 6. Die Dürftigen im Lande müssen sich verkriechen, Hiob 24, 4. Er muß sich vor ihm verkriechen, er kommt ihm an Vorzügen, an Reichthum, an Geschicklichkeit u. s. f. nicht bey. Daher das Verkriechen. Nieders. verkrupen.


Verkröpfen (W3) [Adelung]


Verkröpfen, verb. reg. act. mit einem Kropfe versehen. So werden bey den Nagelschmieden Nägel, welche aus einem Versehen in der Mitte dicker sind, als oben, verkröpfte Nägel genannt. Daher die Verkröpfung.


Verkrümeln (W3) [Adelung]


Verkrümeln, verb. reg. act. in Gestalt der Krumen oder Krümel vereinzeln und verderben. Das Brot verkrümeln. Sich verkrümeln, im gemeinen Leben, sich nach und nach, unvermerkt, verlieren.


Verkrümen (W3) [Adelung]


Verkrümen, verb. reg. act. welches in der eigentlichen Bedeutung des vorigen gleichfalls gebraucht wird, in Krumen verwandeln und verderben.


Verkrummen (W3) [Adelung]


Verkrummen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert, aber so, wie erkrummen, nur in den gemeinen Sprecharten üblich ist. Verkrummen vor dem Drücken, Opitz. In engerer Bedeutung, an den Gliedern contract werden. Daß du verkrumest! ein Fluch des großen Haufens. So laß sie ganz verkrümmen in den Lenden, Opitz Ps. 69.


Verkrüppeln (W3) [Adelung]


Verkrüppeln, verb. irreg. act. et neutr. im letzten Falle mit dem Hülfsworte seyn, zum Krüppel werden und machen. Ein verkrüppelter Baum, der nicht zu seinem gehörigen Wachsthume gekommen ist, welcher klein und unansehnlich geblieben ist. Den Verstand verkrüppeln, dessen Ausbildung auf eine pflichtwidrige Art hindern.


Verkümmern (W3) [Adelung]


Verkümmern, verb. reg. act. 1. Mit Kummer, d. i. gerichtlichem Arrest, belegen, wo es besonders von beweglichen Dingen gebraucht wird. Jemanden seine Besoldung, seine Einkünfte verkümmern. Personen verkümmert man nie, wohl auch nicht leicht unbewegliche Güter. Ehedem bedeutete es auch versetzen, verpfänden, wovon Frisch ein Beyspiel anführet. So auch die Verkümmerung ( S. Kummer.) 2. Den Genuß einer sonst an- genehmen Sache traurig machen, fast so wie verbittern; eine ungewöhnliche von Lessing in Emilia Galotti gewagte Bedeutung. Sie haben mir diesen Triumph um die Hälfte verkümmert.


Verkündigen (W3) [Adelung]


Verkündigen, verb. reg. act. öffentlich, feyerlich bekannt machen. Verkündigt meinem Vater alle meine Herrlichkeit, 1 Mos. 45, 13. Die Sonne verkündigt den Tag, Sir. 43, 2. Gottes Wort, das Evangelium verkündigen. Die Verkündigung Mariä, die der Maria von dem Engel Gabriel geschehene Bekanntmachung ihrer Empfängniß und dieses Fest, das Fest der Empfängniß Mariä. Das Zeitwort wird im Hochdeutschen, außer der biblischen Schreibart, nur noch in der höhern Schreibart, besonders von der Bekanntmachung einer künftigen Sache gebraucht. Der Wächter verkündigt den Tag. Cassandra verkündigte nichts, als Unglück. Alle seine Züge verkündigten den nahen Tod. Im Oberdeutschen hingegen ist es für ansagen, bekannt machen u. s. f. überhaupt üblich. Es wurde bey Hofe verkündiget, daß folgende Personen zu Kammerherren ernannt worden. So auch die Verkündigung.

Anm. Es ist das Intensivum von dem im Hochdeutschen veralteten verkünden, welches noch im Oberdeutschen häufig ist. Ehedem wurde dafür das einfache künden, kundan, gebraucht. Das Hauptwort die Verkündigung für Nachricht, wir verkündigen euch die Verkündigung, die wir von ihm gehört haben, 1 Joh. 1, 5. ist ungewöhnlich.


Verkündiger (W3) [Adelung]


Der Verkündiger, des -s, plur. ut nom. sing. derjenige, welcher etwas verkündiget. Der Verkündiger antwortete, 1 Sam. 4, 17. Da ist kein Verkündiger, Es. 41, 26. Im Hochdeutschen gebraucht man es allenfalls noch in der höhern Schreibart.


Verkundschaften (W3) [Adelung]


Verkundschaften, verb. reg. act. wofür im Hochdeutschen auskundschaften üblicher ist. Das Land verkundschaften, Jos. 6, 22. Zu verkundschaften unsere Freyheit, Gal. 2, 4.


Verkünsteln (W3) [Adelung]


Verkünsteln, verb. reg. act. durch Künsteln verderben. Den Wein verkünsteln. Daher die Verkünstelung.


Verkuppeln (W3) [Adelung]


Verkuppeln, verb. reg. act. eigentlich verbinden, wo es doch nur von kuppeln 2. üblich ist. Zwey Personen verkuppeln, sie zu unerlaubter Befriedigung sinnlicher Begierde so wohl verleiten, als auch dazu verhelfen. Sich mit einer Person verkuppeln, sich zur unerlaubten Befriedigung sinnlicher Begierden mit ihr verbinden. Von der ehelichen Verbindung wird es nur im gemeinen Leben und im verächtlichen Verstande gebraucht.


Verkürzen (W3) [Adelung]


Verkürzen, verb. reg. act. kürzer machen, im Gegensatze des Verlängerns, so wohl eigentlich von der Ausdehnung in die Länge. Die Figuren verkürzen, die Verkürzung der Figuren, in der Perspective und perspectivischen Mahlerey. Correggio war der erste, welcher die Figuren in der Luft erhob, sie zu verkürzen. Am Mittage, wenn sich die Schatten verkürzen. Ist denn die Hand des Herren verkürzt? 4 Mos. 11, 23. Als auch von der Zeitdauer. Und wo diese Tage nicht würden verkürzt, Matth. 34, 22. Die Jahre der Gottlosen werden verkürzt, Sprichw. 10, 27. Sein Leben verkürzen, dessen Ende durch Entleibung, Unmäßigkeit u. s. f. beschleunigen. In einem andern Verstande sagt man, sich oder andern die Zeit verkürzen, die Dauer derselben unmerklich machen. Durch angenehme Gespräche die langen Winterabende verkürzen. Daher die Zeitverkürzung. Wo wir manche Stunde in süßen unschuldigen Spielen verkürzten, Geßn. Angenehme Aussichten zu beyden Seiten verkürzen den langen Weg. Wofür auch nur das einfache kürzen üblich ist, ( S. dasselbe.) Nach einer noch weitern Figur ist verkürzen in manchen Fällen so viel als vermindern. Jemanden seinen Lohn verkürzen, ihm auf ungebührliche Art etwas davon abbrechen. Jemanden seinen Ruhm verkürzen, wofür doch schmäh- lern üblicher ist. Einem an seinen Gebühren verkürzen, im gemeinen Leben, ihm etwas davon abkürzen. So auch die Verkürzung. In manchen Fällen ist für dieses Zeitwort abkürzen üblicher.


Verkütten (W3) [Adelung]


Verkütten, S. Verkitten.


Verlachen (W3) [Adelung]


Verlachen, verb. reg. act. aus Spott oder Verachtung über Personen oder Sachen lachen, so wie das niedrigere auslachen, welches doch nur von Personen gebraucht wird. Wir können über einen Menschen lachen, bey Gelegenheit seiner lachen, (auch ihn belachen,) ohne ihn im geringsten zu verlachen, Less. Der Gerechte und Fromme muß verlacht seyn, Hiob 12, 4. Jedermann verlacht mich, Jer. 20, 7. So auch die Verlachung.


Verlag (W3) [Adelung]


Der Verlag, des -es, plur. inus. von dem Zeitworte verlegen, doch nur in der Bedeutung der Vorausbezahlung der Kosten zu einer Unternehmung. 1. Die Handlung des Verlegens, wo es doch nur im engern Verstande von der eigenen Übernahme der Kosten zum Drucke und zur Herausgabe eines Buches, als einer Waare, üblich ist. Den Verlag eines Buches übernehmen, es verlegen. Es in Verlag nehmen. Bey der Theuerung des Papieres kommt der Verlag jetzt hoch zu stehen. Daher das Verlagsrecht, Verlagsbücher, die Verlagskosten. 2. Die zu einer Unternehmung, besonders zu einem Handelsgeschäft und Nahrungsgewerbe voraus nöthigen Kosten. Einem Handwerker den Verlag thun, hergeben, ihm das Geld zur Anschaffung seines Geräthes, auch der Materialien in einzelnen Fällen, geben. Der Juwelenhandel erfordert einen starken Verlag. So auch von dem Verlage der Bücher. Ein Buch kommt in jemandes Verlag heraus, wenn er die Kosten zum Drucke hergibt, und sich dadurch zugleich das Eigenthumsrecht über dasselbe als eine Waare erwirbt. 3. Das auf solche Art entstandene Product, wo es doch nur von verlegten Büchern gebraucht wird. Das ist nicht mein Verlag, sagt ein Buchhändler von einem Buche, welches er nicht verlegt hat. Breitkopfischer, Weidemannischer Verlag. Seinen ganzen Verlag verkaufen, alle von ihm selbst verlegte Bücher, zum Unterschiede von dem Sortiment.


Verlahmen (W3) [Adelung]


Verlahmen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, lahm werden; im Oberdeutschen auch erlahmen. Das Pferd ist verlahmt. Daher die Verlahmung.


Verlähmen (W3) [Adelung]


Verlähmen, verb. reg. welches das Activum des vorigen ist, lahm machen, wofür doch das einfache lähmen üblicher ist. Ihre Rosse sollst du verlähmen, Jos. 11, 6, 9. So auch die Verlähmung.


Verlammen (W3) [Adelung]


Verlammen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfswort haben, in der Viehzucht. Ein Schaf verlammet, wenn es verwirft, mißgebieret, entweder ein todtes oder ein unzeitiges Lamm zur Welt gebieret, wie verkalben, von den Kühen, verfohlen, von den Pferden u. s. f. Daher das Verlammen.


Verlanden (W3) [Adelung]


Verlanden, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, zu Land oder festen Lande werden, von Flüssen, Seen u. s. f. Zuweilen auch active, durch zu- oder eingeführte Erde zu festem Lande machen. Einen See verlanden. So auch die Verlandung.


Verlangen (W3) [Adelung]


Das Verlangen, des -s, plur. inus. der Infinitiv des vorigen Zeitwortes als ein Hauptwort gebraucht, welches, so wie je- nes, in einer gedoppelten Bedeutung gebraucht wird. 1. Das lebhafte und mit unruhiger Erwartung verbundene Wollen eines entfernten Guten. Ein Verlangen nach etwas haben oder tragen. Der Kranke hat nach niemanden ein Verlangen, ihn verlangt nach niemanden. Ein sehnliches Verlangen. Jemandes Verlangen stillen. Ein Verlangen nach etwas bekommen. Das natürliche Verlangen nach der Fortpflanzung. Ein sinnliches Verlangen, die Begierde. Da es denn auch zuweilen figürlich von dem Gegenstande gebraucht wird, nach welchem man verlangt. Wer ist wohl jetzt des Volks Verlangen? Gell. 2. In der zweyten Bedeutung, das bloße Wollen einer Sache, doch nur in einigen Fällen. Was ist dein Verlangen? was willst, was verlangst du? Jemandes Verlangen erfüllen. Das Verlangen nach einer Waare; wo es sich doch der vorigen Bedeutung nähert.

Anm. Der Plural ist im Hochdeutschen in beyden Fällen ungewöhnlich. Im letzten Falle sind in den Oberdeutschen Kanzelleyen die Verlangen, die Forderungen, und in dem ersten ist der Plural von einigen neuern Dichtern gewagt worden. Seine Verlangen vor ihm, der sie erfüllen muß, bringen, Gieseke.


Verlängern (W3) [Adelung]


Verlängern, verb. reg. act. länger machen, so wohl von der körperlichen Ausdehnung, als auch von der Zeitdauer, im Gegensatze des verkürzen. Einen Garten, ein Gebäude, eine Linie verlängern. Am Abend, wenn sich die Schatten verlängern. Seine Tage, jemandes Leben verlängern, 5 Mos. 17, 20. Kap. 32, 47. Einen Termin verlängern, ihn weiter hinaus setzen. Alles das verlängert nur den Krieg. Wir verlängerten die Schritte, Geßn. machten längere Schritte. So auch die Verlängerung. Anm. Im Oberd. auch erlängern, erlängen, im Hochdeutschen, doch seltener, auch wohl verlängen, in andern Gegenden erlängen, oder nur längen schlechthin.


Verlappen (W3) [Adelung]


Verlappen, verb. reg. act. welches nur in der Jägerey üblich ist, mit Lappen einschließen, wofür man auch wohl belappen sagt. Einen Wald verlappen. Das Wildbret verlappen. So auch die Verlappung.


Verlarven (W3) [Adelung]


Verlarven, verb. reg. act. unter einer Larve verbergen, durch eine Larve unkenntlich machen, im gemeinen Leben vermaskiren. Sich verlarven. Verlarvt seyn. Ingleichen figürlich, ein verlarvter Schriftsteller, der in der Absicht, andern zu schaden, einen andern Nahmen angenommen, wie verkappt. Eine verlarvte Freundschaft, in einen andern, aber der Bedeutung der Partikel ver nicht so angemessenen Verstande, eine falsche, verstellte, vorgegebene Freundschaft. Daher die Verlarvung.


Verlaß (W3) [Adelung]


Der Verlaß, des -sses, plur. die -e, von dem folgenden Zeitworte, aber nur in einigen Bedeutungen, und auch hier nur im gemeinen Leben, besonders einiger Gegenden. 1. Der Nachlaß, die Verlassenschaft, was man nach seinem Tode verläßt, nachläßt, oder hinterläßt. 2. Die angenommene oder getroffene Abrede, zuweilen auch wohl ein Vertrag. Dem Verlasse nach. Verlaß nehmen, Abrede. Das war nicht unser Verlaß. Der Rathsverlaß ist in Nürnberg ein Rathsschluß. Im Nieders. Verlaat, wo es aber auch Zuverläßigkeit, Vertrauen, Raum, u. s. f. bedeutet.


Verlassen (W3) [Adelung]


Verlassen, verb. irreg. act. ( S. Lassen,) welches in einer doppelten Hauptbedeutung üblich ist. 1. Hinter sich lassen, zurück lassen, daß ver vornehmlich eine intensive Kraft hat, indem das einfache lassen ehedem häufig in diesem Verstande gebraucht wurde, und zum Theil noch gebraucht wird. (1) Eigentlich, wo es nur noch in einigen einzelnen Fällen gebraucht wird. a) Man verlässet etwas, wenn man es bey seinem Tode auf der Welt zurück läßt, wofür doch hinterlassen edler und üblicher ist. Er verließ drey Söhne und vier Töchter. Er hat kaum so viel verlassen, daß er begraben werden konnte. Ein großes Vermögen verlassen. Einen guten Nahmen, zwey Häuser u. s. f. verlassen. ( S. auch Verlassenschaft.) b) Das Eigenthum eines Dinges für Geld abtreten, nur noch hin und wieder im gemeinen Leben, für die üblichern ablassen und überlassen. Einen etwas verlassen. Das ist nicht zu verlassen, abzulassen. Im Nieders. bedeutet es auch, den Besitz eines unbeweglichen Gutes bestätigen. c) Als Abrede, als einen Befehl zurück lassen. Wir haben es so verlassen, bey unserm Abschiede verabredet. Du weißt, wie wirs mit deinem Vater verlassen haben, Tob. 11, 2. Ich habe es zu Hause verlassen, befohlen. S. der Verlaß. (2) In weiterer Bedeutung, seine körperliche Gegenwart einem Dinge entziehen, als ein allgemeiner Ausdruck, der die nähere Art und Weise unbestimmt läßt. a) Eigentlich. Man verläßt einen Ort, wenn man sich von demselben entfernt, es geschehe nun auf kurze Zeit, oder auf immer. Wir verließen Berlin gestern Morgen um acht Uhr, reiseten von Berlin ab. Am Abend, wenn die Sonne den Horizont verläßt. Man verläßt eine Person, wenn man von ihr weggehet, sich von ihr dem Orte nach entfernet. Er verließ uns sehr unwillig, ging voller Unwillen weg, aber auch, er ging von uns weg, da wir sehr unwillig waren; welche Zweydeutigkeit in allen ähnlichen Ausdrücken herrscht, z. B. ich verließ sie weinend. Ein Haus verlassen, so wohl aus demselben weggehen, als auch aus demselben ausziehen. "Die Welt verlassen", "sterben". Da verließ ihn (Jesum) der Teufel Matth. 4, 11. Jesus verließ die Stadt Nazareth, V. 13. b) Figürlich in verschiedenen engern Bedeutungen, und mit allerley Nebenbegriffen. (aa) Einem Dinge seine Gemeinschaft, seinen Einfluß entziehen, auch als ein allgemeines Wort, daher es in manchen Fällen auch hier wieder besondere Nebenbegriffe bekommt. Ein Mann wird seinen Vater und Mutter verlassen, 1 Mos. 2, 24. Eine Geliebte verlassen, ihr die ihr gewidmete Liebe und Treue entziehen. Ein entlaufener Mann verläßt seine Frau. Der Hirt verläßt die Herde, wenn er ihr mit seiner Gegenwart zugleich die schuldige Aufsicht entziehet. Das Gesicht verläßt uns, wenn wir schwache Augen bekommen. Das Fieber hat ihn verlassen. Den Feldbau verlassen, und sich der Handlung widmen. Dahin denn auch die biblischen Ausdrücke gehören, Gott verlassen, Gottes Geboth, die Wahrheit verlassen, den Rath der Ältesten verlassen, die Furcht des Herrn, die heidnische Weise u. s. f. verlassen, von welchen manche auch außer der biblischen Schreibart üblich sind. Den Weg der Tugend verlassen. (bb) Mit Entziehung der persönlichen Gegenwart auch den Besitz eines Dinges aufgeben. Die Landleute haben ihre Güter verlassen. Ein verlassenes Haus. Die Fischer verließen ihre Netze, Matth. 4, 20. Haus und Hof verlassen und davon gehen. (cc) Hülflos lassen, einem Dinge seine Hülfe, seinen Beystand entziehen. Von Gott verlassen seyn. Der Herr verläßt seine Heiligen nicht, Ps. 37, 28. Jemanden im Alter, in einer Krankheit verlassen. Eine verlassene Weise. Man soll dich nicht mehr die Verlassene heissen, Es. 62, 4. Von aller Hülfe verlassen seyn. Der Verstand führt uns fehl und verläßt uns zu eben der Zeit, wo wir seines Lichtes am meisten bedürfen, Gell. 2. Sich auf etwas verlassen, als ein Reciprocum, Hülfe, Beystand mit Zuversicht von demselben erwarten. Sich auf Gott auf seinen Reichthum, auf seine Macht, auf seine Gelehrsamkeit u. s. f. verlassen. Ich verlasse mich in diesem Stücke auf dich. Er verläßt sich auf das Lügen. Man kann sich nicht auf ihn verlassen. Ich verlasse mich auf niemanden. Sich auf sein Recht verlassen. In weiterer Bedeutung ist, sich auf etwas verlassen, mit Zuversicht Wahrheit von demselben erwarten. Sich auf Träume verlassen, zuversichtlich hoffen, daß sie in Erfüllung gehen werden. Man kann sich auf ihn, auf sein Wort, auf sein Versprechen nicht verlassen; im gemeinen Leben auch, es ist sich nicht darauf zu verlassen. ich verlasse mich darauf, hoffe zuversichtlich, daß es gewiß geschehen werde. Im Oberdeutschen ist daher verlässig und verläßlich, worauf man sich verlassen kann. S. Zuverlässig. Die Hauptwörter des Verlassen und die Verlassung werden nur in den weitern Bedeutungen des Activi gebraucht. Die bösliche Verlassung seines Ehegatten.

Anm. Dieses alte Zeitwort lautet schon bey dem Kero, Ottfried u. s. f. farlazzan, firlazzan, bey dem Ulphilas fraletan, im Schwed. färlata, im Nieders. verlaten. Ehedem bedeutete es auch theils zerlassen, d. i. schmelzen, theils erlauben, permittere, theils auch erlassen. In der zweyten Hauptbedeutung scheint es eigentlich sich auf etwas steifen oder stützen, bedeutet zu haben, so daß ver auch hier eine Intension bezeichnet. Wenigstens gebraucht Opitz das einfache lassen noch mehrmahls in diesem Verstande. Gott schützet mich, auf den ich mich darf lassen. Indessen stehet es dahin, ob verlassen in dieser Bedeutung nicht vielmehr von lassen, scheinen, ehedem auch sehen abstammet, indem man im ähnlichen Verstande sagt, sich eines Dinges versehen. Das Schwed. förlita, sich auf etwas verlassen, stammt gleichfalls von lita, sehen ab.


Verlassenschaft (W3) [Adelung]


Die Verlassenschaft, plur. die -en, von der ersten Bedeutung des Zeitwortes verlassen, was man bey seinem Tode an zeitlichen Gütern verläßt oder hinterläßt; die Hinterlassenschaft, der Nachlaß, im Oberdeutschen das Verlaßthum, in Rücksicht dessen, der sie erbt, die Erbschaft.


Verlässig,Verläßlich (W3) [Adelung]


* Verlässig und Verläßlich, zwey nur im Oberdeutschen für zuverlässig übliche Wörter, S. dasselbe.


Verlastern (W3) [Adelung]


Verlastern, verb. reg. act. im hohen Grade schmähen, und an der Ehre beleidigen. Gott, Gottes Nahmen, den Weg der Wahrheit verlästern, 4 Mos. 14, 23, 2 Pet. 2, 2. Darum schaffet, daß euer Schatz nicht verlästert werde, Röm. 14, 16. Er verlästert alle Sachen, Die nicht sein Gehirn gebiert, Can. So auch die Verlästerung. S. Laster.


Verlatten (W3) [Adelung]


Verlatten, verb. reg. act. mit Latten einschließen, ingleichen mit Latten bekleiden, versehen. So auch die Verlattung.


Verlauf (W3) [Adelung]


Der Verlauf, des -es, plur. car. von dem folgenden Zeitworte, doch nur in einigen Bedeutungen. 1. Der Verlauf der Zeit, deren Fortgang. Nach Verlauf einiger Zeit, nach einiger Zeit. Ein geringer Vorfall unsers Lebens, wie merkwürdig ist er oft nach dem Verlaufe etlicher Jahre, Gell. 2. Der Verlauf einer Sache, die Art und Weise, wie sie sich verlaufen hat, d. i. geschehen ist. Jemanden den ganzen Verlauf erzählen. Da es denn zuweilen auch von Begebenheiten selbst gebraucht wird. Du pflegest zu durchsehen Der großen Welt Verlauf, Opitz.


Verlaufen (W3) [Adelung]


Verlaufen, verb. irreg. ( S. Laufen,) welches in doppelter Gestalt gebraucht wird. I. Als ein Activum und Reciprocum. 1. Durch Laufen versperren, verschließe, in welchem Verstande man nur noch sagt, jemanden den Weg verlaufen, eigentlich ihm in den Weg laufen, daß er nicht weiter kann, wofür man auch verrennen sagt. 2. So, daß ver die Bedeutung der Ferne, der Entfernung hat; als ein Reciprocum. (1) Sich laufend entfernen, aus dem Wirkungskreise unserer Empfindungen laufen. Besonders von dem Wasser. Das Wasser verläuft sich, hat sich schon verlaufen. Das Gewässer verlief sich, 1 Mos. 8, 3, 5. Figürlich von der Zeit und ihren Theilen, ist das folgende Neutrum üblicher. Figürlich gebrauchte man es ehedem auch für geschehen, sich zutragen, besonders von der Art und Weise, wie sich eine Sache zugetragen hat. Was hat sich verloffen? Theuerd. Kap. 44; zugetragen. Es hat die Sache sich nicht also längst verloffen, Opitz. In welcher Bedeutung es doch veraltet ist. ( S. auch Verlauf.) (2) Sich durch Laufen oder im Laufen verirren. Es hatte sich ein Schaf von der Herde verlaufen. In dem Billard-Spiele verläuft man sich, oder die Kugel verläuft sich, wenn sie in ein Loch läuft, in welches sie den Ball des Gegners treiben sollte. In der figürlichen Bedeutung des Versündigens, Hof. 5, 2, ist es veraltet. (3) Aus einander laufen. Die Truppen haben sich verlaufen. Alle Anwesende verliefen sich. Vermuthlich gehöret dahin auch die bey den Mahlern übliche Bedeutung, wo sich die Farben verlaufen, wenn sie auf eine unmerkliche Art in einander übergehen, welches auch sich verlieren genannt wird. II. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, und in der vorigen Bedeutung der Partikel ver, wo es doch nur von der Zeit und ihren Theilen gebraucht wird, schnell vergehen, wofür man auch verstreichen gebraucht. Die Zeit verläuft bald. Der Tag ist mir unter den Händen verlaufen.

Anm. Schon bey dem Notker ferlouffen.


Verlaut (W3) [Adelung]


Der Verlaut, des -es, plur. car. ein nur noch in der gemeinen R. A. dem Verlaute nach übliches Wort, d. i. wie verlautet, dem Gerücht, der Sage nach.


Verlauten (W3) [Adelung]


Verlauten, verb. irreg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert und auf zweyerley Art gebraucht wird. 1. Sich verlauten lassen, durch Worte zu erkennen geben, es geschehe nun auf mittelbare oder unmittelbare Art. Er ließ sich verlauten, daß er nicht kommen könne. 2. Als ein unpersönliches Zeitwort, es verlautet, man sagt, es wird gesagt. Wie verlautet, wie gesagt wird. Es will verlauten, man sagt, man will sagen.


Verleben (W3) [Adelung]


* Verleben, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur im Oberdeutschen gangbar ist. 1. Zu einem hohen Alter gelangen, in welcher Bedeutung doch nur das Mittelwort verlebt für sehr alt gebraucht wird. Die verlebte Welt wird jünger Und streicht mit verliebtem Finger Ihre Runzeln von der Haut, Flamm.

2. Sterben. Der Verlebte, der Verstorbene. S. Ableben, welches gleichfalls in beyden Bedeutungen vorkommt.


Verlechzen (W3) [Adelung]


Verlechzen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, völlig leck oder lechzend werden, von hölzernen Gefäßen; im Nieders. spack werden. Das Faß ist verlechzet. S. Lechzen.


Verleckern (W3) [Adelung]


Verleckern, verb. reg. act. 1. Mit Leckerey durchbringen. Sein Vermögen verleckern. Verleckert seyn, im hohen Grade leckerhaft, nach leckern Speisen begierig seyn. Ein verleckerter Mensch. S. Ver 2.


Verledern (W3) [Adelung]


Verledern, verb. reg. act. mit dem nöthigen Leder oder Lederwerke versehen; hin und wieder im gemeinen Leben. Die Pumpen verledern. Im Bergbaue verliedern. So auch die Verlederung.


Verlegen (W3) [Adelung]


Verlegen, verb. reg. act. welches nach Maßgabe der Bedeutung der Partikel ver in einem verschiedenen Verstande gebraucht wird. 1. An einen andern Orte legen; doch nur in einigen Fällen. Die Messe von Frankfurt nach Breslau verlegen. Eine Universität von einem Orte nach dem andern verlegen. Die Handlung eines Schauspiels nach Rußland verlegen. Ingleichen von der Zeit. Einen Festtag, einen Jahrmarkt verlegen, auf eine andere Zeit ansetzen, bestimmen. Den Termin verlegen. Daher die Verlegung. 1. An einen unbekannten Ort legen. Ich habe meinen Hut verlegt. Es ist verlegt worden. Daher das Verlegen und die Verlegung. 3. Durch ein gelegtes Hinderniß versperren, verschließen, wie im ähnlichem Verstande auch verhauen, verlaufen, versetzen u. s. f. gebraucht werden. Jemanden den Weg nach der Stadt verlegen. Wo es oft von einem jeden Hindernisse gebraucht wird, wodurch man jemanden so wohl im Fortgange, als auch in der Fortsetzung eines Geschäftes, hindert. Ich habe bedacht, was Amalek Israel thät, und wie er ihn (ihm) den Weg verlegte, da er aus Ägypten zog, 1 Sam. 15, 2. Figürlich bedeutet es in einigen Oberdeutschen Gegenden auch so wohl verkümmern, mit Arrest belegen, als auch verbiethen, untersagen. In der Jägerey werden die Feldhühner verlegt, wenn man das Treibzeug um sie her legt oder stellt. Daher das Verlegen und die Verlegung. 4. Mit etwas belegen, doch nur in einigen in Handel und Wandel üblichen figürlichen Bedeutungen. Ein Land mit Waaren verlegen, versehen. Sachsen verlegt ganz Europa mit blauer Farbe. Einen Kaufmann mit Waaren verlegen, ihm die zur Handlung nöthigen Waaren verschaffen; auch ohne den folgenden Nebenbegriff des Vorschusses. Einen Handwerksmann mit Arbeit verlegen. In engerer Bedeutung verlegt man jemanden, wenn man ihm die zu einem Nahrungsgeschäfte nöthigen Kosten vorschießet. Jemanden mit den Kosten, mit Gelde verlegen. Auch mit der vierten Endung der Sache. Ich muß es verlegen, die Kosten dazu vorschießen. Wo sich der Begriff des Verlegens oder Auslegens mit einschleicht. Jemanden mit Waaren verlegen, ihm die Waaren vorschußweise reichen. Dahin gehöret auch die bey den Buchhändlern übliche Bedeutung dieses Wortes, wo ein Buch verlegen so viel ist, als, die Kosten zum Drucke eines Buches, als seiner Waare, als seines Handlungs-Artikels, vorschießen. Wer ein solches Buch nicht als seine Waare ansiehet, von dem sagt man auch nicht, daß er es verlege, wenn er gleich die Kosten zu dessen Drucke hergibt. Im Schwed. förlägga. In dieser vierten Bedeutung sagt man zwar auch die Verlegung, aber noch häufiger der Verlag. S. dasselbe.


Verlegen (W3) [Adelung]


Verlegen, -er, -ste, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort des Zeitwortes verliegen ist, aber doch besonders angeführet zu werden verdienet. 1. Durch langes Liegen verdorben, ( S. Verliegen.) 2. Von einer jetzt veralteten Bedeutung des Zeitwortes ist verlegen, mit Unruhe ungewiß, wie man einer Schwierigkeit abhelfen soll. Um etwas verlegen seyn, wie man es bekommen will. Um Geld, um Hülfe verlegen seyn. Ich war sehr um eine Antwort verlegen. Er war verlegen, wie er die Unterredung anfangen sollte. Da es denn oft als ein allgemeiner Ausdruck für unruhig, betreten, bestürzt u. s. f. gebraucht wird. Bist du über die Ankunft deines Bruders so verlegen?

Anm. Im Nieders. gleichfalls verlegen, im Schwed. förlägen. Die Figur ist in der zweyten Bedeutung ein wenig dunkel. Ihre findet eine Ähnlichkeit zwischen dieser Bedeutung und dem Worte angelegen und dem Lat. in cumbere. Im Holländ. ist verleghen sin van gelde, Mangel an Gelde leiden, und verlighen met kleedheren, impeditus vestibus.


Verlegenheit (W3) [Adelung]


Die Verlegenheit, plur. die -en. 1. Der Zustand, da man verlegen ist, eine Schwierigkeit nicht zu überwinden, sich nicht zu helfen weiß, ohne Plural. Ich bin in Verlegenheit, wie ich mich dir erkenntlich bezeigen soll. Das setzt mich in Verlegenheit. Das erste, was er dabey fühlte, war Verlegenheit und Erstaunen. 2. Dieser Zustand in einzelnen Fällen, ingleichen, was uns verlegen macht; mit dem Plural.


Verleger (W3) [Adelung]


Der Verleger, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verlegerinn, nur in der letzten Bedeutung des Zeitwortes verlegen, eine Person, welche die Kosten zu einem Nahrungsgeschäfte verlegt, d. i. vorschießet. In diesem Verstande werden im Bergbaue die Gewerken, so fern sie die Kosten zu dem Bergbaue herschießen, Verleger genannt, welchen Nahmen auch ihr Factor bekommt, der die Kosten in ihrem Nahmen verlegt. Am üblichsten ist es von Buchhändlern, so fern sie Bücher, als ihre Waare und auf ihre Kosten drucken lassen. S. Verlag.


Verlehnen (W3) [Adelung]


Verlehnen, verb. reg. act. 1. Von einem andern lehnen, verborgen, im Oberdeutschen und der höhern Schreibart verleihen. Geld verlehnen. Ich habe das Buch verlehnt. 2. Als ein Lehen an einen andern übertragen, ihn damit belehnen. Das Gut ist noch nicht verlehnt. Daher die Verlehnung. S. auch Verleihen.


Verleibdingen (W3) [Adelung]


Verleibdingen, verb. reg. act. in dem Staatsrechte und den Kanzelleyen, mit einem Leibgedinge versehen, S. dieses Wort. Daher die Verleibdingung.


Verleiden (W3) [Adelung]


Verleiden, verb. reg. act. leid, d. i. zuwider, unangenehm machen. Einem etwas verleiden. Ein Weiser läßt ihm Gottes Wort nicht verleiden, Sir. 33, 2; wo in den meisten Ausgaben irrig verleiten stehet, welches einen ganz falschen Verstand gewähret. Jemanden das Spielen, das Trinken, das Tanzen verleiden. Daher das Verleiden.

Anm. Bey den Schwäbischen Dichtern nur leiden, geleiden, in einigen Oberdeutschen Gegenden auch erleiden. S. Leid.


Verleihen (W3) [Adelung]


Verleihen, verb. irreg. act. ( S. Leihen, welches im Oberdeutschen und der edlern Schreibart der Hochdeutschen für das niedrigere verlehnen üblich ist.) 1. An einen andern leihen, lehnen oder borgen. Ein Buch verleihen. Ich habe es verliehen. Auch wenn solches für Bezahlung geschiehet. Geld auf Interesse verleihen. Pferde verleihen, für Geld. Daher der Pferdeverleiher, Bücherverleiher u. s. f. 2. Als ein Lehen übertragen. Ein Gut an jemanden verleihen, ihm ein Gut verleihen, daß er den Tempel zu seinem jährlichen Nutz brauchen wollt, - und das Priesterthum jährlich verleihen, 2 Macc. 11, 3; wo es für versprachen stehet. In den Bergämtern ist daher die Verleih- oder Leihtag, derjenige Tag, an welchem Fundgruben, Maßen u. s. f. verliehen werden. 3. Umsonst bewilligen, in welchem Verstande verlehnen nicht üblich ist. Man gebraucht es in dieser Bedeutung nur noch in der feyerlichen und höhern Schreibart. Den Gefangenen die Freyheit verleihen. Jemanden Hülfe verleihen. Besonders von Gott. Wenn Gott Gnade verleihet. Verleih und Frieden gnädiglich! So auch die Verleihung. Schon bey dem Ottfried firleihan. S. Leihen.


Verleiher (W3) [Adelung]


Der Verleiher, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verleiherinn, eine Person, welche etwas verleihet, besonders in der ersten Bedeutung des Zeitwortes, S. dasselbe.


Verleiten (W3) [Adelung]


Verleiten, verb. reg. act. eigentlich einen unrechten, falschen Weg leiten, in welchem eigentlichen Verstande doch wenig gebraucht wird, mißleiten. Am üblichsten ist es im figürlichen Verstande, durch unrichtige Vorstellungen zu einer unerlaubten, unanständigen, nachtheiligen Handlung bewegen, als ein glimpflicherer Ausdruck für das härtere verführen. Jemanden zum Zorne, zum Trunke verleiten. Er ist dazu verleitet worden. In weiterer Bedeutung auch zuweilen zu etwas bewegen, wozu der andere nicht entschlossen war, wie verführen. Jemanden zum Spaziergange verleiten. So auch die Verleitung. Anm. Schon bey dem Ottfried u. s. f. firleitan, der auch Firleitar für Verführer gebraucht. Von dem irrigen Gebrauche dieses Wortes Sir. 33, 2. S. Verleiden.


Verlenken (W3) [Adelung]


Verlenken, verb. reg. act. ausweichen, vermeiden, ein Wort, welches nur zuweilen in der dichterischen Schreibart gebraucht wird. Und ob er auch diesen Triumph verlenkt, Raml.


Verlernen (W3) [Adelung]


Verlernen, verb. reg. act. das Gelernte aus Mangel der Übung wieder vergessen, im gesellschaftlichen Leben. Das Tanzen, das Spielen, das Reiten verlernen. Daher die Verlernung.


Verlesen (W3) [Adelung]


Verlesen, verb. irreg. act. 1. Öffentlich herlesen, vorlesen, aus welchem Worte es verderbt zu seyn scheinet. Es ist in der edlern Schreibart veraltet, und kommt nur noch in einigen Fällen vor. Einen Brief verlesen. Das Evangelium verlesen, in der Kirche. 2. Auslesen, aussuchen, nur bey den Hutmachern, welche die Wolle verlesen, wenn sie selbige auslesen. So auch die Verlesung.


Verletzen (W3) [Adelung]


Verletzen, verb. reg. act. ein körperliches Ding so beschädigen, daß dadurch dessen Vollständigkeit oder ganze Beschaffenheit leidet, der gehörige Zusammenhang des Ganzen oder eines Theiles unterbrochen wird. 4. Eigentlich. Einen Baum verletzen, durch Abhauung eines Zweiges, Beschädigung der Rinde, der Wurzel u. s. f. Ein Werk der Kunst verletzen. Eine verletzte Bildsäule. Ach, soll ein Stahl dieß schöne Haar verletzen! Am häufigsten von lebendigen Geschöpfen. Jemanden an Leibe, sich an der Hand, an dem Fuße verletzen, es geschehe durch Verrenkung oder Verwundung, als ein allgemeiner Ausdruck, der doch am häufigsten von geringern Beschädigungen gebraucht wird, dagegen verwunden eine besondere Art der Verletzung ausdruckt. Gott verletzet und verbindet, Hiob 5, 18. Ein schwangeres Weib verletzen, 2 Mos. 21, 22. Wer seinen Nächsten verletzt, dem soll man thun, wie er gethan hat, Schade um Schade, Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie er hat, einen Menschen verletzt, 3 Mos. 14, 19 f. Sich etwas im Leibe verlegen, 2. Figürlich. Jemandes Ehre, guten Nahmen verletzen, oder ihn an seiner Ehre, an seinem guten Nahmen verletzen. Jemandes Recht, oder ihn an seinem Rechte verletzen. Die eheliche Treue verletzen. Daher die Verletzung in beyden Fällen, so wohl von der Handlung des Verletzens, ohne Plural, als auch von der dadurch zugefügten Beschädigung, mit demselben.

Anm. Bey dem Ottfried gilezzen, bey seinen Nachfolgern nur letzen, welches unter andern noch Es. 11, 9 vorkommt: man wird nicht letzen noch verderben auf meinem heiligen Berge. Die Endsylbe zen zeigt, daß dieses Wort ein Intensivum ist, dessen einfacheres Stammwort noch in dem Lat. laedere herrschet, von welchem auch Lacinia abstammet. Mit einem andern, aber nahe verwandten Endlaute war für letzen, auch lesen, lesten, und in der intensiven Form lästern üblich; daher denn das bey den Schwäbischen Dichtern befindliche verlesten, und das Schwed. lästa, verletzen, ingleichen unser Laster in der veralteten eigentlichen Bedeutung, und verlästern, welche beyde letztern eigentlich einen hohen Grade der Verletzung bezeichnen, wodurch ein Ding ungestaltet wird.


Verletzlich (W3) [Adelung]


Verletzlich, -er, -ste, adj. et adv. was verletzt werden kann; am häufigsten in dem Gegensatze unverletzlich. So auch die Verletzlichkeit.


Verlieb (W3) [Adelung]


Verlieb, S. Fürlieb.


Verlieben (W3) [Adelung]


Verlieben, verb. reg. recipr. sich verlieben, eigentlich, Liebe gegen eine Person des anderen Geschlechtes empfinden, wo es doch am häufigsten von der Empfindung sinnlicher Liebe gebraucht wird. Sich in eine Person verlieben. In eine Person verliebt seyn. Verliebt werden. Jemanden verliebt machen. Das Mittelwort verliebt bedeutet in diesem Verstande noch als ein Beywort. 1. Sinnliche Liebe gegen eine Person des andern Geschlechtes ausdrückend, verrathend. Verliebte Gedichte. Ein verliebter Seufzer, verliebte Blicke. 2. Neigung, Fertigkeit besitzend, leicht sinnliche Liebe gegen Personen anderes Geschlechtes zu empfinden. ( S. Ver 2.) Verliebt seyn. Ein verliebter Mensch. Ein verliebtes Mädchen. In figürlicher Bedeutung ist verlieben oft einen hohen Grad der herrschenden, besonders sinnlichen Neigung gegen ein Ding empfinden. Sie hatte sich ganz in den Zeug verliebt. In ein Pferd, ein Buch, einen Schriftsteller, einen Ausdruck verliebt seyn. Daher das Verlieben. Ver hat hier eine intensive Bedeutung.


Verliebtheit (W3) [Adelung]


Die Verliebtheit, plur. car. von dem Mittelworte verliebt, besonders in dessen zweyter Bedeutung, der Zustand, da man verliebt ist, ingleichen, da man leicht in Personen des andern Geschlechtes verliebt wird.


Verliegen (W3) [Adelung]


Verliegen, verb. irreg. recipr. ( S. Liegen,) durch allzu langes Liegen unbrauchbar werden. Eine Waare verliegt sich, wenn sie durch zu langes Liegen verschießt, verstockt, oder auf andere Art unscheinbar und unbrauchbar wird. Verlegene Waare. Ein verlegener Wein, der länger gelegen hat, als er liegen sollte. Figürlich wird dieses Wort in verschiedenen einzelnen Fällen gebraucht. 1. Im Bergbaue sagt man, man verliegt sich an dem Gesteine, wenn man wegen großer Fertigkeit wenig davon gewinnen kann. Eben daselbst verliegt man auf der Zeche, als ein Neutrum, oder vielleicht richtiger verliegt man sich auf der Zeche, wenn man mit Schaden bauet. 2. Nach einer noch weitern Figur scheint unser verlegen und Verlegenheit von einer ähnlichen veralteten Bedeutung abzustammen. ( S. diese Wörter.) 3. In einigen Oberdeutschen Gegenden verliegt man sich, wenn man durch den Müßiggang alle Thätigkeit und Kräfte des Geistes verlieret.

Anm. Daher das Verliegen. Das Schwed. förligga, wird von einem unerlaubten Beyschlafe gebraucht, und auch in dem alten Friesischen Gesetze ist forligan, wider das sechste Geboth sündigen.


Verlieren (W3) [Adelung]


Verlieren, verb. irreg. ich verliere, du verlierst, (Oberd. verleurst,) er verliert, (Oberd. verleurt); Imperf. ich verlor, Conj. verlöre; Mittelw. verloren; Imper. verliere, (Oberd. verleur.) Es ist in doppelter Gestalt üblich. 1. Als ein eigentliches Activum, um den Besitz eines Dinges kommen, mit der vierten Endung dieses Dinges. (1) Eigentlich, wo es ein allgemeiner Ausdruck ist, der die nähere Art und Weise unbestimmt läßt. Das Leben, den Verstand, sein Vermögen, seine Gesundheit verlieren. Das Fieber verlieren. Die Schmerzen, Empfindung, das Reißen in den Gliedern verlieren. Einen Sohn verlieren, so wohl durch den Tod, als auch in der folgenden engern Bedeutung, um dessen Gegenwart kommen, ohne zu wissen, wo er sich jetzt befindet. Den Kopf verlieren, enthauptet werden. Die Zwietracht, die mit Gift ihr Leben nährte, Verliert den Hydra-Kopf durch einen Streich, Raml. Die Freyheit, die Gesundheit, sein Gesicht, ein Auge, durch einen Schuß einen Arm, seine Ehre, im Kriege viele Leute verlieren. Das Herz, den Muth verlieren. Die Sonne verlor ihren Glanz, der Mond seinen Schein. Man möchte alle Geduld verlieren. Die Hoffnung verlieren. Und so in andern Fällen mehr, besonders in solchen, wo die Art des Verlustes durch kein eigenes Wort näher bestimmt ist, oder bestimmt werden soll. Einen Freund verlieren, entweder durch den Tod, oder durch die Entfernung, oder auch, weil er unser Feind geworden. Ich habe einen Freund an ihm verloren. Du weißt nicht, was du an mir verlierest. Ich verliere viel, wenig, nichts bey der Sache. Das Mittelwort verloren wird mit einigen Zeitwörtern so wohl in dieser, als einigen der folgenden Bedeutungen, noch auf eine besondere Art gebraucht. Verloren gehen, verloren werden. Es ist mir ein Capital verloren gegangen, ich bin darum gekommen. Alles ging für mich verloren, Als ich Sylvien verlor, Gell. Einige andere Bedeutungen dieser R. A. kommt im folgenden vor. Etwas verloren geben, glauben, daß es so gut wie verloren sey, es für verloren halten. Wir geben eine Sache verloren, wenn wir glauben, daß wir sie verlieren, oder nie wieder bekommen werden. (2) In einigen engern und figürlichen Bedeutungen. a) Den Proceß verlieren, die gesuchte Sache nicht erhalten, im Gegensatze des Gewinnes. So auch eine Schlacht verlieren, überwunden werden. Im Spiele verlieren, verspielen. Viel Geld verlieren, im Spiele. Wer hat verloren? im Spiele; auch im Gegensatze des gewinnen. Ein Spiel verloren geben, überzeugt seyn, daß man es verlieren werde. b) Überaus häufig verliert man eine Sache, wenn man, aus Mangel der Aufmerksamkeit, um den Besitz, und im weitern Verstande, um die Empfindung derselben kommt, ohne zu wissen, wo sie sich befindet. Seine Uhr, seine Börse verlieren. Ich habe es verloren. Suchen, was verloren ist. Das Verlorne wieder finden. Der verlorne Sohn, in der Deutschen Bibel. Ein verlornes Schaf. Den Weg, die Spur verlieren, die Empfindung davon. Etwas aus den Augen, aus dem Gesichte verlieren. c) Ohne den gehofften Nutzen anwenden, gebrauchen. Alle Mühe und Arbeit ist hier verloren. Ich verliere nur mein Geld dabey. Alle Schläge, alle Ermahnungen, alle Wohlthaten sind an, oder bey ihm verloren. Da siehet man, daß dein Vertrauen nichts ist, und deine Almosen verloren sind, Tob. 2, 22. Ich mag kein Wort weiter darum verlieren. Es ist Hopfen und Malz an ihm verloren. Die Zeit verlieren, sie unnütz hinbringen. Sie verlieren die kostbarste Zeit mit unnützen Seufzern. Wir haben keine Zeit zu verlieren, es ist die höchste Zeit, wir müssen eilen. Einen Tag verlieren, ihn ungenützt verstreichen lassen. Ein verlorner Augenblick ist jetzt für mich ein verlornes Jahrhundert, Weiße. d) Das Mittelwort wird noch in folgenden figürlichen Fällen gebraucht. aa) Die verlorne Schildwache, im Kriege, die äußerste Schildwache, welche dem Feinde am nächsten ist, und gemeiniglich verloren gegeben wird. bb) Das verlorne Huhn, in den Küchen, ein Gericht aus geräuchertem Schweinefleisch, mit Möhren, grünen Erbsen und Bohnen u. s. f. cc) Etwas ver- loren machen, nur ungefähr, einstweilen, um es hernach besser zu machen. Den Umriß einer Figur nur verloren zeichnen. Ein verloren Treiben, in der Jägerey, ein Treiben, ohne den Wald mit Zeug und Netzen zu umstellen, um nur ungefähr zu sehen, ob noch Wild darin befindlich ist. Einen verlornen Zug thun, in der Markscheidekunst, den Tagezug nur so ungefähr, wie in der Grube verrichten. dd) Verloren seyn, im höchsten Grade und ohne Rettung unglücklich. Ein verlorner Mensch, dem nicht mehr zu helfen ist. Verloren ist eine weibliche Seele ohne wahre Frömmigkeit. In der Deutschen Bibel und der Theologie ist verloren gehen, in engerer Bedeutung verdammt werden, ewig unglücklich werden. 2. Als ein Reciprocum, sich verlieren, sich nach und nach und gleichsam unbemerkt aus unserer Gegenwart, und im weitern Verstande auch, aus unserm Empfindungskreise entfernen, ohne weitere Bestimmung der Art und Weise. (1) Eigentlich. Die Zuschauer verlieren sich, wenn sie sich nach und nach entfernen. Sich aus den Augen, aus dem Gesichte verlieren. Die Flecken auf der Haut haben sich verloren. Das Fieber hat sich verloren. Die Schmerzen wollen sich noch nicht verlieren. Eine Sache verliert sich leicht, wenn sie so beschaffen ist, daß man sie leicht verlieren kann. (2) Figürlich. a) Von Farben sagt man, sie verlieren sich, wenn sie unvermerkt in andere Farben übergehen, welches in manchen Fällen auch verlaufen genannt wird. Ein goldner Saum verliert sich am Ende der Flügel (des Schmetterlinges) ins Grüne, Geßn. Die Umrisse einer Figur verlieren sich, wenn sie sich unvermerkt mit dem Grunde vermischen. Bey den Kupferstechern verlieren sich die Schnitte, wenn sie unmerklich in andere Schnitte, oder in die Grundfläche übergehen. Nach einer noch weitern Figur. Pracht, Größe und Würden verlieren sich in der Nacht des Grabes. b) Sich in einer Vorstellung in einem Gedanken verlieren, in der edlern Schreibart für verirren. O, wie verlor mein Geist sich in erträumten Bildern, Und wußte sich vergnügt die Zukunft abzuschildern! Cron. Oft verliert sich die Seele unter einer unendlichen Menge von Empfindungen, weil sie nicht weiß, wo sie stille stehen soll. Daher das Verlieren, in den meisten Fällen der thätigen Gattung, indem das Hauptwort die Verlierung nicht mehr gebraucht wird. S. auch Verlust, welches in vielen dafür üblich ist.

Anm. Bey dem Notker firlüren, (bey dem Schilter irrig fluren, weil es in der Handschrift vermuthlich abbreviirt war,) bey dem Kero und andern alten Oberdeutschen farleosan, serliesen, verliesen, bey dem Ulphilas fraliusan, im Angels. forleoran, im Nieders. verlesen, im Schwed. förlora und förlata, im Dän. forlise und forlore. Daß ver hier eine bloße Intension bezeichnet, erhellet aus den einfachen lieren und liesen, welche ehedem häufig für verlieren gebraucht wurden, wohin das Nieders. lesen, das alte Gothische liusan, das Angels. losjan, das Engl. to lose, liese, das Schwed. Lyra, der Verlust, u. a. m. gehören. Opitz gebraucht noch gelosen in eben demselben Verstande. Durch solche Freundlichkeit und süßes Liebekosen Macht sie, daß ich mir nicht begehre zu gelosen Den Kummer, der mich kränkt. Ich weiß nicht, wie ich doch die Fantasie gelose, eben ders. Lieren und liesen sind nur in dem Endlaute verschieden, indem r und s sehr oft und leicht in einander übergehen. Die letzte Form, welche noch in unserm Verlust herrschet, scheint die älteste zu seyn. Dieses liesen ist allem Ansehen nach mit los Eines Geschlechtes, von beyden ist lassen eine Art eines Intensivi. Die alte Form du verleurst, er verleurt u. s. f. der Mon verleurt seinen Schein, Buch der Natur von 1483, ist selbst im Oberdeutschen nur noch in einigen rauhen und harten Mundarten gangbar, und verdiente daher weder hier, noch in den übrigen Zeitwörtern, welche vor der Endsylbe des Infinitivs ein ie oder ein ü haben, im Hochdeutschen Sprachlehren empfohlen zu werden.


Verloben (W3) [Adelung]


Verloben, verb. reg. act. durch ein Gelübde aber feyerliches Versprechen mit jemanden verbinden. 1. In weiterm, aber jetzt veraltetem Verstande, in welchem in der Deutschen Bibel Personen, welche sich gegen Gott durch ein Gelübde zu etwas verbindlich gemacht, Verlobte, Verlobte Gottes genannt werden, wie 4 Mos. 6, 13 f. Richt. 13, 5, 7. Kap. 16, 17. Man gebraucht es nur noch 2. im engern Verstande, feyerlich und auf eine rechtskräftige Art zur Ehe versprechen. Jemanden seine Tochter verloben, oder noch häufiger, seine Tochter mit Jemanden verloben. Ingleichen als ein Reciprocum, sich mit einer Person verloben. Eine verlobte Braut. Daher das Verloben und die Verlobung, welches letztere oft, besonders in der edlen Schreibart, für das folgende Verlöbniß gebraucht wird. Sie werden heute Verlobung haben. Die Verlobung ist aufgeschoben worden. Im Nieders. verlaven. S. Loben und Geloben.


Verlöbniß (W3) [Adelung]


Das Verlöbniß, des -es, plur. die -e, in einigen Gegenden auch die Verlöbniß, plur. die -en, von dem vorigen Zeitworte, die vor der Trauung oder Hochzeit hergehende Handlung, da eine Person der andern auf eine feyerliche und rechtskräftige Art zur Ehe versprochen wird, das Eheverlöbniß. Das feyerliche unterscheidet das Verlöbniß, von einem bloßen Versprechen, Verspruche oder Eheversprechen, obgleich auch letztere zuweilen für ersteres gebraucht werden. Indessen ist Verlöbniß im gemeinen Leben am üblichsten, dagegen in der edlern Schreibart Verlobung demselben gern vorgezogen wird. Jemanden Verlöbniß machen oder ausrichten, ihn mit einer Person verloben. Verlöbniß halten. Das Verlöbniß ist zurück gegangen. Daher der Verlöbnißtag, Verlöbnißring u. s. f.

Anm. Im Nieders. Verlovnis, Verlavung, Lovte, Lövte, bey den ältern Oberdeutschen Brutloufti, im Holländ. Bruytloft, im Schwed. Brottop, im Mecklenb. die Habbe, vermuthlich von Haft, bey andern Oberdeutschen Schriftstellern die Ehetaidigung, das Handmahl u. s. f. Im Schwabenspiegel heißt mit einem Manne verlobt seyn, ainem Manne gesuuorn oder hingesuuorn sin. Von dem Geschlechte dieses Wortes, welches im Hochdeutschen im ungewissen am üblichsten ist, S. -Niß.


Verlochen (W3) [Adelung]


Verlochen, verb. reg. act. 1. Mit einem oder mehrern Löchern versehen, bey verschiedenen Handwerkern. Die Eisenarbeiter verlochen das Eisen, wenn sie die Löcher zu den Niethen oder Nägeln darein schlagen. Auch die Zimmerleute verlochen das Zimmerholz. ( S. Lochen.) 2. In ein Loch scharren, vergraben, nur in einigen Gegenden. Das gestorbene Vieh verlochen. So auch die Verlochung.


Verlochsteinen (W3) [Adelung]


Verlochsteinen, verb. reg. act. mit Lochsteinen, d. i. Gränzsteinen versehen, ein nur in dem Bergbaue übliches Wort. Eine Grube verlochsteinen. Daher die Verlochsteinung. Siehe Lochstein.


Verlocken (W3) [Adelung]


Verlocken, verb. reg. act. auf den unrechten Weg, in Irrthum locken. Ephraim ist, wie eine verlockte Taube, Hos. 7, 11. Die Welt ist eine schmeichlerische Verführerinn, welche uns gar zu leicht verlockt. So auch die Verlockung.


Verlockern (W3) [Adelung]


Verlockern, verb. reg. act. durch leichtsinnige Ausgaben, ingleichen durch lockere Lebensart alle machen, verschwenden. Sein Vermögen verlockern.


Verlodern (W3) [Adelung]


Verlodern, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn. 1. Aus Mangel der Nahrungsmittel aufhören zu lodern. Das Feuer ist verlodert. 2. Von einem lodernden Feuer verzehret werden.


Verlogen (W3) [Adelung]


Verlogen, -er, -ste, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort des ungewöhnlichen Zeitwortes verlügen ist, Fertigkeit besitzend, leicht und ohne Noth zu lügen, in der härtern Sprechart; lügenhaft. Ein verlogener Mensch. Verlogen seyn. Nieders. verlagen. S. Ver 2.


Verlohnen (W3) [Adelung]


Verlohnen, verb. reg. act. von den gebührenden Lohn geben, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort, wo ver eine intensive Bedeutung hat. Man hört es nur noch zuweilen in der R. A. es verlohnt die Mühe nicht, d. i. es lohnt oder belohnt die Mühe nicht, wofür man wohl gar höret, es verlohnt sich nicht der Mühe, oder es verlohnt nicht der Mühe. S. Lohnen.


Verloren (W3) [Adelung]


Verloren, S. Verlieren.


Verlöschen (W3) [Adelung]


Verlöschen, ein Zeitwort, welches auf gedoppelte Art gebraucht wird. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, und der Regel nach mit irregulärer Conjugation; ich verlösche, du verlischst, er verlischt; Imperf. ich verlosch, Mittelw. verloschen, aufhören zu brennen, zu leuchten oder zu glimmen, von dem Feuer und brennenden Körpern, im gemeinen Leben auch auslöschen, in der edlern Schreibart erlöschen. Das Feuer verlischt. Das Licht ist verloschen. Wenn das Feuer der Leidenschaft verloschen ist. Indessen wird es auch häufig mit regulärer Abwandelung gebraucht. Eines fleißigen Weibes Leuchte verlöscht des Nachts nicht, Sprichw. 31, 18. Wie ein Tocht verlöscht, Es. 43, 17. Ein Fünklein verlöschet, Weish. 2, 3. S. Löschen, ingleichen das edlere Erlöschen. II. Als ein Activum, und mit regelmäßiger Abwandelung, verlöschen machen, in welcher Form es unter andern auch bey dem Opitz vorkommt; indessen ist für dieses Activum auslöschen üblicher. So auch die Verlöschung.


Verlosen (W3) [Adelung]


Verlosen, verb. reg. act. 1. Durch Losen, oder vermittelst des Loses, an einen andern Besitzer bringen; auch auslosen. Ein Haus verlosen. Ein Gebräude Bier verlosen, durch das Los bestimmen, wer es brauen soll. 2. * In weiterm Verstande ist es in einigen Gegenden noch so viel, als verkaufen, in welchem Verstande es aber im Hochdeutschen fremd ist. So auch die Verlosung, besonders in der ersten Bedeutung.


Verlöthen (W3) [Adelung]


Verlöthen, verb. reg. act. 1. Durch Löthen verbinden. 2. Durch Löthen verschließen. In beyden Fällen häufig bey verschiedenen Metallarbeitern, den Glasern u. s. f. So auch die Verlöthung.


Verludern (W3) [Adelung]


+ Verludern, verb. reg. act. in den niedrigsten Sprecharten, mit Ludern, d. i. dem höchsten Grade niedriger Ausschweifungen, durchbringen. Sein Erbtheil verludern.


Verlusen (W3) [Adelung]


Verlusen, bey den Jägern, S. Verhören.


Verlust (W3) [Adelung]


Der Verlust, des -es, plur. die -e, von dem Zeitworte verlieren. 1. Der Zustand, da man etwas verlieret, doch nur in engerer Bedeutung, der Zustand, da man eines Gutes beraubet wird, ohne Plural. Der Verlust seines Vermögens, des Lebens, seiner Sinne, des Verstandes, seines Amtes u. s. f. Etwas bey Verlust des Lebens und der Ehre verbiethen. Der Tod bestehet in dem Verluste des Lebens. Eines Gewinn ist des andern Verlust. 2. Der durch die Beraubung eines Guten zugefügte Nachtheil. Einen Verlust leiden. Das ist für mich ein großer Verlust. Der Verlust ist leicht zu ertragen, ist noch zu verschmerzen. Einen Verlust ersetzen. Verlust am Vermögen leiden. Jemanden einen großen Verlust zufügen.

Anm. Von der Handlung des Verlierens ist das Verlieren üblich, indem die Verlierung im Hochdeutschen ungewöhnlich ist. Verlust ist von der übrigens im Hochdeutschen veralteten Form verliesen. Im Nieders. lautet es Verlies, Verlüs. Die schwei- zerische Mundart vereinigt beyde Formen und sprich Verlust. Im Oberdeutschen ist dieses Wort schon von Alters her weiblichen Geschlechtes, die Verlust.


Verlustig (W3) [Adelung]


Verlustig, adj. et adv. von dem vorigen Hauptworte. 1. Objective und passive, für verloren, als ein Bey- und Nebenwort; eine nur in einigen Oberdeutschen Gegenden übliche Bedeutung. Miltons verlustigtes Paradies, in der Schweiz für verlornes. 2. Subjective und active, wirklich verlierend, eines Gutes beraubt, wo es im Hochdeutschen, nur als ein Nebenwort mit der zweyten Endung, und auch hier nur mit einigen Zeitwörtern gebraucht wird. Sich einer Sache verlustig machen, sich durch sein vorher gegangenes Verhalten derselben berauben. Sich seines Glückes verlustig machen. Eines Dinges verlustig werden, es verlieren, eine im Hochdeutschen veraltete R. A. wofür man verlustig gehen sagt. Seines Amtes, des Bürgerrechtes, eines Lehens verlustig gehen. In der Schweiz verlustig.


Verlutieren (W3) [Adelung]


Verlutieren, verb. reg. act. welches aus dem Lat. Lutum, Lehm, entlehnet, und nur bey chymischen Arbeiten üblich ist, mit Lehm, oder einer Mischung von Lehm und andern Dingen, verschmieren, verschließen.


Vermachen (W3) [Adelung]


Vermachen, verb. reg. act. 1. Durch ein veranstaltetes Hinderniß völlig verschließen, völlig zumachen, als ein sehr allgemeiner Ausdruck, der die Art und Weise unbestimmt läßt. Ich will deinen Weg mit Dornen vermachen, Hof. 2, 6. Alle Zugänge vermachen. Ein Fenster vermachen; fest verschließen. Eine Röhre, welche an einem Ende vermacht ist. Schon im Schwabenspiegel wird es für befestigen gebraucht. Ver hat hier die Bedeutung des Beschließens. 2. Einem etwas vermachen, ihm in seinem Testamente den Besitz desselben verordnen, ihn zu dessen Besitzer in seinem letzten Willen ernennen. Der Kirche tausend Thaler, jemanden sein Vermögen vermachen. Ver hat hier die erste Bedeutung der Entfernung, wie in verkaufen, verschenken u. s. f. Daher die Vermachung, besonders in der ersten Bedeutung.

Anm. Im Hochdeutschen veraltete Bedeutungen sind:

1. Sterben, umkommen, als ein Neutrum mit haben; wovon Frisch ein Beyspiel anführet.

2. Sich vermachen, ist im Niedersächsischen, sich eine Veränderung, ein Vergnügen machen, sich ergetzen, daher der Vermaak daselbst die Ergetzung, und vermaklik ergetzlich ist.


Vermächtniß (W3) [Adelung]


Das Vermächtniß, des -es, plur. die -e, von dem vorigen Zeitworte.

1. Die letzte feyerliche Verordnung eines Sterbenden in Ansehung seines Vermögens; das Testament. Ohne Vermächtniß sterben, ab intestato.

2. Noch häufiger ist es dasjenige, was jemand in seinem Testamente einem andern vermacht; besonders eine solche Geldsumme, Legatum. Das Vermächtniß auszahlen, die einem andern vermachte Summe. Ehedem das Gemächt. Erbgemächt.


Vermagern (W3) [Adelung]


Vermagern, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, mager werden; ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort. Mein Fleisch auch, das vermagert sehr, Opitz Ps. 199.


Vermahlen (W3) [Adelung]


1. Vermahlen, verb. reg. act. 1. Von Mahl, ein Gränzzeichen, ist vermahlen in einigen Gegenden, mit Gränzzeichen bezeichnen, versehen. Ein Feld vermahlen. Daher die Vermahlung. 2. Von mahlen, pingere. (1) Durch Mahlen der Menge nach erschöpfen, alle machen. Alle Farben vermahlen. (2) Er würde uns ein hohes Licht in seiner Copie vermahlt haben, Less. Daher das Vermahlen.


Vermahlen (W3) [Adelung]


2. Vermahlen, verb. irreg. act. ( S. Mahlen,) molere, durch Mahlen auf der Mühle alle machen, erschöpfen. Viel Getreide vermahlen. Das Getreide sogleich vermahlen, auf den Stein schütten. Daher das Vermahlen.


Vermählen (W3) [Adelung]


Vermählen, verb. reg. act. verbinden, vereinigen, vermischen. 1. Im eigentlichen und weitesten Verstande, in welchem es im Hochdeutschen veraltet ist, aber noch bey den ältern Oberdeutschen Schriftstellern häufig vorkommt. 2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, ehelich verbinden. Seine Tochter jemanden, noch häufiger, an jemanden, mit jemanden vermählen. Cleopatra ward dem Alexandro vermählt, 2 Macc. 10, 58; besser, mit dem Alexander. Sich vermählen. Sich mit einer Person vermählen. Daher die Vermählung, die eheliche Verbindung. Die Vermählung vollziehen. Das Vermählungsfest u. s. f. Man gebraucht dieses Wort nur von hohen und vornehmen Personen, dagegen von geringern oder seines gleichen verheirathen, verehelichen üblicher ist. ( S. Gemahl.) In der dichterischen Schreibart indessen wird es auch von geringern gebraucht. Von Vater seiner Braut erhielt Philet das Glück Mit Sylvien sich endlich zu vermählen, Gell.

Anm. Im Oberdeutschen auch vermailigen, vermeiligen, bey noch ältern Schriftstellern nur mahlen, mahelen, mehelen, welches denn auch wohl für verloben gebraucht wurde. Ther thaz wib mahalta, Ottfr. Da ward die magd gemehelt mit einem gerechten man Joseph, Buch Belial von 1472. (Von der Abstammung S. Gemahl.) Ver scheint hier die erste Bedeutung der Entfernung zu haben, durch eheliche Verbindung aus der Familie entfernen, ausheirathen, im mittlern Lat. forisfamiliare.


Vermahnen (W3) [Adelung]


Vermahnen, verb. reg. act. welches im gemeinen Leben für das edlere ermahnen gebraucht wird, und auch noch mehrmahls in der Deutschen Bibel vorkommt. ( S. dasselbe.) So auch der Vermahner, die Vermahnung, edler Ermahner, Ermahnung. Keros farmanen, und Ottfried firmonen gehören nicht hierher; ersteres bedeutet verachten, letzteres aber verdammen. Beyde stammen von meinen ab.


Vermänteln (W3) [Adelung]


Vermänteln, verb. reg. act. eigentlich unter einem Mantel verbergen, wie bemänteln, mit einem Mantel bedecken. Man gebraucht es nur figürlich, zu verbergen, zu verstecken suchen. Seine Schande vermänteln wollen. Einen Diebstahl vermänteln. So auch die Vermäntelung.


Vermarken (W3) [Adelung]


Vermarken, verb. reg. act. 1. Von marken, Handel und Wandel treiben, ist es in einigen Gegenden so viel, als verkaufen; in welchem Verstande es doch im Hochdeutschen ungewöhnlich ist. 2. Von Mark, Gränze, ist es im Gränzzeichen bezeichnen, einschließen. Ein Feld vermarken. So auch die Vermarkung.


Vermauern (W3) [Adelung]


Vermauern, verb. reg. act. 1. Durch Mauern der Menge nach alle machen. Viel Kalk und Steine vermauern. 2. Durch Mauerwerk verschließen. Eine Öffnung, ein Fenster, eine Thür vermauern. Mit Quatersteinen vermauern. 3. Durch Mauerwerk einschließen, umgeben. Einen Schatz in der Wand vermauern. Figürlich, besonders in den Klöstern, wie einmauern, zu einem immerwährenden Gefängnisse verurtheilen, wo das Wort oft, aber irrig, in der eigentlichen Bedeutung verstanden wird; im mittlern Lat. immurare und murare, wo Murus sehr oft ein Gefängniß bedeutet. Daher die Vermauerung in den beyden letzten Bedeutungen.


Vermauthen (W3) [Adelung]


Vermauthen, verb. reg. act. welches nur im Oberdeutschen für verzollen üblich ist, S. Mauth.


Vermehren (W3) [Adelung]


Vermehren, verb. reg. act. mehr machen, der Zahl und Menge nach zunehmen machen. Die Einwohner einer Stadt, die Wörter einer Sprache vermehren. Sich vermehren, an Zahl und Menge zunehmen, besonders durch Fortpflanzung. Seine Familie hat sich seitdem vermehrt. Das Ungeziefer vermehrt sich unglaublich. Seine Einkünfte haben sich vermehret. Da das thätige Zeitwort noch sehr unbestimmt ist, so gebraucht man in solchen Fällen, wo mehr Bestimmung nothwendig ist, lieber das Nebenwort mehr mit einem näher bestimmenden Zeitworte. Mehr Truppen anwerben, mehr Gärten kaufen, mehr Häuser bauen, mehr Vieh schlachten u. s. f. für seine Truppen, seine Gärten, die Häuser, das Schlachtvieh vermehren; obgleich auch diese Ausdrücke nicht ganz ungewöhnlich sind. in vielen Fällen wird es auch von der Maße und Intension gebraucht für vergrößern, da denn die Fälle, wo solches geschehen oder nicht geschehen kann, bloß aus dem Gebrauche erlernet werden können. So sagt man, jemandes Besoldung, Ruhm, Glück, Unglück, Gewalt, Ansehen vermehren. Die Hitze vermehrt sich. Ingleichen von Empfindungen. Die Schmerzen vermehren sich. Jemandes Freude, Vergnügen vermehren. Vermehre den Gram, den Kummer des Verlassenen nicht. So auch die Vermehrung.

Anm. Bey dem Notker fermeren, bey andern Oberdeutschen Schriftstellern nur mehren, so daß ver hier eine bloße Intension zu bezeichnen scheinet.


Vermehrer (W3) [Adelung]


Der Vermehrer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vermehrerinn, eine Person, welche etwas vermehret.


Vermeiden (W3) [Adelung]


Vermeiden, verb. irreg. act. ( S. Meiden,) etwas mit Nachdruck meiden, sich ernstlich hüthen, mit einer Person oder Sache nicht zusammen zu treffen. Man vermeidet jemanden, wenn man aller persönlichen Zusammenkunft mit ihm auszuweichen sucht. Die Gefahr vermeiden. Er vermied diese Ehre, wich ihr aus, und hinderte sie dadurch. Eine Unterredung vermeiden. Ich kann es nicht vermeiden, kann der Sache nicht ausweichen. Ich vermied es, ihn zu sprechen. Die Sünde vermeiden. So auch die Vermeidung. Bey dem Ottfried firmiden und bimeidan. S. Meiden.


Vermeidlich (W3) [Adelung]


Vermeidlich, -er, -ste, adj. et adv. was sich vermeiden läßt, im Gegensatze des unvermeidlich. Ein vermeidliches Ärgerniß, vermeidlicher Schade u. s. f. So auch die Vermeidlichkeit.


Vermeiern (W3) [Adelung]


Vermeiern, verb. reg. act. welches nur in denjenigen Gegenden üblich ist, wo es Meiergüter gibt, einem Meier übertragen, auf Meierrecht austhun. Ein Gut, einen Acker vermeiern. So auch die Vermeierung. S. 3. Meier 4.


Vermeinen (W3) [Adelung]


Vermeinen, verb. reg. act. nach wahrscheinlichen Gründen etetwas dafür halten, ingleichen dafür halten überhaupt, ohne zu entscheiden, ob das Urtheil wahr sey oder nicht, wo ver eine bloße Intension bezeichnet, und das ganze Wort ein wenig edler ist, als das niedrigere meinen, in dessen dritter Bedeutung es doch nur allein gebraucht wird. Anspruch an etwas zu haben vermeinen, glauben. Ich vermeine nicht, daß er kommen wird. Ich vermeinte nicht, daß es so kommen würde. Daher, obgleich seltner, das Vermeinen. Die Vermeinung ist nicht üblich, ob man gleich sagt die Meinung. Das Mittelwort vermeint hat oft noch einen geheimen Nebenbegriff des Zweifelhaften, oft auch des Unwahren. Der vermeinte Prinz, diejenige Person, welche für einen Prinzen ausgegeben, dafür gehalten wird, wofür von einigen, obgleich nicht nach den besten Mustern, vermeintlich gebraucht wird. Der vermeintliche Feind.


Vermelden (W3) [Adelung]


Vermelden, verb. reg. act. das Intensivum von dem einfachen melden, laut, stark melden, in welchem Verstande es bey den Jägern üblich ist, wenn ein Hund etliche Mahl hinter einander anschläget oder laut wird. Ingleichen feyerlich melden. Jemanden seinen Gruß vermelden. Es ist mir vermeldet worden. So auch das Vermelden, er kam mit Vermelden, daß u. s. f. Ingleichen die Vermeldung. Die Vermeldung eines Grußes.


Vermengen (W3) [Adelung]


Vermengen, verb. reg. act. 1. Unter einander mengen, ( S. dieses Wort.) Eisen mit Thon vermengen, Dan. 2, 41, 43; wo doch vermischen schicklicher ist. Den Sauerteig unter drey Scheffel Mehls vermengen, besser mischen, oder damit vermischen, Matth. 13, 33. Gerste mit Hafer vermengen. 2. Figürlich vermengt man ein Ding mit dem andern, wenn man aus Dunkelheit der Begriffe ein Ding für das andere hält, oder einem Dinge etwas zuschreibt, was doch nur dem andern zukommt. Die Gegenstände mit einander vermengen. 3. Nach einer andern Figur stehet, sich mit etwas vermengen, im gemeinen Leben für bemengen, sich damit abgeben, sich darein mengen oder mischen. So auch die Vermengung.


Vermerken (W3) [Adelung]


Vermerken, verb. reg. act. 1. Wie das einfache merken, doch mit einiger Intension. Ich vermerke nichts, merke, verspüre nichts. Das Wildbret vermerkt etwas, bey den Jägern, wenn es stutzig, aufmerksam wird. Wenn nur der Herr vermerkt wird und verspürt, Opitz. Auf dem mittelländischen Meere vermerkt man die Fluth nicht. 2. Figürlich, doch nur im Oberdeutschen und der feyerlichen Schreibart der Hochdeutschen, für aufnehmen, auslegen. Ew. Majestät geruhen in Gnaden zu vermerken. Daß dieselben es huldreichst vermerken mögen, wenn u. s. f. Daher die Vermerkung.


Vermessen (W3) [Adelung]


Vermessen, verb. irreg. act. ( S. Messen,) welches nach Maßgebung beyder Theile der Zusammensetzung in verschiedenen Bedeutungen üblich ist. 1. Von messen, so fern es eigentlich bedeutet, das körperliche Maß der Dinge bestimmen, ist vermessen: (1) Das Maß eines Dinges bestimmen, wo ver eine Intension bezeichnet, und das Zeitwort nur im engern Verstande von der Ausmessung gewisser Theile der Erdfläche gebraucht wird. Ein Feld vermessen. Im Bergbaue werden die Fundgruben und Maßen vermessen, wenn am Tage, d. i. auf der Oberfläche der Erde, nach dem Lachtermaße bestimmt wird, wie weit sich selbige erstrecken. Ein Vermessen vornehmen. Das Feld einem andern vermessen, noch dem Maße zutheilen. Daher das Vermeßbuch, worein alles, wobey dem Vermessen vorgegangen, eingetragen wird; das Vermeßgeld, welches die Gewerken für das Vermessen bezahlen; die Vermeßmahlzeit, welche bey dem Erbbereiten und dem damit verbundenen Vermessen den Bergbeamten gegeben wird. Daher das Vermessen und die Vermessung. (2) Sich bey dem Messen oder im Maße irren, wo ver einen Irrthum, eine Abweichung von dem Wahren bezeichnet. Es wird in diesem Falle von allen Arten der Maße gebraucht. Der Kramer vermißt sich, der Schneider hat sich vermessen. Bey dem Aufmessen des Getreides kann man sich leicht vermessen. Daher das Vermessen. 2. Von messen, so fern es nach einer veralteten Bedeutung sprechen bedeutet, wohin das Angels. Mot, die Rede, Sprache, wädan, sprechen, messen in beymessen, vielleicht auch in gemessen u. s. f. gehören. (1) * Sich vermessen, feyerlich versprechen, eine veraltete Bedeutung, von welcher Frisch ein Beyspiel anführet. (2) In figürlichem Verstande sagt man noch, sich vermessen, hoch betheuern. Sich vermessen und verschwören. Einen Menschen, der sich so vermißt, ist nicht leicht zu glauben. In beyden Fällen hat ver eine intensive Bedeutung. (3) Sich rühmen. a) * Eigentlich, eine gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher ver gleichfalls eine Intension zu bezeichnen scheinet. Sie kommt noch bey den Schwäbischen Dichtern vor. Des ich mih an si niht vermessen mag, Kaiser Heinrich. b) In engerer und noch gang- barer Bedeutung ist sich vermessen, mehr von sich rühmen, mehr zu leisten versprechen, als bey jemandes Kräften und Fähigkeiten möglich ist; wo ver zugleich die Bedeutung des Irrthumes, der Überschreitung des wahren Maßes hat. Die sich selbst vermaßen, daß sie fromm wären, Luc. 18, 9. Du vermissest dich, zu seyn ein Leiter der Blinden, Röm. 2, 19. Die sich den Himmel anzutasten vermessen, Opitz. Doch er hat sich vermessen, Dich und dieß ganze Haus auf ewig zu vergessen, Zach. In weiterm Verstande ist sich vermessen, zu viel unternehmen, etwas unternehmen, was über jemandes Kräfte ist. Es ist besser, daß einer seines Thuns warte, dabey er gedeyet, denn sich viel vermesse, und dabey ein Bettler bleibe, Sir. 10, 30. Obwohl der Phaeton sich allzuhoch vermessen, Opitz. Es wird in dieser Bedeutung wenig mehr gebraucht; doch ist davon. Das Mittelwort vermessen noch völlig gangbar, welches mit verwegen gleichbedeutend ist, aber doch einen höhern Grad des Verwegenen mit Übertretung seiner Pflicht, zu bezeichnen scheinet, auf eine strafbare Art verwegen. Ein vermessener Mensch, der im hohen Grade verwegen ist, das Maß seiner Kräfte in seinen Unternehmungen im hohen Grade überschreitet. Ein vermessener Anschlag. Ihr wurdet ungehorsam dem Munde des Herren, und waret vermessen, und zoget hinauf, 5 Mos. 1, 43. Wo jemand vermessen handeln würde, daß er dem Priester nicht gehorchte, 5 Mos. 17, 12. Der stolz und vermessen ist, heißt ein loser Mensch, Sprichw. 21, 24. Wenn ein Prophet vermessen ist, zu reden in meinem Nahmen, das ich ihm nicht gebothen habe zu reden, 5 Mos. 18, 20. Man ist also vermessen, 1 überhaupt, wenn man weit mehr unternimmt, als das augenscheinliche Maß seiner Kräfte verstattet; und 2, wenn man vorsetzlich mehr unternimmt, als das Gesetz verstattet, durch dreiste Übertretung des Gesetzes, Widersetzung gegen seine Obern u. s. f. S. Vermessenheit. In beyden Fällen wurde es ehedem auch in weiterer und guter, oder wenigstens gleichgültiger Bedeutung gebraucht. Im ersten Falle war vermessen ehedem auch kühn, tapfer. Der vermessene König Rudolph, der tapfere, ein vermessener Held; welche Ausdrücke bey den Schriftstellern der mittlern Zeiten häufig vorkommen. Im zweyten Falle ist sich wider jemanden vermessen, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno, und andern alten Schriftstellern, so viel, als sich ihm widersetzen. In diesem ganzen zweyten Verstande durchkreuzen sich die Bedeutungen so sehr, daß es schwer zu entscheiden ist, welche die eigentliche ist, von welcher die andern als Figuren angesehen werden müßten. 3. * Von messen, so fern es ehedem auch urtheilen bedeutete, welche Bedeutung noch in ermessen herrscht. Soll ich fridlich Herz wurd in im ein Zagheit gemessen, für Zagheit gehalten, ausgelegt, in einer alten Übersetzung des Livius von 1514. Bey den Schwäbischen Dichtern kommt es häufig für, sich in Gedanken vorstellen, vor. Da sie an dem morgen mines todes sick vermas, Heinr. von Morunge. Im Hochdeutschen ist es in diesem Verstande veraltet. Das Hauptwort die Vermessung ist nur in den beyden eigentlichen Bedeutungen von messen, metiri, üblich.


Vermessen (W3) [Adelung]


Vermessen, -er, -ste, adj. et adv. S. das vorige.


Vermessenheit (W3) [Adelung]


Die Vermessenheit, plur. die -en. 1. Die Eigenschaft eines Dinges, da es vermessen ist, in beyden Bedeutungen dieses Wortes und ohne Plural. Der Prophet hats aus Vermessenheit geredet, 5 Mos. 18, 22. Ich kenne keine Vermessenheit wohl, 1 Sam. 17, 28. Solcher Dunkel hat viele betrogen, und ihre Vermessenheit hat sie gestürzt, Sir. 3, 26. 2. Eine vermessene Handlung, mit dem Plural.


Vermessentlich (W3) [Adelung]


Vermessentlich, adj. et adv. für vermessen, am häufigsten als ein Nebenwort, auf eine vermessene Art.


Vermetzen (W3) [Adelung]


Vermetzen, verb. reg. act. die verordnete Metze von dem zu mahlenden Getreide entrichten. Daher die Vermetzung.


Vermiethen (W3) [Adelung]


Vermiethen, verb. reg. act. den Nießbrauch eines Dinges gegen eine bestimmte Miethe dem andern überlassen. Jemanden sein Haus vermiethen. Eine Stube an jemanden vermiethen. Pferde vermiethen, verleihen. Sich vermiethen, in engerm Verstande, sich gegen einen gewissen Lohn jemanden zu persönlichen Diensten versprechen, von dem Gesinde. Sich bey jemanden vermiethen. Sich als Knecht, als eine Magd, als einen Bedienten vermiethen. So auch die Vermiethung.

Anm. Im Nieders. ist dafür verheuern üblich, welches aber auch für verpachten gebraucht wird. ( S. Miethen.) Das Nieders. vermeden, bedeutete ehedem auch nur miethen, dingen, wo ver eine intensive Bedeutung hatte.


Vermiether (W3) [Adelung]


Der Vermiether, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vermietherinn, diejenige Person, welche einer andern etwas vermiethet, zum Unterschiede von dem Abmiether.


Vermindern (W3) [Adelung]


Vermindern, verb. reg. act. minder, d. i. weniger machen, als ein Intensivum von mindern; eigentlich, der Zahl nach weniger machen, im Gegensatze des Vermehrens. Eine Zahl vermindern. Die Einwohner vermindern sich täglich. Die Zölle, die Auflagen vermindern. Ingleichen figürlich in einigen Fällen von der Masse und Intension, gleichfalls im Gegensatze des Vermehrens. Jemandes Ruhm, Ehre, Ansehen vermindern. Besonders von Empfindungen. Den Schmerz, den Verdruß, den Kummer, die Freude vermindern. So auch die Verminderung. S. Mindern.


Vermischen (W3) [Adelung]


Vermischen, verb. reg. act. zwey Dinge unter einander wischen, welches so, wie das einfache mischen, in weiterer und engerer Bedeutung gebraucht wird. 1. In weiterer, wo es doch nur in einigen Fällen hergebracht ist, Dinge verschiedener Art unter einander thun, für vermengen. An beyden Ufern stehet das fette Gras mit Blumen vermischt, Geßner. Am üblichsten ist in diesem Verstande das Mittelwort vermischt. Vermischte Schriften, Schriften oder Aufsätze von verschiedener Art ohne Ordnung unter einander. Eine vermischte Linie, vermischte Figur, in der Geometrie, welche aus geraden und krummen Linien bestehet. Eine vermischte Zahl, in der Rechenkunst, welche aus ganzen Zahlen und Brüchen zusammen gesetzt ist. Und so in hundert andern Fällen mehr. 2. In engerm Verstande, zwey oder mehr Dinge so unter einander mengen, daß die Kennzeichen aufgehoben und verwechselt werden. Den Wein mit Wasser vermischen. Essig mit Galle vermischt, Matth. 27, 24. 3. Figürlich, sich mit einer Person fleischlich vermischen, den Beyschlaf mit ihr ausüben, als ein anständiger Ausdruck für verschiedene, im gemeinen Leben übliche niedrigere. So auch die Vermischung. Die fleischliche Vermischung, der Beyschlaf.


Vermissen (W3) [Adelung]


Vermissen, verb. reg. act. die Abwesenheit, den Mangel einer Person oder Sache gewahr werden, entdecken. Man vermissete den David, 1 Sam. 20, 18. Man wird mich in der Gesellschaft nicht vermissen, man wird meine Abwesenheit nicht gewahr werden, ingleichen, meine Abwesenheit wird kein Verlust für die Gesellschaft seyn. Kommen sie, die Gesellschaft vermißt sie, Gell. Ich vermisse zehn Thaler von meinem Gelde. In engerer Bedeutung, die Abwesenheit eines Dinges, als einen Verlust, folglich mit einiger Unlust, gewahr werden. Im Ober- deutschen wird es so, wie das einfache missen, häufig mit der zweyten Endung der Sache gebraucht. So mistun sie thes kindes, Ottfried. Welche Wortfügung noch in der Deutschen Bibel vorkommt. Daß man niemands vermisse. - Weß man vermissen wird, 2 Kön. 10, 19. Daß man seiner Blätter nicht vermisse, Es. 27, 3. Man vermisset auch nicht dieses noch deß, Kap. 34, 16. Welche Wortfügung aber im Hochdeutschen veraltet ist. Schon bey dem Ottfried firmissan, S. Missen.


Vermitteln (W3) [Adelung]


Vermitteln, verb. reg. act. eine streitige oder schwierige Sache als Mittelsperson beylegen. Einen Streit vermitteln. Die Sache ist dahin vermittelt worden, durch angewandte gütliche Mittel anderer so verglichen worden. Ingleichen auf solche Art hervor bringen. Einen Frieden, einen Vergleich, eine Aussöhnung vermitteln. So auch die Vermittelung. Im mittlern Lateine, mediare.


Vermittelst (W3) [Adelung]


Vermittelst, adv. welches die zweyte Endung erfordert, durch das Mittel, mit Hülfe, durch Hülfe. Ich hoffe es, vermittelst deines Beystandes, zu vollbringen. Vermittelst einer Leiter auf das Dach steigen.

Anm. Im Nieders. avermits, im Holländ. overmids. Das ist an dem Hochdeutschen ist aus dem s, dem Zeichen des Adverbii, entstanden, wie schon in immittelst. Ver scheint hier eine bloße Intension zu bezeichnen, indem im Oberdeutschen dafür nur mittelst üblich ist, welches auch noch einige Hochdeutsche gebrauchen.


Vermittler (W3) [Adelung]


Der Vermittler, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vermittlerinn, eine Person, welche etwas vermittelt; in der Theologie von Christo, der Mittler, im gemeinen Leben, die Mittelsperson, von gekrönten Häuptern, die vermittelnde Macht, Franz. Mediateur.


Vermodern (W3) [Adelung]


Vermodern, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, durch Moder aufgelöset, unbrauchbar gemacht werden. Der Zeug ist ganz vermodert. Vermoderte Papiere. Daher die Vermoderung.


Vermöge (W3) [Adelung]


Vermöge, adv. welches die zweyte Endung des Hauptwortes erfordert, und eigentlich so viel bedeutet, als durch das Vermögen, durch die Kraft, wie kraft oder Kraft, noch häufiger aber auch in weiterer Bedeutung, für nach Maßgebung, wegen, nach u. s. f. Vermöge göttlichen Befehls, 3 Es. 4, 52; dem göttlichen Befehle zu Folge, nach demselben. Vermöge seines Geldes kann er viel ausrichten, besser, durch sein Geld. Das kannst du, vermöge deiner Klugheit, leicht einsehen, mit Hülfe. Das kann ich, vermöge meines Rechtes, nicht zugeben. Vermöge des Testaments bist du nicht Erbe, nach dem Testamente, Kraft desselben. Es konnte, vermöge unserer Abrede, nicht geschehen, nach, wegen derselben.


Vermögen (W3) [Adelung]


Vermögen, verb. irreg. act. ( S. Mögen,) welches in verschiedenen nahe verwandten Bedeutungen gebraucht wird. 1. Ausrichten, bewerkstelligen können. Viel an Macht, am Verstande, an Gelehrsamkeit vermögen, eine veraltete Wortfügung, wofür man lieber sagt, viel Macht u. s. f. besitzen. Du Gott vermagst alles, was du willst, Weish. 12, 18. Geld vermag viel, kann viel ausrichten. Viel bey jemanden vermögen, viel bey ihm ausrichten können. Der Eigennutz vermag nichts bey ihm. Alle Vorstellungen vermogten nichts bey ihr. Feinde haben, welche viel bey Hofe vermögen. So auch im Mittelworte der gegenwärtigen Zeit. Ein viel vermögender Freund, welcher viel vermag. 2. In weiterer Bedeutung, Kraft, Fähigkeit haben, eine gewisse Veränderung hervor zu bringen, für können. Wir vermögen nicht, hinauf zu ziehen, 4 Mos. 13, 32. Er vermag euch nicht (zu) erretten, 2 Könige 18, 29. Sie vermochten nicht widerzustehen (zu widerstehen) der Weisheit, Apost. 6, 10. In diesem Verstande gebraucht man es im Hochdeutschen nur noch in der edlern und höhern Schreibart, für das gesellschaftlichere können. Vermochte der Nahme Romeo nicht die jähe Flamme zu löschen? Weiße. Häufiger gebraucht man das Mittelwort vermögend, als ein Nebenwort mit dem Zeitworte seyn, im Gegensatze des unvermögend. Ich bin nicht vermögend mehr zu essen, länger zu gehen u. s. f. Er war vor Freude nicht vermögend, ein Wort hervor zu bringen. Bist du vermögend in einer Stunde eine Meile zu gehen? Indessen ist es mit der Verneinung im Hochdeutschen am üblichsten. 3. In einigen engern Bedeutungen. (1) An zeitlichem Vermögen besitzen. Vermag er nicht ein Schaf zu geben, 3 Mos. 5, 7. Was vermag er? wie groß ist sein Vermögen? Es wird im Hochdeutschen in dieser Bedeutung wenig mehr gebraucht, außer daß man in derselben noch das Mittelwort vermögend, als ein Bey- und Nebenwort hat. Vermögend seyn, ein gutes Vermögen besitzen. Ein vermögender Mann. Der Gegensatz ist unvermögend. Vermögend ist weniger, als reich, und ungefähr so viel, als wohlhabend, so viel zeitliches Vermögen besitzend, als nicht nur zur Nothdurft, sondern auch zur Bequemlichkeit gehöret, so viel, daß man etwas damit vermag, ausrichten kann. (2) Jemanden zu etwas vermögen, ihn durch Vorstellung, sie seyn, von welcher Art sie wollen, dazu bewegen. Man hat mich dazu vermocht, ich ward dazu vermocht. Ver scheint hier eine bloße Intension zu bezeichnen. Von der Abstammung, Conjugation und Rechtschreibung dieses Wortes, S. Mögen und Macht.


Vermögen (W3) [Adelung]


Das Vermögen, des -s, plur. inus. das Hauptwort von dem vorigen Zeitworte, die Fähigkeit oder Möglichkeit, Veränderungen hervor zu bringen. 1. Im weitesten Verstande, wo das Vermögen eine Art der Fähigkeit ist. Kraft ist im eigentlichen Verstande das Bestreben, sein Vermögen zu äußern, das Vermögen in der Anstrengung, in der Thätigkeit betrachtet. Vermögen ist ein sehr allgemeiner Ausdruck, welcher als ein solcher auch in der philosophischen Schreibart am üblichsten ist, in der Sprache des gesellschaftlichen Umganges aber nicht so häufig, und gemeiniglich nur in manchen Fällen, besonders von dem Kräften des Leibes, gebraucht wird, dagegen in andern Kraft u. s. f. üblicher sind. Gott den Herrn lieb haben von allem Vermögen, 5 Mos. 6, 5; wo man jetzt lieber sagen würde, aus allen Kräften. Es ist kein Vermögen in unsern Händen, Nehem. 5, 5. Mein Vermögen ist weg, Hiob 6, 13. Sich mehr unterstehen, denn sein Vermögen ist, Jerem. 48, 30. Gott läßt euch nicht versuchen über euer Vermögen, 1 Cor. 10, 13. Und so in andern Stellen mehr, wo man jetzt lieber das Wort Kraft gebraucht, besonders, wenn von der Fähigkeit des Körpers die Rede ist, Veränderungen durch Überwindung der Schwere hervor zu bringen. Doch gebraucht man es noch von den Kräften des Leibes in manchen R. A. besonders mit einigen Vorwörtern, über sein Vermögen arbeiten, laufen, essen, trinken u. s. f. Du steigst sonst über dein Vermögen, Gell. Nach Vermögen arbeiten, nach dem Maße seiner Kräfte. In weiterm Verstande sagt man, das ist oder stehet nicht in meinem Vermögen, ich vermag das nicht, dazu reichen meine Kräfte nicht hin, sie seyn nun von welcher Art sie wollen. Ein Pferd hat viel Vermögen, wenn es viele Leibeskräfte hat. Im weitesten Verstande wird es, wie schon gedacht, in der Philosophie gebraucht. Schmackhafte Körper sind solche, welche das Vermögen haben, Empfindungen auf der Zunge hervor zu bringen. Das Vermögen zu begehren, das Begehrungsvermögen, das Vermögen zu wollen, zu erkennen, sich zu erinnern, zu urtheilen u. s. f. In welchem Falle auch von einigen der Plural gebraucht wird. Diese zwey Vermögen der Seele, Sulz. Erstaunliches Gefolg unzähliger Vermögen, Dusch. Der doch außer der philosophischen Schreibart ungewöhnlich ist. 2. In der engsten Bedeutung ist das Vermögen, oder, wie es auch zuweilen heißt, zeitliches Vermögen, derjenige Vorrath an Geld und Geldeswerth, welchen jemand eigenthümlich besitzt, als die große Triebfeder aller menschlichen Unternehmungen. Viel Vermögen haben, besitzen. Ein großes Vermögen haben. Um sein Vermögen kommen. Sein ganzes Vermögen an etwas wenden. Der Herr segne sein Vermögen, 5 Mos. 33, 11. Sie gaben nach ihrem Vermögen, Es. 2, 69. Sich über sein Vermögen angreifen, mehr, als jemandes Vermögen vernünftiger Weise verstattet. Er hat fast eine Tonne Goldes im Vermögen. Viel, wenig im Vermögen haben.


Vermögensteuer (W3) [Adelung]


Die Vermögensteuer, plur. die -n, eine Steuer, d. i. Abgabe an die Obrigkeit, welche jemand von seinem Vermögen, besonders von seinem baren Vermögen, entrichtet, zum Unterschiede von der Kopfsteuer, Landsteuer, Gewerbssteuer u. s. f. In der Schweiz heißt sie die Gutsteuer.


Vermöglich (W3) [Adelung]


Vermöglich, -er, -ste, adj. et adv. 1. Gute Kräfte des Leibes habend, wo es doch in dem Gegensatze unvermöglich am üblichsten ist. In einigen Gegenden sagt man dafür vermögsam. Ein vermögsames Pferd, welches viele Kräfte, Stärke hat. 2. In der zweyten Bedeutung des Hauptwortes ist vermöglich bey einigen so viel, als vermögend, gutes zeitliches Vermögen habend.


Vermummen (W3) [Adelung]


Vermummen, verb. reg. act. durch Verhüllung, besonders des Gesichts unkenntlich machen. Ein Kind vermummen, so in Kleider einhüllen, daß es fast unkenntlich wird. Sich vermummen. Vermummte Personen. Vermummt seyn. Daher das Vermummen.

Anm. Im Nieders. und gemeinen Leben der Hochdeutschen vermummeln, im Engl. mumm, Schwed. förmumma. Siehe 3. Mumme.


Vermünzen (W3) [Adelung]


Vermünzen, verb. reg. act. 1. Durch Münzen alle machen, der Quantität nach erschöpfen. Alles Silber vermünzen. 2. Als Materialien zum Münzen gebrauchen, in Münze verwandeln. Altes Kupfer vermünzen. Nichts an Gold vermünzen. Vermünztes Silber, gemünztes. So auch das Vermünzen.


Vermuthen (W3) [Adelung]


Vermuthen, verb. reg. act. welches auf doppelte Art gebraucht wird. 1. Als ein eigentliches Activum, aus Einem oder mehreren wahrscheinlichen Gründen schließen, wie muthmaßen, aus Vergleichung mehrerer wahrscheinlicher Gründe. Das habe ich nicht vermuthet. Wer hätte das vermuthen sollen? Es ist zu vermuthen, daß es so kommen wird. Es wird vermuthet, man vermuthet, daß u. s. f. Das hätte ich von dir nicht vermuthet. Jemanden vermuthen, in engerer Bedeutung, seine Ankunft vermuthen, aus wahrscheinlichen Gründen hoffen, daß er kommen werde. Ich vermuthe heute Besuch. Wer hätte ihn in dem Aufzuge vermuthet. Ein vermutheter Besuch. Etwas vermuthen seyn, für etwas vermuthen, ist eine Niederdeutsche Wortfügung, welche indessen auch im gemeinen Leben der Hochdeutschen nicht selten ist. Ich bin es mir vermuthen. 2. Als ein Reciprocum, sich etwas vermuthen, in den vorigen Fällen, aber am häufigsten nur im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart. Ich glaube, daß sie sich dergleichen fremden Antrag niemahls vermuthet hätten. Daher das Vermuthen, der Zustand der Seele, da sie etwas vermuthet. Wider alles Vermuthen. Über alles Vermuthen. Ingleichen die Vermuthung, die wahrscheinliche Meinung selbst, S. solches besonders. Anm. Vermuthen, Nieders. vermoden, Schwed. förmoda, stammt von dem veralteten Zeitworte muthen her, welches ehedem von mehreren Verrichtungen der Seele gebraucht wurde, ( S. Muth.) Ver bezeichnet hier eine bloße Intension, daher die Niedersachsen auch nur das einfache moden, muthen, dafür gebrauchen.


Vermuthlich (W3) [Adelung]


Vermuthlich, adj. et adv. durch Vermuthung, nach wahrscheinlichen Gründen bestimmt. Das vermuthliche Heirathsgut. Am üblichsten ist es als ein Nebenwort, wie ich vermuthe, der Vermuthung nach. Vermuthlich wird er heute nicht kommen. Ich werde ihn vermuthlich nie wieder sehen. Daher das Hauptwort die Vermuthlichkeit, die Eigenschaft eines Dinges, da es durch Vermuthung bestimmt wird.


Vermuthung (W3) [Adelung]


Die Vermuthung, plur. die -en, von dem Zeitworte vermuthen, doch nicht so wohl die Handlung des Vermuthens, als vielmehr die auf wahrscheinliche Gründe gebauete Meinung, deren Verbindung eine Muthmaßung wird. Aller Vermuthung nach. Eine starke Vermuthung haben. Jemanden seine Vermuthung äußern. Daher der Vermuthungsgrund.


Vernachlässigen (W3) [Adelung]


Vernachlässigen, verb. reg. act. nachlässig behandeln, ingleichen durch Nachlässigkeit verderben, unvollkommener machen. Ein Geschäft vernachlässigen. Sein Herz, seinen Geist vernachlässigen. Ich wünschte, diese vernachlässigte Seite seines Herzens nicht gesehen zu haben. Jemandes Erziehung vernachlässigen. Sich vernachlässigen, so wohl, nicht die gehörige Aufmerksamkeit auf sich selbst wenden, als auch, in seinen Verrichtungen aus Nachlässigkeit nicht den Fleiß zeigen, dessen man fähig ist. So auch die Vernachlässigung. S. Ver 2.


Vernageln (W3) [Adelung]


Vernageln, verb. reg. act. 1. Mit Nägeln verschließen, zunageln. Eine Thür, ein Fenster vernageln. 2. Durch Nageln, oder im Nageln verderben, oder unbrauchbar machen. Ein Pferd wird vernagelt, wenn bey dem Beschlagen die Nägel zu tief in das Horn geschlagen werden. Die Kanonen vernageln, sie durch eingeschlagene Nägel oder Bolzen in das Zündloch unbrauchbar machen. So auch die Vernagelung.


Vernähen (W3) [Adelung]


Vernähen, verb. reg. act. 1. Durch Nähen verbergen, ingleichen enschließen. Sein Geld in den Kleidern vernähen. 2. Durch Nähen der Quantität nach erschöpfen, alle machen. Allen Zwirn vernähen.


Vernarren (W3) [Adelung]


Vernarren, verb. reg. welches in dreyfacher Gestalt gebraucht wird, aber in allen dreyen nur im gemeinen Leben üblich ist. 1. Als ein Activum. Sein Geld vernarren, es auf eine thörichte Art durchbringen, es an unnütze Dinge wenden; in den niedrigen Sprecharten vernarrieren. 2. Als ein Reciprocum. Sich in etwas vernarren, eine thörichte sinnliche Liebe auf etwas werfen. Sich in eine Person, in eine Sache vernarren, thöricht verlieben. Wofür man auch sagt, darin vernarret seyn. Niedersächs. vergecken, versotten. 3. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, zum Narren werden, d. i. vor Bewunderung, Erstaunen, außer sich selbst kommen. Er vernarrte ganz. Vernarrt da stehen.


Vernaschen (W3) [Adelung]


Vernaschen, verb. reg. act. 1. Auf Naschwerk verwenden, mit Naschen verschwenden. Sein Geld vernaschen. Daher die Vernaschung. 2. Vernascht seyn, im Mittelworte, und im gemeinen Leben, unmäßige Begierde zum Naschen besitzen; genäschig, naschhaft seyn. Ein vernaschter Mensch. S. Ver 2.


Vernasen (W3) [Adelung]


Vernasen, verb. reg. act. mit einer Nase versehen, ein nur in dem Hüttenbaue übliches Wort, wo man den Blasebalg oder Balg vernaset, wenn man Schlacken über die Form vor dem Roste setzet, damit sich das Gebläse nicht verstopfe. S. Nase.


Vernehen (W3) [Adelung]


Vernehen, S. Vernähen.


Vernehmen (W3) [Adelung]


Vernehmen, verb. irreg. act. ( S. Nehmen.) 1. Ein Ding, oder dessen Gegenwart, durch die Sinne empfinden. (1) Eigentlich, wo es, a. im weitern Verstande, von allen Sinnen gebraucht wurde, für empfinden, jetzt aber in diesem weitern Verstande veraltet ist. Die Jäger sagen nur noch, das Thier vernimmt den Jäger, wenn es dessen Anwesenheit empfindet, es geschehe durch welchen Sinne es wolle. b. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung von dem Sinne des Gehöres, für hören. 1. Im eigentlichsten Verstande, den Schall, Laut empfinden. Ein Tauber vernimmt auch den stärksten Schall nicht. Ich habe es nicht vernommen, gehöret. Wo doch hören oder empfinden üblicher ist. S. Vernehmlich. 2. In engerer und figürlicher Bedeutung. aa. Mit Bewußtseyn, Gegenwart des Geistes anhören. Vernimm mein Schreyen, Ps. 5, 3. Mein Gebeth, Ps. 17, 1. Meine Stimme, Ps. 141, 1. Mein Volk vernimmts nicht, Es. 1, 3. Eine größten Theils veraltete Bedeutung. bb. Hören und unterscheiden, verstehen. Jemandes Stimme vernehmen, sie nicht allein hören, sondern auch unterscheiden, wem sie zugehöret. Keiner vernahm des andern Sprache, 1 Mos. 11, 7; verstand sie. Auch diese Bedeutung ist veraltet. ( S. Vernehmlich.) cc. Durch das Gerücht, durch die Rede anderer erfahren; am häufigsten im Oberdeutschen. Ich habe nichts davon vernommen, gehöret. Dem Vernehmen nach. dd. Sich vernehmen lassen, wird noch hin und wieder gebraucht, für sagen, äußern, sich verlauten lassen. Er ließ sich vernehmen, er wolle uns besuchen. Dahin gehört auch die besonders in den Kanzelleyen übliche R. A. jemanden zu vernehmen geben, ihm eröffnen, sagen, sich gegen ihn äußern; im Oberdeutschen auch entnehmen. ee. Jemanden vernehmen, ihn verhören, besonders, so fern es gerichtlich geschiehet. Ich merke wohl, ich muß dich artikelweise vernehmen, Schleg. Jemanden über etwas vernehmen. Der Verhaftete ist noch nicht vernommen worden. Dieß ist zugleich die einzige Bedeutung, in welcher das Hauptwort die Vernehmung üblich ist. ff. * Einsehen, merken, erkennen, verstehen u. s. f. lauter ehedem sehr übliche, jetzt aber veraltete Bedeutungen. Noah vernahm, daß das Wasser gefallen war. 1 Mos. 8, 11; er merkte, schloß. Die Wunder Gottes vernehmen, Hiob 37, 14. Jesus vernahm ihre Gedanken, Matth. 12, 25. Ein Geheimniß vernehmen, Matth. 13, 11. Nichts vom Geiste Gottes vernehmen, 1 Cor. 2, 14. Und so in andern Stellen mehr. S. Vernunft, welches noch von dieser Bedeutung übrig ist. 2. Sich mit jemanden vernehmen, fast so, wie sich mit ihm verstehen, so wohl mit ihm rathschlagen, als auch mit ihm einig werden; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, in welcher indessen noch das folgende Hauptwort gebraucht wird.

Anm. Schon bey dem Ottfried in der ersten Hauptbedeutung ferneman, im Schwed. förnema. Notker gebraucht dafür das einfache neiman, verstehen, wovon im Nieders. noch niemhaftig, verständig, klug, witzig ist. Beyde sind nach dem Muster der Lat. capere und percipere gebildet, so wie alle Wörter, welche Verrichtungen und Fähigkeiten der Seele bedeuten, Figuren kör- perlicher Handlungen sind, und seyn müssen. Ottfried gebraucht nach einer ähnlichen Figur dafür auch fifahen.


Vernehmen (W3) [Adelung]


Das Vernehmen, des -s, plur. car. 1. Die Handlung, der Zustand, da man etwas vernimmt, in den meisten Fällen des Zeitwortes. 2. Der Zustand unsers Willens in Absicht auf andere, die Art und Weise, wie man gegen sie gesinnet ist, welche auch wohl das Verständniß genannt wird; eine Figur der letzten Bedeutung des Zeitwortes. Das gute Vernehmen, freundschaftliche Eintracht, das schlechte Vernehmen, Mißhelligkeit. In einem guten, schlechten Vernehmen mit jemanden stehen. Das gute Vernehmen unterhalten, wieder herstellen. Das gute Vernehmen unter zwey Personen stören, unterbrechen.


Vernehmlich (W3) [Adelung]


Vernehmlich, -er, -ste, adj. et adv. so daß man es vernehmen, d. i. nicht allein hören, sondern auch das Mannigfaltige in dem Laute unterscheiden könne, von der Stimme, und im Gegensatze des unvernehmlich. Vernehmlich sprechen, so daß man alle Sylben gehörig unterscheiden und verstehen könne. Eine sehr vernehmliche Ausrede haben. Mit vernehmlicher Stimme. Vernehmlich singen.


Vernehmlichkeit (W3) [Adelung]


Die Vernehmlichkeit, plur. car. die Eigenschaft der Stimme oder des Gesprochenen, da es vernehmlich ist.


Vernehmung (W3) [Adelung]


Die Vernehmung, plur. die -en, welches nur in einer Bedeutung des Zeitwortes vernehmen üblich ist, ( S. dasselbe.) Die gerichtliche Vernehmung. Die Vernehmung der Zeugen.


Verneigen (W3) [Adelung]


Verneigen, verb. reg. recipr. sich verneigen, sich aus Ehrerbiethung neigen, ein besonders von dem weiblichen Geschlechte übliches Wort für das edlere neigen. Sie stand auf und verneigte sich tief, Zachar.


Verneuen,Verneuern (W3) [Adelung]


Verneuen und Verneuern, verb. reg. act. wovon das letzte das Intensivum des ersten, oder auch zunächst von dem Comparativ neuer gebildet ist, neu oder neuer machen, zwey jetzt nur noch im gemeinen Leben für die edlern erneuen und erneuern übliche Zeitwörter, welche indessen noch mehrmahls in der Deutschen Bibel vorkommen, besonders in der mehr eigentlichen Bedeutung von Sachen. Du verneuerst die Gestalt der Erden, Ps. 104, 30. Sie werden die verwüsteten Städte verneuen, Es. 61, 4. Die Weisheit verneuet alles, Weish. 7, 21. Die Freundschaft verneuen, 1 Macc. 12, 10. Den Bund, V. 1, 3. Verändert euch durch Verneuerung eueres Sinnes, Röm. 12, 2. Den Schmerz verneuern, edler erneuern. Aber, auch von Handlungen. So verneuern die Jäger den Besuch, wenn sie ihn wiederhohlen, um zu sehen, ob sich das Bestätigte noch in dem Bogen befinde. S. Erneuern. Im Nieders. vernijen.


Vernichten (W3) [Adelung]


Vernichten, verb. reg. act. zu nichte oder zu nichts machen. 1. Zu nichts machen, im strengsten Verstande, ein Ding so zerstören, daß von demselben nichts wirkliches mehr übrig bleibt, aus dem Seyn in das absolute Nichtseyn versetzen; zernichten. 2. In weiterer Bedeutung, zerstören, die Verbindung aller Theile eines Dinges völlig aufheben. Eine Schrift vernichten, sie zerreißen oder verbrennen. Alle Vorräthe vernichten, sie verbrennen, in das Wasser werfen, oder auf andere Art völlig unbrauchbar machen. In noch weiterer Bedeutung, jemandes Anschläge, sein Vorhaben, seine Freude, seine Hoffnung vernichten, wie vereiteln, nur mit mehrerm Nachdrucke. 3. * Figürlich, für nichts halten oder ausgeben, d. i. verachten, verkleinern; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Die Gottlosen vernichten alles, Ps. 73, 8. So auch die Vernichtung.

Anm. Im Nieders. und Holländ. nilen und vernilen, welches zu dem Latein. annihilare gehören. Das im gemeinen Leben übliche Intensivum vernichtigen ist der edlern Schreibart unbekannt.


Verniethen (W3) [Adelung]


Verniethen, verb. reg. act. 1. In einen Nieth verwandeln. Ein Stück Draht verniethen. 2. Vermittelst eines Niethes befestigen, verbinden. So auch die Verniethung.


Verniß (W3) [Adelung]


Verniß, S. Firniß.


Vernünfteln (W3) [Adelung]


Vernünfteln, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, den Zusammenhang der Dinge auf eine vorwitzige, oder auch allzu genaue Art untersuchen und erforschen wollen, seine Vernunft auf eine witzige oder übertriebene genaue Art anwenden. Wenn man mit Kindern an zu vernünfteln fängt (anfängt zu vernünfteln,) so ist es kein Wunder, wenn sie widerspenstig werden, Weiße. Wie leicht vernünftelt es sich, wenn man nicht empfindet, eben ders. Nachdem er so bey sich vernünftelt hatte. Daher das Vernünfteln und die Vernünfteley. S. die Endsylbe "-eln", welche hier eben die Bedeutung gewähret, wie in grübeln, künsteln, u. s. f.


Vernünftig (W3) [Adelung]


Vernünftig, -er, -ste, adj. et adv. welches in einem doppelten Verstande gebraucht wird. 2. Subjective, Vernunft habend, anwendend und verrathend, im Gegensatze des unvernünftig. Der Mensch ist ein vernünftiges, das Thier ein unvernünftiges Geschöpf. In engerer Bedeutung, viel Vernunft, d. i. Fertigkeit, den Zusammenhang der Dinge einzusehen, verrathend und beweisend. Ein vernünftiger Mann. So wie es im weitesten Verstande auch wohl von der Vernunft, d. i. dem Vermögen zu vernehmen, gebraucht wird. 2. Objective, der Vernunft gemäß und darin gegründet, auch im Gegensatze des unvernünftig. Vernünftig handeln, verfahren. Das war sehr vernünftig. Ein vernünftiger Einfall. Im weitesten philosophischen Verstande ist vernünftig, was auf deutliche Erkenntniß beruhet, im Gegensatze des sinnlich. Die vernünftige Erkenntniß, im Gegensatze der sinnlichen.

Anm. Schon bey dem Notker fernumestig, dagegen Kero und Ottfried dafür redihafti und redelicho gebrauchen, von Rede, ratio.


Vernünftigkeit (W3) [Adelung]


Die Vernünftigkeit, plur. inus. bey einigen neuern philosophischen Schriftstellern, die Eigenschaft, da ein Ding vernünftig ist. 1. Im subjectiven Verstande, die Fertigkeit, die Vernunft, oder die obern Kräfte bey jedesmahliger Gelegenheit zu gebrauchen. 2. Im objectiven Verstande, die Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Vernunft, und die darin gegründete Beschaffenheit; die Vernunftmäßigkeit.


Vernunftkraft (W3) [Adelung]


Die Vernunftkraft, plur. inus. die Möglichkeit der Vernunft, das Vermögen, Vernunft zu besitzen, so fern es noch bloßes Vermögen, oder unentwickelte Kraft ist; bey einigen auch die Vernunftfähigkeit.


Vernünftler (W3) [Adelung]


Der Vernünftler, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vernünftlerinn, eine Person, welche vernünftelt.


Vernunftlos (W3) [Adelung]


Vernunftlos, -er, -este, adj. et adv. der Vernunft beraubt, als ein gelinderer Ausdruck so wohl für unvernünftig, als auch für unsinnig. Ein vernunftloser Mensch. Vernunftlose Geschöpfe. Ingleichen in diesem Zustande gegründet, auch für das härtere unvernünftig, Vernunftlos handeln. Vernunftlose Handlungen. So auch die Vernunftlosigkeit.


Vernunftmäßig (W3) [Adelung]


Vernunftmäßig, -er, -ste, adj. et adv. der Vernunft gemäß, vernünftig. So auch die Vernunftmäßigkeit.


Vernunftschluß (W3) [Adelung]


Der Vernunftschluß, des -s, plur. die -schlüsse, ein Satz, welcher aus zwey andern vorher gegangenen Sätzen hergeleitet oder hervor gebracht, und noch häufiger der Schluß schlechthin genannt wird; Syliogismus.


Vernützen (W3) [Adelung]


Vernützen, verb. reg. act. welches im Hochdeutschen wenig gebraucht wird, völlig abnützen. Das Messer ist vernützt, durch langen Gebrauch ganz verzehret und unbrauchbar gemacht worden. Noch ungewöhnlicherer ist es in figürlichem Verstande. Und mit nichts Gutes thun die güldne Zeit vernützt, Opitz.


Veröden (W3) [Adelung]


Veröden, verb. reg. welches in doppelter Gestalt gebraucht wird. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, völlig öde werden. Ein Feld veröden lassen. Der Garten ist verödet. Er wird der verweseten, der verödeten Natur einen Glanz geben, den die blühende ohne ihn nicht hat, Weiße. 2. Als ein Activum, völlig öde machen. Ein Land veröden. So auch die Verödung.


Veroffenbaren (W3) [Adelung]


Veroffenbaren, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben für offenbaren üblich ist, wo das ver eine unnütze Intension bezeichnet. Es veroffenbaret sich daraus, es erhellet daraus.


Verordnen (W3) [Adelung]


Verordnen, verb. reg. act. von ordnen. 1. Als Herr oder Vorgesetzter die Handlungen anderer feyerlich ordnen, oder mit einem Befehle bestimmen. Wir verordnen und befehlen u. s. f. eine gewöhnliche Formel in den Mandaten, Edicten u. s. f. Die Obrigkeit hat es so verordnet. Der Erblasser verordnet in einem Testamente, wenn er seinen Willen in Ansehung seines Nachlasses bekannt macht. Gemeiniglich bedeutet verordnen feyerlich mit gewissen Formalitäten, schriftlich befehlen. Oft aber bedeutet es auch befehlen überhaupt. Was dir zu thun verordnet ist, Apost. 14, 26. Im weitesten Verstande verordnet der Arzt dem Kranken Arzeneyen, wenn er ihm selbige vorschreibt, oder verschreibt. 2. In engerer Bedeutung ist verordnen, zu einem Geschäfte, zu einem Amte Recht und Befugniß ertheilen. Alle Obrigkeit ist von Gott verordnet, Röm. 13, 1. Amtleute, Hauptleute, Richter verordnen. Verordnete Lehrer und Diener der Kirche. Jemanden zu einem Geschäfte, zu einem Amte verordnen, wofür doch jetzt ernennen bey nahe üblicher ist. Im Oberdeutschen ist für Commissarius das Wort Verordneter üblich. In noch weiterm, aber veraltetem Verstande kommt es in der Deutschen Bibel mehrmahls für etwas bestimmen überhaupt vor. Zum ewigen Leben verordnen, Apost. 13, 48. Gott hat dich verordnet, daß du seinen Willen erkennen solltest, Kap. 22, 14. Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen, Röm. 8, 30. In beyden Fällen gebrauchte man ehedem dafür das einfache ordnen, daher ver hier nichts anders, als eine Intension bezeichnen kann.


Verordnung (W3) [Adelung]


Die Verordnung, plur. die -en, die Handlung des Verordnens, ingleichen der Befehl eines Höhern oder Eigenthümers selbst, in allen Fällen, besonders im ersten, von einem schriftlichen Befehle. Obrigkeitliche Verordnungen. Eine Verordnung in das Land erlassen. Eine Verordnung machen. Die Verordnung des Arztes. Die Verordnung zu einem Amte.


Verpachten (W3) [Adelung]


Verpachten, verb. reg. act. den Nießbrauch eines Dinges zur Erwerbung zeitlichen Vermögens gegen ein bestimmtes jährliches Geld an den andern übertragen. Sein Gut verpachten. Einem einen Acker verpachten. Die landesherrlichen Gefälle an den Meistbiethenden verpachten. Was nicht unmittelbar zur Erwerbung zeitlichen Vermögens dienet, wird vermiethet. S. Pachten. So auch die Verpachtung.


Verpachter (W3) [Adelung]


Der Verpachter, des -s, plur. die -pächter, Fämin. die Verpachterinn, eine Person, welche etwas verpachtet, zum Unterschiede von dem Pachter.


Verpallisadieren (W3) [Adelung]


Verpallisadieren, verb. reg. act. mit Pallisaden versehen. Daher die Verpallisadierung. S. Verpfählen.


Verpartiren (W3) [Adelung]


+ Verpartiren, verb. reg. act. welches nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist, widerrechtlich bey Seite schaffen, verbergen, um es zu entwenden. S. Partiren.


Verpassen (W3) [Adelung]


Verpassen, verb. reg. act. 1. Durch Passen, d. i. unwirksames Zaubern, verlieren, verscherzen; eine im Hochdeutschen seltene Bedeutung. Thut, Schwestern, euer Amt, die Zeit wird leicht verpaßt. Günther. Am üblichsten ist es in den Kartenspielen. Ein Spiel verpassen, es nicht spielen, sondern passen, da man es spielen könnte. 2. Wenn dieses Wort in der Jägerey für das vorige verpartiren gebraucht wird, so scheinet es zu dem Oberdeutschen paschen zu gehören, S. dasselbe. Daher das Verpassen.


Verpetschieren,Verpetschaften (W3) [Adelung]


Verpetschieren oder Verpetschaften, verb. reg. act. welche nur in den gemeinen Sprecharten für versiegeln üblich sind.


Verpfählen (W3) [Adelung]


Verpfählen, verb. reg. act. mit Pfählen versehen, befestigen, einschließen, Nieders. verpalen, im Festungsbaue verpallisadieren. Einen Garten verpfählen. In einigen Gegenden verpfählet man das Vieh, wenn man es pfändet, oder nach andern Mundarten schüttet. Ingleichen durch eingeschlagene Pfähle versperren. Einen Weg verpfählen. Daher die Verpfählung, welches auch wohl von dem Pfahlwerke selbst gebraucht wird.


Verpfänden (W3) [Adelung]


Verpfänden, verb. reg. act. 1. Als ein Pfand oder Unterpfand einem andern übertragen, von beweglichen so wohl, als unbeweglichen Gütern; im gemeinen Leben versetzen. Jemanden ein Gut, seine Ehre, sein Vermögen verpfänden. 2. In einer längst veralteten, aber vermuthlich ursprünglichen Bedeutung des Wortes Pfand, ist verpfänden im Bergbaue noch verbinden, besonders das Zimmerwerk mit hölzernen Keilen antreiben. So auch die Verpfändung.


Verpfeffern (W3) [Adelung]


Verpfeffern, verb. reg. act. zu sehr pfeffern oder mit Pfeffer würzen. Die Brühe verpfeffern.


Verpflanzen (W3) [Adelung]


Verpflanzen, verb. reg. act. an einen andern Ort pflanzen, am häufigsten von Pflanzen, d. i. jungen Gewächsen, wie von größern versetzen. Ingleichen figürlich. Gallische Eitelkeit auf Deutschen Boden verpflanzt. So auch die Verpflanzung.


Verpflegen (W3) [Adelung]


Verpflegen, verb. reg. act. die nöthige Pflege ertheilen, als ein Intensivum von pflegen; besonders im engern Verstande, mit der Pflege auch zugleich die zum Unterhalte nothwendigsten Bedürfnisse reichen. Jemanden verpflegen. So auch die Verpflegung. Eine Anstalt zur Verpflegung der Armen.


Verpflichten (W3) [Adelung]


Verpflichten, verb. reg. durch Pflicht verbinden, so wohl, 1. in weiterm Verstande, durch eine jede Sache, welche uns eine Pflicht aufleget. Zu etwas verpflichtet seyn, als Pflicht dazu gezwungen seyn. Dein Amt, dein Stand, dein Gewissen, alles verpflichtet dich dazu. Seine Wohlthaten verpflichten mich ihm zu einem unaufhörlichen Danke. Jemanden verpflichtet seyn, so wohl mit eigentlicher Pflicht zugethan, als auch zum Danke, zur Erkenntlichkeit verbunden seyn. Sich zu etwas verpflichten, sich dazu als zu einer Pflicht anheischig machen. Als auch, 2. in engerer Bedeutung; durch einen Eid zu etwas verbinden. In diesem Verstande werden besonders Beamte, obrigkeitliche Bediente u. s. f. verpflichtet, wenn man sie in Pflicht nimmt, d. i. sie den Eid der Treue ablegen läßt. So auch die Verpflichtung, welches zuweilen auch von der Pflicht selbst gebraucht wird. Man legt sich eine Verpflichtung auf, wenn man Geschenke nimmt, Weiße. Verpflichten sagt mehr, als verbinden, so wie flechten eine stärkere Verbindung bezeichnet, als das bloße binden.


Verpflöcken (W3) [Adelung]


Verpflöcken, verb. reg. act. mit Pflöcken befestigen, einschließen, versperren.


Verpfründen (W3) [Adelung]


Verpfründen, verb. reg. act. mit einer Pfründe versehen, am häufigsten im Oberdeutschen. Sich aus eigenen Mitteln in ein Spital verpfründen, sich eine Pfründe, eine Stelle in demselben kaufen. So auch die Verpfründung.


Verpfunden (W3) [Adelung]


Verpfunden, verb. reg. act. welches nur in einigen Niederdeutschen Seestädten üblich ist, die unter dem Nahmen des Pfundzolles übliche Abgabe von den Waaren entrichten. So auch die Verpfundung.


Verpfuschen (W3) [Adelung]


Verpfuschen, verb. reg. act. durch Pfuscherey, d. i. Unwissenheit und Ungeschicklichkeit, verderben. Eine Arbeit verpfuschen. Die Sache ist schon verpfuscht. In einigen Mundarten auch verpfuschern.


Verpichen (W3) [Adelung]


Verpichen, verb. reg. act. 1. Mit flüssigem Pech verstopfen, verschließen. Eine Flasche verpichen. So auch ein Faß verpichen, alle Fugen mit Pech verstopfen, auspichen. Noah verpichte die Kammern des Kastens inwendig und auswendig, 2 Mos. 6, 14. Daher die Verpichung. 2. Auf etwas verpicht seyn, S. Erpicht.


Verplämpern (W3) [Adelung]


Verplämpern, verb. reg. act. im gemeinen Leben und den niedrigen Sprecharten. 1. Durch unnützes oder ungeschicktes Hantiren mit einem flüssigen Körper verbrauchen, verschütten. Viel Wasser verplämpern. Von plämpern, einer Onomatopöie des Hantirens im Wasser. 2. Sich mit jemanden verplämpern, sich unbedachtsamer Weise mit ihm versprechen, besonders von ehelichen Versprechungen. Er fraget mich ohn' Unterlaß, Ob ich verplempert bin, Haged. Entweder von dem noch in einigen Gegenden auch als eine Onomatopöie üblichen plampen, plaudern, von welchem man in manchen Gegenden auch wohl sagt, etwas verplämpern, es verplaudern, verschwatzen; oder auch als ein Diminutivum von plumpen, wovon in einigen niedrigen Sprecharten sich verplumpen, aus Unbesonnenheit einen groben Fehler begehen, Schwed. sig förplumpa, ist.


Verplatzen (W3) [Adelung]


Verplatzen, verb. reg. act. durch Platzen, d. i. unnützes Schießen verbrauchen, verschwenden. Viel Pulver verplatzen.


Verplaudern (W3) [Adelung]


Verplaudern, verb. reg. act. 1. Durch Plaudern verderben, hinbringen. Die Zeit verplaudern. 2. Ausplaudern. Die Sache ist schon verplaudert. Daher das Verplaudern.


Verplempern (W3) [Adelung]


Verplempern, Verplumpen, S. Verplämpern.


Verpönen (W3) [Adelung]


Verpönen, verb. reg. act. aus dem Lat. poena, bey Strafe verbiethen. So auch die Verpönung.


Verprassen (W3) [Adelung]


Verprassen, verb. reg. act. durch Prassen, üppige Verschwendung, durchbringen, der Menge nach erschöpfen. Sein Vermögen, sein Erbtheil verprassen. Daher das Verprassen und der Verprasser, der etwas auf solche Art durchbringet. Logau gebraucht dafür das im Hochdeutschen unbekannte verprachten.


Verprellen (W3) [Adelung]


Verprellen, verb. reg. act. welches nur bey den Jägern üblich ist, eigentlich in die Ferne prellen, doch nur figürlich, ein Raubthier schüchtern machen, daß es nicht wieder in die gelegten Eisen gehen will.


Verprozessiren (W3) [Adelung]


Verprozessiren, verb. reg. act. im gemeinen Leben, auf Prozesse wenden, mit Prozessiren verthun. Viel Geld, sein Vermögen verprozessiren.


Verproviantiren (W3) [Adelung]


Verproviantiren, verb. reg. act. mit Proviant oder Lebensmitteln versehen. Eine Festung verproviantiren. Eine Armee, sich auf einen Monath verproviantiren. Im Oberdeutschen bespeisen.


Verpuffen (W3) [Adelung]


Verpuffen, verb. reg. welches von Puff und puffen, einer Onomatopöie eines dumpfigen Lautes gebildet ist. 1. In der Chymie, und zwar (1) als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, mit einem diesem Worte ähnlichen dumpfigen Knalle sich entzünden und abbrennen, welches brennbare, besonders mineralische Körper, z. B. Salpeter und Weinstein, thun, wenn sie in einem Schmelztiegel plötzlich entzündet werden; Lat. detonare, von manchen Körpern, z. B. den Salzen, verknistern, von Körpern, welche nicht knallen, abbrennen. (2) Als ein Activum, auf solche Art abbrennen machen oder lassen. Einen Theil Salpeter mit zwey Theilen Weinstein verpuffen. So auch die Verpuffung, Detonatio. 2. In einigen niedrigen Sprecharten ist verpuffen, durch Nachlässigkeit oder Unbesonnenheit verlustig geben; ingleichen sich verpuffen, aus Unbesonnenheit einen Fehler begehen, besonders im Reden, etwas sagen, was man nicht sagen sollte noch wollte.


Verpuppen (W3) [Adelung]


Verpuppen, verb. reg. recipr. sich verpuppen, sich in eine Puppe verwandeln, von den Insecten, ( S. dieses Wort.) Daher das Verpuppen.


Verquecken (W3) [Adelung]


Verquecken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, mit Quecken angefüllet werden, von dem Acker. Verqueckte Äcker.


Verquellen (W3) [Adelung]


Verquellen, verb. irreg. neutr. ( S. Quellen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, durch Quellen zu seiner Bestimmung unbrauchbar werden. Eine Thür ist verquollen, wenn sie durch Nässe so aufgequollen ist, daß sie sich bequem weder auf- noch zumachen läßt. Daher das Verquellen.


Verquicken (W3) [Adelung]


Verquicken, verb. reg. act. ein nur in der Chymie übliches Wort, vermittelst des Quecksilbers auflösen, und dadurch gleichsam quick, d. i. lebendig oder flüssig machen. Gold, Silber verquicken. Ein solches verquicktes, oder mit Quecksilber aufgelösetes, und mit demselben zu einer Masse vermischtes Metall wird mit einem fremden Worte ein Amalgama genannt, daher für verquicken auch amalgamiren üblich ist, woraus die gemeinen Handwerker vermuthlich ihr mahlen verderbt haben.


Verquisten (W3) [Adelung]


Verquisten, verb. reg. act. welches nur in den gemeinen Sprecharten einiger Gegenden üblich ist, unnütz verderben oder durchbringen, in andern gemeinen Mundarten verquasen, versplittern, verspillen. Daher das Verquisten.


Verrainen (W3) [Adelung]


Verrainen, verb. reg. act. mit einem Gränzraine versehen, bemerken, einschließen. Ein Feld verrainen. Ein verraintes Feld. Daher die Verrainung.


Verrammen,Verrammeln (W3) [Adelung]


Verrammen oder Verrammeln, verb. reg. act. wovon dieses das Intensivum von jenem ist, durch Rammen oder Rammeln, d. i. fest Stoßen, versperren oder verschließen. Eine Thür verrammeln, entweder mit eingerammten Pfählen, oder auch mit fest vor der Thür zusammen geschlagener Erde, Mist u. s. f. Im Bergbaue wird bey dem Schießen des Gesteines das Bohrloch verrammelt, wenn der Raum über der Patrone und neben dem Schießröhrchen mit derb geschlagenem Lehm und Sand ausgefüllet wird.


Verranzen (W3) [Adelung]


"Verranzen", verb. reg. act. durch "Ranzen", d. i. heftige und ungezogene Bewegungen, verderben, im gemeinen Leben. Das Bett verranzen.


Verrasen (W3) [Adelung]


Verrasen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, mit Gras bewachsen. Den Acker verrasen lassen. Verrasete Äcker.


Verrath (W3) [Adelung]


Der Verrath, des -es, plur. der doch selten vorkommt, die -e, ein für Verrätherey im härtesten Verstande, in der dichterischen und höhern Schreibart übliches Wort, außer welcher es veraltet ist. Verräther hasset man und nutzet den Verrath, Haged. S. auch Hochverrath.


Verrathen (W3) [Adelung]


Verrathen, verb. irreg. act. ( S. Rathen,) welches besonders in einem dreyfachen Verstande vorkommt. 1. * Von rathen, Rath geben, war verrathen ehedem einen üblen bösen Rath geben, wo ver die entgegen gesetzte schlimmere Bedeutung hat. Es kommt in dieser jetzt veralteten Bedeutung, in welcher auch das Angels. forraedan üblich war, noch bey den Oberdeutschen Schriftstellern des mittlern Zeitalters vor. 2. Von rathen, reden, ist verrathen, durch die Rede, und im weiterm Verstande, auch durch Zeichen bekannt machen, wie verschwatzen, verplau- dern, doch so, daß sich etwas von der vorigen Bedeutung der Partikel ver mit einmischet. (1) Im engsten Verstande, etwas, das verschwiegen oder verborgen bleiben sollte, in der Absicht dem andern zu schaden, bekannt machen, besonders, so fern es heimlich geschiehet. Jemandes Geheimniß verrathen. Seine Mitschuldigen verrathen, sie heimlich angeben. Verrathe den Knecht nicht gegen seinem Herrn, Sprichw. 30, 10. Simon verrieth den Schatz, 2 Macc. 4, 1. Rodocus alle Heimlichkeiten, Kap. 13, 21. Wenn du mich nicht verrathen willst, will ich es dir gestehen. (2) Im weitesten und figürlichen Verstande, zu erkennen geben, auch von leblosen Dingen, und am häufigsten von solchen, welche man zu verbergen sucht. Deine Sprache verräth dich, Matth. 27, 4. Das verrieth (entdeckte) den ganzen Handel. - Es (dein Auge) verräth sich mir durch unläugbare Zeichen, Weiße. Dein Auge verräth seit einiger Zeit einen geheimen Gram. War je ein Wunsch, den mein Auge verrieth, den du nicht erfülltest? Geßner. Sich selbst verrathen, aus Versehen etwas merken lassen, was man verschweigen wollte. Es ist noch ungewiß, ob es in dieser Bedeutung auch wirklich von reden abstammet, indem es auch mit der folgenden Bedeutung zusammen hangen kann. 3. In der Absicht zu schaden, dem Feinde überliefern. So verrieth Judas Christum. Die dein Brot essen, werden dich verrathen, Obad. v. 7. Sein Vaterland verrathen, es dem Feinde verrathen, dessen Beßtes dem Feinde überliefern. Ich weiß nicht, ob ich hier verrathen oder verkauft bin.

Anm. In dieser letzten Bedeutung schon bey dem Notker ferraten, bey dem Ottfried aneratin, im Nieders. verraden, im Schwed. förrada, und auch nur räda. Die eigentliche Bedeutung beyder Theile der Zusammensetzung ist den meisten Wortforschern dunkel und unbekannt gewesen, die es bald als eine Figur der ersten Bedeutung erkläret, bald als Gegensatz von gerathen, consultum, angesehen, bald noch anders abgeleitet haben. Allein, es ist wohl gewiß, daß verrathen in dieser dritten Bedeutung eine buchstäbliche Übersetzung des Lat. prodere ist, und eigentlich übergeben, überliefern, und, im engern Verstande, dem Feinde übergeben bedeutet. Rathen bedeutete ehedem nicht nur reichen, sondern auch geben, wie noch aus einigen Bedeutungen von berathen erhellet. Auch das Schwed. rada bedeutete ehedem geben, daher es auch noch jetzt ohne die Partikel für verrathen gebraucht wird. Im mittlern Lateine kommen tradere und Traditor mehrmahls für verrathen und Verräther vor, daher der letztere im Französischen noch Traitre, im Span. Tradidor, und im Ital. Traditore genannt wird. Ver hat hier die Bedeutung der Entfernung, eigentlich ausliefern. Dahin scheinet auch der dunkele Artikel in dem alten Friesischen Gesetze de Forresni zu gehören, wo wirklich von einer Art der Verrätherey gehandelt wird.


Verräther (W3) [Adelung]


Der Verräther, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verrätherinn, eine Person, welche verräth, in den beyden letzten Hauptbedeutungen des Zeitwortes, so wohl, welche eine verborgene Sache zum Nachtheile eines andern bekannt macht. Der Verräther schläft nicht. Sehr oft ist das Auge ein Verräther des Herzens. Als auch in der letzten härtern Bedeutung, der einen andern oder dessen Wohl aus boshafter Absicht dem Feinde überliefert. Judas der Verräther. An jemanden zum Verräther werden. Ein Verräther des Vaterlandes. Bey dem Stryker und im Schwabenspiegel schon Verratere, Verreder, dagegen Notker dafür Ferselar, von sellen, übergeben, der alte Übersetzer Tatians aber Meldar gebraucht. Im Schwabenspiegel bedeutet indessen das Wort einen Verleumder.


Verrätherey (W3) [Adelung]


Die Verrätherey, plur. die -en, die Handlung, da man etwas verräth, besonders in der letzten harten Bedeutung des Zeitwor- tes; in der edlern Schreibart der Verrath. Da sprach Joram zu Abasja; es ist Verrätherey, 2 Kön. 9, 23. Er wird nicht bestehen, denn es werden Verrätherey (Verräthereyen) wider ihn gemacht, Dan. 11, 25. Eine Verrätherey anstiften, anspinnen, anzetteln. Ehedem waren dafür Verretniß und Vorretenschaft, üblich.


Verrätherisch (W3) [Adelung]


Verrätherisch, -er, -te, adj. et adv. einen Verrath enthaltend, demselben ähnlich, nach Art eines Verräthers, in dessen Beschaffenheit gegründet. So wohl in der zweyten Bedeutung des Zeitwortes. Das verrätherische Auge, wenn es den Zustand des Herzens entdeckt. Es theilt vielleicht das Herz mit dir den Kummer Den dein verräthrisch Roth mir ingeheim gesagt, Weiße. Als auch, und zwar noch häufiger, in der letzten härtern Bedeutung des Zeitwortes. Eine verrätherische That. Verrätherisch gegen jemanden handeln. Luthers verrätherlich, vermuthlich den unangenehmen Zischlaut zu vermeiden, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. Die Niedersachsen sagen verrädlik.


Verrauchen (W3) [Adelung]


Verrauchen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn. 1. Bis zur Erschöpfung rauchen, besonders, so fern Rauch auch Dampf und Dunst bezeichnet. Einen gekochten Körper verrauchen lassen, bis er erkältet und aufhört zu dampfen. In figürlichem Verstande sagt man, jemandes Hitze verrauche, wenn sie sich nach und nach von selbst legt. Eine Sache verrauchen lassen, ihr Zeit lassen, daß sie sich von selbst lege. Es ist verraucht, man spricht nicht mehr davon. 2. Sich verrauchen, durch Ausdünstung Kraft und Geruch verlieren; besser verriechen. Der Wein verraucht sich, hat sich verraucht. In einigen Gegenden auch hier, als ein Neutrum. So auch das Verrauchen. Opitz gebraucht es außer dem noch in der im Hochdeutschen fremden Bedeutung, im Rauche aufgeben. Durch Krieg ist Griechenland erleget und verraucht.


Verräumen (W3) [Adelung]


Verräumen, verb. reg. act. durch oder in Räumen verlegen, an einem fremden und unbekannten Ort räumen. So auch die Verräumung.


Verrauschen (W3) [Adelung]


Verrauschen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, mit einem Geräusche in die Ferne eilen, verschwinden, Wie ein Donner verrauschet im Regen, Sir. 40, 13. Ingleichen bis zur Erschöpfung rauschen, folglich aufhören zu rauschen.


Verrechnen (W3) [Adelung]


Verrechnen, verb. reg. act. 1. Mit in Rechnung bringen. Etwas verrechnen. Ich verrechne nach den Landesgesetzen nur fünf pro Cent, Gell. 2. Sich verrechnen, einen Fehler im Rechnen begehen. Sich um zehn Thaler verrechnen. Daher die Verrechnung, besonders im erstern Falle.


Verrechten (W3) [Adelung]


Verrechten, verb. reg. act. Mit Rechten, d. i. Prozessiren, durchbringen, verthun, der Menge nach erschöpfen; verprozessiren. Sein Vermögen verrechten. 2. Von Recht, die gebührende Abgabe an die Obrigkeit, ist verrechten in einigen Gegenden, die gebührende Abgabe von etwas geben, wie verzollen, versteuern, verschatzen u. s. f. Ein Grundstück verrechten. So auch die Verrechtung.


Verrecken (W3) [Adelung]


Verrecken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, ein nur in den niedrigen Sprecharten übliches Wort, für sterben, besonders von dem Viehe, eigentlich die Glieder bis zur Erschöpfung aller Lebenskraft recken, die Glieder von sich strecken und sterben. Das Pferd ist verreckt. Ein verrecktes Thier. Daher das Verrecken. In einigen Oberdeutschen Gegenden scheint es den harten und verächtlichen Nebenbegriff nicht zu haben, wie im Hochdeutschen; wenigstens gebraucht Opitz es mehrmahls figürlich für vergehen verschwinden. Die graue Treue verreckt. Und an einem andern Orte. Wenn uns die graue Zeit Den Ruhm verleihen soll, der Teutschen Redlichkeit, So jetzt verrecken will.


Verreden (W3) [Adelung]


Verreden, verb. reg. act. 1. Etwas verreden, bey sich selbst geloben, es nicht wieder zu thun. Ich habe es verredet. Das Spielen verreden. 2. Sich verreden, aus Versehen falsch reden, im Reden etwas sagen, was man nicht sagen wollte, wofür doch sich versprechen üblicher und anständiger ist. So auch das Verreden in der zweyten, und die Verredung in der ersten Bedeutung.

Anm. Das Nieders. vorreden bedeutet noch: 1. Verheißen, versprechen; ingleichen sich verreden, sich verloben, sich versprechen. 2. Abrede nehmen, auch als ein Reciprocum.


Verreisen (W3) [Adelung]


Verreisen, verb. reg. welches in doppelter Gestalt gebraucht wird. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, in die Ferne reisen. Nach Berlin, nach Frankreich verreisen. Sie sind beyde verreiset. Wohin wollen sie verreisen? Nach Hamburg, nach England. 2. Als ein Activum, durch Reisen verzehren, der Quantität nach erschöpfen. Viel Geld verreisen. Sein Vermögen verreisen. So auch das Verreisen.


Verreisern (W3) [Adelung]


Verreisern, verb. reg. act. bey den Jägern, mit Reisern umstellen. Die Schnepfen verreisern, das Schnepfengeschneide mit Reisern umlegen, damit die Schnepfen keinen andern Ausgang finden, als durch die Schlingen. Eben so verreisert man bey dem Fuchsgraben auch die Nebenröhren des Fuchses. Daher die Verreiserung.


Verreißen (W3) [Adelung]


Verreißen, verb. irreg. act. ( S. Reißen,) durch Zerreißen oder Abreißen verbrauchen. Viele Kleider verreißen.


Verreiten (W3) [Adelung]


Verreiten, verb. irreg. act. ( S. Reiten,) mit Reiten verschwenden, durchbringen. Viel Geld verreiten. Die Zeit verreiten, mit Reiten zubringen.


Verreitzen (W3) [Adelung]


Verreitzen, verb. reg. act. zu einer bösen Sache reitzen, durch Reitzen verführen. Jemanden verreitzen, zu etwas verreitzen.


Verrenken (W3) [Adelung]


Verrenken, verb. reg. act. aus seiner gehörigen Lage renken, von den Gliedmaßen und ihren Gelenken. Sich den Arm, die Hand, den Fuß verrenken. Ein verrenktes Glied. So auch die Verrenkung.


Verrennen (W3) [Adelung]


Verrennen, verb. irreg. act. ( S. Rennen,) durch Rennen versperren, eigentlich von dem Wege. Jemanden den Weg verrennen, ihm in den Weg laufen, damit er nicht weiter könne, ihm den Weg vertreten, verlaufen; ingleichen figürlich, ihn an Ausführung einer Sache hindern. Dem Feinde den Weg zur Flucht verrennen. Einem die Thür, das Thor, den Zutritt zu jemanden verrennen. Daher das Verrennen.


Verressen (W3) [Adelung]


Verressen, verb. reg. act. im Bergbaue, S. Ressen.


Verrichten (W3) [Adelung]


Verrichten, verb. irreg. act. welches in verschiedenen Bedeutungen vorkommt. 1. Von richten, und ver, in der Bedeutung der Übertragung ist verrichten in einigen Gegenden überlassen, übertragen. Jemanden Salzgüter verrichten, in den Salzwerken zu Lünneburg, ihm Sohle überlassen. 2. Durch Richten versperren, bey den Jägern. Ein Jagen verrichten, denn dazu bestimmten Platz mit dem Zeuge umstellen. Auch wohl den Zeug verrichten, vorrichten, aufstellen. 3. * Hinrichten; eine im Hochdeutschen veraltete, nur noch in einigen Gegenden übliche Bedeutung. 4. Zu Ende bringen, so daß ver entweder eine Intension, oder auch eine Beendigung, als die Figur der völligen Entfernung bezeichnet. (1) * Im weitesten aber jetzt veralteten Verstande, wo es von jeder Vollbringung einer Handlung gebraucht wurde. Ein Buch verrichten, es zu Ende bringen. (2) In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung gebraucht man es nur noch von der Vollbringung eines Geschäftes, einer pflichtmäßigen, mit Überlegung und bestimmter Absicht verbundenen äußern Handlung. Viel zu verrichten haben, viel zu thun, viel Geschäfte haben. Was hast du hier zu verrichten? Seine Arbeit verrichten. Ein Geschäft nach Wunsch verrichten. Nach verrichteter Arbeit ist gut ruhen. In figürlichem Verstande sagt man in der anständigern Sprechart, seine Nothdurft verrichten, den Unterleib ausleeren, härtere und unanständigere Ausdrücke zu vermeiden.

Anm. Ehedem bedeutete einen Streit verrichten, auch denselben beylegen, wo es dem Wort- und Sachverstande noch mit vergleichen überein kommt.


Verrichtung (W3) [Adelung]


Die Verrichtung, plur. die -en. 1. Die Handlung des Verrichtens und ohne Plural. 2. Noch häufiger ein Geschäft, eine pflichtmäßige, mit Überlegung und bestimmter Absicht verbundene äußere Handlung. Viele Verrichtungen haben. Jemanden eine Verrichtung auftragen. Eine Verrichtung übernehmen. In Verrichtungen seyn.


Verriechen (W3) [Adelung]


Verriechen, verb. irreg. ( S. Riechen,) den Geruch durch die Ausdünstung verlieren oder fahren lassen, wo es so wohl als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, als auch und zwar noch häufiger, als ein Reciprocum gebraucht wird. Der Tobak ist verrochen, hat sich verrochen. Noch häufiger gebraucht man es für verrauchen, mit dem Geruche auch zugleich die Kraft, vermittelst der Ausdünstung fahren lassen. Der Wein verriecht sich, hat sich verrochen. Verrochener Wein. Daher das Verriechen.


Verriegeln (W3) [Adelung]


Verriegeln, verb. reg. act. mit einem Riegel versperren, verschließen. Die Thür verriegeln. Thür und Thor verriegelt finden.


Verritzen (W3) [Adelung]


Verritzen, verb. reg. act. welches nur im Bergbaue üblich ist. Ein verritztes Feld, ein mit Strecken geöffnetes Feld, wo das Erz schon ausgehauen ist, welches auch ein verfahrnes Feld genannt wird.


Verröcheln (W3) [Adelung]


Verröcheln, verb. reg. act. durch Röcheln von sich geben und aufhören zu röcheln, für das gemeinere ausröcheln. Bis er (der Hirsch), erhitzt auf den Tod, die letzten Seufzer verröchelt, Zachar.


Verrosten (W3) [Adelung]


Verrosten, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, durch Rost verzehret, verderbt werden. Das Eisen ist ganz verrostet. Ein verrosteter Degen. Daher das Verrosten und die Verrostung.


Verrotten (W3) [Adelung]


Verrotten, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, durch Rotten verzehret werden, in den gemeinen Sprecharten für die anständigern vermodern, verstocken, verfaulen. Das Holz ist verrottet.


Verrucht (W3) [Adelung]


Verrucht, -er, -este, adj. et adv. einen hohen Grad der Fertigkeit in muthwilliger Übertretung göttlicher und menschlicher Gesetze besitzend, und darin gegründet. Der verruchte Bube Haman, Esth. 6, 10. Die Töchter der Philister, welche sich schämeten vor deinem verruchten Wesen, Ezech. 16, 27. Verrucht sey. So auch die Verruchtheit.

Anm. Es stammet von dem veralteten Zeitworte ruahhan, Sorge, Aufmerksamkeit haben, her, und deutet einen höhern Grad des Mangels der pflichtmäßigen Sorgfalt an, als ruchlos. ( S. dasselbe,) welcher höhere Grad von der Partikel ver, und der Form dieses Wortes herrühret, welches eigentlich das Mittelwort eines längst veralteten oder vielleicht nie üblich gewesenen Zeitwortes verruchen ist, S. Ver. 6.


Verrücken (W3) [Adelung]


Verrücken, verb. reg. act. von der gehörigen Stelle, aus der gehörigen Lage rücken. 1. Eigentlich. Einen Tisch, einen Stuhl verrücken. Die Grenze verrücken, Hof. 5, 10. Jemanden das Ziel, ihm sein Concept verrücken, figürlich, ihn in einer Sache hindern und ihm die davon geschöpfte Hoffnung vereiteln. Lasset euch niemand das Ziel verrücken, Col. 2, 18. Die verrückte Lage seines Glückstandes. 2. Figürlich. (1) * Aus dem Wohlstande in den entgegen gesetzten Stand des Übels, des Verderbens versetzen, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Wir sind verrückt worden, Nehem. 1, 7. Bey andern alten Schriftstellern ist eine Jungfrau verrücken, sie entehren, schwächen. Eine verrückte Person, eine geschwächte, im Gegensatze einer unverrückten. (2) Jemanden den Verstand, den Kopf verrücken, ihn um den gehörigen Gebrauch seines Verstandes bringen. Das hat ihm ganz den Kopf verrückt. Daher bedeutet das Mittelwort verrückt häufig, des gehörigen Gebrauches seines Verstandes beraubt, und darin gegründet. Verrückt seyn. Ein verrückter Mensch. Ein verrückter Einfall. In der breitern Oberdeutschen Mundart verrucken, welche Form auch noch in der Deutschen Bibel vorkommt.


Verrücktheit (W3) [Adelung]


Die Verrücktheit, plur. die -en, in der letzten Bedeutung des Zeitwortes, so wohl der Zustand, da man verrückt, seines Verstandes beraubt ist, die Verrückung, ohne Plural; als auch, obgleich seltener, in diesem Zustande gegründete Handlungen, mit demselben.


Verrückung (W3) [Adelung]


Die Verrückung, plur. die -en. 1. Die Handlung des Verrückens. 2. Der Zustand, da man verrückt, des Zustandes beraubt ist, ohne Plural; wie Verrücktheit.


Verrufen (W3) [Adelung]


Verrufen, verb. irreg. act. ( S. Rufen,) in einen üblen Ruf bringen. Ein Neuling, der verrufen darf, Was Lehrer, die entscheiden können, Wahrheit nennen, Haged. Am üblichsten ist in diesem Verstande das Mittelwort verrufen, in einem hohen Grade einen übeln Ruf habend, wie berüchtigt. Ein verrufener Dieb. Wegen seiner Betrügereyen verrufen seyn. In einer etwas andern Bedeutung wird verrufen noch von den Münzen gebraucht, wenn sie öffentlich abgewürdiget oder verbothen werden. Eine Münze verrufen. Verrufenes Geld. In welchem Falle auch das Hauptwort die Verrufung üblich ist.


Verrühmen (W3) [Adelung]


Verrühmen, verb. reg. act. welches nur in einigen gemeinen Sprecharten üblich ist. 1. Sich einer Sache verrühmen, im Niederdeutschen für berühmen. 2. Im Oberdeutschen ist verrühmt so viel, als berühmt.


Vers (W3) [Adelung]


Der Vers, des -es, plur. die -e, aus dem Latein. Versus. 1. Die Zeile eines Gedichtes. Ein Vers aus dem Horaz. Zwey Verse hersagen. In Versen schreiben, in gebundener Schreibart. Daher dieses Wort im Plural auch zuweilen für das Gedicht selbst gebraucht wird. Verse machen, so wohl ein Gedicht machen, als auch überhaupt ein Poet seyn. Im gemeinen Leben gebraucht man Vers in ähnlichem Verstande und collective. Einen guten, einen fließenden Vers schreiben. Da Vers, so wie Reim, nur die äußere Form eines Gedichtes ausdruckt, so wird es auch in der edlern Schreibart und von vorzüglichen Gedichten nicht gern mehr für das Gedicht selbst gebraucht. Daher die Versart, die Art und Weise, wie die langen und kurzen Sylben in einem Verse abwechseln; die jambische, dactylische, trochäische Versart. 2. Die Strophe eines Gedichtes, im gemeinen Leben, und am häufigsten von Liedern, besonders von Kirchenliedern. Ein Vers aus einem Liede, Gesange. 3. Ein kurzer Absatz in einer prosaischen Schrift, doch nur von solchen Absätzen in der Bibel, wo die Kapitel in Verse getheilet werden, vermuthlich zur Nachahmung der Strophen eines Gedichtes.

Anm. Dieses Wort ist schon sehr frühe aus dem Latein. Versus entlehnet worden, indem schon Kero Fers und Vers für ein Gedicht gebraucht. Das Lat. Versus stammet von vertere her, vermuthlich, weil nach Endigung einer Strophe die Melodie wieder von vorne anfängt, welches bey dem ersten einfachen Zustande der Poesie und Musik ohne Zweifel auch von den einzelnen Zeilen galt. In den gemeinen Mundarten wird das s mit dem widerwärtigen Zischlaute, Versch, gesprochen.


Versäen (W3) [Adelung]


Versäen, verb. reg. act. durch Säen versperren. So versäet man einen Weg, wenn man ihn mit Getreide besäet. Daher die Versäung.


Versagen (W3) [Adelung]


Versagen, verb. reg. act. et neutr. welches im letztern Falle das Hülfswort haben erfordert. 1. Den Genuß eines Dinges zusagen, versprechen, eigentlich, mit Worten einem andern übertragen. Die Waare ist schon versagt, einem andern versprochen. Sind sie schon versagt? haben sie sich schon an jemanden versprochen? es sey, in welcher Absicht es wolle. Meine Hand ist schon versagt, versprochen. Man gebraucht es in diesem Verstande nur überhaupt, und ohne die dritte Endung der Person, vermuthlich, um die Zweydeutigkeit mit der folgenden Bedeutung zu vermeiden. 2. Im entgegen gesetzten Verstande ist versagen, das verlangte abschlagen. Rede mit dem Könige, der wird mich dir nicht versagen, 2 Sam. 13, 13. Du hast den Hungrigen dein Brot versagt, Hiob 12, 7. Wie darf ichs meinem Herren versagen? Judith 12, 14. Einem den Tanz versagen. Wer kann denen, die unschuldig litten, Bewunderung versagen? Dusch. Was (für) Lust er sich versagt, was Schmerzen er ertragen, Haged. 3. Ein Feuergewehr versagt, wenn es nicht los gehen will; als ein Neutrum. Die Büchse versagt mir. Im Scherze gebraucht man es in mehrern Fällen, wenn eine Handlung, eben da sie geschehen soll, unterbrochen wird; z. B. wenn jemand niesen will, und daran gehindert wird. Es scheint nicht, daß es hier eine Figur der vorigen Bedeutung ist, sondern vielmehr von sagen abstammet, so fern es im weitesten und ursprünglichsten Verstande ehedem einen jeden Laut hervor bringen bedeutete. Ver würde alsdann hier eben den Sinn haben, wie in verriechen, verfließen, verpuffen u. s. f. Daher die Versagung, besonders in der zweyten, und das Versagen in der dritten Bedeutung. Anm. In der mittelsten Bedeutung schon bey dem Ottfried firsagen, bey dem Notker und Willeram versagen, im Nieders. verseggen, im mittlern Lat. dedicere. Veraltete Bedeutungen sind: 1. Entsagen, welche schon um die Mitte des achten Jahrhundertes vorkommt. 2. Absprechen, bey dem Notker. 3. Verbiethen. 4. Verklagen, u. s. f.


Versalzen (W3) [Adelung]


Versalzen, verb. reg. act. außer, daß es im Mittelworte versalzen hat, zu sehr salzen. Die Speisen versalzen. Ingleichen figürlich, einen gehofften angenehmen Genuß, unangenehm machen, wie verbittern. Meine Freude ist mir versalzen worden. Jemanden eine Lust versalzen. Daher die Versalzung, doch nur im eigentlichen Verstande.


Versammeln (W3) [Adelung]


Versammeln, verb. reg. act. welches, vermittelst der intensiven Partikel ver, von sammeln gebildet ist, zusammen bringen, mehrere Dinge an einen Ort zusammen bringen. So wohl von leblosen Dingen. Hier hat die Natur alles versammelt, was sie schönes hat, Dusch. Als auch, und zwar am häufigsten, von lebendigen Geschöpfen. Sie pflegten die Herde alle daselbst zu versammlen, 1 Mos. 29, 3. Das Volk, die Ältesten, die Gemeinde versammeln, in der Deutschen Bibel. Wo zwey oder drey ver- sammelt sind in meinem Nahmen, Matth. 18, 10. Die Truppen versammeln, zusammen ziehen. "Zu seinen Vätern versammelt werden", "sterben", in der Deutschen Bibel, wo es wider die Gewohnheit von einem einzelnen Dinge gebraucht wird. Es ist in dieser ganzen Bedeutung in der edlern und höhern Schreibart am üblichsten, indem in dem gesellschaftlichen Umgange die näher bestimmten Ausdrücke zusammen berufen, zusammen ziehen, zusammen bringen u. s. f. üblicher sind. Gangbarer hingegen, selbst im gemeinen Leben, ist das Reciprocum sich versammeln, für zusammen kommen, und zwar am häufigsten auch nur von lebendigen Geschöpfen. Das Volk versammelt sich auf dem Markte. Die Gemeinde versammelt sich in der Kirche, die Bürgerschaft auf dem Rathhause. Die Vögel versammeln sich um die Eule. Ver scheinet hier mit der Intension eine bestimmte Absicht zu bezeichnen, daher auch sich versammeln, außer etwa in der höhern Schreibart, nicht leicht von leblosen Dingen gebraucht wird. Die ältern Oberdeutschen Schriftsteller gebrauchten dafür nur samen, gesamen, besamen. Im mittlern Lateine kommt dafür das wunderliche insimultare vor.


Versammlung (W3) [Adelung]


Die Versammlung, plur. die -en. 1. Die Handlung des Versammelns, obgleich seltener, und ohne Plural. Noch häufiger, 2. die Versammelten, an einem Orte zusammen gebrachten, oder zusammen gekommenen mehrern Dinge, auch nur von lebendigen Geschöpfen und am häufigsten von Menschen. In die Versammlung gehen. Die Versammlung des Volkes, des Rathes. Die Rathsversammlung, Reichsversammlung. Die Versammlung entlassen. In vollreicher Versammlung. Eine Versammlung halten. Bey dem Kero nur Samanunga, und noch bey dem Opitz sehr häufig Sammlung.


Versanden (W3) [Adelung]


Versanden, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, mit Sande angefüllet, überschwemmet werden. Der Fluß ist ganz versandet. Die Wiesen versanden lassen. Als ein Activum mit Sand verstopfen, überschwemmen, ist es wohl nicht leicht gangbar. So auch die Versandung.


Versart (W3) [Adelung]


Die Versart, plur. die -en, S. Vers.


Versatz (W3) [Adelung]


Der Versatz, des -es, plur. die -e, von dem Zeitworte versetzen, doch nur in einigen Fällen. 1. Von versetzen, zum Unterpfande geborgten Geldes geben, ist der Versatz, ohne Plural, diese Handlung, das Versetzen, doch nur in einigen Fällen und Gegenden. Daher ist an einigen Orten ein eigenes Versatzamt, welches an andern ein Leihhaus genannt wird. 2. In den Schlössern ist der Versatz ein Blech über den Fallen und Angriffen, auf welchem der Wirbel verniethet wird, das Zurückweichen der Fallen zu verhindern, wenn sie von dem Schlüssel beweget werden. 3. Von versetzen, vermischen, ist der Versatz bey den Zinngießern so wohl die fremden Metalle und Halbmetalle, mit welchen das Zinn vor dessen Verarbeitung versetzt wird, als auch dieses Versetzen selbst, im letzten Falle ohne Plural, im ersten aber nur von mehrern Arten. Der Versatz des Englischen Zinnes bestehet aus Kupfer und Wißmuth, des Probezinnes aber aus Bley.


Versatzung (W3) [Adelung]


Die Versatzung, plur. die -en, von dem veralteten Zeitworte versatzen, für versetzen, ein nur in der Zimmermannskunst übliches Wort, diejenige Art der Verbindung in einem Hangewerke zu bezeichnen, da ein Ständer auf einen Balken gesetzt, und von diesem gegen jenen zu beyden Seiten liegende Bänder, als Streben, gesetzt werden.


Versaubern (W3) [Adelung]


Versaubern, verb. reg. act. völlig sauber machen oder säubern, bey den Zinngießern, welche ihre Arbeiten versäubern, wenn sie selbige poliren.


Versauen (W3) [Adelung]


+ Versauen, verb. reg. act. welches nur in den niedrigsten Sprecharten üblich ist, durch Sauen, d. i. den höchsten Grad der unreinlichen Behandlung, verderben.


Versauern (W3) [Adelung]


Versauern, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, sauer werden und dadurch verderben. Figürlich sagt man, in einem Amte versauern, durch langes Ausharren in einem geringern Amte, die zu einem höhern habenden Fähigkeiten verlieren.


Versäuern (W3) [Adelung]


Versäuern, verb. reg. welches das Activum des vorigen ist, zu sauer machen, besonders von dem Teige zum Brote. Den Teig, das Brot versäuern. Daher die Versäuerung.


Versaufen (W3) [Adelung]


Versaufen, verb. irreg. ( S. Saufen,) welches nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, für das bessere ersaufen und anständigere ertrinken. 2. Als ein Activum. (1) Durch Saufen, d. i. Unmäßigkeit im Trinken, verthun; vertrinken. Sein Vermögen, alles Geld versaufen. (a) Versoffen seyn, Fertigkeit besitzen, das gehörige Maß im Trinken auf eine grobe Art zu überschreiten. Ein versoffener Mensch, ein Säufer, Trunkenbold. S. Ver 6.


Versäufen (W3) [Adelung]


Versäufen, verb. reg. act. welches noch im gemeinen Leben für das edlere ersäufen gebraucht wird. Deine Augen sind versäuft, Jer. 49, 4.


Versäumen (W3) [Adelung]


Versäumen, verb. reg. act. durch Säumen verlieren, sich durch Säumen darum bringen. Die Mahlzeit, die Zeit, eine Gelegenheit versäumen. Lasset uns die Mayenblumen nicht versäumen, Weish. 2, 7. Der Tugendhafte ist sich freylich seiner guten Absichten bewußt, aber auch des versäumten Guten, Gell. Zuweilen auch, obgleich seltener und im Hochdeutschen ungewöhnlicher, durch Säumen oder Zaudern vernachlässigen. Seine Geschäfte versäumen. Ich will dich nicht verlassen noch versäumen, Cor. 13, 5. So auch die Versäumung.

Anm. Schon im Schwabensp. versumen, im Nieders. versümen, im Oberdeutschen und einigen gemeinen Sprecharten verabsäumen.


Versäumniß (W3) [Adelung]


Die Versäumniß, plur. inus. von dem vorigen Zeitworte, derjenige Zustand, da man durch Säumen eines Guten verlustig wird. Das verursacht mir viele Versäumniß. Zuweilen auch das versäumte Gute selbst, der dadurch verursachte Verlust. Wer bezahlt mir die Versäumniß? Bey einigen auch im ungewissen Geschlechte, das Versäumniß. ( S. -Niß.) Nieders. Sümnis, Versümnis. Schon in dem Salischen Gesetze ist Sonnis (vielleicht richtiger Somnis) ein Hinderniß.


Verschaffen (W3) [Adelung]


Verschaffen, verb. reg. act. 1. * Hervor bringen, veranstalten. Der Herr verschaffte einen großen Fisch, Jonä zu verschlingen, Jon. 2, 1. Eben daselbst Kap. 4, 6 f. verschaffte Gott einen Kürbis, einen Wurm, einen Ostwind. Welcher kam und verschaffete die Gerechtigkeit des Herrn und seine Rechte an Israel, 5 Mos. 33, 21. Siehe, ich habe in meiner Armuth verschaffet zum Hause des Herren hundert tausend Zentner Goldes, 1 Chron. 23, 14; angeschaffet, herbey geschaffet, gesammelt. Die Leichname der Ertödteten verschaffte Tobias zu begraben, Tob. 1, 21. Konnte dieser nicht verschaffen, daß auch dieser nicht stürbe? Joh. 11, 37. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, wo man es, 2. nur noch im engern Verstande gebraucht, zu dem Besitz eines Dinges verhelfen, mit der dritten Endung der Person. Jemanden Geld verschaffen, als ein Darlehen. Jemanden Recht verschaffen, veranstalten, daß ihm Recht widerfahre. Ich will dir den Weinberg Naboths verschaffen, 1 Kön. 21, 7. Wie kann er Brot geben und seinem Volke Fleisch verschaffen? Ps. 78, 20. Ich bath ihn, uns ihre Bekanntschaft zu verschaffen. Ein Freund verschaffte uns einen ungezwungenen Umgang, Sulz. 3. * In einigen Oberdeutschen Gegenden bedeutet es so viel, als vermachen, im Testamente. Der Kirche hundert Thaler verschaffen. Dagegen es in einigen Niederdeutschen Gegenden ehedem so viel, als vollbringen, vollführen war. So auch die Verschaffung, besonders in der zweyten Bedeutung.


Verschalen (W3) [Adelung]


Verschalen, verb. reg. act. mit einer Schale versehen, wofür doch beschalen üblicher ist. Messer verschalen. So auch die Verschalung.


Verschallen (W3) [Adelung]


Verschallen, verb. irreg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, überall bekannt werden, wofür doch erschallen üblicher ist. Man gebraucht davon nur noch das Mittelwort verschollen in engerer Bedeutung in den Gerichten als ein Beywort, auf nachtheilige Art bekannt, für berüchtigt. Ein verschollener Dieb. In noch anderm Verstande ist dieses Mittelwort in den Gerichten anderer Gegenden gangbar, wo ein Verschollener derjenige ist, welcher öffentlich vorgeladen oder aufgerufen worden, aber in der bestimmten Zeit nicht erschienen, und dadurch seiner Gerechtsamen verlustig gegangen ist; wo ver eine destruirende Bedeutung hat.


Verschämt (W3) [Adelung]


Verschämt, -er, -este, adj. et adv. welches das Mittelwort des veralteten Zeitwortes verschämen ist, und am häufigsten noch im gemeinen Leben für das edlere schamhaft in seiner weitesten Bedeutung gebraucht wird, im Gegensatze des unverschämt. Verschämt seyn. Ein verschämter junger Mensch. Nur der verschämte Trieb, der sanfte Jugend ziert, Heißt Philaiden fliehn, Cron. Wenn ich meinen Nächsten darben lasse, weil er zu verschämt ist, mich anzusprechen, Gell. Wir fehlen erst verschämt, dann dreister, eben ders. Auch in der engern Bedeutung des schamhaft wird verschämt häufig im gemeinen Leben gebraucht. Die holde Leibfarb keuscher Jugend Deckt dein verschämtes Angesicht, Hall. Aller dieser Beyspiele ungeachtet, schickt sich dieses Wort, so wie die meisten mit ver auf ähnliche Art gebildeten Beywörter ( S. Ver 6.) besser in die Sprache des gemeinen Lebens, als in die edlere Schreibart, wo man in der engern Bedeutung lieber schamhaft, in der weitern aber oft blöde, bescheiden u. s. f. dafür gebrauchen wird. S. auch die Verschämtheit für Schamhaftigkeit, bey dem Logau Verschämlichkeit.

Anm. Das veraltete Zeitwort verschämen bedeutete: 1. sich schämen, als ein Intensivum dieses Wortes, wovon unser verschämt ist. 2. Alle Scham verloren haben, sich verschämen, eine noch in einigen gemeinen Mundarten übliche Bedeutung. 3. Beschimpfen, beschämen, ja selbst schänden.


Verschänden (W3) [Adelung]


Verschänden, verb. reg. act. so schänden, d. i. ungestalt machen, daß ein Ding gänzlich verderbt, unscheinbar werde, nur im gemeinen Leben. So auch die Verschändung.


Verschanzen (W3) [Adelung]


Verschanzen, verb. reg. act. mit Schanzwerken, d. i. mit Wällen und Graben, umgeben, befestigen, besonders, so fern es außer einer Festung auf freyem Felde geschiehet, mit einem Französischen Ausdrucke retrenchieren. Ein Lager, einen Hügel verschanzen. Eine Armee verschanzt sich, verschanzt ihr Lager. In einem verschanzten Lager stehen. Daher die Verschanzung, nicht allein die Handlung des Verschanzens, sondern auch die im freyen Felde aufgeworfenenen Werke. Die Verschanzung oder die Verschanzungen angreifen.


Verscharren (W3) [Adelung]


Verscharren, verb. reg. act. durch Einscharren verbergen, dem Auge anderer entziehen. Etwas in die Erde verscharren. Der Hund verscharret seinen Knochen. Hagedorns verhungertes Hühnchen verscharrte den gefundenen Demant in den Sand. So auch das Verscharren.


Verschatten (W3) [Adelung]


Verschatten, verb. reg. act. mit Schatten versehen, bezeichnen, bey einigen Neuern für das gemeinere schattiren. So auch die Verschattung, welches auch den künstlichen Schatten selbst bezeichnen kann.


Verschäumen (W3) [Adelung]


Verschäumen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, bis zur Erschöpfung schäumen, nach Erschöpfung des Schaumes aufzuhören zu schäumen. Das Honig hat verschäumt, gibt im Kochen keinen Schaum mehr.


Verscheeren (W3) [Adelung]


Verscheeren, S. Verscheren.


Verscheiden (W3) [Adelung]


Verscheiden, verb. irreg. ( S. Scheiden,) welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. * Als ein Activum, aus einander scheiden, theilen, wo ver eine bloße Intension bezeichnet, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, von welcher noch das Mittelwort verschieden, als ein eigenes Beywort üblich ist, ( S. solches an seinem Orte.) 2. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, in die Ferne scheiden, wo es doch nur noch, für das gemeinere sterben, von Menschen gebraucht wird. Der Kranke ist bereits verschieden. Man gebraucht es, wenn man von einer sterbenden Person mit Achtung spricht, daher man es auch nicht leicht absolute für sterben überhaupt, sondern allemahl in Beziehung auf gewisse Personen gebraucht. Für verschiedene Seele, Weish. 16, 14, sagt man lieber abgeschiedene, weil der Bergriff des Sterbens, die weitere eigentliche des Abscheidens schon zu sehr verdränget hat, die Seele aber eigentlich nicht sterben kann. Daher das Verscheiden, im Oberdeutschen auch das Hinscheiden.


Verscheinen (W3) [Adelung]


* Verscheinen, verb. irreg. neutr. ( S. Scheinen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, aber nur im Oberdeutschen gangbar ist. Es bedeutet eigentlich aufhören zu scheinen oder zu leuchten. Das Licht ist verschienen. In weitern Verstande aber auch vergehen, verschwinden. Der Tag ist verschienen, ist vorbey. Verschienene Woche, vorige. Verschienen, wie verwichen, und im Niederdeutschen vergangen, d. i. vor kurzem, neulich. Nach etwas verschinen Tagen, im Theuerd. In der Landwirthschaft Obersachsens sagt man noch an einigen Orten, der Rocken verscheinet, wenn er in dürren Jahren kleine schwache und unscheinbare Körner bekommt, und gleichsam schwindet.


Verschenken (W3) [Adelung]


Verschenken, verb. reg. act. 1. Als ein Geschenk in eines andern Besitz bringen, an einen andern schenken. Etwas verschenken. 2. Als ein Getränk einzeln an andere verkaufen; ausschenken. Wein, Bier verschenken, einzeln verkaufen. Siehe Schenken. So auch die Verschenkung.


Verscheren (W3) [Adelung]


Verscheren, verb. irreg. act. ( S. Scheren.) 1. Ein wenig bescheren, das allzu lange abscheren, wie verschneiden, obgleich in dieser Bedeutung nur selten. Die Haare verscheren. Den Kopf verscheren. 2. Falsch scheren, im Scheren verderben, verunstalten, auf welche Art der Tuchbereiter ein Tuch verscheren kann. Vermuthlich von dieser Bedeutung gebraucht man das Mittelwort verschoren noch im gemeinen Leben für possierlich, lächerlich, ohne Zweifel von der ehemahligen Gewohnheit den Kopf auf mancherley Art zu scheren, eigentlich in solchem Scheren verunstaltet. Das siehet verschoren aus. Ein hoch geschorner Herr war ehedem ein vornehmer Herr. ( S. Scheren.) Von scheren im wei- testen Verstande ist forskiäre im Dänischen verstümmeln, und forskaren, verstümmelt, wovon unser verschoren gleichfalls abstammen kann. So auch das Verscheren.


Verscherzen (W3) [Adelung]


Verscherzen, verb. reg. act. 1. Mit Scherzen hinbringen, verschwenden. Die Zeit verscherzen. 2. Figürlich, sich muthwillig, oder aus Unbesonnenheit, um den Besitz eines Gutes bringen. Sein Glück verscherzen. Jemandes Gunst verscherzen. So auch das Verscherzen.


Verscheuchen (W3) [Adelung]


Verscheuchen, verb. reg. act. scheu oder schüchtern machen und entfernen. Die Vögel verscheuchen. Die Löwen haben die Herde verscheucht, Jer. 50, 7. Die thränenden Augen, die keichende Brust, Entkräftet den Liebreiz, verscheuchen die Lust, Haged.


Verschicken (W3) [Adelung]


Verschicken, verb. reg. act. in die Ferne schicken, in der edlern Schreibart versenden. Waaren, Güter verschicken. Seinen Bedienten verschicken. Ingleichen mit Bezeichnung des Ortes, in welchem Falle doch das einfache schicken üblicher ist. Jemanden nach Berlin, Waaren nach Frankreich verschicken. Daher die Verschickung.


Verschieben (W3) [Adelung]


Verschieben, verb. irreg. act. ( S. Schieben.) 1. An einen andern Ort, aus der bisherigen Lage schieben. Den Tisch ein wenig verschieben. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, aus der gehörigen oder doch gewöhnlichen Lage schieben. Es hat sich verschoben. 2. Figürlich von der Zeit, auf eine andere Zeit schieben; auch aufschieben. Etwas bis zu jemandes Ankunft verschieben, es auf einen andern Tag, auf eine andere Zeit, oder bis zu einer andern Zeit verschieben. Verschiebe deine Besserung nicht. So auch das Verschieben, und in der letzten Bedeutung auch wohl der Verschub, S. dasselbe.

Anm. Veraltete oder doch im Hochdeutschen ungewöhnliche Bedeutungen sind. 1. Vorstopfen, in welchem Verstande es bey dem Strycker vorkommt. 2. Einem andern Dinge nachsetzen; im Niederdeutschen. Ein Kind verschieben, es nicht achten, es den andern Kindern nachsetzen.


Verschieden (W3) [Adelung]


Verschieden, -er, -ste, adj. et adv. welches so, wie unterschieden, so wohl in eigentlicher und engerer, als in weiterer und figürlicher Bedeutung, gebraucht wird. 1. In engerer sind Dinge verschieden, so bald sie nicht einerley sind, andere Bestimmungen, Eigenschaften, Umstände haben. Die Gemüther der Menschen sind sehr verschieden. Sehr von etwas verschieden seyn. Die Pflicht des Menschen wird durch das verschiedene Maß der besondern Bedürfnisse und Umstände anderer bestimmt. Auf sehr verschiedene Art. Dein Vorschlag ist von dem meinigen gar sehr verschieden. 2. In weiterer Bedeutung wird es oft für mehr gebraucht, mehr für sich bestehende Dinge zu bezeichnen. Es kamen noch verschiedene Personen dazu, noch einige, mehrere. Verschiedene Ursachen haben mich gehindert. Es ist in dieser Bedeutung weder im Singular, noch in der Adverbial-Form üblich.

Anm. Verschieden ist das Mittelwort des veralteten Activi verscheiden, so fern es ehedem eigentlich absondern, von einander theilen, bedeutete, in welchem Verstande es noch im Niederdeutschen, streitige Parteyen auseinander setzen, vergleichen, bedeutet. Unterschieden und verschieden sind daher völlig gleich bedeutend, nur daß dieses in der edlern Schreibart jenem gerne vorgezogen wird. Im Oberdeutschen ist dafür auch zerschieden, im Niederdeutschen aber underlegen üblich, welches sich auf eine ähnliche Figur gründet.


Verschiedenheit (W3) [Adelung]


Die Verschiedenheit, plur. die -en. 1. Die Eigenschaft eines Dinges, nach welcher es von dem andern verschieden ist; ohne Plural. 2. Dasjenige, wo ein oder wodurch es von dem andern verschieden ist; mit demselben, der Unterschied.


Verschiedentlich (W3) [Adelung]


Verschiedentlich, adj. et adv. welches von einigen ohne Noth für verschieden gebraucht wird. Am erträglichsten ist es noch in der Adverbial-Form, für auf verschiedene Art. Es wird verschiedentlich davon gesprochen.


Verschienen (W3) [Adelung]


Verschienen, S. Verscheinen.


Verschieß (W3) [Adelung]


Der Verschieß, des -es, plur. inus. außer allenfalls von mehrern Arten, die -e, ein von dem folgenden Zeitworte nur bey den Mahlern einiger Gegenden übliches Wort, die Handlung des Verschießens in der thätigen Gattung zu bezeichnen, das ist, die stufenweise Schwächung der Stärke der Farben, nach den Graden der Entfernung.


Verschießen (W3) [Adelung]


Verschießen, verb. irreg. ( S. Schießen;) welches in doppelter Gattung üblich ist. I. Als ein Neutrum. 1. Mit dem Hülfsworte seyn. a) * Sich schnell in die Ferne bewegen; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Das Regenwasser verscheußt, (verschießt,) Jer. 18, 14. b) Durch Schießen, d. i. schnelle Bewegung verschlimmert werden, nur noch figürlich von den Farben, mit der Zeit bleicher, schwächer an Stärke und Lebhaftigkeit der Farbe werden; in manchen Fällen im gemeinen Leben auch abschießen. Eine Farbe verschießt. Die Farbe ist verschossen. So auch von gefärbten Dingen. Der Zeug verschießt, ist verschossen. Wie verschießen die Farben Aller Freuden des Hofs vor diesem himmlischen Auftritt! Zachar. von dem Morgen. c) Fehlschießen, d. i. sich in der schnellen Bewegung verirren. Man gebraucht es hier nur noch in der Bienenzucht, wo der Weiser verschießt, wenn er in einen unrechten Stock fliegt. 2. Mit dem Hülfsworte haben, auf welche Art man es im gemeinen Leben einiger Gegenden für fehlen, sich irren gebraucht, als eine Figur der vorigen Bedeutung, wo aber um der mehrern eigenen Thätigkeit willen das Hülfswort haben stehet. Nun werde ich in der Rechnung verschossen haben; wofür andere das folgende Reciprocum sich verschießen gebrauchen. II. Als ein Activum, welches in manchen Fällen zu einem Reciproco wird. 1. Durch Schießen mit einem Feuergewehre alle machen, der Menge nach erschöpfen. Alle Pfeile, alles Pulver, alle Patronen verschießen. Vier Pfund Pulver, zwanzig Patronen verschießen. Ingleichen als ein Reciprocum, sich verschießen, alle sein Pulver und Bley, alle Kugeln, alle Pfeile u. s. f. verschießen. In einem etwas andern Verstande gibt man einer Schützengesellschaft hundert Thaler zu verschießen, wenn man ihr selbige schenkt, die Kosten eines Schießens, nebst den dazu gehörigen Prämien zu bestreiten. 2. Fehlschießen, sich im Schießen, d. i. schnell bewegen, irren oder verirren; doch nur in einigen Fällen. So verschießen die Buchdrucker die Columnen, wenn sie selbige falsch oder unrichtig ordnen. Als ein Reciprocum sagt man in der Jägerey, die Hunde haben sich verschossen, wenn sie sich im Jagen verlaufen oder verirret haben. ( S. auch das vorige Neutrum.) 3. Versperren, befestigen, eine auch nur in einigen Fällen übliche Bedeutung; im Nieders. verschotten. Im Bergbaue verschießt man das Gezimmer, wenn man es hinter den Thürstöcken oder Gevieren mit Stangen, Pfosten, Bretern u. s. f. verwahret, das Erdreich oder Gestein aufzuhalten. 4. In der Ferne schießen, oder vielmehr verschießen machen, von den Farben; nur als ein Kunstwort der Mahler, welche die Farben verschießen, wenn sie ihre Stärke oder Lebhaftigkeit nach den verschiedenen Graden der Entfernung schwächen, so daß ein Gegenstand in der Ferne zu stehen scheint. So werden Figuren, Gegenstände u. s. f. verschossen, durch verhältnißmäßige Schwächung nicht allein der Farben, sondern auch des Lichts und des Schattens, Franz. degra- der. Auch die Kupferstecher verschießen durch feinere und dichtere Einschnitte. So auch das Verschießen, in allen vorigen Bedeutungen.


Verschilfen (W3) [Adelung]


Verschilfen, verb. reg. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, von dem Schilfe verstopft, damit bewachsen werden. Einen Graben verschilfen lassen. Der Fluß ist verschilft. 2. Als ein Activum, in welchem Verstande es bey den Glasern üblich ist, welche das Glas in der Nuth des Fensterrahmens verschilfen, das Wasser abzuhalten. Daher die Verschilfung.


Verschimmeln (W3) [Adelung]


Verschimmeln, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, mit Schimmel überzogen und dadurch unbrauchbar gemacht werden. Das Brot ist verschimmelt. Verschimmeltes Brot.


Verschimpfen (W3) [Adelung]


Verschimpfen, verb. reg. act. welches im Oberdeutschen und im gemeinen Leben einiger Gegenden für beschimpfen üblich ist. Verschimpfe, die sich an mich reiben, Opitz. Im gemeinen Leben verschimpft man etwas, wenn man es körperlich verunstaltet, welches im höhern Grade verlästern genannt wird. Der edlern Schreibart ist dieses Wort unbekannt. So auch die Verschimpfung.


Verschlacken (W3) [Adelung]


Verschlacken, verb. reg. act. in Schlacken verwandeln. Das Eisen verschlacket sich leicht. Im engsten Verstande pflegt man verschlacken und in Schlacken verwandeln in der Metallurgie noch zu unterscheiden; ersteres geschiehet, wenn man die Metallmütter und die dem Metalle beygemischten fremdartigen Theile in Schlacken verwandelt, so daß das Metall unberührt bleibt; letzteres aber, wenn man das Metall selbst in Schlacken verwandelt. So auch die Verschlackung.


Verschlafen (W3) [Adelung]


Verschlafen, verb. irreg. act. ( S. Schlafen.) 1. Durch Schlafen versäumen. Die gehörige Zeit verschlafen. Sein Glück, eine Arbeit verschlafen. Im Oberdeutschen sagt man auch, sich verschlafen, die gehörige Zeit verschlafen, länger schlafen, als man wollte. 2. Das Mittelwort verschlafen bedeutet über dieß noch als ein eigenes Bey- und Nebenwort, Fertigkeit besitzend, über die Gebühr zu schlafen. Verschlafen seyn. Ein verschlafener Mensch. ( S. Ver 6.) Daher die Verschlafenheit, die Eigenschaft, Fertigkeit, da man verschlafen ist.


Verschlag (W3) [Adelung]


Der Verschlag, des -es, plur. die -schläge, von dem folgenden Zeitworte, doch nur in einigen Fällen desselben. 1. Die Handlung des Verschlagens, d. i. Überschlagens, wo es für Überschlag oder Probe nur in einigen Gegenden und Fällen üblich ist. So wird in den Salzsiedereyen, die mit der Salzsohle angestellte Probe der Verschlag genannt. Daher die Verschlagsohle, das Verschlagessen, die Mahlzeit, die dabey gegeben wird, u. s. f. 2. In andern Gegenden ist der Verschlag so viel, als der Verkauf einer Waare, eine im Hochdeutschen gleichfalls ungewöhnliche Bedeutung. 3. Von verschlagen, Wirkung haben, Nutzen bringen, ist der Verschlag, der Vortheil, Nutzen. 4. Im Hochdeutschen gebraucht man dieses Wort nur allein von einem verschlagenen, d. i. mit Bretern abgesonderten Raum in einem größern. Einen Verschlag machen.


Verschlagen (W3) [Adelung]


Verschlagen, verb. irreg. ( S. Schlagen,) welches nach Maßgebung des einfachen Zeitwortes und der Partikel ver in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. Es ist in doppelter Gestalt üblich. I. Als ein Activum. 1. Durch Schlagen verbrauchen, in welchem Falle man, z. B. sagt, alle Nägel verschlagen, alle Nägel einschlagen, und dadurch verbrauchen. 2. Durch Schlagen verschließen, zuschlagen, Fässer, Kästen verschlagen, sie zunageln oder zuschlagen. In den Salzkothen werden die Pfannen verschlagen, wenn sie gestickt werden. 3. Durch Schlagen absondern. In diesem Verstande sagt man noch zuweilen, eine Kammer, ein Zimmer, einen Raum verschlagen, wenn man einen Theil desselben durch eine leichte Wand von angeschlagenen Bretern absondert; wofür doch einen Vorschlag machen, üblicher ist. ( S. Verschlag.) 4. Zu sehr schlagen, eine nur in der Jägerey übliche Bedeutung, wo man einen Hund verschlägt, wenn man ihn durch zu viele Härte schüchtern und furchtsam macht, wofür auch überschlagen üblich ist. 5. Für überschlagen, der Zahl oder Größe nach ungefähr bestimmen, wo es doch nur in engerer Bedeutung in den Salzwerken üblich ist, wenn der Gehalt der Salzsohle genau untersucht wird. Die Sohle verschlagen. ( S. Verschlag.) Im Nieders. ist verslaen auf der Woge untersuchen, Schwed. försla, welches aber auch zählen bedeutet, und zwar nach einer sehr alten Bedeutung, in welcher Ottfried schon unfirslagen für unzählbar gebraucht. 6. In der Ferne schlagen, ingleichen durch oder im Schlagen verirren, verlieren; wo es wieder in verschiedenem Verstande vorkommt. a. Einen Ball verschlagen, ihn im Schlagen verlieren, so schlagen, daß man ihn nicht wieder finden kann. b. In der Seefahrt wird man von dem Winde verschlagen, wenn man durch denselben von seiner Fahrt abgetrieben wird. Der Sturm verschlug das Schiff an die Küste, an eine wüste Insel. Von seiner Fahrt verschlagen werden. Ein verschlagenes Schiff. Bey den Jägern wird es als ein Reciprocum gebraucht. Der Schuß verschlägt sich, wenn er an einen unbekannten falschen Ort geräth. Ein verwundetes Wild hat sich verschlagen, wenn es an einen unbekannten Ort gerathen ist. c. Eben daselbst verschlägt sich ein Wild in den Zeug, wenn es sich in demselben verwickelt. d. Figürlich sagt man, sich etwas verschlagen, sich um den möglichen Genuß eines Guten bringen, fast so, wie verscherzen, doch mit einem merklichen Unterschiede. Der Kaufmann verschlägt sich seine Kunden, wenn er durch sein Betragen macht, daß sie sich von ihm wegwenden. Sich eine gute Heirath, sein Glück u. s. f. verschlagen. 7. Eine Münze verschlagen, in einigen Gegenden, sie verrufen, abwürdigen, in andern Gegenden auch abschlagen. II. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, gleichfalls in mehrern, dem Anscheine nach verschiedenen Bedeutungen, welche doch insgesammt in dem Gebrauche des einfachen Zeitwortes gegründet sind. 1. Aufhören zu schlagen, in verschiedenen Bedeutungen des Zeitwortes. a. Bey den Jägern verschlägt das Birkgeflügel, wenn es aufhöret zu schlagen, d. i. zu locken, welches daselbst auch verbleffen genannt wird. b. Eben daselbst hat der Hirsch verschlagen, wenn er den Bast von seinem Gehörne völlig abgeschlagen hat, wofür auch verbasten üblich ist. 2. Wenn sehr kalte Körper etwas von ihrer strengen Kälte verlieren, so daß sie ohne heftige Empfindung angegriffen oder genossen werden können, so sagt man, daß sie verschlagen. Das Wasser verschlagen lassen. Das Bier nicht anders als verschlagen trinken. Verschlagener Wein. Im Hochdeutschen ist überschlagen in eben demselben Verstande üblich. 3. Ein Pferd verschlägt, hat verschlagen, wenn es wegen plötzlich unterdrückter Ausdünstung krank wird, welche Krankheit sich zuerst durch eine Streife in den Füßen äußert. Sich verfangen, ist in eben demselben Verstande üblich, besonders, so fern das Verschlagen von dem Winde oder einem hitzigen Trunke herrühret. ( S. auch Rehe.) Zwar sagt man auch, ein Pferd ist verschlagen, allein alsdann ist es das Mittelwort mit dem Zeitworte seyn. Ein verschlagenes Pferd. 4. Die verlangte Wirkung hervor bringen, so wie verfangen und anschlagen; vorzüglich mit der Verneinung. Die Arzeney will nichts verschlagen. Es verschlägt nichts mehr bey dem Kranken. Kein Bitten wollte etwas verschlagen. Das kann nichts verschlagen, kann nichts helfen. 5. Austragen, ausmachen. Es verschlägt nicht viel, der Unterschied trägt wenig aus. Er verschlägt viel, der Unterschied beträgt viel. In noch weiterm Ver- stande, daran gelegen seyn. Es verschlägt viel, es ist viel daran gelegen, eigentlich, der Unterschied zwischen beyden Fällen be trägt viel. Das verschlägt nichts, macht keinen erheblichen Unterschied, ist daher gleichgültig. Wenn die Person ausgedruckt wird, so stehet selbige, so wohl der ganzen Analogie der Sprache, als auch den besten Beyspielen nach, in der dritten Endung. Es verschlägt mir nichts, ist mir gleichgültig. Das kann mir nicht viel verschlagen. Der Frau verschlug das nichts, Gell. Was kann denn das meinem Wirth verschlagen? eben ders. Was würde es ihnen verschlagen, wenn u. s. f. Less. Zwar heißt es auch bey dem Gellert: ich habe es ihnen ja schon gesagt, daß mich ein Wort nichts verschlägt; ingleichen: aber das verschlug mich nichts; und an einem andern Orte: was kann sie denn das verschlagen, ob ich ihnen aus dieser oder jener Ursache gewogen bin; doch das gehöret mit zu den kleinen Flecken, von welchen dieser sonst so reine Schriftsteller nicht ganz frey ist. 6. Von einer jetzt veralteten Bedeutung, nach welcher es ehedem schlau, listig, und in weiterm Verstande auch klug seyn, bedeutete, ist noch das Mittelwort verschlagen, als ein eigenes Bey- und Nebenwort üblich, Geschicklichkeit oder Fertigkeit besitzend, seine Absichten auf eine, andern verborgene Art zu erreichen und darin gegründet, wo es mit listig wohl größten Theils gleich bedeutend ist, und so, wie dieses, so wohl in einem unschädlichen Verstande, als auch in einem nachtheiligen, gebraucht wird, und alsdann den Gebrauch dieser Fertigkeit zum Schaden anderer bedeutet. Ein verschlagener Mensch. Ein verschlagener Kopf. Eine verschlagene Antwort. Meine Feinde sind verschlagen und haben geschwinde Ränke, Ps. 64, 7. Sie ist die verschlagenste Person, die ich nur kenne. ( S. auch verschmitzt.) In Preußen sagt man in diesem Verstande beschlagen, im Schwed. so wohl beslagen, als förslagen; selbst unser beschlagen, Kenntniß von etwas haben, und Anschlag, gehören hierher. Das Stammwort ist noch in dem Isländ. slägur vorhanden, welches gleichfalls listig, verschlagen bedeutet, dagegen im Schwedischen Slug und Slägd, der Betrug ist. Aus allem erhellet, daß schlagen ehedem auch von gewissen schnellen Fähigkeiten des Geistes gebraucht worden, so daß unser klug, vielleicht auch schlau, genau damit verwandt sind. ( S. diese Wörter.) Der nachtheilige Nebenbegriff des Schadens anderer ist diesem Worte so wenig wesentlich, als dem Worte listig; obgleich beyde häufig mit demselben gebraucht werden. Bey dem Apherdian kommt auch ein Activum verschlagen, für betriegen, ingleichen durch Gaukeln verblenden, vor. Anm. Das ganze Zeitwort ist, wenigstens in einigen Bedeutungen, schon sehr alt. Einige Oberdeutsche Schriftsteller gebrauchen das Activum auch anstatt des einfachen Zeitwortes schlagen. Die aller Meynungen verschlugen in den Wind, Opitz. Das Hauptwort die Verschlagung wird selbst in den Bedeutungen des Activi wenig gebraucht; das Verschlagen hingegen ist in beyden Formen üblicher.


Verschlagenheit (W3) [Adelung]


Die Verschlagenheit, plur. inus. die Eigenschaft eines Dinges, da es verschlagen ist, in der letzten Bedeutung des Zeitwortes.


Verschläger (W3) [Adelung]


Der Verschläger, des -s, plur. ut nom. sing. von verschlagen, probieren, in den Salzwerken einiger Gegenden, ein Beamter, welcher die Salzsohle probieret; der Probierer.


Verschlagessen (W3) [Adelung]


Das Verschlagessen, des -s, plur. ut nom. sing. S. Verschlag.


Verschlaghammer (W3) [Adelung]


Der Verschlaghammer, des -s, plur. die -hämmer, bey den Kupferschmieden, ein starker Schmiedehammer mit einer breiten und runden Bahn, starke Bleche damit zu verdünnen.


Verschlagsohle (W3) [Adelung]


Die Verschlagsohle, plur. car. S. Verschlag.


Verschlämmen (W3) [Adelung]


1. Verschlämmen, verb. reg. act. mit Schlamm überziehen, verstopfen. Die Graben sind verschlämmt. Der Fluß verschlämmt die Wiesen. Daher die Verschlämmung.


Verschlämmen (W3) [Adelung]


2. Verschlämmen, verb. reg. act. durch Schlämmerey verzehren, durchbringen. Sein Vermögen verschlämmen. Ingleichen mit Schlämmen zubringen. Die Zeit verschlämmen. Siehe 2. Schlämmen.


Verschläudern (W3) [Adelung]


Verschläudern, verb. reg. act. unnütz und mit einem hohen Grade der Nachlässigkeit verthun. Sein Vermögen verschläudern. Ein Kaufmann verschläudert seine Waaren, wenn er sie ohne die gehörige Aufmerksamkeit auf den vernünftigen und nöthigen Gewinn an Mann zu bringen sucht. Die Zeit verschläudern, sie unnütz und sorglos zubringen. Im Oberdeutschen verschlaudern. S. Schläudern.


Verschlechtern (W3) [Adelung]


Verschlechtern, verb. reg. act. schlechter machen, im Gegensatze des Verbesserns; ein wenig übliches Wort, wofür in den meisten Fällen verschlimmern gebraucht wird.


Verschleichen (W3) [Adelung]


Verschleichen, verb. irreg. recipr. ( S. Schleichen.) Sich verschleichen, sich schleichend entfernen, sich unbemerkt aus dem Gesichte verlieren. Ein Thier verschleicht sich. Eilet, ihr Tage, die ihr der traurigen Cleone so langsam verschleicht, Dusch.


Verschleifen (W3) [Adelung]


Verschleifen, verb. reg. act. 1. Auf ungebührliche Art in die Länge ziehen, nur an einigen Orten. Einen Prozeß verschleifen, ihn langwierig machen. 2. Auf ungebührliche Art an einen andern Ort bringen. So wird eine Sache, ein Rechtshandel verschleift, wenn man sie auf eine ungebührliche Art an einen andern Ort anhängig zu machen sucht. Im gemeinen Leben ist verschleifen oft heimlich verschleppen, auf welche Art untreues Gesinde der Herrschaft Eßwaaren, Speisen u. s. f. verschleift. So auch die Verschleifung.

Anm. In der Deutschen Bibel kommt es in veraltetem Verstande als ein Neutrum für verschliefen, sich verschlüpfen, verkriechen, vor. Das Wasser verschleift in die Erde, 2 Sam. 14, 14.


Verschleimen (W3) [Adelung]


Verschleimen, verb. reg. act. mit Schleim anfüllen, verstopfen; sich verschleimen, mit Schleim angefüllt werden. Verschleimte Gedärme. Daher die Verschleimung.


Verschleißen (W3) [Adelung]


* Verschleißen, verb. irreg. ( S. Schleißen,) welches im Hochdeutschen ungewöhnlich, im Ober- und Niederdeutschen aber desto gangbarer ist, wo es in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn. (1) Durch den Gebrauch abgenützet werden. Alles Fleisch verschleißt, wie ein Kleid, Sir. 14, 18. Ich sehe meinen Leib als ein Gewand verschleissen, Can. Ein verschlissenes Kleid, ein abgetragenes, im Oberdeutschen. (2) In weiterer Bedeutung, vergehen, verschwinden. Ehe zehn Jahr verschleißen werden. Die Zeit verschleißt geschwinde. 2. Als ein Activum. (1) Verschleißen machen, durch den Gebrauch verderben, abnützen. Viel Kleider verschleißen. (2) In weiterm Verstande, verbringen, zubringen. Die Zeit müßig verschleißen. In Betrachtung der kurzen Zeit, so ich hierbey verschlossen, Opitz; wo das Mittelwort verschlossen lautet, anstatt des üblichern verschliffen. Es ist alsdann von verschließen, welches im Oberdeutschen auch für verschleißen gebraucht wird. Die Zeit, so wir verschließen, Pflegt als ein Strom zu fließen, Opitz. (3) Als Waare verkaufen, noch sehr häufig im Oberdeutschen. Seine Waare zu verschleißen suchen. Zu Wien wird derjenige, welcher den Verkauf des Salzes besorget, der Salzverschleißer genannt. S. Verschließ. Daher das Verschleißen, und im thätigen Verstande auch wohl die Verschleißung.

Anm. Schon bey dem Ottfried ist firslizan, zerschneiden, zerreißen. Das Nieders. versliten, von sliten, schleißen, bedeutet so wohl abnützen, als auch schlichten, einen Streit beylegen, ingleichen sich in jemandes Gemüthsart schicken, ihn mit Nachsicht behandeln, ihm nachgeben.


Verschlemmen (W3) [Adelung]


Verschlemmen, S. Verschlämmen.


Verschlendern (W3) [Adelung]


Verschlendern, verb. reg. act. mit Schlendern zubringen. Die Zeit verschlendern. Den Tag verschlendern. S. Schlendern.


Verschleppen (W3) [Adelung]


Verschleppen, verb. reg. act. 1. An einen ungehörigen Ort schleppen. Ingleichen in engerer Bedeutung, auf ungebührliche Art entfremden, bey Seite zu schaffen suchen. So kann ungetreues Gesinde vieles verschleppen. ( S. Verschleifen,) 2. Im gemeinen Leben sagt man auch, viele Kleider verschleppen, durch schwere Arbeit, oder auch durch Nachlässigkeit abtragen, verbrauchen. So auch die Verschleppung.


Verschleudern (W3) [Adelung]


Verschleudern, S. Verschläudern.


Verschleyern (W3) [Adelung]


Verschleyern, verb. reg. act. mit einem Schleyer verhüllen, bedecken. Sein Gesicht verschleyern. Verschleyert einher gehen.


Verschliefen (W3) [Adelung]


Verschliefen, verb. irreg. recipr. ( S. Schliefen,) welches im Oberdeutschen häufiger ist, als im Hochdeutschen, sich schliefend verbergen, sich verkriechen; wovon sich verschlüpfen das Intensivum ist. Die Mäuse verschliefen sich in die Löcher.


Verschließ (W3) [Adelung]


* Der Verschließ, des -es, plur. car. von verschleißen, verkaufen, absetzen, ein nur im Oberdeutschen übliches Wort, den Vertrieb einer Waare zu bezeichnen; im Nieders. Slete. Vielen Verschließ haben, vielen Abgang an Waaren.


Verschließen (W3) [Adelung]


Verschließen, verb. irreg. act. ( S. Schließen.) 1. Vermittelst eines Schlosses zumachen, versperren. Die Thore, die Thüren verschließen. Ein Zimmer, ein Haus, die Stadt verschließen, durch Verschließung der Thüren. Eine wohl verschlossene Thür, ein verschlossener Ort. Ingleichen in verschiedenen figürlichen Bedeutungen. Den Leib der Mutter, den Himmel, daß er nicht Regen gebe, verschließen, in der Deutschen Bibel. Sein Herz vor jemanden verschließen. Dem Grame den Zugang zu seinem Herzen verschließen. Ich such' umsonst mein Herz dem Kummer zu verschließen, Cron. Der Bach, den Eis verschloß und Sonn' und West entsiegeln, Hag. Das stolze Verdienst verschließt sich den Zutritt zu den Großen und verachtet den Zutritt zu den Niedrigen, Gell. 2. An einem verschlossenen Orte verwahren. Sein Geld verschließen. Sich verschließen, einschließen. Figürlich heißt es Gal. 3, 23: wir waren unter dem Gesetz verschlossen.


Verschließung (W3) [Adelung]


Die Verschließung, plur. die -en. 1. Die Handlung des Verschließens, in beyden Fällen, ohne Plural. 2. An den Schlössern wird derjenige Riegel, welcher die Thür eigentlich zuschließt, die Verschließung genannt. Ein Schloß mit zwey Verschließungen.


Verschlimmern (W3) [Adelung]


Verschlimmern, verb. reg. act. schlimmer machen. Eine Sache verschlimmern. Sich verschlimmern, schlimmer werden. Die Krankheit verschlimmert sich. Daher die Verschlimmerung.


Verschlingen (W3) [Adelung]


Verschlingen, verb. irreg. act. ( S. Schlingen.) 1. Von schlingen, flectere, ist verschlingen, in einander schlingen. Der Faden hat sich verschlungen. Ein verschlungener Knoten. 2. Von schlingen, glutire, ganz hinab oder hinunter schlingen. Der Wallfisch verschlang Jonam. Die Erde verschlang die Rotte Korah, 4 Mos. 16, 13. Von dem Meere, von dem Wasser, von den Wellen, von einem Raubthiere verschlungen werden. Ich nahm das Büchlein und verschlangs, Offenb. 10, 9, 10. Ingleichen figürlich. 1. Durch Unmäßigkeit im Essen und Trinken verzehren, in der harten Schreibart. Sein Gut mit Huren verschlingen, Luc. 15, 20. Das Erbtheil des Herren, 2 Sam. 20, 19, 2. Der Gottlose verschlingt den Frommen, Hab. 1, 13. 3. Eine Sylbe, ein Wort im Reden verschlingen, auch verschlucken, sie aus Eilfertigkeit der Aussprache verschweigen. 4. Meine Begierde verschlang den Inhalt des Briefes, Dusch. Seine gierigen Augen verschlangen die Pracht, die ihn umgab, ohne ihn zu sättigen. So auch die Verschlingung, in beyden Fällen.

Anm. Bey dem Ottfried, Notker und andern alten Oberdeutschen Schriftstellern nur firslinden, verschlinden, von schlinden, für schlingen.


Verschlucken (W3) [Adelung]


Verschlucken, verb. reg. act. ganz hinab schlucken, hinunter schlucken. 1. Eigentlich. Eine Pille verschlucken. Mücken säugen, und Kamehle verschlucken, Matth. 23, 24. Eine Nadel verschlucken. Die Erde verschluckt das Wasser. Die Röhre kann das Wasser nicht alles verschlucken. 2. Figürlich. (1) Ein Wort, eine Sylbe verschlucken, wie verschlingen, sie aus Eilfertigkeit der Aussprache im Reden überhüpfen, verschweigen. (2) Durch Schlucken zurück halten, in einigen Fällen. Das Weinen verschlucken. Den Schmerz verschlucken, wie verbeißen. (3) Vorwürfe, Verweise verschlucken, wie verdauen, sie anhören, ohne seine Empfindlichkeit merken zu lassen. Dergleichen Beschuldigungen sind schwer zu verschlucken. So auch das Verschlucken, und, seltener, die Verschluckung.


Verschlummern (W3) [Adelung]


Verschlummern, verb. reg. act. mit Schlummern zubringen, verbringen. Die Zeit verschlummern. Laß den stolzen Bewohner Hoher Paläste den herrlichsten Morgen nur immer verschlummern, Zachar. Ingleichen durch Schlummern versäumen, verlieren. Sein Glück verschlummern.


Verschlüpfen (W3) [Adelung]


Verschlüpfen, verb. reg. recipr. Sich verschlüpfen, sich schlüpfend entfernen, verbergen; das Intensivum von verschliefen, welches, so wie dieses im Hochdeutschen wenig gehöret wird.


Verschmachten (W3) [Adelung]


Verschmachten, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, bis zur Erschöpfung aller Kräfte schmachten, vor Schmachten vergehen; eigentlich von einem hohen Grade des Durstes und der Hitze, in weiterer Bedeutung auch von dem Hunger, und figürlich auch von der Sehnsucht und ängstlichem Harren. Vor Hitze, vor Durst verschmachten. Ganz verschmachtet seyn. Vor Hunger verschmachtet, 5 Mos. 32, 24. Leib und Seele, meine Gebeine verschmachten, in der Deutschen Bibel. Vor Furcht und vor Warten der Dinge, verschmachten, Luc. 21, 26. Daher das Verschmachten und die Verschmachtung.


Verschmähen (W3) [Adelung]


Verschmähen, verb. reg. act. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. * Als ein unpersönliches Zeitwort, wenigstens nur in der dritten Person. Das verschmähet mich, ist mir empfindlich, ich ziehe es mir zu Hohne, zur Schmach. Dis lob beginnet vil frowen versman, Heinrich von Morunge. Ich han so vil daher geklagt, Das es versmat den Kinden, Reinmar der Alte, der es aber wider die Gewohnheit mit der dritten Endung der Person gebrauchet. Es ist in dieser Bedeutung im Hochdeutschen veraltet, so wie das Nieders. versmaden, welches ehedem eben so gebraucht wurde. 2. Als ein persönliches Zeitwort. (1) Mit Schmach belegen, als ein Intensivum von dem einfachen schmähen, sehr schmähen, ausschmähen; eine Bedeutung, welche wenig mehr vorkommt. Verspottet und verschmähet werden. Im Österreichischen ist daher Verschmach noch Zorn, Beleidigung. (2) Verachten; eine sehr alte Bedeutung, in welcher fersmahen schon bey dem Notker vorkommt. Du machest sie zu Schanden, denn Gott verschmähen sie, Ps. 53, 6. Wie hat mein Herz die Strafe verschmähet! Sprichw. 5, 12. Es tauget gar nichts, daß man einen armen Verständigen verschmähet, und einen reichen Gottlosen ehret, Sir. 10, 26. Und so in andern Stellen mehr. Es ist in dieser weitern Bedeutung im Hochdeutschen gleichfalls veraltet, wo man es nur noch in engerer gebraucht, aus Verachtung nicht annehmen wollen, aus Geringschätzung ausschlagen. Wil si mih ze fruinde versmahen, Heinrich von Sax. Ein Geschenk verschmähen. Was du mit Zittern glaubst, und bald aus Stolz verschmähst, Und bald, wenn du dich fühlst, vom Himmel trotzig stehst, Less. So auch die Verschmähung, welches Wort in der ersten persönlichen Bedeutung auch den Plural leidet.

Anm. Im Nieders. versmaden. Es sind in diesem Zeitworte zwey verschiedene, aber doch verwandte Bedeutungen zusammen geflossen, die von Schmach und dem einfachen schmähen, und die von dem alten noch Niederdeutschen sina, klein, geringe, verächtlich, welche letztere in der letzten Bedeutung herrscht. Im Schwedischen sind daher beyde Bedeutungen auch in dem Zeitworte verschieden; försmäda, ist daselbst verschmähen, sehr schmähen, und försmä, verschmähen, verachten.


Verschmausen (W3) [Adelung]


Verschmausen, verb. reg. act. mit Schmausen alle machen, durchbringen. Sein Vermögen verschmausen. Ingleichen mit Schmausen zubringen, verbringen. Die Zeit verschmausen. Daher das Verschmausen.


Verschmeißen (W3) [Adelung]


Verschmeißen, verb. irreg. act. ( S. Schmeißen,) welches im gemeinen Leben für verwerfen gebraucht wird, d. i. an den unrechten Ort schmeißen, oder werfen, besonders, wenn derselbe unbekannt ist.


Verschmelzen (W3) [Adelung]


Verschmelzen, ein Zeitwort, welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. * Als ein Neutrum mit irregulärer Abwandlung, und dem Hülfsworte seyn, völlig schmelzen. Wenn aber die Sonne heiß schien, verschmelzte (verschmolz) es, das Manna, 2 Mos. 16, 21. Das Abgebrannte muß im Feuer verschmelzen, Ezech. 24, 12. Gleichwie Wachs vor dem Feuer verschmelzet, Mich. 1, 4; und so in andern Stellen mehr. Es ist in dieser Bedeutung im Hochdeutschen veraltet, wo zerschmelzen dafür üblicher ist. 2. Als ein Activum, welches gewöhnlich zwar auch irregulär abgewandelt wird, aber billig regulär seyn sollte. ( S. Schmelzen.) (1) Durch Schmelzen alle machen, der Menge nach erschöpfen. Alles Bley verschmelzen. (2) In der Mahlerey ist verschmelzen, vertreiben, so unter einander mischen, daß eine Farbe auf unmerkliche Art in die andere schmelze oder übergehe. Die Farben sind nicht gehörig verschmelzet oder verschmolzen. Daher die Verschmelzung.


Verschmerzen (W3) [Adelung]


Verschmerzen, verb. reg. act. aufhören, Schmerzen über etwas zu empfinden, und in weiterer Bedeutung, die Folgen eines Übels nicht mehr empfinden. Ich habe den Verlust noch nicht verschmerzt. Der Schade ist leicht zu verschmerzen. Ist gleich sein Kleid nicht fein und bunt, Das Kleid kann ich verschmerzen, Weiße. Ingleichen seinen Schmerz, und in weiterer Bedeutung, seine unangenehme Empfindung einer Sache unterdrücken, nicht merklich werden lassen. Ich verschmerzte dieß, da meine Pflicht, alles zu verschmerzen, mir jetzt schon überaus wichtig geworden war, Sonnenf. Daher das Verschmerzen.


Verschmieden (W3) [Adelung]


Verschmieden, verb. reg. act. 1. Als Materialien zum Schmieden gebrauchen. Auf diesem Eisenhammer wird lauter schmeidiges Eisen verschmiedet. 2. Durch Schmieden alle machen. Alles Eisen verschmieden.


Verschmieren (W3) [Adelung]


Verschmieren, verb. reg. act. 1. Durch Schmieren alle machen. Vielen Lehm, allen Kleister verschmieren. Ingleichen durch schlechtes Schreiben. Viele Dinte, alles Papier verschmieren. 2. Durch Schmieren oder Zuschmieren verstopfen. Die Ritzen mit Pech, mit Lehm, mit Kalk verschmieren. Einen Ofen verschmieren, die Ritzen an demselben. Figürlich verschmiert man im Bergbaue die Gänge, wenn man sie versetzt oder auf andre Art verbirgt. So auch das Verschmieren.


Verschmitzt (W3) [Adelung]


Verschmitzt, -er, -este, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort von einem ungewöhnlichen oder doch längst veralteten Zeitworte verschmitzen ist, und mit schlau, listig und verschlagen größten Theils gleich bedeutend ist. Ein verschmitzter Mensch. Überaus verschmitzt seyn. Ein verschmitzter Einfall. Daher die Verschmitztheit, die Eigenschaft, da man verschmitzt ist.

Anm. Die eigentliche Bedeutung des Zeitwortes in dieser Zusammensetzung ist dunkel; indessen scheinet hier eben dieselbe Figur Statt zu finden, welche in verschlagen in eben derselben Bedeutung herrschet. Schmitzen scheinet hier ein Intensivum von schmeide, schmeidig zu seyn, da denn verschmitzt eigentlich im hohen Grade geschmeidig, und figürlich, bereit, sich in alle Fälle zu schicken, bedeuten würde. Frischens Ableitung von den Schmitzen der Ruthe, welche die Kinder klug machen, schmeckt ein wenig zu sehr nach der niedern Schule.


Verschnappen (W3) [Adelung]


Verschnappen, verb. reg. recip. Sich verschnappen. 1. Fehl schnappen, nach etwas schnappen, ohne zu erhaschen; ingleichen figürlich, die gehoffte Beute verfehlen, beydes nur im gemeinen Leben. 2. Sich im Reden aus Übereilung bloß geben, aus Unbedachtsamkeit etwas sagen, was uns nachtheilig werden kann, sich durch Worte verrathen. Wie kommts, daß man sich so außerordentlich betroffen findet, wenn man sich verschnappt hat? Hermes. Verschnappe dich nicht. In manchen gemeinen, besonders Niederdeutschen Mundarten, verschnubbeln, versnaveln, verslabbeseren.


Verschnauben (W3) [Adelung]


Verschnauben, in der edlern Sprechart verschnaufen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, eigentlich, aufhören zu schnauben oder zu schnaufen, d. i. nach einer heftigen Bewegung wieder zu Athem kommen. Die Pferde verschnauben lassen. Laß mich erst verschnaufen. In einigen Oberdeutschen Mundarten verschnieben, welches irregulär gehet, im Nieders. versnuven, verpusten, von pusten, blasen, schnauben.


Verschneiden (W3) [Adelung]


Verschneiden, verb. irreg. act. ( S. Schneiden.) 1. Als Materialien zum Schneiden gebrauchen, besonders an einigen Orten von solchen Krämern, welche allerley Zeuge einzeln oder Ellenweise verkaufen, wofür doch im Hochdeutschen ausschneiden üblicher ist. 2. Durch Schneiden alle machen. Der Schneider hat alles Tuch, der Häckerlingschneider alles Stroh verschnitten. Viel Brot verschneiden. 3. Durch Schneiden verunstalten; eine nur noch hin und wieder übliche Bedeutung. Vielleicht gehöret dahin auch der Niedersächsische Gebrauch, wo den Wein verschneiden, so viel ist, als ihn verfälschen, schlechten unter den guten mengen. 4. Durch Schneiden an der Länge etwas abnehmen. Sich die Nägel, die Haare verschneiden. Sie sollen die Haare umher verschneiden, Ezech. 44, 20. Dein Nabel ist nicht verschnitten, Kap. 16, 4. Die Äste verschneiden. Einem Huhne die Flügel verschneiden. In den meisten dieser und ähnlicher Fälle ist dafür im Hochdeutschen beschneiden üblich. Bey den Metallarbeitern, z. B. den Geldgießern, Goldschmieden u. s. f. ist verschneiden in engerer Bedeutung, einer gegossenen oder getriebenen Figur mit dem Grabstichel nachhelfen, alle hervor ragende fehlerhafte Theile mit dem Grabstichel wegnehmen. 5. Ein Thier männlichen Geschlechtes seiner Mannheit berauben, entmannen, als eine Figur der vorigen, vielleicht auch der dritten Bedeutung; oft nur schneiden schlechthin. Es sind etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind, und sind etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben, Matth. 19, 12. Daher ein Verschnittener, eine ihrer Mannheit beraubte Person männlichen Geschlechtes, wofür von Sängern dieser Art das Ital. Castrat üblicher ist. ( S. Castriren und Castrat,) wo verschiedene theils veraltete, theils nur noch in den Provinzen übliche gleich bedeutende Wörter angeführet werden, welchen man noch das Osnabrückische roolfinken beyfügen kann, wo ein Castrat oder Verschnittener auch Kerl genannt wird, ganz wider die gewöhnliche und eigentliche Bedeutung dieses Wortes. So auch das Verschneiden und in einigen Fällen die Verschneidung.


Verschneyen (W3) [Adelung]


Verschneyen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert, mit gefallenem Schnee bedeckt und dadurch unkenntlich werden. Alle Wege sind verschneyet. Von der Conjugation siehe Schneyen.


Verschnieben (W3) [Adelung]


Verschnieben, verb. irreg. neutr. ( S. Schnieben,) welches das Hülfswort haben erfordert, aber nur in einigen, besonders Oberdeutschen Mundarten für verschnauben oder verschnaufen üblich ist, S. dasselbe.


Verschnitten (W3) [Adelung]


Verschnitten, Verschnittener, S. Verschneiden.


Verschnitzeln (W3) [Adelung]


Verschnitzeln, verb. reg. act. durch Schnitzeln, d. i. Schneiden in kleine Stücke, alle machen. Papier verschnitzeln.


Verschnupfen (W3) [Adelung]


Verschnupfen, verb. reg. imperf. Das verschnupfte ihn, er fand sich dadurch plötzlich beleidiget, daß verdroß ihn. Der Teufel das verschnupft, Less. Im Niederdeutschen verschnuppen. Es gehöret nicht zu schnupfen, mit der Nase einziehen, ingleichen schnäutzen, sondern ist allem Ansehen nach eine eigene Onomatopöie, nach welcher schnupfen vermuthlich eigentlich stutzig werden, plötzlich zurück fahren, bedeutet hat, da es denn mit schnappen verwandt seyn würde. Im Engl. ist snuff und im Niedersächs. snüf empfindlich.


Verschnüren (W3) [Adelung]


Verschnüren, verb. reg. act. 1. Mit einer Schnur ausmessen, besonders im Bergbaue, vermessen. Ein Feld verschnüren lassen. 2. Mit Schnüren überall versehen, mit Schnüren bewinden und beschlingen. Daher das Verschnüren.


Verschollen (W3) [Adelung]


Verschollen, S. Verschallen.


Verschonen (W3) [Adelung]


Verschonen, verb. reg. act. eine Person oder Sache ein bereits zugedachtes Übel nicht zufügen, wo es auf doppelter Art gebraucht wird. 1. Mit der zweyten Endung der Person, welche Wortfügung im Oberdeutschen und in der höhern Schreibart der Hochdeutschen am üblichsten ist. Der Herr verschonete des Loths, 1 Mos. 19, 16. Er verschonete nicht seines eigenen Sohnes, Röm. 8, 32. Nicht der Engel, die gesündigt haben, 2 Pet. 2, 4. Und so in andern Stellen mehr, wo verschonen eigentlich für das einfache schonen stehet. Da ward der Stadt verschont, Walser. Eine ganz ungewöhnliche Wortfügung ist es, wenn es Hiob 33, 18. heißt, und verschonet seiner Seelen vor dem Verderben, und seines Lebens, daß es nicht ins Schwert falle, ingleichen, wenn es Judith 2, 6. mit der dritten Endung gebraucht wird: du sollt keinem Reiche verschonen. 2. Mit der vierten Endung der Person, da denn das Übel vermittelst des Vorwortes mit ausgedrücket wird. Ein Land im Kriege verschonen. Das Land ist im Kriege verschonet geblieben. Das Feuer hat mein Haus verschonet. Es kann keiner verschont bleiben. Jemanden mit der Arbeit, mit der Strafe, mit den Abgaben verschonen. Ingleichen in weiterm Verstande. Verschonen sie mich mit dergleichen Verdacht, mit solchen Reden. Daher das Verschonen und die Verschonung.


Verschönern (W3) [Adelung]


Verschönern, verb. reg. act. von dem Comparativo schöner, schöner machen. O wie verschönert die Wehmuth ihre Wangen! Gell. Mit was für Vollkommenheiten des Geistes und des Körpers wirst du sie verschönert finden! Weiße. Daher die Verschönerung. Von dem Primitiv schön, hat man in einigen gemeinen Mundarten verschönen, Nieders. verschonen, schön machen, ingleichen reinigen, putzen, schmücken.


Verschoren (W3) [Adelung]


Verschoren, S. Verscheren.


Verschossen (W3) [Adelung]


Verschossen, verb. reg. act. Schoß oder Geschoß von etwas geben. Seine Güter verschossen. Daher das Verschossen.


Verschrägen (W3) [Adelung]


Verschrägen, verb. reg. act. mit einer schräge gesetzten Befriedigung umgeben. Ein Feld verschrägen, mit schräge gesetzten Pfählen. Daher die Verschrägung. S. Verschränken.


Verschrämen (W3) [Adelung]


Verschrämen, verb. reg. act. im Bergbaue, einen Schram, schmale Öffnung, neben einem Gang bauen, die Gänge dadurch desto leichter zu gewinnen. Verschrämt Feld, wo das Gestein auf den Seiten weggehauen ist, das Erz aber noch da stehet. Daher das Verschrämen. S. Schram.


Verschränken (W3) [Adelung]


Verschränken, verb. reg. act. durch ein kreuzweise gesetztes Hinderniß vermachen, einschließen; nur in einigen Gegenden und fast wie verschrägen. Figürlich wird es im Oberdeutschen mehrmahls für einschließen, einschränken, überhaupt, ingleichen für verwickeln, befestigen gebraucht. Da, als er (Noah) war mit Luft und See verschränkt, Opitz. Und unter den Gebeinen Mit Hecken ganz verschränkt, eben ders. Und fühlest du nicht mehr das fest verknüpfte Band, In dem ich täglich mich je mehr und mehr verschränke! Günther. Ihr Spiegel selbst lag noch im Futteral verschränkt, Zach. Welche Bedeutung doch im Hochdeutschen ungewöhnlich ist. So auch die Verschränkung.


Verschrauben (W3) [Adelung]


Verschrauben, verb. reg. et irreg. act. ( S. Schrauben.) 1. Mit einer Schraube verschließen, versperren, für zuschrauben. 2. Falsch oder fehl schrauben; ingleichen durch ungeschicktes Drehen eine fehlerhafte schraubenförmige Gestalt geben. Daher das Verschrauben.


Verschreiben (W3) [Adelung]


Verschreiben, verb. irreg. act. ( S. Schreiben.) 1. Durch Schreiben verbrauchen. Viele Federn, alle Dinte, eine Menge Papier verschreiben. 2. Falsch schreiben. Eine Zahl verschreiben. Die Zahl, das Wort ist verschrieben. Ingleichen als ein Reciprocum. Sich verschreiben, falsch schreiben. 3. Schriftlich übertragen, den Besitz einer Sache schriftlich versichern. Einem etwas verschreiben, ihm das Eigenthum desselben schriftlich übertragen. In den Bergwerken ist der Verschreibetag, der Leibetag, da den Gewerken ihr Eigenthum verschrieben, oder schriftlich bestätiget wird; der Verschreibezettel, das Verschreibegeld u. s. f. Am häufigsten in engerer Bedeutung, ein Ding als ein Unterpfand schriftlich versichern. Jemanden sein Gut, sein Vermögen verschreiben, als ein Unterpfand einer schuldigen Geldsumme. Sich für jemanden verschreiben, sich schriftlich als Bürgen für ihn bekennen. Sich jemanden verschreiben. Daher die Verschreibung, ein schriftliches Bekenntniß, daß man mit seiner Person oder seinem Vermögen jemanden als ein Eigenthum verhaftet sey; oft auch in weiterer Bedeutung ein jedes schriftliches Bekenntniß einer Schuld. 4. Schriftlich oder durch Briefe von einem fremden Orte kommen lassen. Waaren verschreiben. Die Waare ist schon verschrieben. Einen Bedienten, einen Hofmeister verschreiben. 3. Schriftlich verordnen; doch nur in engerer Bedeutung von den schriftlichen Verordnungen eines Arztes; entweder als eine Figur der vorigen Bedeutung, oder auch für vorschreiben, Lat. praescribere. Einem Kranken ein Recept verschreiben. Etwas in die Apotheke verschreiben. Daher das Verschreiben, und in einigen Fällen, besonders in der dritten Bedeutung, die Verschreibung. Eine Verschreibung machen, von sich stellen, ein schriftliches Bekenntniß einer Schuld.

Anm. Im Niedersächsischen bedeutet es über dieß noch, schriftlich verklagen, vielleicht eigentlich, vermittelst einer Schrift in einen üblen Ruf bringen, oder auch schriftlich vorladen.


Verschreyen (W3) [Adelung]


Verschreyen, verb. irreg. act. ( S. Schreyen.) 1. In ein übles Geschrey, d. i. einen üblen Ruf, bringen. Man verschreyet einen Kaufmann, weil man nicht so redlich ist, Hermes. Der wegen der Wildheit des Genies so verschriene Ariost. Daher die Verschrienheit. 2. In einem andern Verstande pflegte man bey dem ehemahligen Halsgerichte, wenn der Thäter einer Mordthat nicht ausfindig gemacht werden konnte, den Entleibten zu verschreyen, indem der nächste Blutsfreund, oder statt dessen der Gerichtsdiener, mit entblößter Wehr bey eröffnetem Sarge des Ermordeten dreymahl Zeter, oder im Nieders. Jodute, über den Mörder rief; wodurch derselbe zugleich im eigentlichsten Verstande der vorigen Bedeutung verschrien wurde.


Verschroten (W3) [Adelung]


Verschroten, verb. reg. act. außer im Mittelworte, da es verschroten hat. 1. Durch Schrotten alle machen. Der Müller hat alles Malz verschroten. 2. Im Bergbaue ist verschroten so viel als erschroten, in weiterm Verstande des einfachen Zeitwortes schroten. Verschrotene Wasser, welche durch Stollen und Röschen abgezapfet werden. Ein verschrotenes, bereits durch Berggebäude, Schächte, Stollen u. s. f. geöffnetes, Feld, ein verfahrnes, verritztes, verwundetes Feld. So auch das Verschroten. Bey dem Stryker bedeutet es verstümmeln, oder auch niedermachen; maniges Haiden verschrotet.


Verschrumpfen (W3) [Adelung]


Verschrumpfen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, durch Schrumpfen ungestalt werden. Meine Haut ist verschrumpfen, (verschrumpfet,) Hiob 7, 5. Wie eine Haut verschrumpfet durch den Rauch, Opitz. Im Nieders. verschrumpeln, in einigen Oberdeutschen Gegenden verschrümpfen.


Verschub (W3) [Adelung]


Der Verschub, des -es, plur. car. von dem Zeitworte verschieben, die Handlung des Verschiebens, ingleichen die Zeit, um welche etwas verschoben wird, wie Aufschub, welches doch üblicher ist. Aller Verschub ist gefährlich.


Verschüchtern (W3) [Adelung]


Verschüchtern, verb. reg. act. et neutr. im letztern Falle mit dem Hülfsworte seyn; in beyden Formen nur in einigen Gegenden, schüchtern machen und schüchtern werden. Daher das Verschüchtern.


Verschulden (W3) [Adelung]


Verschulden, verb. reg. act. 1. Mit Schulden, d. i. andern schuldigen Geldsummen, beladen. Cajus hat seine Güter sehr verschuldet. Am üblichsten ist es in dieser Bedeutung in dem Mittelworte. Verschuldet seyn, viele Schulden haben. Ein verschuldetes Gut. 2. Eine Schuld, d. i. Verbindlichkeit zur Strafe, durch Übertretung des Gesetzes auf sich laden. Alle Könige haben sich verschuldet, Sir. 49, 5. Der Gegenstand der Person und Sache bekommt alsdann das Vorwort an. Du verschuldest dich an dem Blute, daß du vergeußt, Ezech. 12, 4. Jener Land hat sich hoch verschuldet am Heiligen in Israel, Jer. 51, 5. Sich an dem Nechsten verschulden, Hist. der Sus. 62. Die Handlung aber das Vorwort mit. Darum, daß sich Edom verschuldet hat mit ihrem Rächen, Ezech. 25, 12, 3. Ein Übel als eine Strafe, oder natürliche Folge seiner unrechtmäßigen Handlung, auf sich laden, mit der vierten Endung des Übels. Das haben wir verschuldet an unserm Bruder, 1 Mos. 42, 21. Verschuldetes Elend. Was habe ich verschuldet? Daher denn auch der Infinitiv häufig als ein Hauptwort gebraucht wird, für Schuld. Das wiederfähret mir ohne mein Verschulden. Es ist durch dein Verschulden geschehen. In weiterm Verstande bedeutete es ehedem verdienen überhaupt, auch im guten Sinne. Herre Gott - - Sende ir dinen suessen Segen Das hat si verschuldet gar wol Gegen al der Werlte Gemeine. Marggr. Otto von Brandenburg. 4. Vergelten, in welchem Verstande auch verdienen ehedem gebraucht wurde; eine nur noch hin und wieder übliche Bedeutung. Des welle wir verschulden so sere gegen ewern hulden, Stryker. Ich will es wieder verschulden. Im Oberd. beschulden, im Schwed. förskylla, im Dän. forskylde. Daher die Verschuldung, doch nur in der zweyten, und das Verschulden in der dritten Bedeutung.

Anm. In der zweyten und dritten Bedeutung schon bey dem Notker ferschuldan und keschulden, im Schwed. förskylla.


Verschuldigen (W3) [Adelung]


* Verschuldigen, verb. reg. act. welches das Intensivum des vorigen ist, und ehedem in dessen zweyter und dritter Bedeutung gebraucht wurde, jetzt aber veraltet ist. Der König hat sich verschuldiget, 2 Sam. 14, 13. Sich an dem Herrn verschuldigen, 2 Chron. 19, 10. Auch für Verschuldigung, eine gesetzwidrige Handlung, wozu man eine Verbindlichkeit zur Strafe auf sich ladet, ist Verschuldung üblicher.


Verschütten (W3) [Adelung]


Verschütten, verb. reg. act. 1. Durch ein hingeschüttetes Hinderniß versperren, verschließen. Den Weg mit Schutt verschütten. Einen Brunnen, einen Graben verschütten, zuschütten. 2. Sein Vieh dem Hirten verschütten, nur in einigen Gegenden, den Schutt davon entrichten, d. i. ihm das zum Hirtenlohne bestimmte Getreide geben. 3. Durch unvorsichtige oder heftige Bewegung in Menge dahin fallen oder ausfließen lassen. Den Brey, den Wein, das Wasser verschütten. Er hat es bey ihm verschüttet, oder auch, er hat den Brey bey ihm verschüttet, figürlich, er hat sich um seine Gunst gebracht. Im gemeinen Leben anderer Gegenden ist verschütten so viel als abortiren, zur Unzeit gebären. Daher das Verschütten, seltener die Verschüttung.


Verschwägern (W3) [Adelung]


Verschwägern, verb. reg. recipr. Sich mit jemanden verschwägern, durch Heirath dessen Schwager werden. Sie sind verschwägert, sind Schwäger. Daher die Verschwägerung.


Verschwärmen (W3) [Adelung]


Verschwärmen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur von den Bienen gebraucht wird. 1. Die Bienen haben verschwärmet, wenn sie ausgeschwärmet, oder aufgehöret haben zu schwärmen. 2. Als ein Reciprocum verschwärmen sich die Bienen, wenn sie zu viel schwärmen, und sich dadurch entkräften. Daher das Verschwärmen.


Verschwärzen (W3) [Adelung]


Verschwärzen, verb. reg. act. 1. Im gemeinen Leben, für anschwärzen, d. i. verleumden, in eine üble Meinung bey jemanden bringen. Seinen Freund bey jemanden verschwärzen. Daher das Verschwärzen und die Verschwärzung. 2. Von schwärzen, den Zoll oder die Accise umgehen, ist verschwärzen in einigen Oberdeutschen Gegenden, Waaren durch Schwärzen, d. i. mit Umgehung der Abgaben, unter die Leute bringen.


Verschwatzen (W3) [Adelung]


Verschwatzen, verb. reg. act. 1. Durch Schwatzen um etwas bringen. Die Zeit verschwatzen, sie mit Schwatzen zubringen. Seinen Hals verschwatzen, sich durch unbesonnenes Schwatzen, in Lebensgefahr bringen. 2. Die Sache ist schon verschwatzt, durch unzeitiges Ausschwatzen verdorben. 3. Sich verschwatzen, sich versprechen, verreden. Doch ich verschwatze mich, Wiel. 4. Jemanden verschwatzen, andern durch seine Schwatzhaftigkeit eine üble Meinung von ihm beybringen; wo es gemeiniglich nach dem Muster einiger Provinzen verschwätzen lautet. So auch das Verschwatzen.


Verschweigen (W3) [Adelung]


Verschweigen, verb. irreg. act. ( S. Schweigen,) durch Schweigen, nicht Sagen, verbergen, geheim halten. Etwas verschweigen. Verschweige mir nichts. Ein Geheimniß verschweigen. Daher die Verschweigung. Schon bey dem Ottfried und Notker fersuigen, firsuigen, bey dem Opitz nur schweigen. Wir wollen - seinen Ruhm und Ehr in Ewigkeit nicht schweigen. S. Verschwiegen.


Verschwelgen (W3) [Adelung]


Verschwelgen, verb. reg. act. durch Schwelgen verderben, verbringen. Sein Vermögen verschwelgen. Die Zeit verschwelgen, sie mit Schwelgen zubringen. Daher die Verschwelgung. Im Nieders. ist verschwelgen noch im eigentlichen Verstande verschlingen, verschlucken.


Verschwellen (W3) [Adelung]


1. Verschwellen, verb. reg. act. von Schwelle, mit Schwellen versehen, in der Zimmermannskunst. Ein Haus ganz neu verschwellen. Ein verschwellter Dachstuhl, wo die Dachstuhlsäulen auf besondern Schwellen stehen. Daher die Verschwellung.


Verschwellen (W3) [Adelung]


2. Verschwellen, verb. irreg. neutr. ( S. Schwellen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, mit Geschwulst bedeckt, verstopft werden. Das Auge, der Hals ist ganz verschwollen. Daher das Verschwellen.


Verschwemmen (W3) [Adelung]


Verschwemmen, verb. reg. act. mit einem herbey geschwemmten Hindernisse verstopfen. Mit dem Ostwinde wird der Hafen verschwemmet. Ingleichen, auf solche Art bedecken. Das Pflas=ter ist mit Sande verschwemmet.


Verschwenden (W3) [Adelung]


Verschwenden, verb. reg. act. in reichem Maße und ohne Noth, auf eine unnütze Art, verwenden. Sein Vermögen verschwenden. Viel Geld mit Bauen, an einem Baue verschwenden. Alle Wohlthaten sind bey ihm nur verschwendet, sie bringen nichts von der verlangten Wirkung hervor. Seine Zeit verschwenden, sie unnütz zubringen. Gute Worte, Ermahnungen, an jemanden verschwenden, sie an ihn verwenden, ohne daß sie die gehoffte Wirkung hervor brächten. Daher das Verschwenden und die Verschwendung, welches letztere oft in weiterer Bedeutung die reichliche und unnütze Verwendung seines zeitlichen Vermögens bedeutet.

Anm. Schon bey dem Notker fersuenden, wo es aber auch für verbrauchen überhaupt vorkommt. Es ist eigentlich das Activum von verschwinden und bedeutet zunächst verschwinden machen.


Verschwender (W3) [Adelung]


Der Verschwender, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verschwenderinn, eine Person, welche etwas verschwendet. Ein Verschwender der Zeit. In engerer Bedeutung, eine Person, welche ihr zeitliches Vermögen in reichem Maße und ohne begreiflichen Nutzen verwendet. Für einen Verschwender erkläret werden.


Verschwenderisch (W3) [Adelung]


Verschwenderisch, -er, -te, adj. et adv. das gehörige Maß des Bedürfnisses in der Verwendung weit überschreitend, und darin gegründet. Verschwenderisch mit etwas umgehen. Besonders in Ansehung der Verwendung des zeitlichen Vermögens. Verschwenderisch seyn. Ein verschwenderischer Mensch. Ein verschwenderisches Gastgeboth. Verschwenderisch leben.


Verschwiegen (W3) [Adelung]


Verschwiegen, -er, -ste, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort des Zeitwortes verschweigen ist, und auf doppelte Art gebraucht wird. 1. In der gewöhnlichen passiven und objectiven Bedeutung, was verschwiegen wird. Das bleibt verschwiegen. Etwas verschwiegen halten. Die Sache ist noch verschwiegen. 2. In thätiger und subjectiver Bedeutung, Fertigkeit besitzend, etwas durch Schweigen geheim zu halten, es nicht bekannt zu machen. Verschwiegen seyn. Ein verschwiegener Freund.


Verschwiegenheit (W3) [Adelung]


Die Verschwiegenheit, plur. car. in der zweyten Bedeutung des vorigen Wortes, die Fertigkeit, etwas geheim zu halten, es nicht durch Worte bekannt zu machen. Bey dem Kero Suuigalii.


Verschwinden (W3) [Adelung]


Verschwinden, verb. irreg. neutr. ( S. Schwinden,) welches das Hülfswort seyn erfordert, sich den Augen geschwinde entziehen, auf eine geschwinde und unmerkliche Art unsichtbar werden. Der Engel des Herrn verschwand, Richt. 6, 21. Wie ein Frühlingsnebel vor der Sonne verschwindet. Alle Hoffnung ist verschwunden. Mein Glück verschwand, wie ein Traum in einer Sommernacht. Es ist vor meinen Augen verschwunden, wenn etwas auf eine uns unbemerkte Art weggekommen ist, ohne daß man weiß, wie. Der Schuldner ist verschwunden, wenn er mit der Flucht entkommen ist. Man sondre den Begriff der Tugend von der Freundschaft ab, so verschwindet ihr Werth und ihr heiliger Glanz, Gell. Daher das Verschwinden.

Anm. Schon bey dem Notker fersuuinden, der es auch in weiterer Bedeutung für vergehen gebraucht; min lib (Leben) ist fersuunden in leide. Ehedem wurde es auch für das thätige verschwenden gebraucht, da es denn unter andern auch zerstreuen bedeutete. Fersuuanta andere diese, es zerstreuete die Völker, Notk. Do verswant er ein michel her, Stryk. Im Schwed. försvinna, Lat. evanescere.


Verschwistern (W3) [Adelung]


Verschwistern, verb. reg. act. zur Schwester machen, am häufigsten als ein Reciprocum, sich mit einer Person verschwistern, ihre Schwester werden, wie verbrüdern, verschwägern. Man gebraucht es gemeiniglich, im figürlichen Verstande, ähnliche Dinge weiblichen Geschlechts auf das genaueste mit einander verbinden. Meine Seele sehnet sich nach einer verschwisterten Seele, Zimmermann. Verschwisterte Tugenden.


Verschwitzen (W3) [Adelung]


Verschwitzen, verb. reg. welches in gedoppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Activum. (1) Die Wäsche verschwitzen, sie durch Schwitzen verderben, die einschwitzen. (2) In Gestalt des Schweißes von sich geben, wofür doch ausschwitzen üblicher ist. 2. Als ein Neutrum. (1) Mit dem Hülfsworte seyn, in Gestalt des Schweißes vergehen, verfliegen. Alle Säfte sind verschwitzt. Haller gebraucht es auf eine ungewöhnliche Art als ein Reciprocum. Wie Der ausgebrauchte Theil von uns sich selbst verschwitzt. (2) Mit haben, aufhören zu schwitzen. Man pflegt die Äpfel in Tonnen zu legen, und, bis sie völlig verschwitzt haben, alle acht Tage umzulegen. So auch das Verschwitzen.


Verschwören (W3) [Adelung]


Verschwören, verb. irreg. ( S. Schwören,) welches auf doppelte Art vorkommt. 1. * Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, falsch schwören, schon bey dem Ulphilas forswaran, im Angels. farsweran, im Schwed. försverja, bey den alten Oberdeutschen Schriftstellern firsweran, die es aber als ein Reciprocum gebrauchten. Ni fursweri dich, schwöre nicht falsch. Auf ähnliche Art sagen die Lateiner peierare für periurare. 2. Als ein Activum, welches doch in den meisten Fällen die Gestalt eines Reciproci hat. (1) Etwas verschwören, als ein eigentliches Activum, es zu unterlassen, zu meiden, eidlich angeloben. Das Spielen, das Trinken verschwören, Eine Ketzerey verschwören. Seltener und nur im gemeinen Leben von Personen, jemandes Gemeinschaft eidlich entsagen. (2) Sich ver- schwören, mit Eidschwüren betheuern, wie vermessen, so daß ver hier eine Intension bezeichnet. (3) Sich durch einen Eid oder eidlich verbinden. Sich mit jemanden verschwören. Am häufigsten in engerm Verstande, sich auf solche Art zu einer bösen Sache verbinden. Sich wieder jemanden, zu jemandes Untergange verschwören. Sie verschwören sich, ihn um das Leben zu bringen. Die Verschwornen, welche sich zu einer den Gesetzen zuwider laufenden That eidlich verbunden haben; oft aber auch nur von solchen, die sich zum Nachtheil des Staates und dessen Verfassung verbinden. Ingleichen figürlich. Alles hat sich wider mich, zu meinem Untergange verschworen. Alle Elemente haben sich wider ihn verschworen. Daher das Verschwören, in der ersten und dritten Bedeutung. Das Hauptwort die Verschwörung, plur. die -en, wird nur in der dritten Bedeutung gebraucht, und zwar am häufigsten in engerm Verstande von einer heimlichen Verbindung wider das Leben eines Regenten oder wider die Verfassung eines Staates; Lat. Coniuratio. Eine Verschwörung anstiften, errichten.


Versehen (W3) [Adelung]


Versehen, verb. irreg. et recipr. ( S. Sehen,) welches nach Maßgebung der Partikel ver, und des einfachen Zeitwortes, in verschiedenen Bedeutungen üblich ist. 1. Fehl sehen, falsch sehen, welcher allgemeine Begriff sich wieder in verschiedene Unterarten theilet. (1) Aus Mangel der Aufmerksamkeit etwas nicht sehen, was man doch sehen sollte und wollte, für übersehen; eine Bedeutung, welches sparsamer vorkommt, als die übrigen. Eine Gelegenheit versehen. Heut, heut ist hohe Zeit! Wer sich erst durch Langsamkeit Auf den Morgen denkt zu fristen, Wird sein Glück und Heil versehen, Gryph. Noch ungewöhnlicher ist es im figürlichen Verstande, für übersehen, mit Fleiß nicht sehen, nicht ahnden, ertragen. Du verstehest der Menschen Sünde, daß sie sich bessern sollen, Weish. 1, 24. (2) Falsch sehen, fehl sehen, ein Ding für das andere sehen, doch nur im weitern und figürlichen Verstande, aus Mangel der Aufmerksamkeit etwas thun, was man nicht thun wollte, oder nicht thun sollte, aus Unachtsamkeit wider seine Absicht, oder auch wider eine Vorschrift handeln, wo es von weiterm Umfange der Bedeutung ist, als vergehen in ähnlichem Verstande, welches sich mehr auf eine sittliche Vorschrift beziehet. Versehen ist auch verspielt. Man gebraucht es hier auf gedoppelte Art. (a) Absolute und als ein Reciprocum, sich versehen. Ich habe mich versehen, ich habe aus Übereilung etwas gethan, was ich nicht thun wollte. Der Kramer versiehet sich, wenn er aus Unachtsamkeit eine Waare für die andere, nicht das gehörige Gewicht u. s. f. gibt. (b) Als ein eigentliches Activum und mit der vierten Endung der Sache, oder doch mit dem Wörtchen es. Habe ich etwas versehen? So viel ich weiß, habe ich nichts versehen. Du hast etwas Wichtiges, etwas Großes versehen. Etwas in seinem Amte versehen. Er hat es bey ihm versehen, er hat sich aus Unachtsamkeit um seine Gunst gebracht. Du hattest es darin versehen, daß u. s. f. Mit der vierten Endung der Hauptwörter wird es nicht verbunden. Sehr häufig wird auch der Infinitiv als ein Hauptwort gebraucht, welches denn auch den Plural leidet. Das Versehen, eine aus Unachtsamkeit wider seine Absicht oder wider die Vorschrift begangene Handlung. Es ist nur ein Versehen. Ein Versehen begehen. Aus Versehen sündigen. Ein Versehen ist leicht zu vergeben. (3) Sich an etwas versehen, durch den Anblick einer Sache einen gewöhnlichen Eindruck bekommen, doch nur in engerer Bedeutung, von schwangeren Personen, wenn der unvermuthete Anblick eines Dinges einen ungewöhnlichen bleibenden Eindruck auf die Frucht macht. 2. Für versehen oder eigentlich für sehen, und zwar wiederum in verschiedenen figürlichen Fällen. (1) Jemanden mit etwas versehen, ihm dasselbe als ein Mittel zur Erreichung einer Absicht oder doch als ein Bedürfniß darreichen, ohne die nähere Art und Weise zu bestimmen; Lat. providere, wie versorgen. Mit Wein habe ich ihn versehen, 1 Mos. 27, 37. Jemanden mit Geld, mit Truppen, mit Lebensmitteln versehen. Der Kaufmann versiehet sich mit Waare, wenn er selbige anschaffet. Er versiehet andere mit einer Waare, wenn er ihnen selbige verkauft. Ich bin nicht damit versehen, ich habe es nicht. Die Ameise versiehet sich auf den Winter mit Speise. Sich mit Lebensmitteln versehen. Mit Tugend, mit Schönheit u. s. f. versehen seyn, sind veraltet. (2) Ein Amt versehen, verwalten. Jemandes Stelle versehen, vertreten, verwalten. (3) Verordnen, doch nur noch in wenig Fällen. Es ist in den Rechten so versehen, verordnet. 3. Für ersehen oder ausersehen, d. i. bestimmen. Ein Land, das ich ihnen versehen hatte, Ezech. 20, 6. Welche er zuvor, versehen hat, die hat er auch verordnet, Röm. 8, 29. Gott hat etwas bessers für uns zuvor versehen, Ebr. 11, 40. Zu großen Dingen versehen seyn. Ich war nicht dazu versehen, glücklich zu seyn. Ein armer Mann, versehn zum Graben, Wollt jetzt ein besser Schicksal haben, Gell. Die Parcen haben uns den Untergang versehen, Günth. Gewöhnlicher, haben uns zum Untergange versehen. Indessen fängt es doch in dieser ganzen Bedeutung an, sparsamer gebraucht zu werden. 4. Vorher sehen, doch auch nur in zwey figürlichen Bedeutungen, als den Wirkungen des Vorhersehens. (1) Vermuthen, hoffen, erwarten, als ein Reciprocum, da denn die Person, von welcher man etwas hoffet oder erwartet, vermittelst der Vorwörter zu und von ausgedruckt wird. Es wird hier auf doppelte Art gebraucht. (a) Entweder mit der vierten Endung der eigenen Person, da denn die Sache entweder in der zweyten Endung steht, oder auch umschrieben wird. Ich versehe mich daß zu euch allen, 2 Cor. 2, 3. Kap. 7, 16; hoffe es von euch, verspreche es mir von euch. Ich versehe mich zu euch, ihr werdet nicht anders gesinnet seyn, Gal. 5, 10. Wir versehen uns zu euch, daß ihr thut, u. s. f. 2 Thess. 3, 4. Wir versehen uns bessers (eines bessern) zu euch, Ebr. 6, 9. Du hattest dich meiner wohl versehen, hattest mich wohl nicht erwartet, vermuthet. Sie dürfen sich freylich keiner guten Aufnahme bey ihm versehen. Keiner Untreu er sich versah, Theuerd. Kap. 23. Ich hätte mich dieser Ehre am wenigsten versehen. Er hätte sich eher des Todes versehen, als meiner Ankunft. (b) Mit der dritten Endung der eignen Person, und der vierten der Sache, oder statt deren mit dem Wörtchen es. Das hätte ich mir von ihm nicht versehen, hätte ich von ihm nicht erwartet, vermuthet, gehoffet. Ich versehe mir nichts Gutes zu oder von ihm. Ich hätte mir ehe des Himmels Einfall versehen, als dich. Ehe ich es mir versah, oder ehe ich mirs versah, ein gewöhnlicher Ausdruck, die unvermuthete Ereignung einer Sache auszudrücken. Ehe du dirs versehen wirst, werden wir kommen. Das Compliment versahe ich mir nicht. Ehe er sichs versieht, will ich die albernen Bücher alle mit einander ins Feuer werfen, Weiße. Beyde Wortfügungen sind im Hochdeutschen gleich gebräuchlich; nur ist es ein Fehler, wenn von einigen in der letztern auch die eigene Person in der vierten Endung gesetzt wird. Doch, eh' ich michs (mirs) versah, War er dem Band und mir entgangen, Gell. Indem zwey Accusativi dieser Art wider die Analogie der Deutschen Sprache sind. S. auch Unversehens. (2) * Sein Vertrauen auf etwas setzen, als ein Reciprocum, wo der Gegenstand des Vertrauens bald vermittelst der zweyten Endung, bald aber auch vermittelst der Vorwörter zu und in, ausgedruckt wurde. Firsah er sih in Got, er vertrauete Gott, Ottfr. Firsahun sih zi sineru ginadu, eben ders. Salig die sih ze imo firsehent, Notker. Ich habe steif des Herren mich versehen, Auf ihn gehoffet mit Begier, Opitz. Doch im Hochdeutschen ist diese Bedeutung längst veraltet.

Anm. Im Schwed. in den meisten der vorigen Bedeutungen förse. Das Hauptwort, das Versehen, wird außer der ersten Bedeutung wenig gebraucht. Versehung kommt noch zuweilen in der zweyten Bedeutung vor. Die Versehung eines Amtes, einer Stelle.


Versehren (W3) [Adelung]


Versehren, verb. reg. act. durch Trennung des Zusammenhanges, besonders der äußern Theile, unvollkommener manchen, wie verletzen, und von thierischen Körpern verwunden. Ir vil froelich stenden ougen diu hant so verseret mich vil senden man, Heinr. von Frauenberg. Wan diu mir kunde das herze also verseren, Graf Rud. von Neuenburg. Jetzt gebraucht man es nur noch entweder in ganz allgemeinem Verstande, ohne den Grad der Verletzung zu bezeichnen, oder, und zwar am häufigsten, von geringen Beschädigungen oder Verletzungen. Die Mäntel waren nicht versehrt, Dan. 3, 27. Sich die Hand versehren, durch eine Streif- oder andere leichte Wunde. Im Feuer unversehrt bleiben. So auch die Versehung. Ehedem wurde es auch figürlich für beleidigen gebraucht, welche Bedeutung in einigen Oberdeutschen Gegenden noch gangbar ist. Auf daß ich nichts begehe wider Pflicht, Noch möge dich mit Übelthat versehren, Opitz. Daß ihr versuchendes Gelüsten Im öden Orte (in der Wüste) Gott versehrt, eben ders.

Anm. Es ist ein altes Wort, welches bey dem Ottfried auch firzaren lautet, und daselbst zerreißen bedeutet, ( S. auch Verzehren.) Da das einfache sehren ehedem sehr häufig für versehren gebraucht wurde, und in den gemeinen Mundarten Ober- und Niederdeutschlandes noch gangbar ist, so erhellet daraus, daß ver hier eine bloße Intension bezeichnet. Seragaz herza, ein verwundetes Herz, Ottfr. Im Nieders. ist seren und serigen, noch verletzen, beschädigen, Schmerzen erwecken. Eben daselbst ist Seer, Serede, Serigheit, Seringe, so wohl Veletzung, Ausschlag, Grind u. s. f. als auch dessen Wirkung, der Schmerz, bey allen alten Oberdeutschen Schriftstellern gleichfalls Ser, Seru, im Schwed. Sär, Angels. Sar, Hartseer, He zeleid, serig, verletzt, serlig, bey dem Ottfried schmerzlich, in Oberschwaben ser u. s. f. Unsere Partikel sehr ist eine Figur davon, ( S. dieselbe,) ingleichen Dorn. Das - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - ängsten, scheint damit nahe verwandt zu seyn.


Verseigen (W3) [Adelung]


Verseigen, Verseihen, S. Versiegen.


Versenden (W3) [Adelung]


Versenden, verb. reg. et irreg. act. ( S. Senden,) welches in der edlern Schreibart für das gemeinere verschicken gebraucht wird, in die Ferne, an einen entfernten Ort senden, am häufigsten von Sachen. Der Kaufmann versendet Waaren. Güter auf der Achse nach Berlin versenden. Von Personen ist versenden nicht so üblich, obgleich verschicken von demselben gebraucht wird. Daher die Versendung.


Versengen (W3) [Adelung]


Versengen, verb. reg. act. durch Sengen an den äußern Theilen verderben. Sich die Haare versengen. Versengte Ähren, 1 Mos. 41, 6 f. Daher die Versengung.


Versenken (W3) [Adelung]


Versenken, verb. reg. welches das Activum von dem Neutro versinken ist, in die Tiefe senken, eigentlich durch Senken verbergen; am häufigsten von der Wassertiefe. Ein Schiff versenken. Rasten und Steinen in den Fluß versenken, ihn dadurch unfahrbar zu machen. Seltener von der Erdtiefe. Versenkte Schätze, 5 Mos. 33, 19; vergrabene. Figürlich versenken die Metallarbeiter den Kopf einer Schraube, wenn er in einer Vertiefung verborgen wird, so daß er über der Oberfläche nicht hervor raget, wozu sie einen eigenen Versenkbohrer haben. Nach einer Figur sagt man in der höhern Schreibart, in Gram, in Elend, in Schmerzen versenkt. Dort wollen wir uns ganz in unsern Schmerz versenken, Cron. Wo es etwas sagt, als vertiefen. Ingleichen in tiefe Betrachtungen versenkt. Min froide ist nun in laid versenket, Burkh. von Hohenfels. Ungewöhnlicher ist die biblische Figur, wo es für untergehen machen, in das Elend, in das Verderben stürzen, gebraucht wird. Menschen wollen mich versenken, Ps. 56, 2. Meine Feinde versenken mich täglich, V. 3. Babel soll also versenket werden, Jer. 51, 64. Noch ungewöhnlicher ist das Hauptwort der Versenker. Hilf mir von der Schmach meines Versenkers, Ps. 57, 4. Daher die Versenkung. Schon bey dem Ottfried firsenkan, im Tatian bisenkin.


Versessen (W3) [Adelung]


Versessen, S. Versitzen.


Versetzen (W3) [Adelung]


Versetzen, verb. reg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, wo es doch nur von Thieren für verwerfen, die Jungen zu frühe oder in unvollkommenem Zustande zur Welt bringen, gebraucht wird, besonders bey den Jägern von solchen Thieren, von welchen man daselbst setzen für werfen oder gebären sagt. Die Häsinn hat versetzt. II. Als ein Activum, wo es nach Maßgebung der Partikel ver und des einfachen Zeitwortes in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. (1) An einen falschen, an einen nicht gehörigen Ort setzen; Schwed. försätta. Ein Buch ist versetzt, wenn es an einen falschen Ort gestellet ist. Die Gränzsteine versetzen, verrücken. In den Buchdruckereyen pflegt der Setzer zuweilen aus Versehen eine Zeile, ein Wort, einen Buchstaben zu versetzen, da man denn auch wohl reciproce sagt, er habe sich versetzt. (2) An einen andern Ort setzen. Er versetzet Berge, ehe sie es innen werden, Hiob 9, 5. Ein Fels wird von seinem Ort versetzt, Kap. 14, 18. Reiß dich aus und versetze dich ins Meer, Luc. 17, 6. Die Bücher versetzen, sie umsetzen, in dem Bücherbrete an einen andern Ort setzen. Die Wörter einer Rede, die Sylben, die Buchstaben eines Wortes versetzen. Daher die Versetzung, eine Figur, Metathesis. Die Amtleute versetzen, sie auf andere Ämter setzen. Die Hofbedienten versetzen, ihnen andere Stellen geben. Eine Pflanze, ein Gewächs, einen Baum versetzen, an einen andern Ort, in eine andere Erde, setzen, wo dieses Wort von verpflanzen noch verschieden ist. Verpflanzen gebraucht man gemeiniglich von jungen Pflanzen, welche man mit der Wurzel ausziehet an einen andern Ort pflanzet; versetzen aber von erwachsenen Gewächsen aller Art, welche mit einem an den Wurzeln gelassenen Kloß Erde, und mit Beschneidung der Wurzeln in andere Erde oder an einen andern Ort gepflanzet werden. In das Reich Gottes versetzet werden. Unter die Zahl der Heiligen versetzen. Sich in Gedanken an einen Ort versetzen. Es wird Mühe kosten, sich in diese Begriffe zu versetzen. Ingleichen nach noch weiterer Figur, in einen gewissen Zustand bringen. Jemanden in andere Umstände versetzen. Das versetzt mich in die Nothwendigkeit, es dir abzuschlagen. Jemanden in das größte Elend, in einen blühenden Wohlstand versetzen. In Schrecken, in Freude, in Furcht versetzen. (3) So daß ver eine Verbergung bezeichnet, und zwar auf doppelte Art. a) In die Tiefe setzen, doch nur bey den Schwertfegern, welche Gold- oder Silberblätter versetzen, wenn sie selbige in die gemachten kleinen Grundhiebe der stählernen Degengefäße mit dem Grundmeißel einschlagen, eine Art, Stahl mit goldnen und silbernen Figuren zu belegen. Figürlich versetzt sich bey den Jägern der Dachs, wenn er sich in der Geschwindigkeit in die Erde gräbt, so, daß die Hunde ihn nicht finden können, wofür auch verklüften üblich ist. b) Durch ein davor gesetztes Hinderniß versperren, verstopfen. Eine Thür mit einem Schranke, eine Öffnung mit Fässern, den Eingang mit Steinen versetzen. Figürlich sagt man, das versetzt mir den Athem, wenn etwas das Athemhohlen hindert, z. B. eine große Hitze, Schwefeldampf, ein heftiger Gestank u. s. f. Die im Magen versetzten Winde, wofür auch verschlagen, üblich ist, wo aber auch die erste Bedeutung Statt findet. Im Hüttenbaue versetzt sich der Blasebalg, wenn er Ferner ziehet. (4) So daß ver eine Vermischung, Verbindung bezeichnet. a) In den Künsten wird versetzen in vielen Fällen für vermischen gebraucht, besonders, wenn die Wirkung des einen Dinges durch die Beymischung des andern verändert werden soll. Zu den Glocken wird das Kupfer mit Zinn versetzt. Den Wein mit Wasser versetzen. Die Mahler versetzen die Farben, wenn sie eine Farbe mit der andern verbinden. Das Schwarzwildbret färbet sich nicht, sondern versetzet nur im Herbste seine dunkelbraunen Sommerfedern (Sommerhaare,) mit hellgrauen Winterfedern, bey den Jägern. b) Hierher scheinet auch die im Oberd. übliche Bedeutung zu gehören, wo dieses Zeitwort in verschiedenen Fällen gebraucht wird, eine schickliche Vertheilung und Verbindung mehrerer Dinge zu einem Ganzen zu bezeichnen. Eine Krone mit Perlen, ein Portrait mit Diamanten versetzen, besetzen. Versetzte Edelsteine, gefaßte. Blumen in einem Kranze versetzen, ordnen, vertheilen. Die Beete in einem Garten versetzen, vertheilen. Im Hochdeutschen ist diese Bedeutung unbekannt. (5) Jemanden einen Schlag, einen Hieb, eine Ohrfeige versetzen, geben, beybringen. Ihm einen Streich auf den Rücken versetzen. Jemanden eins versetzen, einen Schlag, Hieb oder Stich. Ver scheint hier eine bloße Intension zu bezeichnen. (6) Ein Ding anstatt des andern, für das andere setzen. a) Schlechte Goldsorten gegen bessere versetzen, wofür doch im Hochdeutschen umsetzen üblicher ist. b) Zum Pfande setzen oder geben, verpfänden. Der Bürge hat sich selbst für dich versetzt, Sir. 29, 20. Im Hochdeutschen gebraucht man es nur noch von Sachen. Die Äcker versetzen, Nehem. 5, 3. Besonders von beweglichen Dingen, für das edlere verpfänden. Seine Uhr, seine Kleider, ein Goldstück bey jemanden versetzen, Geld darauf borgen. Es ist für zehn Thaler versetzt. Versetzte Sachen einlösen. Schon im Schwabensp. versezzan, bey andern ehedem auch nur setzen, im mittlern Lat. opponere. c) Hierher gehöret auch vermuthlich die sehr gangbare Bedeutung, da es für antworten gebraucht wird, eigentlich, auf die Rede des andern folgen lassen, derselben entgegen setzen, so daß ver hier eben die Bedeutung hat, als ant oder ent in antworten, und re in dem Lat. respondere, dem Ital. repartire, und dem Franz. repartir. Auf die Frage, ob er es nicht gethan habe, versetzte er, daß er es nicht thun können, indem u. s. f. Aber wie, versetzte er, kann dieses möglich seyn? Als er ausgeredet hatte, versetzte ich ganz gelassen, er sey nicht im Stande, darüber zu urtheilen. Er versetzte darauf, u. s. f. Stosch behauptet an mehrern Orten seines Versuchs einer richtigen Bestimmung u. s. f. versetzen bedeute eigentlich, jemanden eine empfindliche, beißende Antwort ertheilen. Allein, dazu hat ihn bloß die geglaubte Abstammung von der R. A. jemanden einen Schlag, Hieb u. s. f. versetzen, verleitet. Daß die Bedeutung des Antwortens keine Figur von dieser R. A. ist, erhellet unter andern auch aus der Wortfügung beyder, jenes ist ein eigentliches Activum, welches seinen Accusativ allemahl bey sich haben muß; dieses hat die Gestalt eines Neutrius, und wird nicht leicht mit einem Accusativ verbunden. Auch der Sprachgebrauch weiß nichts von dem Begriffe des Empfindlichen oder Beißenden, welcher mit versetzen verbunden seyn soll, indem solches völlig gleich bedeutend mit antworten gebraucht wird. Da setzen und Sag überdieß mehrmahls von der Rede gebraucht werden, so scheinet ver hier mit re und ent gleich bedeutend zu seyn, daher auch im mittlern Lateine opponere mehrmahls für antworten vorkommt. Daher die Versetzung und das Versetzen, welche doch nicht in allen Bedeutungen üblich sind.


Verseufzen (W3) [Adelung]


Verseufzen, verb. reg. act. 1. Mit Seufzen hinbringen, zubringen. Sein Leben traurig verseufzen. Den Tag einsam verseufzen. 2. Durch Seufzen verzehren. Und ihr wollet nicht, daß ich in Wehklagen meine Seele verseufzen soll? Weiße. 3. Gleichsam ausseufzen. Einen Theil seines Schmerzens verseufzen.


Versichern (W3) [Adelung]


Versichern, verb. reg. act. welches im Ganzen sicher, d. i. gewiß machen, bedeutet, doch nur in verschiedenen Rücksichten. 1. Von der Gewißheit der Meinung. (1) Eine Sache mit Worten sicher oder gewiß machen, d. i. die Gewißheit derselben mit Worten behaupten, wo es weniger sagt, als betheuern, und auf doppelte Art gebraucht wird. (a) Entweder mit der dritten Endung der Person, und der vierten der Sache. Er versicherte mir seine Treue. Einem etwas versichern. Ich kann ihnen die Gewißheit davon versichern. Einem etwas mit vielen Schwüren versichern. Man hat mir das versichert. Wo auch der Dativ der Person bleibt, wenn gleich der Accusativ der Sache fehlt. Ich versichere dir, daß dem also ist. Wo viele Hochdeutsche irrig den Accusativ setzen, ich versichere sie; ungeachtet der Begriff des persönlichen Gegenstandes, auf welchen die Handlung gerichtet ist, hier eben so wohl den Dativ erfordert, als bey den Zeitwörtern sagen, betheuern, u. s. f. Über dieß darf man nur die ganze R. A. passive ausdrücken, um überzeugt zu werden, daß der Dativ die schicklichste Endung ist. Man wird nicht leicht sagen, ich werde versichert, oder ich bin versichert worden, welche Wortfügung Statt finden müßte, wenn das Activum den Accusativ erforderte, sondern: es wird mir versichert, oder es ist mir versichert worden; wenigstens ist die letztere Wortfügung dem Gebrauche und Wohlklange gemäßer. Oft stehet das Zeitwort absolute ohne alle Endung. Um zu zeigen, daß er ein Recht daran habe, so versicherte er, er habe es gekauft. (b) Oder mit der vierten Endung der Person, und der zweyten der Sache. Er versicherte mich seiner Treue. Man hat mich dessen versichert. Indessen kommt diese Wortfügung in der gegenwärtigen Bedeutung seltener vor. Der Gebrauch des Mittelwortes in Gestalt eines Nebenwortes verdienet noch bemerket zu werden. Sie können davon versichert seyn, d. i. es zuverlässig glauben. Auch wohl mit der zweyten Endung der Sache. Ich bin seiner Treue versichert. Da es denn häufig als eine Partikel, die Gewißheit einer Sache zu versichern, gebraucht wird. Es ist versichert wahr, d. i. gewiß, zuverlässig. Komm, blasser Tod, komm angezogen, Ich fürchte dich versichert nicht, Gryph. Daher die Versicherung, die zuverlässige Behauptung der Gewißheit einer Sache. Ich glaube es aller deiner Versicherungen ungeachtet dennoch nicht. (2) Gewisse Nachricht einziehen, Gewißheit von etwas erlangen, als ein Reciprocum, und mit der zweyten Endung der Sache. Sich einer Sache versichern. Auch in der passiven Form, ohne Reciprocation, da denn die Sache auch vermittelst des Vorwortes von ausgedruckt wird. Von etwas versichert seyn. Der Mann, der versichert ist von dem Messia, 2 Sam. 23, 1. 2. Sicher machen, d. i. von der Gefahr des Verlustes befreyen, in Sicherheit und außer Gefahr setzen. (1) Im weitesten Verstande, wo es doch wenig mehr gebraucht wird. Die Ruhe des Staates versichern, wo das einfache sichern üblicher ist. (2) In einigen engern Bedeutungen. (a) Gegen ein bestimmtes Geld freywillige Bürgschaft für eine in Gefahr befindliche Sache leisten, sich gegen eine gewisse Prämie anheischig machen, den bestimmten Werth im Falle des Verlustes zu ersetzen; eine, besonders im Seehandel, sehr übliche Bedeutung, wofür auch assecurieren gebraucht wird. Ein Schiff und dessen Ladung versichern lassen. Einem ein Capital versichern. Versicherte Güter, assecurierte. Daher die Versicherung, die Assecuranz, der Versicherer, der eines andern Eigenthum gegen eine bestimmte Prämie versichert, der Assecurateur. (b) Ein Capital auf etwas versichern, dasselbe zum Unterpfande, zur Hypothek, um das Capital dadurch dem andern sicher zu stellen. Im weitern Verstande sagt man, eine Pension auf eine Abtey, auf ein Kammergut u. s. f. versichern, wenn man sie darauf anweiset, weil sie alsdann zuverlässiger bezahlet wird, als wenn der Landesherr sie unmittelbar auszuzahlen, übernommen hätte. (c) Sich einer Person oder Sache versichern, als ein Reciprocum und mit der zweyten Endung, sich derselben bemächtigen, es geschehe nun durch unmittelbaren Besitz, oder auf andere Art. Man versichert sich einer Person, wenn man sie in Verhaft nimmt. Man versichert sich des Beyfalles, der Meinung, des Herzens eines andern, wenn man ihn auf seine Seite bringet. Der Gläubiger versichert sich des Vermögens des Schuldners, wenn er es in Besitz nimmt, mit Arrest belegt u. s. f. Figürlich versichert sich bey den Jägern das Wild des Zeuges, wenn es sich dem Jagdzeuge nähert, an demselben auf- und abziehet, eine Öffnung zu suchen. So auch die Versicherung in den meisten der obigen Fälle.


Versieden (W3) [Adelung]


Versieden, verb. irreg. act. ( S. Sieden,) durch Sieden, oder zum Sieden verbrauchen. Alles Wasser versieden, viel Holz versieden. Ingleichen überhaupt zum Sieden gebrauchen. In diesem Salzwerke wird lauter zehnlöthige Sohle versotten. Wenn es Es. 64, 2. heißt: ein heißes Wasser versiedet vom Feuer, geräth in ein Sieden, so daß ver hier eine Intension bezeichnet, so ist dieser neutrale Gebrauch im Hochdeutschen ungewöhnlich.


Versiegeln (W3) [Adelung]


Versiegeln, verb. reg. act. 1. Mit einem aufgedrückten Siegel verschließen. Einen Brief versiegeln. Ein versiegeltes Te- stament. Einen Brief mit seinem Petschafte, mit Oblate, mit Siegellack, mit Wachs versiegeln. Jemandes Verlassenschaft versiegeln, im Oberdeutschen sperren, da denn die Versiegelung daselbst auch die Sperre heißt. Ein Zimmer versiegeln. In der Deutschen Bibel, doch nur hier allein, wird es oft figürlich für einschränken, einsperren, einschließen gebraucht: z. B. das Meer versiegeln, Geb. Man. v. 3. Ingleichen, für fest bewahren oder verwahren. 2. Mit einem Siegel bestätigen, bekräftigen, wofür doch jetzt besiegeln und untersiegeln üblicher sind. Einen Contract versiegeln, besser untersiegeln. In noch weiterm Verstande bedeutete es ehedem durch untersiegelte Urkunden sichern und bestätigen. Daher sagt man noch figürlich, etwas mit seinem Blute, mit seinem Leben versiegeln, mit dessen Aufopferung bestätigen, zur Bestätigung beweisen. In der Deutschen Bibel ist die Versiegelung der Gläubigen, Röm. 8, 16. 2 Cor. 1, 22. Ephes. 1, 14. die zuverlässige Versicherung und Bestätigung ihres Gnadenstandes. Schon bey dem Ulphilas lautet dieses Zeitwort faursiglian.


Versiegen (W3) [Adelung]


Versiegen, verb. reg. neutr. außer daß es im Mittelworte versiegen für versieget hat. Es erfordert das Hülfswort seyn, und bedeutet, nach und nach in die Erde einziehen und verschwinden, von flüssigen Körpern. Wie ein Strom versieget und vertrocknet, Hiob 14, 11. Du lässest versiegen starke Ströme, Ps. 74, 15. Welchen die Wasserquellen versiegen waren, Ps. 107, 33. Der Schnee, der nach und nach zerschmilzt, läßt die Quellen im Sommer nie versiegen, Gell. Auch von Menschen und Thieren sagt man, wenn sie aufhören, Milch zu geben, sie versiegen, wofür auch vertrocknen üblich ist. Gieb ihnen unfruchtbare Leiber und versiegene Brüste, Hof. 9, 14. Ingleichen in der edlern Schreibart: edle Thränen, warum versieget ihr? Weiße; warum höret ihr auf zu fließen?

Anm. Es ist von dem alten siegen, dem Stammworte von sinken, ( S. 1. 2. Siegen,) und lautet in einigen gemeinen Mundarten auch verseigen und verseihen. Der Ströme Fluth hat müssen dir verseigen, Opitz. Der ich spreche zu der Tiefe: verseige! Es. 44, 27. Das Activum versiegen für versiegen machen, d. i. austrocknen, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. Es wird ein Ostwind kommen, der wird ihre Quelle versiegen, Hof. 13, 15. Wie denn auch das Neutrum in der edlern Schreibart üblicher ist, als in der Sprache des gemeinen Lebens.


Versilbern (W3) [Adelung]


Versilbern, verb. reg. act. 1. Mit einer dünnen Oberfläche von Silber überziehen, übersilbern; wie vergolden und übergolden. Versilbertes Metall. Ein Buch auf dem Schnitte versilbern. 2. Figürlich ist versilbern nicht allein im Oberdeutschen, sondern auch oft im gemeinen Leben der Hochdeutschen, verkaufen und dadurch in bares Geld verwandeln, in das Geld setzen. Der Kaufmann versilbert seine Waare, wenn er sie verkauft. Im Oberdeutschen wird daher in vielen Ämtern und Dikasteriis derjenige, welcher den Verkauf eines Productes zu besorgen hat, der Versilberer genannt; z. B. der kaiserlich-königliche Holzversilberer zu Wien. So auch die Versilberung.


Versingen (W3) [Adelung]


Versingen, verb. irreg. act. ( S. Singen,) 1. Mit Singen vertreiben. Die Sorgen versingen. Wenn Phillis dir den schwarzen Gram versingt, Haged. 2. Über das Singen versäumen. Die Mahlzeit versingen. 3. Mit Singen zubringen. Die nächtlichen Stunden versingen.


Versinken (W3) [Adelung]


Versinken, verb. irreg. neutr. ( S. Sinken,) welches das Hülfswort seyn erfordert, in die Tiefe sinken, durch Untersinken dem Gesichte entzogen werden. Im Schlamme versinken. Das Schiff ist versunken. Eine versunkene Stadt. Figürlich sagt man auch, in seinem Elende, in seinem Unglücke versinken, ohne Hoffnung der Rettung in demselben untergehen. Daher das Versinken. Das Activum davon ist versenken.


Versinnlichen (W3) [Adelung]


Versinnlichen, verb. reg. act. in ein sinnliches Bild verwandeln, unter einem sinnlichen Bilde darstellen. Sich, einem andern etwas versinnlichen. Daher die Versinnlichung.


Versitzen (W3) [Adelung]


Versitzen, verb. irreg. ( S. Sitzen,) welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum, welches als ein solches das Hülfswort seyn erfordert. (1) Sitzen bleiben, eine nur in der Landwirthschaft einiger Gegenden übliche Bedeutung, wo man von der ausgesäeten Gerste sagt, sie versitze, bleibe versitzen, oder sey versessen, wenn sie sitzen bleibt, d. i. nicht aufgehet. (2) Auf etwas versessen seyn, im gemeinen Leben, für das anständigere ersessen. S. Ersitzen. 2. Als ein Activum. (1) Sich versitzen, in Gestalt eines Reciproci, durch langes Sitzen zu andern Geschäften träge und untauglich werden. (2) Durch langes Sitzen um etwas kommen, es verlieren. Daß Helden Blut und Kraft verschwitzen, Gelehrte Schlaf und Ruh versitzen, Günth. Und denkt vielleicht, daß ein verdrießlich Weib In Monathsfrist viel Eigenthum versitze, Haged. (3) Durch stille Sitzen vorüber gehen lassen; doch wohl nur im Niederdeutschen. Den Gerichtstag versitzen, ihn vorüber gehen lassen, ohne zu erscheinen. Das Spiel versitzen, passen. Die Zeit versitzen, so lange sitzen, daß die Zeit darüber verstreiche. (4) Durch Sitzen bezahlen oder tilgen, wofür doch absitzen im Hochdeutschen üblicher ist. Eine Schuld im Gefängnisse versitzen. So auch das Versitzen.


Versoffen (W3) [Adelung]


Versoffen, S. Versaufen.


Versohlen (W3) [Adelung]


Versohlen, verb. reg. act. mit neuen Sohlen versehen, wofür doch besohlen üblicher ist. Die Schuhe versohlen. Daher das Versohlen.


Versöhnen (W3) [Adelung]


Versöhnen, verb. reg. act. 1. Man versöhnet zwey Personen mit einander, wenn man Ursache wird, daß sie alle bisherige Feindschaft gegen einander ablegen, wenn man Freundschaft unter ihnen wieder herstellet; wofür auch aussöhnen, und vertragen üblich ist. So auch in Gestalt eines Reciproci, sich mit jemanden versöhnen, die Beleidigung von beyden Seiten vergessen, alle Feindschaft von beyden Seiten ablegen. 2. Jemanden versöhnen, dessen Unwillen heben, ihn sich oder andern wieder zum Freunde machen. Einen Zornigen versöhnen. Jemanden mit Geschenken versöhnen. Jemandes Zorn versöhnen, in der höhern Schreibart. Daß doch dein Geist den Zorn der Könige versöhne, Der jetzt die Welt verheert, Raml. Gott versöhnen, dessen Unwillen heben, eine in der Deutschen Bibel sehr häufigere R. A. Einen versöhnten Gott haben. 3. Mit der vierten Endung der Sache oder des Vergehens heißt es in der Deutschen Bibel mehrmahls, seine Sünde, die Missethat, seine Unwissenheit versöhnen, die Sünden des Volkes versöhnen, d. i. die Schuld und Strafe derselben tilgen; ingleichen mit der vierten Endung des Beleidigers, sich und sein Haus, seine Seele versöhnen, sie von der Schuld und Strafe des begangenen Verbrechens befreyen. Welche ganze Bedeutung außer der biblischen Schreibart veraltet ist, oder höchstens nur alsdann gebraucht wird, wenn durch Tilgung der Schuld und Strafe eines Verbrechens durch Opfer die Rede ist. Daher die Versöhnung, in allen obigen Bedeutungen. Die Versöhnung Christi, in der Theologie eigentlich die Versöhnung Gottes durch Christum, der Versöhnungstod Christi, u. s. f.

Anm. Im Schwabenspiegel versonen, bey dem Ottfried und Notker bisuenen, besuanen, ehedem auch nur söhnen, welches noch in der Deutschen Bibel vorkommt.


Versöhner (W3) [Adelung]


Der Versöhner, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Versöhnerinn, eine Person, welche andere aussöhnet, sie aus Feinden zu Freunden macht. In der zweyten und dritten Bedeutung wird im engern Verstande Christus der Versöhner der Menschen genannt, weil er sich durch seinen Versöhnungstod mit Gott versöhnet hat. Ehedem nur Suonar.


Versöhnlich (W3) [Adelung]


Versöhnlich, -er, -ste, adj. et adv. von der ersten Bedeutung des Zeitwortes, geneigt und Fertigkeit besitzend, sich mit andern zu versöhnen, d. i. den Unwillen gegen Beleidiger fahren zu lassen, und darin gegründet. Versöhnlich seyn. Ein versöhnliches Herz. Daher die Versöhnlichkeit, plur. car. die Neigung oder Fertigkeit, Unwillen gegen Beleidiger fahren zu lassen.


Versöhnopfer (W3) [Adelung]


Das Versöhnopfer, des -s, plur. ut nom. sing. bey den ältern Juden, dasjenige Opfer, durch welches eine begangene Übertretung des göttlichen Gesetzes versöhnt wurde; in der Deutschen Bibel Söhnopfer und Sühnopfer.


Versöhntag (W3) [Adelung]


Der Versöhntag, des -es, plur. die -e, eben daselbst, derjenige Tag, an welchem die Juden durch feyerliche Versöhnopfer versöhnet werden mußten. 3 Mos. 23, 27, 28.


Versöhnung (W3) [Adelung]


Die Versöhnung, plur. inus. die Handlung des Versöhnens, S. Versöhnen.


Versorgen (W3) [Adelung]


Versorgen, verb. reg. act. hinlänglich für etwas sorgen, doch nur in engern Bedeutungen. 1. Die nöthigen Bedürfnisse zu etwas darreichen; wie versehen. Jemanden mit etwas versorgen. Die Armee mit Lebensmitteln, den Käufer mit Waare versorgen. Sich mit Holz auf den Winter versorgen. Ich bin schon damit versorgt. Jemanden mit den nöthigen Beweisgründen versorgen. Man ist sehr gut mit einem Bedienten u. s. f. versorgt, wenn er so beschaffen ist, wie man ihn wünscht und nöthig hat. Versorgen ist so, wie versehen in ähnlichen Verstande, von allgemeiner Bedeutung, und läßt die Art und Weise der Darreichung, ob sie vermittelst eines Geschenkes, oder eines Verkaufes, oder eines Darlehens geschiehet, unbestimmt. 2. Im engsten Verstande versorgt man jemanden, wenn man ihm die zum Unterhalte nöthigen Bedürfnisse verschafft, und zwar, (1) durch Darreichung derselben, so wie er sie bedarf. Jemanden zu versorgen haben, ihm Unterhalt und Kleidung reichen müssen. Gott versorgte die Kinder Israel vierzig Jahre in der Wüsten, Nehem. 9, 21. (2) Durch Versetzung in solche Umstände, worin man mit dem nöthigen Unterhalte versehen wird. Man versorgt seine Kinder, theils durch gute Verheirathung, theils auf andre Art. Jemanden versorgen, ihm eine zu seinem Unterhalte hinlängliche Bedienung verschaffen. Die Seinigen versorgt sehen. Du bist freylich nicht die schönste, aber du wirst gewiß auch versorgt werden, Gell. Sage ihr, daß ich nicht ruhig sterben würde, wenn ich sie nicht bey meinem Leben versorgt wüßte, eben ders. Daher die Versorgung, besonders in der zweyten Bedeutung, so wohl die Verschaffung des nothdürftigen Unterhaltes: jemanden in der Versorgung haben; als auch der Zustand, da man mit dem nothdürftigen Unterhalte versorgt ist. Er wird sich ohne dieß nicht zur Ehe entschließen, bis er nicht eine hinlängliche Versorgung hat, Gell.


Versorger (W3) [Adelung]


Der Versorger, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Versorgerinn. 1. Von der veralteten Bedeutung des Zeitwortes versorgen, da es auch für besorgen gebraucht wurde, ist der Versorger im Bergbaue derjenige, welcher anstatt des Schichtmeister eine Zeche besorget, und in andern Fällen der Verweser heißen würde. Daher die Versorgungsgebühr, der Wochenlohn eines solchen Versorgers. 2. Im gewöhnlichsten Verstande und in der zweyten Bedeutung des Zeitwortes ist jemand der Versorger eines andern, so wohl, wenn er ihm den nöthigen Unterhalt darreicht, als auch, wenn er ihn in solche Umstände versetzt, wo er damit versehen ist. Ein Versorger der Armen seyn. Gott ist unser aller Versorger.


Versorgung (W3) [Adelung]


Die Versorgung, S. Versorgen.


Versortiren (W3) [Adelung]


Versortiren, verb. reg. act. welches aus dem ausländischen Sortiren gebildet, und nur im gemeinen Leben üblich ist, mit den nöthigen Sorten oder Arten von Waaren versehen. Sich oder einen andern versortiren. Daher die Versortirung.


Versparen (W3) [Adelung]


Versparen, verb. reg. act. welches nur im engern Verstande des einfachen sparen gebraucht wird, bis auf eine andere Zeit sparen oder verschieben. Etwas auf eine andre Zeit versparen. Wir wollen es bis dahin versparen, wenn u. s. f. Daher das Versparen und die Versparung.


Verspäten (W3) [Adelung]


Verspäten, verb. reg. act. 1. Später kommen machen. Auf und erfahre, daß du nur den Tod verspätest hast, Gleim. Ingleichen später ansetzen, geschehen lassen. Marsham und andere verspäten die Grundlegung der Stadt. Tyrus bis auf Nebucadnezars Regierung. Wie sol ich danne leben das ich mine zuht nicht stoere, Und doch die meisten volge niht verspete, Burkhard von Hohenfels. Am üblichsten ist es, 2. als ein Reciprocum, sich verspäten, zu spät, später kommen, als gewöhnlich, oder als man wollte; Nieders. sik verletten. Er muß einkehren, wo er sich verspätete, Sir. 36, 28. Suche nicht lange, wo sich hier und da noch eine verspätete Rose aufhalte. Daher die Verspätung. In einigen gemeinen Mundarten auch sich verspätigen.


Verspeisen (W3) [Adelung]


Verspeisen, verb. reg. act. 1. Zur gewöhnlichen Speise gebrauchen. 2. Durch Speisen verbrauchen. Alles Brot, alles Fleisch verspeisen.


Versperren (W3) [Adelung]


Versperren, verb. reg. act. 1. Durch ein veranstaltetes Hinderniß von dem Zutritte anderer ausschließen. Der Weg ist versperret, gesperret. Am häufigsten mit der dritten Endung der Person. Einem den Weg, den Zutritt zu jemanden versperren. 2. An einem Orte einschließen, wofür auch einsperren üblich ist. Es war aber des Tages ein Mann darin versperret, 1 Sam. 21, 7. Alles vor jemanden versperren, verschließen. So auch die Versperrung.


Verspeyen (W3) [Adelung]


Verspeyen, verb. reg. et irreg. act. ( S. Speyen,) zum Zeichen der Verachtung anspeyen. Sie werden ihn verspotten und verspeyen, Marc. 10, 34. Und verspeyeten ihn, Kap. 15, 19. Er wird verspeyet werden, Luc. 8, 32. Die reguläre Conjugation ist in dieser Zusammensetzung gewöhnlicher, als die irreguläre. So auch die Verspeyung. Schon bey dem Kero farspian.


Verspielen (W3) [Adelung]


Verspielen, verb. reg. act. in einem Spiele verlieren, so wohl absolute und in Gestalt eines Neutrius. Wer hat verspielet? verloren? Als auch mit der vierten Endung des Verlustes. Sein Geld, zehn Thaler, Habe und Gut verspielen. Figürlich und absolute gebraucht man dieses Wort im gemeinen Leben, in einer jeden Sache, wo der Ausgang nicht in unserer Gewalt ist, den Kürzern ziehen. Man verspielt, wenn man einen Prozeß, wenn man eine Wette, eine Schlacht verlieret, wenn man in einem Zweykampfe den Kürzern ziehet u. s. f. Daher das Verspielen. Schon im Schwabenspiegel verspilen.


Verspilden (W3) [Adelung]


* Verspilden, verb. reg. act. unnütz verwenden, verthun, besonders so fern solches in mehrern kleinen Theilen geschiehet; in Nieders. verspillen. Viel Geld verspilden, unnütz in kleinen Posten ausgeben. Oft auch für verschwenden überhaupt. Seine Zeit verspilden. Im Schwed. förspilla. Das einfache spillan, spildan, verschwenden, Engl. to spill, Schwed. spilla, ist alt und kommt schon bey dem Kero vor. Es ist ohne Zweifel eine Figur von spalten, Nieders. spellen.


Verspinnen (W3) [Adelung]


Verspinnen, verb. irreg. act. ( S. Spinnen,) durch Spinnen alle machen, verbrauchen, allen Flachs verspinnen. Daher das Verspinnen.


Versplittern (W3) [Adelung]


Versplittern, verb. reg. act. einzeln und unnütz verwenden. Ein Capital versplittern. Die Zeit versplittern. So auch die Versplitterung.


Verspotten (W3) [Adelung]


Verspotten, verb. reg. act. Spott über etwas äußern, über etwas spotten, mit der vierten Endung der Person oder Sache; am häufigsten von Personen. Ein Auge, das den Vater verspottet, Sprichw. 30, 17. Von jedermann verspottet werden. Mit verspottender Geberde. Von Sachen sagt man lieber, über etwas spotten. So auch die Verspottung.


Versprechen (W3) [Adelung]


Versprechen, verb. irreg. act. ( S. Sprechen,) welches nach Maßgebung der verschiedenen Bedeutungen beyder Theile der Zusammensetzung, besonders aber der Partikel, in verschiedenen Verstande vorkommt. 1. So daß ver eigentlich eine Entfernung bedeutet. (1) Mit Sprechen zubringen. Und ich habe mit euch so manche Stunde versprochen, Zach. Welcher Gebrauch doch seltener ist. In der vertraulichen Sprechart sagt man dafür verschwatzen, verplaudern. (2) * Läugnen, eine veraltete Bedeutung, welche noch bey den Schwäbischen Dichtern vorkommt. Eben so veraltet sind die Bedeutungen des Widersprechens, in dem Schwabenspiegel, des Verbiethens, bey dem Ottfried, der Verwerfung mit Worten, bey dem Stryker, und andere ähnliche mehr, welche insgesammt Figuren des Begriffes der Entfernung sind. 3. Mit Worten zusagen, sagen, daß man etwas zum Nutzen des andern thun oder lassen wolle. (a) Eigentlich, mit der dritten Endung der Person. Einem etwas versprechen. Ich habe es dir ja schon versprochen. Jemanden seine Hülfe, eine Belohnung versprechen. Versprich mir, daß du kommen willst. Daher das Versprechen. Sein Versprechen halten, brechen. Ehedem gebrauchte man dafür verheißen, welches aber außer der höhern Schreibart veraltet ist, seitdem versprechen in dieser Bedeutung üblicher geworden. Ungewöhnlich ist hier die reciproke Form. Judas versprach sich den Hohenpriestern, Jesum zu verrathen, Luc. 22, 6. Wachter hielt diese Bedeutung mit Unrecht für dunkel; sie ist vielmehr eben so deutlich, als in versagen, vergeben, verschenken, verkaufen u. s. f. und eine Figur der Übertragung. (b) In engerer Bedeutung, den Besitz einer Sache zusagen, wo es oft auch mit Auslassung der dritten Endung der Person gebraucht wird. Die Waare ist schon versprochen, ist schon jemanden zugesagt. Jemanden seine Tochter versprechen nähmlich zur Ehe. Sich mit einer Person versprechen, ihr versprechen, sie zu heirathen. Wo es oft in engerer Bedeutung von dem feyerlichen Verlöbnisse für verloben gebraucht wird, in welchem Verstande auch die Versprechung, die Eheversprechung, das Eheversprechen üblich sind. Ein versprochenes Brautpaar. Ich sähe es gern, wenn ich euch, meine Töchter, auf einen Tag versprechen könnte, Gell, d. i. verloben. Ingleichen von einem Besitze auf kurze Zeit. So sagt man, man sey schon versprochen, wenn man einem andern sein Wort gegeben hat, ihn zu besuchen. (c) Figürlich, Hoffnung geben oder machen, wenn solches gleich nicht durch Worte geschiehet. Theils mit dem Accusativ der Sache allein. Der Anschein verspricht nicht viel. Ein viel versprechender junger Mensch. Diese Witterung verspricht eine reiche Ernte. Seine Fähigkeiten versprechen einen großen Mann. Ein andrer hat zwar viel Geschicke, Doch weil die Miene nichts verspricht, u. s. f. Gell. Theils auch als ein Reciprocum. Sich viel von Jemanden versprechen, viel von ihm hoffen. Wie kannst du dir Treue von einer Buhlerinn versprechen. Versprich dir nicht zu viel Glück. Ich verspreche mir von dieser Unternehmung viel Nutzen. 2. Aus Mangel der Aufmerksamkeit falsch sprechen oder reden, als ein Reciprocum; im gemeinen Leben auch sich verreden. Sich versprechen. Ich habe mich nur versprochen. Wie leicht verspricht man sich nicht! Daher das Versprechen. 3. Durch Sprechen oder Worte den Zustand eines Dinges verschlimmern, doch nur in einigen Fällen. (1) Im gemeinen Leben gebraucht man es oft für besprechen im abergläubischen Verstande. Eine Büchse versprechen, durch abergläubige Worte machen, daß sie versage. (2) * Tadeln, mißbilligen, ingleichen übels nachreden, verleumden. Da sie (die "Pharisäer") sahen etliche seiner Jünger mit ungewaschenen Händen das Brot essen, versprachen sie es, Marc. 7, 2; sie beredeten es, hielten sich darüber auf. Es mocht mich jemand hier versprechen Und mir solches für ein Frevel rechen, Grobian, bey dem Frisch. Ein versprochener Mann war daher ehedem so viel als ein berüchtigter, anrüchtiger Mann. Doch diese ganze Bedeutung ist im Hochdeutschen veraltet. Im Nieders. ist verspreken, schmähen, lästern. So auch das Versprechen und die Versprechung, welches letztere doch nur in einigen Fällen der ersten Bedeutung gebraucht wird. S. auch Verspruch.

Anm. In der Deutschen Bibel kommt dieses Wort einmahl in einer noch andern, gleichfalls veralteten Bedeutung vor. Denn die Männer zu Sichem versprachen Abimelech, u. s. f. Richt. 9, 22; d. i. sie sagten ihm Treue und Gehorsam auf, wo es gleichfalls eine Figur der ersten Hauptbedeutung ist, wo ver die Bedeutung der Entfernung hat. Übrigens kommt die Bedeutung des Zusagens bey den ältern und mittlern Schriftstellern wenig vor, indem versprechen bey ihnen in manchen andern Bedeutungen gangbar war. So wie diese veralteten, so hob sich jene Bedeutung, dagegen fing verheißen, welches man bis dahin anstatt desselben gebraucht hatte, an zu veralten. So herrschen die Ebbe und Fluth der Zeit über Wörter, so wie über Personen und Sachen!


Verspreiten (W3) [Adelung]


Verspreiten, verb. reg. act. in die Ferne spreiten, ingleichen ausspreiten, beydes nur selten. Bis endlich die schwimmende Festung (das Schiff) Alle Segel verspreitet, Zachar.


Verspreitzen (W3) [Adelung]


Verspreitzen, verb. reg. act. mit Spreitzen versehen. Im Bergbaue verspreitzet man das Gestein, wenn man es mit Stützen versiehet. Daher die Verspreitzung.


Versprengen (W3) [Adelung]


Versprengen, verb. reg. act. 1. In die Ferne sprengen. Man gebraucht es nur von Thieren, noch mehr aber von Menschen, wenn sie in die Ferne, besonders in eine unbekannte Ferne gesprengt oder gescheucht werden. Den Feind versprengen. Versprengt werden. So auch die Versprengung. Einen Ball versprengen, oder sich versprengen, im Billard-Spiele, wenn des Spielers Ball aus dem Billard springt.


Verspriegeln (W3) [Adelung]


Verspriegeln, verb. reg. act. mit Spriegeln versehen; im Bergbaue versprügeln, wo es die Ritzen zwischen den Pfählen mit kurzen Stücken Holz verwahren bedeutet, damit das lockere Erdreich nicht dadurch herein dring. So auch die Verspriegelung.


Verspringen (W3) [Adelung]


Verspringen, verb. irreg. act. ( S. Springen,) durch Springen oder im Springen verrenken. Den Fuß, sich den Fuß verspringen. Daher das Verspringen.


Verspritzen (W3) [Adelung]


Verspritzen, verb. reg. act. durch Spritzen alle machen, erschöpfen. Alles Wasser verspritzen. Figürlich sagt man in der höhern Schreibart, sein Blut verspritzen, für häufig vergießen. Daher das Verspritzen, und in dem letztern Falle auch wohl die Verspritzung.


Verspruch (W3) [Adelung]


Der Verspruch, des -es, plur. inus. von dem Zeitworte versprechen, doch nur in einigen Gegenden in dessen erstern engsten Bedeutung, wo das Eheversprechen oder die Versprechung auch zuweilen der Verspruch genannt wird.


Versprügeln (W3) [Adelung]


Versprügeln, S. Verspriegeln.


Verspünden (W3) [Adelung]


Verspünden, verb. reg. act. vermittelst eines Spundes, oder eines eingespündeten Deckels verschließen; zuspünden. Ein Faß verspünden, so wohl vermittelst des Spundes, als auch des eingespündeten Bodens. So auch die Verspündung.


Verspüren (W3) [Adelung]


Verspüren, verb. reg. act. aus gewissen Spuren erkennen, d. i. die Anwesenheit eines Dinges aus einigen Merkmahlen erkennen, wie das einfache spüren, ingleichen merken, wo es besonders von der Erkenntniß durch die Sinne gebraucht wird. Ich verspüre nichts, es sey durch welchen Sinn es wolle, doch am seltensten von dem Gehöre. Zuweilen auch von der Erkenntniß vermittelst des Verstandes. Jemandes Gewohnheit, Liebe, Freundschaft verspüren, wo doch das einfache spüren üblicher ist. So auch das Verspüren und die Verspurung.


Verstäben (W3) [Adelung]


Verstäben, verb. reg. act. mit Stäben versehen, besonders in der Säulenordnung, mit dem unter dem Nahmen des Stabes bekannten Zierathe. Daher die Verstäbung, welches auch wohl solche Stäbe selbst bedeutet. Die Verstäbungen an den Böden, Brüchen und am Kopfe der Kanonen heißen Friese, die am zweyten Bruche Mittelfriese, die am Stoße Bodenfriese.


Verstählen (W3) [Adelung]


Verstählen, verb. reg. act. vorn mit Stahl versehen, wofür oft auch nur stählen üblich ist. Eine Art, ein Messer, eine Klinge verstählen. Daher die Verstählung.


Verstand (W3) [Adelung]


Der Verstand, des -es, plur. car. von dem Zeitworte verstehen, doch nur so fern es einen Begriff von etwas haben bedeutet, wo dieses Wort in zwiefacher Bedeutung vorkommt. 1. Subjective, das Vermögen, die Fähigkeit, einen andern zu verstehen, welche erste und eigentliche Bedeutung noch im gemein. Leben häufig ist, in welcher denn auch den Thieren Verstand zukommt. In weiterer Bedeutung ist der Verstand das Vermögen zu erkennen, so daß es auch die Sinne und Einbildungskraft mit unter sich begreift, und den Thieren gleichfalls zukommt. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung ist es das Vermögen, deutliche Begriffe zu haben; in welchem Falle der Verstand nur vernünftigen Geschöpfen allein zukommt, sich aber von der Vernunft in engerm Verstande hinlänglich unterscheidet. In allen diesen Einschränkungen wird es so wohl von diesem Vermögen und dessen Anwendung in einzelnen Fällen gebraucht. Keinen Verstand von etwas haben. Ohne Verstand handeln, reden u. s. f. Als auch von dem Vermögen überhaupt. Seinen gesunden Verstand verlieren, vom Verstande kommen, wahnsinnig, verrückt werden. Vielen Verstand haben. Ein Mann von vielem Verstande. Das ist oder gehet über meinen Verstand. Die Unschuld ohne Verstand ist ein sehr mittelmäßiger Schatz, Gell. 2. Objective, die Meinung, der Sinn. Im Theuerdanke heißt es noch: wenn ich darauf hab euren Verstand, wenn ich eure Meinung darüber habe. Es ist in dieser weitern Bedeutung veraltet, und man gebraucht es nur noch in engerer, von der Rede und den Worten, diejenige Vorstellung, denjenigen Begriff zu bezeichnen, welche durch die Worte, oder durch eine Rede erwecket werden soll; der Sinn, die Bedeutung. Der wahre Verstand, die Übereinstimmung der Vorstellungen mit dem Endzwecke der Rede, zum Unterschiede von dem falschen. Der eigentliche, unmittelbare Verstand, Wortverstand, welcher durch das Wort und dessen Laut hervor gebracht wird, zum Unterschiede von dem mittelbaren oder figürlichen, welchen die mit dem Worte bezeichnete Sache wirket. Ein Wort in einem andern Verstande nehmen. Ein Wort ohne Verstand. Ich finde keinen Verstand in der Rede. Das Wort ist alt, und lautet schon bey dem alten Übersetzer Isidors Firstanda, und bey dem Kero Forstandida. Siehe Verstehen.


Verständig (W3) [Adelung]


Verständig, -er, -ste, adj. et adv. in der ersten Bedeutung des vorigen Wortes habend und an den Tag legend, ingleichen darin gegründet, in allen Schattirungen dieser Bedeutung des Hauptwortes. Ein verständiger Hund, der die Zeichen des andern leicht verstehet. Am häufigsten in der engern Bedeutung des Hauptwortes, deutliche Begriffe von etwas habend. So wohl in einzelnen Fällen, da denn die Sache, von welcher man deutliche Begriffe hat, in der zweyten Endung steht. Ein der Sache verständiger Mann, der sie verstehet, ihrer kundig ist. Ein Rechtsverständiger. Noch häufiger absolute. Der Mensch ist ein verständiges Wesen, er ist deutlicher Begriffe fähig. Ingleichen in engerer Bedeutung, viel Verstand habend und verrathend. Ein verständiger Mann. Seltener von Sachen, in dem Verstande gegründet. Ein verständiger Einfall, besser ein vernünftiger, oder kluger. Luthers verständiglich für das Nebenwort verständig ist im Hochdeutschen veraltet. Bey dem Kero farstantantlih.


Verständigen (W3) [Adelung]


Verständigen, verb. reg. act. von dem vorigen Beyworte, verständig machen, in der ersten und weitesten Bedeutung, d. i. verstehen machen, deutliche Begriffe von etwas beybringen, mit der vierten Endung der Person. Jemanden verständigen, ihm etwas erklären, deutlich machen. In weiterm Verstande oft so viel als benachrichtigen. Dero Meinung uns zu verständigen, in den Kanzelleyen. Er ist dessen oder davon verständiget worden, benachrichtiget. So auch die Verständigung.


Verstandkraut (W3) [Adelung]


Das Verstandkraut, S. Gauchheil.


Verständlich (W3) [Adelung]


Verständlich, -er, -ste, adj. et adv. was leicht verstanden werden kann, was einen klaren und deutlichen Begriff gewähret, im Gegensatze des unverständlich. Eine verständliche Rede. Verständlich reden. Das ist mir nicht verständlich, ich verstehe es nicht. Eine verständliche Stimme, besser eine vernehmliche. Ehedem gebraucht man es auch für mit Verstand, verständig, welche Bedeutung aber veraltet ist. Verständlich von etwas reden, verständig.


Verständlichkeit (W3) [Adelung]


Die Verständlichkeit, plur. car. die Eigenschaft, da ein Ding, besonders ein Wort oder Rede, verständlich ist, klare und deutliche Begriffe gewähret.


Verständniß (W3) [Adelung]


Das Verständniß, des -sses, plur. die -e, auch von dem Zeitworte verstehen, doch nur in zweyen Bedeutungen desselben. 1. Von verstehen, Begriffe haben, ward Verständniß ehedem häufig für Verstand, oder das Vermögen deutlicher Begriffe gebraucht, in welcher Bedeutung firstantnisse schon bey dem Ottfried vorkommt. Die Manigfeltikeit der künst erlüchtet des menschen verstentnyß, Buch der Weisen 1501. Da öffnete er ihnen das Verständniß, daß sie die Schrift verstanden, Luc. 24, 45. Werdet nicht Kinder an dem Verständniß, 1 Cor. 14, 20. Erleuchtete Augen des Verständnisses, Ephes. 1, 18. Es ist in dieser Bedeutung in der edlern Schreibart veraltet. Zwar haben einige Neuere es wieder einzuführen versucht, und es von der Fertigkeit, sich einen deutlichen Begriff von etwas zu machen, gebraucht, um es von dem Verstande, dem bloßen Vermögen, zu unterscheiden, aber damit noch wenig Beyfall gefunden. 2. Von der R. A. sich mit jemanden verstehen, ist das Verständniß. (1) Das Mitwissen um eine geheime Sache, besonders das Mitwissen und die Theilnehmung an einer geheimen Unternehmung, wo es vorzüglich im nachtheiligen Verstande von einer unerlaubten Unternehmung gebraucht wird. Ein Verständniß mit jemanden haben, mit ihm im Verständnisse stehen, sich mit ihm zu einer geheimen Handlung verstehen. Es ist dieses zugleich der einzige Fall, in welchem dieses Wort den Plural verstattet. Ehedem gebrauchte man dafür nur Verstand. Er hat mit ihm seinen Verstand, Theuerd. Kap. 64. (2) Im weitesten Verstande ist dieses Wort oft so viel als Vernehmen, d. i. Eintracht. In einem guten, bösen, schlechten Verständnisse mit jemanden leben.


Verstärken (W3) [Adelung]


Verstärken, verb. reg. act. stärker machen, so wohl eigentlich, die Stärke, das ist Dicke, und darin gegründete Festigkeit eines Dinges vermehren, wo es in vielen Fällen von leblosen Dingen gebraucht wird. Einen Wall, eine Säule verstärken. Als auch figürlich, theils von der Zahl, die Anzahl zur Überwindung eines Hindernisses vermehren. Die Besatzung verstärken. Eine Armee verstärkt sich, wenn sie mehrere Truppen an sich ziehet. Die Arbeiter verstärken. Theils auch von der Intension. Böse Neigungen verstärken die Krankheiten des Körpers, Gell. In der Mahlerey werden die Tinten oder Farben verstärkt, wenn man ihnen mehr Kraft gibt. So auch die Verstärkung.


Verstarren (W3) [Adelung]


Verstarren, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, welches im gemeinen Leben für das edlere erstarren gebraucht wird. In einem etwas andern Verstande ist es, doch auch nur im gemeinen Leben, vor Verwunderung und Erstaunen gleichsam starr werden. Jedermann verstarrt, Opitz. Figürlich wird verstarrt in der Deutschen Bibel einige Mahl für verstockt gebraucht. Ihr Herz war verstarret, Marc. 2, 6. Ein verstarrtes Herz, Kap. 8, 17. So auch die Verstarrung.


Verstatten (W3) [Adelung]


Verstatten, verb. reg. act. Statt oder Raum zu etwas geben, doch nur im figürlichen Verstande, Freyheit geben, etwas zu thun, gestatten: wo beyde von erlauben noch unterschieden werden können, als welches in manchen Fällen die Billigung des Verstatteten mit einschließt, verstatten aber solche unentschieden lässet. Jemanden zu reden verstatten. Die Reise ist mir dießmahl nicht verstattet worden. Den Truppen das Plündern verstatten. Daher die Verstattung.

Anm. Im Nieders. nur staden, steden, stedigen, wo es ehedem auch mit der zweyten Endung der Sache gebraucht wurde, ihm dessen nicht zu statten; im Schwed. städja, tillstädja, eigentlich zustatten, wo auch Stade, die Verstattung, Erlaubniß ist.


Verstauben (W3) [Adelung]


Verstauben, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, in Staub, oder in Gestalt des Staubes verfliegen. In den Mühlen verstaubet viel Mehl. In einigen gemeinen Mundarten verstieben, Nieders. verstuven.


Verstäuben (W3) [Adelung]


Verstäuben, verb. reg. welches das Activum des vorigen ist, verstauben machen, in Staub davon fliegen lassen. Vieles Mehl verstäuben. Ich will sie verstäuben, 2 Sam. 22, 43; figürlich. Es. 19, 7. kommt auch verstieben thätig vor. Daher die Verstäubung.


Verstauchen (W3) [Adelung]


Verstauchen, verb. reg. act. durch Stauchen, d. i. einen heftigen dumpfigen Stoß, seiner gehörigen Beschaffenheit berauben. Man gebraucht es besonders von den Gelenken, wenn die Bänder derselben gewaltsam ausgedehnt werden, ohne daß eben das Glied aus seiner Lage komme, wodurch es sich von verrenken unterscheidet. Sich die Hand, den Fuß verstauchen. Im Nieders. verstuken. Daher die Verstauchung.


Verstechen (W3) [Adelung]


Verstechen, verb. irreg. act. ( S. Stechen.) 1. Mit Stichen zumachen, bey den Nähterinnen. Ein Loch in einem Strumpfe, in einem Hemde, in einem Kleide verstechen, durch kreuzweise geführte Stiche zumachen, im gemeinen Leben stopfen, in der Oberpfalz verwibeln. 2. So fern die Bedeutung der Entfernung hat, ist Waaren verstechen, sie vertauschen, Waare für Waare geben, sonst auch umstechen.


Versteck (W3) [Adelung]


Der Versteck, des -es, plur. inus. ein nur im gemeinen Leben für das Verstecken übliches Wort. Die Kinder spielen Versteck, wenn sie sich verstecken. Man gebraucht es auch wohl in der Kriegeskunst, so wohl zu Wasser, als zu Lande, wo Truppen und Kriegesschiffe einen Versteck machen, wenn sie sich in den Hinterhalt legen.


Verstecken (W3) [Adelung]


Verstecken, verb. reg. act. 1. Durch ein dahin gestecktes Hinderniß versperren. Einen Weg verstecken, mit Strohwischen. 2. Im gemeinen Leben sagt man habe sich versteckt, wenn man mehr Geld, als man bequem entbehren kann, in eine Sache gesteckt hat. 3. An einen verborgenen oder doch unbekannten Ort stecken oder thun, um dadurch den Augen anderer zu entziehen. Sein Geld verstecken. Jemanden auf dem Boden verstecken. Sich unter die Treppe, hinter die Thür, in dem Walde verstecken. Verstecken oder Versteckens, bey den Kindern. Ingleichen in weiterm Verstande oft für bedecken oder verbergen, von einem bekannten Orte. Der Mond versteckt sich hinter den Wolken. Kann die Welt etwas dafür, daß sich ein großer Geist in ein schlechtes Kleid versteckt? Raben. Indessen ist in den meisten Fällen in der edlern Schreibart dafür verbergen üblich. So auch das Verstecken.


Verstehen (W3) [Adelung]


Verstehen, verb. irreg. ( S. Stehen,) welches in doppelter Gattung gebraucht wird. I. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, über die gehörige Zeit stehen, am häufigsten von Pfändern. Das Pfand ist verstanden, ist verfallen. Verstandene Pfänder, verfallene. Wo es auch in einigen Gegenden als ein Reciprocum gebraucht wird, das Pfand hat sich verstanden, in welchem Falle es doch zunächst nicht so wohl verfallen zu bedeuten scheinet, als vielmehr, daß durch langes Stehen und angeschwollene Zinsen der Werth des Pfandes erschöpft worden. Im Bergbaue sagt man gleichfalls, einen Kur verstehen, die Zubuße nicht abführen, so daß der Kur verfällt. II. Als ein Activum und Reciprocum. 1. Durch langes Stehen schadhaft oder untüchtig werden, als ein Reciprocum, in welchem Verstande man von Thieren oder Menschen sagt, sie haben sich verstanden, wenn sie durch langes Stehen steif und träge geworden sind. Auf ähnliche Art sagt man sich versitzen, verliegen u. s. f. 2. Sich zu etwas verstehen, sich zu einer unangenehmen Sache entschließen. Er wollte sich nicht dazu verstehen. Hat er sich dazu verstanden? Ich verstehe mich gleich zur Feuerprobe, zu beweisen, u. s. f. Die allgemeine Menschenliebe, zu der wir uns so ungern verstehen. 3. Als ein wahres Activum bedeutet dieses Zeitwort sehr häufig, die Bedeutung der Wörter einer Rede, oder überhaupt eines jeden Zeichens, wahrnehmen. (1) Eigentlich. Man verstehet jemanden. Man verstehet eine Rede, ein Wort, ein Zeichen, wenn man eben den Gedanken damit verknüpft, welchen der Urheber der Rede oder des Zeichens damit verbindet. Ich verstand ihn nicht. Du sprichst so undeutlich, daß man dich nicht verstehen kann. Ich habe nichts davon verstanden. Er verstehet jeden Wink, jede Miene. Jemanden falsch, unrecht verstehen. Was verstehest du darunter? was wolltest du damit sagen, was ist deine Meinung dabey? Durch Einsamkeit verstehe ich jede Entfernung von der Gesellschaft der Menschen. Das versteht sich von selbst, im gemeinen Leben, das versteht sich am Rande, das ist außer allem Streit, ist unläugbar, ist leicht anzusehen. Scherz verstehen, einen Scherz als einen Scherz aufnehmen, nicht empfindlich darüber werden. Er verstehet keinen Spaß. Oft bedeutet es auch, die Absicht einer Forderung einsehen. Du wirst mich schon verstehen. Aber er verstand Unrecht und versetzte ihm einen Schlag, sagt man im gemeinen Leben, wenn jemand ohne scheinbare hinlängliche Reitzung ausschlägt. Jemanden etwas zu verstehen geben, es ihn auf eine verdeckte Art merken lassen. Im Oberdeutschen wird es oft für ersehen gebraucht. Ich habe aus dem Briefe verstanden, ersehen. (2) Figürlich. a. Sich mit jemanden verstehen, gemeinschaftlich mit ihm zu einer geheimen Absicht wirken. Sie haben sich mit einander verstanden, sich verglichen. Man sagt auch wohl ohne Reciprocation: sie sind darüber verstanden, sind in dieser Sache einig. Einverstanden seyn, einig seyn, und sich mit jemanden vereinständigen, sind nur im Oberdeutschen üblich. (Siehe Verständniß.) b. Sehr häufig ist das Activum verstehen, klare, und im engsten und wissenschaftlichen Verstande, deutliche Begriffe von etwas haben. Eine Sprache, eine Kunst, ein Handwerk, eine Wissenschaft verstehen, sie kennen. Verstehen sie Französisch, Englisch? u. s. f. Er verstehet nichts davon. So viel ich von dieser Sache verstehe. Die Mathematik, die Philosophie, nichts von der Astronomie verstehen. Ingleichen in einigen Fällen als ein Reciprocum, da denn die Sache vermittelst des Vorwortes auf ausgedruckt wird. Sich auf das Reiten, auf das Fechten, auf das Wahrsagen, auf das Drechseln verstehen. Wenn du dich darauf besser verstehest, als ich. Ich verstehe mich aufs Frauenzimmer, kenne es, weiß, wie mit demselben umzugehen ist. Ein Mann, der sich auf vielerley verstand, Gell. Von Sprachen, Wissenschaften und wissenschaftlicher Kenntniß ist diese Wortfügung nicht so gewöhnlich. Opitz übersetzt das: Si sentire datur post fata quietis, durch: Im Fall ein Geist sich auch noch auf die Welt versteht. Im mittlern Lateine kommt intelligere se in aliquare re in eben derselben Bedeutung vor. S. Verstand, Verständlich u. s. f. Anm. In der letzten Hauptbedeutung ist dieses Wort schon sehr alt, indem es schon bey dem alten Übersetzer Isidors firstan, bey dem Ottfried firstuan und irstuan, bey dem Willeram verstan lautet; Nieders. verstaan, Schwed. förstä. Die Figur ist freylich dunkel, allein sie läßt sich doch errathen. Die Angelsachsen gebrauchten dafür understan, und noch die heutigen Engländer understand. Es scheinet, daß in, unter und ver, welche alle in dieser Bedeutung mit dem Zeitworte stehen verbunden worden, so viel als eine Gegenwart, vor, bedeutet haben, so daß es eigentlich vor etwas stehen, einer Sache gegenwärtig seyn, bedeutet haben würde; welches noch dadurch bestätiget wird, daß Ottfried und andere dieses Wort auch für wahrnehmen, merken, empfinden, gebrauchen. Das Griechische - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, ich weiß, verstehe, gründet sich eben auf dieselbe Figur, obgleich solches gemeiniglich von - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - abgeleitet wird; vielleicht nur, weil man nichts bessers wußte, und bloß der Ähnlichkeit des Klanges nachging. In dem Lat. intelligere, für interligere, scheint eine ähnliche Figur zu herrschen, obgleich die Bedeutung des ligere hier noch dunkel ist. Übrigens bedeutet verstehen im Niederdeutschen auch überstehen, aushalten. Eine Krankheit verstehen, überstehen; einen guten Trunk verstehen, vertragen können.


Verstehlen (W3) [Adelung]


Verstehlen, verb. reg. act. ( S. Stehlen,) durch Stehlen entfernen, entwenden. Verstohlne Wasser sind süße, gestohlne, Sprichw. 9, 17. Ingleichen als ein Reciprocum, sich ver- stehlen, heimlich fortschleichen. Das Volk verstahl sich, 2 Sam. 19, 3. In beyden Fällen kommt es im Hochdeutschen wenig mehr vor, wo man nur noch das Mittelwort verstohlen für heimlich, insgeheim gebraucht. Verstohlne Weise zusammen kommen. Eine verstohlne Zusammenkunft. Ich habe es verstohlen thun müssen.


Versteigen (W3) [Adelung]


Versteigen, verb. welches auf doppelte Art vorkommt. 1. * Als ein eigentliches Activum und mit regulärer Abwandlung, wo es im Oberdeutschen für das noch gangbare versteigern, d. i. verauctionieren, vorkommt, ( S. dasselbe.) 2. Als ein Reciprocum, mit irregulärer Conjugation, ( S. Steigen,) sich versteigen, zu weit steigen, so weit steigen, daß man nicht ohne Gefahr wieder zurück kann. Kaiser Maximilian hatte sich auf den Felsen in Tirol verstiegen. Ingleichen figürlich, das Maß des Vernünftigen überschreiten. Man versteigt sich in Ausdrücken, wenn man schwülstige, übertriebene Ausdrücke gebraucht, im Nachdenken, wenn man sich an unerforschliche Dinge wagt, in Unternehmungen, wenn man etwas unternimmt, was über seine Kräfte ist. Die morgenländische Einbildungskraft ist oft in Verwirrung und versteigt sich bis zu der zügellosen Schwärmerey. Versteigen sie sich nicht zu hoch, zu weit. Daher das Versteigen.


Versteigern (W3) [Adelung]


Versteigern, verb. reg. act. durch Steigern des Preises veräußern, d. i. an die Meistbiethenden verkaufen, versteigen, verganten; ein Oberd. Wort, welches für das fremde verauctionieren auch im Hochdeutschen eingeführet zu werden verdiente. Ein Haus, ein Gut, Hausgeräth, Bücher versteigern. Daher die Versteigerung, Versteigung, die Auction.


Versteinen (W3) [Adelung]


Versteinen, verb. reg. act. 1. Mit Steinen besetzen, doch nur in engerm Verstande, mit Gränz- oder Marksteinen besetzen. Einen Acker, ein Feld, eine Flur versteinen. 2. Zu Stein machen, ( S. das folgende.) 3. Mit Steinen todt werfen, eine nur im Oberdeutschen übliche Bedeutung, wofür im Hochdeutschen steinigen üblich ist. So auch die Versteinung.


Versteinern (W3) [Adelung]


Versteinern, verb. reg. act. zu Stein machen, in Stein verwandeln, doch nur in weiterer Bedeutung des Verwandelns. Versteinertes Holz, welches entstehet, wenn das Wasser die Holztheilchen auflöset und dafür die bey sich führenden Steintheilchen absetzt, welche denn die Gestalt der erstern annehmen. So auch versteinerte Fische, Knochen u. s. f. Manche Wasser versteinern die Körper, welche darein gerathen. Daher die Versteinerung, so wohl von der Wirkung des Versteinerns, als auch von versteinerten Dingen, in welchem Falle es auch den Plural leidet. Figürlich versteinert werden vor Schrecken, Erstaunen u. s. f. unbeweglich da stehen. Ich glaubte versteinert zu seyn, als mir dieß Wort entfuhr. Die Freude habe ich doch noch zu sehen, wie er versteinern wird, wenn er mich wird unvermuthet singen hören, Hermes; wo es in der sonst ungebräuchlichen neutralen Form gebraucht wird.


Verstellen (W3) [Adelung]


Verstellen, verb. reg. act. welches nach Maßgebung der Partikel ver in einer dreyfachen Bedeutung vorkommt. 1. So fern ver eine Verschlimmerung bezeichnet, ist verstellen, dem Scheine nach, oder durch eine zufällige Veränderung, auf kurze Zeit eine andere und zwar nachtheilige Gestalt ertheilen; wodurch es sich von dem härtern verunstalten unterscheidet, welches unter andern auch eine bleibende Verderbung der Gestalt bezeichnet. Sein Gesicht durch eine Perrücke verstellen. Eine schlecht gemachte Kleidung verstellet den, der sie trägt. Die Krankheit hat ihn sehr verstellet. Cain verstellete seine Geberde, 1 Mos. 4, 5, 6. 2. So fern ver eine Verbergung bezeichnet, ist verstellen, durch Stellen, d. i. durch einen äußern Schein verbergen. Das Angesicht mit Asche verstellen, 1 Kön. 20, 38; so fern es bloß unkenntlich machen bedeutet. Ingleichen durch sein äußeres Betragen die innern Empfindungen verbergen, wo es mit dem Latein. dissimulare überein kommt, aber in der edlern Schreibart veraltet ist. Seinen Verdruß verstellen, besser verbergen. 3. In weiterm Verstande, so daß ver den bloßen Begriff der Änderung hat, ist verstellen, sich von außen anders stellen, als man denkt und empfindet. Wir verstellen uns, wenn unser äußeres Verhalten unsern Neigungen und Empfindungen widerspricht. Er weiß sich vortrefflich zu verstellen. Der Satan verstellet sich in einen Engel des Lichts, 2 Cor. 11, 14. Welche Wortfügung mit der Präposition doch ungewöhnlich ist. Ein Zorniger verstellt sich, wenn er sich freundlich stellt. Verstellter Weise. Eine verstellte Zärtlichkeit, Freundlichkeit u. s. f. Verstellen wird in dieser Bedeutung bloß absolute gebraucht; wird die Art und Weise der Verstellung durch ein Nebenwort, oder auch durch als ausgedruckt, so gebraucht man dafür das einfache sich stellen. Daher die Verstellung, besonders in der dritten Bedeutung, so wohl von der wissentlichen Annehmung des Scheines von einem Zustande, worin man sich nicht befindet, als auch von äußern Handlungen, welche dem innern Zustande zuwider sind. Es ist lauter Verstellung.


Versterben (W3) [Adelung]


Versterben, verb. irreg. neutr. ( S. Sterben,) welches das Hülfswort seyn erfordert, und in der edlern Schreibart für das einfache sterben, doch nur von Menschen, gebraucht wird. Unser Freund ist bereits verstorben. Der Verstorbene.


Versteuern (W3) [Adelung]


Versteuern, verb. reg. act. die Steuer von etwas entrichten. Ein Gut versteuern.


Verstieben (W3) [Adelung]


Verstieben, verb. irreg. neutr. ( S. Stieben) welches das Hülfswort seyn erfordert, in Gestalt des Staubes, oder wie Staub aus einander fahren, zerstreuet werden. Schrecklich werden sie verstieben, Leichter als ein Traum vergehen, Can. Ein jeglich Haar, das muß verstieben, Opitz. Im Hochdeutschen ist dafür verstauben üblicher. Die in der Deutschen Bibel befindliche thätige Form, ich will das Gras an den Wassern verstieben, Es. 19, 7, ist, der harten Figur nicht zu gedenken, im Hochdeutschen noch seltener. S. Verstauben und Verstäuben, ingleichen Zerstieben und Verstöbern.


Verstielen (W3) [Adelung]


Verstielen, verb. reg. act. mit einem Stiele versehen. Eine Art verstielen.


Verstimmen (W3) [Adelung]


Verstimmen, verb. reg. act. welches der Gegensatz von stimmen ist, einen Mißton oder falschen Ton geben, von musikalischen Werkzeugen. Das Clavier ist verstimmt, wenn die Saiten nicht den gehörigen Ton haben. In der Nässe verstimmt sich eine Violine leicht. Daher die Verstimmung.


Verstöbern (W3) [Adelung]


Verstöbern, verb. reg. act. welches im gemeinen Leben für das Activum verstäuben gebraucht wird, von welchem es das Intensivum ist. In einem andern Verstande verstöbert das Schnee- und Stöberwetter die Wege, wenn das Schneegestöber sie unkenntlich macht. S. Stöbern.


Verstocken (W3) [Adelung]


1. Verstocken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, durch lange anhaltende Feuchtigkeit verderbt werden. Verstockte Wäsche. Das Leder verstockt von der Feuchtigkeit. Siehe Stocken.


Verstocken (W3) [Adelung]


2. Verstocken, verb. reg. act. zu einem Stocke oder unempfindlichen Klotze machen, doch nur in figürlichem Verstande. Ein Mensch ist verstockt, oder verstockt sich, wenn er gegen alle auf seine Besserung abzielende heilsame Mittel mit Vorsatz unempfindlich ist. Gegen alle Vorstellungen, Ermahnungen verstockt seyn. Ein verstocktes Herz haben. Uneigentlich heißt es in der Deutschen Bibel: Gott verstockt die Menschen, wenn er ihre Verstockung zulässet. So auch die Verstockung, besonders von dem Zustande der vorsetzlichen Unempfindlichkeit gegen alle heilsame Besserungsmittel, wofür auch wohl die Verstocktheit üblich ist. In einem jetzt veralteten Verstande heißt es noch bey dem Opitz: Zwar reden mag ich wohl Mit dir, wie mir geliebt, doch, wenn ich reden soll, So bin ich ganz verstockt; wo es im guten, wenigstens gleichgültigen Verstande für stumm, verstummt, zu stehen scheinet.


Verstohlen (W3) [Adelung]


Verstohlen, S. Verstehlen.


Verstöhren (W3) [Adelung]


Verstöhren, S. Verstören.


Verstollen (W3) [Adelung]


Verstollen, verb. reg. act. mit einem Stollen versehen, im Bergbaue. Ein verstolltes Gebirge. So auch die Verstollung.


Verstopfen (W3) [Adelung]


Verstopfen, verb. reg. act. mit einem davor gestopften Hindernisse verschließen, versperren. Eine Bouteille, eine Flasche verstopfen. Sich die Ohren mit Baumwolle verstopfen. Ingleichen in weiterer Bedeutung. Die Quelle eines Flusses verstopfen. Man ist verstopft, hat einen verstopften Leib, figürlich, wenn die Ausleerung des Unterleibes nicht so erfolgt, als nöthig ist. Harte Speisen verstopfen den Leib, machen verstopft. Im ähnlichen Verstande ist man verstopft, oder ist man in der Nase verstopft, wenn man durch selbige keine Luft einziehen kann. Eben so gebraucht man es von allen engen Öffnungen, wenn der freye Durchgang durch dieselben durch ein darin befindliches Hinderniß gehemmet wird. Eine verstopfte Röhre u. s. f. So auch die Verstopfung, auch von dem fehlerhaften Mangel des Stuhlganges. Mit Verstopfungen geplaget seyn.


Verstören (W3) [Adelung]


Verstören, verb. reg. act. 1. Aus einander stören, zerstreuen, in welcher Bedeutung es nur noch im gemeinen Leben üblich ist. Die verstörten Thiere werden dich schrecken, Hiob 2, 17; die durch Furcht aus einander getrieben, zerstreuet worden. Verstört aussehen, Schrecken, Furcht und Zerstörung durch Mienen und Kleidung verrathen. Geliebte, hört dieß Schreyn, (spricht sie vor Furcht verstört,) Zachar. Daher das Franz. etourdi. 2. In die Ferne stören, durch die Furcht, über einer unerlaubten Handlung betroffen zu werden, in die Ferne treiben; wo aber auch die vorige Bedeutung Statt finden kann. Die Diebe, die Räuber wurden verstöret, welches mehr ist, als das bloße gestört. 3. Durch gewaltsame und völlige Trennung des Zusammenhanges vernichten; in welchem Verstande es doch in der edlern Schreib- und Sprechart veraltet ist, wo dafür zerstören gebraucht wird. In der Deutschen Bibel kommen verstören, Verstörer und Verstörung, für zerstören, Zerstörer und Zerstörung noch häufiger vor, selbst in der sonst ungewöhnlichen Bedeutung der Vernichtung des Zusammenhanges thierischer Körper für umbringen, ausrotten, auftreiben u. s. f. So auch die Verstörung.


Verstoß (W3) [Adelung]


Der Verstoß, des -es, plur. der doch selten vorkommt, die Verstöße, von dem folgenden Zeitworte, doch nur in einigen Bedeutungen desselben. 1. Ein geringer Fehler, ein Versehen. Einen Verstoß in der Rechnung begehen, im Rechnen verstoßen. Ein Verstoß wider die gute Lebensart, ein Versehen, Fehler. 2. Uneinigkeit, Streit, Verdruß mit einem andern; nur in einigen Mundarten, von der Hochdeutschen gleichfalls veralteten R. A. sich verstoßen, sich veruneinigen. Verstoß mit jemanden bekommen. 3. Im gemeinen Leben sagt man auch, ein Pferd habe den Verstoß, oder bekomme den Verstoß, wenn es nicht fressen will, ohne daß man die Ursache davon weiß; wo es für Anstoß zu stehen scheinet.


Verstoßen (W3) [Adelung]


Verstoßen, verb. irreg. ( S. Stoßen,) welches in doppelter Gattung üblich ist. I. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben. 1. Fehl stoßen, doch nur im figürlichen Verstande, einen Fehler, ein Versehen begehen, wo man im ähnlichen Verstande auch wohl anstoßen sagt. Wider oder gegen die gute Lebensart, gegen die Regeln verstoßen. In einer Sache verstoßen. Ich habe gegen meine eigene Regeln verstoßen, Gottsch. Darin ich selbst verstoßen hatte, eben ders. Er hat häufig dagegen verstoßen, Less. Wo es auch wohl als ein Reciprocum gebraucht wird. Sich in etwas, in der Rechnung verstoßen. 2. Aufhören zu stoßen, bis zur Erschöpfung stoßen; wo man es nur von gährenden flüßigen Körpern gebraucht. Das Bier hat verstoßen, hat vergohren. Den Essig verstoßen lassen. S. Stoßen. II. Als ein Activum. 1. Aus seiner Lage stoßen, wo man doch nur im gemeinen Leben sagt, ein Pferd habe eine Ader verstoßen, wenn es sie durch einen Fehltritt verrückt hat. 2. In die Ferne von sich wegstoßen, doch nur in einigen Fällen. a. Aus Noth verkaufen, wird häufig verstoßen genannt. Sein Hausgeräth, seine Kleider, Wäsche, Bücher verstoßen. b. Figürlich verstößet man eine Person, wenn man ihr den bisherigen Schutz, die bisherige Liebe, und Versorgung auf eine gewaltsame Art entziehet, besonders wenn diese Entziehung mit einer Unterbrechung aller persönlichen Gemeinschaft verbunden ist. Ein Kind, seine Ehegattinn, einen Liebhaber verstoßen. Man verstößt einen Armen, wenn man ihm seinen Schutz, seinen Unterhalt entziehet. Ein Liebhaber, den du verstießest, Dusch. Zuweilen auch mit Bezeichnung des Ortes. Zur Hölle hat Gott die Engel, die gesündiget haben, verstoßen, 2 Petr. 2, 4. In ein dürres Land verstoßen, Joel 2, 10. Aber für die R. A. jemanden aus dem Rathe, aus oder von einem Amte verstoßen, gebraucht man lieber das einfachere stoßen. Daher die Verstoßung, welches Hauptwort doch in der letzten thätigen Bedeutung am üblichsten ist. In eben dieser Bedeutung kommt ferstozzen schon bey dem Ottfried und Notker vor.


Verstrafen (W3) [Adelung]


Verstrafen, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben üblich ist, Strafe für etwas erlegen. Bey den Handwerkern muß der angehende Meister jeden bey dem Meisterstücke begangenen Fehler verstrafen. Daher die Verstrafung.


Verstrecken (W3) [Adelung]


Verstrecken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur bey den Jägern üblich ist, wo ein Hirsch oder Rehbock verstrecket, wenn er ein neues Gehörn bekommt, welches auch aufsetzen, aufsproßen, verenden u. s. f. genannt wird.


Verstreichen (W3) [Adelung]


Verstreichen, verb. irreg. ( S. Streichen,) welches in doppelter Gestalt üblich ist. I. Als ein Activum. 1. Durch Streichen verbrauchen. Vieles Pflas=ter, vielen Lehm verstreichen. 2. Durch einen eingestrichenen Körper verstopfen, zustreichen. Die Ritzen, die Fugen verstreichen. Den Ofen verstreichen, die Ritzen in demselben. Ein Faß mit Pech verstreichen. II. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, in die Ferne streichen, d. i. schnell vorüber gehen, besonders von der Zeit und Zeitdauer. Die Zeit verstreicht geschwinde. Das Leben verstreicht zwischen Furcht und Hoffnung, ohne daß wir es genießen. So verstreicht dem Landmann der Morgen in schuldlosen Freuden, Zach. Daher das Verstreichen, doch nur in den thätigen Bedeutungen.


Verstreuen (W3) [Adelung]


Verstreuen, verb. reg. act. 1. Zum Streuen, oder als Streu, verbrauchen. Alles Stroh verstreuen, alles Stroh dem Vieh unterstreuen. Alle Gerste verstreuen, dem Federvieh als Futter vorstreuen. 2. Aus Versehen streuend verlieren, verthun. Viel Getreide verstreuen. Auch zuweilen überhaupt hin und her streuen. Wenn der blumige Lenz kaum von den Purpurgewölken Seine Rosen verstreut, Zachar. 3. In die Ferne und zugleich aus einander streuen, so wohl eigentlich als figürlich, in welchem Verstande es in der Deutschen Bibel mehrmahls vorkommt. Wie Spreu, die der Wind verstreuet, Ps. 1, 4. Er wird dich wieder versammeln aus allen Völkern, dahin er dich verstreuet hat, 5 Mos. 30, 3. Im Hochdeutschen ist dafür zerstreuen üblicher. So auch die Verstreuung in der zweyten und dritten und das Verstreuen in der ersten Bedeutung.


Verstricken (W3) [Adelung]


Verstricken, verb. reg. act. 1. In Fallstricke verwickeln. Ein verstrickter Waldochs, Es. 51, 20. Daß ihrer ihr sich daran stoßen, - verstrickt und gefangen werden, Es. 8, 15. Ingleichen figürlich, in einer bösen Sache auf das festeste verwickelt, und gleichsam mit Fallstricken gefesselt seyn. Der Gottlose ist verstrickt in dem Werk seiner Hände, Ps. 9, 17. Ein Böser, wenn er sündigt, verstrickt sich selbst, Sprich. 29, 6. In gefährliche Händel verstrickt seyn. Ich glaubte sicher zu seyn, daß ich mich nicht wieder in der Liebe verstricken würde. 2. Sich verstricken, sich fest verbinden überhaupt, jetzt nur noch zuweilen im nachtheiligen Verstande, für verschwören. Ehedem gebrauchte man es auch im guten, für verbinden, und da war Verstrickung auch so viel als Bündniß, Verbindung. 3. In den Gerichten einiger, besonders Oberdeutscher Gegenden, ist verstricken auch in Verhaft, gefangen nehmen, und Verstrickung, der Verhaft.


Verstrossen (W3) [Adelung]


Verstrossen, verb. reg. act. mit Strossen versehen, im Bergbaue, ( S. Strosse.) Einen Stollen, einen Schacht, ein Gesenk verstrossen.


Verstudieren (W3) [Adelung]


+ Verstudieren, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben üblich ist, durch oder mit Studieren verthun, verbrauchen. Sein Vermögen verstudieren. Seinen Verstand verstudieren, über unmäßiges Studieren seinen gesunden Verstand verlieren.


Verstufen (W3) [Adelung]


Verstufen, verb. reg. act. im Bergbaue, mit Stufen, d. i. in das Gestein gehauenen Zeichen, versehen. Einen Ort verstufen.


Verstümmeln (W3) [Adelung]


Verstümmeln, verb. reg. act. durch gewaltsame Beraubung eines nothwendigen Theiles ungestalt machen. Man verstümmelt einen Menschen, wenn man ihm die Nase oder Ohren, einen Fuß, eine Hand u. s. f. abhauet oder abschneidet. Eine verstümmelte Bildsäule. An Nasen und Ohren verstümmeln. So auch von andern körperlichen Dingen. Einen Baum verstümmeln. Ingleichen die Wörter, eine Rede verstümmeln, sie gewisser nothwendiger Theile berauben. Eine Stelle verstümmelt anführen, fehlerhaft verkürzt. So auch die Verstümmelung. Im gemeinen Leben einiger Gegenden verstümpeln, welches auch Sir. 35, 14 vorkommt; verstümpele deine Gabe nicht, brich im Geben nicht zu viel ab, gib nicht zu wenig; wo aber die Figur ungewöhnlich ist.


Verstummen (W3) [Adelung]


Verstummen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn, erfordert, stumm werden. Ingleichen figürlich, plötzlich aufhören zu reden. Er aber, der kein hochzeitliches Kleid anhatte, verstummete, Matth. 22, 12. Verstummen müssen falsche Mäuler, Ps. 31, 19. Schweig, Meer, und verstumme Marc. 4, 39. Daher das Verstummen. Bey dem Notker und im Tatian irstummen, arstummen, erstummen.


Verstürzen (W3) [Adelung]


Verstürzen, verb. reg. act. durch ein dahin gestürztes Hinderniß verstopfen, oder auch verbergen, unkenntlich machen; besonders im Bergbaue. Einen Schacht verstürzen, durch hinein gestürzten Schutt ausfüllen. Einen Gang verstürzen, durch davor gestürzte Erde oder Steine verbergen. So auch die Verstürzung.


Verstürzen (W3) [Adelung]


2. * Verstürzen, verb. reg. act. bestürzt machen, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort, von welchem das eben so ungewöhnliche Mittelwort verstürzt für bestürzt mehrmahls in der Deutschen Bibel vorkommt.


Verstutzen (W3) [Adelung]


Verstutzen, verb. reg. act. Durch Abnehmung am Ende gleichsam zu einem Sturz oder kurzen Dinge machen, wie abstutzen. Die Haare verstutzen, so am Ende verschneiden, daß nur ein kurzer Theil davon übrig bleibe. Einem Pferde die Ohren verstutzen. Paris hat ihren Kopf nach neuer Art verstutzt, Zachar. Daher das Verstutzen.


Versuch (W3) [Adelung]


Der Versuch, des -es, plur. die -e, von dem folgenden Zeitworte, doch nur in Einer Bedeutung desselben, eine Handlung, welche man unternimmt, die Möglichkeit oder das Verhältniß einer Sache zu erfahren, wodurch sich der Versuch von der Erfahrung und Beobachtung unterscheidet. Einen Versuch machen. Einen Versuch mit jemanden, mit einer Sache machen. Wenn ein solcher Versuch verschiedene Anstalten oder Vorbereitungen erfordert, so sagt man, einen Versuch anstellen. Einen Versuch machen (versuchen), ob man die nöthigen Kräfte zu etwas habe. Es kommt auf einen Versuch an. Physikalische Versuche, welche auch Experimente genannt werden. Bey diesen nimmt man gewisse Veränderungen mit den Körpern vor, um zu sehen, wie sie sich alsdann verhalten; die Beobachtung hingegen ist bloß auf die aufmerksame Empfindung der Erscheinungen an den Körpern in ihrem natürlichen Zustande. Daher die Versuchkunst, die Kunst, physikalische Versuche anzustellen. Kero übersetzte das Lat. Experimentum noch durch Findunga. Im Niederdeutschen ist Versök auch eine freundschaftliche Bitte, das Ersuchen, Gesuch.


Versuchen (W3) [Adelung]


Versuchen, verb. reg. act. 1. * Bitten, eine veraltete Bedeutung, in welcher jetzt ersuchen üblich ist. Bey dem Ottfried firsuachen, und noch im Niederdeutschen versöcken, wie Versöck auch die Bitte ist. 2. * Besuchen, eine gleichfalls veraltete Bedeutung, welche ehedem, besonders im Niederdeutschen, üblich war, dagegen wurde besuochen bey den ältesten Oberdeutschen Schriftstellern häufig für versuchen in den folgenden Bedeutungen gebraucht. 3. Durch eine in einem Dinge verursachte Veränderung die Eigenschaft und Grade der Kraft desselben zu entdecken suchen. (1) Im weitesten Verstande, wo es ehedem häufig für prüfen, probieren, auf die Probe stellen, zuweilen auch für untersuchen gebraucht wurde. Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben seyd, 2 Cor. 13, 5. prüfet, untersuchet. Dieselbigen lasse man zuvor versuchen, 1 Tim. 3, 10; prüfen. Und so in andern Stellen mehr. In einigen Oberdeutschen Gegenden wird der Münz-Probierer oder Münzwardein noch der Versucher genannt. Doch in dieser ganzen weitern Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet. In der Deutschen Bibel und in der theologischen Schreibart wird es noch in einigen engern Einschränkungen gebraucht, welche aber außer derselben gleichfalls veraltet ist. Man versucht Gott, wenn man von bekannten Eigenschaften und Versicherungen desselben neue Beweise verlangt, ihn auf eine ungebührliche Art auf die Probe stellen will. Gott versucht den Menschen, wenn er ihn in Umstände versetzt, worin seine Beschaffenheit entdeckt wird. Der Teufel versucht den Menschen, wenn er ihm Gelegenheit und Reitzung zur Sünde gibt, besonders wenn er ihn durch Scheingründe zur Sünde zu reitzen sucht. S. Versucher und Versuchung. (2) In einigen noch üblichen engern Bedeutungen. a) Die Beschaffenheit eines Körpers durch den Geschmack zu erkennen suchen, wie kosten. Einen Wein versuchen. Die Speisen versuchen. Jemanden etwas zu versuchen geben. Daher das Versuchen. b) Durch eine veranstaltete Veränderung die Möglichkeit oder den Grad der Kraft eines Dinges zu erfahren suchen; einen Versuch machen. Ich will versuchen, ob ich es heben kann, ob ich der Sache gewachsen bin. Mein Herz ist gepreßt, ich will versuchen, ob ich ihm Luft machen kann. Es gehet nicht an, ich habe es schon versucht. Es mit einem Bedienten versuchen, zu erfahren suchen, ob man ihn gebrauchen könne. Sein Glück in der Welt versuchen. Versuche nur dein Heil, dein Glück. Daher sagt man noch figürlich in der reciproken Gestalt, er hat sich etwas versucht, er hat sich in der Welt was versucht, wenn jemand viel in der Welt erfahren hat, besonders, wenn er weit gereiset ist. In einem etwas andern Verstande sind versuchte Soldaten, welche schon viel im Kriege versucht, d. i. erfahren haben, wo das Mittelwort der vergangenen Zeit nach dem Vorgange so vieler anderer eine thätige Bedeutung hat. In der engsten physischen Bedeutung, die Körper durch Hülfe der Kunst zu gewissen Wirkungen nöthigen, ihr Verhältniß dadurch zu erfahren, gebraucht man lieber die R. A. einen Versuch machen oder anstellen, als das Zeitwort versuchen. Daher das Hauptwort die Versuchung. S. solches hernach besonders.

Anm. In dem alten Fragmente auf Kaiser Carln den Großen bey dem Schilter versuochen, dagegen andere alte Schriftsteller in der dritten Hauptbedeutung dafür besuochen und irsuachen gebrauchen.


Versucher (W3) [Adelung]


Der Versucher, des -s, plur. ut nom. sing. eine Person, welche ein Ding versucht, doch nur in der Deutschen Bibel in dem engern dritten theologischen Verstande, wo der Teufel mehrmahls der Versucher genannt wird, so fern er die Menschen versucht, d. i. zur Sünde zu reitzen sucht. Bey dem Notker Besuochar.


Versuchung (W3) [Adelung]


Die Versuchung, plur. die -en, von dem Zeitworte versuchen, doch nur allein in dem ersten Falle der dritten Hauptbedeutung, wo es 1 im theologischen Verstande, besonders in der Deutschen Bibel, jede veranstaltete Veränderung ist, die Beschaffenheit und Kraft eines Dinges zu erforschen, wie Prüfung. In der engsten Bedeutung ist die Versuchung daselbst eine Reitzung zum Bösen, besonders durch Scheingründe. Daher 2. in der weitesten Bedeutung oft eine jede Reitzung auch außer der theologischen Schreibart eine Versuchung genannt wird. Ich komme, gerathe in Versuchung, die Sache zu unternehmen. Wenn du wüßtest, was für Versuchungen ich überwinden müssen. Ich bin zuweilen in Versuchung gewesen, an der Wahrheit der Sache zu zweifeln. Führen sie ihn nicht in Versuchung, geben sie ihm keine Reitzung dazu. Bey dem Notker irsouchunga, und Ursoch.


Versudeln (W3) [Adelung]


Versudeln, verb. reg. act. 1. Durchaus sudelich machen, besudeln; im gemeinen Leben. 2. Durch Sudeln oder unreinliche Arbeit verbrauchen, ingleichen dadurch verderben. So auch die Versudelung.


Versühnen (W3) [Adelung]


Versühnen, S. Versöhnen.


Versündigen (W3) [Adelung]


Versündigen, verb. reg. act. sündig machen, doch nur als ein Reciprocum, sich versündigen, eine Sünde begehen, eine Sünde auf sich laden. Jerusalem hat sich versündiget, Klagel. 1, 8. Der Gegenstand, welcher durch die Sünde beleidiget wird, bekommt das Vorwort an. Sich an Gott, an seinem Nächsten versündigen. Sich an einem Todten, an unschuldigem Blute versündigen, in der Deutschen Bibel. Ehedem nur sich versünden, welches noch bey den Schwäbischen Dichtern vorkommt. Daher die Versündigung, welches auch von der Sünde oder einer sündlichen Handlung selbst gebraucht wird.


Versüßen (W3) [Adelung]


Versüßen, verb. reg. act. 1. Süß machen, doch nur noch figürlich, das Unangenehme einer Sache durch etwas Angenehmes mildern. Das versüßet mir mein Elend, den Abschied, meinen Schmerz u. s. f. In der Chymie gebrauchte man es ehedem in mehr eigentlichen Verstande für das jetzt üblichere absüßen, die Schärfe der mineralischen Säuren mit Wasser oder einem andern flüssigen Körper wegnehmen. 2. Allzu süß machen, und dadurch gleichsam verderben, wie versalzen. Den Kaffeh, den Wein versüßen. Daher die Versüßung. Nieders. versöten, bey dem Ottfried in der ersten Bedeutung nur suazen.


Vertagen (W3) [Adelung]


Vertagen, verb. reg. act. welches im Hochdeutschen veraltet, und nur noch in einigen Provinzen üblich ist. Auf einen gewissen Tag bestimmen oder verlegen. Durch solches ward der Kampf vertagt, Theuerd. Kap. 77. 2. Den bestimmten Tag, oder Termin versäumen, und hernach versäumen überhaupt.


Vertändeln (W3) [Adelung]


Vertändeln, verb. reg. act. 1. Im Tändeln oder durch Tändeley verlieren. Ich habe es vertändelt. Ingleichen auf eine unnütze Art verthun. Viel Geld vertändeln. 2. Mit Tändeln zubringen. Die Zeit vertändeln. 3. Über das Tändeln versäumen. Die Mahlzeit vertändeln. 4. Sich vertändeln, sich auf eine leichtsinnige und unbedachtsame Art zur Ehe versprechen; im gemeinen Leben auch sich verplämpern. Die Niedersachsen gebrauchen in den meisten Bedeutungen dafür ihr verquackeln.


Vertanzen (W3) [Adelung]


Vertanzen, verb. reg. act. sich durch Tanzen um etwas bringen. Sein Geld, die Zeit, sein Vermögen vertanzen. Eine Krankheit vertanzen. Die Mahlzeit vertanzen, über dem Tanzen versäumen.


Vertauschen (W3) [Adelung]


Vertauschen, verb. reg. act. durch Tausch in eines andern Besitz bringen. Waaren vertauschen. Eine Provinz gegen die andere vertauschen. In noch weiterer Bedeutung, ein Wort mit dem andern vertauschen, ein Wort für das andere setzen. So auch die Vertauschung.


Verteufelt (W3) [Adelung]


Verteufelt, -er, -ste, adj. et adv. welches oft für teufelisch gebraucht wird. Ein verteufelter Mensch. Eine verteufelte Lüge. Noch häufiger ist es in der Sprache des großen Haufens für im hohen Grade listig, verschlagen, arg u. s. f. da es denn auch wohl gar als eine Intension vor andere Beywörter gesetzt wird. Verteufelt groß, stark, tapfer, schön u. s. f. für sehr. Es stehet noch verteufelt windig damit aus. Sie besitzen in der That einen verteufelten (sehr großen) Stolz. Es ist ihm verteufelt bange. Es ist, wie verhenkert und andere ähnliche, entweder nur nach Art der Mittelwörter gebildet, oder es stammet auch von einem veralteten Zeitworte verteufeln her. Im Nieders. ist verdüveln noch üblich, wo es aber eine entferntere Bedeutung hat, d. i. durch Fluchen, mit mehrmahliger Nennung des Teufels verneinen, läugnen.


Verteutschen (W3) [Adelung]


Verteutschen, S. Verdeutschen.


Vertheidigen (W3) [Adelung]


Vertheidigen, verb. reg. act. 1. Die Unschuld, Rechtmäßigkeit oder Wahrheit einer Person oder Sache durch Worte beweisen, beweisen, daß eine Person unschuldig, eine Sache wahr oder rechtmäßig sey; wo es ursprünglich von solchen Vertheidigungen vor Gericht gebraucht, nachmahls aber auf alle außergerichtliche Handlungen dieser Art ausgedehnet wurde. Sich vor Gericht vertheidigen. Sich gegen eine Verleumdung, eine Beschuldigung vertheidigen. Seinen Freund bey jemanden vertheidigen. Jemandes Unschuld vertheidigen. Vertheidige die Wahrheit bis in den Tod, Sir. 4, 13. Einen Satz vertheidigen, dessen Wahrheit wider die gegenseitige Beschuldigung beweisen. 2. Einen Angriff durch körperliche Gegenwehr von etwas abzuwenden su- chen. Sich vertheidigen, sich wehren. Die Besatzung hat sich, hat die Festung sehr tapfer vertheidiget. Sich auf das äußerste vertheidigen. Der Heer wird die Gerechten mit seinem Arm vertheidigen, Weish. 5, 17. So auch die Vertheidigung, die Vertheidigungsrede, in der ersten, der Vertheidigungsstand in der zweyten Bedeutung. Die Festung ist in dem besten Vertheidigungsstande.

Anm. Im Nieders. verdegedingen, und zusammen gezogen verdedigen, verdegen, degen. Bey dem Worte Theidigung ist schon bemerket worden, daß die zweyte Hälfte dieser Zusammensetzung allem Ansehen nach aus tagedingen zusammen gezogen worden; man müßte denn erweislich machen können, daß es nur in der ersten Bedeutung von Tageding abstamme, in der zweyten aber von einem andern Stamme, z. B. von That, thätig, oder auch von dem alten degen, tapfer, hergeleitet werden müsse. Im Oberdeutschen schreibt und spricht man verthädigen, vertädigen, welches sich vertheidigen lässet, aber wider die Hochdeutsche Aussprache ist. Siehe Theidigung und die daselbst angeführten Schriften.


Vertheilen (W3) [Adelung]


Vertheilen, verb. reg. act. theilweise an andere übertragen, unter andere austheilen. Eine Summe Geldes vertheilen. Holz, Getreide unter die Armen vertheilen. Eine Arbeit unter die Mitarbeiter vertheilen. Die Gegenstände, die Lichter gehörig vertheilen, in der Mahlerey, die Gegenstände in einem Gemählde mit ihren Lichtern und Schatten gehörig anordnen. So auch die Vertheilung.


Vertheuern (W3) [Adelung]


Vertheuern, verb. reg. act. theurer machen, Ursache seyn, daß der Preis einer Waare steiget. Mißwachs vertheuert das Getreide. Der starke Abzug der Waare vertheuert sie.


Verthulich (W3) [Adelung]


Verthulich, -er, -ste, adj. et adv. welches nur in der vertraulichen Sprechart üblich ist, geneigt, vieles ohne Noth zu verthun, in den niedrigen Sprecharten auch wohl verthulsch und verthuerisch, Nieders. verdonern. Ein verthulicher Mensch. Verthulich seyn. Ein höherer Grad heißt verschwenderisch. So auch die Verthulichkeit.


Verthun (W3) [Adelung]


Verthun, verb. irreg. act. ( S. Thun.) 1. * Verderben, ingleichen unglücklich machen, eine alte Bedeutung. Das du den Sunder niht vertuost, Winsbeck. Im Angels, forduon. Im Hochdeutschen ist es veraltet, außer daß es noch in einigen Provinzen, z. B. in Meißen, gehöret wird. Kommst du mir noch mit dem dummen Bauer Kerl? Du weißt ja, daß er so gut als verthan ist, Weiße, so gut als verloren. 2. Ohne Noth und auf eine unnütze Art verwenden, wo es einen etwas geringern Grad als verschwenden bedeutet. Viel Geld verthun, durchbringen. Sein Vermögen verthun. Große Summen mit Bauen verthun. Es verthut jemand viel, wenn er viel Geld ohne Noth ausgibt. ( S. Verthulich.) 3. Im weitesten Verstande und am häufigsten im gemeinen Leben, verbrauchen überhaupt. Der Kramer hat mehr Waare, als er verthun (absetzen) kann. Die Maurer haben allen Kalk, die Zimmerleute alles Holz verthan, verarbeitet. Besonders von dem Gelde. Viel Geld verthun, ausgeben, ohne zu bestimmen, ob es auf eine unnütze oder nützliche Art geschehe.


Vertical (W3) [Adelung]


Vertical, adj. et adv. welches aus dem Latein. verticalis entlehnet ist, scheitelrecht, so wie perpendicular durch senkrecht gegeben wird. Einen Mörser vertical richten. Daher die Vertical-Fläche, welche auf der horizontalen Fläche senkrecht stehet; die Vertical-Uhr, eine Sonnenuhr auf einer verticalen Fläche; Vertical-Winkel, wo die Schenkel des einen mit dem andern in einem Zuge fortgehen, und welche entstehen, wenn zwey Linien einander durchschneiden; der Vertical-Zirkel, in der Astronomie, ein Zirkel, welcher durch das Zenith und Nadir und einen gegebenen Punct auf der Fläche der Weltkugel gezogen wird, mit einem Arabischen Nahmen, das Azimuth.


Vertiefen (W3) [Adelung]


Vertiefen, verb. reg. act. 1. Tief oder tiefer machen. Einen Graben vertiefen. Einen Hafen vertiefen. Vertiefte Figuren, bey den Metallarbeitern, im Gegensatze der erhabenen. Daher die Vertiefung, auch ein tiefer gemachter Ort, eine vertiefte Stelle. Die Vertiefung in einem Flusse. Bey den Mahlern werden die dunkeln Stellen ohne Widerschein, besonders in den Falten eines Gewandes, Vertiefungen genannt. Bey den Gürtlern ist der Vertiefstämpel, ein Stämpel, die mit dem Haustämpel ausgehauenen Scheiben zu den Knöpfen zu vertiefen, oder hohl zu schlagen. 2. In die Tiefe senken, wo es doch nur in verschiedenen figürlichen Bedeutungen üblich ist. Man vertiefet sich in etwas, wenn man sich so weit darin einlässet, daß man nicht leicht wieder daraus zurück gebracht werden kann. In Betrachtungen vertieft seyn. Sich im Nachdenken über etwas vertiefen. Er war über seiner Arbeit so vertieft, oder hatte sich in seine Arbeit so vertieft, daß er mich nicht kommen hörte. In Sünden, in Schulden vertieft seyn. Wo es doch nur selten als ein Beywort gebraucht wird. In sunden ein vertiefet man, Winsbeck. Bey dem Opitz vertäuft. So auch die Vertiefung.


Vertilgen (W3) [Adelung]


Vertilgen, verb. reg. act. aus der Reihe der Dinge tilgen, so daß ver eine Destruction bedeutet, für das veraltete austilgen. Frühe vertilge ich alle Gottlosen im Lande, Ps. 101, 8. Ich vertilge deine Missethat wie eine Wolke, Es. 44, 22. Palläste, falsche Götter, Königreiche u. s. f. vertilgen, in der Deutschen Bibel. Es ist in diesem weitern Verstande nur noch in der edlern und höhern Schreibart gangbar. Sie müssen noch viele schöne Thaten thun, wenn sie dieß Gewebe von unedlen vertilgen wollen. In der Sprache des gesellschaftlichen Lebens kommt es nur noch in einigen einzelnen Fällen vor, besonders von dem Unkraute und Ungeziefer, für ausrotten. Das Unkraut will sich nicht vertilgen lassen. Die Mäuse, das Ungeziefer vertilgen. Zuweilen sagt man auch, eine Handschrift, eine Schuldverschreibung vertilgen, sie zerreißen oder verbrennen. So auch die Vertilgung. Schon bey dem Notker fertiligen, Nieders. verdelgen, Angels. fordiligan, bey dem Ottfried aber ohne die intensive Endung firdilon, im Isidor ardilen, eigentlich vertheilen, S. Tilgen.


Vertrackt (W3) [Adelung]


Vertrackt, -er, -este, adj. et adv. welches im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart sehr häufig ist, und so wie verzweifelt gebraucht wird, d. i. im hohen Grade verworren, seltsam arg. Das ist doch vertrackt! verzweifelt seltsam. Er fängt vertrackte Sachen an. Ein vertrackter Mensch. Ey, vertrackt, wenn ich nur erst wieder heraus wäre! Less. So stäupt, so züchtigt mir den geilen Midas-Sohn, Bis sein vertracktes Fell die späte Reu empfindet, Günth. Es scheint von dem Nieders. vertrecken, in einigen Gegenden vertracken, verziehen, verzerren, abzustammen, und daher eigentlich verzerrt, seltsam, abenteuerlich zu bezeichnen.


Vertrag (W3) [Adelung]


Der Vertrag, des -es, plur. die -träge, von dem folgenden Zeitworte, doch nur in Einer Bedeutung, eine gegenseitige Bewilligung einer Zusage, ein Versprechen mit einem Gegenversprechen, zu bezeichnen, besonders eine feyerliche Verabredung einer solchen Bewilligung; im gemeinen Leben, ein Contract, in manchen Fällen auch der Vergleich. Einen Vertrag machen schließen. Das ist wider unsern Vertrag. Einen Vertrag mit jemanden treffen. Der Friedensvertrag, Bundesvertrag, Schutzvertrag, Gränzvertrag u. s. f. Bey einem Vergleiche wird gemeiniglich vorausgesetzt, daß der Gegenstand der gegenseitigen Zusage vorher streitig gewesen, welches Vertrag unentschieden lässet. Das Bündniß ist noch eine andere Art des Vertrages. Nieders. Verdracht, Vordracht.


Vertragen (W3) [Adelung]


Vertragen, verb. irreg. act. ( S. Tragen,) welches nach Maßgebung beyder Theile der Zusammensetzung in verschiedener Bedeutung vorkommt. 1. Durch Tragen verbrauchen, doch nur von Kleidungsstücken. Ich will das Kleid noch vollends vertragen. Vertragene Lumpen, Jer. 38, 11, 12, wofür man jetzt lieber sagt, abgetragene. 2. An einen ungehörigen, oder auch unbekannten Ort tragen. Ich habe es vertragen, habe es wohin getragen, und weiß nicht mehr wohin. Die Dohlen pflegen gern das Geld zu vertragen. Die Katzen vertragen ihre Jungen. Jemanden das Geld vertragen, zu seinem Nachtheile bey einem andern kaufen. 3. Einem Eindrucke von außen, besonders einem unangenehmen Eindrucke, ohne Beschwerde widerstehen; im gemeinen Leben für das anständigere ertragen. Hitze und Kälte vertragen können. Die Schmerzen sind nicht mehr zu vertragen. Die Eulen können das Licht nicht vertragen. Vertraget gern die Narren, dieweil ihr klug seyd, 2 Cor. 11, 19. Aber, vertraget mich, daß ich auch rede, Hiob 21, 3, ist ungewöhnlich. Schon bey dem Kero "fartragan", bey dem Ottfried "firdragen", im Schwed. fördraga, im Angels. nur dreogan, Ver stehet für das edlere er. 4. So daß ver eine Verbindung, Vereinigung bezeichnet. (1) Streitige oder feindselige Personen einig, eigentlich einträchtig machen; in der edlern Schreibart versöhnen. Zwey Personen vertragen. Cajus hat die beyden feindseligen Brüder mit einander vertragen. Das hat mich wieder mit ihm vertragen. Ingleichen als ein Reciprocum, sich mit jemanden vertragen, sich mit ihm aussöhnen oder versohnen, den gegenseitigen Unwillen fahren lassen. Vertragen ist hier der Gegensatz von dem veralteten zertragen. Da zertrügen sie sich, sie wurden uneins, in dem Deutschen Livius von 1514. In weiterm Verstande, auch eine streitige Sache gütlich beylegen, einen Streit vertragen; ehedem auch austragen. ( S. Austrag.) Und in noch weiterer Bedeutung, eine gegenseitige Zusage, ein Versprechen und Gegenversprechen geben, auch ohne vorher gegangenen Streit: wir haben es so mit einander vertragen, verglichen, verabredet. In beyden Bedeutungen ist es im Hochdeutschen wenig mehr üblich, in der letztern sagt man lieber, einen Vertrag machen, welches Hauptwort noch davon üblich ist. (2) Sich mit jemanden vertragen, zeigt die Art und Weise an, wie man im gesellschaftlichen Leben sich gegen den andern beträget, da denn die Art und Weise gemeiniglich mit bemerket wird. Sich gut mit einander vertragen, friedlich mit einander leben. Sich schlecht mit ihm vertragen, unfriedlich mit ihm leben. Sie konnten sich niemahls vertragen, nähmlich gut. Thorheit und Weisheit vertragen sich nicht mit einander. Wir haben uns wie die Kinder vertragen, Gell. Es ist nach dem Latein. comportare gebildet, eigentlich zugleich tragen, einträchtig seyn. In den beyden ersten Bedeutungen ist das Hauptwort das Vertragen üblich; in Einem Falle der vierten der Vertrag. Die Vertragung ist nicht eingeführet.


Verträglich (W3) [Adelung]


Verträglich, -er, -ste, adj. et adv. 1. Von vertragen 4 (1) geneigt und Fertigkeit besitzend, sich mit einem andern zu vertragen, d. i. allen Unwillen über dessen Beleidigungen fahren zu lassen; wofür doch versöhnlich üblicher ist. 2. Von vertragen 4 (2) geneigt und Fertigkeit besitzend, sich mit andern leicht zu vertragen, friedlich mit ihnen zu leben, d. i. mit ihrem Begehren und Urtheilen überein zu kommen, oder alle von ihnen verursachte Beschwerden zu tragen, und darin gegründet; wofür auch das folgende vertragsam üblich ist. Verträglich seyn. Ein verträgliches Gemüth. So auch die Verträglichkeit.


Vertragsam (W3) [Adelung]


Vertragsam, -er, -ste, adj. et adv. welches in der letzten Bedeutung des vorigen Wortes üblich ist, von einigen auch in der ersten Bedeutung gebraucht wird. Vertragsam seyn. So auch die Vertragsamkeit.


Vertranksteuern (W3) [Adelung]


Vertranksteuern, verb. reg. act. die Tranksteuer von etwas geben. Den Wein, das Bier vertranksteuern.


Vertrauen (W3) [Adelung]


Vertrauen, verb. reg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, seine Wohlfahrt zuversichtlich von dem andern erwarten, wo es auf doppelte Art gebraucht wird. So wohl mit der dritten Endung der Person oder Sache, von welcher man seine Wohlfahrt oder ein Gutes überhaupt erwartet. Einem vertrauen. Gott vertrauen, dem Herrn vertrauen, sehr oft in der Deutschen Bibel. Du Heiland derer, die dir vertrauen, Ps. 17, 7. Vertraue unter tausenden kaum einem, Weish. 6, 6. Vertraue keinem Freunde; du habest ihn denn erkannt in der Noth, V. 7. Da es denn oft auch für das einfache trauen gebraucht wurde, jemandes Versicherungen für wahr halten. Als auch mit dem Vorworte auf. Auf Gott, auf den Herren vertrauen, in der Deutschen Bibel. Ihr Fels, darauf sie vertrauen, 5 Mos. 32, 37. Aufs eitle vertrauen, Es. 59, 4. Und so in andern Stellen mehr. Ehedem auch nur trauen. In beyden Fällen ist es in den gemeinen Sprecharten veraltet, wo man dafür lieber durch eine Umschreibung sagt, sein Vertrauen auf etwas setzen. S. auch vertraut. 2. Als ein Neutrum. (1) Ein Ding dem andern mit zuversichtlicher Erwartung der Sicherheit desselben, übertragen, mit der vierten Endung der Sache, und der dritten der Person; eine Fortsetzung der vorigen Bedeutung. Einem etwas vertrauen. Die Menschen vertrauen ihr Leben geringem Holz, dem Schiffe, Weish. 14, 5. Dem der König viel vertrauete, 1 Macc. 7, 8. Jemanden sein Vermögen, seine Sicherheit vertrauen. Sich jemanden vertrauen, seine Person, seine Sicherheit, seine Wohlfahrt u. s. f. in dessen Gewalt geben. So vertraut sich ein Kranker dem Arzte. In engerer Bedeutung vertrauet man jemanden etwas, wenn es ihm in zuversichtlicher Erwartung seiner Verschwiegenheit, oder seiner Unfähigkeit eines üblen Gebrauches, entdeckt wird; im Vertrauen sagen. Jemanden ein Geheimniß vertrauen. Vertraue du ihnen nichts, wenn sie gleich freundlich mit dir reden, Jer. 12, 6. Vertrauen sie mirs doch, Gell. Ich möchte ihnen gern ein Paar Worte vertrauen, eben ders. So auch, als ein Reciprocum: sich jemanden vertrauen, sich ihm entdecken, ihm sein Anliegen offenbaren. In dieser ganzen Bedeutung ist in der Sprache des gesellschaftlichen Lebens auch anvertrauen üblich, wo das Vorwort an die Bedeutung verstärken soll. (2) Verloben, zur Ehe versprechen. Eine Magd seinem Sohne vertrauen, 2 Mos. 21, 9. Eine Jungfrau, die noch nicht vertrauet ist, Kap. 22, 16. Ich will euch mir vertrauen, Jer. 3, 14. Ich habe mich vertrauet einem Manne, 2 Cor. 11, 2. Ingleichen mit dem Vorworte mit. Ich will mich mit dir vertrauen, Hof. 2, 19. Im Hochdeutschen ist diese Bedeutung ungewöhnlich, aber nicht im Niederdeutschen, woher Luther sie vermuthlich entlehnet hat. S. Trauen in der Bedeutung der ehelichen Verbindung. Schon bey dem Notker in dem Neutro und der ersten thätigen Bedeutung vertrouen.


Vertrauen (W3) [Adelung]


Das Vertrauen, des -s, plur. car. nicht so wohl die Handlung des Vertrauens, in welcher Bedeutung dieses Wort indessen auch nicht selten ist, als vielmehr die feste Erwartung eines Guten von jemanden, und im engern Verstande, seiner Sicherheit, seiner Wohlfahrt, wo dieses Wort einen höhern Grad der Erwartung bezeichnet, als Hoffnung, aber einen schwächern, als Zuversicht. Wo ist dein Vertrauen? Tob. 2, 15. Ich habe oder hege das Vertrauen, daß du es nicht thun wirst. Sein Vertrauen auf jemanden haben oder stellen, zwey veraltete biblische R. A. wofür man jetzt sagt, sein Vertrauen auf eine Person oder Sache setzen. Aber, kein Vertrauen zu jemanden haben, ist in weiterm Verstande, keine Neigung haben, ihm zu trauen, seinen Worten oder Versprechungen Glauben beymessen. So auch, Vertrauen zu Gott haben, die Erfüllung seiner Zusagen von ihm erwarten. Ich will dir ein Wort im Vertrauen sagen, in Erwartung deiner Verschwiegenheit, oder Abneigung, einen übeln Gebrauch davon zu machen. Allein im Vertrauen! (nähmlich, sey das gesagt,) er ist es nicht werth.


Vertraulich (W3) [Adelung]


Vertraulich, -er, -ste, adj. et adv. sein Vertrauen zu jemandes Liebe, Freundschaft oder Verschwiegenheit ohne Zurückhaltung thätig erweisend, und darin gegründet, so daß die Vertraulichkeit eine Wirkung des Vertrauens Einer Art ist, und sich so wohl auf eine rechtmäßige und erlaubte, als auch auf eine verwerfliche Art äußern kann. Vertraulich mit jemanden umgehen. Vertraulich seyn. Ein vertrauliches Gespräch. Jemanden vertraulich fragen, im Vertrauen. Eine vertrauliche Bitte. Figürlich bey den neuern Dichtern. Wenn du Unter dem schattigen Dach vertraulicher Linden und Ulmen Dich begeistert gefühlt, Zachar. Aber in vertrauliche Thränen, ein vertraulicher Gram u. s. f. ist die Figur zu hart, und der Sinn dunkel. Siehe auch Vertraut.


Vertraulichkeit (W3) [Adelung]


Die Vertraulichkeit, plur. die -en. 1. Die Eigenschaft, da man vertraulich ist, die thätige Erweisung seines Vertrauens zu jemandes Liebe und Wohlwollen ohne Zurückhaltung; ohne Plural. 2. Eine darin gegründete Handlung, mit dem Plural. Sich allerley Vertraulichkeiten gegen jemanden erlauben.


Verträumen (W3) [Adelung]


Verträumen, verb. reg. act. mit Träumen, ingleichen figürlich mit träger Unthätigkeit zubringen. Die Zeit verträumen. Sein einsames Leben mürrisch verträumen. Ingleichen auf eine solche Art verscherzen, sich dadurch verlustig machen. Die Mahlzeit verträumen. Sein Glück verträumen. Daher das Verträumen.


Vertraut (W3) [Adelung]


Vertraut, -er, -este, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort des Zeitwortes vertrauen ist, aber doch als ein eigenes Bey- und Nebenwort gebraucht wird. 1. Im thätigen Verstande, sein Vertrauen gegen einen andern ohne Zurückhaltung äußernd, wo es für vertraulich, doch nur als ein Nebenwort, üblich ist. Er thut sehr vertraut gegen mich. 2. Im passiven Verstande, des Vertrauens eines andern theilhaftig, und darin gegründet, doch nur im engern Verstande des Wortes Vertrauen, der Heimlichkeiten eines andern theilhaftig. Ein vertrauter Freund, gegen welchen man nichts geheim hält. Vertraut mit jemanden umgehen. Eine vertraute Freundschaft. Eine vertraute Person schicken, der man seine Heimlichkeiten mit Sicherheit vertrauen könne. Vertraut mit jemanden sprechen. 3. Von der zweyten Bedeutung des Activi vertrauen, ist eine vertraute Person, oder eine Vertraute, ein Vertrauter, in der höhern Schreibart zuweilen eine Verlobte, ein Verlobter.


Vertreiben (W3) [Adelung]


Vertreiben, verb. irreg. act. ( S. Treiben,) in die Ferne treiben. 1. Im eigentlichen und weitern Verstande, durch gewaltsame Mittel aus dem Bezirke seiner Empfindungen entfernen. Den Feind, die Diebe, die Räuber vertreiben. Um der Religion Willen vertrieben werden. Jemanden von Haus und Hof vertreiben. Die Sonne vertreibt den Nebel, der Wind den Regen. Sich die Grillen vertreiben. Eine Krankheit, das Fieber, die Schmerzen vertreiben. So muß man des Todes Bitterkeit vertreiben, 1 Sam. 15, 32. Jemanden die Zeit ver- treiben, in noch weiterer Bedeutung, ihm den Fortgang der Zeit unmerklich machen. Sich die Zeit mit Spielen, mit Lesen, mit Spazierengehen u. s. f. vertreiben. ( S. Zeitvertreib.) 2. In einigen engern figürlichen Bedeutungen. (1) Waaren vertreiben, absetzen, unter die Leute bringen. Ein Kaufmann vertreibt nicht viel, wenn er nicht viel absetzt. ( S. Vertrieb.) (2) Bey den Mahlern und Illuminirern werden die Farben vertrieben, wenn sie aus einander gerieben werden, dann sie stufenweise an Stärke abnehmen, und sich endlich gar verlieren. Die Umrisse vertreiben. So auch die Vertreibung in der ersten, und das Vertreiben in den beyden letzten Bedeutungen. Schon in dem Isidor ardriban, bey dem Ottfried und Notker firtriban, fertriban.


Vertreten (W3) [Adelung]


Vertreten, verb. irreg. act. ( S. Treten.) 1. Durch einen falschen Tritt verletzen. Sich den Fuß vertreten. Er hat sich vertreten, den Fuß. 2. Durch Treten verderben. Der Grabstein ist sehr vertreten. Etliches ward vertreten, Luc. 8, 5. Schon im Tatian furtretan. 3. Durch Treten versperren, d. i. vor etwas treten, und dadurch den Zugang hindern. Jemanden den Weg vertreten, wie verrennen, verlaufen. Doch, als sie sich zur Flucht dem ersten Vorhof nahten, Befahl ich, daß das Thor die Wachen ihm vertraten, Weiße. 4. An eines andern Stelle treten. (1) Eigentlich. Jemanden oder jemandes Stelle vertreten, etwas an seiner Statt und in seinem Nahmen thun, etwas verrichten, was ihm zu verrichten zukäme; wie das Latein. obire alicuius vices. Im Deutschen Reiche vertritt ein Reichstand einen andern Stand, wenn er die Reichsanlagen an dessen Stelle bezahlt. (2) Figürlich vertritt man jemanden, vertritt ihn bey einem andern, wenn man seine Sache bey einem andern führet, ihn bey dem andern zu entschuldigen, zu vertheidigen, eine Fürbitte für ihn einzulegen sucht. Du sollst sie nicht vertreten für (vor, besser bey) mir, Jerem. 7, 16. Der Geist selbst vertritt uns auf's beste, Röm. 8, 26. Christus sitzt zur Rechten Gottes und vertritt uns, V. 34. Da es denn oft für vertheidigen überhaupt gebraucht wird. Wollt ihr Gott vertreten? Hiob. 13, 8. Du unterstehst dich noch, ihn zu vertreten und zu entschuldigen? Gellert. So auch das Vertreten und die Vertretung. Anm. Im Niederdeutschen bedeutet sich vertreten überdieß noch spazieren gehen; welcher Gebrauch aber im Hochdeutschen fremd ist.


Vertreter (W3) [Adelung]


Der Vertreter, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vertreterinn, eine Person, welche eine andere vertritt, in der letzten Bedeutung des Zeitwortes. Ein Sachwalter, Advocat, oder Fürsprecher ward ehedem auch ein Vertreter genannt. Jetzt gebraucht man es am häufigsten in der Theologie von Christo, der alsdann unser Vertreter bey Gott heißt.


Vertrieb (W3) [Adelung]


Der Vertrieb, des -es, plur. inus. von vertreiben, in der R. A. Waaren vertreiben, der Absatz, Verkauf der Waare. Ein Kaufmann hat vielen Vertrieb, wenn er viele Waaren absetzt. Es ist kein Vertrieb da, wenn kein Abgang der Waaren da ist.


Vertrinken (W3) [Adelung]


Vertrinken, verb. irreg. act. ( S. Trinken.) 1. Mit Trinken zubringen. Den Abend vertrinken. 2. Durch Trinken verzehren. Jemanden Geld zu vertrinken geben. Sein Vermögen vertrinken. 3. Durch Trinken vertreiben. Die Grillen, die Sorgen, die Schmerzen vertrinken. 4. Über das Trinken versäumen. Die Mahlzeit vertrinken. Sein Glück vertrinken. So auch das Vertrinken.

Anm. Als ein Neutrum für ertrinken, ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich.


Vertrocknen (W3) [Adelung]


Vertrocknen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert. 1. Durch trocken werden verschwinden, von flüssigen Dingen. Das Wasser vertrocknet. Die Ströme, der Bach, die Brunnen, die Seen vertrocknen. Die Milch vertrocknet in der Brust. Deine Thränen sind geschwinde vertrocknet 2. Die zum Leben und Daseyn nöthige Feuchtigkeit verlieren, wofür doch verdorren oder dürre werden üblicher ist. Das Gras vertrocknet aus Mangel des Regens. Der Baum ist vertrocknet. In der Deutschen Bibel wird es auch Ein Mahl active gebraucht: betrübter Muth vertrocknet das Gebein, Sprichw. 17, 22, für ausdörren, oder austrocknen, verzehren; allein diese Form ist im Hochdeutschen ungewöhnlich.


Vertrödeln (W3) [Adelung]


Vertrödeln, verb. reg. act. 1. Als Trödel, das ist, unnützen Hausrath und Kleidungsstücke, verkaufen; im verächtlichen Verstande auch überhaupt, aus Noth auf eine leichtsinnige Art verkaufen. Seine Kleider, seine Bücher vertrödeln. 2. So fern trödeln in einigen Gegenden aus Trägheit oder Unthätigkeit, Zaudern bedeutet, vertrödelt man die Zeit, wenn man sie auf solche Art verlieret. Daher das Vertrödeln. S. Trödeln.


Vertrösten (W3) [Adelung]


Vertrösten, verb. reg. act. welches von Trost abstammet, so fern es ehedem zuversichtlichen Muth, zuversichtliche Hoffnung, ingleichen Versicherung bedeutete. 1. * Versichern, Sicherheit gewähren; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, in welcher man noch in einigen Oberdeutschen Gegenden sagt; einem eine Summe vertrösten, zur Versicherung, zum Unterpfande gehen; ingleichen ihm Sicherheit wegen dieser Summe geben. 2. * Muth einsprechen. Sie vertrösteten den König durch ihre Bosheit, Hof. 7, 3. Auch diese Bedeutung ist im Hochdeutschen veraltet. 3. Hoffnung zu oder auf etwas machen, und im engern Verstande, durch gemachte Hoffnung zufrieden sprechen; wo es ehedem theils mit der zweyten Endung der Sache, theils auch mit dem Vorworte mit gebraucht wurde. Weß vertröstet ihr euch? 2 Chron. 32, 10. Ich will an euer Küssen, damit ihr die Seelen fahet und vertröstet, Ezech. 13, 20. Im Hochdeutschen ist es nur noch im gemeinen Leben üblich, da es denn allemahl mit dem Vorworte auf verbunden wird. Lasset auch Hiskia nicht vertrösten auf den Herrn, 2 Kön. 18, 30. Jemanden worauf vertrösten, ihn durch gemachte Hoffnung zufrieden sprechen. Sie haben uns drey Tage nach einander auf den heutigen Tag vertröstet, Gell. Sich auf etwas vertrösten, es hoffen. Daher die Vertröstung. Schon Notker sagt in dieser Bedeutung sih vertrosten. S. Trösten.


Vertuschen (W3) [Adelung]


Vertuschen, verb. reg. act. welches gleichfalls nur im gemeinen Leben üblich ist, auf eine ungebührliche Art verhehlen, verschweigen, unterdrücken; in manchen Fällen auch untertuschen. Gestohlenes Geld vertuschen, es verbergen, verhehlen. Eine böse That vertuschen, sie nicht bekannt werden lassen. Da wird der ganzen Welt ohn' allen Scheu verkündet, Was sonst vertuschet wird, Opitz. So auch die Vertuschung. S. Tuschen.


Verübeln (W3) [Adelung]


Verübeln, verb. reg. act. für übel halten oder auslegen. Einem etwas verübeln, es übel nehmen, es ihm verdenken. Einem Gastwirthe ist das nicht zu verübeln.


Verüben (W3) [Adelung]


Verüben, verb. reg. act. eine böse That begehen, für das gemeinere ausüben in diesem Verstande. Viel Böses in der Welt verübet haben. Einen Mord, einen Diebstahl, verüben, begehen.


Verunedeln (W3) [Adelung]


Verunedeln, verb. reg. act. et recipr. unedel machen, im Gegensatze des veredeln. Das Gesicht des ewigen Lachens wird unausstehlich, und muß sich verunedeln und Carricatur werden, Lavat. Im Bergbaue verunedelt sich ein Gang, wenn die Erze geringhaltiger werden.


Verunehren (W3) [Adelung]


Verunehren, verb. reg. act. mit Unehre belegen, als ein glimpflicher Ausdruck für die härtern schänden, u. s. f. Im mittlern Lat. ex inhonorare, in der edlern Schreibart entehren. Einen heiligen Ort verunehren, entweihen. Seine Familie verunehren, entehren. Es ist, so wie die meisten mit verun zusammen gesetzten Zeitwörter, nur im gemeinen Leben üblich, wofür man in der edlern Schreibart oft die mit ent zusammen gesetzten gleichlautenden gebraucht. So auch die Verunehrung, die Gutehrung.


Verunreinigen (W3) [Adelung]


Verunreinigen, verb. reg. act. uneins machen, in der edlern Schreibart entzweyen. Zwey Freunde veruneinigen. Am häufigsten als ein Reciprocum. Sie haben sich verunreinigt, sind uneins geworden, haben sich entzweyet.


Verunglücken (W3) [Adelung]


Verunglücken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, nicht bloß unglücklich werden, sondern im engern Verstande, durch einen ungefähren Zufall in hohem Grade unglücklich werden. Ein Mensch verunglückt, wenn er ein Bein bricht, einen gefährlichen Fall thut, in einer Feuersbrunst u. s. f. um das Seinige kommt. Ein Schiff verunglückt, wenn es scheitert oder untergehet. In weiterer Bedeutung wird es oft auch für mißlingen gebraucht. Das Vorhaben ist verunglückt. Ein verunglückter Einfall. Scherz.


Verunheiligen (W3) [Adelung]


Verunheiligen, verb. reg. act. im gemeinen Leben, für das edlere entheiligen. So auch die Verunheiligung.


Verunreinigen (W3) [Adelung]


Verunreinigen, verb. reg. act. unrein machen. Die Wohnung des Herrn, das Haupt verunreinigen, in der Deutschen Bibel. Sich verunreinigen, so wohl eigentlich, doch nur in einigen Fällen, als figürlich in der Deutschen Bibel, besonders sich unrein machen, in dem gottesdienstlichen und bürgerlichen Verstande der ehemahligen Juden. So auch die Verunreinigung.


Verunruhigen (W3) [Adelung]


Verunruhigen, verb. reg. act. unruhig machen, im gemeinen Leben, für das anständigere beunruhigen. So auch die Verunruhigung.


Verunstalten (W3) [Adelung]


Verunstalten, verb. reg. act. ungestalt machen. Von den Blattern verunstaltet werden. Er mäßigt seinen Eigennutz, und doch fließt derselbe oft in seine rühmlichsten Handlungen ein und verunstaltet sie, Gell. In der edlern Schreibart entstellen, welches aber von weiterm Umfange der Bedeutung ist. So auch die Verunstaltung.


Veruntiefen (W3) [Adelung]


Veruntiefen, verb. reg. act. untief machen. Die östlichen Winde veruntiefen den Hafen. Der Hafen war mit Sand veruntieft. Daher die Veruntiefung.


Veruntreuen (W3) [Adelung]


Veruntreuen, verb. reg. act. aus Mangel der gehörigen Treue wegkommen lassen, noch mehr, durch Untreue entwenden. Daß man die Beylage nicht soll veruntreuen, 2 Macc. 3, 15. Die Knechte sollen nichts veruntreuen ihren Herren, Tit. 2, 10. So auch die Veruntreuung.


Verunwilligen (W3) [Adelung]


Verunwilligen, verb. reg. recipr. sich verunwilligen, unwillig auf einander werden, im gemeinen Leben, wie sich veruneinigen. Daher die Verunwilligung.


Verunzieren (W3) [Adelung]


Verunzieren, verb. reg. act. für verstellen oder entstellen, im gemeinen Leben. Das verunzieret das Gesicht.


Verursachen (W3) [Adelung]


Verursachen, verb. reg. act. 1. Die wirkende Ursache von etwas seyn, mit der vierten Endung dieses Etwas. Jemanden vielen Verdruß verursachen. Das verursacht mir viele Schmerzen, vielen Schaden. Eine Übermaße von Freude kann den Tod verursachen. Wodurch ist das Gerücht verursacht worden? Im Nieders. nur oorsaken und saken. Es ist von unangenehmen oder doch gleichgültigen Dingen am üblichsten, seltener von angenehmen. Jemandes Glück, einem Freude verursachen, sind so üblich nicht. 2. Veranlassen, Anlaß zu etwas geben. So sagt man oft in den Kanzelleyen, zu etwas verursacht seyn, veranlasset, wenn auch solches vermittelst eines Befehles geschiehet. Noch ungewöhnlicher ist im Hochdeutschen die Bedeutung des Reitzens. Sein Gewissen wird verursacht, das Götzenopfer zu essen, 1 Cor. 8, 10. So auch die Verursachung.


Verurtheilen (W3) [Adelung]


Verurtheilen, verb. reg. act. durch ein Urtheil einer verwirkten Strafe schuldig erkennen, für das veraltete verdammen. Einen Missethäter verurtheilen, ihn zum Tode, zum Festungsbau, zur ewigen Gefangenschaft verurtheilen. Zu einer Geldstrafe verurtheilt werden. Sich selbst verurtheilen, Tit. 3, 11. Daher die Verurtheilung. Bey dem Ottfried irdeilan, bey dem Stryker vertailen, im mittlern Lat. forisjudicare, im Oberd. auch verfällen.


Vervielfältigen (W3) [Adelung]


Vervielfältigen, verb. reg. act. vielfältig machen, machen, daß ein Ding mehrmahl da ist; ingleichen, als ein Reciprocum, sich vervielfältigen, sich vermehren. Wer die Natur aufmerksam ansieht, vervielfältigt sich ihre Reitzungen, Gell. In einem eckigen Spiegel vervielfältigen sich die Gegenstände. So auch die Vervielfältigung. Im Niederdeutschen nur vervelen, vervielen, welches daselbst auch im figürlichen Verstande, wegen der Menge Überdruß erwecken, bedeutet. Das vervielte mir zuletzt, ich ward es zuletzt überdrüssig. In einem etwas andern Verstande scheint dieses vervielen in Schlesien üblich zu seyn; wenigstens heißt es bey dem Günther: Darauf vervielt ihm noch die Zeche. Ja, sprach der Wirth, u. s. f. Es schien ihm zu viel gefordert zu seyn.


Vervollkommnen (W3) [Adelung]


Vervollkommnen, verb. reg. act. vollkommen machen. Es ist in einigen Oberdeutschen Gegenden schon lange gangbar gewesen, aber erst in neuern Zeiten von einigen Schriftstellern auch im Hochdeutschen gebraucht worden; wo es aber wegen der Härte in der Aussprache, indem elf Consonanten auf vier Vocale kommen, keinen Beyfall verdienet. Die Sehnsucht nach seiner Vervollkommnung, Zimmerm. Vervollkommnern und Vervollkommnerung von dem Comparative, vollkommner machen, sind noch härter.


Vervortheilen (W3) [Adelung]


Vervortheilen, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben einiger Gegenden für das anständigere bevortheilen üblich ist. ( S. dasselbe.) So auch die Vervortheilung.


Verwachen (W3) [Adelung]


Verwachen, verb. reg. act. 1. * Bewachen; eine im Hochdeutschen fremde Bedeutung. Die, so im Kerker lagen, Bestrickt mit tiefer Nacht, In Eisen fest geschlagen Gebunden und verwacht, Opitz Ps. 107. Der Herr hat uns behüthet und verwacht, eben ders. Daher bedeutet unverwacht bey eben demselben Dichter figürlich so viel als unvermuthet, welche Bedeutung auch noch in manchen andern gemeinen Sprecharten gangbar ist. Das Licht, so unverwacht Kam zu den Menschen her, kam leuchten in der Nacht. 2. * Durch Wachen verzehren; eine gleichfalls ungewöhnliche Bedeutung. Dein Faß und mein Verbrechen macht, Daß alles sich an mir verwacht, Auch die Gebeine schwinden, Opitz. 3. Mit Wachen zubringen. Euklio schreibt ein gelehrtes Werk, verwacht Nächte, verzehrt die Gesundheit, Gell.


Verwachsen (W3) [Adelung]


Verwachsen, verb. irreg. neutr. mit dem Hülfswort seyn. 1. Durch den Wachsthum bedeckt, unkenntlich gemacht werden, zuwachsen. Die Blattergruben, Narben verwachsen. Wo man auch in thätiger Gestalt und mit haben, doch ohne Passivum, sagt: das Kind wird die Blattergruben schon wieder verwachsen. Ein in die Rinde eines Baumes eingeschnittener Nahme verwächset. Im uneigentlichern Verstande sagt man auch, der Arm des Stromes versandet und verwächst. 2. Durch den Wachsthum verbunden werden, zusammen wachsen. Zuweilen verwachsen die Gelenkköpfe der Glieder mit ihren Gelenkhöhlen. 3. Ungestalt wachsen, in welchem Verstande besonders das Mittelwort verwachsen gebraucht wird. 4. Zu sehr wachsen, durch allzu schnellen Wachsthum entkräften, als ein Reciprocum; wofür doch sich überwachsen üblicher ist. So auch das Verwachsen.


Verwägen (W3) [Adelung]


Verwägen, S. Verwegen.


Verwahren (W3) [Adelung]


Verwahren, verb. reg. act. 1. An einem sichern Orte außer der Gefahr des Verlustes oder der Beschädigung setzen, an einem sichern Orte aufbehalten, wodurch es sich von bewahren unterscheidet. Sein Geld verwahren. Das Getreide in den Kornhäusern verwahren, 1 Mos. 41, 35. Die Kleider verwahren. Jemanden etwas zu verwahren geben. Man verwahret einen Gefangenen, bringt ihn in gute oder sichere Verwahrung, wenn man ihn an einen sichern Ort bringet. 2. In weiterer Bedeutung, durch äußere Sicherheitsmittel vor der Gefahr des Verlustes oder der Beschädigung sichern. Etwas vor dem Koste und Motten verwahren, Bar. 6, 1. Eine Stadt mit Festungswerken verwahren. Ein Paß, welcher nicht gut verwahret ist. Einen Garten verwahren, mit einer tüchtigen Befriedigung umgeben. Sein Haus rings umher verwahren, Hiob 1, 10. Die Thür verwahret das Haus, Bar. 6, 58. Eine Thür mit Schlössern und Riegeln verwahren. Eine Thür ist nicht gut verwahret, wenn sie leicht erbrochen oder auf ungebührliche Art geöffnet werden kann. Sich vor der Kälte verwahren, durch hinlängliche Kleidung. Ein Packet ist hinlänglich verwahret, wenn der Umschlag hinlänglich befestiget ist. 3. Im noch weitern Verstande sagt man auch, sich vor etwas verwahren, durch dienliche Mittel davor in Sicherheit setzen. In den Rechten, sich verwahren, oder sein Recht verwahren, sich oder seine Rechte durch eine Protestation in Sicherheit zu setzen suchen, daher die Verwahrung denn auch wohl so viel als eine Protestation ist. In manchen Provinzen ist sich verwahren auch sich hüthen überhaupt, sich vorsehen, besonders im Niederdeutschen, wo man dafür auch das einfache wahren gebraucht; allein im Hochdeutschen ist diese Bedeutung veraltet. So auch die Verwahrung, nicht allein von der Handlung des Verwahrens, sondern auch von dem Zustande, da ein Ding hinlänglich verwahret ist. Etwas in Verwahrung haben, einem etwas in Verwahrung geben. In guter Verwahrung seyn.

Anm. Ver hat hier entweder eine intensive Bedeutung, oder, welches noch wahrscheinlicher ist, die Bedeutung der Verbergung, Einschließung.


Verwahren (W3) [Adelung]


Verwahren, verb. reg. neutr. von welchem aber nur das Mittelwort verwährt, und auch dieß nur in den Rechten und Kanzelleyen, üblich ist. Eine Rechts verwährte Zeit, eine verflossene Zeit, nach welcher, den Rechten zufolge, kein Widerspruch mehr Statt findet, fast so, wie verjährt. Es ist von währen, dauern, und der beraubenden Partikel, so daß verwähren, eigentlich aufhören zu dauern bezeichnen würde.


Verwahrer (W3) [Adelung]


Der Verwahrer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verwahrerinn, am häufigsten in Zusammensetzungen. Der Siegelverwahrer, Kleiderverwahrer, wo aber auch -bewahrer üblich ist.


Verwahrlich (W3) [Adelung]


Verwahrlich, adv. in Verwahrung, in der ersten Bedeutung des Zeitwortes verwahren, nur mit einigen Zeitwörtern, und auch hier am häufigsten in den Kanzelleyen. Etwas verwahrlich aufbehalten, es verwahrlich bey jemanden niederlegen. Wenn er, was sein Geist an Schätzen bey sich trägt, Als in der Mutter Schoß verwahrlich niederlegt, Can.


Verwahrlosen (W3) [Adelung]


Verwahrlosen, verb. reg. act. aus leichtsinnigem Mangel der pflichtmäßigen Aufsicht oder Aufmerksamkeit unvollkommener werden lassen; oder, wie es schon im Schwabenspiegel erkläret wird, also einer bewarens los let in Dingk, dat he bewaren scholde; so daß verwahren hier in der veralteten weitern Bedeutung für bewahren stehet. Die Amme verwahrloset ein Kind, wenn sie dasselbe aus Mangel der Aufsicht zu Schaden kommen lässet. Ein Mensch, der in seiner Jugend verwahrloset ist, aus Mangel der Erziehung an Geist und Sitten verdorben ist. Ihr werdet sonst euer Leben verwahrlosen, Jer. 42, 20. Ich will das Verwahrlosete in Israel wieder bringen, Kap. 49, 6. Seine Gesundheit, seinen Verstand, sein Herz verwahrlosen. Sich du nennen, heißt die gegenseitige Achtung verwahrlosen, Hermes. Eine verwahrlosete Schreibart. Zuweilen auch unachtsam mit etwas umgehen, so daß dadurch ein Schade geschiehet. So verwahrloset man das Feuer. Daher die Verwahrlosung.

Anm. Die Bildung dieses Wortes ist freylich ein wenig ungewöhnlich, indem es von dem veralteten verwahrlos abstammet, ungeachtet sonst von den mit los zusammen gesetzten Wörtern keine Zeitwörter gebildet werden. Indessen ist es doch ein gutes und durch den Gebrauch veraltetes Wort. In einigen Provinzen, z. B. in Liefland, wird es in verwesseln zusammen gezogen, welches daselbst auch ausarten bedeutet, und sonst leicht von verwechseln abgeleitet werden könnte. Die Niederdeutschen sagen für verwahrlosen auf ähnliche Art verröklosen, von vuchlos, sorglos.


Verwahrung (W3) [Adelung]


Die Verwahrung, plur. inus. ( S. Verwahren.) Daher das Verwahrungsmittel, ein Mittel, sich dadurch vor etwas in Sicherheit zu setzen. Mäßigung und freywillige Enthaltung sind die sichersten Verwahrungsmittel gegen den Überdruß.


Verwaisen (W3) [Adelung]


Verwaisen, verb. reg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, zur Waise werden. Ein Kind verwaiset, wenn ihm seine Ältern sterben. Verwaist, seiner Ältern beraubt, seyn. Ein verwaistes Kind. Figürlich in der höhern Schreibart, seines Aufsehers, Beschützers, der Freunde u. s. f. beraubt werden, und im noch weitern Verstande, einsam werden. Aufruhr, Rebellion, Betrug und Stolz giert sonst nach dem verwaisten Thron, Weiße. Verwaist, gleich einem Lande des Todes, Liegt die Gegend um mich, Zachar. Einsam und verwais't um seine Freunde weinen, Schleg. 2. * Als ein Activum, zur Waise machen; eine im Hochdeutschen fremde Bedeutung. Er hat mich so verwais't, Opitz.

Anm. In der ersten Form wurde es ehedem auch von Ältern gebraucht, der Kinder beraubt werden. Kleglichen erzelend syn verwyset alter, im Deutschen Livius von 1514; weil er seine Kinder verloren hatte.


Verwalten (W3) [Adelung]


Verwalten, verb. reg. act. ein mit Gewalt versehenes Geschäft handhaben. Das Hauswesen verwalten. Das Regiment verwalten, regieren. In dieser weitern Bedeutung ist es veraltet, und man gebraucht es nur von der Handhabung eines aufgetragenen und mit einer gewissen Gewalt verbundenen Geschäftes. Jemandes Stelle verwalten, sie vertreten, versehen. Auch hier fängt es an, ungangbar zu werden, indem man es gemeiniglich nur noch mit einigen Hauptwörtern gebraucht. Ein Amt verwalten. Sein Amt mit aller Treue und Gewissenhaftigkeit verwalten. Die Sacramente verwalten, handhaben, Kraft aufgetragener Gewalt austheilen. So auch die Verwaltung. Siehe Walten.


Verwalter (W3) [Adelung]


Der Verwalter, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. oder dessen Gattinn, die Verwalterinn, eine Person, welche verwaltet. 1. In engerer Bedeutung und in einigen Gegenden derjenige, welcher die Wirthschaft eines Landgutes im Nahmen des Eigenthümers besorget, und demselben die Einkünfte entweder berechnet, oder sie in Pacht hat, in welchem letztern Falle er doch am häufigsten Pachter genannt wird. Indessen ist auch in dem ersten Falle der Nahme eines Verwalters nicht allgemein, sondern es sind dafür andere Benennungen üblich. 2. Oft bedeutet dieses Wort einen Beamten, welcher ein Amt im Nahmen eines andern verwaltet; z. B. Münzverwalter, der einer Münze im Nahmen des Münzmeisters und an dessen Stelle vorstehet. Amtsverwalter, welcher ein Kammeramt im Nahmen und anstatt des Amtmannes verwaltet. In einigen Ländern werden manche Bedienungen oft aus Ersparniß nur mit solchen -verwaltern besetzt, um die im höhern Gehalte stehenden eigentlichen Beamten zu ersparen. So wird einem kleinen Amte, einer kleinen Münze, einem kleinen Postamte u. s. f. ein Amtsverwalter, Münzverwalter, Postverwalter anstatt des Amtmannes, Münzmeisters und Postmeisters vorgesetzt. 3. In manchen Zusammensetzungen herrschet die allgemeinere Bedeutung des Zeitwortes verwalten, ohne Rücksicht auf einen höhern Beamten; wohin z. B. das Wort Hüttenverwalter gehöret, wenn es sich anders nicht auf einen höhern Beamten beziehet. Anm. Verwalter und Verweser sind durch den Gebrauch noch in manchen Stücken unterschieden. S. das letztere.


Verwandeln (W3) [Adelung]


Verwandeln, verb. reg. act. welches eigentlich mit verändern gleich bedeutend ist; aber durch den Gebrauch noch sehr davon unterschieden wird. Es bedeutet, 1. Im weitesten Verstande, und so wie verändern, ein Ding anders bestimmen, es geschehe, auf welche Art es wolle, auch in Ansehung der äußern Gestalt. Sie werden verwandelt werden, wie ein Kleid, Ps. 102, 27. In dieser weitern Bedeutung ist es in der anständigern Sprechart veraltet; nur im gemeinen Leben sagt man noch, es verwandle sich jemand im Gesichte, wenn er seine Farbe verändert, plötzlich roth wird. 2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung ist verwandeln, die Natur und Verbindung eines Dinges ändern, ein Ding anderer Art daraus machen, wo denn dieser Begriff wiederum sehr vielerley Einschränkungen leidet. Und da es dem König von Ägypten ward angesagt, daß das Volk war geflohen, ward sein Herz verwandelt, 2 Mos. 14, 5. Du bist mir verwandelt in einen Grausamen, Hiob. 30, 21. Die Klage in einen Reihen, Gottes Wahrheit in Lügen, Gottes Gesetz in gottlose Ehre, den natürlichen Brauch in den unnatürlichen verwandeln, lauter biblische Ausdrücke, wo es oft nur bedeutet, ein Ding anstatt des andern darstellen. Ich hoffe ihren kleinen Eigensinn leicht in eine beständige Liebe zu verwandeln, Gell. Stumme Bewegungen und einfaches Geschrey verwandelt der Dichter in menschlichen Ausdruck. Durch die Verdauung werden Speise und Trank in Fleisch und Blut verwandelt. Mein Verdruß verwandelt sich in eine tiefe Traurigkeit. Der Wein verwandelt sich in Essig. Wir müssen den flüchtigen Anblick der Schöpfung in einen bedachtsamen verwandeln, Gell. 3. Im engsten Verstande ist verwandeln das Wesen eines Dinges verändern, ein Ding in ein Ding anderes Wesens umschaffen, wozu natürliche Kraft nicht hinlänglich ist. Moses verwandelte das Wasser in Blut, den Stab Aarons in eine Schlange. Christus verwandelte Wasser in Wein. Daphne ward in einen Lorberbaum verwandelt. Jupiter verwandelte sich in einen Stier. So auch die Verwandlung. Die Verwandlungen Jupiters.

Anm. Schon bey dem Notker firwandeln, der aber auch das einfache wandeln dafür gebraucht, welches noch bey dem Opitz, Lohenstein und andern in dieser Bedeutung vorkommt. Daß die von uns bisher so angenehme Liebe Den Nectar auf einmahl in Wermuth wandeln kann, Günther; d. i. eigentlich nur ändern. Allein, bey dem heutigen Gebrauche des Zeitwortes verwandeln ist die Partikel ver keines Weges überflüssig, indem sie dem Worte den Begriff der völligen gänzlichen Veränderung mittheilet, welchen es ohne sie nicht hat.


Verwandt (W3) [Adelung]


1. Verwandt, das Mittelwort von verwenden, S. dasselbe.


Verwandt (W3) [Adelung]


2. Verwandt, -er, -este, adj. et adv. welche zwey Staffeln doch nur in der zweyten weitern Bedeutung, und auch hier nur selten gebraucht werden. 1. Durch gemeinschaftliche Abstammung, ingleichen durch Heirath mit dem andern verbunden, wo es nicht allein von allen solchen Personen gebraucht wird, welche einen gemeinschaftlichen natürlichen Ursprung haben, sondern auch von solchen, welche durch Heirath oder Verschwägerung mit andern verbunden werden. Man gebraucht es nur als einen allgemeinen Ausdruck, der die Grade der Verbindung unbestimmt läßt, daher es auch von entferntern Verwandten am üblichsten ist. Eheleute, Geschwister, Ältern und Kinder pflegen sich nicht leicht Verwandte zu nennen, weil das enge Band, welches sie verbindet, bestimmtere Ausdrücke hat. ( S. auch Blutsfreund.) Man verbindet es am gewöhnlichsten mit dem Vorworte mit. Mit jemanden verwandt seyn. Er ist weitläufig, nahe mit uns verwandt. Vom Vater, von der Mutter her mit jemanden verwandt. Im vierten, fünften Grade mit jemanden verwandt seyn. In der höhern Schreibart auch mit der dritten Endung ohne Vorwort. Einem verwandt seyn. Er ist mir nicht verwandt. Als ein eigentliches Beywort kommt es in dieser Bedeutung seltener vor. Verwandte Personen, gewöhnlicher, als ein Hauptwort, Verwandte. Doch sagt man im weitern Verstande verwandte Wörter, welche einen gemeinschaftlichen Ursprung haben. Am häufigsten wird dieses Wort, wenn es ein Beywort seyn sollte, als ein Hauptwort gebraucht. Der Verwandte, die Verwandte, ein Verwandter, eine Verwandte, plur. die Verwandten, nicht Verwandte; wo von einigen im weiblichen Geschlechte irrig die Verwandtinn, eine Verwandtinn, gesagt wird, welches wider die Natur der Bey- und Mittelwörter ist. Er ist mein Verwandter. Meine Verwandten sind mir fremd worden, Hiob. 19, 13. Du bist mein Verwandter, Ps. 55, 14. Alle Verwandten Jesu stunden von fern, Luc. 23, 49. Vergebens wird man ein guter Verwandter seyn, wenn man in seinen Ansprüchen auf die Rechte des Bluts nicht billig und bescheiden ist, Gell. Blutsverwandte oder Blutsfreunde, Personen, welche durch gemeinschaftliche Abstammung nahe mit einander verwandt sind, wie Ältern und Kinder, Geschwister, Geschwisterkinder u. s. f. Seitenverwandte, welche durch Heirath ihrer Blutsverwandten mit einander verbunden sind. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) In verschiedenen Zusammensetzungen wird dieses Wort von solchen Personen gebraucht, welche vermittelst einer gemeinschaftlichen Lebensart, Religion u. s. f. mit einander verbunden sind. Kunstverwandte, welche einerley Kunst üben, Handwerksverwandte, üblicher Handwerksgenossen, Handelsverwandte, Glaubensverwandte, gewöhnlicher Glaubensgenossen u. s. f. (2) Figürlich, so wohl im gemeinen Leben, als auch in der höhern Schreibart, einerley Bestimmung oder Eigenschaft habend. Der Laut Prellen ist sehr nahe mit dem Laute Prall verwandt, weil sie einander sehr ähnlich sind. Verwandte Wörter, welche einen ähnlichen Laut, oder auch eine ähnliche Bedeutung haben. Dein brennendes Auge entzündete in mir die Funken des Muthes, welche die verwandte Natur in mein junges Herz gelegt hatte, Dusch. Mit Scham mag sich das Laster decken, Die Liebe war ihm nie verwandt, Hall. Anm. Um diesem Worte in der ersten Bedeutung mehr Nachdruck zu geben, oder vielmehr die Verbindung genauer zu bezeichnen, pflegt man demselben im gemeinen Leben gern noch ein an vorzusetzen, anverwandt, ein Anverwandter, ( S. dasselbe.) In unsern alten Denkmählern kommt dieses Wort nicht vor, indem daselbst die Wörter Chunneling, Kind, Mage, Sibber u. s. f. von Verwandten gebraucht werden: indessen scheint es doch ein altes Wort zu seyn, und in diesem Falle ist Wachters Abstammung sehr wahrscheinlich, der es nicht von wenden, sondern von dem alten Wine, ein Freund, Geliebter, oder vielmehr von einem veralteten Zeitworte winen, lieben, ableitet, von welchen Wörtern es eben so gebildet seyn würde, als unser befreunden von Freund. Win, ein Freund, kommt noch sehr häufig bey dem Willeram vor. Im Angels. ist Winiscaf, ein Bündniß, Verbindung, und im Alt-Schwed. Vinatta, Freundschaft, und Vinur, ein Freund. Das Lat. "finis" in "affinis" und "affinitas", scheinet zu eben diesem Stamme zu gehören, ob man es gleich gemeiniglich von "finis", die Gränze abzuleiten pflegt. Verwandt mag nun von winen, lieben, oder von wenden abstammen, so ist es doch eigentlich das Mittelwort eines Zeitwortes, daher das dt am Ende nicht für überflüßig gehalten werden darf.


Verwandtschaft (W3) [Adelung]


Die Verwandtschaft, plur. die -en. 1. Der Zustand, die Eigenschaft, da Personen oder Dinge mit einander verwandt sind, in allen Bedeutungen des Beywortes, als ein Abstractum und ohne Plural. Unsere Verwandtschaft ist sehr weitläufig. Die Verwandtschaft von dem Vater her. Nichts scheinet uns von den Pflichten der Verwandtschaft mehr frey zu sprechen, als Undank und Laster, Gell. Die Verwandtschaft der Wörter, der Künste, der Tugenden u. s. f. 2. Als ein Concretum, mit einander verwandte Personen. Die ganze Verwandtschaft kam zusammen. Damit ich unerkannt bleibe, so müßt ihr euch für eine Person von meiner Verwandtschaft ausgeben, Weiße.

Anm. Im Nieders. auch Verwandtniß. Ehedem waren dafür die Wörter Sippschaft, Magschaft u. s. f. üblich. Freundschaft wird im gemeinen Leben in eben demselben Verstand gebraucht.


Verwandtschaftlich (W3) [Adelung]


Verwandtschaftlich, -er, -ste, adj. et adv. in der Verwandtschaft gegründet. Die unvorsichtige Gemeinschaft des ver- wandtschaftlichen Umganges erstickt oft die gegenseitige Hochachtung, Gell.


Verwarnen (W3) [Adelung]


Verwarnen, verb. reg. act. wie das einfache warnen, so daß ver eine bloße Intension zu bezeichnen scheinet, nachdrücklich warnen. Die in der Stadt waren verwarnet, gewarnet, 2 Macc. 6, 3. So auch die Verwarnung.


Verwaschen (W3) [Adelung]


Verwaschen, verb. irreg. act. ( S. Waschen.) 1. Von waschen, lavare, durch oder mit Waschen verbrauchen. Viel Seife, alles Wasser verwaschen. Auch im Hüttenbaue. Der Schlamm, der auf dem Planenherde verwaschen wird, durch Waschen gereiniget wird. Ingleichen mit Waschen hinbringen, zubringen. Die Zeit verwaschen. 2. Von waschen, schwatzhaft plaudern. (1) Mit Plaudern zubringen, verbringen. Die Zeit verwaschen. (2) Durch unzeitiges Ausplaudern bekannt machen, und dadurch gleichsam verderben. Die Sache ist schon verwaschen. Ein Schwätzer, der alles verwäscht. (3) Über dem Plaudern versäumen. Die Mahlzeit verwaschen. So auch das Verwaschen.


Verwässern (W3) [Adelung]


Verwässern, verb. reg. act. allzu sehr wässern, durch allzu vieles Wässern verderben. Daher die Verwässerung.


Verweben (W3) [Adelung]


Verweben, verb. reg. act. 1. * Von weben in der veralteten weitern Bedeutung der Bewegung war es ehedem so viel, als verwehen, durch schnelle leichte Bewegung zerstreuen. Ich will sie zerstreuen, wie Stoppeln, die vor dem Winde verwebet werden, Jer. 13, 24. Wie Spreu, die von der Tenne verwebet wird, Hos. 13, 3. Im Hochdeutschen ist es in dieser Bedeutung veraltet. Er zog sich klüglich noch, wie ein verwebter Schatten, Besser. Gehört vermuthlich auch hierher. 2. Von weben, texere, (1) Durch Weben verbrauchen, der Menge nach erschöpfen. Der Weber hat alles Garn verwebet. Die Spinne webet mit der Kunst der Minerva, aber alle ihre Kunst ist auch in diesem engem Spinnraume verwebt, Herd. d. i. erschöpft. In weiterer Bedeutung, als Materialien zum Weben gebrauchen. Der Leinweber verwebet nichts, als leinen Garn, der Tuchweber wollenes. (2) Durch Weben mit einem andern Dinge verbinden. Am häufigsten figürlich. Die Fehler sind so tief in den Plan des Werkes verwebet, daß an kein Ausbessern zu denken ist. Daher das Verweben, seltener die Verwebung, welches doch in der letztern figürlichen Bedeutung gebraucht wird.


Verwechseln (W3) [Adelung]


Verwechseln, verb. reg. act. ein Ding für das andere geben oder nehmen; doch nur in einigen Fällen. 1. Geld verwechseln, sich für eine Geld-Sorte den Werth in einer andern geben lassen. Derjenige, welcher die andere Münz-Sorte dafür gibt, wechselt, der Inhaber der erstern verwechselt; wo ver die Bedeutung der Entfernung hat, wie in vertauschen, verkaufen u. s. f. indem er seine Münz-Sorte durch Wechseln einem andern überträget. Ich habe bereits alle Louis d'or verwechselt. 2. Mit dem bloßen Begriffe der Veränderung verwechselt man ein Ding mit dem andern, wenn man es mit Bewußtsein und Vorsatz anstatt des andern wählet oder nimmt. Die Kleider verwechseln, wo aber das einfache wechseln, und in Einem Verstande vertauschen üblicher ist. Am öftesten gebraucht man es in diesem Verstande noch von unkörperlichen Dingen. Die Theologie mit der Jurisprudenz verwechseln, die Theologie verlassen, und sich der Rechtswissenschaft widmen. Den Müßiggang mit der Arbeit verwechseln. Indessen ist, um des anklebenden Nebenbegriffes der folgenden Bedeutung willen, diese ganze Bedeutung im Hochdeutschen selten, indem man dafür vertauschen oder andere edlere Ausdrücke gebraucht. "Die Zeitlichkeit mit der Ewigkeit verwechseln", "sterben".

3. Am häufigsten ist dieses Wort mit dem Nebenbegriffe des Fehlerhaften, welcher in der Partikel verliegt, ein Ding aus Versehen oder aus Unkunde anstatt des andern nehmen. Man verwechselt eine Person mit der andern, wenn man sie aus Mangel gehöriger Kenntniß, oder auch der gehörigen Aufmerksamkeit, für die andere hält. So auch Wörter, Begriffe verwechseln. Verwechselt die sinnliche Wollust nicht mit der wahren Liebe. So auch die Verwechslung in allen Fällen. Schon Notker gebraucht firuuehselen, oder im weitern Verstande, für mutare.


Verwegen (W3) [Adelung]


Verwegen, -er, -ste, adj. et adv. sich ohne Noth in Gefahr versetzend, alle vernünftige Vorstellung eines bevor stehenden Übels bey Seite setzend, und darin gegründet. Man ist verwegen, wenn man sich ohne Roth, ohne daß man durch eine Pflicht dazu bewogen würde, in Gefahr begibt. Ein verwegener Mensch. Verwegen handeln. Ein verwegenes Unternehmen, ein verwegener Einfall, eine verwegene Antwort. So auch die Verwegenheit, der Zustand, da man alle vernünftige Vorstellung der Gefahr bey Seite setzt, und die darin gegründete Beschaffenheit. Zuweilen auch eine verwegene Handlung, in welchem Falle es denn auch den Plural leidet. Anm. In einigen gemeinen Mundarten verwagen, verwogen. Es ist eigentlich das Mittelwort des veralteten Zeitwortes verwagen, sich verwagen, zu viel wagen, mehr unternehmen, als man auf eine vernünftige Art unternehmen sollte. Im gemeinen Leben einiger Gegenden wird dieses Zeitwort noch für sich vermessen gebraucht; er verwog sich, dieses oder jenes zu thun, wo es denn nach alter Art zugleich irregulär abgewandelt wird. Daß ver hier eine übertriebene Beschaffenheit bedeutet, erhellet auch aus dem Schwed. oförwägen, verwegen, gleichsam überwagend. Dieses Zeitwort wurde aber ehedem auch in einem guten Verstande für unternehmen überhaupt gebraucht, ohne Zweifel nach einer andern Bedeutung der Partikel ver. Er verwuch sich einer großen Herfahrt, ein alter Schriftsteller bey dem Frisch. Eins avents nach ein Maynregn Het ich spacierens mich verwegen, Hans Sachs. Ob nun gleich dieses Wort unmittelbar von wagen abstammet, so ist es doch deßhalb nicht nothwendig, es mit einem ä zu schreiben, indem ä und e in tausend andern Fällen mit einander abwechseln. S. Wagen.


Verwehen (W3) [Adelung]


Verwehen, verb. reg. act. aus einander und in die Ferne wehen, von dem Winde. Der Wind verwehet die Blätter, den Sand u. s. f. Wie Spreu, die der Wind verwehet, in der Deutschen Bibel. So auch das Verwehen. Schon bey dem Ottfried und Notker feruuahen, firuuaen.


Verwehnen (W3) [Adelung]


Verwehnen, S. Verwöhnen.


Verwehren (W3) [Adelung]


Verwehren, verb. reg. act. wehren, d. i. mit Gewalt hindern, daß etwas nicht gethan werde, mit der vierten Endung der Sache, und der dritten der Person. Einem etwas verwehren. Dem Feinde den Übergang über den Fluß zu verwehren suchen. Er wäre gern noch weiter gegangen, allein es ward ihm verwehret. Man verwehrete mir mit ihm zu sprechen. Das ist dir unverwehrt. Zuweilen auch wohl im weitern Verstande für verbiethen, versagen. Der Herr hat dir die Ehre verwehret, 4 Mos. 24, 11. So auch das Verwehren. Kero gebraucht dafür piuueran.


Verweiben (W3) [Adelung]


* Verweiben, verb. reg. welches im Hochdeutschen unbekannt ist, und nur in einigen Gegenden für beweiben vorkommt. Opitz und die Schlesischen Dichter gebrauchen es häufig. Wenn du verweibet bist, Opitz. Du, dessen unverweibt die Mutter ist gewesen, eben ders.


Verweichen (W3) [Adelung]


1. Verweichen, verb. reg. welches so wohl als ein Neutrum, als auch als ein Activum gebraucht wird, und im ersten Falle das Hülfswort seyn bekommt, durch allzu langes Einweichen zu weich werden, und zu weich machen. Das Brot ist ganz verweicht, wofür man auch wohl sagt, es verweicht sich. Die Köchinn verweicht das Brot, wenn es durch allzu langes Einweichen ungenießbar wird. Daher das Verweichen.


Verweichen (W3) [Adelung]


2. Verweichen, verb. irreg. neutr. ( S. Weichen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, in die Ferne weichen, von welchem aber nur das Mittelwort verwichen, als ein eigenes Beywort, vorkommt. S. dasselbe an seinem Orte.


Verweilen (W3) [Adelung]


Verweilen, verb. reg. welches auf doppelte Art vorkommt. 1. Als ein Neutrum, welches im Hochdeutschen gemeiniglich das Hülfswort haben bekommt, einem Dinge, einem Orte, eine Zeit lang gegenwärtig bleiben, besonders in der edlern Schreibart für das im gemeinen Leben üblichere sich aufhalten. Ich kann hier nicht länger verweilen. Du hast lange verweilet, ehe du gekommen bist. Verweile noch, o Sonne, verweile am Himmel! Auf oder bey jeder Blume verweilete sein Blick. Wo es denn auch häufig als ein Reciprocum gebraucht wird. Sich verweilen. Ich kann mich hier nicht lange verweilen. Sich bey Nebendingen verweilen, bey denselben aufhalten. In einigen Gegenden gebraucht man dafür nur das einfache weilen, welches auch von einigen Schriftstellern, selbst in der höhern Schreibart, gebraucht worden. Lasset uns bey dem lieblichen Bilde etwas weilen, Herd. 2. Als ein Activum, verweilen machen, wie das Activum aufhalten. Ich zwinge mich, den ungewissen Fuß, Den du verweilst, Gott weiß, wohin, zu setzen, Günth. Und da dich mein Verlust nicht auf der Bahn verweilet, Schleg. Sogleich verweilet den Blick die aufgeputzte Wand, Zach. Im gemeinen Sprachgebrauche der Hochdeutschen ist es in dieser Form nicht gewöhnlich. So auch das Verweilen, und zuweilen auch die Verweilung.

Anm. Bey dem Hornegk kommt dafür entweilen vor. Es ist von Weile, und beziehet sich daher ganz natürlich mehr auf die Zeit, als auf den Ort.


Verweinen (W3) [Adelung]


Verweinen, verb. reg. act. 1. Sich verweinen, im gemeinen Leben, bis zur Erschöpfung weinen; eben daselbst auch sich abweinen. 2. Mit Weinen zubringen, in der edlern Schreibart. Sein Leben verweinen. Es muß dieses der Tag seyn, an welchem sie mich die Martern aller hier verweinten Tage vergessen lehren, Less. 3. Durch Weinen erschöpfen. Alle Thränen verweinen. Ingleichen seinen Schmerz verweinen, durch Weinen gleichsam erleichtern. Daher das Verweinen.


Verweis (W3) [Adelung]


Der Verweis, des -es, plur. die -e, von 2 Verweisen, wörtliche Vorhaltung eines begangenen Vergehens. Jemanden einen Verweis geben. Das war ein harter Verweis. Einen Verweis bekommen. Verweise austheilen. Im Nieders. Verwiet. S. 2. Verweisen.


Verweisen (W3) [Adelung]


1. Verweisen, verb. irreg. act. ( S. Weisen,) 1. An einen andern Orte weisen. Man verwies ihn an den Richter, bedeu- tete ihn, sich an den Richter zu wenden. Eine Sache an einen Höhern verweisen. Der Verfasser eines Buches verweiset den Leser oft auf eine vorher gegangene Stelle. 2. In die Ferne weisen, doch nur in engerer Bedeutung, durch einen richterlichen Ausspruch aus einem Orte weisen, ihm, den Ort zu meiden, bey Strafe anbefehlen; ehedem verbannen. Jemanden aus der Stadt, aus dem Lande verweisen; noch häufiger mit der zweyten Endung, der Stadt, des Landes verweisen. Auf eine wüste Insel, in eine entfernte Provinz verweisen. Vom Hofe verwiesen werden, welches üblicher ist, als des Hofes. Ingleichen absolute. Verwiesen werden nähmlich des Landes oder der Stadt. Ein Verwiesener. So auch die Verweisung. Daher die Landesverweisung. Bey dem Ottfried in der letzten Bedeutung uruuisan, d. i. ausweisen.


Verweisen (W3) [Adelung]


2. Verweisen, verb. irreg. act. welches mit dem vorigen auf einerley Art abgewandelt wird. 1. Ein Vergehen mit Worten vorhalten, mit Worten bestrafen, mit der dritten Endung der Person und der vierten des Vergehens. Einem etwas verweisen. Ich verwies ihm seine Unachtsamkeit, seinen Undank. Es ward ihm ernstlich, nachdrücklich verwiesen. Daher der Verweis. 2. * Vorrücken, vorhalten; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Wenn du deinem Freunde etwas gibest, so verweise es ihm nicht, Sir. 41, 28.

Anm. Ob sich gleich dieses zweyte Zeitwort, in seiner heutigen Bedeutung, ganz erträglich mit dem erstern verbinden, und mit demselben von weisen, zeigen, herleiten ließe, so wird es doch, wenn man auf den alten Gebrauch und auf die ehemahlige Schreibart siehet, wahrscheinlicher, daß es ein eigenes ganz verschiedenes Wort ist. Beyde Zeitwörter sind in alten und neuern Mundarten, außer der Hochdeutschen, in der Aussprache und Schreibart wesentlich verschieden. Das erste lautet bey dem Ottfried urwisen, im Nieders. verwisen, im Schwed. forvisa; dieses aber bey dem Ottfried, Notker u. s. f. firuuizun, uuizun, im Nieders. verwiten, im Schwed. forvita. Es ist ein überaus altes Wort, welches bey den ältesten Schriftstellern, obgleich nicht mit einerley Vorwörtern, vorkommt, und nicht allein mit Worten bestrafen, sondern auch tadeln, schelten, schmähen, zurechnen, vorrücken u. s. f. bedeutet. Dahin gehöret Ulphilas idveidjan, das Angels. edvitan, das Schwed. avita, das alte Oberdeutsche itwizon, Engl. twit, daher das Gothische Idveith, Schande, im Oberd. ehedem Itweiß, Ytweiß; welches alte Vorwort et, it, noch in unserm etwas angetroffen wird, und für ent zu stehen scheinet. Hornegk gebraucht für verweisen nur geweißen, und ältere Oberdeutsche Schriftsteller weißen, uuizun. ( S. Weisen, in der Bedeutung der wörtlichen Bestrafung.) Das alte Wite, Wette, Strafe, scheint gleichfalls damit verwandt zu seyn.


Verwelken (W3) [Adelung]


Verwelken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, welk werden. Ein Körper verwelkt, wenn er so viele zu seinem Leben oder auch nur zu seiner Festigkeit gehörige Feuchtigkeit verlieret, daß er dadurch welk wird; er verdorret, wenn er alle Feuchtigkeit verlieret. Das Gras verwelkt vor Hitze. Eine verwelkte Blume. Verwelktes Obst. Seine Wangen verwelken vor Alter und Gram. Mein Auge kann sie nicht mehr sehen, die Natur verwelket vor meinen Blicken. Mein Leben soll hier verfließen, wie ein Bach, sanft soll es verwelken, wie die Rose verwelkt, Geßn. Die Blüthe der Gesundheit, wie bald verwelkt sie in Kraftlosigkeit und Krankheit! Gell. Daher das Verwelken und die Verwelkung. Bey dem Ottfried iruuelkan, in einigen gemeinen Mundarten verschwelken.


Verwenden (W3) [Adelung]


Verwenden, verb. irreg. act. ( S. Wenden,) welches in verschiedenen Bedeutungen vorkommt. 1. So, daß ver eigentlich den Begriff der Entfernung hat. (1) Einem etwas verwenden, es ihm stehlen, eine veraltete Bedeutung, wofür jetzt entwenden üblich ist. (2) Wegwenden. Den Kopf verwenden, von einem Gegenstande wegwenden. Am häufigsten mit verneinenden Ausdrücken. Er verwandte kein Auge von mir, er wandte. Sie betrachtete mich von oben bis unten, ohne ein Auge zu verwenden. Jemanden mit unverwandten Augen ansehen. (3) Auf einen Gegenstand der Beschäftigung, der Bearbeitung wenden, wofür auch nur das einfache wenden üblich ist. Sein Geld auf das Bauen verwenden. Die auf den Prozeß verwandten Unkosten erstatten. Alle seine Kunst, vielen Fleiß auf etwas verwenden. Bey den Schwäbischen Dichtern bewenden, im Niederdeutschen gleichfalls verwenden. (4) Sich für eine Person oder Sache verwenden, seine Fähigkeiten und Kräfte zum Besten desselben anwenden. Sich dem Vaterlande zum Dienste verwenden, im Oberdeutschen. Sich für seinen Freund bey jemanden verwenden, eine Vorbitte für ihn bey demselben einlegen. 2. Umwenden. (1) Eigentlich, auf die andere Seite wenden, nur noch zuweilen im gemeinen Leben. Die Leinwand im Nähen verwenden, umwenden. Mit verwandter Hand, mit umgewandter Hand. Verwandte Schnitte, Nieders. verwend Brot, in einigen Gegenden, Semmelschnitte, welche in geschlagenen Eyern umgewandt und hernach mit Butter in einer Pfanne gebacken werden. Im Nieders. ist daher verwend so viel, als links. (2) * Figürlich, sich anders besinnen, wie man im ähnlichen Verstande auch sich umwenden, sich umkehren sagt. Sie verwandten sich und sprachen, er wäre ein Gott, Apost. 28, 6. Doch in dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet. So auch die Verwendung, in allen Fällen des Zeitwortes.

Anm. Das Bey- und Nebenwort verwandt, welches gemeiniglich von diesem Zeitworte abgeleitet wird, S. an seinem Orte besonders.


Verwerfen (W3) [Adelung]


Verwerfen, verb. irreg. ( S. Werfen,) welches in zwiefacher Gestalt üblich ist. I. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, zur Unzeit, zu frühe Junge werfen, mißgebären, wo es von solchen vierfüßigen Thieren gebraucht wird, von welchen werfen für gebären üblich ist. Die Hündinn, die Stutte hat verworfen. Im Nieders. verschnitten. II. Als ein Activum. 1. Sich verwerfen, sich im Werfen irren, da man es unter andern alsdann gebraucht, wenn man das Geld wurfweise oder nach Würfen zählet. 2. Durch Werfen der Menge nach erschöpfen. Alle Steine verworfen haben. Ingleichen als ein Reciprocum, sich verwerfen, alle vorräthige Steine geworfen haben. 3. An einen unrechten und zugleich unbekannten Ort werfen, besonders figürlich, ein Ding nachlässig wohin legen, ohne daß man weiß, wohin es geleget; verlegen. Ich habe es verworfen. Es muß verworfen seyn. Ich werde es doch nicht ganz und gar verworfen haben? 4. Ohne den Nebenbegriff des unbekannten Ortes verwirft man etwas, wenn man es auf eine nachlässige Art aus der gehörigen Ordnung bringt. Besonders von Wörtern. Die Wörter einer Rede verwerfen, sie unter einander werfen. Verworfene Buchstaben, versetzte. 5. Mit der Bedeutung der Entfernung ist verwerfen, als untauglich wegwerfen. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, Ps. 118, 22; weggeworfen. Sehr häufig auch figürlich, für untauglich erklären, wegen seiner Untauglichkeit nicht annehmen. Jemandes Rath verwerfen. Deine Meinung ist verworfen worden. Ohne mir einen Grund deines Abscheues abzugeben, verwirfst du einen würdigen Mann, Gell. Ich habe alle Möglichkeiten mir zu helfen, durchgedacht und verworfen. Die Zucht des Herrn, das Gesetz, das Böse verwerfen, in der Deutschen Bibel. Gott verwirft die Frommen nicht, Hiob. 8, 20. Wo aber verstoßen schicklicher ist. In sehr hartem Verstande ist verworfen im hohen Grade lasterhaft, niederträchtig, im gemeinen Leben weggeworfen. Eines solchen Grades der Raserey sind nur die Verworfensten des menschlichen Geschlechtes fähig. Eine unmäßige Liebe kann zu der verworfensten Leidenschaft werden. So auch die Verwerfung, welche selbst in der Bedeutung des Neutrius gebraucht wird. Schon bey dem Kero faruuerfen, bey dem Ottfried firuuerphan. Die Niedersachsen gebrauchen in allen Bedeutungen dieses Zeitwortes verschmiten, ob sie gleich in der letzten auch verwarpen sagen.


Verwerflich (W3) [Adelung]


Verwerflich, -er, -ste, adj. et adv. von der letzten Bedeutung des vorigen Zeitwortes, was als untauglich verworfen, für untauglich erkläret zu werden verdienet. Daß ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde, 1 Cor. 9, 27. Es ist nichts verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird, 1 Tim. 4, 4. Ein verwerflicher Rath. Eine verwerfliche Meinung. Ein unverwerfliches Zeugniß. So auch die Verwerflichkeit.


Verwesen (W3) [Adelung]


1. Verwesen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert, und eigentlich umkommen, untergehen bedeutet. Der Gottlosen Nahme wird verwesen, Sprichw. 10, 7. In dieser weitern Bedeutung ist es veraltet, indem man es nur noch in engerer gebraucht, durch die Fäulniß aufgelöset, seinen Theilen nach getrennet und zerstreuet werden, in der gemeinen und härtern Schreibart verfaulen. Unser äußerlicher Mensch verweset. 2 Cor. 4, 16. Du wirst nicht zugeben, daß dein Heiliger verwese, Ps. 16, 10. Verwesetes Holz. Die Leinwand ist ganz verweset. Hoffnungsvoll verwes't die Saat, Bis zur Zeit der Ernte, bey einem der neuern Dichter; wo aber das Zeitwort an der unrechten Stelle steht, indem die Saat in der Erde nicht verweset, sondern entwickelt wird. Daher die Verwesung, der Zustand, da die Theile des Körpers durch die Fäulniß aufgelöset und zerstreuet werden.

Anm. Im Oberdeutschen gehet dieses Zeitwort irregulär, daher auch Holler singt: In stillen Staub von halb verwes'nen Häuten. Was die Abstammung dieses Wortes betrifft, so findet sich zwar im Schwed. Isländ. und Angelsächs. ein Zeitwort wisna, visna, veosnan, welches morsch, mürbe werden bedeutet, und eigentlich ein Intensivum ist, welches vermittelst der Endsylbe -nen von einem veralteten Zeitworte wisa, visa, veosan abstammet, welches gar wohl noch in unserm verwesen übrig seyn könnte. Allein, da sich von diesem Worte sonst im Deutschen keine Spur findet, vielmehr noch andere Gründe vorhanden sind, dieses Wort von einem andern Stamme abzuleiten, so muß diese Ableitung zur Zeit noch dahin gestellet bleiben. Es ist nähmlich sehr wahrscheinlich, daß dieses Zeitwort von wesen, seyn, welches noch im Niederd. völlig gangbar, und noch in unserm gewesen und das Wesen vorhanden ist, abstammet. Vermittelst der destruirenden Bedeutung der Partikel ver, bedeutet verwesen, aufhören zu seyn, umkommen, untergehen, welche weitere Bedeutung es ehedem wirklich gehabt hat. Hierzu kommt noch, daß Ottfried und andere alte Oberdeutsche Schriftsteller häufig firwerdan, eigentlich verwerden, für umkommen, untergehen, gebrauchen, Schwed. förvarda, Angels. forweordan. Ja bey dem Notker heißt sogar die Verwesung, Irwartungo und Irwarnissa, die Verwerdung, Verwerdniß, und die Unverweslichkeit, Vnirwartungo, die Unverwerdung. Hieraus erhellet zugleich, daß die Partikel zu dem Verstande des Wortes verwesen wesentlich nothwendig ist, und wie wenig oft unsere neuern Dichter die Natur der Sprache kennen, wenn sie diese Partikeln wegwerfen, und dadurch nachdrücklicher und kernhafter zu schreiben suchen. Hier ruht und wes't, Gott sey's gedankt! Mein Weib, das immerdar gezankt, u. s. f. Bey einem sehr bekannten Dichter der neuesten Zeit, wo wesen gerade den entgegen gesetzten Verstand gewähret.


Verwesen (W3) [Adelung]


2. Verwesen, verb. reg. act. einem Dinge vorstehen, die Aufsicht über dasselbe haben, eine sehr alte Bedeutung, welche aber im Hochdeutschen veraltet ist. Man gebraucht es nur noch zuweilen für verwalten. Ein Amt verwesen, demselben vorstehen, es bekleiden, verwalten. Auch in engerer Bedeutung, demselben im Nahmen eines andern vorstehen. Siehe das folgende. So auch die Verwesung.

Anm. Schon bey dem Ottfried firwasen, in der weitern Bedeutung der Aufsicht, der Besorgung. Wachter leitete es von dem Bretagnischen Gwas, ein Knecht, Bedienter, her. Allein, wesen ist hier erweislich genug, gleichfalls der alte Infinitivus für seyn, und ver stehet für vor, so daß das Zeitwort das Latein. praeesse genau ausdruckt, und mit einem Dinge vorstehen, gleich bedeutend ist. In dem Kero lautet es noch ausdrücklich forawesen. Auch im Nieders. ist vörwesen, vorstehen.


Verweser (W3) [Adelung]


Der Verweser, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verweserinn, von dem vorigen Zeitworte, eine Person, welche etwas verweset, die Aufsicht über dasselbe hat. In diesem Verstande war Fürweser und Verweser so viel, als ein Vormund. Jetzt gebraucht man es nur im engern Verstande von jemanden, der eine aufgetragene Gewalt im Nahmen eines andern verweset, oder verwaltet; besonders ein Stellvertreter, Vicarius. Indessen ist es auch in dieser Bedeutung im Hochdeutschen selten, wo man es nur hin und wieder in einigen einzelnen Fällen gebraucht, und zwar theils wie Verwalter, in den Zusammensetzungen Amtsverwalter, Gerichtsverwalter u. s. f. theils im noch engern Verstande, da man einen Amtsverwalter von einem Amtsverweser oft noch zu unterscheiden pflegt, und unter jenem denjenigen verstehet, welcher die Ökonomie, und unter diesem, der die Justiz verwaltet. Doch dieser Unterschied ist bloß willkürlich und nicht in der Abstammung gegründet.


Verweslich (W3) [Adelung]


Verweslich, -er, -ste, adj. et adv. von 1 Verwesen, der Verwesung unterworfen, was verwesen kann und wird; im Gegensatze des unverweslich. Es wird gesäet verweslich, und wird auferstehen unverweslich, 1 Cor. 15, 42. Das Verwesliche wird nicht erben das Unverwesliche, v. 50. Daher die Verweslichkeit.


Verwesung (W3) [Adelung]


Die Verwesung, plur. car. S. 1 und 2 Verwesen.


Verwetten (W3) [Adelung]


Verwetten, verb. reg. act. durch Wetten, oder in einer Wette verlieren. Zehen Thaler verwetten. Nichts zu verwetten haben. Daher das Verwetten.


Verwettert (W3) [Adelung]


+ Verwettert, adj. et adv. welches, so wie verhenkert, verdonnert, verteufelt u. s. f. nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist, einen hohen Grad der bösen Beschaffenheit eines Dinges zu bezeichnen. Sie hat einen verwetterten Hochmuthsteufel im Kopfe, Weiße. Der verwetterte Mann, der verwünschte. Es ist von Wetter für Donnerwetter, so wie verdonnert von der ersten Hälfte.


Verwichen (W3) [Adelung]


Verwichen, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort des ungewöhnlichen Zeitwortes verweichen, für entweichen, unbemerkt vergehen, ist, und von der Zeit für vergangen gebraucht wird. Verwichenes Jahr, voriges Jahr. In nächst verwichener Woche, in voriger. Da es denn in der Adverbial-Form auch für neulich gebraucht wird. Verwichen hatt' ich einen Traum, Bernh. Die Niedersachsen gebrauchen dafür verleden, geleden, und leden, welches zu leiten, in der intransitiven Bedeutung für gleiten, gehöret.


Verwickeln (W3) [Adelung]


Verwickeln, verb. reg. act. in einander wickeln oder schlingen, so daß man es nicht aus einander bringen kann. Verwickelter Zwirn. Sich mit den Füßen in einem Netze, in einem Stricke verwickeln. Ingleichen figürlich. Ein verwickelter Handel, ein verworrener. Tief in eine Sache verwickelt seyn, so daß man sich nicht mehr von derselben los machen kann. Jemanden mit in seine Anschläge verwickeln. Daher die Verwickelung, auch figürlich, derjenige Zustand einer Sache, da ihre Theile so in einander geflochten sind, daß man ihren Ausgang nicht vorher sehen kann, der von der Verwirrung noch unterschieden ist.


Verwidern (W3) [Adelung]


* Verwidern, verb. reg. act. welches im Hochdeutschen fremd ist, und nur bey einigen Schlesischen Dichtern für verweigern vorkommt. Kein Begehrtes je erwidern, Kein Verwidertes begehren, Logau.


Verwildern (W3) [Adelung]


Verwildern, verb. reg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, wild werden. Ein zahmes Thier verwildert, wenn es viel von seiner vorigen Wildheit wieder annimmt. Ingleichen aus Mangel der Bearbeitung gleichsam zu einer Wildniß werden, ein wildes, unordentliches Ansehen bekommen. Ein Acker verwildert, wenn er entweder gar nicht, oder nicht mit der gehörigen Sorgfalt, gebauet wird. Ein Landgut verwildert, wenn es nicht in dem gehörigen guten Stande gehalten wird. Das Zimmer verwildern lassen, durch versäumte Reinigung und Ordnung. Ingleichen in moralischem Verstande. Einen jungen Menschen verwildern lassen, durch Mangel der Bildung, so wohl des Geistes, als der Sitten. Ein verwildertes Gemüth. 2. Als ein Activum, auf solche Art wild oder wilder machen, in welcher Gestalt es doch seltener gebraucht wird. Im Jagdwesen werden die Bärenfänge, Wolfsgruben u. s. f. mit Laub oder Streuling verwildert, d. i. damit bedeckt oder bestreuet, um ihnen ein wildes natürliches Ansehen zu geben. So auch die Verwilderung, in beyden Formen.


Verwilligen (W3) [Adelung]


Verwilligen, verb. reg. welches in doppelter Gestalt gefunden wird. 1. * Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, für willigen, einwilligen. Und der König verwilligte in den Vertrag, 2 Macc. 11, 15. Sie bathen Paullum, daß er längere Zeit bey ihnen bliebe, er verwilligte aber nicht, Apost. 18, 20. Im Niederdeutschen sagt man auf ähnliche Art sich verwillen. Im Hochdeutschen ist es in dieser Gestalt veraltet, wo man es 2. nur noch zuweilen als ein Activum gebraucht, seinen Willen zu etwas ertheilen, wofür doch bewilligen üblicher ist. Ich habe ihm noch nichts verwilliget. Es ist ihm verwilliget worden. So auch die Verwilligung.


Verwinden (W3) [Adelung]


Verwinden, verb. irreg. act. ( S. Winden.) 1. Von winden, torquere, unter einander winden, eine im Hochdeutschen seltene Bedeutung, wie verflechten. Was entzückt mehr, als die schöne Natur, wenn sie in harmonischer Unordnung ihre unendlich mannigfaltigen Schönheiten verwindet? Geßner. 2. Überwinden, vincere, so daß ver für über stehet; eine veraltete Bedeutung, in welcher es auch für überzeugen, überführen, gebraucht wurde. Man gebraucht es nur noch in engerm Verstande, ein Übel und dessen Folgen überstehen wie verschmerzen. Er hat den Verlust, den Schaden noch nicht verwunden, sich noch nicht davon erhohlet. Den Fall werde ich Zeitlebens nicht verwinden, werde die Folgen davon Zeitlebens empfinden. Indessen kann es in dieser Bedeutung auch von dem alten winnan, noch Nieders. winnen, Schmerzen empfinden, bey dem Ulphilas winnan, abstammen, zu welchem auch unser Pein gehöret, so daß es mit verschmerzen im eigentlichsten Verstande gleich bedeutend seyn würde.


Verwirken (W3) [Adelung]


Verwirken, verb. reg. act. 1. Von wirken, kneten, verwirket der Bäcker alles Mehl, wenn er alles Mehl in Teig verwandelt. Im Niederdeutschen wird verwerken noch für verarbeiten überhaupt gebraucht. 2. In der weitesten Bedeutung des Zeitwortes wirken, Veränderungen außer sich hervor bringen. (1) * Durch Wirken, d. i. eigene Thätigkeit, hervor bringen, so daß ver hier intensive für er und aus stehet. Wenn jemand ein Weib nimmt, und ihre Mutter dazu, der hat ein Laster verwirkt, 3 Mos. 20, 14; d. i. begangen. Doch diese Bedeutung ist veraltet. Was habe ich verwirkt? d. i. verbrochen, noch zuweilen im gemeinen Leben. (2) * Sich verwirken, sich vergeben, eigentlich in Anwendung seiner Thätigkeit fehlen, irren; eine gleichfalls veraltete Bedeutung. Die Heiden hätten sich verwirkt, und wider ihre Eidespflicht gethan, 2 Macc. 15, 10. (3) Durch eine gesetzwidrige Handlung verdienen. Wer in meinem ganzen Königreiche eine Strafe verwirkt hat, 1 Macc. 10, 43. Auch diese Bedeutung kommt im Hochdeutschen wenig mehr vor, wo das Zeitwort, (4) nur noch mit der destruirenden Bedeutung der Partikel ver, und im engern Verstande des Zeitwortes wirken, bedeutet, durch eine gesetzwidrige oder unerlaubte Handlung den Verlust eines Gutes verdienen, sich desselben verlustig machen, wo es einen höhern Grad der Beleidigung oder des begangenen Unrechtes bezeichnet, als verscherzen. Du hast dein Leben, deine Freyheit verwirkt, dich durch dein Verbrechen um dieselbe gebracht. Jemandes Gnade verwirken. Die gute Meinung seiner Freunde verwirken. So auch das Verwirken und die Verwirkung.

Anm. Schon bey dem Ottfried firwirken und firuorathan, von welchem letztern Zeitworte noch die Niederdeutschen verworcht, und verwrogt sagen; bey dem Hornegk verworchen, im Schwed. förverka, im mittlern Lat. forisfacere, forfacere.


Verwirren (W3) [Adelung]


Verwirren, verb. reg. et irreg. act. ich verwirre, du verwirrest u. s. f. Imperf. ich verwirrte, im Hochdeutschen nicht leicht verworr; Mittelw. verworren, seltener verwirrt. Es ist von dem im Hochdeutschen veralteten Zeitworte wirren, und ver, welches hier eine Verbindung unter einander bedeutet, so daß verwirren wegen des Zeitwortes wirren mehr sagt, als verwickeln. 1. Eigentlich so unter und in einander schlingen, daß man weder Anfang noch Ende erkennen, noch die einzelnen Theile hinlänglich von einander unterscheiden kann. Den Zwirn verwirren. Die Haare sind so verworren oder verwirrt. Verworrene, verwirrte Faden. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) In einen hohen Grad der Unordnung bringen, so daß alles in und unter einander gemenget ist. Den Staat verwirren, die Ordnung in demselben im höchsten Grade stören. Am häufigsten im Mittelworte. Es liegt alles verworren unter einander. Daher ist im Niederdeutschen Wirrwarr, Verwirrung, Unordnung. Eine Sache, einen Prozeß verwirren, die Theile derselben so unter einander mengen, daß man sie nicht deutlich unterscheiden kann. Es ging sehr verwirrt zu, sehr unordentlich. Ein verworrener oder verwirrter Handel. Ein verworrener Prozeß. Eine verwirrte Geschichte. Dahin gehöret auch die Sprachenverwirrung der Deutschen Bibel. Lasset uns ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache vernehme, 1 Mos. 11, 7. (2) Sich in oder mit etwas verwirren, so Theil an etwas nehmen, daß man nicht so leicht wieder zurück gehen kann. Damit mag ich mich nicht verwirren, ich mag mich nicht damit einlassen. Laß dich damit unverwirret. (3) Uneinig, uneins machen; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Der Gottlose verwirret gute Freunde, Sir. 28, 11. Böse Mäuler verwirren viel, die gu- ten Frieden haben, V. 15. (4) Beschämen, so daß der Beschämte nicht weiß, was er sagen soll, schon bey dem Ottfried wirren; jetzt nur noch zuweilen im gemeinen Leben. (5) Jemanden verwirrt, ihn verwirrt, (nicht verworren) machen; ihn ohne hinlängliche Überzeugung von der wahren Meinung zweifelhaft machen. Verwirret die Gewissen nicht. (6) Mit noch näherer Beziehung auf die Vorstellung oder Erkenntniß, ist verwirrt, oder noch häufiger verworren, unter einander gemengt, so daß man die einzelnen Theile auf Ein Mahl wahrnimmt oder empfindet, und darin gegründet; da denn die Verwirrung dieser Art wieder ihre verschiedene Grade hat. Eine Geschichte sehr verworren erzählen. Verworren reden. Eine verworrene Vorstellung, wo die einfachen Ideen, aus welchen sie bestehet, unter einander gemengt sind, wo man die Merkmahle nicht gehörig unterscheidet. Mein Auge rollt verwirrt, und sieht ihn schüchtern an, Schleg. Ein verworrener oder verwirrter Kopf, welcher die deutliche und undeutliche Erkenntniß auf eine nachtheilige Art mit einander vermengt, und solches durch sein Betragen äußert. Eine verworrene Schreibart. Verwirrt, oder im Kopfe verwirrt, oder verworren seyn, verrückt seyn, seinen gesunden Verstand verloren haben, der höchste Grad der Verwirrung der Ideen. So auch die Verwirrung, besonders von dem Zustande, da etwas verwirrt ist, in allen Bedeutungen des Zeitwortes, auch im figürlichen Verstande, nachtheilige Verwirrung der Begriffe, der deutlichen und undeutlichen Erkenntniß, Abwesenheit der völligen Deutlichkeit, wo man von der irregulären Form verworren auch das Hauptwort die Verworrenheit hat.

Anm. Schon bey dem Notker firwirren. Was die Conjugation dieses Wortes betrifft, so gehet es im Hochdeutschen völlig regulär, bis auf das Mittelwort, welches öfter verworren als verwirrt lautet, obgleich dieses nicht selten ist. Gottsched behauptet in seinen Beobachtungen über den Gebrauch und Mißbrauch deutscher Wörter, verwirren gehe regulär, wenn es ein Activum ist, irregulär aber, wenn es als ein Neutrum gebraucht werde. Allein, es findet sich hier nur die kleine Schwierigkeit, daß wir kein Neutrum verwirren haben, sondern Statt dessen das Reciprocum sich verwirren gebrauchen müssen. Die von ihm daselbst angeführten und zum Neutro gerechneten Beyspiele, das Ding ist ganz verworren, ein verworrener Handel, sind augenscheinlich Mittelwörter der vergangenen Zeit oder der passiven Gattung; wohin auch, nach einer bey diesen Mittelwörtern sehr gewöhnlichen Figur, der verworrene Kopf gehöret.


Verwischen (W3) [Adelung]


Verwischen, verb. reg. act. aus einander wischen. Die Farben verwischen, bey den Mahlern, edler vertreiben. Ingleichen durch Wischen unkenntlich machen, fast so, wie auswischen. Die Schrift ist ganz verwischt. Verwischte Buchstaben.


Verwittern (W3) [Adelung]


Verwittern, verb. reg. welches auf doppelte Art gebraucht wird. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, durch die Witterung aufgelöset werden, besonders von Mineralien. So verwittern die Erze, wenn sie durch die Luft und ihre Säuren aufgelöset werden. Verwitterter Kalkstein. 2. Als ein Activum, in welcher Gestalt es nur bey den Jägern üblich ist, mit der gehörigen Witterung, d. i. Geruch gebenden Lockpfeife, versehen. Das Eisen, die Falle, das Garn verwittern.


Verwitwen (W3) [Adelung]


Verwitwen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn, zur Witwe werden, am häufigsten in dem Mittelworte. Die durch des Domitius Tod verwitwete Agrippina. Magdalena Hennig, verwitwete Curtius; eine gewöhnliche Art der Witwen, sich zu unterschreiben. In den ältern Mundarten verwittibt.


Verwöhnen (W3) [Adelung]


Verwöhnen, verb. reg. act. durch Gewohnheit verderben, unvollkommener machen. Auf diese Weise werden die Kinder zu einer unmöglichen Art zu empfinden und sich zu schämen verwöhne, Gell. Ein verwöhntes Kind, welches durch nachgelassene Gewohnheit verderbt, verzärtelt worden. Verwöhne deine Tochter nicht, Sir. 7, 26. In engerer Bedeutung wird man verwöhnt, wenn man durch den anhaltenden Genuß des Guten so an dasselbe gewöhnet wird, daß man das geringste Übel nicht ohne Beschwerde ertragen kann. Das Glück hat dich ganz verwöhnt. So auch die Verwöhnung.


Verwölfen (W3) [Adelung]


Verwölfen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur bey den Jägern für verwerfen von solchen Thieren üblich ist, von welchen man wölfen für gebären sagt. Die Hündinn hat verwölfet, verworfen, mißgeboren. ( S. Wölfen.) Bey einigen ist dafür verfrischen üblich.


Verworrenheit (W3) [Adelung]


Die Verworrenheit, plur. inus. S. verwirren am Ende.


Verwunden (W3) [Adelung]


Verwunden, verb. reg. act. wund machen, eine Wunde beybringen; in den gemeinen Sprecharten blessieren. In einem Gefechte, in einem Zweykampfe verwundet werden. Die Verwundeten verbinden. Im Gesichte, in dem Unterleib, an dem Arme, an der Hand verwundet werden. Sich verwunden, sich schneiden, stechen, verbrennen u. s. f. Jemanden mit dem Degen, sich mit dem Messer verwunden. Figürlich. 1. Einen Baum, ein Gewächs verwunden, es beschädigen. 2. Jemandes Herz, sein Gemüth verwunden, ihm einen hohen Grad des Schmerzens, des Kummers verursachen. Ein verwundetes Herz. Jemandes Gewissen verwunden, sein Gewissen durch Überzeugung begangener Vergehungen unruhig machen. Ein verwundetes Gewissen. In der Deutschen Bibel wird Apost. 2, 37 die Wirkung der vorbereitenden Gnade eine Verwundung des Herzens genannt. 3. Im Berghaue ist ein verwundetes Feld, im weitesten Verstande, ein durch den Bergbau geöffnetes Feld, ein verschrotenes Feld. Daher die Verwundung, die Handlung des Verwundens, ohne Plural, und die Wunde selbst, mit dem Plural. Ehedem nur wunden, bey dem Ottfried wuntan, so daß ver bloß eine Intention, oder vielmehr die thätige Richtung auf einen Gegenstand, bezeichnet.


Verwundern (W3) [Adelung]


Verwundern, verb. reg. act. welches in doppelter Gestalt gefunden wird. 1. Als ein Neutrum. (1) Empfindung des Ungewöhnlichen erwecken, mit der vierten Endung der Person. Das verwundert mich sehr, erweckt mir Verwunderung. Wie kann dich das verwundern? Mein langes Stillschweigen verwunderte ihn. In der edlern Schreib- und Sprechart ist diese Bedeutung selten. In der vertraulichen gebraucht man dafür das einfache wundern. Das wundert mich. (2) Die Empfindung des Ungewöhnlichen über etwas äußern, mit der vierten Endung der Sache; ein nur in der niedrigen Sprechart üblicher Gebrauch, für das edlere bewundern. Jemandes Verstand verwundern. Das verwunderte ich an ihm. 2. Am üblichsten ist dieses Wort als ein Reciprocum, sich verwundern, das Ungewöhnliche selbst empfinden, und diese Empfindung äußern, deren höchster Grad Erstaunen ist. Das Ungewöhnliche, welches diese Empfindung veranlasset, bekommt, wenn es ein Nennwort ist, das Vorwort über. Sie verwunderten sich, da sie solches sahen, Ps. 48, 6. Daß alle, die vorüber gehen, werden sich verwundern über alles ihre Plage, Jer. 19, 8. Wir haben uns sehr darüber verwundert. Im Oberdeutschen auch mit der zweyten Endung, welche Wortfügung auch in der Deutschen Bibel sehr häufig ist, und noch zuweilen in der höhern Schreibart der Hochdeutschen nachgeahmet wird. Viele, die es höreten, verwunderten sich seiner Lehre, Marc. 6, 2. Ich verwundere mich des Gesichts, Dan. 8, 27. Viele verwun- dern sich seiner Weisheit, Sir. 39, 12. und so in andern Stellen mehr. Es ist nicht genug zu verwundern, wie u. s. f. ist nur in den Oberdeutschen Kanzelleyen üblich. So auch die Verwunderung, der hohe Grad der Empfindung des Ungewöhnlichen. Die Verwunderung ist eine Tochter der Unwissenheit. Das setzt mich in Verwunderung. Die Wörter verwunderbar, für wunderbar, und verwunderlich für bewunderungswürdig, sind nur in den niedrigen Spracharten gangbar.


Verwünschen (W3) [Adelung]


Verwünschen, verb. reg. act. 1. In die Ferne, oder aus der Reihe der Dinge wünschen. Einen bösen Weg verwünschen. Aus Unmuth nach einem Verluste das Spiel verwünschen. Da denn das Mittelwort häufig gebraucht wird, einen hohen Grad des Unwissens über etwas auszudrücken, für das härtere verflucht. Ein verwünschter Weg! Das verwünschte Spiel! Ein verwünschter Mensch. Ach, die böse Frau mit ihrem verwünschten Besuche! Gell. Ingleichen, in den niedrigen Sprecharten, als eine Interjection. Verwünscht über den Menschen! 2. In der Geisterlehre des großen Haufens ist verwünschen, durch einen Wunsch, d. i. durch Worte, in eine andere Gestalt verwandeln, durch Zauberformeln verwandeln, verbannen u. s. f. Ein verwünschtes Schloß. Eine verwünschte Prinzessinn. So auch die Verwünschung, von der Handlung des Verwünschens, ohne Plural, und von den Ausdrücken, womit man etwas verwünschet, mit dem Plural. Wozu alle diese Verwünschungen?


Verwürken (W3) [Adelung]


Verwürken, S. Verwirken.


Verwürzen (W3) [Adelung]


Verwürzen, verb. reg. act. allzu sehr würzen, durch zu viele Würze verderben. Die Speisen verwürzen. Daher die Verwürzung.


Verwüsten (W3) [Adelung]


Verwüsten, verb. reg. act. eigentlich zur Wüste, oder einem unbewohnten Orte, machen, und dann, und zwar am häufigsten, in figürlichem Verstande, verderben, zu Grunde richten, so wohl von großen als kleinen Gegenständen. Ein Land durch die Truppen verwüsten lassen. Das Erdbeben hat ganz Italien, die Feuersbrunst die Stadt, das Haus verwüstet. Die Soldaten haben alles in dem Hause verwüstet. Eine Gegend mit Feuer und Schwert verwüsten. Ein verwüstetes Land, Schloß, Haus. Im gemeinen Leben sagt man, ein Kleid, ein Messer, ein Buch verwüsten, es verderben, unbrauchbar machen. Ingleichen nach einer nahe verwandten Figur, ohne Noth und Nutzen verbrauchen, verschwenden, gleichsam durch unbesonnenen Gebrauch zu Grunde richten. Viele Kinder, viel Holz verwüsten. Viel Papier verwüsten, unnütz verschreiben oder verbrauchen. So auch die Verwüstung, so wohl von der Handlung, als dem Zustande. Die Verwüstung von einem Lande abwenden. Eine große Verwüstung anrichten. Im Isidor aruuostan, bey dem Strycker verwuesten, in den spätern Zeiten nur wasten uns wüsten. S. Wüsten.


Verwüster (W3) [Adelung]


Der Verwüster, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verwüsterinn, eine Person, welche verwüstet, oder etwas verwüstet.


Verwüthen (W3) [Adelung]


Verwüthen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, aufhören zu wüthen, ein im Hochdeutschen seltenes Wort, austoben, vertoben, ausraufen u. s. f.


Verzagen (W3) [Adelung]


Verzagen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte seyn. 1. Allen Muth sinken lassen, alles Vertrauen auf die Hinlänglichkeit seiner Kraft fahren lassen. Euer Herz verzage nicht, 5 Mos. 20, 3. Herzen, die verzagen, Jos. 5, 1. Sauls Herz verzagte sehr, 1 Sam. 28, 5. Die Ältesten hatten (waren) schon verzagt, Judith 13, 14. Indessen wird es in dem Perfecto und Plusquamperfecto seltener gebraucht, weil man dafür lieber verzagt werden sagt. Verzagt seyn. Ein verzagter Mensch. Wehe dem Verzagten! Sir. 2, 15. Ein verzagter Redner. Schüchtern und verzagt da stehen. 2. Im weitern Verstande, alle Hoffnung fahren lassen, verzweifeln. Verzage nicht! Vor leyd hett er nahent verzeit, Theuerd. Kap. 67; er wäre bey nahe verzweifelt. Da denn der Gegenstand in Ansehung dessen man alle Hoffnung aufgibt, das Vorwort an bekommt. Darum beich niht an Got verzage, einer der Schwedisch. Dichter. An einer Sache verzagen. Verzage nicht an deinen Kräften. An Gott, an seinem Amte verzagen, in der Deutschen Bibel. Welche Form, mit dem Vorworte an, doch im Hochdeutschen seltener gebraucht wird. Daher die Verzagung, der Zustand, da man verzagt, und die Verzagtheit, der Zustand, da man verzagt ist, oder verzagt geworden ist, beyde nur im Singular allein. Ver deutet hier eine Intention an, wie in verzweifeln, daher verzagen und Verzagtheit allerdings mehr sagen, als zagen und Zagheit.


Verzählen (W3) [Adelung]


Verzählen, verb. reg. act. falsch zählen. Eine Summe Geldes verzählen. Am häufigsten, als ein Reciprocum, sich verzählen, sich im Zählen irren. Daher das Verzählen, seltener die Verzählung.


Verzahnen (W3) [Adelung]


Verzahnen, verb. reg. in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, das Zahnen überstehen, alle neue Zähne bekommen. Das Kind hat verzahnt, hat noch nicht verzahnt. 2. Als ein Activum, mit den nöthigen Zähnen versehen, doch nur im figürlichem Verstande, und als ein Kunstwort bey verschiedenen Handwerkern und Künstlern. So ist das Verzahnen oder die Verzahnung ein Art des Zusammenschweißens bey den Schmieden, da die beyden Theile, welche vereinigt werden sollen, vorher durch das Schmieden mit Zähnen versehen werden, so daß sie in einander eingreifen.


Verzapfen (W3) [Adelung]


Verzapfen, verb. reg. act. Bier, Wein verzapfen, es einzeln gleichsam von dem Zapfen weg, verkaufen, es verschenken. Man verzapft täglich einen Eimer Bier, wenn man so viel einzeln von dem Fasse verkauft, oder verschenkt. So auch die Verzapfung.


Verzappeln (W3) [Adelung]


Verzappeln, verb. reg. neutr. welches nur in den niedrigen Sprecharten, und auch hier nur im Infinitiv, vorkommt; eigentlich bis zur Erschöpfung zappeln. Figürlich, jemanden in der Noth verzappeln lassen, verzweifeln, umkommen. Ingleichen, er möchte verzappeln, vor Hoffnung, vor Ungeduld, vor Ungewißheit außer sich gerathen.


Verzärteln (W3) [Adelung]


Verzärteln, verb. reg. act. durch Zärteln oder übel angebrachte Zärtlichkeit verderben. Ein Kind verzärteln, aus übertriebener Zärtlichkeit, so wohl es gegen all Unbequemlichkeiten unleidlich machen, als auch dessen Fehler unbestraft lassen; verziehen, Nieders. vertärteln, vertarten, im Meklenb. todden, das Intensivum von tehen, ziehen, daher Todfählken, (von Fählken, ein Füllen,) ein verzärteltes Kind, in den gemeinen Hoch- und Oberdeutschen Sprecharten verhätscheln, verzätscheln, ( S. Zätscheln.) Ingleichen, in weiterm Verstande, durch anhaltenden Genuß angenehmer Empfindungen gegen alle Beschwerden und Ungemächlichkeiten unleidlich machen. Der Genuß eines anhaltenden Glückes verzärtelt uns. Ein verzärtelter Wollüstling. Sich, seinen Leib verzärteln. Verzärtelte Empfindungen. So auch die Verzärtelung.


Verzäunen (W3) [Adelung]


Verzäunen, verb. reg. act. mit einem Zaume einschließen, vermittelst eines Zaunes den Zugang zu etwas versperren. Einen Weg verzäunen. Er hat meinen Weg verzäunet, Hiob 19, 8. Gott hat seinen Weinberg verzäunet, Es. 5, 2. Die Güter mit Dornen verzäunen, Sir. 28, 28. Daher die Verzäunung, nicht allein von der Handlung des Verzäunens, sondern auch von einem in dieser Absicht gemachten Zaune selbst.


Verzechen (W3) [Adelung]


Verzechen, verb. reg. act. durch Zechen verschwenden, verbringen. Sein Geld verzechen. Die Zeit verzechen. Ingleichen über dem Zechen versäumen. Die Mahlzeit verzechen. Daher das Verzechen.


Verzehnten (W3) [Adelung]


Verzehnten, verb. reg. act. den Zehnten von etwas geben. Einen Acker, sein Vieh, sein Getreide verzehnten. Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und "Pharisäer", ihr Heuchler, die ihr verzehendet, verzehntet die Münze, Till, (Dill) und Kümmel, Matth. 23, 23. Daher das Verzehnten.


Verzeren (W3) [Adelung]


Verzeren, verb. reg. act. durch Zehren alle machen, der Menge nach erschöpfen. 1. In engern Verstande, so fern zehren, essen, fressen, ist, auf solche Art alle machen, wie die gemeinen aufzehren, aufessen, und das niedrige auffressen. Die Gäste verzehrten alle Speisen mit dem grüßten Appetite. Es ist schon verzehret. Was die Jünglinge verzehret haben, 1 Mos. 14, 24. Indessen ist es doch von Menschen nur im Scherze am üblichsten. Die Heuschrecken haben alles Getreide verzehret. Die Würmer werdens verzehren, 5 Mos. 28, 39. Am häufigsten figürlich, den Werth eines Dinges durch Essen und Trinken erschöpfen. Sein Hab und Gut, sein Vermögen, das Seinige verzehren. In den Gasthöfen fragt man den Wirth, was man verzehret habe? Zehn Thaler verzehret haben. Zu dem Ende bitter ihr, daß ihrs mit euren Wollüsten verzehret, Jac. 4, 3. 2. In weitern Verstande, durch allmählige Zerstörung der Theile vermindern und nach und nach zerstören. Besonders von dem Feuer. Von dem Feuer, von den Flammen verzehret werden. Aber auch von allen andern Dingen, welche eine nagende oder fressende Eigenschaft haben, und dadurch die Theile eines Ganzen auflösen, zerstören oder erschöpfen. Der Rost verzehret das Eisen. Die Hitze verzehret das Schneewasser, Hiob 24, 19. Von dem Fieber verzehret werden, abgezehret, ausgezehret. Von dem Grame, von den Sorgen verzehret werden. Ein verzehrendes Gift, ein verzehrendes Gram. Das Herzeleid wird sie verzehren, Sir. 27, 33. Wachen verzehret den Leib, Kap. 31, 1. Erschöpft von Thränen und verzehrt von Seufzen. Inzwischen verzehret sich meine arme Julie, und ich verzehre mich über sie, Weiße. Mein Herz verzehret sich längst in gemeinen Klagen, eben ders. So auch die Verzehrung, welches auch von einer Art der Krankheit gebraucht wird, welche auch unter dem Nahmen der Abzehrung, der Auszehrung bekannt ist, und von der Schwindsucht noch unterschieden wird. Schon bey dem Notker verzeran, im Nieders. verteren, S. Zehren.


Verzehrer (W3) [Adelung]


Der Verzehrer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Verzehrerinn, eine Person oder Ding, welches verzehret, doch nur selten, und auch als dann gemeiniglich in der dichterischen Schreibart. Doch sagt man sprichwörtlich: ein Sparer will einen Verzehrer haben.


Verzeichnen (W3) [Adelung]


Verzeichnen, verb. reg. act. 1. Fehl zeichnen, sich im Zeichnen irren. Eine Figur ist verzeichnet, wenn sie nicht nach der Wahrheit gezeichnet ist. Ingleichen, als ein Reciprocum, sich verzeichnen, sich im Zeichnen irren. 2. Von zeichnen, niederschreiben, ist verzeichnen so viel, wie aufzeichnen, schriftlich aufbehalten. Diese Schrift, die da verzeichnet stehet, Dan. 5, 24, 25. Dieß und anders mehr, das Jason in fünf Büchern verzeichnet, 2. Marc. 3, 24. In dieser Bedeutung wird es wenig mehr gebraucht, wohl aber in engerer, mehrere Dinge einer gewissen Art stückweise niederschreiben; specificieren. Die hier verzeichneten Stücke. Waaren verzeichnen. Daher die Verzeichnung, die Handlung des Verzeichnens in beyden Bedeutungen.


Verzeichniß (W3) [Adelung]


Das Verzeichniß, des -sses, plur. die -e, welches nur noch im engsten Verstande der zweyten Bedeutung üblich ist, ein schriftlicher Aufsatz, so fern einzelne Stücke gewisser Art darin verzeichnet sind; eine Specification, eine Liste, ein Catalogus, Register, Matrikel u. s. f. Ein Verzeichniß von Waaren, von Geldsorten, von Büchern, u. s. f. Das Waarenverzeichniß, Bücherverzeichniß u. s. f. Ein Verzeichniß der Gebornen und Gestorbenen. Ehedem bedeutete es noch einen jeden Aufsatz, eine Schrift, schriftliche Nachricht von etwas; in welcher jetzt veralteten Bedeutung es noch 3 Marc. 4, 15 vorkommt.


Verzeihen (W3) [Adelung]


Verzeihen, verb. irreg. act. ( S. Zeihen,) welches in verschiedenen Bedeutungen vorkommt. 1. * Versagen, denegare, eine längst veraltete Bedeutung, in welcher farzihan schon bey dem Kero vorkommt. 2. Sich förmlich begeben, als ein Reciprocum mit der zweyten Endung der Sache; darauf renunciren. Sich eines Dinges verzeihen, sich dessen förmlich begeben, allem Rechte, allen Ansprüchen darauf entsagen. Sich verzigen haben irs gutes, im Schwabenspiegel. Eich mich ir verzige, ich verzige mich e der crone, Kaiser Heinr. In dieser Bedeutung ist es zwar noch nicht eigentlich veraltet; indessen ist doch die R. A. Vorsicht auf etwas leisten, gangbarer, als das bloße Zeitwort. (Siehe dieses Hauptwort.) In noch weiterm Verstande bedeutete es ehedem im Niedersächsischen abstellen, unterlassen überhaupt. 3. Den Unwillen gegen jemanden wegen einer Beleidigung, mit Erlassung der Schuld und Strafe derselben fahren lassen, wo es, besonders in der edlen Schreibart, für das im gemeinen Leben üblichere vergeben gebraucht wird. Es wird, so wie dieses, mit der dritten Endung der Person und der vierten der Sache verbunden. Einem etwas verzeihen. Ich habe es ihm schon verziehen. Verzeihen sie mir meine Unvorsichtigkeit. In weiterer Bedeutung auch alles Mißvergnügen über etwas fahren lassen, ingleichen nicht übel nehmen, nicht tadeln. Verzeihen sie der Natur, die einem Wurme ein schöner Kleid gab, als die feinste Kunst, ihnen nicht geben kann, Geßn. In der höhern Schreibart wird es zuweilen mit der dritten Endung der Sache, und mit Verschweigung der Person gebraucht, die alsdann durch die jene vertreten wird. Verzeihen sie einem Bekenntnisse, daß ich nicht länger zurück halten kann, Weiße. Verzeihen sie diesen schnellen Aufwallungen einer beleidigten Ehre, von Brawe. So auch die Verzeihung. Jemanden Verzeihung widerfahren lassen. Jemanden um Verzeihung bitten, oder bey jemanden um Verzeihung bitten.


Verzerren (W3) [Adelung]


Verzerren, verb. reg. act. durch Zerren verunstalten, entstellen. Hohlspiegel verzerren die Figuren. Den Mund, das Gesicht, die Geberden, die Gliedmaßen verzerren. Dieß verzerrete ihr Gesicht bis zur Ähnlichkeit einer Furie. So auch die Verzerrung.


Verzetteln (W3) [Adelung]


Verzetteln, verb. reg. act. 1. Einzeln und hin und wieder fallen lassen, und dadurch verlustig gehen. Bey dem Einfahren des Getreides wird viel verzettelt. Geld verzetteln, es in einzelnen Stücken verlieren. Heu, Stroh. Körner verzetteln, es im Hantieren fallen und umkommen lassen. Figürlich, leichtsinnig und unnütz verthun, von dem Gelde, besonders, wenn es in mehrern Summen geschiehet, viel Geld verzetteln. Er ist so reich, wie sie. denn sie haben ihre Wechsel auf ihrer Reise so ziemlich verzettelt, Weiße. Er kann wohl ungestraft das Waisengeld verzetteln, Günther. 2. Nachlässig an einen unbekannten Ort bringen, wie verlegen, verwerfen, vertragen. Ich weiß nicht, wohin ihn es verzettelt habe. Daher das Verzetteln.

Anm. In der ersten Bedeutung auch in einigen gemeinen Mundarten verquisten, schon bey dem Ottfried firquistan, in Meißen verursachen, in Niedersachsen verspillen, vertensen. Einige Oberdeutsche Mundarten gebrauchen für verzetteln auch verzetten. S. Zetteln.


Verzicht (W3) [Adelung]


Die Verzicht, plur. die -en, von dem Zeitworte sich verzeihen, die Handlung, da man sich seines Rechtes oder seiner Ansprüche förmlich und feyerlich begibt; die Renunciation. Verzicht auf etwas leisten, thun. Die Verzicht beschwören. Die gethane Verzicht brechen. In einigen Oberdeutschen Gegenden, Fürzicht. Daher der Verzichtbrief, oder auch nur die Verzicht, eine Urkunde, worin man Verzicht leistet. Ehedem war dafür auch Abzicht, Entschlagung, Entschlagbrief u. s. f. üblich.


Verziehen (W3) [Adelung]


Verziehen, verb. irreg. ( S. Ziehen,) welches in doppelter Gestalt üblich ist. I. Als ein Activum, wo es nach Maßgebung so wohl der Partikel, als auch des Zeitwortes in verschiedenen Bedeutungen üblich ist. 1. Falsch ziehen, einen falschen Zug thun, als ein Reciprocum, besonders in gewissen Spielen. So verziehet man sich in dem Schachspiele, wenn man einen falschen Zug thut. 2. Ein Kind verziehen, es fehlerhaft erziehen, doch nur, in engerer Bedeutung, aus unzeitiger Nachsicht dessen Eigensinn überhand nehmen lassen, wodurch es sich von verzärteln unterscheidet. Ein verzogenes Kind. 3. Aus des gehörigen Lage ziehen, dessen höherer Grad durch das Intensivum verzerren ausgedruckt wird. Den Mund, das Gesicht, die Mienen verziehen. Ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttlich verziehet, ist nicht selten um so viel schöner; aber die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen; Less. Mit stetem gewungenen Lächeln Und verzognem wird jede Sylbe begleitet, Zach. Die Gicht hat ihm alle Glieder verzogen. Ein Bret verziehet sich, wird von der Sonne verzogen, wenn es sich aus seiner Lage, aus seiner Gestalt ziehet, sich verwirft. 4. Wegziehen, in die Ferne ziehen; als ein Reciprocum, doch nur mit einigen Hauptwörtern. So sagt man von den Wolken, sie haben sich verzogen. Das Gewitter hat sich wieder verzogen. Ingleichen von einer Geschwulst. Die Geschwulst verziehet sich, auch wenn sie nach und nach völlig aufhöret, sich zertheilet. Die Schmerzen haben sich aus dem Rücken verzogen, haben sich zertheilet, verloren. 5. Verziehen machen, in der Bedeutung des folgenden Neutrius, die Gegenwart eines Dinges zurück halten, aufhalten, in welcher Bedeutung verzögern das Intensivum ist. Verzeuch (verziehe) nicht deinen Zorn, Jer. 15, 15. Verzeuch nicht die Gabe dem Dürftigen, Sir. 4, 3. Der Herr verzeucht nicht die Verheißung, 2 Peter 3, 9. Wenn ich nach verzognen (aufgeschobnen) Strafen Seine Langmuth frech verwerfe, Michael der Dichter. Indessen kommt diese Bedeutung im Hochdeutschen am seltensten vor. II. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, noch an einem Orte verharren, da man denselben verlassen wollte oder sollte; da es denn in der edlen Schreibart für die gemeinen warten, bleiben, sich aufhalten u. s. f. am üblichsten ist. Verziehen sie noch ein wenig, warten sie noch ein wenig, bleiben sie noch ein wenig da. Ich kann unmöglich länger verziehen. Warum verzogst du hier? Hätte ich noch ein wenig verzogen, so hätte ich ihn angetroffen. Im Hochdeutschen ist es absolute, ohne Infinitiv am üblichsten. Die Intensiva davon sind zögern und zaudern, ungebührlich verziehen. In weiterer Bedeutung sagt man auch im Reciproco, die Sache verziehet sich, wenn sie langwierig wird. Ingleichen im gemeinen Leben unpersönlich. Es kann sich noch lange damit verziehen, es hat sich lange mit der Sache verzogen, welche Formen aber der edlern Schreibart fremd sind. Daher das Verziehen, fast in allen Bedeutungen; die Verziehung ist nur in der dritten thätigen, der Verzug aber nur in der neutralen üblich, S. das letzte an seinem Orte. In der Bedeutung des Neutrums scheint ver intensive, ziehen aber figürlich zu stehen.


Verzieren (W3) [Adelung]


Verzieren, verb. reg. act. mit Zierathen versehen, für das gemeine auszieren, ein Kleid, ein Zimmer verzieren. Der Schwertfeger verziert ein Degengefäß, wenn er es mit Bunzen polieret. Daher der Verzierer, Franz. Decorateur, ein Künstler, welcher Triumph-Bogen, öffentliche Einzüge, theatralische Vorstellungen u. s. f. anordnet. Ingleichen die Verzierung, plur. die -en. O wie schön bist du, Natur, in deiner kleinsten Verzierung wie schön! Geßn. Besonders werden alle theatralische Zierathen, mahlerische Vorstellungen, Triumphbogen, u. s. f. Verzierungen, Franz. Decorations, genannt. Verzierungen in der Baukunst sind Bildsäulen, Tropheen, Vasen, halb erhabene Arbeit u. s. f. Die theatralischen Verzierungen bestehen vornehmlich in der mahlerischen Vorstellung natürlicher Gegenstände, vermittelst der Perspective und eines künstlichen Lichtes. Die Klempener haben einen eigenen Verziermeißel, ein Stück Arbeit damit zu verzieren.


Verzimmern (W3) [Adelung]


Verzimmern, verb. reg. act. mit dem nöthigen Zimmerwerke versehen, ein besonders in dem Bergbaue übliches Wort, wo ein Schacht, ein Stollen u. s. f. verzimmert werden, wenn sie mit Holz so verwahret werden, daß sie vor dem Einsturze sicher sind. Daher die Verzimmerung, welches auch von dem auf solche Art verbauetem Holze selbst gebraucht wird, und alsdann auch den Plural leidet. In ähnlichen Verstande ist verzimmern in der Seefahrt, eine durch ein Bruch schadhaft gewordene Stelle in einem Schiffe wieder ausbessern.


Verzinnen (W3) [Adelung]


Verzinnen, verb. reg. act. mit einer dünnen Oberfläche von Zinn überziehen, wie vergolden, versilbern, obgleich die Art und Weise verschieden ist. Das Verzinnen geschiehet, indem man die Oberfläche eines Körpers mit flüssig gemachtem Zinne überziehet. So werden kupferne Gefäße, eiserne Bleche u. s. f. verzinnet. Bey dem Verzinnen der Nadeln ist die Oberfläche von Zinn sehr zart, indem sie von dem wenig aufgelösten Zinne gleichsam nur gefärbet wird. Daher die Verzinnung, der Verzinner, in den Blechhütten, ein Arbeiter, welcher die eisernen Bleche verzinnet; der Verzinnkrug, bey den Nadlern. ein irdener Topf, die Nadeln darin zu verzinnen; der Verzinnkolben, bey den Glasern, ein Kolben mit einem rundlich aufgeschnittenen Kegel von Kupfer, das Fensterbley zu verzinnen.


Verzinsen (W3) [Adelung]


Verzinsen, verb. reg. act. die Zinsen oder den Zins von etwas geben. Ein Capital verzinsen, im gemeinen Leben verinteressiren. So auch die Verzinsung.


Verzögern (W3) [Adelung]


Verzögern, verb. reg. act. welches das Intensivum von verziehen, doch nur in der letzten Bedeutung des Activi ist, die Ankunft eines Dinges aufhalten, die Geschwindigkeit vermindern. Wie der liebliche Mond mich anlächelt! O verzögere noch deine Stunden! Weiße. Besonders von der ungebührlichen Verminderung der Geschwindigkeit, am häufigsten von Sachen. Einen Prozeß, eine Sache verzögern, sie ungebührlich aufhalten. Einen Termin zu verzögern suchen. So auch die Verzögerung. Von dem Neutro verziehen ist das einfachste zögern, als ein Intensivum üblich. S. dasselbe.


Verzollen (W3) [Adelung]


Verzollen, verb. reg. act. den Zoll von etwas geben. Waaren verzollen. So auch die Verzollung.


Verzucken (W3) [Adelung]


Verzucken, verb. reg. act. 1. In die Ferne Zucken oder ziehen; eine im Hochdeutschen ungewöhnliche Bedeutung, in welcher dieses Wort im Oberdeutschen für entzücken üblich ist, daher die Verzuckung daselbst auch für Entzückung gebraucht wird. Die Erd hat Dathan eingeschluckt, Den Haufen Abirams verzuckt, Opitz; d. i. weggeraffet, weggerissen. 2. Aus seiner gehörigen Lage zucken, als ein Intensivum von verziehen in ähnlicher Bedeutung. Auch in diesem Verstande ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich, wo man davon nur das Hauptwort, die Verzuckung, plur. die -en, hat, unwillkührliches Zucken und Ziehen in den Gliedern zu bezeichnen, Lat. Convulsiones. Verzuckungen bekommen, welche stärker sind, als bloße Zuckungen.


Verzuckern (W3) [Adelung]


Verzuckern, verb. reg. act. zu sehr zuckern. Eine Speise verzuckern. Daher das Verzuckern.


Verzug (W3) [Adelung]


Der Verzug, plur. car. von dem Neutro verziehen, und der dahin gehörigen letzten Bedeutung des Activi, so wohl die Handlung, da man etwas verziehet, d. i. dessen Gegenwart, dessen Geschwindigkeit vermindert, als auch der Zustand, da ein Ding verziehet, oder auf solche Art in seiner Geschwindigkeit vermindert wird. Der Herr verzeucht nicht die Verheißung, wie es etliche für einen Verzug achten, 2 Pet. 3, 9. Die Sache leidet keinen Verzug. Wozu soll der Verzug? Ohne Verzug, ohne allen Verzug, unverzüglich, sogleich, den Augenblick.


Verzüglich (W3) [Adelung]


Verzüglich, adj. et adv. ein nur in den Rechten einiger Gegenden übliches Wort. Verzügliche Schutzreden oder Ausflüchte, welche dazu dienen, eine angestellte Klage zu verzögern, auf gewisse Zeit aufzuschreiben: dilatorische Exceptiones. S. auch Unverzüglich.


Verzweifeln (W3) [Adelung]


Verzweifeln, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert, ob es gleich im Perfecto und Plusquamperfecto seltener gebraucht wird, alle Hoffnung zu etwas aufgeben, für unmöglich halten. Ich fange nun an zu verzweifeln, daß ich es bekommen werde. Am häufigsten mit dem Nennworte und dem Vorworte an. An etwas verzweifeln. An jemandes Besserung, an seinem Glücke, an Gottes Gnade, an sich selbst verzweifeln. Sie verzweifelten an seinem Leben, 2 Marc. 9, 18; sie gaben alle Hoffnung dazu auf. Im engsten Verstande verzweifelt man, wenn man die Unmöglichkeit der Besserung seines Zustandes auf das lebhafteste empfindet. Verzweifle unter den Martern einer verachteten Liebe! So auch die Verzweifelung, besonders in der letzten engern Bedeutung, der hohe Grad der Unlust über die erkannte Unmöglichkeit der Besserung seines Zustandes. In Verzweifelung fallen, gerathen. Anm. Ver scheinet hier eine intensive Bedeutung zu haben, so daß verzweifeln den höchsten Grad des Zweifelns bezeichnen würde. Den ältesten Oberdeutschen Schriftstellern scheinet dieses Wort nicht bekannt gewesen zu seyn, indem Kero dafür farwannan, Notker aber für Verzweifelung Ferchunst gebraucht. Aichinger und andere Oberdeutsche Sprachlehrer sagen, man gebrauche dieses Zeitwort mit beyden Hülfswörtern, so wohl mit haben, als mit seyn; allein im Hochdeutschen ist das letztere nicht üblich.


Verzweifelt (W3) [Adelung]


Verzweifelt, -er, -ste, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort der vergangenen Zeit des vorigen Zeitwortes ist, aber vornehmlich als ein eigenes Bey- und Nebenwort in figürlichem Verstande gebraucht wird, da es denn in hohem Grade böse, arg, verwirret u. s. f. bedeutet, in allen den Fällen, wo man diese Begriffe auf eine gleichgültige Art, ohne verhaßten Nebenbegriff ausdrucken will; eigentlich so beschaffen, daß man an dessen Besserung verzweifelt. Ein verzweifelt böser Schade, Jer. 30, 12; oder auch, ein verzweifelter Schade. Ein verzweifelt böser Schmerz, B. 15. Die Sache hat eine verzweifelte Lage bekommen. Er empfing uns verzweifelt kaltsinnig. Mit deinem verzweifelten Geplauder verderbst du mir immer die klügsten Einfälle, Weiße. Es ist doch eine verzweifelte (äußerst bedenkliche) Sa- che um die liebe Tugend, eben ders. In den gemeinen Sprecharten hat man dafür die gleichbedeutenden vertrackt, verhenkert, verzwickt, und im Niederdeutschen verdullt (von toll,) und vermuckt.


Verzwicken (W3) [Adelung]


Verzwicken, verb. reg. act. eigentlich vorn an einem Dinge etwas abzwicken, durch Zwicken abnehmen. So verzwickt man in Franken die Weinstöcke, wenn man die äußersten Keime der Zweige abkneipet oder abzwicket, welches an andern Orten geitzen heißt, von Geiz, dem Nahmen dieser unechten Keime. Figürlich und im gemeinen Leben ist daher verzwickt, so viel, wie verschoren, d. i. seltsam, gleichsam vorn abgestutzt und dadurch possierlich aussehend. Das siehet verzwickt aus. Ein verzwickter Mensch, der in seinen Handlungen possierlich seltsam ist. Die in Frischens Wörterbuche befindliche Bedeutung, nach welcher verzwickt reden, so viel ist, als abgebrochen, ingleichen kurz, zusammen gedrängt, ist im Hochdeutschen unbekannt. So auch die Verzwickung, doch nur in dem eigentlichen Verstande.


Vesper (W3) [Adelung]


Die Vesper, plur. die -n, ein mit der christlichen Religion schon sehr frühe aus dem Lat. vespera in die Deutsche Sprache eingeführtes Wort, welches noch hin und wieder im gemeinen Leben üblich ist. 1. Der Abend, die Zeit gegen Abend, ohne Plural und am häufigsten im weitestem Verstande, so daß der ganze Nachmittag mit darunter begriffen wird. Es ist noch im Zusammensetzungen am gewöhnlichsten. Daher die Vesper-Zeit, die Nachmittagszeit, schon im Schwabenspiegel Vesper zit. Das Vesper-Brot, im gemeinen Leben einiger Gegenden, trockne Speise, welche man den Arbeitern Nachmittags gibt, das Nachmittagsbrot, in einigen Gegenden das halbe Abendbrot, in Franken das Rechtlein oder Deistelbrot, in Österreich die Jausen. Daher heißt vespern, im gemeinen Leben einiger Gegenden, das Nachmittagsbrot essen. 2. Der nachmittägige Gottesdienst. In die Vesper gehen. In die Vesper läuten. Daher die Vesper-Predigt, die Nachmittagspredigt; der Vesper-Prediger, der Nachmittagsprediger; die Vesper-Glocke, womit in die Vesper geläutet wird.

Anm. Das Wort kommt im Deutschen von dem Nachmittagsgottesdienste schon im achten Jahrhunderte vor. Opitz nennt den Abendstern der Vesper-Stern. Im Niederdeutschen wird auch das Frühstück sehr uneigentlich die Vormittags-Vesper genannt.


Vest (W3) [Adelung]


Vest, adj. et adv. die veraltete Schreibart des Wortes fest, welche nur noch in der figürlichen Bedeutung für mannhaft, tapfer, in den Kanzelleyen üblich ist, so fern dieses Wort daselbst noch als Titel der Ritter und ritterlichen Personen gebraucht wird. Strenge, Gestrenge und Vest, sind die ältesten Ehrenwörter der Ritter; und ob sie gleich in den neuern Zeiten mit den von der Geburt hergenommenen Titeln vertauschet worden, so sind sie doch noch in vielen Kanzelleyen geblieben, und vest hat in dieser Bedeutung auch noch seine alte Schreibart mit dem v behalten. Geßler lehret in seinem 1506 gedrucktem Formular, daß man turnierfähigen Rittern den Titel edel vest, geben, neu aufgekommene Edelleute aber fromm und vest, neu geschöfft (gemachte) Edelleute aber Ehrenvest nennen soll. S. auch Ehrenfest, und von den übrigen Bedeutungen des Wortes vest, in Fest.


Veste (W3) [Adelung]


Die Veste, S. Feste.


Vesten (W3) [Adelung]


Vesten, Vestigen, zwey im Hochdeutschen veraltete Zeitwörter, welche noch in der Deutschen Bibel vorkommen, wofür aber jetzt befestigen üblich ist, S. dasselbe.


Vettel (W3) [Adelung]


Die Vettel, plur. die -n, eine unzüchtige Weibsperson im verächtlichen Verstande. Eine liederliche Vettel. Eine alte Vettel, eine alte unzüchtige, oder unzüchtig gewesene Person. Daher altvettelisch, in der Deutschen Bibel, für altweibisch.

Anm. Die gemeine Meinung ist, daß dieses Wort von dem Lat. Vetula abstamme, welches freylich eine große Ähnlichkeit des Klanges, aber sonst auch nichts für sich hat. Im Nieders. lautet dieses Wort Fiddel, wo es gleichfalls ein unzüchtiges Weibsbild bedeutet. Da nun der Begriff der Unzucht, nicht aber des Alters, in diesem Worte der herrschende ist, so ist glaublicher, daß die Ähnlichkeit mit dem Lateinischen bloß zufällig ist, und daß unser Vettel aus einer ganz andern Quelle herstammet; vielleicht von Fidel und fideln, eine Geige und geigen, welche Wörter in den niedrigen Sprecharten gleichfalls im unzüchtigen Verstande gebraucht werden.


Vetter (W3) [Adelung]


Der Vetter, des -s, (Oberd. -n,) plur. die -n, ein männlicher Verwandtschaftsnahme, mit welchem man so wohl den Vater- und Mutterbruder, als auch Geschwisterkinder männlichen Geschlechtes zu bezeichnen pfleget, so daß dieses Wort mit dem weiblichen Verwandtschaftsnahmen Muhme überein kommt. Moses rief Misael und Elzaphan, den Söhnen Ustel, Aarons Vettern, 3, Mos. 10, 4. Wenn jemand bey seines Vaters Bruders Weib schläft, der hat seines Vettern Scham geblößet, Kap. 20, 20. Es mag ihn jemand unter seinen Brüdern lösen, oder sein Vetter oder Vetters Sohn, Kap. 25, 49. In weiterer und vermuthlich eigentlicher Bedeutung, werden alle nahe Verwandte männlichen Geschlechtes, für welche man keine besondern Nahmen hat, auch in entferntern Graden Vettern genannt, welche Bedeutung nicht allein im gemeinen Leben sehr häufig ist, sondern auch in der Deutschen Bibel vorkommt. Ich will ein Leid meines Vetters singen, Es. 5, 1; meines Verwandten. Ein weitläufiger Vetter, ein naher Vetter. Muhme wird auf ähnliche Art von allen weiblichen Verwandten gebraucht, solche Grade der Verwandtschaft ausgenommen, welche wegen ihrer Nähe eigene Nahmen haben. Sprichw. Wer sich zwischen Vettern und Freunde steckt, der klemmt sich.

Anm. In den Monseeischen Glossen kommt dieses Wort zuerst vor, wo patruus und fratruelis durch Fetiro, patruelis aber auch Fetirinsun, des Vetters Sohn, übersetzt wird. Frisch, Gottsched und viele andere leiten es von Vater ab, und der letztere wollte es un deßwillen gar Vätter geschrieben wissen. Keiner aber hat diese Ableitung nur im geringsten zu beweisen gesucht. Dessen ungeachtet bestätiget Herr Heynaß sie im 5ten Theile seiner Briefe sehr entscheidend. "Beyläufig, heißt es daselbst, wundere ich mich, daß Herr Hemmer Wachters Herleitung des Wortes Vetter von wetten, welches so viel als verbinden geheißen, wahrscheinlicher findet, als die gewöhnliche von Vater. Diese ist unstreitig richtig, wenn man nur die Sache recht vorstellt. Von Vater kam Fetiro, welches des Vaters Bruder bedeutete; dessen Sohn hieß denn wieder Fetirinsun, oder auch wohl aus Abkürzung oder aus Verwirrung ebenfalls Fetiro. Hernach hat man es weiter ausgedehnt, und nannte jeden männlichen Verwandten so. Die Beweise suche man in Schilters Thesauro. Auf gleiche Art ist Muhme aus Mutter entstanden" u. s. f. Hier ist fast kein Satz, dessen Unrichtigkeit sich nicht beweisen ließe; aber um des Raumes zu schonen, sey es an Einer Anmerkung genug. Jedes von einem andern abstammende Wort muß das Zeichen seiner Abstammung aufzuweisen haben. So stammen von Pater im Lat. Patruus und Patruelis vermittelst der Ableitungssylben us und elis her. Aber, wo findet sich das in Vetter? Vater ist vermittelst der Sylbe -er, welche hier eine Person männlichen Geschlechtes bedeutet, von Vat, Fat abgeleitet; so auch Verter, vermittelst eben dieser Ableitungssylbe von Vett, Fett u. s. f. Herr H. hat doch nicht etwa das Oberdeutsche müßige o am Ende für eine Ableitungssylbe gehalten? Oder hat er etwa geglaubt, daß diese Veränderung des Vocals a in e zur Ableitung genug sey? Bei einer so großen Veränderung der Bedeutung, als vom Vater zum Vetter ist, ist diese Ableitung ohne Beyspiel, oder vielmehr. es findet auf diese Art gar keine eigentliche Ableitung Statt, wohl aber eine Abänderung der Bedeutung, wie Vater und Väter, fallen und fällen. In Schilters Thesauro findet sich keine Spur eines Beweises, so bestimmt sich auch Herr H. darauf beruft; bloß die schon oben angeführten Wörter aus den Monseeischen Glossen finden sich daselbst ohne alle Erläuterung und Anmerkung. Es ist also nicht bloß unwahrscheinlich, sondern erweislich unrichtig, daß Vetter von Vater abstammet, und Wachters Ableitung von einem veralteten Zeitworte, vetten, wetten, welches verbinden bedeutet hat, behält immer noch den Vorzug. Bey dem Ulphilas ist withan, verbinden, und vetten ist in der Bedeutung des Bindens, Einspannens und u. s. f. noch in manchen gemeinen Sprecharten üblich, wo auch einvetten, in das Joch spannen, ausvetten, ausspannen, zusammen vetten, verbinden u. s. f. ist. Im Engl. ist wed, heiraten, und wedded, verheiratet. ( S. Wetten und 2 Fette.) Vermittelst der Endsylbe er bedeutete davon Vetter, einen Verbundenen oder Verwandten, in welchen weitern Bedeutung, welche allem Ansehen nach die ursprüngliche ist, es im gemeinen Leben noch jetzt nicht selten ist. Die Form in der zweyten Endung des Vettern für des Vetters stammet aus dem Oberdeutschen her, wo man auch des Vatern, des Brudern u. s. f. sagt.


Vetterlich (W3) [Adelung]


Vetterlich, adj. et adv. einem Vetter gemäß, in dessen Beschaffenheit gegründet. Das ist nicht vetterlich, geziemet keinem Vetter, oder nahen Verwandten. Freund- vetterlich, in den Briefen großer Herren an geringere Reichsstände.


Vetterschaft (W3) [Adelung]


Die Vetterschaft, plur. inus. der Zustand, da man jemandes Vetter ist, wie Bruderschaft, Verwandtschaft, Schwägerschaft und so ferner.


Vexiererey (W3) [Adelung]


Die Vexiererey, plur. die -en, auch nur im gemeinen Leben, die Handlung des Vexierens, ingleichen einzelne Handlungen, so fern sie darauf abzielen, einen andern zu seinem Vergnügen unnöthige Unlust zu machen, oder auch dessen Leichtgläubigkeit zu seinem Vergnügen zu mißbrauchen.


Vezier (W3) [Adelung]


Der Vezier, (zweysylbig) des -es, plur. die -e, aus dem Türkischen Wessir oder Wisir, ein Staatsbeamter aus dem Osmannischen Hofe, ein Minister. Daher der Groß-Vezier, der erste und oberste Staatsbeamte nach dem Sultan, der Premier-Minister.


Vicar (W3) [Adelung]


Der Vicar, des -es, plur. die -e, von dem Lat. Vicarius, derjenige, der eines andern Stelle vertritt, der Stellvertreter, Verweser, zuweilen auch der Platzverweser. In der ernsthaften und feyerlichen Schreibart lautet dieses Wort vollständiger Vicarius. Der Reichs-Vicarius.


Vicariat (W3) [Adelung]


Das Vicariat, des -es, plur. die -e, aus dem Lat. Vicariatus. Das Amt, die Würde eines Vicarii oder Verwesers. Der Vicariats-Thaler, ein Thaler, welchen ein Reichs-Vicarius, während seines Vicariates schlagen lässet.


Vice (W3) [Adelung]


Vice, ein unabänderliches Beywort, welches aus dem Französischen vice, entlehnet ist, und so, wie dieses, nur in Zusammensetzungen gebraucht wird, eine Person zu bezeichnen, welche die Stelle einer andern vertritt, und mit derselben eine ähnliche, obgleich geringere und untergeordnete Würde hat. Daher der Vice-Admiral, welcher in manchen Staaten noch von dem Unter-Admiral unterschieden wird; der Vice-König, Franz. Vice-Roi, der Unterkönig, ehedem der Schaltkönig, welcher nicht mit einem bloßen Statthalter verwechselt werden muß, indem jener, außer mehrerer Gewalt, auch mit vielem äußern Pompe der königlichen Würde bekleidet ist; der Vice-Kanzler, der Unterkanzler, und hundert andere Zusammensetzungen mehr. Bey den Buchbindern wird der erste und letzte Bund an einem Buche, der ohne Schnüre ist, das Vice-Gebünde genannt. Im Deutschen kann man das Vice - in vielen Fällen durch unter ausdrucken. In dem alten Straßburgischen Stadtrechte bey dem Schilter kommt dafür das sonst unbekannte Spett vor; Spettschöff, Vice-Schöppe, Spettmeister, Vice-Meister.


Victualien (W3) [Adelung]


Die Victualien, sing. inus. ein aus dem mittlern. Lat. Victualia erborgtes und nur im gemeinen Leben übliches Wort, Lebensmittel zu bezeichnen.


Vieh (W3) [Adelung]


Das Vieh, des -es, plur. die -e, im gemeinen Leben und im Oberd. -er, Diminut. welches doch nur zuweilen im Scherze gebraucht wird, das Viehchen. 1. Im weitesten Verstande, ein jedes unvernünftiges Thier, wie Thier in engerer Bedeutung. (1) Eigentlich, wo dieses Wort wiederum entweder collective und ohne Plural, oder auch von einzelnen Thieren und mit dem Plural vorkommt. Collective. Du Schlange seyst verflucht vor allem Vieh, 1 Mos. 3, 14; vor allen Thieren. Die Erde bringe hervor Vieh, 1 Mos. 1, 24. Gott machte das Vieh nach seiner Art, B. 25. Nach 1 Mos. 7. mußte Noah reines und unreines Vieh mit in seinen Kasten nehmen. Gott macht uns gelehrter, denn das Vieh auf Erden, Hiob 35, 11; und so in andern Stellen mehr. Disjunctive. Der Mensch gab einem jeglichen Vieh seinem Nahmen, 1 Mos. 2, 20. Gottlose müssen davon und fahren dahin, wie ein Vieh, Ps. 49, 13, 21. In einem alten 1501 zu Rom gedruckten Deutschen und Ital. Vocabul. heißt es: le Bestie, die Fiber. Sein Leid verfällt in Staub, sein Blut verfliegt in Rauch; So stirbt ein großer Mann, so sterben Vieher auch. Hall. In dieser ganzen weitern Bedeutung gebraucht man es nur noch zuweilen im harten und verächtlichen Verstande, wenn man besonders die Dummheit und höchste Sinnlichkeit der unvernünftigen vierfüßigen Thiere, besonders größerer Art, bezeichnen will. Ein Mensch, wie ein Vieh. So dumm wie, das Vieh, oder wie ein Vieh. ( S. Viehisch.) Daher denn auch (2) Figürlich, ein im höchsten Grade dummer oder sinnlicher Mensch, im harten und verächtlichen Verstande auch wohl ein Vieh genannt wird. Er ist ein wahres Vieh. Solche Viehe von Menschen. Zum Viehe werden, zum höchsten Grade der Sinnlichkeit hinab sinken. Sechs Viehe vor dem Wagen, und sechse hinten drauf, Heräus. 2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung werden die zahmen Thiere, welche der Mensch zu seinem Gebrauche um sich hält, col- lective Vieh genannt. Daher Federvieh, Lastvieh, Zugvieh, Zuchtvieh, Mastvieh, Schlachtvieh, Schafvieh, Schafe, Hammel, Lämmer, Böcke, Schweinvieh, Rindvieh, Ochsen, Kühe, Kälber u. s. f. Da man denn im weitesten Verstande nicht allein das zahme Geflügel, ingleichen Hunde und Katzen, sondern auch die Bienen mit dem Nahmen des Viehes zu benennen pflegt. Das junge Vieh im Stocke, d. i. die jungen Bienen, so lange sie noch in den Scheiben stecken. Gewöhnlicher versteht man darunter die größern vierfüßigen zahmen Thiere. Vieh halten. Das Vieh hüten, d. i. die Schafe, Schweine, oder Kühe und Ochsen. Wenn der Hirt das Vieh austreibet. Wilde Thiere sollen euer Vieh zerreißen, 3 Mos. 26, 22. Hast du Vieh, so warte sein, Sir. 7, 24. Da denn oft auch besondere Arten nur Vieh schlechthin genannt werden. Reines Vieh, reine Schafe, im Gegensatze des Schmierviehes. Am häufigsten gebraucht man es auch in dieser Bedeutung collective, folglich ohne Plural. Indessen kommt es auch nicht selten disjunctive vor, ob es gleich auch hier nur im Singular am üblichsten ist. Sie sind so gar verheeret, daß man auch nicht Ein Vieh schreyen höret, Jer. 9, 10. Du armes Vieh! Philax ist ein gutes Vieh. Im Plural ist es von Individuis nicht so gangbar, am wenigsten mit Zahlwörtern, Für zwey, vier Viehe, sagt man allemahl zwey, vier Stück Vieh, oder mit näherer Bezeichnung der Art, Kühe, Ochsen, u. s. f.

Anm. Hieraus erhellet, daß unsere meisten Sprachlehrer sich irren, wenn sie diesem Worte den Plural so schlechterdings absprechen, welches nur gilt, wenn es collective gebraucht wird. Im Hochdeutschen lautet dieser Plural, wenn er ja gebraucht wird, am häufigsten Viehe, im Oberd. Vieher. Dieses Wort ist eines der ältesten, nicht allein in der Deutschen, sondern fast in allen Europäischen Sprachen. So lautet bey dem Ottfried u. s. f. Fihu, im Nieders. Vee, im Angels. Feon, Fea, im Engl. Fee, im Gothischen Fue, und im Schwed. Fä; womit noch das Griech - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, eine Herde, und das Lat. Pecus verwandt sind, welches letztere sich bloß durch die härtern Mitlaute unterscheidet. Es ist sehr wahrscheinlich, daß in allen diesen Wörtern der Begriff des Lebens, der Bewegung der herrschende und ursprüngliche ist, daher man sie als Abkömmlinge von vivere, leben, und ihren Verwandten ansehen kann, zumahl, da die Bedeutung eines Thieres überhaupt in diesem Worte ohne Zweifel die erste und älteste ist. Auf ähnliche Art heißt ein Thier im Griechischen - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, im Lat. Animal, und im Nieders. ist Quek, Quik, lebendiges Vieh überhaupt. Bey dem Notker kommt noch das veraltete Beywort fehegelih für beseelt, lebendig, vor: fehegelih lichamo, ein lebendiger, beseelter Körper, eigentlich viehlich. Da zahmes Vieh die erste Art des Eigenthumes ist, wenn sich ein Volk aus der Wildheit dem gesitteten Zustande nähert, so wurde hernach jedes Eigenthum Vieh genannt, daher man sich nicht wundern darf, wenn bey dem Ulphilas Faihu, Reichthümer überhaupt, im Lat. Peculium, Eigenthum, und Pecunia, Geld, und bey den Angelsachsen und ältern Schweden liegendes Vieh, Geld und andere leblose Habe, zum Unterschiede von dem gehenden Viehe, aber dem eigentlichen Viehe, bedeutet.


Vieharzeney (W3) [Adelung]


Die Vieharzeney, plur. die -en. 1. Eine Arzeney für das Vieh. 2. Die Wissenschaft, die Krankheiten des Viehes zu erkennen und zu heilen, welche doch am häufigsten die Vieharzeneykunst genannt wird, Lat. ars veterinaria.


Vieharzt (W3) [Adelung]


Der Vieharzt, des -es, plur. die -ärzte, derjenige, welcher die Vieharzeneykunst verstehet und übet, oft auch nur ein jeder, der sich dafür ausgibt. Gelehrte Viehärzte der neuen Zeit nennen sich indessen lieber Thierärzte, und ihre Kunst die Thierarzeney- kunst, vermuthlich um des dem Worte Vieh anklebenden verächtlichen Nebenbegriffes Willen. Im gemeinen Leben pflegt man einen Vieharzt auch einen Vieh-Doctor zu nennen. Ein ungelehrter Vieharzt gemeiner Art wird in der Lausitz und einigen andern Gegenden auch der Ziehmann genannt, weil er unter andern auch die verrenkten Glieder des Viehes durch Ziehen wieder einrichtet.


Viehbremse (W3) [Adelung]


Die Viehbremse, plur. die -n, ein der Fliege ähnliches Insekt, welches empfindlich sticht, sich ganz voll Blut sauget und vornehmlich dem Pferden und dem Hornviehe nachstellet; Tabanus Linn. auch nur die Bremse schlechthin, S. dieses Wort.


Viehdieb (W3) [Adelung]


Der Viehdieb, des -es, plur. die -e, Fämin. die Viehdiebinn, eine Person, welche zahmes Vieh stiehlet, oder gestohlen hat. Daher der Viehdiebstahl, ehedem und noch in den Gerichten die Viehdeube.


Viehfall (W3) [Adelung]


Der Viehfall, des -es, plur. car. der Fall, d. i. das Hinsterben des Viehes an der Viehseuche, das Viehsterben.


Viehfutter (W3) [Adelung]


Das Viehfutter, des -s, plur. car. das Futter für das Vieh.


Viehhandel (W3) [Adelung]


Der Viehhandel, des -s, plur. car. der Handel mit Vieh, besonders mit dem Rindviehe. Daher der Viehhändler, der mit Vieh handelt.


Viehhirt (W3) [Adelung]


Der Viehhirt, des -en, plur. die -en, derjenige, welcher das Vieh auf die Weide treibet, und daselbst bewachet, dar auch nur der Hirt schlechthin genannt wird.


Viehhof (W3) [Adelung]


Der Viehhof, des -es, plur. die -höfe, auf großen Landgütern, ein eigener für das Vieh bestimmter Hof, zum Unterschiede von dem Holzhofe u. s. f.


Viehisch (W3) [Adelung]


Viehisch, -er, -te, adj. et adv. nach Art des Viehes, d. i. unvernünftiger bloß sinnlicher Thiere, in dem engern Falle der ersten Bedeutung des Wortes Vieh. Daher viehisch in der harten Sprechart im höchsten Grade dumm und sinnlich bedeutet. Ein viehisches Herz, Da. 4, 13; höchst unvernünftiges. Viehisch leben, wie ein Vieh. Viehische Wollust, der höchste Grad der bloß sinnlichen Wollust. Ehedem wurde es auch in gelinderer Bedeutung für thierisch gebraucht, so wohl Thieren ähnlich, als auch von thieren hergenommen, daher Mathesius noch thierische Opfer, oder Opfer von Thieren, viehische Opfer nennet.


Viehkrankheit (W3) [Adelung]


Die Viehkrankheit, plur. die -en. 1. Eine jede Krankheit, welche das Vieh zu befallen pflegt. 2. S. Viehseuche.


Viehmagd (W3) [Adelung]


Die Viehmagd, plur. die -mägde, auf den Landgütern, eine eigene Magd, welche zur Wartung des Viehes bestimmt ist.


Viehmarkt (W3) [Adelung]


Der Viehmarkt, des -es, plur. die -märkte. 1. Ein Jahrmarkt oder Markttag, an welchem Vieh und besonders Rindvieh, in Menge verkauft wird. 2. Der Platz, auf welchem solches geschiehet.


Viehmuhme (W3) [Adelung]


Die Viehmuhme, plur. die -n, auf größern Landgütern, eine weibliche Person, welche die oberste Aufsicht über das Vieh und die Viehmägde hat.


Viehschatz (W3) [Adelung]


Der Viehschatz, des -es, plur. inus. an einigen Orten, eine Angabe, welche von dem Viehe, was jemand hält, gegeben wird; die Viehsteuer.


Viehseuche (W3) [Adelung]


Die Viehseuche, plur. doch nur von mehrern Arten, die -n, eine Seuche, d. i. ansteckende Krankheit, welche das Vieh, und besonders das Hornvieh, anfällt, und gemeiniglich in einem bösartigen Faulfieber bestehet; auch nur die Seuche schlechthin, die Viehkrankheit, die Viehpest, im Oberdeutschen der Viehprästen, in Schlesien die Viehstaupe, S. Viehsterben.


Viehstall. (W3) [Adelung]


Der Viehstall. des -es, plur. die -ställe, ein Stall für das Vieh, besonders für das Rindvieh; zum Unterschiede so wohl von einem Holzstalle, u. s. f. als auch in engerer Bedeutung von einem Pferdestalle, Schweinstalle u. s. f.


Viehsterben (W3) [Adelung]


Das Viehsterben, des -s, plur. inus. der Zufall, da dieses Vieh, besonders Rindvieh, an der Viehseuche zu sterben pflegt; der Viehfall, im Oberd. der Viehtod, ehedem der Schelm.


Viehsteuer (W3) [Adelung]


Die Viehsteuer, plur. die -n, eine Steuer oder Abgabe von dem Viehe, der Klauensteuer, der Viehschatz.


Viehtränke (W3) [Adelung]


Die Viehtränke, plur. die -n, ein Ort, wo das Vieh, und besonders das Rindvieh, getränket wird. Ingleichen der große Trog, aus welchem solches geschiehet.


Viehtrieb (W3) [Adelung]


Der Viehtrieb, des -es, plur. die -e. 1. Das Recht, sein Vieh auf oder über eines andern Acker zur Weide treiben zu lassen, ohne Plural; das Triebrecht, der Trieb, ( S. dieses Wort.) 2. Der Ort, durch welchen das Vieh auf die Weide getrieben wird, der doch im Hochdeutschen unter dem Nahmen der Trift oder Viehtrift am üblichsten ist.


Viehtrift (W3) [Adelung]


Die Viehtrift, plur. die -en, ein mit dem vorigen gleich bedeutendes Wort, nur daß dieses im Hochdeutschen üblicher ist; sowohl von dem Rechte und ohne Plural, als auch von dem vermachten Wege, durch welchen das Vieh auf der Weide getrieben wird, und welcher auch der Viehweg und die Trift genannt wird, als endlich auch von der Weide selbst.


Viehweg (W3) [Adelung]


Der Viehweg, des -es, plur. die -e, S. das vorige.


Viehzehnte (W3) [Adelung]


Der Viehzehnte, des -n, plur. die -n, der Zehnte von dem Viehe; der Fleischzehnte, Blutzehnte, lebendiger Zehnte, zum Unterschiede von dem Grundzehnten.


Viehzoll (W3) [Adelung]


Der Viehzoll, des -es, plur. die -zölle, ein Zoll von dem Viehe, und besonders dem Rindviehe; ingleichen ein Ort, wo derselbe entrichtet wird.


Viehzucht (W3) [Adelung]


Die Viehzucht, plur. car. die Erziehung und Wartung allerley nützlichen Viehes. Sich auf die Viehzucht legen. Sich damit beschäftigen. Ein Gut hat eine starke Viehzucht, wenn daselbst vieles Vieh erzogen wird; im Oberd. Viehzügel.


Viel (W3) [Adelung]


Viel, ein Wort, welches überhaupt eine Menge, eine große, obgleich unbestimmte Mehrheit bezeichnet, und dem wenig entgegen stehet. Es kommt in doppelter Gestalt vor. I. Als ein Beywort, welches kein eigentlichen Comparativ und Superlativ hat, auch seiner unbestimmten Bedeutung wegen nur selten den bestimmten Artikel vor sich leidet. Es wird auf gedoppelte Art gebraucht. 1. Mit ausdrücklicher Beyfügung des Hauptwortes, und zwar wiederum, (1) In Rücksicht auf die verschiedenen Individua Einer Art, welche die große Mehrheit ausmachen, da es denn mit seinem Hauptworte allemahl im Plural stehet, und wie ein anderes Beywort ohne Artikel decliniret wird. Viele Rinder haben. Warum machst du so viele Worte? Seiner vielen Verdienste wegen. Vieler Menschen Wohlergehen befördern. Dazu werden viele Leute erfordert. An vielen Orten. Ich habe viele, sehr viele Ursachen dazu. Ingleichen der Beywörtern. Dem Staate viele ersprießliche Dienste leisten. Viele schädliche Meinungen hegen. Ein Land, welches von vielen großen Flüssen durchschnitten wird. Vielen triftigen Ursachen wegen. Im gemeinen Leben ist es sehr gewöhnlich, daß man in solchen Fällen das Beywort viel nach Art der Grundzahlen gebraucht, und es unabgeändert lässet, besonders in der ersten und vierten Endung. Viel solche Bäume. Ich will dir viel Schmerzen verschaffen, 1 Mos. 3, 16. Viel Schafe, viel Tage, viel Gerechte, viel Kinder, viel Söhne u. s. f. lauter in der Deutschen Bibel befindlichen Ausdrücke. Er hat so viel Vorzüge in meinen Augen, Gell. Es kann seyn, daß die Liebe viel Annehmlichkeiten hat, eben ders. Ich glaube nicht, daß ich so viel Reitzungen besitze, eben ders. Er hat ihnen recht viel schöne Sachen geschickt, eben ders. Doppelt so viel wirkliche Fehler, Gottsch. So viel ich euch auch gute Worte gab, besser: so viele gute Worte ich euch auch gab. Besonders in sprichwörtlichen R. A. Viel Hunde sind der Hasen Tod; viel Köche versalzen den Brey; viel Hände machen leichte Arbeit u. s. f. Dem gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart kann man diese verkürzte Art, sich auszudrücken, allenfalls zu Gute halten; nur in der edlern und anständigen Schreibart macht sie allemahl Flecken, ob es gleich Sprachlehrer gegeben hat, welche es zur Regel machten, daß viel, so wie wenig und genug, in solchen Fällen indeclinabel ist. Da viel eine unbestimmte Menge bezeichnet, so leidet es schon seiner Natur nach keinen bestimmten Artikel vor sich; nur muß man das Fürwort der, die, das nicht mit dem Artikel verwechseln. Die vielen Leute, welche wir sahen. Um der vielen Leute Willen, d. i. um dieser vielen Leute Willen, oder um der vielen Leute Willen, welche da sind. Über die vielen Fehler! So auch mit andern Fürwörtern. Die vielen Menschen. Um deiner vielen Verdienste Willen. Unsere vielen Güter. In manchen Fällen stehet das zu viel gehörige Hauptwort im Genitiv, da denn das Hauptwort hinter dasselbe tritt, und alsdann in der Adverbial-Form, oder unabänderlich gebraucht wird. Der vogele han ich vil vernomen, Reinmar der Alte, ich habe viele Vögel vernommen. Der Gerechten wird viel, Sprich. 38, 28. Der Jünger wurden viel, Apost. 6, 1. Sie machten der Sünden viel mehr, Hos. 13, 2. Es gibt der gottlosen Leute zu viel, Gell. Du stehst, es gibt der Wege viel. So fern der einzelnen Theile viel sind. Ingleichen mit persönlichen Vorwörtern. Es sind unser zu viel. Es kamen ihrer viel, viele von ihnen. Unser sind viel. Zu eben der Zeit, da sie wünschen, da sie keine Vernunft haben möchten, beweisen sie, daß sie ihrer sehr viel haben, Gell. Wo es in Fragen auch voran stehet. Wie viel sind euer? An und für sich ist diese Wortführung in den Fällen, wo sie Statt finder, untadelhaft, ob sie gleich von einigen Sprachlehrern verworfen worden. Aber alsdann wird sie fehlerhaft, wenn man statt der zweyten Endung die erste setzt. Es sind die Fälle in der Welt gar zu viel, wodurch man in seiner Nahrung zurück gesetzt werden kann, Gell. (2) In Rücksicht auf das Ganze, welches die zur großen Mehrheit gehörigen Individua ausmachen, oder so, daß viel mit seinem Hauptworte dieses Ganze bezeichnet, da es denn auch oft figürlich von der Intension oder einem hohen Grade der innern Stärke gebraucht wird. Es kann in diesem Falle nur allein im Singular stehen. Vieles Geld ausgeben Vielen Fleiß aufwenden. Die Sache hat mir viele Mühe gekostet. So viele Muße habe ich nicht. Ich habe dir viele Zeit gelassen. Nicht viele Zeit übrig haben. Nicander wird durch vieles Klügeln So klug, als ein geheimer Rath, Haged. Das viele Gute, welches ich daran finde. Im gemeinen Leben wird es in der ersten und vierten Endung auch hier sehr häufig indeclinabel gebraucht, oder vielmehr, es wird die Endsylbe nur verbissen. Jemanden viel Freude machen. Du hast dir viel Mühe gegeben, Gell. Viel Schönheit, viel Reichthum, eben ders. Das hat eben so viel (vielen) Theil daran gehabt, Gottsch. Besonders im ungewissen Geschlechte, wo man das -es auch an andern Beywörtern gern zu verheißen pflegt. Viel Unglück erfahren. Viel Geld ausgeben. Sie haben alle viel Gutes an sich, Gottsch. vieles Gute. Vier Thaler sind viel Geld, Gell. Ja in manchen Fällen ist diese Form schon so eingeführet, daß die vollständigere das Ohr beleidigen würde. Jemanden viel Gutes erweisen, nicht vieles Gute. Viel Geschrey machen. Außer diesen Fällen, deren aber nur wenige sind, wird in der edlern Schreibart, die Verbeißung auch hier am sichersten vermieden. Sehr häufig pflegte man dieses viel, wenn es indeclinabel ist, oder adverbialiter steht, mit der zweyten Endung des Hauptwortes zu verbinden, wenn dasselbe ein Neutrum ist. Viel Volkes, viel Volks, in der Deutschen Bibel. Viel Viehes, 2. Mos. 12, 38. 4 Mos. 32, 1. Viel Wassers, auch in der Deutschen Bibel. Da es denn, wie bey der vorigen Bedeutung, auch wohl hinter dem Hauptworte gesetzt wurde. Daß seines Gutes viel werde, Sprichw. 22, 16. Des Volkes ist zu viel, 2 Mos. 5, 5. Welche Wortführung sich noch in einigen R. A. erhalten hat. Viel Wesens, viel Redens von etwas machen; im Ganzen aber, besonders in der edlern Schreibart, für veraltet angesehen werden kann. Wenn vor dem viel ein Fürwort hergehet, so ist diese Zusammensetzung auch im gemeinen Leben nicht üblich. Mein vieles Geld. Deine viele Arbeit. Alle viele Mühe. Des vielen Aufwandes ungeachtet. Das viele Geld, welches du ausgegeben hast. Den vielen Wein, den er getrunken. Der, das ist auch hier das Fürwort, nicht aber der bestimmte Artikel, der indessen hier eher Statt findet, als in der vorigen Bedeutung, weil das Ganze ein bestimmtes Ding ist, obgleich die Individua, woraus es bestehet, der Zahl nach unbestimmt sind. Daher sagt man eben so wohl: ich hasse das viele Plaudern, das viele Trinken ist schädlich, als, ich hasse vieles Plaudern, vieles Trinken ist schädlich; obgleich die letzte Wortführung die richtigste ist, indem die Unschicklichkeit des Artikels in andern Fällen merklich ist; z. B. der viele Wein ist schädlich, besser vieler Wein; außer wo der ein Fürwort ist. 2. Ohne Hauptwort, wo wieder ein doppelter Fall Statt findet. (1) In Beziehung auf den ersten Fall der vorigen Bedeutung, wo es disjunctive stehet, und sich allemahl auf ein vorher da gewesenes oder doch leicht zu ergänzendes Hauptwort beziehet. Es stehet in diesem Falle allemahl im Plural, und wird, wie ein anders Beywort, ohne Artikel decliniret. Viele werden kommen von Morgen und von Abend, Matth. 8, 11. viele Menschen. Viel (viele) werden die letzten seyn, Marc. 10, 31. Viele, so unter der Erde schlafen liegen, Dan. 12, 2. Viele sagen, viele Menschen, viele Leute. Waren viele Gäste da? Antw. Sehr viele. Unter vielen (Stücken) ist das das beste. (2) Im zweyten Falle, wenn das Beywort alle die Individua, welche zu der großen Mehrheit, als ein Ganzes betrachtet, und daher nur im Singular allein stehet, da denn wieder ein doppelter Fall Statt findet. a. Entweder beziehet sich das viel auf ein kurz vorher gegangenes Hauptwort, im welchen Falle es denn decliniret wird, und sich nach dem vorher gegangenen Hauptworte richtet. Sie kamen nicht allein mit Gesellschaft, sondern auch mit sehr vieler. Hat er Böses gethan? Antw. Sehr vieles. Cajus macht mir wenig Verdruß, Bavus aber sehr vielen. Er verrieth nicht allein Furcht, sondern auch viele. Mit vielem (Gelde, Vorrathe) hält man Haus, mit wenigem kommt man aus. b. Oder es findet gar keine deutliche Beziehung Statt, sondern das Wort bezeichnet überhaupt eine unbestimmte Menge einer Sache, welche doch leicht aus dem Zusammenhange zu errathen ist, und alsdann lautet es unverändert viel, indem es sich hier schon dem folgenden Nebenworte nähert, und gewisser Maßen schon wirklich als ein Nebenwort angesehen werden kann. Das ist viel. Vielen (in der vorigen (1) Bed.) sollst du viel (in dieser Bedeutung) geben, 4 Mos. 26, 54. Es ist dem Herrn nicht schwer, durch viel oder wenig helfen, 1 Sam. 14, 6. Welchem viel gegeben ist und anbefohlen, bey dem wird man viel suchen und viel von ihm fordern, Luc. 12, 47. Es hat mir viel gekostet, vieles Geld. Ich habe dir viel zu sagen, zu erzählen. Ich habe ihm viel zu danken. Viel hilft viel. Viel zu thun haben. Er hat mir viel versprochen. Ich spreche nicht gern viel. Es hat nicht viel auf sich. Ich wollte nicht viel (vieles Geld) nehmen, und sie stören, Gell. Wie viel verbirgt eine Stunde vor den Augen der Menschen! Dusch. Es ist immer noch viel, daß er schon da ist. Es ist doch viel, daß sie noch spielen können. Sehr häufig gebraucht man dieses Wort in diesem Falle mit der ungewissen Endung -es. Ich habe ihnen vieles zu sagen. Ich habe ihnen vieles zu danken. Dieß geschiehet besonders, wenn eine mehrere Bestimmung ausgedruckt werden soll, oder wenn man eine große Mehrheit eines gewissen bestimmten Dinges ausdrucken will; dagegen das bloße viel ganz unbestimmt ist, welcher Unterschied in dem näher bestimmenden -es liegt. Vieles ist ihm nicht zu glauben, welches noch etwas anders sagt, als, viel ist ihm nicht zu glauben, oder, ihm ist nicht viel zu glauben. Allein, dieser Unterschied ist zu sein, als daß er oft beobachtet werden könnte. Lessing scheinet einen andern Unterschied unter dem vieles und viel in Gedanken gehabt zu haben, wenn er den Prinzen in der Emilie Galotti zum Mahler Canto sagen lässet; ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges aber mit Fleiß. Dem sey nun, wie ihm wolle, so war es, gelinde davon zu urtheilen, eine Grille, welche so wohl wider die Analogie, als auch wider die Natur dieses Wortes läuft, wenn Gottsched für dieses viel in der Adverbial-Form ein Vieles gesagt wissen wollte, und jenes viel gerade zu für fehlerhaft erklärete. Das trägt ein Vieles dazu bey; die Schönheit der Sprache thut ein Vieles; ich habe ihnen ein Vieles zu sagen u. s. f. Ohne zu bedenken, daß viel niemahls mit dem unbestimmten Artikel gebraucht wird. II. Als ein eigentliches Nebenwort, wo es eine Fortsetzung der vorigen letztern Bedeutung ist, wo sich das Beywort in der unabänderlichen Adverbial-Form nach und nach in das Nebenwort verlieret. Es bedeutet hier eigentlich gleichfalls eine große Wahrheit. Es fehlt nicht viel. Es hätte nicht viel gefehlet. Sehr viel, allzu viel. Zu viel essen, trinken, bezahlen u. s. f. Das ist zu viel. Gleich viel, im gemeinen Leben, so wohl einerley Menge, als auch im weitern Verstande, einerley Werth zu bezeichnen. Es gilt mir gleich viel, ob ich ihn sehe oder nicht, d. i. es ist mir gleichgültig. Eben so viel, so wohl der Menge, als dem Werthe nach. Gott mehr gütig, als gerecht denken, ist eben so viel, als Gott entehren, Gell. So viel ich weiß. Du thust mir gewiß zu viel. In manchen Fällen schleicht sich der Begriff der Intention mit ein. Etwas oft und viel untersuchen. Viel mit jemanden umgehen, häufig und in genauer Verbindung. Viel gereiset seyn. Wie sehr ich davon entfernt bin, brauche ich nicht erst viel zu zeigen, d. i. weitläufig. Was säumen wir noch viel? In der edlern Schreibart pflegt man diese intensive Bedeutung, einige wenige eingeführte Fälle ausgenommen, gern zu vermeiden. Wohin besonders verschiedene R. A. des gemeinen Lebens gehören. Ich frage nicht viel darnach, es ist mir nicht viel daran gelegen. Besonders im entgegen gesetzten ironischen Verstande. Er fragt viel darnach, nichts. Ich bekümmere mich viel darum, wahrlich nicht. Es ist dem Junker viel um seinen Kammerdiener zu thun, sondern um sich, Weiße. Ach, thue nicht so groß! Sie wird sich viel aus dir und deinem Vogel machen, Rost. Besonders wird dieses Nebenwort gern den Comparativis vorgesetzt, ihre Bedeutung zu erhöben. Viel mehr, viel größer, viel schmerzhafter, viel schöner, viel weniger, viel klüger, u. s. f. Wo man sich dafür in der edlern Schreibart des Wortes weit bedienet; weit mehr, weit größer u. s. f. Viel ärger, Weish. 15, 18. Viel geringer, Jud. 8, 22. Viel lieber. Ich habe viel mehr gearbeitet, 1 Cor. 15, 50. Wenn dieses viel mehr aber im figürlichen Verstande gebraucht wird, so wird es gemeiniglich als Ein Wort vielmehr geschrieben, ( S. es an seinem Orte.) Für das biblische viel anders, 1 Mos. 45, 26, sagt man jetzt ganz anders oder weit anders. Es ist dieser Gebrauch ein Überbleibsel der veralteten Gewohnheit, diese Partikel bey allen Bey- und Nebenwörtern vorzusetzen, gerade so, wie wir jetzt das sehr gebrauchen. Vilu scono, sehr schön, Ottfr. Wanta es filu kalt was, ebenders. Mit viel maniger clage, Kaiser Heinrich. Was hilfet mich diu sumer zit Vnde diu vil liechten langen tage? König Conrad der Junge. Viel kaum, viel sehr, viel gross, Stryck. In den niedrigen Sprecharten ist dieser Gebrauch noch nicht ganz veraltet, indem man daselbst noch oft höret: es ist viel warm, viel kalt, u. s. f. Doch ist es auch in der anständigen Schreibart noch alsdann üblich, wenn das Nebenwort das Wörtchen zu vor sich hat, in welchem Falle weder sehr noch weit üblich ist. Viel zu viel, viel zu groß, viel zu sehr, viel zu krank, viel zu heftig u. s. f.

Anm. 1. Aus dem obigen erhellet, daß sich dieses Wort von den übrigen Beywörtern merklich unterscheidet, und manches von den Fürwörtern, manches aber auch von den Zahlwörtern an sich hat. Zu der letztern Ähnlichkeit gehöret auch daß dieses Wort in Fragen nach Art der Ordnungszahlen gebeuget werden kann: der wie vielte? oder welches noch gewöhnlicher ist, der wie vielste, welche Wörter richtiger zusammen gezogen werden, der wievielste? Die Natur thut keinen Sprung; ein Satz, der in den Sprachen eben so wahr ist, als in dem Reiche der Natur. Der Übergang von einer Bedeutung zur andern, von einer Art Wörter zur andern, so gar von einem Redetheile zum andern, geschiehet alle Mahl durch unmerkliche Stufen, und dem Sprachforscher wird es so schwer, als dem Naturkundigen, diesen unmerklichen Stufen, diesen Gliedern der ganzen Kette ihre gehörige Stelle anzuweisen. Die es sich am bequemsten machen, übergehen sie ganz, und bemerken die am meisten hervor stechenden Abstände; und von dieser Art sind die meisten Sprachlehrer in allen Sprachen. Andere, welche genauer verfahren wollen, haben viel, und verschiedene andere ähnliche Beywörter, als all, kein, wenig, u. s. f. bald zu den Fürwörtern, bald zu den Zahlwörtern gerechnet, ungeachtet sie keiner dieser Classe ganz zugehören. Billig sollte man aus ihnen eine eigene Art Nennwörter machen, welchen Vorzug sie eben so wohl verdienen, als die Mittelwörter, Zahlwörter u. s. f. Viel wird nicht compariret, sondern man bedienet sich in den folgenden staffeln dafür der Wörter mehr und meist. Anm. 2. Dieses Wort ist sehr alt, und lautet schon bey dem Kero fil, filu, im Niedersächs. veel, bey dem Ulphilas filu, im Schwed. fjol, im Angels. feal, im Slavon. wely, und im Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, welches genau damit verwandt ist. Daß auch voll mit dahin gehöret, und nur das Intensivum davon ist, erhellet aus dem Niedersächsischen, wo vull so wohl voll als viel bedeutet. Es ist ohne Zweifel eine Onomatopöie der wühlend wühlenden Menge, so wie Vich eine Onomatopöie der sanften wehenden und wegenden Menge ist.


Vielartig (W3) [Adelung]


Vielartig, adj. et adv. viele Arten unter sich begreifen. Daher die Vielartigkeit.


Vieldeutig (W3) [Adelung]


Vieldeutig, adj. et adv. viele Deutungen leidend. Ein vieldeutiges Wort. So auch die Vieldeutigkeit.


Vieleck (W3) [Adelung]


Das Vieleck, des -es, plur. die -e, eine Figur, welche mehr als vier Ecken und Seiten hat; mit einem Griechischen Ausdrucke das Polygon. Das Fünfeck, Sechseck u. s. f. sind solche Vielecke.


Vieleckig (W3) [Adelung]


Vieleckig, adj. et adv. viele, d. i. mehr als vier, Ecken und Linien habend.


Vielerley (W3) [Adelung]


Vielerley, adj. indecl. von vieler Art und Beschaffenheit. Mit vielerley Waaren handeln. Es gibt hier vielerley Gewächse, Menschen, Thiere u. s. f. Vielerley in der Welt erfahren haben. Ich habe dir vielerley zu sagen. Auf vielerley Art. Opitz gebraucht dafür das im Hochdeutschen veraltete vielerhand, welches er auch wohl dem Hauptworte nachsetzet. Vermehre ihren Glanz mit Wassern vielerhand. Auf welche Art Dichter, welche arm am Geist und Reimen waren, ehedem auch wohl das Wort vielerley gebrauchen.


Vielfach (W3) [Adelung]


Vielfach, adj. et adv. viel Mahl genommen, nach Art der vermehrenden Zahlwörter zwiefach, dreyfach u. s. f. Ich habe ihm den Schaden vielfach wieder ersetzt.


Vielfältig (W3) [Adelung]


Vielfältig, adj. et adv. welches mit dem vorigen eigentlich gleich bedeutend ist. Vielfältige Frucht bringen. Am üblichsten ist es figürlich für oftmahlig, häufig. Auf vielfältiges bitten. So auch die Vielfältigkeit.


Vielfärbig (W3) [Adelung]


Vielfärbig, adj. et adv. viele Farben habend. Der vielfärbige Pfauenschwanz. An beyden Ufern der Quelle steht das fette Gras und glänzt im vielfarbigen (vielfärbigen) Wiederschein, Geßn. So auch die Vielfärbigkeit.


Vielfeldig (W3) [Adelung]


Vielfeldig, adj. et adv. in der Wapenkunst, mehr als vier Felder habend. Ein vielfeldiger Schild.


Vielfräßig (W3) [Adelung]


Vielfräßig, adj. et adv. die Fertigkeit besitzend, ungewöhnlich viel Speise zu sich zu nehmen. Ein vielfräßiges Thier. Daher die Vielfräßigkeit.


Vielfuß (W3) [Adelung]


Der Vielfuß, des -es, plur. die -füße, überhaupt ein Thier mit vielen Füßen. Besonders eine Art unbeflügelter Insecten mit vielen Füßen, welche einer Assel gleichet, nur daß diese platt, der Vielfuß aber länglich rund ist; Iulus Linn. Bey einigen werden auch wohl die unter dem Nahmen des Polypen bekannten Thierpflanzen, Hydra Linn. Vielfuß genannt.


Vielgeliebt (W3) [Adelung]


Vielgeliebt, adj. et adv. von viel, so fern es ehedem einen hohen Grad der innern Stärke bedeutete, ein nur noch in Titeln und feyerlichen Anreden übliches Wort. Vielgeliebte Zuhörer. Wovon man auch wohl im Superlativ sagt: vielgeliebtester Freund.


Vielgötterey (W3) [Adelung]


Die Vielgötterey, plur. inus. derjenige Gottesdienst, da man viele Götter, oder nicht als einen, verehrt; ein Art der Abgötterey.


Vielgültig (W3) [Adelung]


Vielgültig, adj. et adv. viel geltend, d. i. in einem hohen Grade des Ansehens stehend, und darin gegründet. Ein vielgültiger Mann. Sein vielgültiges Ansehen. Ein vielgültiges Fürwort für jemanden einlegen. Daher die Vielgültigkeit


Vielgut (W3) [Adelung]


Das Vielgut, des -es, plur. car. im gemeinen Leben einiger Gegenden ein Nahme des Bergäppichs, wegen seiner heilsamen Kräfte; Athamanta Oreoselinum L.


Vielhalmig (W3) [Adelung]


Vielhalmig, adj. et adv. viele Halme hebend.


Vielhäutig (W3) [Adelung]


Vielhäutig, adj. et adv. viele Häute habend.


Vielheit (W3) [Adelung]


Die Vielheit, plur. inus. das Abstractum von viel, der Zustand, da von einem Dinge eine große Mehrheit vorhanden ist; die Menge, welches gewöhnlicher ist, ob es gleich eine noch größere Zahl zu bezeichnen scheinet, als Vielheit. Im Oberdeutschen mit einem andern Endlaute die Viele: es wuchs ein schöner Wein in ziemlicher Viele, Bluntschli.


Vieljährig (W3) [Adelung]


Vieljährig, adj. et adv. was viele Jahre hindurch gedauert hat. Die vieljährige Theurung. Ein vieljähriger Krieg.


Vielleicht (W3) [Adelung]


Vielleicht, adv. welches gebraucht wird, die Möglichkeit einer Begebenheit oder eines Satzes zu begleiten. Vielleicht kommt er, vielleicht auch nicht; es ist möglich, daß er kommt, und möglich, daß er nicht kommt. Er wird vielleicht noch heute kommen. Es möchten vielleicht noch einige Gerechte zu Sodom seyn, 1 Mos. 18, 24. Ich möchte vielleicht sterben, Kap. 26, 9. Alle dachten in ihrem Herzen von Johanne, ob er vielleicht Christus wäre, Luc. 3, 15. Vielleicht sitzest du jetzt beym wärmenden Feuer, Geßn. Ich will deinen Wellen folgen, vielleicht führst du mich öden Gegenden zu, eben ders. Was willst du mit deinem Vielleicht? Gell. Zuweilen leidet es daß nach sich, wo doch der Ausdruck elliptisch ist. Vielleicht, daß in der Todesnacht Dieß seinen Schatten ruhig macht, Haged.

Anm. Frisch glaubte, die letzte Sylbe in diesem Worte sey die Ableitungssylbe -icht, und wollte es daher nur mit einem l vieleicht geschrieben wissen; und so schrieb es auch Gottsched. Allein, beyde hätten nur auf den Ton merken dürfen, so würde er sie überzeugt haben, daß hier keine Ableitungssylbe Statt findet, sondern daß leicht das Hauptwort in der ganzen Zusammensetzung ist. Das Wort ist aus viel, sehr, und leicht zusammen gesetzt, und stehet elliptisch für die Redensart, es kann sehr leicht seyn, kann seyn, Franz. peut-etre, welches gleichfalls als ein Nebenwort gebraucht wird. Daher schrieben es die Schwäbischen Dichter und ihre Zeitgenossen ausdrücklich und getheilt vil licht.


Vielmahl (W3) [Adelung]


Vielmahl, Vielmahls, adv. welches aus viele Mahle, d. i. oft, zusammen gezogen worden. Er hat es mir sehr vielmahl erzählet. Wie vielmahl hebe ich dich nicht gebeten? Du errettetest sie vielmahl, Nehem. 9, 28. Darum ich vielmahl verbindet bin, zu euch zu kommen, Röm. 15, 22. Mit dem s, dem Merkmahle des Adverbii, zumahl, da viel eine unbestimmte Zahl bezeichnet, sollte das Wort vielmahls lauten; indessen ist doch vielmahl am üblichsten, welches denn die bloße Zusammensetzung aus viele Mahle ohne alles Merkmahl des Adverbii ist. S. Mahl.


Vielmahlig (W3) [Adelung]


Vielmahlig, adj. was vielmahl ist oder geschiehet, wie mehrmahlig, abermahlig u. s. f. Meine vielmahlige Warnungen. Wofür doch vielfältig üblicher ist.


Vielmännerey (W3) [Adelung]


Die Vielmännerey, plur. car. ein nach Vielweiberey gebildetes Wort, dasjenige Verbrechen zu bezeichnen, da eine Frau mehr als Einen Mann zu Einer und eben derselben Zeit hat.


Vielmehr (W3) [Adelung]


Vielmehr, eine Partikel, welche aus viel und mehr zusammen gezogen ist, und mit viel mehr nicht verwechselt werden muß, ob sie gleich in dem weitern Verstande dieser Redensart gebraucht wird. Sie ist 1. ein Nebenwort. Es ist vielmehr Einfalt bey ihm, als Betrug, wo doch das einfache mehr üblicher ist, außer wenn durch eine Inversion das Nebenwort zum folgenden Bindewort wird: es ist nicht so wohl Betrug, als vielmehr Einfalt. 2. Ein Bindewort, einen Satz zu begleiten, welcher eine Art der Steigerung bezeichnet. Ich habe dabey nichts versehen, ich habe vielmehr alles mögliche gethan, oder, vielmehr habe ich alles Mögliche gethan. Das dient nicht Gnade zu erwerben, sondern vielmehr Zorn und Ungnade, Judith 8, 10. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib tödten - fürchtet euch aber vielmehr vor dem u. s. f. Math. 10, 20. Wo es allemahl eine vorher gegangene Verneinung erfordert. Ferner im Gegensatze des viel weniger. So denn ihr - könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie vielmehr wird euer Vater im Himmel u. s. f. Math. 7, 11. Unter seinen Heiligen ist keiner ohne Tadel, wie vielmehr ein Mensch, Hiob 15, 16; wo es doch eigentlich wie vielweniger heißen sollte. Ingleichen mit einer versteckten Verbesserung des vorher gesagten. Ein gelehrter oder vielmehr großer Mann. Versteinertes oder vielmehr nur incrustiertes Holz.

Anm. Das getheilte viel mehr in seiner eigentlichen Bedeutung ich habe viel mehr gethan, als du, hat auf jeder Sylbe seinen Ton; das zusammen gezogene und figürliche vielmehr aber hat ihn nur auf der letzten Sylbe, daher es billig als Ein Wort geschrieben wird. In dem alten Lege Ludovici et Lothar von 840 kommt für dieses vielmehr nur das einfache mera vor; der fast gleichzeitige Ottfried aber gebraucht für wie vielmehr, wio harto mihiles.


Vielnahmig (W3) [Adelung]


Vielnahmig, adj. et adv. viele Nahmen habend. Der vielnahmige Jupiter.


Vielseitig (W3) [Adelung]


Vielseitig, adj. et adv. viele, d. i. mehr als viel Seiten habend, wie vieleckig. Eine vielseitige Figur.


Vielsylbig (W3) [Adelung]


Vielsylbig, adj. et adv. viele Sylben, d. i. mehr als drey Sylben, habend. Ein vielsylbiges Wort. Daher die Vielsylbigkeit.


Vielthätig (W3) [Adelung]


Vielthätig, adj. et adv. viel thuend, oder verrichtend, im hohen Grade thätig. Ein vielthätiger Mann. Daher die Vielthätigkeit.


Vieltheilig (W3) [Adelung]


Vieltheilig, adj. et adv. viele Theile habend. In der Rechenkunst sind vieltheilige oder polynomische Wurzeln, welche mehr als zwey Ziffern haben, zum Unterschiede von den eintheiligen, monomischen, und zweytheiligen, binomischen.


Vielweiberey (W3) [Adelung]


Die Vielweiberey, plur. inus. derjenige Zustand, da Ein Mann mehrere Weiber, d. i. mehr als Ein Eheweib, zugleich hat; die Polygamie.


Vielweniger (W3) [Adelung]


Vielweniger, eine Partikel, welche aus viel weniger zusammen gezogen ist, und in dessen figürlichem Verstande gebraucht wird, eine Art einer Verminderung zu begleiten, da es denn dem vielmehr entgegen stehet. Einem Fremden verzeihet man das nicht gern, vielweniger dir. Das ward in rohesten Zeiten nicht verstattet, vielweniger kann es in den gegenwärtigen geduldet werden.

Anm. Getheilt behalten die Wörter ihre eigene Bedeutung; ich hebe viel weniger gegeben, als du. Allein, diese figürliche R. A. erfordert eine Zusammenziehung, theils, weil das viel seinen Ton auf das weniger wirft, theils, weil beyde Begriffe in Einen zusammen schmelzen, theils endlich auch um der Analogie mit vielmehr willen; obgleich jenes seltener als Ein Wort geschrieben wird.


Vielwinkelig (W3) [Adelung]


Vielwinkelig, adj. et adv. viele Winkel habend.


Vielwissend (W3) [Adelung]


Vielwissend, adj. vieles wissend, viele Kenntnissen habend. Ein vielwissender Mann. Der Vielwisser, wird nur im Scherze, aber auch im verächtlichen Verstande gebraucht, ob man gleich ehedem das Griech. Polyhistor mit diesem Worte auszudrucken suchte.


Vielzopf (W3) [Adelung]


Der Vielzopf, des -es, plur. die -zöpfe, in der Naturgeschichte, eine Art Seesterne mit vielen, d. i. mehr als dreyzehn Zöpfen, Polycacnimos L.


Vier (W3) [Adelung]


Vier, eine Grundzahl, welche sich zwischen drey und fünf in der Mitte befindet, und entweder ihr Hauptwort bey sich hat, oder nicht. Im ersten Falle bleibt sie so wohl der Endung, als dem Geschlechte nach unverändert. Vier Männer, vier Häuser, vier Thaler. Vor vier Wochen. Es ist bald vier Uhr, oder bald vier. Aus vier Theilen bestehend. Im zweyten Falle hat sie in der dritten Endung vieren. Sie kommen alle vier. Es sind ihrer vier. Es ist um vier, nähmlich Uhr. Einer von vieren. Auf allen vieren kriechen, nähmlich auf allen vier Füßen. Alle vier von sich strecken, d. i. Füße. Viele hängen so wohl dieser, als den übrigen Grundzahlen in den übrigen Endungen ein e an. Ihrer viere trugen einen Gichtbrüchigen, Marc. 2, 3. Alle viere von sich strecken. Allein, der gute Gebrauch ist dawider; außer etwa am Ende eines Periodi, um der Rede durch einen Trochäum am Ende mehr Ründe und Vollständigkeit zu geben.

Anm. Bey dem Kero feor, bey dem Ottfried fiar, in Oberschwaben noch jetzt fiäre, bey dem Ulphilas fidwor, fidur, in den salischen Gesetzen fitter, im Angels. feother, feower, bey den krimmischen Tartarn fidar, im Altfries. fiuwer, im Nieders. veer, im Engl. four, im Dän. fire, im Schwed. fyra bey den krainerischen Wenden shtire, im Pohln. czeterey, czworo. Merkwürdig ist, daß diese Zahl in Neu-Guinea Fatta, auf der Moses-Insel Wati, und auf andern Inseln des Südsee Fa lautet, wovon die beyden ersten mit der alten Deutschen Form fetter genau überein kommen.


Vier (W3) [Adelung]


Die Vier, bey einigen


Viere (W3) [Adelung]


Viere, plur. die -en, diejenige Figur, welche die Zahl vier bezeichnet. Eine Römische, eine Arabische Vier. Alle Vieren zusammen zählen. Die Vier in der Karte.


Vierähren (W3) [Adelung]


Vierähren, verb. reg. act. welches nur in der Landwirthschaft einiger Gegenden üblich ist, das Rühren, oder die dritte Umpflügung des Ackers zur Wintersaat zu bezeichnen, so fern es mit dem Pfluge geschiehet; an andern Orten vierarten, von arten, ähren, pflügen.


Vieräuglein (W3) [Adelung]


Das Vieräuglein, des -s, plur. ut nom. sing. eine Art wilder Änten mit einem weißen Querflecken an dem Backen; Anas Platyrinchos K. Im Ital. Quattre occhi.


Vierbeinig (W3) [Adelung]


Vierbeinig, adj. et adv. vier Beine habend. Ein vierbeiniger Stuhl. Von Thieren sagt man lieber vierfüßig.


Vierblatt (W3) [Adelung]


Das Vierblatt, des -es, plur. car. in einigen Gegenden ein Nahme der Wolfsbeere oder Einbeere, Paris quatrifolia L.


Vierbohrig (W3) [Adelung]


Vierbohrig, adj. et adv. welches nur von hölzernen Wasserröhren gebraucht wird. Eine vierbohrige Röhre, deren Öffnung 4 1/2 Zoll im Durchmesser hat, vermuthlich, weil sie vier Mahl gebohret werden muß; zum Unterschiede von den einbohrigen, zweybohrigen und dreybohrigen Röhren.


Vierding (W3) [Adelung]


Der Vierding, des -es, plur. die -e, ein nur noch in einigen Gegenden übliches Wort, eine Art Münze zu beschreiben welche der vierte Theil einer größern ist. In diesem Verstande ist in Schlesien ein Bischofs-Vierding, eine Silbermünze, welche der vierte Theil eines Guldens ist, und vier Silbergroschen gilt. In den neuern Zeiten wird ein solcher Vierding oft mit 8 Gr. bezahlet, ob er gleich eigentlich nur auf vier gemünzet ist. In einigen Niedersächsischen Gegenden ist der Vierding der vierte Theil einer Mark, oder acht Grote Bremer Geldes.

Anm. In einigen Mundarten Farding, im Engl. Farthing, im mittlern Lat. Ferto. Im Schwed. ist Fiärding der vierte Theil eines jeden Dinges. Das Wort ist aus vierte und der Ableitungssylbe ing zusammen gesetzt, und bedeutet ein Ding, welches der vierte Theil eines Ganzen ist.


Vierdraht (W3) [Adelung]


Der Vierdraht, des -es, plur. von mehrern Arten, die -e, eine ehemahlige Art groben wollenen Zeuges, welches aus vierdrähtigen Fäden gewebt wurde.


Vierdrähtig (W3) [Adelung]


Vierdrähtig, adj. et adv. vierfach zusammen gedrehet. Vierdrähtiges Garn, welches aus vier einzelnen Fäden zusammen gedrehet worden; wie dreydrähtig, zweydrähtig.


Viereck (W3) [Adelung]


Das Viereck, des -es, plur. die -e, eine Figur, welche vier Ecken hat, ein Quadrat. Ein rechtwinkliges, schiefwinkeliges Viereck. Die Armee in einen Viereck stellen. Im Nieders. Veerkante. S. Vierung.


Viereckig (W3) [Adelung]


Viereckig, adj. et av. vier Ecken habend. Ein viereckiger Thurm, Haufen. Einen Baum viereckig hauen. Im Oberdeutschen vierecket. Vierecket mußte der Altar seyn, 2 Mos. 27, 1. Viereckete Pfosten, 1 Kön. 6, 33. Die Stadt liegt vierecket, Offenb. 21, 16. Daher auch im Hochdeutschen viereckt zusammen gezogen noch sehr gangbar ist. Ein viereckter Tisch, für viereckiger. Figürlich ist viereckig und viereckt im gemeinen Leben grob, plump; bey dem Logau nur eckigt, besser eckig: Runcus ist recht eckigt grob. S. auch Vierschrötig, welches in ähnlichem Verstande gebraucht wird. In dem alten Gedichte auf dem heil. Anno viereggehtich, in einigen Oberdeutschen Gegenden vierörtig.


Vieren (W3) [Adelung]


Vieren, verb. reg. act. viereckig machen, in ein Viereck verwandeln, welches doch für sich allein wenig gebraucht wird. S. Abvieren. Eine andere Zusammensetzung gebraucht Opitz: Wie, daß ein Zirkel wohl sey eckigt einzuvieren, in ein gleich großes Viereck zu verwandeln, zu quadriren. Daher geviert und das Geviert, ( S. diese Wörter.) Auch das Hauptwort die Vierung ist davon noch übrig, S. dasselbe an seinem Orte.


Vierer (W3) [Adelung]


Der Vierer, des -s, plur. ut nom. sing. eine Zahl von vieren, vier Einheiten, als ein Ganzes betrachtet, oder ein Ganzes, welches aus vier Einheiten bestehet, nur in einigen Fällen. So wird eine Scheidemünze, welche vier Pfennige gilt, an manchen Orten so wohl Vierer als Vierling genannt. Zweyer, Dreyer, Sechser, Achter, Neuner sind ähnliche Münzen von zwey, drey u. s. f. Pfennigen.


Viererley (W3) [Adelung]


Viererley, adj. indecl. von vier verschiedenen Arten und Beschaffenheiten. Viererley Geld. Auf viererley Art.


Vierfach (W3) [Adelung]


Vierfach, adj. et adv. welches zu den vermehrenden Zahlwörtern gerechnet wird, vier mahl genommen. Der Zeug liegt vierfach. Etwas vierfach wieder ersetzen.


Vierfältig (W3) [Adelung]


Vierfältig, adj. et adv. welches ehedem wie das vorige gebraucht wurde, aber jetzt wenig mehr vorkommt. Nieders. verfold. Vierfältig ist völlig veraltet.


Vierfürst (W3) [Adelung]


Die Vierfürst, des -en, plur. die -en, ein nach dem Griechischen Tetrarcha gebildetes und nur in der Deutschen Bibel befindliches Wort, wo Herodes ein Vierfürst heißt, weil er nur über den vierten Theil des Jüdischen Landes herrschte, welcher Theil denn auch wohl ein Vierfürstenthum genannt wird; eigentlich ein Fürst oder Fürstenthum von vieren.


Vierfüßig (W3) [Adelung]


Vierfüßig, adj. et adv. vier Füße habend. Vierfüßige Thiere. Schon bey dem Kero feorfuazzo. Als ein Nebenwort wird es selten gebraucht.


Viergraf (W3) [Adelung]


Der Viergraf, des -en, plur. die -en, einer von vier mit vorzüglichen Vorrechten versehenen Grafen. In dem Deutschen Staatsrechte glaubte man ehedem, daß die Grafen von Schwarzburg, Cleve, Zilly und Savoyen, besonderer Vorzüge wegen, nur vorzugsweise Grafen genannt worden; daher man sie zum Unterschiede Viergrafen nannte. Schwarzburg hat diesen Titel am längsten geführet, und ihn von dem Kaiser Rudolph förmlich bestätigt erhalten. Eben so träumte man auch von gewissen Vierherren u. s. f.


Viergroschenstück (W3) [Adelung]


Das Viergroschenstück, des -es, plur. die -e, eine Münze, welche vier Groschen gilt, und weil sie der sechste Theil eines Thalers ist, auch wohl ein Sechstel genannt wird.


Vierherr (W3) [Adelung]


Der Vierherr, des -en, plur. die -en, ein Mitglied eines Collegii von vier Personen, auf welche Art man an verschiedenen Orten solche Vierherranämter hat, deren Glieder Vierherren heißen, und welche sich bald mit geringen Vergehen der Unterthanen, bald auch mit andern Gegenständen beschäftigen. Von den Vierherren im Deutschen Staatsrechte, S. Viergraf.


Vierhundert (W3) [Adelung]


Vierhundert, adj. et adv. besser vier hundert, hundert vier Mahl genommen, S. Hundert.


Vierhundertste (W3) [Adelung]


Vierhundertste, adj. welches die Ordnungszahl der vorigen Grundzahl ist.


Viering (W3) [Adelung]


Der Viering, des -es, plur. die -e, ein nur in einigen Gegenden übliches Wort, den vierten Theil eines Ganzen zu bezeichnen. So wird der vierte Theil eines Pfundes, oder acht Loth, in Nürnberg ein Viering genannt. S. Vierling und Viertel. Es ist von vier und der Ableitungssylbe ing.


Vierjährig (W3) [Adelung]


Vierjährig, adj. et adv. vier Jahre alt. Ein vierjähriges Kind. Das Pferd ist vierjährig. Ingleichen vier Jahre dauernd. Ein vierjähriger Waffenstillstand, auf vier Jahre. S. Jährig.


Vierkantig (W3) [Adelung]


Vierkantig, adj. et adv. welches im gemeinen Leben, besonders Niederdeutschlandes, für viereckig gebraucht wird.


Vierling (W3) [Adelung]


Der Vierling, des -es plur. die -e, von vier und der Ableitungssylbe ling. 1. Ein Ganzes, welches aus vier Einheiten bestehet. So wird eine Scheidemünze, welche vier Pfennige gilt, so whole ein Vierer als ein Vierling genannt. Der letztere Nahme kann aber auch zur folgenden Bedeutung gehören, so fern der Vierling der vierte Theil eines Batzens ist. 2. Der vierte Theil eines Ganzen, in welcher Bedeutung dieses Wort im gemeinen Leben sehr häufig ist, den vierten Theil einer Münze, eines Maßes, eines Gewichtes u. s. f. zu bezeichnen. Der Vierding oder vierte Theil einer Mark wurde ehedem auch Vierling genannt. Im Würtembergischen ist der Vierling der vierte Theil eines Simmers, in Zürch der Vierte Theil eines Viertels, da es denn wieder vier Maßli oder Mäßchen hat, so daß die Mütt Getreide in Zürch vier Viertel oder 16 Viertlinge hält. In Augsburg ist es umgekehrt, indem der Vierling daselbst vier Viertel hält; vier Vierlinge machen daselbst eine Menge, acht Mengen aber ein Schaff oder einen Scheffel. In andern Gegenden ist Vierling oder Viertel der vierte Theil eines Scheffels. In Nürnberg ist Vierling oder Viering der vierte Theil eines Pfundes oder acht Loth. Im Hannoverischen und am Nieder-Rheine ist der Vierling oder verderbt Vorling ein Ackermaß, welches gleichfalls der vierte Theil eines größern, vermuthlich eines Morgens, ist. In Zürch wird der Fuchart in vier Vierlinge getheilt. Im mittlern Lateine, besonders von einem Feldmaße, Ferlina, Ferlingus, Ferlingata.


Viermahl (W3) [Adelung]


Viermahl, adv. besser vier Mahl, zu vier verschiedenen Mahlen. Vier Mahl gewinnen.


Viermahlig (W3) [Adelung]


Viermahlig, adj. was zu vier Mahlen geschiehet. Eine viermahlige Erinnerung.


Viermann (W3) [Adelung]


Der Viermann, des -es, plur. die -männer, ein Mann von vieren, ein Glied eines Collegii von vier Personen, welche, wenn sie von einigem Ansehen sind, lieber Vierherren genannt werden.


Viermark (W3) [Adelung]


Die Viermark, plur. die -en, bey den Gränzscheidern, eine Mark oder Gränze, wo vielerley Gränzen zusammen stoßen, ingleichen ein viereckiger Gränzstein, so fern er solche Grenzen bezeichnet; zum Unterschiede von der Zwiemark und Driemark, Zweymark und Dreymark.


Viermeister (W3) [Adelung]


Der Viermeister, des -s, plur. ut nom. sing. einer von vier Meistern, doch nur in einigen Orten. So werden, z. B. zu Roßwein, die vier ältesten Meister des Tuchmacherhandwerkes, welche eine Art von Gerichtbarkeit über die übrigen haben, Viermeister genannt.


Viermonathlich (W3) [Adelung]


Viermonathlich, adj. et adv. vier Monathe dauernd.


Vierpaß (W3) [Adelung]


Der Vierpaß, des -sses, plur. die -sse, ein nur bey einigen Handwerkern übliches Wort, ein abgemessenes auf oder in einen andern Körper passendes Viereck zu bezeichnen. Bey den Tischlern wird das Fensterfutter, welches die inwendigen Seiten des Fensters bekleidet, auch ein Vierpaß genannt. Bey den Schlössern ist der Vierpaß ein Band von flachem Eisen, welches um einen Schornstein gelegt wird, damit er nicht springe.


Vierpfündig (W3) [Adelung]


Vierpfündig, adj. et adv. vier Pfund wiegend. Eine vierpfündige Kugel. Eine vierpfündige Kanone hingegen, ist eine Kanone, welche eine vierpfündige Kugel schießt, und auch wohl ein Vierpfünder genannt wird.


Vierruderig (W3) [Adelung]


Vierruderig, adj. et adv. mit vier Reiben oder Bänken von Rudern versehen; nach dem Latein. quadriremis. Eine vierruderige Galeere.


Vierschäftig (W3) [Adelung]


Vierschäftig, adj. et adv. mit vier Schäften oder Schämeln versehen, bey den Webern. Ein vierschäftiger Stuhl. Vierschäftig arbeiten. mit vier Schäften.


Vierschaufler (W3) [Adelung]


Der Vierschaufler, des -s, plur. ut nom. sing. in der Landwirthschaft, ein Schaf, welches das zweyte Jahr zurück geleget hat, weil es alsdann vier Schaufelzähne bekommt; so wie es nach dem ersten Jahre ein Zweyschaufler, nach dem dritten ein Sechsschaufler heißt.


Vierschrötig (W3) [Adelung]


Vierschrötig, adj. et adv. 1. Eigentlich, viereckig, entweder so, daß es elliptisch für viereckig geschroten stehet, oder auch, wie vierspaltig, in vier Stücke oder Theile geschroten bedeutet. Indessen ist es in dieser eigentlichen Bedeutung wenig üblich. 2. Figürlich ist vierschrötig in der harten und niedrigen Sprechart, so wohl stark und plump von Gliedern, Lat. quadratus, ein vierschrötiger Bauer; als auch plump und grob von Sitten, und darin gegründet. Ein grober vierschrötiger Mensch. Eine vierschrötige Antwort.

Anm. Viereckig und vierkantig werden in ähnlichem, obgleich nicht so hartem, figürlichen Verstande gebraucht. An andern Orten ist vierschützig und vierschossen gleichfalls für stark von Gliedern und plump üblich. Im Griech. ist - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, in gutem Verstande, ein standhafter, unbeweglicher Mann.


Vierseitig (W3) [Adelung]


Vierseitig, adj. et adv. mit vier Seiten versehen. Eine vierseitige Figur.


Viersitzig (W3) [Adelung]


Viersitzig, adj. et adv. mit vier Sitzen versehen, oder wo vier Personen sitzen können. Ein viersitziger Wagen, zum Unterschiede von einem zweysitzigen. Die Kutsche ist viersitzig.


Vierspaltig (W3) [Adelung]


Vierspaltig, adj. et adv. in vier Theile gespalten, oder was sich in vier Theile spalten läßt.


Vierspannig (W3) [Adelung]


Vierspannig, adj. et adv. vier Span in groß.


Vierspännig (W3) [Adelung]


Vierspännig, adj. et adv. mit vier Pferden bespannt, zum Unterschiede von einspännig, zweyspännig u. s. f. Ein vierspänniger Wagen. Vierspännig fahren, mir vier Pferden.


Vierspitzig (W3) [Adelung]


Vierspitzig, adj. et adv. mit vier Spitzen versehen.


Viersylbig (W3) [Adelung]


Viersylbig, adj. et adv. vier Sylben habend, aus vier Sylben bestehend. Ein viersylbiges Wort. Das Wort ist viersylbig.


Viertägig (W3) [Adelung]


Viertägig, adj. et adv. 1. Vier Tage dauernd. Ein viertägiges Fest. Ingleichen, was alle Mahl den vierten Tag wieder kommt. Das viertägige Fieber.


Vierte (W3) [Adelung]


Vierte, adj. (sprich virrte,) welches die Ordnungszahl von vier ist. Der vierte Tag: Zum vierten Mahle. Der vierte Theil, ( S. Viertel.) Selb vierte kommen, mit noch dreyen, so daß man selbst der vierte ist. Anm. Bey dem Kero fiorda, im Angels. feorth. In vier ist die Sylbe lang; allein in vierte wird sie im Hochdeutschen sehr kurz ausgesprochen, als wenn es virrte geschrieben wäre, ob man gleich das ie um der Abstammung willen behält. Eben dieses gilt auch von viertehalb, viertens, Viertels mit seinem Zusammensetzungen, vierzehn und vierzig.


Viertehalb (W3) [Adelung]


Viertehalb, S. Vierthalb.


Viertel (W3) [Adelung]


Das Viertel, (Sprich Virrtel,) des -s, plur. ut nom. sing. Diminut. Viertelchen, ein aus vierte Theil zusammen gezogenes Wort, daher es auch von einigen Viertheil geschrieben wird, der vierte Theil eines Ganzen. Ein Viertel eines Kalbes, oder von einem Kalbe, ein Kalbesviertel. Ein Viertel von der Erbschaft. Die Stadt wird in vier Viertel getheilet. Ein Viertel, zwey Viertel, wofür man liebes ein halbes sagt. Drey Viertel. Einige Hauptwörter werden diesem Worte in Appositione ohne Merkmahl des Genitivs beygefügt. Ein Viertel Huhn, d. i. von einem Huhne. Besonders, wenn es ein Maß bedeutet. Ein Viertel Wein, Gerste, Bier u. s. f. Mit manchen Hauptwörtern aber wird es auch zusammen gezogen, welches doch nicht mit allen angehet. Eine Viertelstunde, Viertelelle, Viertelmeile u. s. f. Siehe die folgenden. Sind die Hauptwörter sehr bekannt, so bleiben sie auch wohl gar weg, da denn Viertel absolute stehet. Der Mond ist im ersten Viertel; es ist heute das zweyte viertel, wo man nicht halb aber die Hälfte sagt; das dritte Viertel. ( S. Mondsviertel.) Es ist ein Viertel auf drey, d. i. eine Viertelstunde nach drey; drey Viertel auf vier. Für zwey viertel auf vier sagt man halb vier. Besonders bezeichnet Viertel, wenn es absolute stehet, in vielen Gegenden so wohl ein Maß flüssiger, als trockener Dinge, wo es aber doch alle Mahl der vierte Theil eines größern ist. Ein Viertel Wein ist der vierte Theil eines Maßes oder einer Bouteille. In manchen Weinländern hingegen ist das Viertel der vierte Theil eines Eimers. In Cöln und andern Orten scheint ein Viertel so viel, als ein Stübchen zu seyn, weil es daselbst vier Maß hält, so wie es in Danzig 5 1/2 Stoff in sich fasset. In Osnabrück hält eine Tonne Bier 27 Viertel, ein Viertel aber vier Kannen. Besonders als ein Getreidemaß, den vierten Theil eines größern Maßes zu bezeichnen, da denn dieses größere Maß nach Maßgebung der Provinzen verschieden ist. In Böhmen ist das Viertel der vierte Theil eines Striches, und hält daselbst 48 Seidel; in Österreich ist es der vierte Theil einer Menge, so daß es 2 Achtel hält; 120 Viertel aber ein Muth ausmachen; in Augsburg der vierte Theil eines Vierlinges, wo vier Vierlinge oder 16 Viertel eine Metze machen; in Zürich der vierte Theil eines Mütts; in Thüringen der vierte Theil eines "Malters", so daß es daselbst drey Scheffel hält; in Niedersachsen aber der vierte Theil eines Scheffels, wo es in der dasigen Mundart nut Veert, Viert, lautet.

Anm. Im Schwabenspiegel Viertail, im Niedersächsischen Veeredeel, Varndeel, Veerdel, Vertel, Veertjen, im mittlern Lat. Ferdella, Fertellus, Fertella, Firtala, welche alle von verschiedenen Arten von Maßen vorkommen. Mit andern Abtheiltungssylben werden auch Viering, Vierding, (Nieders. Veerding, Verth, im mittlern Lat. Ferto,) für Viertel gebraucht. In der edlern Schreibart schreibt man häufiger Viertheil, und manche, besonders Oberdeutsche Mundarten, sprechen auch so, obgleich im Hochdeutschen die verkürzte Aussprache am üblichsten ist. In Niederdeutschland wird für Viertel auch Ort, und in andern Gegenden die aus dem Lateinischen entlehnten Quart und Quartier gebraucht, ( S. diese Wörter.) S. auch Viertheilen.


Viertelader (W3) [Adelung]


Die Viertelader, plur. die -n, bey den Thieren, und den ungelehrten Thierärzten, der Nahme einer Ader innerhalb des Schenkels, welche der untere größere Ast der Achselader ist, und bey dem Menschen die Leberader genannt wird.


Viertelelle (W3) [Adelung]


Die Viertelelle, plur. die -n, eine Länge, welche den vierten Theil einer Elle lang ist. Eine Viertelelle Taffet. Daß dieses Wort und die folgenden ähnlichen wahre Zusammensetzungen sind, erhellet aus dem Plural, drey Viertelellen Tuch, nicht drey Viertel Ellen, noch weniger Dreyviertel Ellen, weil alsdann keine Ursache wäre, warum Elle im Plural stehen sollte; zur Noth könnte man sagen, drey Viertel Elle, welches aber nicht so gewöhnlich ist. Viertel wirft, so wie in andern Fällen, seine Endung an Elle, welches sonst eigentlich nicht im Plural stehen könnte. Indessen ist diese Zusammensetzung nur mit einigen Wörtern eingeführet.


Vierteljahr (W3) [Adelung]


Das Vierteljahr, des -es, plur. die -jahre, oder -jahr, der vierte Theil eines Jahres. Das Kind ist noch nicht Ein Vierteljahr alt. Es ist drey Vierteljahr alt, wo Jahr, wie Pfund, Loth und einige andere ähnliche Wörter, in der ersten und vierten Endung unverändert bleibt. Nach drey Vierteljahren.


Vierteljährig (W3) [Adelung]


Vierteljährig, adj. et adv. Ein Vierteljahr alt. Ein vierteljähriges Kind. Es ist nun drey vierteljährig, daß ich ihn nicht gesehen haben.


Viertelkarthaune (W3) [Adelung]


Die Viertelkarthaune, plur. die -n, eine Karthaune, welche den vierten Theil einer ganzen, d. i. 24 Pfund, schießt. Siehe Karthaune.


Viertellöhner (W3) [Adelung]


Der Viertellöhner, des -s, plur. ut nom. sing. S. Viertelsbauer.


Viertelmetze (W3) [Adelung]


Die Viertelmetze, plur. die -n, in einigen Gegenden, z. B. im Hannöverischen, nicht der vierte Theil einer Metze, sondern eine Art Metzen, deren vier auf einen Himten gehen, zum Unterschiede von der Drittelmengen, deren drey einen Himten machen.


Vierteln (W3) [Adelung]


Vierteln, S. Viertheilen.


Viertelpfund (W3) [Adelung]


Das Viertelpfund, des -es, plur. ut nom. sing. der vierte Theil eines Pfunds. Ein Viertelpfund Seide. Drey Viertelpfund Messing, wo Pfund nach dem Muster so vielen andern ähnlichen Wörter im Plural unverändert bleibt, selbst im Dativ: ein Gewicht von drey Viertelpfund; daher hier keine wahre Zusammenziehung zu seyn scheinet, so daß man vielleicht richtiger drey Viertel Pfund schreibt, wie drey Viertel Loth, Klafter, Maß, Fuß u. s. f.


Viertelsbauer (W3) [Adelung]


Der Viertelsbauer, des -n, plur. die -n, in einigen Gegenden, ein Bauer, welcher nur ein Viertel von einer Hufe besitzet, daher er auch wohl ein Viertelhüfner, und sein Gut ein Vier- telsgut genannt. ( S. Hufe.) Etwas ähnliches scheinen in Österreich die Viertellöhner zu seyn, d. i. frohnpflichtige Unterthanen, welche nur Hand- oder Fußdienste leisten, und auch Hofstädter oder Häuer heißen, zum Unterschiede von den Halblöhnern, welche mit zwey, und den Ganzlöhnern, welche mit vier Pferden oder Ochsen fröhnen.


Viertelsherr (W3) [Adelung]


Der Viertelsherr, des -en, plur. die -en, in einigen Städten gewisse Personen, welche in jedem Viertel der Stadt erwählet werden, und nebst der Stadtobrigkeit die Aufsicht über die Gemeindegüter haben, an andern Orten aber auch noch zu andern Absichten bestimmt sind. In Cöslin sind dieser Viertelsherren ein und sechzig. Sie werden auch Gemeinsherren genannt.


Viertelsknecht (W3) [Adelung]


Der Viertelsknecht, des -es, plur. die -e, in einigen Städten, ein Knecht oder geringer obrigkeitlicher Bedienter, der gewisse ihm anvertraute Verrichtungen in seinem Viertel der Stadt besorget, z. B. den Ausruf des Bieres, angekommener Waaren, und so ferner.


Viertelsmeister (W3) [Adelung]


Der Viertelsmeister, des -s, plur. ut nom. sing. in einigen Städten, ein Bürger in jedem Viertel der Stadt, welchem die Aufsicht über gewisse Stücke der Polizey in seinem Viertel übertragen ist.


Viertelsstab (W3) [Adelung]


Der Viertelsstab, des -es, plur. die -stäbe, in den Säulenordnungen ein erhabenes rundes Glied, dessen Ründung noch keinen halben Zirkel ausmacht; zum Unterschiede von dem Stabe. Einige nennen ihn den Wulst.


Viertelstunde (W3) [Adelung]


Die Viertelstunde, plur. die -n, der vierte Theil einer Stunde. Ich bin noch keine Viertelstunde hier. Die Predigt dauerte drey Viertelstunden. Ich habe ihn noch vor drey Viertelstunden gesehen. In der vertraulichen Sprechart hat man auch das Diminut. ein Viertelstündchen.


Viertelstag (W3) [Adelung]


Der Viertelstag, des -es, plur. die -e, nicht der vierte Theil eines Tages, sondern von Tag, die Versammlung an einen bestimmten Tage, bey der Reichsritterschaft, die Versammlung der Ritterschaft Eines Ortes oder Cantons, zum Unterschiede von einem Rittertage, wenn die Ritterschaft eines ganzen Kaisers zusammen kommt.


Viertelston (W3) [Adelung]


Der Viertelston, des -es, plur. die -töne, ein Ton, welcher den vierten Theil eines Tactes gilt oder dauert, und auch nur schlechthin ein Viertel genannt wird.


Viertens (W3) [Adelung]


Viertens, (sprich virrtens,) adv. für zum vierten, d. i. zum vierten Stücke, Grunde, Beweise u. s. f. ein, so wie erstens, zweytens, drittens u. s. f. besonders alsdann übliches Wort, wenn man mehrere Theile oder Stücke Einer Art anführet.


Vierthalb (W3) [Adelung]


Vierthalb, bey einigen


Viertehalb (W3) [Adelung]


Viertehalb, (sprich virrthalb,) adj. indecl. drey und ein halbes. Vierthalb Tage, Wochen, Thaler, Stunden u. s. f.


Viertheil (W3) [Adelung]


Das Viertheil, S. Viertel.


Viertheilen (W3) [Adelung]


Viertheilen, (sprich virrtheilen, im gemeinen Leben virrteln,) verb. reg. act. in vier Theile theilen, am häufigsten von derjenigen Strafe eines Missethäters, da dessen Körper von dem Henker in vier Theile getheilet wird. Daher die Viertheilung.


Viertheilig (W3) [Adelung]


Viertheilig, adj. et adv. aus vier Theilen bestehend.


Vierung (W3) [Adelung]


Die Vierung, plur. die -en, von dem schon ungewöhnlichen Zeitworte vieren. 1. Die Handlung des Vierens, ohne Plural; wo noch in der Geometrie die Quadratur des Zirkels, d. i. die Verwandlung eines Zirkels in ein gleichseitiges Viereck von eben so großem Inhalte, bey einigen die Vierung genannt wird. 2. Ein Viereck, eine Figur, welche vier gerade Seiten und vier Winkel hat. In der Vierung, in das Quadrat. Am üblichsten ist es noch im Bergbaue, wo die Vierung ein gevierter Raum ist, welcher die gesetzmäßige Breite einer Zeche ausmacht, und von der Fläche des Saalbandes an 3 1/2 Lachter in das Hangende und eben so viel in das Liegende beträgt, welcher Raum allemahl den Gewerken einer Zeche eigenthümlich gehöret, da denn auch das Recht über diese Vierung, die Vierungsgerechtigkeit genannt wird. Ein jeder belehnter Gang führet seine Vierung mit sich. Die Vierung leiden müssen, diesem Vierungsrechte eines ältern Gewerken weichen müssen. Jemanden in die Vierung fallen.


Vierzehen (W3) [Adelung]


Vierzehen, (sprich virrzehn,) zusammen gezogen vierzehn, eine unabänderliche Hauptzahl für vier und zehen. Vierzehn Thaler, Personen, Häuser. Vor vierzehn Jahren. Vierzehn Mahl. Es kamen ihrer vierzehn. Vierzehn Tage, ein gewöhnlicher Ausdruck für das nicht so gewöhnliche zwey Wochen, Franz. quinze jours funfzehn Tage. Vor vierzehn Tagen; über vierzehn Tage. Im Tatian schon fiorzehen, aber in dem salischen Gesetze thue septen chunna, im Nieders. veertein, im Angels. feowertyne, Schwed. fjorton.


Vierzehnte (W3) [Adelung]


Der Vierzehnte, (sprich virrzehnte,) die Ordnungszahl der vorigen. Der vierzehnte Mann. Es ist heute der vierzehnte Tag.


Vierzehner (W3) [Adelung]


Der Vierzehner, (sprich virrzehner,) des -s, plur. ut nom. sing. ein Ganzes von vierzehn Einheiten.


Vierzeilig (W3) [Adelung]


Vierzeilig, adj. et adv. vier Zeilen enthaltend. Man gebraucht es besonders von einer Art Gerste, welche die vierzeilige Gerste genannt wird, weil sie vier Zeilen oder Reihen Körner zu haben scheint, ob sie gleich eigentlich sechszeilig ist; kleine Gerste, Hordeum vulgare L. Sie hat eine lange schmale Ähre, und wird vorzüglich in bergigen Gegenden gebauet. Sie hat kleinere Körner, als die große oder zweyzeilige Gerste, Hordeum distichum L.


Vierzig (W3) [Adelung]


Vierzig, (sprich virrzig,) adj. indecl. welches zu den Hauptzahlen gehöret, vier zehen Mahl genommen. Vierzig Tage, Jahre, Thaler. Es waren ihrer vierzig. Einer von vierzigen. Er ist schon in die vierzig, ist schon vierzig Jahr alt und darüber Vierzig Mahl.

Anm. Bey dem Ulphilas fidwortiguns, im Isidor feorzuc, in den salischen Gesetzen ferthoc, bey dem Kero feorzug, bey dem Ottfried u. s. f. fiarzug, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno schon vircig, im Nieders. veertig, im Angels. feowertig.


Vierziger (W3) [Adelung]


Der Vierziger, (sprich virrziger,) des -s, plur. ut nom. sing. 1. Ein Mitglied eines Collegii von vierzig Personen. 2. Ein aus vierzig Einheiten bestehendes Ganze. Besonders wird eine männliche Person, welche vierzig Jahre alt ist, ein Vierziger, und eine weibliche eine Vierzigerinn genannt. So auch Einundvierziger u. s. f. 3. Was 1740 gewachsen oder gemacht ist. So könnte man einen 1740 gewachsenen Wein einen Vierziger nennen.


Vierzigste (W3) [Adelung]


Der Vierzigste, (sprich virrzigste,) adj. welches die Ordnungszahl von vierzig ist. Der vierzigste Tag. Den vierzigsten Mann nehmen. Schon bey dem Kero feorzugosto, bey dem Ottfried fiarzeguste.


Viets-Bohne (W3) [Adelung]


Die Viets-Bohne, plur. die -n, in einigen Gegenden, ein Nahme der Faseolen oder Gartenbohnen, weil sie um Viti, d. i. in der Mitte des Junii eßbar werden.


Vigilant (W3) [Adelung]


Vigilant, -er, -este, adj. et adv. welches aus dem Latein. vigilans, entstehet, und nur im gemeinen Leben für wachsam üblich ist.


Vigilien (W3) [Adelung]


Die Vigilien, sing. inus. aus dem Lat. vigiliae, ein in der Römischen Kirche übliches Wort, so whole den Gottesdienst am Abend vor einem großen Feste zu bezeichnen, als auch die Seelmessen, welche des Abends vor der Beerdigung eines Verstorbenen gehalten werden, das Todtenamt, da denn auch wohl eine jede Seelenmesse, besonders von feyerlicher Art, diesen Nahmen bekommt.


Vigilieren (W3) [Adelung]


Vigilieren, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches aus dem Lat. vigilare entlehnt ist, und nur im gemeinen Leben gebraucht wird, wachsam auf etwas acht geben. Im Hause herum vigilieren. Auf etwas vigilieren.


Vignette (W3) [Adelung]


Die Vignette, (sprich Winjette,) plur. die -n, aus dem Franz. Vignette, ein kleiner in Kupfer gestochenes Zierath zu Anfange oder Ende eines Buches, oder einer Abtheilung desselben. Die Titel-Vignette, Anfangs-Vignette, Schluß-Vignette. Das Französische Wort wird von dem Lat. Viticula abgeleitet, weil man solche Stellen in den Büchern ehedem mit eingemahlten Weinranken auszuschmücken pflegte, dergleichen noch in vielen Handschriften angetroffen werden. Ein solcher in Holz geschnittener Zierath wird ein Stock genannt.


Viole (W3) [Adelung]


1. Die Viole, plur. die -n, ein aus dem Französ. Viole und Italien. Viola entlehntes Wort, dasjenige musikalische Saiten-Instrument zu bezeichnen, welches man im Deutschen eine Geige nennet. Ehedem wurde jedes Instrument dieser Art, es mochte zu einer Stimme gehören. zu welcher es wollte, Viole genannt; allein mit der Zeit hat jede ihre eigenen Nahmen bekommen. Besonders ist die Discant-Viole jetzt unter dem Nahmen der Violine am bekanntesten. Die Alt- und Tenor-Violen nennt man jetzt lieber Alt- und Tenor-Geigen, die Baß-Viole, die Baß-Geige oder den Violon u. s. f. Viole d'Amour und Viole de Gambe sind noch zwey aus dem Französischen beybehaltene Nahmen; jene, welche mit vier stählernen oder messingenen Saiten und einer Darmsaite bezogen wird, hat einen silbernen überaus angenehmen Klang; diese, welche wegen ihrer Größe zwischen den Beinen gehalten wird, heißt im Deutschen auch die Kniegeige. Von einer Violine ist das Wort Viole noch im Niederdeutschen am üblichsten.

Anm. Das Wort ist zunächst aus dem Franz. Viole entlehnet, welches im mittlern Lat. schon Fiala lautet, und gemeiniglich von Fides, die Saiten, abgeleitet wird, ein Saiten-Instrument zu bezeichnen. S. indessen auch Fiedel.


Viole (W3) [Adelung]


2. Die Viole, plur. die -n, der Nahme eines länglich runden gläsernen Gefäßes, besonders in der Chymie, wo es zum Destilliren gebraucht wird. Viele leiten es von dem Lat. Phiala, eine Schale ab, und schreiben es daher auch Phiole, können aber alsdann keinen Grund weder von der Veränderung des a in o, noch von der Versetzung des Tones angeben. Frisch muthmaßet daher schon mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit, daß es mit dem vorigen ein und eben dasselbe Wort sey, und daß dieses Gefäß wegen seiner Ähnlichkeit mit einer Geige so genannt worden.


Viole (W3) [Adelung]


3. Die Viole, plur. die -n, der Nahme einer Blume und des Gewächses, welches dieselbe trägt. Besonders der kleinen wohlriechenden Blume dieser Art, welche im Deutschland in den Wäldern wild wächset; Viola odorata L. und welche im Hochdeutschen unter dem Nahmen des Veilchens am bekanntesten ist. Du blaue Viole, du Bild des Weisen, du stehest bescheiden niedrig im Grase und streuest Gerüche umher, Geßn. ( S. Veilchen.) Die März, Viole, Viola martia L. die Nacht-Viole, Hesperis L. die gelbe Viole, welche im Hochdeutschen unter dem Nahmen des Lackes oder goldnen Lackes am bekanntetesten ist, Cheiranthus Cheiri L. In einigen Gegenden wird auch die Levköje Melken Viole, und die Feigbohne Türkische Viole genannt. Figürlich ist bey den Jägern die Viole ein schwarzer Büschel Haare auf dem Schwanze des Fuchses, einer quere Hand breit von dem Rücken, der einen angenehmen Geruch, wie die blaue Viole, hat.

Anm. 1. Das Wort ist aus dem Lat. Viola entlehnet, welches in einigen Provinzen, besonders Oberdeutschlandes, in Veil verkürzet wird, wovon man im Hochdeutschen das Diminut. Veilchen hat, welches doch nur von der kleinen wohlriechenden blauen Viole gebraucht wird, daher auch die folgenden Zusammensetzungen, wenn sie diese Blume betreffen, so wohl mit Violen- als Veilchen- gemacht werden.

Anm. 2. Das Wort kommt von der kleinen blauen Blume schon bey den Schwäbischen Dichtern vor, wo es Viol lautet. Im Pohlnischen heißt diese Blume gleichfalls Fiolek, Fiolka. Siehe Veilchen.


Violett (W3) [Adelung]


Violett, adj. et adv. der Nahme einer in das Rothe spielenden blauen Farbe, aus dem Franz. violet, und dieß von Viole, weil diese Farbe den blauen Veilchen gleicht, daher sie auch wohl veilchenblau und violenblau genannt wird, obgleich der Französische Ausdruck gewöhnlicher ist.


Violine (W3) [Adelung]


Die Violine, plur. die -n, ein aus dem Franz. Violine, entlehntes Wort, eine Discant-Viole oder Discant-Geige zu bezeichnen, welche in der vertraulichen Sprechart auch nur die Geige schlechthin, und in der niedrigen die Fiedel genannt wird. Die Violine spielen. Daher der Violinist, des -en, plur. die -en, ein Musicus, welcher dieses Instrument geschickt zu spielen weiß.


Violoncell (W3) [Adelung]


Das Violoncell, (sprich Wiolontschell,) des -es, plur. die -e, aus dem Ital. Violoncello, eine kleine Baßgeige. Daher der Violoncellist, welcher sie geschickt zu spielen weiß.


Viper (W3) [Adelung]


Die Viper, plur. die -n, ein hin und wieder gewöhnliches Wort, eine jede Art kleiner sehr giftigen Schlangen zu bezeichnen, welche man auch Nattern und Ottern zu nennen pflegt. Allein, im eigentlichen Verstande ist die Viper eine Art Schlangen mit Schilden am Bauche und Schuppen unter dem Schwanze, welche lebendige Jungen gebäret, welcher Umstand ihr Unterscheidungsmerkmahl ist, indem sie davon auch dem Lat. Nahmen Vipera, gleichsam Vivipara, hat. Ihr Biß ist sehr gefährlich, ob sie gleich nicht leicht über eine Elle groß wird. Die Natter, Coluber, gehöret zu eben dieser Art, nur daß sie keine lebendigen Jungen zur Welt bringt.


Vipergras (W3) [Adelung]


Das Vipergras, des -es, plur. inus. S. Scorzonera.


Visier (W3) [Adelung]


Das Visier, des -es, plur. die -e, dasjenige, wodurch man siehet, doch nur in einigen einzelnen Fällen. So wird an einem Helme dasjenige Gitter, welches das Gesicht bedeckt, oder über- haupt der vordere Theil desselben vor dem Gesichte, wodurch man siehet, das Visier genannt. In den niedrigen Sprecharten ist Visier so wohl das Vermögen zu sehen, als auch das Gesicht, der vordere Theil des Kopfes. Besonders derjenige Theil, wodurch man zielet. So wird das Korn an den Feuerröhren auch das Visier und Visier-Korn genannt. In der Mathematik sind die Visiere oder Dioptern diejenigen Theile an den Instrumenten, wodurch man auf etwas zielet; die Absehen. Es ist aus dem Franz. Visiere, oder. Ital. Visiera, und diese von dem Lat. videre, visus.


Visieren (W3) [Adelung]


Visieren, verb. reg. act. 1. Eigentlich, genau sehen, doch nur in engern Verstande, für zielen, in welcher Bedeutung es noch im gemeinen Leben üblich ist. Auf etwas visieren, zielen. 2. Figürlich, wo es in einigen Fällen für messen, ausmessen gebraucht wird, vermuthlich, so fern dafür ein scharfes und genaues Sehen erfordert wird. (1) Den körperlichen Inhalt eines Dinges finden. Einen Kornhaufen, einen Wall, eine Mauer visieren, durch Messung der äußern Flächen und darnach angestellte Berechnung des körperlichen Inhaltes. Besonders den Körperlichen Inhalt eines Gefäßes flüssiger Dinge, z. B. eines Fasses, finden, ahmen, Franz. jauger, im Nieders. rojen, Holländ. roeyen, von Roje, Ruthe, ingleichen der Visier-Stab, ( S. auch Eichen.) Es geschiehet solches so wohl vermittelst eines eigenen Visier-Stabes, welcher in das Gefäß gestoßen wird, als auch vermittelst der Visier-Schnur, womit der äußere Umfang ausgemessen und dadurch der Inhalt berechnet wird, in welchem Falle es auch schnüren heißt. Ein Faß Wein, ein Faß Bier visieren. (2) Ehedem war visieren einen nach dem Maßstabe gemachten Riß von einem Gebäude verfertigen, wo Visierung auch einen solchen Riß bedeutete. In diesem Verstande ist es veraltet, und man gebraucht es nur noch, (3) in noch weiterer Bedeutung in der Wapenkunst, die Theile und Figuren eines Wapens nach den Regeln der Kunst beschreiben und aussprechen; eine ohne Zweifel von der vorigen hergeleitete Bedeutung, in welcher es ehedem auch ein Wapen aufzeichnen, oder verzeichnen, bedeutet haben mag, obgleich dazu kein Maßstab erfordert wird. So auch die Visierung. Es ist von einen veralteten Franz. viser, scharf, genau sehen, zielen, ingleichen messen.


Visierer (W3) [Adelung]


Der Visierer, des -s, plur. ut nom. sing. derjenige, welcher visieret, besonders in der letzten Bedeutung des Zeitwortes, wo der Visierer oder Wein-Visierer beeidigter obrigkeitlicher Bedienter ist, welcher die einkommenden Weinfässer visieret, damit die gehörigen Gefälle davon gegeben werden können; am Rheinstrome der Weinstecher.


Visier-Korn (W3) [Adelung]


Das Visier-Korn, des -es, plur. die -körner, an den Schießgewehren, S. Visier.


Visier-Kunst (W3) [Adelung]


Die Visier-Kunst, plur. car. die Kunst, den körperlichen Inhalt eines Gefäßes flüssiger Dinge zu finden In weiterer Bedeutung, Den körperlichen Inhalt eines jeden Körpers zu finden; die Stereometrie.


Visier-Maß (W3) [Adelung]


Das Visier-Maß, des -es, plur. inus. diejenige Art des Maßes, welche bey dem Visieren der Fässer zum Grunde geleget wird, nach welchem der Inhalt eines Fasses angegeben wird, zum Unterschiede von dem Schenkmaße, nach welchem der Wein ausgeschenkt oder maßweise verkauft wird. In Leipzig hält ein Eimer 54 Kannen Visier-Maß, welche 63 Kannen Schenkmaß machen; in Nürnberg 32 Viertel Visier-Maß und 34 Viertel Schenkmaß.


Visier-Ring (W3) [Adelung]


Der Visier-Ring, des -es, plur. die -e, bey den Nadlern ein eiserner Draht, welcher schlangenweise immer zu engen Bogen gekrümmt ist, Dicke des Drahtes darin zu messen.


Visier-Ruthe (W3) [Adelung]


Die Visier-Ruthe, plur. die -n, S. Visier-Stab.


Visier-Schuß (W3) [Adelung]


Der Visier-Schuß, des -es, plur. die -schüsse, in der Artillerie, ein Schuß, wobei das Stück bis in den ersten Grad erhöhet wird, welches der höchste Bogenschuß ist, welchen man aus einen Stücke zu thun pflegt.


Visier-Stab (W3) [Adelung]


Der Visier-Stab, des -es, plur. die -stäbe, ein Maßstab, nach welchem der Inhalt der Fässer visieret wird; Nieders. Roje, eigentlich die Ruthe. Auch der Caliber-Stab in der Artillerie, worauf der Durchmesser der Kugeln mit ihrer Schwere verzeichnet ist, wird von einigen der Visier-Stab genannt.


Visitator (W3) [Adelung]


Der Visitator, des -s, plur. die -tores, oder -toren, aus dem Lat. Visitator, ein beeidigter obrigkeitlicher Bedienter, welcher die zur Stadt kommenden Güter besichtiget, damit der Zoll davon gegeben werde; im Oberd. der Beschauer, Güterbeschauer, Zollbeseher.


Visitation (W3) [Adelung]


Die Visitation, plur. die -en, aus dem Lat. Visitatio, eine Besichtigung, Untersuchung, ein nur in einigen Fällen übliches Wort. Eine Gerichtliche Haussuchung heißt zuweilen eine Visitation. Die Kirchen-Visitation, in der evangelischen Kirche, die Untersuchung der Kirchenrechnungen und des übrigen kirchlichen Zustandes einer Gemeinde, von dem Superintendenten, oder einem andern kirchlichen Vorgesetzten.


Visite (W3) [Adelung]


Die Visite, plur. die -n, im gemeinen Leben, aus dem Französischen Visite, der Besuch. Eine Visite bey jemanden machen, einen Besuch. Visite haben, Besuch. In die Visite gehen, in den Besuch.


Visitieren (W3) [Adelung]


Visitieren, verb. reg. act. aus dem Lat. visitare, ein im gemeinen Leben sehr häufiges Wort, für besichtigen, untersuchen, durch suchen. Der Visitator visitieret die Güter, die Fremden, welche zur Stadt kommen. Jemanden die Taschen visitieren, durchsuchen. Der Wundarzt visitieret eine Wunde mit der Sonde und andern Werkzeugen. Die Soldaten werden visitieret, wenn der Unter-Officier untersucht, ob sie alle in ihren Quartieren. Und so in hundert andern Fällen mehr.


Vispern (W3) [Adelung]


Vispern, S. Wispern.


Vitriol (W3) [Adelung]


Der Vitriol, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten und Quantitäten, die -e, ein styptisches Salz, welches aus einem, von einem sauren Salze aufgelösten Metalle entstehet, und einen sauren, herben und zusammen ziehenden Geschmack hat. Kupfer-Vitriol, von aufgelöstem Kupfer, der auch wohl Kupferwasser genannt wird, und blau ist; Eisen-Vitriol, welcher grün ist; Zucker-Vitriol, welcher weiß ist; Silber-Vitriol, welcher auch Silbersalz heißt; Bley-Vitriol, welcher unter dem Nahmen des Bleyzuckers am bekanntesten ist. Gediegener Vitriol, der schon von der Natur in seiner gewöhnlichen Gestalt bereitet wird, zum Unterschiede von dem künstlichen oder gesottenen. Vitriol sieden, ihn durch Auslaugen, Einsieden und Krystallisieren aus seinem Erzen erhalten. Der Nahme, der in den niedrigen Sprecharten auch wohl Vietril lautet, ist aus dem Latein. Vitriolum, nach dessen Muster er eigentlich ungewissen Geschlechtes seyn sollte.


Vitriol-Elixier (W3) [Adelung]


Das Vitriol-Elixier, des -es, plur. von mehrern Arten, die -e, in den Apotheken, ein Elixier von Galgant-Wurzel, Kalmus, Krausemünze und Salben mit Zucker, Zitronschalen und allerley Gewürzen in Weingeist und Vitriol-Geist digetieret; Elixirium Vitrioli.


Vitriol-Erde (W3) [Adelung]


Die Vitriol-Erde, plur. doch nur von mehrern Arten, die -n, eine Erde, welche Vitriol enthält, mit Vitriol geschwängert ist.


Vitriol-Erz (W3) [Adelung]


Das Vitriol-Erz, des -es, plur. die -e, ein jeder mineralischer Körper, welcher so viel Vitriol enthält, daß derselbe mit Nutzen daraus bereitet werden kann.


Vitriolgeist (W3) [Adelung]


Der Vitriolgeist, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten, die -er, der durch die Hitze des Feuers in flüssiger Gestalt von dem Vitriol geschiedene Geist, der auch Vitriolsäure genannt wird, und die schwerste und stärkste Säure unter allen ist; Spiritus Vitrioli. Ein in die Enge gebrachter Vitriolgeist wird, obgleich sehr uneigentlich, Vitriolöhl genannt; Oleum Vitrioli. Der flüchtige Vitriolgeist, welches aus calcinirtem Vitriol destillieret wird, ist unter dem Nahmen des Schwefelgeistes bekannt.


Vitriolhütte (W3) [Adelung]


Die Vitriolhütte, plur. die -n, eine Hütte, ingleichen ein jedes Gebäude, ja die ganze Anstalt, wo Vitriol aus seinen Erzen bereitet wird; die Vitriolstederey, das Vitriolwerk.


Vitriolisch (W3) [Adelung]


Vitriolisch, adj. et adv. dem Vitriol ähnlich, Vitriol enthaltend. Ein vitriolischer Geschmack, der dem Vitriole ähnlich ist. Vitriolische Erden, Vitriolerden.


Vitriolkern (W3) [Adelung]


Der Vitriolkern, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten und Quantitäten, die -e, in den Vitriolhütten, der gröbste Theil der Vitriolerze, woraus der Vitriol gelauget wird; im Gegensatze des Vitriolkleines, den klarsten Erzen, ingleichen dem Abgange von den Vitriolerzen.


Vitriolklein (W3) [Adelung]


Das Vitriolklein, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten und Quantitäten die -e, S. das vorige.


Vitriolöhl (W3) [Adelung]


Das Vitriolöhl, des -es, plur. von mehrern Arten, die -e. S. Vitriolgeist.


Vitriolsäure (W3) [Adelung]


Die Vitriolsäure, plur. doch nur von mehrern Arten, die -n. 1. Die dem Vitriole wesentliche mineralische Säure, als ein Abstractum. 2. Die Säure in körperlicher Gestalt, nachdem sie von dem Vitriol geschrieben worden, S. Vitriolgeist.


Vitriolsieder (W3) [Adelung]


Der Vitriolsieder, des -s, plur. ut nom. sing. derjenige, dessen Geschäft es ist, den Vitriol aus seinen Erzen zu bereiten. Im engern Verstande ist in den Vitriolhütten der Vitriolsieder oder nur Sieder schlechthin, derjenige Arbeiter, welcher das Einsieden das ausgelaugten Vitriolwassers verrichtet.


Vitriolsiederey (W3) [Adelung]


Die Vitriolsiederey, plur. die -en, S. Vitriolhütte.


Vitriolzapfen (W3) [Adelung]


Der Vitriolzapfen, des -s, plur. ut nom. sing. gediegener aber gewachsener Vitriol in krystallinischer und Zapfen ähnlicher Gestalt, welcher bey den Bergleuten auch Jökel genannt wird, Vitriolum stillatitium; zum Unterschiede von dem Atlaß-Vitriole, oder dem gediegenen Vitriole in faseriger Gestalt.


Vizdom,Vizthum (W3) [Adelung]


Der Vizdom, oder Vizthum, des -es, plur. die -e, ein aus dem mittlern Lateine Vice-Dominus entlehntes und verkürztes Wort, welches ehedem schon gangbar war, einen Statthalter oder Stellvertreter eines regierenden Herren zu bezeichnen, und in manchen Gegenden noch üblich ist, wo der Vizdom bald ein Statthalter über einen großen, bald aber auch nur über einen geringen Bezirk ist. In den mittlern Zeiten, da die Landeshoheit größten Theils mit der Handhabung des Rechtes bestand, hatten solche Vizdome zugleich die Gerichte, besonders die Obergerichte über alle peinliche Sachen, welche daher Vizthumhändel genannt wurden. Daher rühret es allen Ansehen nach, daß im gemeinen Leben mancher Gegenden, böse Thaten und Verbrechen noch jetzt Vizdomhändel genannt werden. Übrigens kommt der Nahme Vizdom, so fern er einen Statthalter höherer oder geringerer Art bedeutet, im Oberdeutschen und am Rheine noch am häufigsten vor. Die gewöhnliche Schreibart Vitzdom oder Vitzthum hat für das tz nichts aufzuweisen, indem es an dem z genug ist. Die Franzosen haben das Lateinische Vice-Dominus noch weiter im Vidame verkürzt.


Vließ (W3) [Adelung]


Das Vließ, ein mit seiner Wolle versehenes Fell, S. Fließ.


Vocal (W3) [Adelung]


Der Vocal, des -es, plur. die -e, bey einigen, die -en, aus dem Latein. Vocalis, einen einfachen organischen Laut zu be- zeichnen, welcher mit der bloßen Öffnung des Mundes hervor gebracht, und im Deutschen auch ein Selbstlaut, richtiger ein Hülfslaut, genannt wird, ( S. dieses Wort.) Die ältern Deutschen Sprachlehrern nannten ihn einen Stimmer.


Vocal-Musik (W3) [Adelung]


Die Vocal-Musik, plur. inus. eine Musik, so fern sie in menschlichen Stimmen bestehet, zum Unterschiede von der Instrumental-Musik; wo Vocal, als ein eigentliches Beywort, noch seine erste ursprüngliche Bedeutung hat, von vox, vernehmliche Stimme.


Vocativ (W3) [Adelung]


Der Vocativ, des -s, plur. die -e, oder in der vollständigen Lateinischen Form, der Vocativus, des -vi, plur. die -vi, die fünfte Endung der Nennwörter in der Sprachkunst, nach dem Lateinischen Vocativus, welche Endung manche Sprachlehrer die Rufendung, andere mit mehrerm Beyfalle die fünfte Endung nennen. Figürlich, doch nur in der vertraulichen Sprechart, pflegt man einen leichtfertigen Menschen einen Vocativus (nicht Vocativ) zu nennen, weil man diese fünfte Endung im Deutschen oft mit einem o du - zu begleiten pflegt, einen mit bewunderndem Unwillen begleiteten Ausruf anzudeuten.


Vocke (W3) [Adelung]


Die Vocke, ein Vogel, S. Focke.


Vogel (W3) [Adelung]


Der Vogel, des -s, plur. die Vögel, Diminut. das Vögelchen, Oberd. Vögelein, eine allgemeine Benennung der zweyfüßigen mit Federn und Flügeln versehenen Thiere, welche den Ort vermittelst des Fliegens verändern, welches letztere such der Grund ihrer Benennung ist. Raubvögel, Wasservögel, Sumpfvögel, Waldvögel. Das Collectivum lautet Geflügel, ehedem aber auch Gevögel, bey dem Notker Qefugele. Am häufigsten verstehet man unter dem Nahmen Vogel diejenigen Thiere dieser Art, welche gewöhnlicher Weise wild leben, indem man diejenigen Arten, welche der Mensch als Hausthiere zu erziehen pflegt, als Hühner, Gänse, Änten, die Tauben etwa ausgenommen, nicht leicht Vögel nennt, ob man sie gleich unter dem allgemeinen Nahmen des zahmen Geflügels begreift. Ich habe ein Vögelchen davon singen hören, in der vertraulichen Sprechart, ich habe etwas unter den Hund davon gehöret. Laß die Vögel sorgen! ein vertraulicher Verweis unnöthiger Sorgen. Friß Vogel oder stirb! ein vermuthlich von den Vogelstellen entlehnter Ausdruck, anzudeuten, daß man aus zweyen Übeln schlechterdings eines wählen müsse. Sprichw. Man kennt den Vogel am Gesange, oder an den Federn. Man kann es nicht an dem Neste sehen, was für Vögel darin sind. Wie der Vogel, so das Ey, oder, böser Vogel, böses Ey, oder, wie man ehedem sagte, wie es vogelt, also legt es Eyer, wo Frisch das Zeitwort mißverstanden hat. Es muß ein böser Vogel seyn, der in sein eigenes Nest thut. Wer Vögel fangen will, muß nicht mit Knütteln darein werfen. Vögel von einerley Federn fliegen gern zusammen, gleich und gleich gesellt sich gern. Auch ein hölzernes Bild eines Vogels, nach welchem man zur Übung zu schießen pflegt. Nach dem Vogel schießen. Den Vogel abschießen. S. Vogelschießen. Figürlich pflegt man einen listigen, leichtfertigen, losen Menschen u. s. f. in der vertraulichen Sprechart einen listigen, leichtfertigen, losen Vogel zu nennen. Ein durchtriebener Vogel. Ein Galgenvogel, ein des Galgens würdiger Schalk, wenn es nicht eine Anspielung auf die Raben und Krähen ist, welche sich gern auf den Galgen sehen lassen. Vielleicht liegt der Grund dieser Figur in der Beweglichkeit und Flüchtigkeit eines Vogels, so wie man einen Menschen auch eine wilde Fliege, eine wilde Hummel zu nennen pflegt. Im Schwedischen ist indessen Vogel mit seinen Beywörtern ein härteren Schmähwort.

Anm. Bey dem Ulphilas Fugls, bey dem Ottfried und Notker Fogal im Nieders. Vagel, im Angels. Fugel, im Schwed. Fo- gel, im Engl. Fowl. Die Endsylbe ist die Ableitungssylbe -el, welche ein Ding, Subject bedeutet. Die Grundsylbe Vog gehöret allem Ansehen nach zu wegen, bewegen, die dieser Art Thiere eigenthümliche leichte Bewegung vermittelst des Fliegens zu bezeichnen. Auf ähnliche Art stammen Volucris und Geflügel von volare, und fliegen ab, so wie avis sein Stammwort in dem Hebr. apt, fliegen, suchen muß.


Vogelbauer (W3) [Adelung]


Das Vogelbauer, des -s, plur. nom. sing. ein Bauer oder kleines Gehäuse, Vögel darin zu unterhalten; ein Bauer, in der höhern Schreibart ein Käfig, im Oberd. ein Vogelhäuschen. Nieders. Vogelbur, Schwed. Fogelbur. S. das Bauer.


Vogelbeitze (W3) [Adelung]


Die Vogelbeitze, plur. die -n, die Beitze auf Vögel, d. i. die Jagd auf Vögel mit Stoßvögeln; ein ungewöhnliches Wort, wofür entweder Beitze schlechthin oder Falkenbeitze üblich sind.


Vogelbeere (W3) [Adelung]


Die Vogelbeere, plur. die -n, eine Art rother in Trauben wachsender herber Beeren, welchen die Vögel, besonders die Drosseln, nachzustellen pflegen. Daher der Vogelbeerbaum, der Baum, welcher dieselben trägt, Sorbus L. besonders aber dessen Sorbus aucuparia, welcher in andern Gegenden Sperberbaum, Aberäsche, Eberäsche, in Niedersachsen aber Quitsenbaum, so wie die Beeren Quitsen, genannt wird; in Preußen Quitschen, in Osnabrück. Queeckbeeren, Engl. Quickbeam, Quickentree, in noch andern Gegenden Speyerling, wegen des sauren zusammen ziehenden Geschmackes, in Liesl. Pielbeeren.


Vogeldunst (W3) [Adelung]


Der Vogeldunst, des -es, plur. car. ein Nahme des feinsten Schrotes oder gekörnten Bleyes, womit man nach Vögeln zu schießen pflegt; auch nur Dunst schlechthin.


Vogeler (W3) [Adelung]


* Der Vogeler, Vogler, des -s, plur. ut nom. sing. ein veraltetes Wort, einen Vogelsteller oder Vogelfänger zu bezeichnen, welches noch zuweilen als ein Beynahme des Kaisers Heinrich vorkommt, das Lat. auceps auszudrucken, wofür doch heutiger Geschmack und Sitten ein anständigeres Wort erforderten. Es lautet von einem Vogelsteller schon bey dem Notker Fogelar, im Angels. Fugelare. Das Zeitwort vogeln, Vögel fangen, ist noch mehr veraltet. S. Vogler.


Vogelerbse (W3) [Adelung]


Die Vogelerbse, plur. die -n, S. Vogelwicke.


Vogelfang (W3) [Adelung]


Der Vogelfang, des -es, plur. inus. die Handlung, da man Vögel fängt. Den Vogelfang verstehen. Auf den Vogelfang ausgehen. Zuweilen auch die Art und Weise. Ingleichen der Ort, wo man Vögel in Sprenkeln, Dohnen, auf Vogelherden u. s. f. fängt, in welchem Falle auch wohl der Plural leidet. In Boxhorns Glossen Fogalfengida.


Vogelfänger (W3) [Adelung]


Der Vogelfänger, des -s, plur. ut nom. sing. derjenige, welcher aus dem Vogelfange seine vornehmste Beschäftigung macht, wofür der Vogelsteller üblicher ist.


Vogelficaus (W3) [Adelung]


Der Vogelficaus, S. Kirschvogel.


Vogelflinte (W3) [Adelung]


Die Vogelflinte, plur. die -n, die kleinste Jagdflinte, mit Vogeldunst darauf auf kleine Vögel zu schießen.


Vogelflug (W3) [Adelung]


Der Vogelflug, des -es, plur. car. der Flug der Vögel. Aus dem Vogelfluge weissagen.


Vogelfrey (W3) [Adelung]


Vogelfrey, adj. et adv. eigentlich so frey, d. i. ungeschützt, wie ein Vogel in der Luft, welcher jedermann fangen oder tödten kann. Man gebraucht es nur von geächteten Personen, welche jeder fangen, oft auch tödten kann, der da will oder kann. Jemanden für vogelfrey erklären. Im Schwed. gleichfalls fogelfri.


Vogelfuß (W3) [Adelung]


Der Vogelfuß, des -es, plur. die -füße. 1. Der Fuß eines Vogels. 2. Der Nahme eines Krautes, dessen Samenschoten eine Ähnlichkeit mit einer Vogelklaue haben; Ornithopus L. S. Vogelklaue.


Vogelgarn (W3) [Adelung]


Das Vogelgarn, des -es, plur. die -e, ein Garn oder Netz, Vögel darein zu fangen; das Vogelnetz.


Vogelgesang (W3) [Adelung]


Der Vogelgesang, des -es, plur. inus. eigentlich, der Gesang eines Vogels, die Art und Weise wie ein Vogel singt. In den alten Orgeln ist es ein Register, welches das Zwitschern der Vögel nachahmet, und auch Merula genannt wird.


Vogelgeschrey (W3) [Adelung]


Das Vogelgeschrey, des -es, plur. inus. das Geschrey der Vögel.


Vogelhaus (W3) [Adelung]


Das Vogelhaus, des -es, plur. die -häuser, so wohl ein Vogelbauer, in welchem Falle am häufigsten das Diminut. das Vogelhäuschen gebraucht wird; als auch ein größeres durchsichtiges Behältniß, mehrere Vögel zugleich darin zu seinem Vergnügen zu unterhalten; die Vogelhecke, Vogelhütte.


Vogelhecke (W3) [Adelung]


Die Vogelhecke, plur. die -n. 1. Die Zeit, wenn die Vögel hecken. 2. Eine Anstalt, wo man Vögel sich paaren und fortpflanzen lässet, ingleichen dasjenige Behältniß, worin solches geschiehet.


Vogelherd (W3) [Adelung]


Der Vogelherd, des -es, plur. die -e, ein Herd, d. i. erhöheter Platz, auf welchem der Vogelsteller Vögel in Garnen oder Netzen fänget.


Vogelhütte (W3) [Adelung]


Die Vogelhütte, plur. die -n. 1. Eine grüne Hütte neben einem Vogelherde, worin sich der Vogelsteller aufhält. 2. Auch ein Vogelhaus, in der zweyten Bedeutung dieses Wortes.


Vogelkien (W3) [Adelung]


Der Vogelkien, des -es, plur. car. eigentlich derjenige Kien, welcher sich in den Gipfeln der Kien- und Tannenbäume befindet, wo sich die Vögel am häufigsten aufhalten. In weiterer Bedeutung pflegt man aber auch einen jeden mit vielem Harze durchzogenen, oder aus Harzgallen entstehenden Kien, besonders von abgestorbenen Bäumen, Vogelkien zu nennen; vermuthlich, weil er dem Kiene aus dem Gipfeln am ähnlichsten ist.


Vogelkirsche (W3) [Adelung]


Die Vogelkirsche, plur. die -n, eine Art kleiner süßer Kirschen, deren Baum daher der Vogelkirschbaum genannt wird; Prunus auium L. mit rother Frucht; Twieselbeere, Kasbeere. Die schwarze Vogelkirsche, Prunus Padus L. welche in andern Gegenden Apfelkirsche, Alpkirsche, Traubenkirsche, Hohlkirsche, Haubeere, Waldkirsche, Elsebeere, im Nieders. Wispelbeere, und der Baum Altbaum, Stinkbaum, Drachenbaum, Hundsbaum, in Tirol Elxen, in wendischen Gegenden Patscherpe, Scherpke genannt wird. Siehe auch Elsebeere. An manchen Orten, heißt die Hecken- oder Zaunkirsche, Lonicera Xylosteum L. so wohl Ahlkirsche, als Vogelkirsche. Die Afrikanische Vogelkirsche, ist eine Art Eisenholzes, Sideroxylon melanophleus L.


Vogelklaue (W3) [Adelung]


Die Vogelklaue, plur. die -n, die Klaue, d. i. der untere Theil eines Vogelfußes mit den Zehen. Ingleichen ein Kraut, S. Vogelfuß.


Vogelkopf (W3) [Adelung]


Der Vogelkopf, des -es, plur. die -köpfe, eigentlich der Kopf eines Vogels. Bey den neuern Schriftstellern des Pflanzenreichs auch der Nahme eines Afrikanischen Gewächses, dessen Frucht einem Vogelkopfe mit einem Schnabel gleicht; Passerina L.


Vogelkraut (W3) [Adelung]


Das Vogelkraut, des -es, plur. car. ein niedriges Kraut, welches eine angenehme Speise der Finken, Sperlinge, jungen Hühner und anderer Vögel ist, Alsine L. Hühnerdarm, Hühnerbiß, S. dieses Wort.


Vogelleim (W3) [Adelung]


Der Vogelleim, des -es, plur. car. doch nur von mehrern Arten, die -e, ein Leim, welcher aus der Rinde der Stechpalmen, noch häufiger aber aus Mistelbeeren gesotten wird, die Leimruthen damit zu bestreichen, kleine Vögel darauf zu fangen. Daher wird denn auch wohl die Lindenmistel, oder die Mistel mit weißen Beeren, selbst Vogelleim genannt. Schon im Angels. Fugelime.


Vogelmilch (W3) [Adelung]


Die Vogelmilch, plur. car. der Nahme eines Zwiebelgewächses mit sechs Staubfäden, von welchem man verschiedene Arten hat; Ornithogalum L. Die kleine Vogelmilch, O. minimum, und die gelbe Vogelmilch, O. luteum, welche in den Europäischen Kraut- und Gartenländern einheimisch ist; die einblümige, O. uniflorum, wächst in Sibirien; die Arabische, O. arabicum, stammt aus Ägypten und von dem Vorgebirge der guten Hoffnung her u. s. f. Die gewöhnlichste gelbe wird auch Feldzwiebel, Ackerzwiebel, Erdnuß genannt.


Vogelnest (W3) [Adelung]


Das Vogelnest, des -es, plur. die -er, eigentlich ein Nest, worin ein Vogel seine Eyer legt und seine Jungen ausbrütet. Die Indianischen Vogelnester, welche von Reichen als ein Leckerbissen genossen werden, sind das Werk eines Ostindischen Vogels und bestehen aus Meerschaum und einen zähen Schleime. Figürlich und ohne Plural, ein Nahme verschiedener Gewächse. 1. Eines Gewächses, dessen Wurzel einem Vogelneste gleicht, Athamanta L. besonders die A. Libanotis und Cervaria. 2. Eine Art Milzkrautes, welches auf den höchsten Bäumen wächset, und einem Vogelneste gleicht; Asplenium nidus L. 3. Einer Art des Zweyblattes, mit ästigen Zwiebeln; Ophrys nidus avis L. 4. In einigen Gegenden wird auch die wilde Möhre, Daucus Carota L. Vogelnest genannt.


Vogelnest (W3) [Adelung]


Das Vogelnest, des -es, plur. die -er, S. Vogelgarn.


Vogelpfeife (W3) [Adelung]


Die Vogelpfeife, plur. die -n, eine kleine Pfeife, welche die Stimme der Vögel nachahmet, die Vögel damit zu locken; bey den Vogelstellern die Locke.


Vogelscheuche (W3) [Adelung]


Die Vogelscheuche, plur. die -n, eine Figur oder anderes Werkzeug, welches man in den Gärten und Feldern aufstellet, die Vögel damit zu verscheuchen.


Vogelschießen (W3) [Adelung]


Das Vogelschießen, des -s, plur. ut nom. sing. ein aus der R. A. nach dem Vogel schießen zusammen gezogenes Wort, so wohl von der Handlung des Schießens zur Übung nach einem aufgesteckten hölzernen Vogel, ohne Plural; als auch eine Feyerlichkeit dieser Art, mit dem Plural. Zwey Vogelschießen halten.


Vogelschlag (W3) [Adelung]


Der Vogelschlag, des -es, plur. die -schläge, ein Schlag, d. i. Kasten mit einem Deckel, der, wenn er aufgestellet worden, bey der geringsten Berührung niederfällt, Vögel darin zu fangen; der Meisenschlag, Meisenkasten, weil man gemeiniglich die Meisen auf diese Art zu fangen pflegt, in Niedersachsen die Vogelkippe.


Vogelschlecht (W3) [Adelung]


Vogelschlecht, adj. et adv. welches in der Geschützkunst zuweilen für kernrecht gebraucht wird. Eine Kanone vogelschlecht richten, horizontal, mit dem Horizonte parallel, vielleicht, weil die Vögel gemeiniglich in dieser Richtung zu fliegen pflegen.


Vogelschrot (W3) [Adelung]


Das Vogelschrot, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten, die -e, feines Schrot, nach Vögeln damit zu schießen, wovon die kleinste Art Vogeldunst genannt wird.


Vogelseide (W3) [Adelung]


Die Vogelseide, S. Flachskraut.


Vogelspiel (W3) [Adelung]


Das Vogelspiel, des -es, plur. die -e, eine Art eines Spieles, da man einen bleyernen, an einer dünnen Kette hangenden Vogel zu sich ziehet, und ihn mit seinem spitzigen Schnabel nach einer Scheibe fahren lässet.


Vogelspieß (W3) [Adelung]


Der Vogelspieß, des -es, plur. die e, Diminut. das Vogelspießchen, ein kleiner dünner Spieß, Vögel daran zu braten, von welchem der Lerchenspieß eine Art ist.


Vogelspötter (W3) [Adelung]


Der Vogelspötter, des -s, plur. ut nom. sing. S. Goldamsel.


Vogelstange (W3) [Adelung]


Die Vogelstange, plur. die -n, 1. Eine hohe Stange, auf welcher der hölzerne Vogel befestigt wird, nach welchem man zur Übung zu schießen pflegt. 2. Eine Stange, welche mit Leimruthen oder Spindeln besteckt wird, Vögel damit zu fangen.


Vogelstellen (W3) [Adelung]


Das Vogelstellen, des -s, plur. car. die Handlung, da man den Vögeln mit Netzen, Garnen, Schlägen, Dohnen u. s. f. nachstellet, sie zu fangen sucht. Daher der Vogelsteller, derjenige, welcher ein Geschäft daraus macht, den Vögeln nachzustellen, oder sie zu fangen; und im gemeinen Leben auch wohl ein Vogelfänger genannt wird; ehedem der Vogler.


Vogelstrich (W3) [Adelung]


Der Vogelstrich, des -es, plur. die -e, das Abziehen und die Rückkunst der Zug- oder Streichvögel im Herbste oder Frühlinge, ohne Plural; der Strich, Zug, Vogelzug, dahin der Abstrich und Wiederstrich gehören. Ingleichen die Zeit, da die Vögel gewöhnlicher Weise zu streichen, d. i. entweder fortzuziehen oder wieder zu kommen, pflegen.


Vogelwand (W3) [Adelung]


Die Vogelwand, plur. die -wände, bey den Vogelstellern, ein Nahme derjenigen Netze, womit man die Vögel auf den Vogelherden zu fangen pflegt; auch nur die Wand schlechthin.


Vogelwicke (W3) [Adelung]


Die Vogelwicke, plur. car. die Vogelwicken, sing. car. eine Art wilder Wicken mit rauhen Schoten, welche unter dem Getreide als ein Unkraut zu wachsen pflegen, und nur den Vögeln zur Speise dienen, Vicia Cracca L. die Zaunwicke, in einigen Gegenden Vogelerbsen, dagegen in andern die gewöhnliche Wicke, Vicia sativa, Vogelerbsen genannt wird.


Vogelzug (W3) [Adelung]


Der Vogelzug, S. Vogelstrich.


Vogelzunge (W3) [Adelung]


Die Vogelzunge, plur. die -n, eigentlich, die Zunge eines Vogels oder der Vögel. Figürlich, wegen einer Ähnlichkeit in der Gestalt: 1. Der Same des Aschenbaumes, welchen man auch versteinert findet, in welchem Falle er versteinerte Vogelzunge genannt wird. 2. Eine Art ovaler Feilen der Schlösser, ingleichen eine Art kleiner spitziger Feilen der Goldschmiede. 3. Ein Gewächs, Polygonum Convolvulus L. Buchwinde, wildes Heidekraut.


Vogler (W3) [Adelung]


* Der Vogler, des -s, plur. ut nom. sing. ein aus Vogeler zusammen gezogenes, aber eben so veraltetes Wort, einem Vogelsteller zu bezeichnen, ( S. Vogeler.) Es kommt noch mehrmahls in der Deutschen Bibel vor. Die Vogler fahren die Vögel mit ihren Kloben, Jer. 5, 26. Der Hand des Voglers entkommen, Sprichw. 6, 5.


Vogt (W3) [Adelung]


Der Vogt, des -es, plur. die Vögte, ein sehr altes Wort, welches von den ältesten Zeiten an in zwey Hauptbedeutungen vorkommt. 1. Ein Beschützer, so wohl überhaupt, als auch in engerer Bedeutung, derjenige, der eines Unfähigen Bestes wahrnimmt. In dieser Bedeutung wurden ehedem nicht allein die Beschützer der Stifter und Klöster, welche sie nicht allein beschützen, sondern sie auch in weltlichen Sachen vertraten, und die Gerichte in ihrem Nahmen handhabeten, die Advocati, im Deutschen Vögte, Klöstervögte, Stiftsvögte genannt, sondern der Nahme Vogt mit ehedem auch die gewöhnliche Benennung so wohl eines Vormundes unmündiger, als auch eines Curatoris weiblicher Person, und in vielen Gegenden ist es in dieser Bedeutung noch üblich. Ja auch ein Advocat, d. i. ein gerichtlicher Fürsprecher, Sachwalter, wurde ehedem häufig Vogt genannt. 2. In einer andern aber nahe verwandten Bedeutung, war der Vogt ehedem ein Vorgesetzter überhaupt, wo es besonders von folgenden Arten Vorgesetzten vorkommt. (1) Ein Statthalter, so wohl einer Provinz, als auch derjenige, welcher eines Höhern Bestes in einem gewissen Bezirke, oder auch in einem Orte verwaltet, ein Amtmann, Vizdom u. s. f. hieß ehedem sehr häufig ein Vogt, und führet diesen Nahmen in manchen Gegenden noch. Daher der Landvogt, Großvogt, Stadtvogt, der die Güter der Stadt in seiner Aufsicht hat, der Schloßvogt, der die Aufsicht über ein Schloß, Hausvogt, der sie über ein Haus, ein Pallast hat, u. s. f. (2) Ein Richter, der Präsident eines Gerichtes, der das Recht im Nahmen eines Höhern handhabet, in welchem Verstande Vogt ehedem oft einen Richter überhaupt bedeute. In diesem im Hochdeutschen gleichfalls veralteten Verstande sagt noch Opitz: Der Tag, An dem der höchste Vogt soll Recht und Urtheil sagen; d. i. der höchste Richter. In manchen Reichsständen gibt es noch Vögte, kaiserliche Vögte, Reichsvögte u. s. f. welche die Gerichtbarkeit im Nahmen des Kaisers verwalten, und zuweilen auch Schuldheiß und Meier heißen, obgleich an andern Orten der Vogt die peinlicher, der Meier aber die bürgerliche Gerichtbarkeit über. (3) In einigen Gegenden Obersachsens ist der Vogt auf den Landgütern als ein Hofmeister oder Verwalter, welcher die Aufsicht über die Feldwirthschaft und das geringere Gesinde führet. (4) In noch geringerer Bedeutung ist der Vogt in manchen Gegenden ein Unterbedienter, welcher den frohnbaren Unterthanen die Arbeit ansaget, sie zur Arbeit anhält, und die Aufsicht bey derselben über sie führet. An noch andern Orten ist es ein Gerichtsbedienter, der die Parteyen vorladet, in Verhaft nimmt u. s. f. Auch derjenige Unterbediente, welcher die Feldgüter von den Dieben und andern frevelhaften Beschädigungen bewachet, und gemeiniglich der Flurschutz heißt, wird in andern Gegenden der Vogt oder Feldvogt genannt. Die Bettelvögte sind geringe Bediente der Polizey, frevelhaften Bettlern zu steuern u. s. f.

Anm. Das Wort ist im Deutschen alt, und lautet in der Bedeutung eines Beschützers schon bey dem Notker Phogat, in den spätern Zeiten Voget, Vogit, Voigt, wie es noch von einigen, obgleich ohne alle Ursache geschrieben wird, Fauth, im Nieders. Vagd. Einigen lassen es von dem Hebr. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, ein Vorgesetzter, andere von dem Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image -, die meisten aber von dem Lat. Advocatus abstammen, welche letztere Meinung sehr viele Wahrscheinlichkeit hat, indem in Pflas=ter, Spital, und andern gleichfalls die erste Sylbe verbissen worden, von Emplastrum, Hospitale, Vogt, auch in seinen höhern Bedeutungen im Mittlern Lat. beständig durch Advocatus gegeben wird. Es müßte alsdann schon sehr frühe aus dem Lateinischen aufgenommen und mit dem Deutschen Bürgerrecht begabet seyn, weil es schon zu Notkers Zeiten in Phogat naturalisiret war; daher es immer noch zu untersuchen ist, ob dieses Wort nicht echten Altdeutschen Ursprunges ist. Bey dem Ulphilas ist Fath, im Angels. Wäta, ein Heerführer, Herzog, wohin auch das Sclavonische Wojwode gehöret, welche Gothische und Angelsächsische Form mit der an manchen Orten noch nicht ganz veralteten Form Fauth für Vogt genau überein kommt, so daß der Gaumenlaut in der Mitte von einer rauhen hauchenden Aussprache entstanden seyn könnte. Übrigens ist das Wort Vogt in seinem weitesten Umfange, als ein allgemeines Nennwort, im Hochdeutschen veraltet, und nur noch hin und wieder in besondern Fällen üblich.


Vogtbar (W3) [Adelung]


Vogtbar, adj. et adv. welches im Hochdeutschen veraltet, und nur noch in einigen, besonders Oberdeutschen Gegenden, für mündig, so wie unvogtbar für unmündig, üblich ist, eigentlich, der sich selbst beherrschen kann. So auch die Vogtbarkeit.


Vogtding (W3) [Adelung]


Das Vogtding, des -es, plur. die -e, ein altes, auch nur in einigen Gegenden übliches Wort, das Ding, d. i. Gericht eines Vogtes, besonders eines Schutz- und Schirmherrens geistlicher Stifter, zu bezeichnen, das Vogtgericht, die vogteylichen Gerichte. S. Vogtey.


Vogtey (W3) [Adelung]


Die Vogtey, plur. die -en, ein auch nur noch in einigen Gegenden und Fällen übliches Wort. 1. Das Gebieth, der Bezirk eines Vogtes, d. i. eines Statthalters, Amtmannes u. s. f. In der Deutschen Bibel kommen 1 Marc. 10, 30. 38. Kap. 11, 28, Vogteyen im Lande Juda und Samaria vor. In geringerer Bedeutung wird an manchen Orten auch die Wohnung eines Vogtes, d. i. Kerkermeisters oder Stockmeisters, und die seiner Aufsicht anvertrauten Gefängnisse, die Vogtey genannt. 2. Die Würde, das Amt, die Gewalt eines Vogtes; ohne Plural, in welchem Verstande denn auch die Gerichtbarkeit eines Vogtes höherer Art, ja sein Gericht selbst, diesen Nahmen führete. 3. Die Einkünfte eines Vogtes, d. i. Schutzherren, auch ohne Plural. In allen diesem Bedeutungen im mittlern Lat. Advocatia, im Nieders. Vajedije, in einigen Gegenden Fautbey.


Vogteylich (W3) [Adelung]


Vogteylich, adj. et adv. zur Würde und Gewalt eines Vogtes im höhern Verstande gehörig, darin gegründet. Die vogteyliche Gerichtbarkeit. Ingleichen zur Vogtey, d. i. dem Bezirke eines Vogtes, gehörig. Die vogteylichen Grenzen.


Vogteygeld (W3) [Adelung]


Das Vogteygeld, des -es, plur. doch nur von mehrern Summen, die -er, ehedem, das einem Vogte gebührende Geld, besonders das Schutz- oder Schirmgeld geistlicher Stifter an ihren Vogt oder Schutzherren, der Vogtzins, die Vogtsteuer, der Vogtschilling, Vogtschatz u. s. f. Jetzt das Schutzgeld.


Vogtgericht (W3) [Adelung]


Das Vogtgericht, des -es, plur. die -e, das Gericht eines Vogtes in verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes, doch nur noch in einigen Provinzen in einzelnen Fällen. ( S. Vogtding.) In manchen Orten ist das Vogtgericht, Vogtding, oder die Vogtey, ein Untergericht, an manchen Orten aber ein Obergericht, je nach dem der Vogt war, der es zu verwalten hatte.


Vogthafer (W3) [Adelung]


Der Vogthafer, des -s, plur. car. an einigen Orten der Hafer, welcher dem Vogte, d. i. dem Schutzherren, zur Anmerkung seiner Schirmgerechtigkeit entrichtet wird.


Vogtlehen (W3) [Adelung]


Das Vogtlehen, des -s, plur. ut nom. sing. ehedem ein Gut, womit ein Vogt, d. i. Schirmherr, für seinen Schutz von einem geistlichen Stifte belehnet ward, ingleichen die demselben dadurch zugleich übertragene Schirmgerechtigkeit. Zuweilen auch ein Lehen, welches ein Schutzherr zu verleihen hat.


Vogtpfennig (W3) [Adelung]


Der Vogtpfennig, des -es, plur. inus. S. Vogtgeld.


Vogtrecht (W3) [Adelung]


Das Vogtrecht, des -es, plur. die -e, ehedem die Gerechtsamen eines Vogtes oder Schutzherren, die Schutzgerechtigkeit. Auch wohl die ihm gebührenden Einkünfte.


Vogtschatz (W3) [Adelung]


Der Vogtschatz, Vogtschilling, die Vogtsteuer, S. Vogtgeld.


Volk (W3) [Adelung]


Das Volk, des -es, plur. die Völker, Diminut. welches doch nur in einigen Bedeutungen gebraucht wird, das Völkchen, Oberd. Völklein; ein Wort, welches überhaupt eine unbestimmte Menge oder Vielheit, besonders lebendiger Geschöpfe, bedeutet, und dabey auf gedoppelte Art gebraucht wird. 1. Als ein Collectivum und am häufigsten ohne Plural, eine Menge, oder auch nur mehrere beysammen befindliche lebendige Geschöpfe zu bezeichnen. (1) Im weitesten Verstande, so daß dieses Wort auch von vielen bey einander befindlichen Thieren gebraucht wird. Bey den Jägern ist ein Volk Repphühnern, nicht allein bey einander befindlicher Haufe, sondern auch eine Brut, die Alten mit ihren Jungen. Es scheinet nicht, daß es hier im Plural gebraucht wird; wenn solches aber wäre, so würde es zur zweyten Hauptbedeutung gehören. Außer dem wird es in diesem Verstande von Thieren nicht gebraucht, außer zuweilen in der zweyten Hauptbedeutung, doch alsdann nur figürlich. (2) Im engern Verstande, von mehrern bey einander befindlichen Menschen, doch auch hier wiederum in verschiedenen Verhältnissen und Beziehungen. a. Eine Familie, zu Einem Geschlechte gehörige Personen wurden ehedem häufig als Volk genannt. Zu seinem Volke versammelt werden, in der Deutschen Bibel, zu den Seinigen, zu seinen Angehörigen, d. i. sterben. In einigen Niedersächsischen Gegenden ist diese Bedeutung noch gangbar: unser Volk, d. i. unsere Angehörigen. Im Hochdeutschen ist es veraltet, außer daß man noch zuweilen im Scherze die bey einander befindlichen Seinigen im Diminut. ein Völkchen zu nennen pflegt. Nun will ich mein Völkchen ins Feld treiben, Weiße; d. i. meine Leute. b. Das Gesinde; nur noch im gemeinen Leben, und den niedrigen Sprecharten. Volksbrot, Gesindebrot, Volkskost, Gesindekost. c. Soldaten, die Armee; in welcher Bedeutung es doch nur noch in den niedrigen Sprecharten üblich ist. Unter das Volk gehen, unter die Soldaten. Unter dem Volke seyn, unter den Soldaten. Das Volk kommt, die Armee, die Truppen. Viele Neuere gebrauchen es, besonders im Oberdeutschen, auch in der edlern Schreibart im Plural für das Französische Truppen. Die Preußischen Völker, Truppen. Allein, dieser Gebrauch ist wider die Natur dieses Wortes, welches im Plural nur von mehreren verbundenen Ganzen gewisser Art gebraucht werden kann. Der Singular Volk wäre richtiger, wenn er nur nicht so niedrig wäre. d. Eine jede an Einem Orte beysammen befindliche Menge Menschen. Des Volks ist zu viel, Richt. 7, 2. Eine Stadt voll Volks, Es. 22, 2. Viel Volk folgte Christo nach, Matth. 8, 1. Man gebraucht es theils nur noch in den niedrigen Sprecharten. Es war viel Volk in der Kirche, in der Komödie, auf dem Markte; theils von einer Sammlung geringerer Personen. Es dränget sich viel Volk herzu. Das Volk abhalten. Theils endlich auch verächtlich. Dich wird in Zukunft ein Volk, ein Volk der Schmeichler belagern, Die Pest der großen und glücklichen Welt, Gell. e. Die untern Classen der Glieder einer Nation oder eines Volkes in der folgenden zweyten Hauptbedeutung, welche sich von der Handarbeit nähren; wo es auch hier nur im gemeinen Leben und mit einem anklebenden verächtlichen Nebenverstande gebraucht wurde. Das Volk, das gemeine Volk, der große Haufe, gemeine Leute, die untersten Classen im Staate. Außer dem Oberherren ist in einem Staate alles Volk, im weitesten Verstande. Da es denn in noch härterer Bedeutung oft von mehrern geringen Personen gebraucht wird. Es ist liederliches Volk, es sind liederliche Leute. Einige neue Schriftsteller haben dieses Wort in der Bedeutung des größten, oder untersten Theiles einer Nation oder bürgerlichen Gesellschaft wieder zu adeln gesucht, und es ist zu wünschen, daß solche allgemeinen Beyfall finde, indem es an einem Worte fehlet, den größten, aber unverdienter Weise verächtlichsten Theil des Staates mit einem edlen und unverfänglichen Worte zu bezeichnen. Romane für das Volk, Volks-Romanen, Volkslieder. 2. Ein aus mehrern Menschen bestehendes Ganzes, doch nur im engern Verstande, eine Menge Menschen, welche einen gemeinschaftlichen Stammvater erkennen, und durch eine gemeinschaftliche Sprache verbunden sind, im welchem Verstande es denn auch von mehrern Ganzen dieser Art den Plural leidet. Das jüdische Volk. Alle Völker auf Erden, 1 Mos. 18, 18. Ein Volk wird sich empören über das andere, Matth. 21, 9. Die Menschen womit Deukalion und Pyrrha das alte Gräcien bevölkerten, waren anfänglich ein sehr rohes Völkchen, Wiel. Man kann es in dieser Bedeutung zwar nicht für veraltet ausgeben, indessen ist es doch in dem gewöhnlichen Sprachgebrauche seltener geworden, seitdem das ausländischen Nation in dieser Bedeutung eingeführet worden. Beyde Wörter bezeichnen zunächst die Einwohner eines Landes, so fern sie einerley Sprache haben, und daher als von einerley Stamme entsprossen angesehen werden. Das Römische Volk. Zuweilen druckt Volk auch die politische Verbindung aus, und bezeichnet eine Menge Menschen, welche unter einerley Oberhaupte stehen, wenn sie gleich von verschiedenen Stämmen und Sprachen sind. Indessen wird das Wort Volk am häufigsten von alten Völkern, ingleichen von neuern nur ganz allgemein gebraucht. Die Römer, die "Longobarden" waren ein tapferes, die alten Griechen ein witziges Volk. Von neuern, besonders in näherer Bezeichnung, ist theils Nation, theils Völkerschaft übli- cher, vermuthlich um des dem Worte Volk in den meisten Fällen anklebenden verächtlichen Nebenbegriffen Willen. Die Französische Nation, die Franzosen, nicht das Französische Volk, allenfalls die Französischen Völkerschaft.

Anm. Schon im Isidor Folc, bey dem Ottfried, Notker u. s. f. Folck, im Nieders. gleichfalls Volk; im Angels. Folc, im Schwed., wo es auch das menschliche Geschlechte bedeutet, Folk, im Engl. Folk. Im Dänischen ist mit versetzten l Flock, ein Hanfe, Trupp, und flokke sig, sich schaaren, im Haufen versammeln. Das Lat. vulgus und das Tartarische Pulk, ein Hause, sind mit dem Deutschen nahe verwandt. Die meisten Sprachforscher haben schon erkannt, daß dieses Wort von folgen abgeleitet werden müsse, ob sie gleich den eigentlichen Sinn beyder nicht erschöpfet haben. Dem ersten Ansehen nach könnte Volk einen Haufen bedeuten, der einem andern folgt, sogleich demselben unterworfen ist, und darauf würde sich auch der verächtliche Nebenbegriff erklären lassen, der diesem Worte, so wie dem Worte Leute, in den meisten Fällen anklebt. Allein, folgen selbst ist nur eine Figur einer ältern Bedeutung der Menge, welche denn auch in dem Hauptworte Volk die herrschende ist. Siehe auch das nahe verwandte Wolke, eine dunkle, dicke Menge einzelner Dinge.


Völkerrecht (W3) [Adelung]


Das Völkerrecht, des -es, plur. inus. der Inbegriff der Rechte und Obliegenheiten der Völker und Staaten gegen einander; Jus gentium. Das allgemeine oder natürliche Völkerrecht, so fern sich diese Rechte und Obliegenheiten aus dem bloßen Naturrechte herleiten lassen. Das willkürliche oder positive, so fern sie sich auf der gebrachte Gewohnheiten oder Verträge gründen.


Völkerschaft (W3) [Adelung]


Die Völkerschaft, plur. die -en, mehrere kleine verwandte Völker; als ein Ganzes betrachtet, ein Volk, so fern es wieder aus mehrern kleinern Völkern oder Stämmen bestehet. Die Tartarische Völkerschaft. Da es denn auch von einem jeden Volke gebraucht wird, weil jedes wiederum aus kleinern Theilen bestehet. Das Wort ist vermuthlich in den neuern Zeiten eingeführet worden, dem vieldeutigen Worte Volk und dem demselben in den meisten Fällen anklebenden verächtlichen Nebenbegriffe auszuweichen. Die Ableitungssylbe schaft kann hier nichts anders, als ein Collectivum bezeichnen, welches unter andern auch aus dem Plural Völker - erhellet, mehrere Völker als ein Ganzes betrachtet, wie Judenschaft, Bürgerschaft, Bekanntschaft, Brüderschaft u. s. f. die sämmtlichen Juden, Bürger, Bekannten, Brüder. ( S. - Schaft 2 (1)). Stosch, der diese Ableitungssylbe nicht gehörig kannte, und ihr unter andern auch die Bedeutung einer Verwandtschaft, eines Ursprunges und Herkommens beylegt, die sie doch nicht hat, indem sie da, wo sie zu seyn scheinet, alle Mahl in der ersten Hälfte der Zusammensetzung liegt, könnte daher Völkerschaft auch nicht anders als irrig erklären, wenn er diesem Worte einen engern Begriff beyleget, als dem Worte Volk.


Volkreich (W3) [Adelung]


Volkreich, -er, -ste, adj. et adv. reich an Volk, d. i. an Einwohnern. Ein volkreicher Ort, eine Volkreiche Stadt, ein volkreiches Land. Die Stadt ist Volkreich.


Volkslehrer (W3) [Adelung]


Der Volkslehrer, des -s, plur. ut nom. sing. der Lehrer eines Theiles der untern Classe der Menschen in der 5ten engern Bedeutung des Wortes Volk; dergleichen besonders die Prediger sind.


Völkerwanderung (W3) [Adelung]


Die Völkerwanderung, plur. die -en, die Wanderung mehrerer Völker, d. i. diejenige Begebenheit, da mehrere Völker auf einmahl ihre Wohnsitze verändern; besonders von der großen Begebenheit dieser Art, welche einige Jahrhunderte nach Christi Geburt dem nördlichen Theile von Asien und dem ganzen Europa eine völlig veränderte Gestalt gab; Migratio gentium.


Voll (W3) [Adelung]


Voll, adj. et adv. voller, volleste, in einigen gemeinen Mundarten, völler, völleste. Es bedeutet, so viel von einem andern Dinge enthaltend, als es nur fassen kann, als der Raum nur verstattet, ausgefüllet; im Gegensatze des leer. 1. Eigentlich. Ein volles Glas, welches mit einem andern Dinge angefüllet ist. Ein voller Becher. Ein voller Beutel, der mit Gelde angefüllet ist. Mit vollem Munde sprechen, indem der Mund mit Speisen angefüllet ist. Mit vollem Munde loben, auf eine übertriebene, unmäßige Art. Jemanden ein volles Maß geben. Ein volles (mit Milch angefülltes) Euter. Volle Ähren. Das volleste Gefäß. Ingleichen in der Adverbial-Form. Das Glas ist voll. Der Beutel ist noch lange nicht voll. Den Mund sehr voll nehmen. Wenn sie die Töne nach der Tiefe wenden, so muß de Sänger den Mund immer voller nehmen. Die Summe ist noch nicht voll. Das Hundert war schon mehr als voll. Die Schatzkammer ist jetzt voller, als sie jemahls gewesen. Voll bezieht sich, es mag als ein Beywort, oder als ein Nebenwort stehen, vermöge seiner Bedeutung, allemahl auf denjenigen Körper, welcher mit etwas angefüllet ist. In den vorigen Fällen war dieses Etwas verschwiegen, weil es leicht aus dem Zusammenhange ersehen werden konnte. Allein, in vielen Fällen muß es ausdrücklich gemeldet werden, und alsdann hat das Wort voll manches Besondere. Es geschiehet solches entweder vermittelst der Partikel von. Das Glas ist voll von Bier. Das Haus war voll von Menschen. Voll von hochmüthigen Gedanken, Mosh. Doch diese Form wird jetzt selten mehr gebraucht, außer, wenn die ganze Redensart elliptisch oder in Gestalt eines Mittelwortes stehet. Voll von einer unaussprechlichen Freude - kamen wir auf unser Zimmer. Oder, wenn das voll hinter das Kennwort gesetzt wird, welches besonders in der höhern und dichterischen Schreibart üblich ist. Er hat den Kopf von meinen Blattern voll, Weiße. Von Wein und Lieben voll, Raml. O seht, ein großer Topf von lauter Golde voll, Gell. Ingleichen in solchen Fällen, wo schon die Wortführung das voll hinter das Nennwort wirft. Die Erzählung dieser Begebenheiten, von welchen ich ganz voll war, mußte ich aufschreiben. Zuweilen mit Auslassung des Vorwortes von, so daß das Nennwort in der dritten Endung stehen bleibet. Blicke voll göttlichem Tiefsinn, Klopst. Ich weiß es, deine Tugend Hebt sich voll edlem Flug weit über deine Jugend, Weiße. Doch diese Art ist die seltenste, und gehöret mit zu den dichterischen Freyheiten. Üblicher ist die zweyte Endung. Fol alles mannes, Ottfried. Voll Frevels, voll Ungeziefers, voll Lasters, voll Silbers und Goldes, voll Segens des Herrn, voll Traurens, voll Lachens u. s. f. in der Deutschen Bibel. Die Erde ist voll deiner Güte, Ps. 33, 5. Weß das Herz voll ist, Matth. 12, 34. Andromache, voll ihres Verlustes und voll einer schrecklichen Zukunft, Jacobi. Daß wir einst voll heiligen Entzückens in dunkeln Hainen einher geben, Geßn. Voll sanften Entzückens seufzte der Greis, eben ders. Voll der Begeisterung, die alle Bande der Natur zerreißt, Zimmerm. Voll neugierige Erwartung an der Thür stehen. Sieh, die Blume richtet sich auf; voll blitzender Perlen, Lacht sie schöner umher, Zachar. Und hängt voll lüsterner Begier Bloß seinen Freuden nach, Weiße. Wo, besonders in der höhern Schreibart, das voll auch hinter den Genitive teilt. Denn er, mein treuer Knecht, gerechten Wandels voll, Durch sein Erkenntniß viel rechtfertig machen soll, Opitz. Er öffnet eine Flasche Wein Und läßt, des Giftes voll zu seyn, Sich noch die zweyte reichen, Haged. Und alsdann mit dem Genitiv oft zusammen gezogen wird, Bey- und Nebenwörter zu bilden. Anmuthsvoll, segensvoll, sehnsuchtsvoll, mitleidsvoll u. s. f. In dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der Hochdeutschen stehet das Hauptwort gemeiniglich ganz unverändert ohne alles Merkmahl des Genitivs, als wenn es diese erste Endung wäre. Ein Beutel voll Geld. Eine Scheuer voll Getreide. Ein Glas voll Wasser. Der Hafen war ganz voll Schiffe. Das Meer ist voll Seeräuber, das Buch voll Irrthümer. Der Mund läuft ihm voll Wasser. Der Baum ist voll Früchte. Ein Arm voll Holz. Voll Erwartung saß ich da. Da sie so voll Schmerz sich aus meinen Armen losreißen. Daß in manchen Fällen hier ein wahrer Genitiv Statt findet, erhellet, wenn man dem Substantiv ein Beywort vorsetzt. Der Hafen war voll feindlicher Schiffe. Das Meer ist voll wilder Seeräuber, das Buch voll grober Irrthümer. Voll froher Erwartung. Aber in andern Fällen doch die erste, oder, wenn man will, die vierte Endung unläugbar: voll Geld, voll Holz. Die ganze Form ist indessen elliptisch, und verräth, daß von ausgefallen worden; ein Beutel voll von Geld, ein Arm voll von Holz. Sie findet nur alsdann Statt, wenn das Hauptwort kein Beywort bey sich hat. Hat es eines bey sich, so muß es entweder das von vor sich haben, oder im Genitiv stehen. Voll von froher Erwartung, oder voll froher Erwartung, nicht voll frohe Erwartung. Voll vom süßen Weine, oder voll süßen Weines nicht voll süßen Wein. Indessen lassen sich auch in dieser Form Zusammensetzungen machen: kummervoll, für kummersvoll, eine schauervolle Nacht. Sehr häufig pflegt man in diesem Falle, wenn das Merkmahl des Genitivs an dem Nennworte stehet, die Sylbe er an das voll zu hängen, voller. Voller Gnade und Wahrheit, Joh. 1, 4. Das Buch ist volle Irrthümer, das Meer voller Seeräuber, das Haus voller Ungeziefer. Der Mund lief ihm voller Wasser. Voller Schlaf seyn. Ein Mann voller Treue und Redlichkeit. Ein Leben voller Büberey. Voller Wunden seyn. Früchte voller Saft. Womit ich voller Blödigkeit so lange gezaubert habe, Gottsched. Der Himmel ist voller Gewitter. Und voller Neubegierde schielt Er bloß nach dem Gewinn, Weiße. Die Götter müßten ja Die Erde voller Wälder machen, Kost. Da diese Sylbe die Stelle des Genitivs vertritt, oder vielmehr den Genitiv des folgenden Nennwortes anzeiget, so darf dieses kein neues Merkmahl des Genitivs haben; voller Betrug, nicht voller Betrugs. Eben so wenig kann dieses voller gebraucht werden, wenn das Hauptwort ein Beywort vor sich hat, weil dieses den Genitiv hinlänglich bezeichnet, daher er in voll entbehrlich ist, weil in mehrern Fällen nur Ein Merkmahl des Genitivs seyn darf. Volhynien und Podolien sind noch voller Russischer Truppen. O Brutus, voller tiefen Sorgen Seh' ich dein Herz für Rom zertheilt, Less. Sind beyde gleich fehlerhaft, indem es voll Russischer Truppen und voll tiefen Sorgen heißen sollte. Die Erde ist voll deiner Güte, nicht voller deiner Güte. Hieraus erhellet zugleich, daß dieses er an dem voll ein wahres Überbleibsel des Articulus postpositivus ist, welcher ehedem in der Deutschen Sprache häufiger gebraucht wurde, als jetzt, oder gleich noch nicht ganz veraltet ist. Da dieser Artikel unsern Sprachlehrern unbekannt ist, so ist es kein Wunder, daß sie nicht wissen, was sie aus diesem voll machen sollen, und wenn ja einige auf die Spur kamen, so stießen sie sich daran, das voller so wohl vor männlichen als weiblichen Hauptwörtern gebraucht wird. Indessen ist dieser ganze Gebrauch des voller mehr der gemeinen und vertraulichen Sprechart, als der edlern, in welcher man denselben am sichersten vermeidet. Aus allem, was bisher von diesem Worte gesagt worden, siehet man, daß voll nur alsdann als ein eigentliches Beywort gebraucht wird, wenn dasjenige, womit ein Raum angefüllet ist, verschwiegen wird. Ein voller Becher. Soll dasjenige, womit der Raum angefüllet ist, ausgedruckt werden, so muß das Wort in der Adverbial-Form stehen. Ein Becher voll Wein oder voll Weins, nicht ein von Wein voller Becher. Eben so fehlerhaft ist, wenn einige Neuere in der höhern Schreibart ein von Kummer voller Herz sagen, wo sie sich allenfalls mit der Zusammensetzung hätten helfen können, ein kummervolles Herz. Da dasjenige, womit etwas angefüllet ist, seiner Menge nach unbestimmt ist, so leidet voll auch keinen bestimmten Artikel nach sich. Voll Güte des Herrn, nicht voll der Güte des Herrn. Wohl aber das Fürwort; voll der Güte des Herrn, welche ich erfahren habe. 2. In einigen figürlichen Bedeutungen, von welchem auch die meisten der vorigen Anmerkungen gelten. (1) Für betrunken, doch nur in den harten und niedrigen Sprecharten. Ein voller Mensch, ein trunkener. Sich voll trinken. Jemanden voll machen. Voll werden. Voll seyn. Blindvoll, blitzvoll, hagelvoll, in den niedrigen Sprecharten, im hohen Grade betrunken. (2) Einen hohen und doch nicht übertriebenen Grad der Ausdehnung, den zur Vollständigkeit gehörigen Grad der Ausdehnung habend, nur in einigen Fällen, wie vollkommen. Volle Hände, runde, fleischige Hände. Eine volle Brust, eine vollkommene, gewölbte. Sein Angesicht ist voll und rund, Weiße. S. auch völlig. (3) In noch weitern Verstande, alle zur Vollständigkeit gehörige Theile, sein gehöriges Maß und die gehörige Zahl habend; ganz. S. auch Völlig. Die Summe ist noch nicht voll. Einen unwichtigen Ducaten für voll ausgeben. Es hat sein volles Gewicht. Der volle Mond oder Vollmond. Der Mond ist noch nicht voll. Ich habe dir ein volles Jahr Zeit gelassen. Er haßt sie aus vollem Herzen, von ganzem Herzen. Im vollesten Wuchse standen die Bäume da, Geßn. Im vollen Laufe. Ich bin schon volle acht Tage hier. Einem volle (völlige) Genüge thun. Doch wird die Zwietracht nicht in vollen Flammen lodern, Weiße. Die volle Mast, in der Landwirthschaft, zum Unterschiede von der halben, ( S. Mast.) Ein voller Bogen, in der Baukunst, der einen halben Zirkel ausmacht, zum Unterschiede von einem gedruckten und flachen. Die volle Marter, in den Gerichten, die ganze Tortur, wo der Inquisit auf der Leiter ausgespannet wird. (4) Voll von etwas seyn, alle Empfindungen, alls Kräfte des Geistes damit beschäftigen und solches äußern. Er war ganz voll von dieser Begebenheit, sie beschäftigte seine ganze Seele. So auch ein volles Herz, das ganz von Empfindungen Einer Art beschäftigt wird. Es überwältigte mich die Bewegung eines zu vollen Herzens. Mein Herz ist voll, es kann seine Fülle nicht mehr fassen, Dusch. Anm. 1. Dieses Wort wird mit allerley Redetheilen zusammen gesetzt, und nimmt seine Stelle alsdann so wohl vorn als hinten; letzteres nur allein mit solchen Hauptwörtern, sehnsuchtsvoll, kummervoll, wehmuthsvoll u. s. f. welche den Gegenstand oder die Materie der Fülle bezeichnen, ersteres aber auch mit andern Arten und Wörtern, ( S. sie im folgenden.) Wenn es mit Zeitwörtern zusammengesetzt wird, so wirft es seinen Ton auf das Zeitwort, und wird zur so genannten untrennbaren Partikel, welche ihre Stelle vor dem Zeitworte unverändert behält, und daher auch kein Augment leidet. Vollenden, vollbringen, vollführen. Ich habe vollendet, vollbracht u. s. f. Nur hüthe man sich, nicht solche Redensarten für Zusammensetzungen zu halten, welche keine sind, sondern wo voll das gewöhnliche Nebenwort ist. Ein Glas voll gießen, etwas voll machen, voll füllen, voll seyn, voll werden u. s. f. sind keine Zusammensetzungen, theils, weil hier so wohl das Neben- als auch das Zeitwort seinen eigenen vollständigen Ton hat, theils auch, weil die Bedeutung ganz einfach und nichts weniger als elliptisch oder figürlich ist. Daher folgt das Nebenwort in der Conjugation auch der gewöhnlichen Regel: ich mache voll, bin voll gewesen. Gottsched und andere Sprachlehrer geben es hier sehr irrig für eine trennbare Partikel aus; da doch hier keine Zusammensetzung Statt findet, sondern voll ein Nebenwort von der gewöhnlichen Art ist.

Anm. 2. Dieses alte Wort lautet schon bey dem Ulphilas fulls, bey dem Ottfried und seinen Zeitgenossen ful, in Nieders. vull, im Angels. ful, im Isländ. follin, im Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - . Aus dem doppelten I erhellet, daß es ein Intensivum von voll ist, und eigentlich den Laut einer sehr wühlenden Menge ausdruckt. Das Nieders. bedeutet so wohl voll als viel. In der Sclavonischen Mundart heißt voll plue, pluy, poln, welches die Verbindung unsers voll mit dem Latein. plenus zu bezeichnet scheinet. Die älteste Schreibart dieses Wortes ist freylich foll; indessen ist das f schon sehr frühe mit dem v vertauschet worden, welches nunmehr allgemein ist; ob man gleich das f in dem Hauptworte Fülle und den Zeitworte füllen beybehalten hat, S. dieselben.


Vollährig (W3) [Adelung]


Vollährig, adj. et adv. volle Ähren habend. Vollähriges Getreide.


Vollauf (W3) [Adelung]


Vollauf, adv. mit reichen Maße, überflüssig. Alles vollauf haben, Ezech. 16, 49. Er mag mein Haupt vollauf begießen, Opitz. Daß Feld und Städte sich an dir vollauf ergetzen, eben ders. Alles vollauf haben. Vollauf zu thun haben. Da war Essen und Trinken vollauf.


Vollblütig (W3) [Adelung]


Vollblütig, -er, -ste, adj. et adv. voll von Blute, d. i. vieles Blut, mehr Geblüt habend, als zur Erhaltung der Gesundheit nöthig ist. Vollblütig seyn. Vollblütigen Leuten muß man zur Ader lassen. Daher die Vollblütigkeit.


Vollbringen (W3) [Adelung]


Vollbringen, verb. irreg. act. ( S. Bringen); ich vollbringe, vollbrachte, habe vollbracht; eine Handlung zur Vollkommenheit bringen. Wenn er vollbracht hat das Versöhnen des Heiligthums, 3 Mos. 16, 20. Also ward alle Arbeit vollbracht - am Hause des Herrn, 2 Chron. 5, 1. Wer mit den Lippen deutet, vollbringt Böses, Sprichw. 16, 30. Es ist vollbracht! Joh. 19, 28. Viel anfangen und wenig vollbringen. Das ganze Werk ward in zwey Tagen vollbracht. Ein aufgetragenes Geschäft, eine Reise vollbringen. Man gebraucht dieses Wort nur noch mit einigen Hauptwörtern, besonders solchen, welche im eigentlichen Verstande eine Handlung bedeuten. Seinen Grimm, das Recht, das Wort vollbringen u. s. f. wie in der Deutschen Bibel, sind veraltet. Auch sagt man nicht mehr, einen Krieg vollbringen, sondern zu Ende bringen, jemandes Befehl vollbringen, sondern vollziehen, eine Schlacht vollbringen, sondern liefern u. s. f. Daher die Vollbringung und der Vollbringer, welcher etwas vollbringet, welches Wort doch selten gebraucht wird. Anm. Vollebringen kommt schon bey dem Willeram vor, Notker gebraucht dafür folletuon, und Ottfried so wohl giuuirken follon, als bibringen. S. auch vollenden, Vollführen, Vollstrecken und Vollziehen.


Vollbürtig (W3) [Adelung]


Vollbürtig, adj. et adv. welches noch in den Rechten am üblichsten ist. Vollbürtige Geschwister, leibliche Geschwister, welche von Einem und eben demselben Vater, und Einer und eben derselben Mutter herkommen, und ehedem auch ebenbürtige genannt wurden. Ein vollbürtiger Bruder, auch wohl ein Vollbruder, ein leiblicher, zum Unterschiede von einem Halbbruder oder Stiefbruder. So auch eine vollbürtige Schwester, Vollschwester, und das Vollgeschwister. Daher die Vollbürtigkeit, die Eigenschaft, da jemand mit dem andern einerley leibliche Ältern hat. Anm. Das Wort ist von bürtig, und dieß von bären, gebären, eigentlich die volle Geburt habend. In einem andern Verstande war vollbürtig, in den Longobardischen Gesetzen forboran, vielleicht richtiger folboran, ehedem ehelich, im Gegensatze des unehelich. Ein anderes Wort ist das Dänische fuldbyrde und das Schwed. fullborda, welches mit unserm vollbringen, vollenden, überein kommt, und von dem alten Bord oder Bort das Ende, abstammet, und wovon fullbördig, vollkommen ist.


Vollend (W3) [Adelung]


Vollend, adv. S. Vollends.


Vollenden (W3) [Adelung]


Vollenden, verb. reg. act. ich vollende, habe vollendet; zum völligen Ende bringen. 1. Eigentlich, wo es noch nachdrücklicher ist, als vollbringen. Eine Arbeit vollenden. Also ward vollendet Himmel und Erde, 1 Mos. 2, 1. Ich wills anfahren und vollenden, 1 Sam. 3, 12. Den Lauf vollenden, 2 Tim. 4, 7. Ein Gemählde, ein Arbeit, eine Reise vollenden. Man gebraucht es am häufigsten in der edlern und feyerlichen Schreibart, dagegen in der gewöhnlichen endigen, zu Ende bringen u. s. f. üblicher sind. Mein Mädchen mit dem schwarzen Haare Vollendet heute sechzehn Jahre, Haged. Und diese Pilgrimschaft vergnüglich zu vollenden, eben derselbe. 2. Figürlich, zur Vollkommenheit bringen, doch nur in der Theologie, wie das Franz. accomplir. Mit einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiliget werden, Ebr. 10, 14. Die vollendeten Gerechten, in jenem Leben nach der Auferstehung der Todten. Vollendete Bürger des Himmels. Veraltete Figuren sind, seinen Zorn, seinen Grimm vollenden, Ezech. 5, 13. Kap. 6, 12. Es wird vollendet werden, was dir gesagt ist, Luc. 1, 45; für erfüllet. Daher die Vollendung, auch von dem Zustande der künftigen Herrlichkeit, besonders nach der Auferstehung der Todten. Anm. In dem alten Fragmente auf Carln den Großen bey dem Schilter volenden, bey den Schwäbischen Dichtern, die es schon für erfüllen gebrauchen, vol enden. Das ich nu lange han gegert, Wirt das vol endet so ist mir froide braht, Reinmar der Alte. Ingleichen für endigen schlechthin; wenn si minen Kummer welle vol enden, Heinr. von Morunge.


Vollender (W3) [Adelung]


Der Vollender, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vollenderinn, eine Person, welche etwas vollendet. Christus ist der Anfänger und Vollender des Glaubens, Ebr. 12, 2.


Vollends (W3) [Adelung]


Vollends, in der Deutschen Bibel Vollend, ein Nebenwort für völlig. Auf daß sie vollend die Strafe überkämen, die noch dahinten war, Weish. 19, 4. Du solltest vollend anrichten, da ichs gelassen habe, Tit. 1, 5. Bis das vollend dazu kämen ihre Mitknechte, Offenb. 6, 11. Es ist in der edlern Schreibart. veraltet, wo man dafür völlig gebraucht, und nur noch im gemeinen Leben üblich. Darnach könnten vollends die Leute denken, daß u. s. f. Thue es vollends hinein, das übrige auch noch. Ich muß dieß Buch erst vollends auslesen, erst völlig. Das ist nicht fein, daß du mit vollends die Leute aufgehetzt, gar, über dieß noch. Wenn er vollends sterben sollte, über dieß noch, gar.

Anm. Das Wort scheinet alt zu seyn, ob es gleich bisher noch bey keinem unserer ältesten Schriftsteller bemerket worden. Die letzte Hälfte ist allen Ansehen noch nicht das Hauptwort Ende, sondern die Ableitungssylbe -end, welche sich auch an den Mittelwörtern findet, ob sie gleich an andern Wörtern seltener vorkommt. Kurz, vollend stehet für völlig. Das s am Ende ist das Merkmahl eines Nebenwortes. Ehedem war dafür nur voll üblich. Welicher under einer schweren Bürdei gat, dem sol man uffhelffen, un soll in nie voll niederstoßen, Leo Jud. Welches im gemeinen Leben noch hin und wieder vorkommt.


Völlerey (W3) [Adelung]


Die Völlerey, plur. car. von voll, so fern es betrunken bedeutet, die Fertigkeit zum überflüssigen Gebrauche starken Getränkes. In Völlerey leben. Sich der Völlerey ergeben. In der Deutschen Bibel Füllerey, bey dem Opitz Vollheit.


Vollführen (W3) [Adelung]


Vollführen, verb. reg. act. ich vollführe, habe vollführet, zum völligen Ende führen, d. i. vollbringen, vollenden, ingleichen zu Stande bringen. Daß der in euch angefangen hat das gute Werk, der wirds auch vollführen, Phil. 1, 6. In weiterer Bedeutung, thun, verrichten überhaupt. Dieß alles kann mein Werk vollführen, Gell. Voll von sich und von der That, die er vollführet, eben derselbe. Alles, was du vollführest, ist (wird) von den Göttern gesegnet. Geßn. Es kommt in der edlern und feyerlichen Schreibart öfter vor, als im gemeinen Leben. In der Bedeutung des Erfüllens ist es eben so sehr veraltet, als vollbringen. Der das Wort seines Knechts bestätigt und den Rath seiner Bothen vollführet, Es. 44, 26. So auch die Vollführung.


Vollgültig (W3) [Adelung]


Vollgültig, -er, -ste, adj. et adv. seine völlige Gültigkeit, seinen vollen Werth habend, den es haben soll. Eine vollgültige Münze. Das ist keine vollgültige (hinlängliche) Entschuldigung. Das vollgültige Verdienst Christi. Figürlich heißt in der Artillerie ein Stück vollgültig, wenn es an dem Boden über dem Zündloche die gehörige caliber-mäßige Stärke hat, im Gegensatze des Kleingutes. So auch die Vollgültigkeit.


Vollheit (W3) [Adelung]


Die Vollheit, plur. car. von voll, trunken, betrunken, der Zustand, da man trunken ist, die Trunkenheit. Etwas in der Vollheit thun. Es kommt im Hochdeutschen selten vor, noch seltener aber in der Bedeutung der Fertigkeit zur Trunkenheit, für Völlerey, in welchem Verstande Opitz es gebraucht.


Vollherzig (W3) [Adelung]


Vollherzig, -er, -ste, adj. et adv. ein volles Herz habend, d. i. viel auf seinem Herzen habend. Das Wort ist zwar nur vornehmlich im Niederdeutschen üblich, wo es vullhartig lautet; allein es verdienet auch im Hochdeutschen aufgenommen zu werden, zumahl, da wir schon schwerherzig u. s. f. haben.


Vollhufig (W3) [Adelung]


Vollhufig, -er, -ste, adj. et adv. einen vollen Huf habend. 1. Ein Pferd heißt vollhufig, wenn die ganze innere Höhle des Hufes zugewachsen ist. 2. In der Naturgeschichte werden auch wohl die Thiere mit ungespaltenem Hufe vollhufig genannt. So auch die Vollhufigkeit.


Volljährig (W3) [Adelung]


Volljährig, adj. et adv. seine völlige Anzahl von Jahren habend. Man gebraucht es nur in engerer Bedeutung, besonders in den Rechten, so wie großjährig, für mündig, die zur eigenen Verwaltung seiner Angelegenheiten in den Gesetzen bestimmte Anzahl von Jahren erreicht habend, im Gegensatze des Minderjährig. So auch die Volljährigkeit.


Völlig (W3) [Adelung]


Völlig, adj. et adv. völliger, völligste, welche Comparation doch nur in der dritten Bedeutung am üblichsten ist. Es ist von voll und der Ableitungssylbe ig, und bedeutet vermöge dieser Zusammensetzung voll seyend, seine Fülle habend. 1. Von Wörtern, welche eine Zahl, Maß und Gewicht bedeuten, alle dazu gehörige einzelne Theile habend, wofür auch so wohl voll als vollkommen gebraucht wird. Ein völliges Gewicht, 1 Mos. 43, 21. Ein völliger Scheffel, 5 Mos. 25, 15. Indessen wird es in dieser mehr eigentlichen Bedeutung wenig mehr gebraucht; am wenigsten aber in der Adverbial-Form. Doch sagt man noch ein völliges Jahr, es ist noch nicht völlig Ein Jahr. 2. In weiterer und gewöhnlicherer Bedeutung, alle nöthige Grade der Stärke und des Umfanges habend, wie vollkommen, doch nur von Sachen, und auch hier nur mit einigen Hauptwörtern. Ich habe meine völlige Arbeit, d. i. ich habe so viel Arbeit, als ich nur bestreiten kann. Eine völlige (vollkommene, gänzliche) Gleicharbeit. Jemanden völlige Genüge thun, vollkommene. Jemanden völlige Freyheit lassen. Seinen völlige Staat anlegen, allen seinen Staat. So auch in der Adverbial-Form, für gänzlich, vollkommen. Ich bin noch nicht völlig fertig. Er ist ihm völlig gleich. Es ist nicht völlig so groß. Du bist völlig von meiner Länge. Er schlug es völlig ab. Darin bin ich nicht völlig ihrer Meinung. In der Deutschen Bibel wird es noch in vielen jetzt veralteten Fällen für vollkommen überhaupt gebraucht. Der Herr lasse die Liebe völlig werden unter einander, 1 Thess. 3, 12. Wie ihr sollt wandeln, - daß ihr immer völliger werdet, Kap. 4, 1, 10. Ich habe deine Werke nicht völlig erfunden, Offenb. 3, 2. Alles, was völlig und herrlich war, Kap. 18, 14. 3. Im engsten Verstande wird völlig im Hoch- und Niederdeutschen für corpulent gebraucht. Ein wenig völlig seyn, ein wenig corpulent. Ein völliger Mann. Ein völliges Gesicht haben, völlig im Gesicht seyn. Vollkommen wird häufig in eben demselben Verstande gebraucht. Luther gebraucht dieses Wort auf ähnliche Art für massiv. Das war alles völlig Gold, 2 Chron, 4, 21; von gediegenem Golde.

Anm. Schon bey dem Ottfried, der es sehr häufig für vollkommen überhaupt gebraucht, fullicho, im Nieders. vullig, im Angels. fullice. Unser heutiger Hochdeutscher Gebrauch ist nur ein Überbleibsel des ältern. da es so wohl für voll, als auch für vollkommen gebraucht wurde; daher werden sich auch die Fälle, wo es jetzt noch gangbar ist, wohl nicht leicht durch Regeln bestimmen lassen.


Völligkeit (W3) [Adelung]


Die Völligkeit, plur. car. die Eigenschaft, oder der Zustand, da ein Ding völlig ist, ein seltenes Wort, welches nur zuweilen in der dritten Bedeutung gebraucht wird.


Vollkantig (W3) [Adelung]


Vollkantig, adj. et adv. im Forstwesen und der Zimmermannskunst. Vollkantiges Holz, welches auf allen Seiten beschlagen, d. i. viereckt zugehauen ist, seine völlige Kanten habend; im Ge- gensatze des baumkantigen, woran noch die Ründe des Baumes wahrzunehmen ist.


Vollkommen (W3) [Adelung]


Vollkommen, adj. et adv. vollkommener, vollkommner, vollkommenste, ein altes, jetzt nur noch im figürlichen Verstande übliches Wort. Es bedeutete ehedem, 1. * Eigentlich, an den verlangten Ort gekommen, da es denn eigentlich das Mittelwort des veralteten Zeitwortes vollkommen ist, welches nach dem Muster des Latein. pervenire gebildet worden, so wie auch das Lat. per in mehrern Zusammensetzungen durch voll gegeben worden. Von diesem alten Zeitworte kommen noch häufige Spuren vor. Zuerst findet es sich in dem alten Lege Ludouici et Lotharii vom Jahre 840, wo vollocamen, dahin gelangen, bedeutete. So si folle choment dara si folle chomen sulu, wenn sie dahin gelangen, wohin sie gelangen sollen, heißt es bey dem Notker. In weiterer Bedeutung wurde hernach das Zeitwort vollkommen für vollenden, zu Ende, zu Stande bringen, gebraucht, welche Bedeutung das Dänische fuldkomme, und das Schwedische follkommna noch haben. Auf diese mehr eigentlichen Bedeutung gründen sich, 2. Die noch üblichen figürlichen. Es bedeutet nähmlich, (1) Ganz, unverkürzt, unverletzt; welche Bedeutung nur noch hin und wieder im gemeinen Leben vorkommt. (2) Dinge, welche aus mehrern einzelnen Theilen bestehen, heißen vollkommen, wenn keiner dieser einzelnen Theile daran mangelt. Eine Zahl ist vollkommen, wenn nichts daran mangelt. Ein Kind ist schon ein vollkommener Mensch, weil es alle Theile hat, welche zu einem Menschen erfordert werden. Auch diese Bedeutung kommt am häufigsten im gemeinen Leben vor; indem dafür in der bestimmtern Schreibart vollständig, und wenn von Zahlen die Rede ist, vollzählig gebraucht wird. ( S. diese Wörter.) (3) In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung ist vollkommen, nicht allein all zu seiner Absicht, zu seiner Bestimmung nöthigen einzelnen Theile, sondern auch jeden wiederum in dem gehörigen Grade der Güte, oder innern Stärke habend, und darin gegründet. So muß wenigstens das Wort, dem gewöhnlichsten Sprachgebrauche zu Folge, erkläret werden, und wenn in den philosophischen Lehrbüchern dasjenige vollkommen ist, wo das Mannigfaltige auf die gehörige Art zusammen stimmt, so ist solches eben dasselbe, nur mit andern Worten gesagt. Gemeiniglich gebraucht man das Wort relativ, so wohl in Beziehung auf gewisse Theile, noch mehr aber in Beziehung auf die Bestimmung oder Absicht eines Dinges; weil im schärfsten und höchsten Verstande nur allein Gott vollkommen genannt werden kann, und in diesem relativen Verstande findet allerdings eine Comparation Statt. Jemand ist ein vollkommner Redner, vollkommner Dichter, vollkommner Kaufmann, wenn er nicht allein alle dazu nöthigen Eigenschaften, sondern auch jede in dem erforderlichen hohen Grade besitzet, wofür in der vertraulichen Sprechart auch das Wort ganz üblich ist; ein ganzer Redner. In einer Kunst vollkommen seyn. Eine vollkommne Tugend. Ein vollkommner Mann, ein ganzer Mann, der alle zu einer gewissen Absicht nöthigen Eigenschaften in dem gehörigen Grade besitzet. Ein vollkommnes Glück. Das macht mein Glück, mein Unglück vollkommen. Sich immer vollkommner zu machen suchen. Eine vollkommne Schönheit. In der Welt ist nichts vollkommen, im höchsten, absoluten Verstande. Eine vollkommne Cubik-Zahl, Quadrat-Zahl u. s. f. in der Rechenkunst, deren Wurzel sich genau angeben läßt. Vollkommne Blumen, in der Botanik, welche männlich und weiblich zugleich sind, und noch häufiger Zwitterblumen genannt werden. Eben so bedeutet das Nebenwort vollkommen so wohl im höchsten relativ möglichen Grade, als auch in weiterm Ver- stande, zu seinem Zwecke hinlänglich. Ich verstehe dich vollkommen. Du hast es vollkommen getroffen. Sie haben vollkommen Recht, völlig, in allen Stücken. Da es denn oft auch andern Bey- und Nebenwörtern vorgesetzt wird, so wohl den höchsten möglichen als auch nur den hinlänglichen Grad derselben zu bezeichnen. Vollkommen gut, vollkommen weise, vollkommen gerecht. Ein vollkommen rechtschaffener Mann. (4) Im engsten Verstande wird vollkommen häufig von Kleidungsstücken und andern ähnlichen Dingen gebraucht, wenn sie die gehörige Weite und Größe haben. Ein Kleid ein wenig vollkommner machen. So wie es zuweilen auch für völlig, das ist, corpulent, gebraucht wird. Im Gesichte vollkommen seyn, völlig. In der Kleidung sieht er vollkommner aus, corpulenter.

Anm. Das Wort lautet in der heutigen Bedeutung für perfectus schon bey dem Notker und Stryker fullechomen, volchomen, im Nieders. vullenkamen. Wachter, dem das alte Zeitwort vollkommen, pervenire und hernach perficere, unbekannt war, gerieth in Ansehung dieses Beywortes auf seltsame Abwege, so daß er es endlich als eine Zusammensetzung von voll und dem Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - ansahe. Ehe vollkommen in dieser figürlichen Bedeutung eingeführet wurde, gebrauchte Kero dafür duruthaan durchgethan, der Übersetzer Tatians thuruchtig, eben daher, und Lipsii Glossator thurofremig, lauter buchstäbliche Übersetzungen des Lat. perfectus. Notkers durnocht und Hornegks durnaht, vollkommen, sind ohne Zweifel aus duruthan, welches bey dem Kero auch duruhtonchta, lautet, zusammen gezogen.


Vollkommenheit (W3) [Adelung]


Die Vollkommenheit, plur. die -en, von dem vorigen Worte. 1. Als ein Abstractum, und ohne Plural, die Eigenschaft, der Zustand, da ein Ding vollkommen ist, so wohl im absoluten und höchsten Verstande, von Gott, der Zustand, da er alle beysammen mögliche Eigenschaften im höchsten Grade besitzet, als auch im relativen, derjenige Zustand, da ein Ding die zu seiner Absicht oder Bestimmung nöthigen Eigenschaften in dem gehörigen Grade besitzet, oder in der wissenschaftlichen Sprache, die gehörige Übereinstimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge. Etwas zur Vollkommenheit bringen. Nach der Vollkommenheit streben. 2. Als ein Concretum mit dem Plural, von einzelnen zur Bestimmung eines Dinges gehörigen Eigenschaften, so fern sie in dem gehörigen Grade vorhanden sind. Die Vollkommenheiten Gottes, im höchsten Verstande, dessen Eigenschaften. An endlichen Dingen nennet man alle zu ihrer Absicht nöthigen Eigenschaften, so fern sie in dem gehörigen Grade vorhanden sind, gleichfalls Vollkommenheiten. Schönheit, Tugend, Bescheidenheit u. s. f. sind Vollkommenheiten des andern Geschlechtes. Viele Vollkommenheiten haben, besitzen.


Vollkommenlich (W3) [Adelung]


* Vollkommenlich, Vollkommlich, Vollkömmlich, ein im Hochdeutschen fremdes Nebenwort, welches nur noch hin und wieder im gemeinen Leben gehört wird, für das Nebenwort vollkommen. Das hat vollkommlich in dieser Lehre Statt, vollkommen. Meinest du, du wollest alles so vollkommlich treffen, als der Allmächtige? Hiob 11, 7. Ja vollkömmlich werden sie über dich kommen, Es. 47, 9. So auch 4 Esr. 8, 5, Kap. 12, 8.


Vollmacht (W3) [Adelung]


Die Vollmacht, plur. die -en, 1. Die einem andern ertheilte völlige Macht oder Gewalt, etwas in dessen Nahmen zu thun; ohne Plural. Jemanden Vollmacht zu etwas ertheilen, geben; ihn bevollmächtigen. Vollmacht zu etwas haben. 2. Eine Urkunde, worin jemanden eine solche Vollmacht übertragen wird, da es denn im Plural nicht Vollmächte, sondern, nach Oberdeutscher Art, Vollmachten hat; ehedem der Machtbrief. Eine Vollmacht ausfertigen. Seine Vollmacht aufweisen. Im Schwed. gleichfalls Fullmagt, im spätern Lat. Plenipotentia.


Vollmeier (W3) [Adelung]


Der Vollmeier, des -s, plur. ut nom. sing. in denjenigen Niedersächsischen Gegenden, wo man frohnbare Bauergüter unter dem Nahmen der Meiergüter hat, ein Meier, welcher ein ganzes oder völliges Gut dieser Art besitzet; zum Unterschiede von dem Halbmeier. S. Meier.


Vollmond (W3) [Adelung]


Der Vollmond, des -es, plur. car. aus der R. A. der volle Mond, derjenige Zustand des Mondes, da er uns voll zu seyn scheinet, d. i. wenn dessen ganze, gegen uns gekehrte Seite erleuchtet ist; zum Unterschiede von dem Neumonde, dem ersten und dem letzten Viertel. Etwas im Vollmonde säen. Morgen bekommen wir Vollmond.


Vollspänner (W3) [Adelung]


Der Vollspänner, des -s, plur. ut nom. sing. in einigen Gegenden ein Anspänner, d. i. frohnpflichtiger Bauer, welcher ein ganzes Bauergut besitzet, zum Unterschiede von einem Halbspänner. S. Anspänner.


Vollständigkeit (W3) [Adelung]


Die Vollständigkeit, plur. inus. die Eigenschaft, der Zustand, da ein Ding vollständig ist.


Vollstimmig (W3) [Adelung]


Vollstimmig, adj. et adv. in der Musik, mit vollen, d. i. allen gehörigen, Stimmen. Eine vollstimmige Musik. Wenn die Harfe mit ihrem vollstimmigen Klange die Töne einer angenehmen Stimme belebt. Daher die Vollstimmigkeit.


Vollstrecken (W3) [Adelung]


Vollstrecken, verb. reg. act. ich vollstrecke, vollstreckte, habe vollstreckt, zur Wirklichkeit bringen, besonders von Handlungen und Geschäften; ein mit vollziehen gleich bedeutendes Wort, ob es gleich nicht ganz so üblich ist, als dieses. Jemands Befehl, jemandes Willen vollstrecken, vollziehen, vollbringen. Ein gerichtliches Urtheil vollstrecken. Eine Heirath, ein Verlöbniß, eine Reise u. s. f. vollstrecken, wofür man im Hochdeutschen immer lieber vollbringen, noch häufiger aber vollziehen sagt. So auch die Vollstreckung.

Anm. Ob gleich dieses Wort in unsern ältesten Denkmählern noch nicht angetroffen worden, so scheinet es doch so alt zu seyn, als irgend ein anderes mit voll zusammen gesetztes Wort. Es gründet auf eben dieselbe Figur, welche in vollziehen herrscht, indem strecken ehedem sehr häufig für ziehen gebraucht wurde.


Vollwerk (W3) [Adelung]


Das Vollwerk, des -es, plur. die -e, ein nur in den Niederdeutschen Torfgegenden übliches Wort, wo es einen Haufen ausgetrockneten Torfes bezeichnet, welcher sein völliges bestimmtes Maß hat, oder ein volles Tagwerk ausmacht, zum Unterschiede von einem Halbwerke.


Vollwichtig (W3) [Adelung]


Vollwichtig, adj. et adv. sein völliges Gewicht habend. Der Ducaten nicht vollwichtig. Vollwichtige Louis d'Or. So auch die Vollwichtigkeit.


Vollwort (W3) [Adelung]


* Das Vollwort, des -es, plur. die -e, ein im Hochdeutschen veraltetes, nur noch in einigen Gegenden übliches Wort, so wohl eine Vollmacht, als auch, und zwar noch häufiger, eine Einwilligung zu bezeichnen. Daher bevollworten, so wohl bevollmächtigen, als auch bewilligen, und vollworten, einwilligen.


Vollzählig (W3) [Adelung]


Vollzählig, adj. et adv. seine volle oder völlige Zahl habend. Eine Compagnie vollzählig machen, sie recrutieren. Die Armee ist wieder vollzählig. Die Summe ist nicht vollzählig. So auch die Vollzähligkeit.


Vollziehen (W3) [Adelung]


Vollziehen, verb. irreg. act. ( S. Ziehen.) ich vollziehe, vollzog, habe vollzogen; zur Wirklichkeit bringen, von Handlungen und Geschäften, wie die minder üblichen vollbringen, vollführen und vollstrecken. Wir aber vollzogen die Schiffahrt von Tyro, Apost. 21, 7. Da wollten sie die Heirath vollziehen, 1 Marc. 10, 56. Ein gerichtliches Urtheil an jemanden vollziehen. Jemandes Wille, Befehl vollziehen. Die Sache ist noch nicht vollzogen. Einen Frieden vollziehen, nicht ihn ratificiren, wofür es von einigen gebraucht wird, sondern die in demselben verglichenen Puncte zur Ausübung, zur Wirklichkeit bringen. So auch ein Testament vollziehen. Im gemeinen Leben gebraucht man dafür häufig das Latein. exequiren. Daher die Vollziehung. Die Vollziehung eines gerichtlichen Urtheils, die Execution. Die Vollziehung eines Testamentes u. s. f. Siehe auch Vollzug.

Anm. Schon bey dem Notker filleziehen, der es aber auch figürlich für vollenden, und follezogen, für perfectum, vollkommen, gebraucht; woraus erhellet, daß in diesem Worte eben dieselbe Figur Statt findet, welche in vollbringen, dem veralteten Zeitworte vollkommen und vollenden, herrschet. Im Niedersächsischen lautet dieses Zeitwort vullteen.


Vollzieher (W3) [Adelung]


Der Vollzieher, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vollzieherinn, eine Person, welche etwas vollziehet. Der Vollzieher eines Testamentes, wofür doch das Latein. Executor gebräuchlicher ist.


Vollzug (W3) [Adelung]


Der Vollzug, des -es, plur. car. die Handlung, da man etwas vollziehet, die Vollziehung, und der Zustand, da etwas vollzogen ist. Der Vollzug einer Heirath, eines Geschäftes.


Volontär (W3) [Adelung]


Der Volontär, des -s, plur. die -s, sprich Wolongtär, aus dem Franz. Volontair, ein Freywilliger, ein besonders im Kriege von solchen Personen übliches Wort, welche freywillig, und eigentlich auch ohne Gold, Kriegesdienste thun. Zuweilen aber auch von besonderen Soldaten und Officiers, wenn sie freywillig zu einer oder der andern Unternehmung gebraucht werden.


Vomieren (W3) [Adelung]


Vomieren, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, aus dem Lat. vomere, sich erbrechen, sich übergeben. Jemanden zu vomieren geben.


Vomitiv (W3) [Adelung]


Das Vomitiv, des -es, plur. die -e, eben daher, eine Arzeney, welche ein Erbrechen wirket; Remedium vomitorium, Medicamen vomificum.


Von (W3) [Adelung]


Von, ein Vorwort, welches in allen Fällen die dritte Endung, oder nach andern die sechste, erfordert, für deren eigenthümliches Merkmahl es in dem letztern Falle angegeben wird. Es bezeichnet allemahl den Ort oder die Sache, welchen eine Handlung oder Bewegung verlässet, eine Entfernung in Ansehung eines Ortes oder Dinges. 1. Eigentlich. (1) Einen höhern Ort zu bezeichnen, welchen eine Bewegung verlässet, die Richtung nach der Tiefe in Rücksicht auf den verlassenen höhern Ort. Von dem Dache steigen. Von dem Berge kommen. Vom Himmel kommen. Von dem Wagen fallen. Den Hut vom Kopfe oder von dem Kopfe nehmen. Von der Wand nehmen. Wo oft noch das herab und hinab hinzu gesetzet werden. Von oben herab sehen. Von der Höhe hinab rufen. Ingleichen in folgenden Fällen, wo es gleich, falls die Richtung von einem höhern Orte nach einem niedrigen bezeichnet. Von dem Pferde mit jemanden sprechen. Von dem Thurme rufen. Wo von allemahl in solchen Fällen gebraucht wird, wo die entgegen gesetzte Bewegung aus der Höhe in die Tiefe mit auf ausgedruckt wird. Auf das Dach fliegen. Den Hut auf den Kopf setzen. Auf das Pferd steigen. (2) In weiterm Verstande, einen jeden Ort oder Gegenstand zu bezeichnen, welchen eine Bedeutung, oder als Bewegung gedachte Handlung, in ihrer Richtung verlässet, seine entfernende oder absondernde Richtung in Rücksicht auf den verlassenen Gegenstand, er sey nun ein Ort oder ein Ding. Gott scheidete das Licht von der Finsternis, 1 Mos. 1, 4. 13. Von einem gehen, sich von ihm entfernen, trennen. Gehe weg von mir. Die Augen von einer Sache wegwenden. Die Hand davon abziehen. Von Berlin, von Leipzig, von Hamburg kommen. Dagegen die Länder und Inseln aus herkommen. Der Brief war von (aus) Rom geschrieben, datiert. Dampf ging aus von seiner Nasen, Ps. 18, 9. Etwas von sich legen. Von seinem Amte gesetzt werden. Soll ich von dir entfernt leben? Gehe nicht von dannen. Ich komme von Hause, von dem Rathhause, vom Felde, vom Hafe, von Tische. Wir kamen eben vom Tanze, vom Spielen. Ich gehe nicht von der Stelle. Ein Stück von dem Tuche reißen. Einen Knopf von dem Rocke schneiden. Das Getreide von dem Felde thun. Etwas von einem annehmen, empfangen. Von einander brechen, schneiden, trennen, fliehen u. s. f. Wohin auch sehr viele adverbische und sprichwörtliche R. A. gehören, wo diese eigentliche Bedeutung des Wortes zum Grunde liegt. Gut von Statten gehen, ( S. Statt.) Es gehet ihm gut von der Hand, von der Faust, d. i. er arbeitet schnell und gut. Etwas von sich geben, so wohl eigentlich, als auch figürlich. Keinen Lauf von sich geben. Von Leder ziehen. Sich etwas vom Halse schaffen. Es ist mir ein Stein vom Herzen. Von Grunde aus. Und hundert andere mehr. 2. In noch weitern und theils figürlichem Verstande bezeichnet es, (1) das Ziel, bey welchem sich eine Veränderung oder auch ein Ausspruch anfängt; den terminum aquo, so wohl von dem Orte, als der Zeit. Er wohnt weit von hier. Der Ort liegt zehn Meilen von Berlin. Drey Ellen von da an. Der vierte Mann von mir, der Ordnung nach. Wo es auch mit allerley Partikeln verbunden wird. Von Alters her, eine adverbische Redensart, und zwar die einzige, wo von mit der zweyten Endung verbunden wird, und welche doch gewöhnlicher ist, als Luthers von altem her; Es. 25, 1. Von Stunde an, d. i. von dieser Stunde an. Von Kindheit, von Mutterliebe an. Von Jugend auf. Von diesem Augenblicke an. Von der Zeit an. Wo es Statt des Nennwortes auch ein Nebenwort nach sich leidet. Von da an. Von hier an. Von nun an. Von jetzt an. Von gestern an. Von heute an. Von gestern her. Ich, ein Geschöpf von gestern her, der ich vor kurzem nicht war, Gell. Der Weg von hier nach Dresden. Jemanden von hinten, von vorn angreifen. Aber Luthers von jenseit dem Wasser, Zeph. 3, 10; und von jenseit des Jordans, Marc. 3, 8. ist im Hochdeutschen fremd. Wenn der terminus ad quem ausgedruckt wird, so bekommt derselbe zu, und noch häufiger bis. Und von Worten kams zu Schlägen, Gell. Von einen zum andern gehen. Er ist von uns zum Feinde übergangen. Vom Leben zum Tode bringen. Von Morgen bis an den Abend. Von dem Kopfe bis auf die Füße. Von hier bis dahin. Von der belebenden Sonne bis zur kleinsten Pflanze sind alles Wunder, Geßn. Wenn beyde Termini einerley Nahmen haben, so wird das Hauptwort sehr häufig wiederholt, und bekommt das letzte Mahl allein zu. Von Haus zu Haus gehen, d. i. von einem Hause zu dem andern. So auch: von Zeit zu Zeit, von Tag zu Tage, von Stunde zu Stunde, von Woche zu Woche, von Monath zu Monath, von Jahr zu Jahr, von Stück zu Stück, von Wort z Wort, von Zeile zu Zeile, von Mann zu Mann, von Thür zu Thür. Eben so glücklich, wie ich, schleicht sie von Laube zu Laube. Ich will von Insel zu Insel schweifen, meine Ruhe wieder zu suchen. Die Botschaft, die von Mund zu Munde fliegt, Schleg. (2) Den Gegenstand einer moralischen Absonderung, Trennung, Entfernung, mit Allerley Zeitwörtern. Jemanden von der Furcht, von der Sorge, von einer Last befreyen. Frey von Sünden, von Schulden, von dem Verdachte. Erlöse uns von dem Übel. Errette mich von meinen Feinden. Von allem Vermögen entblößt. Allein, berauben und beraubt leidet dieses von nicht, sondern erfordert die zweyte Endung: seines Vermögens beraubt seyn, nicht von seinem Vermögen. Sich vom Ersticken enthalten; Apost. 15, 20; oder des Ersticken. Von Sinnen kommen, den Gebraucht seiner Sinne, d. i. Empfindung und Vernunft verlieren. Von jemanden lassen, ihn verlassen. Art läßt von Art nicht. Von jemanden abtrünnig werden. Besonders mit solchen Wörtern, welche mit ab zusammen gesetzt sind. Von jemanden abfallen. Jemanden von einem andern abwendig machen. Von seinem Vorhaben abstehen. Das weicht davon ab. Von etwas abschrecken. Ich stehe davon ab. (3) Einen Ursprung, ein Herkommen, und zwar wiederum auf verschiedene Art. a. Ein örtliches Herkommen, bloß den Ort zu bezeichnen, von welchem ein Ding her ist. Der Regen vom Himmel. Thau von oben. Der Wind von Morgen. Vom Lande seyn. Ich habe es von ihm. Das Licht fällt von der linken Seite herein. Es ist von guter Hand. Er hat sie ja von mir, wie kann er sie verschenken? Gell. Die von Juda, von Babel. Ein Kaufmann von Amsterdam. Der König von Sodom, von Juda, in der Deutschen Bibel. Hierauf gründet sich auch das von, wenn es im Deutschen ein Unterscheidungsmerkmahl adeliger Nahmen ist. Herr von Falkenberg, von Scharfenstein. Die von Adlerfeld. Wo es ursprünglich doch nur zunächst den Ort der Herkunft bezeichnete, ob es gleich auch gar bald den Begriff des Besitzes mit in sich schloß, weil die Adeligen die Schlösser und Güter, von welchen sie sich schrieben, gemeiniglich auch besaßen. Bey den neuern Adeligen fällt dieser Begriff des Besitzes ganz weg, und da ist das von, wenn es vor einem Geschlechtsnahmen stehet, bloß ein Merkmahl der adeligen Würde, und solche Adelige gleichen denn den Bischöfen in partibus infidelium der Röm. Kirche, welche den Nahmen von Bisthümern führen, welche sie nie besessen haben, noch besitzen können. In den Niederlanden hingegen und einigen Niederdeutschen Gegenden, wo das von auch an bürgerlichen Geschlechtsnahmen sehr gewöhnlich ist, zeigt es bloß den Ort der Geburt oder des Herkommens desjenigen an, der diesen Nahmen zuerst angenommen. Auf ähnliche Art pflegen gekrönte Häupter, Fürsten, Grafen, Bischöfe u. s. f. den Nahmen derjenigen Reiche, Länder u. s. f. welche sie besitzen, den Nahmen von vorzusetzen. Kaiser von Rußland, König von Frankreich, von Großbritannien, von Preußen, Churfürst von Sachsen, von Braunschweig, Herzog von Würtemberg, Graf von der Mark, Erzbischof von Mainz, Bischof von Fulda u. s. f. Weil das von in solchen Fällen gemeiniglich den Begriff des Besitzes mit bey sich führet, so hat es in dem Staatsrechte oft zu Streitigkeiten Anlaß gegeben. Pohlen machte ehedem den Churfürsten von Brandenburg den Titel König von Preußen streitig, und wollte sie nur Könige in Preußen nennen, weil sie nicht ganz Preußen besäßen. Noch jetzt weigert sich die Republik Lucca, die Großherzoge von Toscana von Toscana zu nennen, und nennt sie nur in Toscana, damit es nicht scheine, daß sie durch jene Partikel ein Recht der Großherzoge auf ihre Republik einräume. Daß man aber nicht zu allen Zeiten oder an allen Orten so gedacht habe, erhellet aus dem Streite, welchem der Bischof von Speyer 1585 mit der Reichsstadt Speyer über diese Partikel hatte. Der Bischof schrieb sich Bischof zu Speyer; dagegen die Stadt ihn nur von Speyer nennen wollte, die sich aber in dem Vergleiche von 1589 zu der ersten Partikel verstehen mußte. b. Das Ganze zu bezeichnen, dessen Theil das andere Ding gewesen. Die Brust von einem Widder, das Fett von Ochsen, ein Viertel von einem Lamme. Ein Finger von dem heil. Burkhard. Das ist doch Bein von meinen Beinen, 1 Mos. 2, 23. Gib mir ein Stück davon. Ein Zipfel von einem Rocke. Wolle von einem Schafe. Ein Zweig von einem Baume. Er aß von seinem Bissen, und trank von seinem Becher, (aus seinem Becher,) 2 Sam. 12, 2. Ich habe nichts davon genommen. Die Feder ist von einem Huhne, die Leder von einem Hechte. Er wirds von dem meinigen nehmen, Joh. 16, 14. Viel von seinen Sachen mitnehmen. Die Steine von dem Brunnen. Er ist einer von den besten im Dorfe. Einer von dem Pöbel, besser aus. Einer von uns, oder unter uns. Der gelehrteste von allen, desser unter. Keiner von uns, viele von uns, wo auch unter stehen kann. Er ist auch einer von denen u. s. f. Von stehet in diesem Falle am sichersten alsdann, wenn der Theil nicht mehr mit dem Ganzen vereiniget ist; ist er aber noch als ein Theil des Ganzen anzusehen, so stehet, wenn von Personen die Rede ist, unter. Die Ursache liegt in dem Begriffe der Entfernung, welcher mit von verbunden ist. Von (unter) allen ist keiner zärtlicher als er. Gefällt ihnen nicht die Göttin der Schönheit und Liebe, wenn sie von (unter) allen Bäumen die kleine Myrthe sich zueignet? Jacobi. In manchen Fällen läßt sich dafür der Genitiv gebrauchen, welches doch nur selten geschiehet, auch Mißdeutung veranlassen kann, indem der Genitiv eigentlich andeutet, daß der Theil noch mit dem ganzen vereinigt ist. Der Finger des heil. Burkhard hat Wunder gethan, kann den Finger des noch lebenden Burkhard bezeichnen; allein, der Finger von dem heil. Burkhard deutet die Reliquie des verstorbenen Heiligen an. Dagegen ist es, im Ganzen genommen, als ein Fehler zu betrachten, wenn man von in solchen Fällen gebraucht, wo der Theil noch mit dem Ganzen vereinigt ist; in welchem Falle der Genitiv stehen muß. Die Wand von dem Haufe, die Provinzen von Deutschland u. s. f. für die Wand des Hauses, die Provinzen Deutschlandes. Nur alsdann wird von erfordert, wenn der Genitiv eines Wortes unkenntlich ist, oder eine Härte verursachen würde. Die Provinzen von Afrika, die Theile von Amerika, weil Afrikas, Amerikas hart und ungewöhnlich klingt, dagegen man richtig sagt, die Theile Asiens, weil dieser Genitiv gewöhnlich ist. Doch davon hernach. c. Die Materie, woraus etwas bestehet. Gott machte Adam Röcke von Fellen, 1 Mos. 3, 21. Eine Krone von Dornen. Eine Säule von Marmor. Ein Ring von Gold. Ein Haus von Stein, von Holz. Von gutem Schrot und Korn. Das Bier ist von Gersten gebrauet. Ein Sack von Leder. Ein Trank von Kräutern. Kaffeh von Eicheln. Der Tisch ist von Holz, der Spiegel von Glas, der Beutel von Leder, die Schnur von Seide. Sehr oft bedienet man sich Statt dieser Art zu reden des Adjectivs. Ein lederner Beutel, ein goldener Ring, ein steinernes, hölzernes Haus u. s. f. Nur in der Adverbial-Form bedienet man sich lieber des von. Der Beutel ist ledern, besser von Leder. d. Einer wirkende, hervor bringende Ursache. Willst du nicht von unsern Händen sterben? Jer. 11, 21. Von der Hitze, von vielem Studieren, von vielem Arbeiten krank werden. Vom Glanz vor ihm trennten sich die Wolken, Ps. 18, 13. Ich bin müde von Seufzen, Ps. 6, 7. Von Gottes Gnaden, die alte Formel regierender Herren. Der Teig quillt von den Hefen. Besonders, wenn neben diesem Begriffe der wirkenden Ursache auch der Begriff der Herkunft, der Herstammung vorsticht. Vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll, Sprichw. 16, 1. Ich habe es von ihm gelernet. Von wem weißt du das? Etwas von freyen Stücken thun, aus eigenem Antriebe. Er ist von Natur so. Der Fehler verbessert sich von sich selbst. Das verstehet sich von selbst. Was willst du von mir? In den meisten Fällen wird die wirkende Ursache durch andere Vorwörter ausgedrückt, daher von in dieser Bedeutung, wenn die ganze Redensart thätig ist, nur selten gebraucht wird. Desto häufiger ist es in dieser Bedeutung in passiven Ausdrücken, wenn das Nennwort in der thätigen Form in der ersten Endung stehet. Von jemanden gesehen, geliebt, gestraft werden. Von dem Allmächtigen bist du gesegnet, 1 Mos. 49, 25. Von den Würmern gefressen, von den Mäusen zernaget werden. Der Baum ist von dem Winde umgerissen worden. Von dem Feuer verzehret werden. Wohin auch die R. A. mit lassen gehören, wo die Bedeutung gleichfalls passiv ist. Sich von jemanden heilen, mahlen lassen. Ich lasse mir von ihm nichts befehlen. Sollte ich mich von ihm verunglimpfen lassen? Wo von auch ausgelassen und alsdann das Nennwort statt der dritten in die vierte Endung gesetzt wird. Sollte ich mich ihn befehlen lassen? Und warum ließest du dich ihn zum Altar führen? Weiße. Die wirkende oder hervor bringende Person stehet, statt des von oft in der zweyten Endung. Ein Gemählde von Titian, und ein Gemählde Titians. Ein Gedicht von Gellert, und ein Gedicht Gellerts. Eine Uhr von einem großen Meister, ist üblicher, als eine Uhr eines großen Meisters. Der Befehl vom Könige, besser der Befehl des Königes. Söhne von Einem Vater, und Söhne Eines Vaters. Überhaupt scheinet es, daß von in diesem Falle richtiger steht, als der Genitiv, wenn diese eine Zweydeutigkeit verursachen und den bloßen Besitz andeuten könnte. Eine Uhr Müllers, kann eine Uhr bedeuten, welche Müllern gehöret; oder eine Uhr von Müller bezeichnet Müllern, als den Urheber, den Meister. Wenn das zu von gehörige Wort ein Fürwort ist, so findet der Genitiv ohnehin nicht Statt. Ein Gedicht von mir. Ein Blick von euch lehrt sie die schwersten Pflichten, Gell. Zu dieser Bedeutung der hervor bringenden Ursache gehören auch folgende eigentlich elliptische Arten des Gebrauchs. Das war ein großer Fehler von meinem Bruder. Das war ein Versehen von mir. Von ihm ist das doch auch nicht recht. Die Offenherzigkeit ist noch eine Tugend von mir, Rad. Es würde sehr billig von dir gewesen seyn. Mich wunderts nur vom Hunde, Daß er nicht um sich beißt, Rost. Diese und andere ähnliche in der vertraulichen Sprachart übliche Ausdrücke scheinen elliptisch zu seyn, so daß ein passives Zeitwort ausgelassen worden. Ein Fehler von mir, d. i. ein von mir begangener Fehler. (4) Sehr häufig bedient man sich auch dieses Vorwortes, wenn die Theile angegeben werden, woraus ein Ganze bestehet; wenn gleich das Ganze nur ein Abstractum ist, eine Fortsetzung der vorigen Bedeutung der Materie. Eine Allee von Kirschbäumen. Ein Halle von Säulen, 1 Kön. 7, 5. Die Wohnung sollst du machen von zehn Teppichen. Eine Schnur von zwölf Ellen, welche zwölf Ellen lang ist. Ein Faß von sechs Eimern. Ein Maß von dreyßig Kannen. Früchte von drey Monden, 4 Esr. 6, 21. Ein Pack von hundert Pfund. Eine Summe von hundert Thalern. Ein alter Mann von achtzig Jahren. Sie ziert sich ja, wie ein Kind von acht Jahren, Gell. Ein Kind von drey Monathen. Eine Bibliothek von tausend Büchern. Wo das Alter, die Zahl, die Schwere u. s. f. als das Ganze angesehen werden müssen. (5) Vermuthlich geschiehet es zur Nachahmung dieses Gebrauches, wenn man sich dieses Vorwortes bedienet, die Beschaffenheit eines Dinges auszudrücken, so fern selbige vermittelst eines Hauptwortes ausgedruckt wird. In den R. A. ein Prinz von Geblüte, einer von Adel, ein Junger von Adel, ein Mann von Stande, von hoher Geburt, sticht zwar der Begriff der Herkunft deutlich vor. Allein, es gibt doch noch eine Menge ähnlicher R. A. die sich daraus erklären lassen. Herr, Herr, Gott, von großer Gnade und Treue, 2 Mos. 34, 6. Von schwächlicher Gesundheit seyn. Asahel war von leichten Füßen, 2 Sam. 2, 18; welcher R. A. doch nicht mehr gangbar ist. Ein Volk von tiefer Sprache und von undeutlicher Zunge, Es. 33, 19. Ein Mann von dem besten Gemüthe. Eine Person von gutem Wuchse. Ein Kleid von dunkler Farbe. Sie sind alle von einer Größe, Schwere. Ein Demant von großem Werthe, von vielem Glanze. Eine Speise von gutem Geschmacke. Eine Sache von Geburt. Eine Sache von Wichtigkeit. Er ist nicht von vielen Reden, er spricht nicht gern viel. Er ist schon ein Mann von Jahren, besser bey. Wehe des Volks von großer Missethat! Es. 7, 5. Ein Werkzeug von besonderer Güte. Ein Mann von deinem Verstande, Vermögen, von deiner Geburt, Gelehrsamkeit u. s. f. Die Sache ist von keiner Dauer. In vielen Fällen wird das zu dem letzten Hauptworte gehörige Beywort weggelassen, da alsdann gut, viel, groß u. s. f. darunter verstanden werden müssen. Ein Mann von Stande. So wird der Mann von Geschmack in den Künsten ein Mann von Lebensart mit einer gehörigen Anwendung desselben auf die Gesellschaft, Gell. Ein Mann von Verdiensten, von Ehre. Die Sache ist für euch von Folgen. Ein Mann von Vermögen u. s. f. Welche Ellipsen, ob sie gleich Nachahmungen des Französischen seyn mögen, nunmehr bereits allgemein sind, und von jedermann verstanden werden, daher es unnöthig und unnütz seyn würde, sie mit Gottscheden zu tadeln. (6) Eine besondere Art, die Beschaffenheit eines Dinges vermittelst dieses Vorwortes auszudrücken, ist folgende. Sie ist ein rechter Teufel von einer Frau. Es ist ein Abscheu von einem Menschen, Gell. Sie ist ein gute Art von Frau, für, eine Frau von guter Art. Das ist nur ein Traum vom Glück. Ein Ungeheuer von einem Thiere, ein ungeheures Thier. Ein Ausbund von einem ehrlichen Manne. Ein Wunder von einem Menschen. Ein Schurke von einem Bedienten. Welche Art des Ausdrucks sich doch nicht in allen Fällen anbringen lässet. (7) Noch üblicher ist diese Partikel, wenn die Beschaffenheit vermittelst eines Beywortes ausgedruckt wird, und der Theil angedeutet werden soll, welchem dasselbe eigentlich zukommt, welcher alsdann das von bekommt. Er ist klein von Person, d. i. der Person nach, was seine Person betrifft. Ein Vogel schön von Federn, schön von Gestalt. Der heiß von Wörtern ist, und frostig von Geblüte, Opitz. Von Schenkeln leicht, schön von Gestalte, Gell. Schlank von Gliedern, braun von Haaren, Blau von Augen, schlau von Blicken, Cron. Weiß von Stirne, Hals und Brust, Schwarz von Aug' und Haaren, Haged. Welche Arten des Ausdruckes sich oft umkehren und in die vorige fünfte Bedeutung versetzen lassen. Er ist von kleiner Person. Ein Vogel von schönen Federn. In manchen Fällen lassen sie sich bloß durch den Genitiv ausdrucken. Er ist kleiner Person, schöner Gestalt. (8) In manchen Fällen dienet dieses Vorwort auch, die Art und Weise zu bezeichnen. Ich habe Gott von Angesicht gesehen, 1 Mos. 32, 30; dem Angesichte nach, leiblich. Ich kenne ihn von Person, von Ansehen. Von Person hat sie mir gefallen, Gell. ihrer Person, äußern Gestalt nach. Du sollst Gott lieb haben von ganzem Herzen, Luc. 10, 27. Von Herzen gern. Ich liebe, ihn von ganzen Herzen, hasse ihn von ganzer Seele, in welchen letztern R. A. doch der Begriff so wohl der Herkunft, als auch der wirkenden Ursache, hervor sticht. Wohin auch einige adverbische R. A. gehören. Von neuen, nicht von neuem, oder vom neuen, ( S. in der Anmerk.) d. i. wiederum, abermahls. Etwas von neuen thun, anfangen. So auch von frischen, in eben derselben Bedeutung. Von ungefähr, auf ungefähre Art. Er kam von ungefähr dazu. Sie that, als käme sie nur so von ungefähr, Gell. Von nöthen haben, S. Vonnöthen. (9) Sehr häufig bezeichnet es die Materie, den Inhalt eines Gespräches, oder einer so wohl schriftlichen, als mündlichen Rede. Von etwas sprechen. Jemanden von etwas Bericht erstatten. Von einer Sache handeln. Eine lange Erzählung von etwas machen. Das Märchen von der Tonne, von dem gehörnten Siegfriede. Die Fabel von dem Fuchse. Das Buch von den Streiten des Herrn, 4 Mos. 21, 14. Ein Gedicht vom Tode. Die Lehre von der Buße. Das Gesetz von den Thieren. Das Evangelium von Christo. Der erste Theil des Buches handelt von den bürgerlichen Pflichten. Man redet, spricht von dir. Die Rede ist davon u. s. f. Davon ist die Rede, die Frage nicht. Von bezeichnet allemahl den Inhalt der Rede über aber den Gegenstand, der dabey zum Grunde liegt, und durch den Inhalt entwickelt wird. Eine Predigt vom Tode über das ordentliche Evangelium. Über die Epistel von der fleischlichen Sicherheit predigen. Auf und bey zeigen bloß die Gelegenheit, die Veranlassung an. (10) In einigen Fällen bezeichnet das von den Gegenstand noch auf eine andere Art, besonders, wenn derselbe noch näher, als ein Theil eines Ganzen betrachtet worden, als in der vorigen Bedeutung. Von etwas Erwähnung thun, besser, einer Sache Erwähnung thun. Ich habe nichts davon gehöret, gesehen, gespüret, gesagt. Was hältst, was urtheilest du davon? Ich weiß nichts davon, von der Sache. Sollt' er auch von meiner List schon wissen, Gottsch. Wo etwas darunter verstanden werden muß. Viel Rühmens von etwas machen. Ich bin davon versichert, wo auch der Genitiv Statt findet, ich bin dessen versichert. Nicht die mindeste Einsicht von etwas haben. Von etwas überführt, überzeugt seyn. Sagen sie der Gesellschaft nichts von der Sache. Der Begriff von der Billigkeit, oder der Begriff der Billigkeit. Ein Beweis von etwas. Meine Hochachtung muß ihnen der sicherste Beweis von meiner aufrichtigen Liebe seyn, Gell.; wo auch der bloße Genitiv stehen kann. Profession von etwas machen. (11) Auch gibt es Fälle, wo von den Gegenstand bezeichnet, wenn er ein ganzes Geschlecht, eine ganze Art ist, wo die Bedeutung eine Fortsetzung von (3) b. zu seyn scheinet. Was sonst von Wagen in Ägypten war, 2 Mos. 14, 17; wo auch an stehen kann, an Wagen. Vorrath von Speisen, Öhl und Wein, 2 Chron. 11, 11. (13) Ingleichen, wo von einen Ort bezeichnet, doch nur so fern der Begriff entweder der Entfernung oder des Ursprunges dabey Statt findet. Von der Seite stehen bleiben. Sie trifft ihn schlafend an, bleibt von der Seite stehn, Gellert. Von fern stehen, in der Ferne. Etwas von fern sehen, hören, spüren, aus der Ferne. Ich höre es von weiten. Wir sind von allen Seiten umringt, auf allen Seiten. Sich von beyden Theilen Mühe geben. (14) Oft schleicht sich bey diesem Vorworte auch der Begriff des Aufhörens mit ein, der gleichfalls eine Figur der Entfernung ist. Von der Arbeit ruhen. Den will ich ohne Reu von meiner Arbeit ruhn, Cron. Vom Schlafe erwachen. Noah erwachte von seinem Weine, 1 Mos. 9, 24. Von dem Fieber, von einer Krankheit genesen. Von seinem Schrecken, von seinem Erstaunen, von einer Ohnmacht wieder zu sich selbst kommen. (15) Unter den bisherigen Bedeutungen kommen mehrere vor, wo statt des von auch der Genitiv gebraucht werden kann, zumahl, wenn derselbe keine Mißdeutung oder Zweydeutigkeit verursacht. Der Befehl des Königs, ein Befehl von dem Könige, ein Gemählde Raphael, und ein Gemählde von Raphael, Söhne Eines Vaters, und Söhne von Einem Vater; wo die letzte Art des Ausdruckes den Ursprung näher bestimmt. Im Niederdeutschen ist es indessen auch sehr gewöhnlich, den Genitiv des Besitzes oder einer Eigenschaft, Anwesenheit an einem Dinge, vermittelst des von auszudrucken, welcher Gebrauch sich denn der Französischen Gewohnheit nähert, wo der Genitiv überhaupt mit de ausgedruckt wird. Das Haus von meinem Nachbar, meines Nachbars Haus. Welcher Gebrauch sich auch in vielen Fällen im Hochdeutschen eingeschlichen hat, und von Gottscheden und andern irrig für einen Gallicismus ausgegeben wird, da er in der Niederdeutschen Mundart völlig gänge und gehe ist. Den Schein von der Tugend haben, für den Schein der Tugend; wo aber von richtig stehet, wenn die Entlehnung, der Herkunft näher bezeichnet werden soll. Die Farbe von diesem Tuch ist sehr verschossen. Das Ende vom Liede, das Ende des Liedes. Die Schwärze von der Dinte. Die Frau vom Hause. Der Sohn vom Hause. Der Vater von der Tochter wird sie nicht mehr ins Haus gelassen haben, Gell. Einige dieser Redensarten sind bereits so allgemein, daß man sie nicht tadeln darf, zumahl, da die Gränzen des Genitivs der bloßen Anwesenheit der Fällen, wo von gebraucht wird, unmerklich zusammen schmelzen, daher sie schwer zu bestimmen sind. Indessen gebraucht man das von am sichersten, wenn eine Miß- deutung zu besorgen ist, und der Genitiv sich entweder nicht schicklich oder nicht ohne Mißklang ausdrücken lässet. Eine Sammlung Dünste, eine Menge Liebesbriefe. Da hier der Genitiv nicht deutlich bestimmt wird, so sagt man lieber, eine Sammlung von Dünsten, eine Menge von Liebesbriefen. Eine Menge verliebter Briefe hingegen, hat das Merkmahl des Genitivs sehr bestimmt, daher das von hier ungewöhnlich ist. Noch mehr findet dieses bey solchen eigenthümlichen Nahmen Statt, welche keinen gangbaren Genitiv haben, oder deren Genitiv einen Übelklang machen würde. Die Söhne von Jacques Vincent, anstatt, die Söhne Jacques Vincents; wofür man doch mit dem bestimmten Artikel sagen könnte, des Jacques Vincent. Die Theile von Afrika, die Einwohner von Amerika. Die Abtretung von Land und Leuten, wofür doch eine Umschreibung schicklicher seyn würde. Die sandigen Gegenden von Afrika und Amerika. Die Größe von Paris, die Größe Berlins, Wiens. Die Lage von Calais; aber, die Lage Londons. Eben so gewöhnlich ist, den Genitiv mit von auszudrucken, wenn ein Pronomen possessivum dabey ist. Ein vertrauter, ein Freund von mir, für mein Vertrauter, mein Freund. Ein guter Freund von meinem Manne, Gell. ein guter Freund meines Mannes. Er ist ein Freund von unserm Hause. Diese und einige ähnliche Ausdrücke sind wegen ihrer Allgemeinheit gleichfalls vor allem Tadel gesichert; nur müssen sie nicht ohne Beurtheilungskraft nachgeahmet werden. Das ganz gehorsamer Diener von ihnen, für ihr ganz gehorsamer Diener, ist eine dieser unschicklichen Nachahmungen.

Anm. Dieses von ist eine der vieldeutigsten Partikeln der Deutschen Sprache, und die hier angeführten Bedeutungen sind nur die am meisten hervor stechenden Fälle. Sie fließen indessen alle aus dem eigentlichen Begriffe der Entfernung, und der darin gegründeten Figur der Herkunft her. Wenn sich noch ein Nebenwort bey dem Nennworte befindet, so scheint es gleichgültig zu seyn, ob man das von unmittelbar vor dem Nennworte setzet oder nicht. Das Urtheil von fast allen Einwohnern, oder fast von allen. Ein Verlust von ungefähr tausend Mann, oder ungefähr von. Von wegen ist ein im Hochdeutschen veralteter Pleonasmus. Von wegen meines Volks, Joel 3, 7; wegen meines Volks. So auch von wegen der Herodias, Matth. 14, 3; von seiner wegen, Kap. 27, 19. Von ihrer Väter wegen, Opitz. Die Bilder, die hier stehen, Von welcher wegen du pflegst aber an zu gehen, eben ders. Von des Kaisers und Reiches wegen, im Nahmen des Kaisers und des Reiches. Aber von Rechts wegen ist auch im Hochdeutschen allgemein. Noch mehr veraltet ist von Willen: von mehrerer Sicherheit Willen, für, um mehreren u. s. f. Es ist die Frage: ob man von neuem, von frischen, von weitem, oder, vom neuen, vom frischen, vom weiten, oder auch von neuen, von frischen, von weiten sprechen und schreiben müsse. Die mittelste Form ist zuverlässig irria, weil hier kein bestimmter Artikel Statt findet, dessen Verkürzung vom ist; die letzte ist im gemeinen Leben am gewöhnlichsten; die erste aber würde die richtige seyn, wenn erweislich wäre, daß neu, frisch und weit hier entweder als Substantiva oder auch im Singular ständen. Allein, es ist wahrscheinlicher, daß bey den beyden ersten Ding ausgelassen ist, welches ehedem sehr häufig in solchen adverbischen R. A. gebraucht wurde, ( S. Ding.) von neuen Dingen, von frischen Dingen; da denn neuen als der Plural am richtigsten seyn würde. Im Hochdeutschen sagt man noch jetzt neuer Dingen, für von neuen. Das ähnliche aufs neue, und mit ehesten für mit dem ehesten, streiten indessen für den Singular. In der R. A. von weiten könnte Orten verschweigen seyn. Siehe auch Vonnöthen. Alle andere Beywörtern werden mit Zeitwörtern zusammen gesetzt; nur dieses von nicht, weil das außer der Zusammensetzung veraltete ab dafür eingeführt ist. Dieses alte Vorwort lautet schon im Isidor und Kero fona, bey dem Willeram u. s. f. vone, im Nieders. van, im Dän. fra, und im Schwed. fram und frä, welche letztern zunächst zu unserm fern gehören. "Von" ist eine der Deutschen Sprache vorzüglich eigene Partikel, dagegen das gleich bedeutende ab in allen verwandten und vielen ganz fremd scheinenden Sprachen angetroffen wird.


Vonnöthen (W3) [Adelung]


Vonnöthen, adv. welches aus von und dem Plural des Hauptworten Noth zusammen gezogen ist, und nur mit den Zeitwörtern seyn und haben gebraucht wird. Es bedeutet so viel als nöthig, nothwendig. Ich habe Geld vonnöthen, brauche Geld, habe es nöthig. Die menschliche Vernunft hat die Unterstützung und Handleitung der göttlichen Offenbarung vonnöthen, Gell. Ich habe nicht vonnöthen, ihnen von den ausgebreiteten Nutzen zu sprechen (zu sagen), welchen Schriften von dieser Gattung stiften können, Wiel. Geduld ist hier vonnöthen. Mit dem Verbo haben wird es auch zuweilen mit der zweyten Endung verbunden. Man hat so vieler Worte nicht vonnöthen. Daß der Plural von Noth ehedem sehr gangbar war, ist schon bey dem Worte Noth gezeiget worden.


Vor (W3) [Adelung]


Vor, eine Partikel, welchen in gedoppelter Gestalt gefunden wird, und überhaupt eigentlich ein eher seyn bezeichnet, und zwar so wohl dem Orte, als der Zeit nach. Sie ist, I. Eine Präposition, welche so wohl die dritte, als die vierte Endung des Nennwortes erfordert, jene mit dem Begriffe der Ruhe, diese mit dem Begriffe der Bewegung. 1. Mit der dritten Endung, wo sie überhaupt ein eher seyn bedeutet, als ein anderes Ding, so wohl der Zeit, als dem Orte nach. (1) Der Zeit nach, eher als ein anderes Ding, im Gegensatze des nach. Seines gleichen war vor ihm kein König gewesen, 2 Kön. 23, 25. Vor Tage aufstehen. Von der Zeit kommen, vor der bestimmten, gehörigen Zeit. Drey Tage vor der Hochzeit. Ich bin lange vor dir da gewesen. Vor mir ist diese Ehre noch keinem widerfahren. Vor diesem, zusammen gezogen vor dem, von dieser Zeit, ehedem. Diese Bedeutung ist sehr bestimmt, und der Gebrauch des vor leidet in derselben keinen Zweifel, daher es wider allen Gebrauch ist, wenn einige ältere Sprachlehrer das vor, wenn es von der Zeit gebraucht wird, auch mit der vierten Endung verbinden, und zum Beyspiele die R. A. anführen, vor den Bruder etwas bitten, d. i. eher, als der Bruder, welches von vor dem Bruder, in dessen Gegenwart, unterscheiden sey. Allein das Beyspiel ist nicht aus der Sprache selbst hergenommen, sondern willkührlich gemacht. Im gemeinen Leben hört man zwar, vor ein Paar Jahren, allein, in der anständigern Sprechart sagt man dafür lieber, vor einigen Jahren. Im gemeinen Leben kommen einige Fälle vor, wo vor mit der zweyten Endung verbunden zu seyn scheinet. Vor Alters, d. i. ehedem, vor Morgens, vor Abends, vor Winters. Allein, da man auch sagt, vor Nachts, welches nicht der Genitiv seyn kann, so stehet man wohl, daß die Hauptwörter hier vermittelst des adverbischen s zu Nebenwörtern gemacht werden. Übrigens gehöret zu dieser Bedeutung der Zeit auch das folgende Nebenwort vor. (2) Dem Orte nach, das Verhältniß zu bezeichnen da ein Ding dem Orte nach eher ist, als ein anderes, und zwar, wenn es im Stande der Ruhe ist, oder die Handlung in dem Raume vor dem andern Dinge eingeschlossen bleibt. a. Eigentlich, wo es dem hinter entgegen stehet. Vor dem Thore stehen, sitzen. Es lieget vor der Thür. Vor einem stehen. Er fiel vor ihm nieder. Vor dem Tische sitzen. Der Krieg ist vor der Thür, ist nahe. Das schwebet mir noch immer vor den Augen. Ihr Bild ist mir noch immer vor den Augen. Wie ein Frühlingsnebel vor der Sonne verschwindet; wo sich zugleich etwas von der folgenden Bedeutung der wirkenden Ursache mit einschleicht. Vor jemanden her, hin, hinab, hinaus gehen. Traurig trieb er die Schafe vor sich her. Vor dem Thore spazieren gehen, wenn man bereits außer dem Thore ist; hingegen, vor das Thor gehen, deutet an, daß die Bewegung erst dahin gerichtet wird. Einem vor Wind seyn, in der Seefahrt, eigentlich ihm vor dem Winde seyn, den Vortheil des Windes haben, der Gegend, woher der Wind kommt, näher seyn, als ein anderer. Vor der Hand, für jetzt. Lassen sie was vor der Hand gut seyn. Hitzig vor der Stirn seyn. b. In weiterer und figürlicher Bedeutung. aa. Eine Gegenwart zu bezeichnen. Er hat es vor meinen Augen gethan. Vor Gott und der Welt strafbar seyn, nach dem Urtheile Gottes und der Welt. Das ist vor Gott unrecht. Gott vor Augen haben, sich beständig an ihn erinnern. Besonders, wenn das gegenwärtige Ding zugleich die wirkende und veranlassende Ursache der Handlung ist. Vor jemanden aufstehen, aus Ehrerbiethung für ihn. Den Hut vor ihm abnehmen. Schämest, scheuest du dich nicht vor mir? wirkt meine Gegenwart keinen Scham, keine Scheu, bey dir? Ich schäme mich vor mir selbst. Vor einem nicht bestehen können. Die Augen vor jemanden nicht aufheben. Sich vor jemanden demüthigen. Vor einem verstummen. bb. Ein Bestreben, die Gegenwart eines andern Dinges zu vermeiden, wo es mit allen den Zeitwörtern gebraucht wird, welche ein fliehen, verbergen, bewahren, schützen u. s. f. bezeichnen. Vor einem fliehen, davon laufen, entrinnen. Die Flucht vor jemanden ergreifen. Vor einem andern weichen. Ich will mich nicht vor dir verbergen, Hiob 13, 20. Sie ist verhohlen vor den Augen aller Lebendigen, Kap. 28, 21. Warum versteckst du es vor mir? Einsam vor den Augen der Welt verborgen. Seine Ohren vor jemanden verstopfen, sein Herz vor ihm verschließen. Du willst Geheimnisse vor mir haben? Vor etwas bedeckt, sicher, gesichert seyn. Vor den kältenden Nächten, sollen dich meine Umarmungen schützen, Weiße. Friede, Ruhe vor etwas haben. Behüth' uns vor der Hölle. Behüth' uns, Herr, vor falscher Lehr. Vor allen Sünden, vor allem Irsal, - behüth' uns, lieber Herre Gott, in der Litaney. Sich vor der Kälte verwahren. Schutz vor dem Feinde, vor dem Winde gewähren. Und so in tausend andern Fällen mehr. Diese Bedeutung gränzet sehr nahe an den Gebrauch des für, wenn es den Gegenstand des Widerstandes bezeichnet. Eine Arzeney für das Fieber, es zu vertreiben. cc. Besonders eine Empfindung zu bezeichnen, welche zugleich mit einer Bemühung, sich von dem empfundenen Gegenstande zu entfernen, verbunden ist, wo sich doch oft auch der folgende Begriff der wirkenden Ursache mit einschleicht. Vor einer Sache erschrecken, sich entsetzen. Schrecken, Entsetzen vor etwas empfinden. Fürchte dich nicht vor mit. Einen Abscheu, einen Ekel vor etwas heben. Uns ekelt vor dieser losen Speise. Jemanden einen Abscheu vor einer Sache beybringen. Vor etwas zittern. Zittere vor deinem eigenen Gewissen. Sie haben mich einer Gefahr ausgesetzt, vor der ich noch erzittere. Aber, ich zittere für alle die, die so viel Härte blicken lassen, ist etwas anders, indem für hier bloß den Gegenstand des Interesse bezeichnet. Der ganze Rath erstaunt vor diesem schönen Kinde, Gell. Wo doch, wenn mit der Empfindung das Bestreben der Entfernung nicht deutlich verbunden ist, über schicklicher ist. Wenn aber bloß der Gegenstand der Richtung, der Empfindung, bezeichnet wird, so stehet für mit der vierten Endung: für etwas sorgen, nicht vor. dd. Eine wirkende Ursache, wie das Lat. prae, da denn das Nennwort seinen Artikel verlieret. Es scheinet, daß es hier zunächst eine solche wirkende Ursache bedeutet habe, von welcher man gehindert wird, auf entgegen gesetzte Art zu handeln. In andern Rücksichten sind andere Vorwörter üblich. Vor Hunger sterben, Hungers sterben. Vor Durst verschmachten. Vor großen Schrecken zittern. Vor Zorn außer sich seyn. Sich vor großer Angst nicht zu lassen wissen. Vor Freude weinen. Vor Verdruß mit den Zähnen knirschen. Vor vielen Hindernissen nicht weiter können. Hier ist vor den vielen Räubern nicht sicher zu reisen. Er kann vor Mattigkeit kaum mehr gehen. Vor Schmerzen nicht schlafen können. Ich kann vor Betrübniß nicht reden. Vor Alter sterben. Vor vieler Arbeit nicht zu sich selbst kommen. Vor großer Begierde blind seyn. Sich vor Angst nicht zu lassen wissen. Vor langer Weile jähnen. O, wie sie vor Freuden die Fittige schlägt! Weiße. Ich kann vor Verwunderung noch nicht zu mir kommen, eben ders. Herzen, die vor Vergnügen klopften. Ich möchte vor Ärgerniß vergehen, Gell. Kann ich doch vor Freuden kaum mehr reden, eben ders. Ja wohl kann man vor Liebe krank werden, eben ders. Ob man gleich nicht sagt, vor vieler Arbeit, vor vielem Sitzen krank werden, sondern von. Der Himmel hat mir eine Wohlthat erwiesen, die mich vor Erkenntlichkeit zu Thränen bringt, eben ders. Sich vor Lachen kaum fassen können. Schon Notker sagt: min ouga ist troube fore dinemo zorne. Allein, in sehr vielen Fällen, in welchen man die Ursache, ehedem mit vor ausdruckte, sind jetzt aus, von, wegen u. s. f. üblich. ee. Einen Vorzug, eine unmittelbare Figur der eigentlichen Bedeutung des Ortes und der Zeit. Fora alla, Kero. Fur ella wib, einer der Schwäbischen Dichter. Gnade vor Recht ergehen lassen. Das hat er vor dir voraus. Das ist mir vor vielen andern Dingen lieb. Vor allen andern. Vor allen Dingen. Wir haben alle unsere Fehler, nur einer von dem andern, Gell.; einer mehr als der andere. Die Hoheit und Göttlichkeit, welche der Weisheit der Religion vor der Weisheit der Vernunft eigen ist, eben ders. Der Accusativ würde hier ein Fehler seyn, ob sich gleich Beyspiele davon finden. Begleite mich zu deinen rechten Steigen, denn solches geht vor alle Fröhlichkeit, Ps. 119, 8. Laß Gunst vor gute Sachen gehen, Opitz; wo das Zeitwort gehen beyde Verfasser irre geführet zu haben scheinet, ob gleich ganz Deutschland sagt, einem vorgehen. 2. Mit dem Accusativ oder der vierten Endung, eine Bewegung oder Richtung nach dem vordern Theile eines Dinges zu; im Gegensatze des hinter. Kommt vor sein Angesicht. Führet ihn vor den Richter. Vor den Herrn treten. Einen Stein vor den Brunnen, vor die Thür des Grabes wälzen. Jemanden vor die Thür, vor das Lager stellen. Werfet die Perlen nicht vor die Säue. Lauter biblische Ausdrücke. Vor den Spiegel treten. Die Pferde vor den Wagen spannen. Komm mir nicht vor meine Augen. Vor eine Stadt rücken. Vor das Thor gehen. Jemanden vor Gericht fordern. Die Feinde streifen bis vor die Stadt. Sich vor den Tisch setzen. Jemanden vor den Kopf stoßen. Vor den Riß treten. Sich vor Anker legen, vor Anker gehen, in der Schifffahrt, den Anker auswerfen; dagegen in vor Anker liegen, das Hauptwort in der dritten Endung steht. Sagt nichts, damit es nicht vor ihn komme, damit er es nicht erfahre. Figürliche Arten des Ausdruckes sind. Die Sache geht vor sich, geschiehet, kommt zur Wirklichkeit. Die Heirath wird nicht vor sich gehen, geht zurück. Etwas vor sich bringen, zeitliches Vermögen erwerben. II. Ein Nebenworte, für zuvor, vorher, eher. Lerne vor selbst, ehe du andere lehrest, Sir. 18, 19. Vor gethan und nach bedacht. Vor wie nach. Zugleichen für ehedem. Vor war er klein, jetzt ist er groß. Die ihm vor so sehr behagt, Opitz. Im Hochdeutschen ist dieser ganze adverbialische Gebrauch abgekommen, daher Ramler ihn in den Horazischen Oden wieder in Übung zu bringe gebraucht hat.

Anm. Schon bey dem Ottfried fora, bey dem Ulphilas faura, im Nieders. vär, im Engl. for, Schon bey dem Worte für ist so wohl von dem Ursprunge dieser Partikel, als auch von ihrer Geschichte und ihrem heutigen Unterschiede von für, umständlich gehandelt worden, welches hier mit nachgelesen werden muß. Hoffentlich wird das dort und hier gesagte hinreichen, beyde Partikeln in allen Fällen richtig zu unterscheiden. Vor hat die eigentlichen Bedeutungen, nebst einigen der nächsten figürlichen für sich behalten; die entferntern figürlichen sind dem Wörtchen für zu Theile geworden. Der einzige Fall, der noch zweifelhaft scheinen könnte, ist, wenn es mit gewissen Hauptwörtern eine Ordnung bezeichnet. Tag vor Tag. Ich will es Scene vor Scene lesen. Allein der beste Gebrauch ist auch hier für das für. S. dieses Wort. Dieses Vorwort wird mit allerley Wörtern zusammen gesetzt. Voran, voraus, vorher, hervor, zuvor, bevor u. s. f. Daß in den Zusammensetzungen mit Haupt- und Zeitwörtern der heutige genaue Unterschied zwischen dem vor und für nicht beobachtet werde, ist schon bey dem letztern Worte bemerket worden. Die Ursache ist, weil die Zusammensetzungen gebildet worden, da dieser Unterschied noch nicht angenommen war. Sie jetzt umzuprägen, würde nicht rathsam seyn, zumahl, da in manchen Wörtern beyde Bedeutungen zusammen fließen, die wahre sich auch nicht alle Mahl genau bestimmen läßt. Die Herren, welche gern so rasch zu Veränderungen und Verbesserungen schreiten, sehen die Sache selten in ihrem Umfange ein, und richten daher durch ihre Neuerungen mehr Schaden als Nutzen an.


Vorab (W3) [Adelung]


* Vorab, ein so wie bevorab im Hochdeutschen ungewöhnliches Bindewort, für zumahl, vornehmlich, welches nur noch in einigen Oberdeutschen Kanzelleyen gangbar ist. In einigen gemeinen Mundarten wird auch das vorn, wenn es vor den mit ab zusammen gesetzten Zeitwörtern stehet, in vorab zusammen gezogen, vorabbrechen, vorabbeissen.


Vorabend (W3) [Adelung]


Der Vorabend, des -es, plur. die -e, der Abend vor einem Feste; der heilige Abend, der Abend vor einem Kirchenfeste.


Vorachtbar (W3) [Adelung]


* Vorachtbar, -er, -ste, adj. et adv. vorzüglich achtbar, ein im Hochdeutschen veraltetes Wort, welches so wie großachtbar und hochachtbar nur noch in den Titeln einzelner Gegenden gebraucht wird. So auch die Vorachtbarkeit. Bey dem Kero ist foraperahtida, so viel als vortrefflich.


Voracker (W3) [Adelung]


Der Voracker, des -s, plur. die -äcker, in der Landwirthschaft einiger Gegenden, der äußere, voran an dem Wege, oder an der Gränze liegende Theil eines Ackers; im Brandenb. Ahnewend, eigentlich Anwand, Anwend, S. Vorende.


Vorackern (W3) [Adelung]


Vorackern, verb. reg. act. Einem vorackern. 1. In seiner Gegenwart ackern oder pflügen, und ihm dadurch ein Muster oder Beyspiel geben. 2. Jemanden durch geschwindes Ackern oder Pflügen zuvorkommen. So auch Vorpflügen.


Vorältern (W3) [Adelung]


Die Vorältern, sing. car. diejenigen Glieder eines Geschlechtes, welcher vor unser Ältern gelebet heben, wo es doch eben nicht von sehr entfernten Ahnen oder Vorfahren gebraucht zu werden pflegt, sondern gemeiniglich zur unbestimmten Bezeichnung der Groß- und Urältern dienet. Die Segen deines Vaters gehen stärker, denn die Segen meiner Vorältern, 1 Mos. 49, 26. Gott, dem ich diene von meinen Vorältern her, 2 Tim. 1, 3. Im Schwed. Föräldrar.


Voran (W3) [Adelung]


Voran, ein Nebenwort, welches von vor, vorn und an zusammen gesetzet ist, und unter mehrern aufeinanderfolgenden das vorderste, das erste bezeichnet, daher es vornehmlich solchen Zeitwörtern zugesellet wird, welche eine Bewegung bezeichnen. Wie zogen voran auf dem Schiffe, Apost. 20, 13. Gehen sie immer voran. So auch voran laufen, fliegen, stellen, schicken, setzen, schwimmen, fahren u. s. f. In der dichterischen Schreibart gebraucht man es zuweilen als ein Vorwort mit der vierten Endung. Den Weg zur Ewigkeit ging Opitz uns voran, Gieseke. Wo doch der Accusativ mehr von dem Zeitworte als der Partikel herzurühren scheinet. Im Oberdeutschen wird es auch von der Zeit für vorher, zuvor, gebraucht. Mein Diener der hat Unns das weyßgesaget voran, Theuerd. Kap. 71. Was deine Hände schon voran, Vor Werk gethan, Laß sie vollenden, Opitz. Welcher Gebrauch aber im Hochdeutschen unbekannt ist; nur in den Kanzelleyen lieset man zuweilen, vorangeregt, d. i. im vorigen erwähnt. Es ist sehr unrichtig, und wider der Analogie der Sprache, wenn viele dieses voran und andere ähnliche Partikeln mit dem folgenden Zeitworte zusammen ziehen. Es ist dazu so wenig geschickt, als ein jedes anderes Nebenwort, zumahl, da beyde Theile ihren Ton behalten, welchen einen derselben verlieren müßte, wenn eine wahre Zusammensetzung vorhanden wäre; voran gehen. Siehe auch vorn.


Vorarbeit (W3) [Adelung]


Die Vorarbeit, plur. die -en, eine vorher gehende, gleichsam zur Vorbereitung dienende Arbeit, in vielen Fällen des gesellschaftlichen Lebens.


Vorarbeiten (W3) [Adelung]


Vorarbeiten, verb. reg. act. welches die dritte Ordnung erfordert. 1. Jemanden vorarbeiten, ihm im Arbeiten zuvor kommen, ihn in geschwinder Arbeit übertreffen. 2. Einem andern vorarbeiten, in seiner Gegenwart arbeiten, ihm dadurch ein Beyspiel oder Unterricht zu ertheilen. Wo viele wider die Gewohnheit fürarbeiten schreiben wollen, aber alsdann die wahre Bedeutung der Partikel verkennen, welche hier sowohl, als in andern Fällen eigentlich eine Gegenwart bezeichnet. 3. Sich oder andern vorarbeiten, eine Arbeit vor der bestimmten Zeit, zum Behuf oder zur Verkürzung der nachmahligen eigentlichen Arbeit verrichten. Ich habe mir viel auf morgen vorgearbeitet. Es ist dir hierin von andern schon sehr vorgearbeitet worden. So auch die Vorarbeitung.


Vorarm (W3) [Adelung]


Der Vorarm, des -es, plur. die -e, der vordere Theil des Armes von der Handwurzel bis an den Elbogen, welche vollständiger der Vorderarm genannt wird. Uneigentlich wird an den Pferden der Schenkel der Vorarm genannt.


Vorärnde (W3) [Adelung]


Die Vorärnde, S. Vorernte.


Vorauf (W3) [Adelung]


Vorauf, adv. welches zuweilen für voran gebraucht wird, besonders, wenn die Bewegung aufwärts gehet. Vorauf reiten, voran.


Voraus (W3) [Adelung]


Voraus, adv. zuvor, vor einem andern Dinge, so wohl dem Orte, als der Zeit nach. 1. Dem Orte nach, voraus, wo es gleichfalls oft für voran gebraucht wird, doch mit dem Nebenbegriffe so wohl der Zeit, als auch einer größern Entfernung. Ich will indessen voraus gehen, nicht bloß voran, sondern vorher dahin gehen, wohin auch andere gehen wollen. So auch voraus laufen, reiten, schicken, fliegen. 2. Der Zeit nach. (1) Vor der bestimmten, gehörigen oder gewöhnlichen Zeit. Jemanden voraus bezahlen, ehe noch die Bezahlung eigentlich fällig ist. Das hast du schon voraus genossen. Einem etwas voraus heben. Ich habe den Verlust schon voraus verschmerzet, ehe er mich noch betroffen hat. Nur fraget nicht voraus, wer diesen Reim gesetzt, Günth. Wo es oft mit den Vorwörtern im und zum verbunden wird, als wenn es ein Hauptwort wäre, in welchem Falle man auch den Ton zuweilen auf das vor setzet. Jemanden im oder zum voraus bezahlen. Wenn er sich zum voraus an jeder Rettung ekelt, Herd. Schon im voraus empfinde ich hier eine Freude, die alle meine Leiden versüßt, Hermes. Ich will ihnen im voraus von Herzen Glück wünschen, Gell. Er versichert sie im voraus seiner Ergebenheit. Da mehrere Nebenwörter mit Präpositionen verbunden werden, ohne daß sie dadurch zu Hauptwörtern würden, so ist es unnöthig, das voraus in diesem Falle mit einem großen Buchstaben zu schreiben. (2) Für vorher, ehe eine Sache wirklich geschiehet. Etwas voraus wissen, sehen, verkündigen. Das habe ich lange voraus gesehen. Auch hier zuweilen mit im und zum. Ich sehe es schon im der zum voraus. 3. Figürlich. (1) Etwas setzen, es als wahr, als möglich oder wirklich annehmen. Ich setze dabey voraus, daß du unschuldig bist. Voraus gesetzt, daß sich das einmahl so fügen wird. Nach einer noch weitern Figur wird etwas voraus gesetzt, wenn es dazu erforderlich ist. Die wahre Freundschaft setzet allezeit gegenseitige Verdienste voraus, Gell. (2) Oft bedeutet voraus einen Vorzug vor einem andern. Er hat viel vor dir voraus, er hat Vorzüge vor dir, als auch, er hat mehrere Vortheile, er hat gleichsam einen starken Vorsprung vor dir, ist dem Orte der Bestimmung schon näher. Jemanden etwas zum Voraus vermachen, wo der Ton gern auf das vor gesetzt wird, ihm außer dem gewöhnlichen Theile an der Erbschaft noch etwas vermachen, welches die übrigen Miterben nicht bekommen, da denn ein solcher Theil im gemeinen Leben auch wohl der Voraus genannt wird. Er klagt über sein Unglück, gleichsam als wenn er vor andern etwas voraus hätte, als wenn er das Vorrecht hätte, nicht unglücklich zu seyn. (3) Ehedem wurde es auch häufig für vornehmlich, besonders, gebraucht, welche Bedeutung aber im Hochdeutschen veraltet ist. Schon bey den Schwäbischen Dichtern kommt vor us in diesem Verstande vor. Was mir voraus zu reden wohl gefällt, Opitz. Der es auch für zumahl gebraucht.


Voraussetzung (W3) [Adelung]


Die Voraussetzung, plur. die -en, Handlung, da man etwas voraus setzet. Unter dieser Voraussetzung.


Voraussicht (W3) [Adelung]


Die Voraussicht, plur. car. ein neues von Hagedorn gebrauchtes Wort für Vorsicht oder Vorhersehung, von der Redensart etwas voraus sehen.


Vorauszahlung (W3) [Adelung]


Die Vorauszahlung, plur. die -en, von der R. A. voraus zahlen, die Zahlung, welche voraus, vor Empfang der Waare geschiehet, die Pränumeration.


Vorbaß (W3) [Adelung]


* Vorbaß, adv. welches in einigen Ausgaben der Deutschen Bibel Matth. 4, 21, Kap. 9, 27, für das eben veraltete fürbaß gefunden wird, S. das letztere.


Vorbauen (W3) [Adelung]


Vorbauen, verb. reg. act. 1. Eigentlich, einen Bau, ein Gebäude vor etwas aufführen, andere dadurch abzuhalten; in welcher eigentlichen Bedeutung es doch wenig vorkommt. Üblicher ist es, e. im figürlichen Verstande. Einem Dinge vorbauen, Veranstaltungen treffen, daß es nicht geschehe. Einer Krankheit vorbauen. Der Gefahr vorbauen. Der Feind drohet mit einem Einfalle, aber es ist ihm schon vorgebauet; oder auch absolute, es ist schon vorgebauet. So auch die Vorbauung. S. auch Vorbeugen.

Anm. Es scheinet nach dem Muster des Latein. praestruere gebildet zu seyn, welches im eigentlichen Verstande bey dem Livius vorkommt. In der R. A. weiter vor bauen, findet keine Zusammensetzung Statt, sondern vor stehet daselbst adverbialiter für vorwärts.


Vorbedacht (W3) [Adelung]


Der Vorbedacht, des -es, plur. car. die vor der Handlung der gehende Überlegung derselben; ein nur mit einigen Vorwörtern in der dritten und vierten Endung übliches Wort. Ich habe es mit Vorbedacht gethan, mit Bedacht, nach vorher gegangener Überlegung. Ohne Vorbedacht handeln. Siehe Vorbedenken.


Vorbedächtig (W3) [Adelung]


Vorbedächtig, -er, -ste, adj. et adv. Vorbedacht, d. i. vor der Handlung her gehende Überlegung äußernd, und darin gegründet. Daher die Vorbedächtigkeit und das Nebenwort vorbedächtlich.


Vorbedenken (W3) [Adelung]


* Vorbedenken, verb. irreg. act. ( S. denken,) welches aus vorher bedenken zusammen gezogen, im Hochdeutschen aber ungewöhnlich ist.


Vorbedeuten (W3) [Adelung]


Vorbedeuten, verb. reg. act. welches aus vorher bedeuten zusammen gezogen ist, ein Zeichen einer künftigen zufälligen Begebenheit seyn. Der Fall des Spiegels hat diesen Tod vorbedeutet, vorher bedeutet. Es ist im Hochdeutschen veraltet, doch ist davon noch das Hauptwort die Vorbedeutung üblich, die Anzeige einer künftigen zufälligen Begebenheit, oder was dafür gehalten wird, und das Ding, welches diese Anzeige gibt. Lat. Omen, sonst auch Vorherbedeutung.


Vorbehalt (W3) [Adelung]


Der Vorbehalt, des -es, plur. die -e. 1. Die Handlung, da man sich etwas vorbehält, d. i. bey einer anderweitigen Einschränkung Freyheit zu behalten sucht, etwas zu thun oder zu lassen; Reservatio, da es denn in manchen Fällen so viel als Ausnahme und Bedingung ist. Ich mache mich dazu anheischig ohne allen Vorbehalt, ohne alle Ausnahme, Bedingung. Ich bewillige es, jedoch mit dem Vorbehalte, daß u. s. f. mit der Bedingung, Ausnahme. Mit Vorbehalt der Rechte eines jeden, ohne jemandes Recht zu nahe zu treten. 2. Dasjenige, was man sich vorbehält, die vorbehaltene Sache, Reservatum, die Bedingung, Ausnahme. In dem Deutschen Staatsrechte ist der geistliche Vorbehalt, Reservatum ecclesiasticum, das Recht, welches sich in dem Westphälischen Frieden die katholischen Reichsstände, bey der Aufnahme der protestantischen Religion zur gleicher Würde und Gerechtsamen mit der katholischen, vorbehalten haben, daß wenn ein katholischer Prälat oder Geistlicher von seiner Religion abtreten würde, derselbe seiner geistlichen Güter und Einkünfte verlustig seyn sollte. In einem andern Verstande ist in den Rechten der Vorbehalt in Gedanken, Reservation mentalis, eine verschwiegene Einschränkung des Eides von Seiten dessen, der ihn ableget, um dem Eide einen andern Verstand beyzulegen.


Vorbehalten (W3) [Adelung]


Vorbehalten, verb. irreg. act. ( S. Halten.) 1. Sich etwas vorbehalten, etwas auf eine andere Zeit zu thun aufbehalten, etwas bis auf eine andere Zeit verschieben. Ich habe mir diese Arbeit auf morgen vorbehalten. Hast du mir denn keinen Segen vorbehalten? 1 Mos. 27, 36; d. i. für mich aufbehalten. 2. Noch häufiger in engerer Bedeutung, sich bey einer anderweitigen Einschränkung, die Freyheit ausbedingen, etwas zu thun oder zu lassen. Ich behalte mit vor, meine Meinung ein anderes Mahl zu sagen. Der Himmel, der sich nur die Rache vorbehält, Wählt sich zum Werkzeug nie die Edelsten der Welt, Weiße. Es gebühret euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat, Apost. 1, 7. Wo es so, wie in andern Fällen, den Nebenbegriff der Ausschließung eines dritten von der vorbehaltenen Sache bey sich führet. Da Urtheil in peinlichen Sachen hat sich der König vorbehalten. Das behalte ich mit vor. Ohne diesen Nebenbegriff wird das Zeitwort sehr häufig von einer jeden Freyheit gebraucht, die man sich, als eine Ausnahme, oder als eine Bedingung, zu erhalten sucht. Derjenige, welcher seine Bedienung, sein Vermögen einem andern abtritt, pflegt sich oft gewisse Einkünfte vorzubehalten. 3. Auf ungebührliche Art zurück behalten, wofür doch vorenthalten üblicher ist. Du sollst dem Dürftigen und Armen seinen Lohn nicht vorbehalten, 5 Mos. 24, 14. So auch die Vorbehaltung.


Vorbeingewächs (W3) [Adelung]


Das Vorbeingewächs, S. Überbein.


Vorbenannt (W3) [Adelung]


Vorbenannt, adj. nur in den Kanzelleyen für vorher genannt, im vorigen genannt, wofür daselbst auch vorbemeldt, vorberührt, vorbesagt, vorberegt, vorangeregt, vorerwähnt, vorgedacht u. s. f. üblich sind.


Vorbereiten (W3) [Adelung]


Vorbereiten, verb. reg. act. vorher bereiten, die zu Erreichung einer Absicht nöthige Beschaffenheit vor dem eigentlichen Gebrauche ertheilen, wo es ein wenig nachdrücklicher ist, als bereiten. Es ist alles zu seinem Empfange vorbereitet. Sich zu etwas vorbereiten. Ich habe mich hinlänglich dazu vorbereitet. Zu etwas vorbereitet seyn. Zu einem solchen Anblicke werde ich nie vorbereitet seyn. Sich zum Genusse des Abendmahls, zur Ewigkeit vorbereiten. Die vorbereitende Gnade Gottes, in der Theologie, die wirkliche Überzeugung eines unbekehrten Menschen von der Möglichkeit seiner Vereinigung mit Gott; zum Unterschiede von der zuvor kommenden Gnade.


Vorbericht (W3) [Adelung]


Der Vorbericht, de -es, plur. die -e, ein Bericht vor einem Buche oder einer Schrift, worin der Verfasser den Leser vorläufig von einigen nöthigen Umständen unterrichtet; und der, wenn er von einigen Ausführlichkeit, noch häufiger die Vorrede genannt wird, obgleich auch beyde häufig mit einander verwechselt werden.


Vorbescheid,Vorbeschied (W3) [Adelung]


Der Vorbescheid, oder Vorbeschied, des -es, plur. die -e, ein besonders in den Gerichten übliches Wort, der Bescheid, d. i. Befehl eines Gerichtes oder Richters, sich vor denselben zu stellen; wo es besonders in manchen Fällen und von manchen Arten von Gerichten oder obrigkeitlichen Ämtern gebraucht wird. Einen Vorbescheid bekommen. Von dem Befehle, sich vor Gericht zu stellen, ist Citation in den meisten Fällen am üblichsten; ehedem gebrauchte man dafür Ladung, Vorladung Fürboth eigentlich Vorboth, ( S. Fürbiether.) Der Vorbeschied, in den Sächsischen Gerichten die Berufung der streitenden Parteyen vor den Richter zur Pflegung der Güte.


Vorbescheiden (W3) [Adelung]


Vorbescheiden, verb. irreg. act. vor sich bescheiden, d. i. durch einen Ausspruch fordern, welches von dem Richter und andern mit Gerichtbarkeit versehenen obrigkeitlichen Ämtern geschiehet. Vorbeschieden werden, vor Gericht gefordert, noch häufiger citieret werden. Die Parteyen, die Zeugen sind vorbeschieden worden. Daher die Vorbescheidung.


Vorbestimmen (W3) [Adelung]


Vorbestimmen, verb. reg. act. wofür doch vorher bestimmen üblicher ist, selbst im theologischen Verstande, praedestinare. So auch die Vorbestimmung, üblicher die Vorbestimmung, Praedestinatio.


Vorbethen (W3) [Adelung]


Vorbethen, verb. reg. act. einem vorbehalten, eigentlich ein Gebeth in dessen Gegenwart hersagen, damit er es nachspreche, im Gegensatze des nachbethen. Einem Kinde das Vater Unser vorbethen. Ingleichen in jemandes Gegenwart bethen, um ihm dadurch ein Muster zu ähnlichen Gebethen zu geben. Figürlich, doch nur und gemeiniglich im verächtlichen Verstande, vorsagen, vorsprechen überhaupt. Daher das Vorbethen.


Vorbeugen (W3) [Adelung]


Vorbeugen, verb. reg. act. ( S. Beugen.) 1. Vorwärts beugen, oder biegen, sonst auch vorbiegen. Den Leib ein wenig vorbeugen oder vorbiegen, vorwärts biegen. 2. Ein Ding vor etwas biegen, um dadurch den Zutritt dazu zu verwehren, doch nur noch im figürlichen Verstande, veranstalten, daß etwas nicht geschehe, wie vorbauen, da es denn so wie dieses gleichfalls die dritte Endung der Sache bekommt, und im gemeinen Leben auch vorbiegen lautet. Einem Übel, einer Krankheit vorbeugen. Der Feind hatte einen Einfall beschlossen, allein es ward ihm nachdrücklich vorgebeuget, im gemeinen Leben auch wohl vorgebogen. Damit diesen Beschwerden abgeholfen und fürgebogen werde, in den Oberdeutschen Kanzelleyen, für vorgebeuget. So auch die Vorbeugung.


Vorbewußt (W3) [Adelung]


Der Vorbewußt, des -es, plur. car. der Zustand, da jemand vorher von einer Handlung weiß, ehe sie vollzogen wird, da sie ihm vorher bewußt ist, nur noch mit einigen Vorwörtern in der dritten und vierter Endung. Es ist mit meinem Vorbewußt geschehen, mit meinem Wissen. Etwas ohne jemandes Vorbewußt thun, ohne dessen Wissen. Bey einigen die Bewußtheit.


Vorbey (W3) [Adelung]


Vorbey, ein Nebenwort, die Richtung der Bewegung vor einem Dinge hin und in die Ferne, von demselben weg, zu bezeichnen. 1. Eigentlich dem Orte nach, wo es allen den Zeitwörtern zugesellet wird, welche eine Richtung oder Bewegung bezeichnen. Vorbey gehen, eilen, laufen, fliegen, fließen, schwimmen, segeln, schiffen, reiten, fahren, zielen, schießen u. s. f. Dasjenige Ding, neben welchem die Bewegung hingerichtet ist, und von welcher sie sich zugleich entfernet, bekommt das Vorwort bey noch Ein Mahl. Bey dem Hause vorbey gehen, bey dem Teiche vorbey fahren. Den Dolch in seiner Hand schoß er mit blinder Wuth Bey mit vorbey, Weiße. Oder auch vor mit der dritten Endung, wenn der Begriff des Vordertheiles oder der Gegenwart näher bezeichnet werden soll. Er ging stillschweigend vor mir vorbey. Er trug es vor meinen Augen vorbey. Wir ritten vor dem Hause vorbey. Vor dem Tische vorbey gehen. In einigen figürlichen Arten des Ausdruckes, wo sich ein Nebenbegriff mit einschleicht, stehet die Sache mit Verschweigung des Vorwortes nur in der vierten Endung, so daß vorbey die Gestalt eines Vorwortes bekommt. Bey jemanden vorbey gehen, wird im eigentlichen Verstande gebraucht, aber ihn vorbey gehen, heißt figürlich entweder, ihm auf dem Wege unbesucht lassen, gehen sie unser Haus auf der Reise nicht vorbey; oder auch ihn ungebührlich übergehen. Sich unmittelbar an den Hof wenden, und den gehörigen Richter vorbey gehen, ihn übergehen. So auch jemanden in der Wahl vorbey gehen, ihn übergehen. Ingleichen, ich will diese Sache mit Stillschweigen vorbey gehen, wo doch übergehen edler und üblicher ist. Wo man auch das Hauptwort die Vorbeygehung hat, mit Vorbeygehung des gehörigen Richters. Sehr unschicklich ist es, wenn einige diese Wortführung auch in der eigentlichen Bedeutung des Nebenwortes und des zu ihm gehörigen Zeitwortes nachahmen. Die Armee den See vorbey führen. Die Flotte segelte die Insel vorbey. Was für Bilder gehen da meine Seele vorbey! Dusch. Der Mensch beweiset Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden Traum der Bilder, die seine Sinne vorbey streichen u. s. f. Herd. für vor meiner Seele vorbey, vor seinen Sinnen vorbey. Wäre der Accusativ hier der Natur der Sache gemäß, so müßte man auch umgekehrt im Passivo sagen können: von was für Bildern wird meine Seele vorbey gegangen! seine Sinne werden von Bildern vorbey gestrichen; wie man sagt, er ist in der Wahl vorbey gegangen worden. Zu geschweigen, daß die Auslassung des Vorwortes vor das Bild schwächt und unbestimmt macht. Überhaupt ist die versuchte Versetzung einer R. A. in die passive Form, der wahre Probier-Stein der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Accusativs in der scheinbaren thätigen. Oft wird der Gegenstand, bey oder vor welchem die Bewegung vorbey gehet, ganz verschwiegen, weil derselbe aus dem Zusammenhange deutlich genug ist. Vorbey schießen, nähmlich bey dem Ziele. So auch vorbey zielen, vorbey schlagen, vorbey treten, Die Gelegenheit vorbey gehen lassen, das Glas vorbey gehen lassen, bey sich u. s. f. da es denn oft so viel wie fehl bedeutet; vorbey treten, fehl treten, vorbey schießen, fehl schießen. 2. Figürlich, das Ende einer Zeit oder Dauer zu bezeichnen, am häufigsten im gemeinen Leben, wofür in der edlern Schreibart vorüber gebraucht wird. Der Monath, das Jahr ist vorbey. Die Schmerzen sind vorbey, vorüber, zu Ende. Die große Hitze ist noch nicht vorbey. Wir wollen den Regen erste vorbey lassen. Es ist mit ihm vorbey, er ist verschieden, oder auch, er ist unglücklich, ingleichen, es ist nichts mit ihm zu machen. Mit der Sache ist es vorbey, sie ist abgethan, ingleichen, es ist keine Rechnung mehr darauf zu machen.

Anm. Bey scheinet in dieser Zusammensetzung so viel als weg, hin, zu bedeuten; es kann aber auch seyn, daß vor hier aus ver entstanden ist, oder wenigstens eben dieselbe Bedeutung hat. Unsere ältesten Schriftsteller haben für vorbey nur für und fir: firgein, vorbey gehen, Ottfried; für riten, vorbey reiten, Winsbeck. Dem sey, wie ihm wolle, so ist es, den oben gedachten Gebrauch mit dem Accusativ etwa ausgenommen, ein wahres Nebenwort, daher es mit seinem Zeitworte eben so wenig zusammen gezogen werden darf, als voran, voraus, vorher u. s. f. außer im Infinitiv, wenn beyde zu einem Hauptworte zusammen schmelzen.


Vorbeygehen (W3) [Adelung]


Das Vorbeygehen, plur. car. ein von der R. A. vorbey gehen nur mit dem Vorworte in übliches Wort. Im Vorbeygehen bey jemanden einsprechen, indem man vorbey gehet. So auch figürlich. Einer Sache nur im Vorbeygehen gedenken, neben bey, neben her, nur als eine Nebensache.


Vorbeygehung (W3) [Adelung]


Die Vorbeygehung, plur. inus. welches nur in der figürlichen Bedeutung der Redensart vorbey gehen gebraucht wird, S. Vorbey 1.


Vorbiegen (W3) [Adelung]


Vorbiegen, verb. irreg. act. S. Vorbeugen.


Vorbiethen (W3) [Adelung]


Vorbiethen, Vorgebiethen, verb. irreg. act. ( S. Biethen,) vor Gericht entbiethen, oder zu kommen gebiethen, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort, wofür daselbst das Lat. citieren üblicher ist. S. auch Vorbescheiden und Fürbiether.


Vorbild (W3) [Adelung]


Das Vorbild, des -es, plur. die -er. 1. Ein einem andern zur Nachahmung vorgestelltes Bild, so wohl im eigentlichen Verstande. Gott zeigte dem Moses ein Vorbild von der Hütte. Das Bild, welches der Mahler seinem Lehrlinge zur Nachahmung vormahlet, ist ein eigentliches Vorbild. In weiterer und figürlicher Bedeutung, eine jede einem andern zur Nachahmung vorgestellte Sache. Sehet auf die, die also wandeln, wie ihr uns habt zum Vorbilde, Phil. 3, 17. Sey ein Vorbild den Gläubigen im Wort, im Wandel u. s. f. Tim. 4, 12. Christus hat uns ein Vorbild gelassen, 1 Petr. 2, 21. Es ist in dieser Bedeutung im gemeinen Sprachgebrauche veraltet, oder vielleicht in demselben nie üblich gewesen, indem es nur noch zuweilen in der Büchersprache und der edlern Schreibart vorkommt. Muster, in einigen Fällen, Modell, und in der weitern Bedeutung oft auch Beyspiel sind dafür gangbarer. Der Gegensatz des Vorbildes ist in der eigentlichen Bedeutung Nachbild, welches aber im gemeinen Leben eben so ungewöhnlich ist. Der Mensch das Ebenbild und Nachbild Gottes, wie Gott sein Vorbild. In der Deutschen Bibel kommt dieses Wort in einigen noch ungewöhnlichern figürlichen Bedeutungen vor. Es bedeutet daselbst so wohl eine Vorschrift. Daß ihr nun gehorsam worden dem Vorbilde der Lehre, Röm. 6, 17. Halt an dem Vorbilde der heilsamen Worte, die du von mir gehöret hast, 2 Tim. 1, 13. Als auch ein zur Warnung vorgestelltes Bild, ein Exempel. Das ist aber uns zum Vorbilde geschehen, daß wir uns nicht gelüsten lassen des Bösen, 1 Cor. 10, 6. In einer etwas andern, doch nur in der Theologie üblichen Bedeutung, werden die Begebenheiten und Einrichtungen bey dem Israelitischen Volke, so fern sie darauf abzielten, die Verheißungen von dem Messias zu bestätigen, oder denselben gewisser Maßen abzubilden, Vorbilder genannt, in welchem Falle das Wort dem Gegenbilde oder der dadurch bezeichneten Sache entgegen stehet. So wird die eherne Schlange in der Wüste für ein Vorbild des Kreuzestodes Christi gehalten, welcher alsdann das Gegenbild der selben ist. Vorbild ist in diesem Verstande eine figürliche Vorstellung oder Abbildung einer nachfolgenden oder künftigen Sache, so wie in der ersten ein zur Nachahmung vorgestelltes Bild; so daß in der ersten Bedeutung der Begriff des Ortes, vor Augen bilden, in der zweyten aber der Begriff der Zeit, vorher abbilden, der herrschende ist.

Anm. Man nehme eine Bedeutung, welche man wolle, so muß man einsehen, daß diejenigen sehr irren, welche dieses Wort Fürbild geschrieben wissen wollen, indem keine einzige Bedeutung des Wortes für darauf passet. Es lautet daher schon bey dem Notker Forebild, und im Schwabenspiegel Vorbild. Auch erhellet daraus, daß Urbild und Original noch sehr davon verschieden sind, und daß man diese Wörter nicht als gleich bedeutend mit Vorbild ansehen könne.


Vorbilden (W3) [Adelung]


Vorbilden, verb. reg. act. 1. Im weitesten Verstande, gleichsam vor Augen bilden, wofür doch in den meisten Fällen abbilden gebraucht wird. Einem etwas vorbilden. Im Oberdeutschen gebraucht man es häufig figürlich für vorstellen überhaupt, besonders in engern Verstande, auf eine unrichtige Art vorstellen. Die Gefahr, welche ihnen aus bekannten Absichten vorgebildet worden. Wo es ein gelinder Ausdruck für das härtere Vorspiegeln ist. ( S. dasselbe.) 2. In engerer Bedeutung, als ein Bild, d. i. sinnliche Vorstellung einer künftigen Sache, vorstellen, und ein solches sinnliches Bild davon seyn, gleichsam vorher ab- bilden; besonders in der Theologie. Die eherne Schlange bildete Christum vor, war ein Vorbild desselben. Der Israelitische Gottesdienst war dazu bestimmt, den Messias vorzubilden. 3. * Ein Bild zur Nachahmung vor Augen bilden; eine veraltete Bedeutung, in welcher vorzeichnen, vorreißen, vormahlen u. s. f. üblich sind. Daher die Vorbildung.


Vorbildlich (W3) [Adelung]


Vorbildlich, adj. et adv. welches besonders in der Theologie nur in der zweyten Bedeutung des Wortes Vorbild üblich ist, als ein Vorbild, ein Vorbild enthaltend, darin gegründet. Die vorbildliche Absicht der Jüdischen Kirchengesetze auf Christum. Vorbildliche Ceremonien des Jüdischen Kirchengesetzes. Die Vorbildliche Versöhnung des Jüdischen Volkes durch die Priester des alten Testaments. So auch die Vorbildlichkeit.


Vorbinden (W3) [Adelung]


Vorbinden, verb. reg. act. ( S. Binden.) 1. Bey den Jägern werden bey einem Hauptjagen die Leinen vorgebunden, oder es wird vorgebunden, wenn die Leinen der Tücher an Heftel oder Bäume angebunden werden; im Gegensatze des Nachbindens, wenn die Leinen wieder an das andere Ende des Tuches gebunden werde. 2. Vor sich binden, d. i. vor den Unterleib binden. Jemanden ein Tuch vorbinden, vor dem Unterleib. Eine Schürze vorbinden. Im Hochdeutschen gebraucht man es nur von dem untern Theile des Leibes. Allein in Augsburg ist, dem Feisch zu Folge, der Vorbinder, ein Streif weißer Leinwand, welcher bey den Leichen über das Kinn und den Mund gezogen wird. 3. Einem vorbinden, als ein Neutrum, in der Landwirthschaft, ihm im Binden der Garben in der Ernte zuvor kommen. 4. Einem etwas vorbinden, könnte auch bedeuten, es in jemandes Gegenwart binden, damit er es nachbinden lerne. So auch das Vorbinden.


Vorbitte,Vorbitter (W3) [Adelung]


Die Vorbitte und der Vorbitter, S. Fürbitte und Fürbitter.


Vorblasen (W3) [Adelung]


Vorblasen, verb. irreg. act. ( S. Blasen.) 1. Einem etwas vorblasen, es ihm auf einem Blase-Instrumente vorspielen. 2. Ingleichen in eines andern Gegenwart blasen, damit er nachblasen lerne, zum Muster der Nachahmung blasen. Auch figürlich, ihm zublasen, heimlich vorsagen, was er nachsagen soll. 3. Einem vorblasen, ihm im Blasen zuvor kommen, geschwinder blasen, als er. Daher das Vorblasen.


Vorboth (W3) [Adelung]


* Das Vorboth, des -es, plur. die -e, von dem Zeitworte vorbiethen, ein im Hochdeutschen ungewöhnlich gewordenes Wort, die Vorladung, Citation vor Gericht zu bezeichnen; im Oberdeutschen Fürboth, Fürgeboth, Fürladung, Fürheischung.


Vorbothe (W3) [Adelung]


Der Vorbothe, des -n, plur. die -n, eigentlich ein Bothe, welcher vor dem eigentlichen Bothen oder Bothschafter hergehet, eine Sache vorläufig verkündiget; an den Höfen bey wichtigen Begebenheiten der erste Courier. Man gebraucht es nur noch figürlich von Zeichen, Merkmahlen einer darauf folgenden Begebenheit. Die Schwalben sind die Vorbothen des Frühlinges. Die Vorbothen des Todes stellen sich bereits ein, Sprachlosigkeit, Zuckungen u. s. f. Im Isidor wird das Latein. prophetatus, geweissaget, sehr buchstäblich durch chiforabodot übersetzt.


Vorbramsegel (W3) [Adelung]


Das Vorbramsegel, des -s, plur. ut nom. sing. in der Schifffahrt, das oberste Segel an dem Fockemast, welches sich an der Vorbramstänge, oder dem obersten Aufsatze des Fockemastes befindet. S. Bramstänge.


Vorbringen (W3) [Adelung]


Vorbringen, verb. irreg. act. ( S. Bringen.) 1. * Für hervor bringen, zur Wirklichkeit bringen, eine jetzt veraltete Be- deutung. Was die Erde vorbringet. 2. Aus einem verborgenen oder unbekannten Orte bringen, in die Gegenwart anderer bringen; nur noch zuweilen, für herbey bringen. Das Geld aus dem Kasten vorbringen. Bey dem Ottfried heißt thaz muaz furibrahta so viel, als er setzte das Abendessen auf. 3. Am häufigsten gebraucht man es noch für, durch Worte äußern, besonders ein Verlangen, ein Anliegen, eine Entschuldigung durch Worte äußern. Was hast du vorzubringen, vorzutragen, anzubringen. Er konnte kein Wort vorbringen, heraus bringen. Eine Sache sehr oft vorbringen. Eine Ursache, kahle Entschuldigungen vorbringen. Einem seine Klage vorbringen, wofür doch vortragen, oder seine Klage vor ihn bringen üblicher sind. Die vorgebrachte Entschuldigung, So auch das Vorbringen.

Anm. Bey dem Kero franpringan, bey dem Ottfried frambringan, bey dem Willeram aber schon vurebringan. Auch Notker sagt schon uuort furebringen. Im Oberdeutschen lautet es noch jetzt fürbringen.


Vorbrust (W3) [Adelung]


Die Vorbrust, plur. die -brüste, bey den Fleischern, ein Theil der ganzen Brust an einem ausgeschlachteten Rinde, zum Unterschiede von der Nachbrust.


Vorbühne (W3) [Adelung]


Die Vorbühne, plur. die -n, der vordere Theil der Schaubühne, zum Unterschiede von der Hinterbühne; die Vorderbühne.


Vordach (W3) [Adelung]


Das Vordach, des -es, plur. die -dächer, der vorspringende, über das Gebäude weiter als gewöhnlich hinaus ragende Theil eines Daches.


Vordecke (W3) [Adelung]


* Die Vordecke, plur. die -n, ein Decke vor etwas, ein ungewöhnliches Wort, welches nur Hiob 22, 14 vorkommt. Die Wolken sind seine Vordecke.


Vordem (W3) [Adelung]


Vordem, besser getheilt vor dem, in der vorigen Zeit, vor diesem, ehedem. Er hat mir erzählt, dich habe vor dem die Gegend den besten Sänger genannt, Geßn. Ich habe es schon vor dem gehöret. Der vor dem in fremden Landen, Als ein Doctor ausgestanden, Gell. Da diese Redensart aus einer noch üblichen Präposition mit ihrem Casu bestehet, so ist keine Ursache vorhanden, beyde als Ein Wort zu schreiben. In ehedem ist der Fall anders, weil ehe nicht mehr als eine Präposition gebraucht wird.


Vorder (W3) [Adelung]


Vorder, der, die, das vordere, Superl. vorderste, ein Beywort, was vorn ist, im Gegensatze des hintern. Der vordere Theil des Hauses. Die vordern Zimmer, im Gegensatze des hintern. Überall der vorderste seyn. Das vorderste zu hinters kehren. Die vordern Füße, 2 Marc. 3, 25. Die vordersten Elephanten, Kap. 13, 15. Die vordere Thür.

Anm. Da das r in dem Superlativo vorderste bildet, so erhellet daraus, daß vordere nicht der Comparativ ist, wie fast alle Sprachlehrer behaupten, sondern der Positiv, der vermittelst des adjectivischen e von dem veralteten Nebenworte vorder, für vorn gebildet worden. Das Beywort selbst gehöret unter die mangelhaften, welchen nicht allein der Comparativ, sondern auch die adverbische Form fehlet, statt welcher das Nebenwort vorn gebraucht wird. Nur der Superlativ wird in der Zusammensetzung zuvörderst, vor allen andern, vornehmlich adverbialiter gebraucht. ( S. auch hintere, äußere, obere, innere, untere, welche diesem Beyworte in der Form und dem Gebrauche ähnlich sind.) Es ist ein sehr altes Wort, indem schon Kero die Vorfahren thie Fordroron nennet. Der Superlativ kommt schon bey dem Notker vor, welcher den vornehmsten Geist forderosto geist nennet. Daß dieses Beywort mit einem v, dessen Abkömmling fördern, befördern aber mit einem f geschrieben wird, gehöret zu dem Will- kührlichen in der Sprachen. Übrigens wird dieses Beywort im Positiv gern mit denjenigen Hauptwörtern zusammen gezogen, vor welchen es stehet, in welchem Falle aber die adjectivische Endung wegfällt. Die Vorderthür, das Vorderhaus, die Vorderglieder u. s. f. für die vordere Thür, das vordere Haus, die vordern Glieder. Folgende sind nur einige zur Probe.


Vorderachse (W3) [Adelung]


Die Vorderachse, plur. die -n, die vordere Achse an dem Wagen, zum Unterschiede von der Hinterachse.


Vorderarm (W3) [Adelung]


Der Vorderarm, des -es, plur. die -e, der vordere Theil des Armes von der Handwurzel bis an den Elbogen, der auch der Vorarm genannt wird; beydes zum Unterschiede von dem Hinterarme.


Vorderblech (W3) [Adelung]


Das Vorderblech, des -es, plur. die -e. 1. Das aus dem vordern Theil eines Dinges befindliche Blech, zum Unterschiede von dem Hinterbleche. 2. Auf den Blechhämmern führet eine gewisse Art Blech, welches schwächer als das Kreutzblech ist, und zu allerley Geräthschaften verarbeitet wird, den Nahmen des Vorderbleches, da denn der Plural nur von mehrern Arten oder Quantitäten gebraucht wird.


Vorderbrust (W3) [Adelung]


Die Vorderbrust, plur. inus. der vordere Theil der Brust, zum Unterschiede von den Seiten.


Vorderbug (W3) [Adelung]


Der Vorderbug, des -es, plur. die -büge, der vordere Bug eines Thieres, zum Unterschiede von dem Hinterbuge. S. Bug.


Vorder-Castell (W3) [Adelung]


Das Vorder-Castell, des -es, plur. die -e, das vordere Castell auf einem Schiffe, zum Unterschiede von dem Hinter-Castelle. Sonst auch die Vorpflicht.


Vorderflagge (W3) [Adelung]


Die Vorderflagge, plur. die -n, die Flagge, welche auf dem Bugsvriete auf dem Vordertheile des Schiffes aufgestecket wird, zum Unterschiede von der Hinterflagge.


Vorderfleck (W3) [Adelung]


Der Vorderfleck, des -es, plur. die -e, bey dem Schustern, eine aufgesetzte halbe Sohle auf den vordern Theil eines Schuhes; zum Unterschiede von dem Hinterflecke.


Vorderflügel (W3) [Adelung]


Der Vorderflügel, des -s, plur. ut nom. sing. der vordere Flügel, bey den Insecten, welche mehr als zwey Flügel haben, zum Unterschiede von den Hinterflügeln.


Vorderfuß (W3) [Adelung]


Der Vorderfuß, des -es, plur. die -füße. 1. Die vordern Füße bey den vierfüßigen Thieren. 2. An dem menschlichen Fuße wird der obere Theil des untern Fußes über den Zehen, welcher auch der Oberrist heißt, der Vorderfuß genannt. Beydes im Gegensatze des Hinterfußes.


Vordergebäude (W3) [Adelung]


Das Vordergebäude, des -s, plur. ut nom. sing. der vordere Theil eines Gebäudes, zum Unterschiede von dem Hintergebäude. S. Vorgebäude.


Vordergebirge (W3) [Adelung]


Das Vordergebirge, des -s, plur. ut nom. sing. im Bergbaue, der vordere Theil eines Gebirges, im Gegensatze des Hintergebirges. Bey dem Bergleuten verderbt das Fördergebirge. Das Vorgebirge ist davon noch verschieden.


Vordergehase (W3) [Adelung]


Das Vordergehase, S. Gehäse.


Vordergrund (W3) [Adelung]


Der Vordergrund, des -es, plur. die -gründe, der vordere Grund, zum Unterschiede von dem Hintergrunde. In der Mahlerey ist es der Theil des Grundes zunächst an der Grundlinie. Der Vordergrund der Schaubühne, die Vorderbühne.


Vorderhaar (W3) [Adelung]


Das Vorderhaar, des -es, plur. die -e, ingleichen collective, so wohl im Singular allein, als im Plural, das vordere Haar, an dem Vordertheile befindliches Haar, zum Unterschiede von dem Hinterhaare.


Vorderhand (W3) [Adelung]


Die Vorderhand, plur. inus. der vordere Theil der äußern Hand zunächst an der Handwurzel, Carpus; zum Unterschiede von der Hinterhand und den Fingern. S. Vorhand.


Vorderhaupt (W3) [Adelung]


Das Vorderhaupt, des -es, plur. inus. der vordere Theil des Hauptes oder Kopfes, zum Unterschiede von dem Hinterhaupte; im gemeinen Leben der Vorkopf. S. Vorhaupt.


Vorderhaus (W3) [Adelung]


Das Vorderhaus, des -es, plur. die -häuser, ein vor einem Gebäude aufgeführtes Haus; ingleichen der vordere Theil eines Hauses. Beydes im Gegensatze des Hinterhauses. S. Vorhaus.


Vorderhof (W3) [Adelung]


Der Vorderhof, des -es, plur. die -höfe, der vordere Hof, zum Unterschiede von dem Hinterhofe. S. Vorhof.


Vorderlauf (W3) [Adelung]


Der Vorderlauf, des -es, plur. die -läufe, bey den Jägern der Vorderfuß eines Hirsches und Thieres; zum Unterschiede von den Hinterläufen.


Vorderleder (W3) [Adelung]


Das Vorderleder, des -s, plur. ut nom. sing. das an dem vordern Theile eines Dinges befindliche Leder; zum Unterschiede von dem Hinterleder.


Vordermann (W3) [Adelung]


Der Vordermann, des -es, plur. die -männer, der vordere Mann unter mehrern der Ordnung nach, z. B. bey Truppen, wenn sie in mehrern Reihen stehen; sonst auch der Vormann, zum Unterschiede von dem Hintermanne.


Vordernaht (W3) [Adelung]


Die Vordernaht, plur. die -nähte, die vordere Naht, zum Unterschiede von der Hinternaht.


Vorderrast (W3) [Adelung]


Die Vorderrast, plur. die -en, die vordere Rast an den Schlössern, zum Unterschiede von der Hinterrast. S. Rast.


Vorderschuh (W3) [Adelung]


Der Vorderschuh, des -es, plur. die -e, der vordere Theil des Schuhes an den Stiefeln, d. i. Oberleder; zum Unterschiede von dem Hinterschuhe.


Vordersegel (W3) [Adelung]


Das Vordersegel, des -s, plur. ut nom. sing. die vordern Segeln eines Schiffes, dergleichen die an dem Bugspriete und dem Fockemaste sind; zum Unterschiede von den Hintersegeln.


Vorderspan (W3) [Adelung]


Der Vorderspan, des -es, plur. die -späne, in den Salzhütten, der vorderste Span unter den beyden Sogspänen auf dem Sogbaume; zum Unterschiede von dem Hinterspane.


Vordersporn (W3) [Adelung]


Der Vordersporn, des -es, plur. die -en, bey den Goldplättern, ein kleines eisernes Gerüst, welches die Lahnspule trägt; zum Unterschiede von dem Hintersporne.


Vorderst (W3) [Adelung]


Vorderst, der Superlativ von vorder, S. dieses.


Vorderstab (W3) [Adelung]


Der Vorderstab, des -es, plur. die -stäbe, der vordere Stab, d. i. halbrunde Zierath an dem Mundstücke einer Kanone; zum Unterschiede von dem Hinterstabe.


Vorderstaude (W3) [Adelung]


Die Vorderstaude, plur. die -n, in den Papiermühlen, zwey Stauden, d. i. Pfosten, zwischen welcher das vordere Ende der Schwinge oder des Stiels der Stampfe auf und niedersteigt; zum Unterschiede von der Hinterstaude.


Vordersteven (W3) [Adelung]


Der Vordersteven, des -s, plur. ut nom. sing. der vordere Steven eines Schiffes, d. i. der schief von dem Kiele in die Höhe gehende Balken am Vordertheile, welcher dessen ganze Gestalt bestimmt, auch der Vorsteven; im Gegensatze des Hinterstevens.


Vorderstube (W3) [Adelung]


Die Vorderstube, plur. die -n, die vordere Stube, im Gegensatze der Hinterstube.


Vorderstück (W3) [Adelung]


Das Vorderstück, des -es, plur. die -e, das vordere Stück eines Dinges, oder ein Stück an dem Vordertheile; zum Unterschiede von dem Hinterstücke.


Vorderstudel (W3) [Adelung]


Der Vorderstudel, des -s, plur. ut nom. sing. in den Schlössern, der Studel in dem Vordertheile eines Schlosses, zum Unterschiede von dem Hinterstudel. S. Studel.


Vordertheil (W3) [Adelung]


Das Vordertheil, des -es, plur. die -e, das vordere Theil eines Dinges; zum Unterschiede von dem Hintertheile. Das Vordertheil eines Schiffes, eines Hauses u. s. f.


Vorderthür (W3) [Adelung]


Die Vorderthür, plur. die -en, die vordere Thür oder die Thür an dem Vordertheile des Hauses; zum Unterschiede von der Hinterthür.


Vordertreffen (W3) [Adelung]


Das Vordertreffen, des -s, plur. ut nom. sing. das vordere Treffen, d. i. der vordere Theil eines in Schlachtordnung gestellten Kriegesheeres, der Vortrab, ehedem die Vorhuth, sonst auch die Avant-Garde; zum Unterschiede von dem Hintertreffen.


Vorderviertel (W3) [Adelung]


Das Vorderviertel, des -s, plur. ut nom. sing. das vordere Viertel eines Dinges, z. B. eines geschlachteten Thieres; zum Unterschiede von dem Hinterviertel.


Vorderwage (W3) [Adelung]


Die Vorderwage, plur. die -n, an den Wägen, die vordere Wage, woran die vordern Pferde gespannet werden, im gemeinen Leben die Vorderwacht, sonst auch die Riemwage; zum Unterschiede von der Hinterwage.


Vorderwagen (W3) [Adelung]


Der Vorderwagen, des -s, plur. die -wägen, der vordere Theil eines Wagens; zum Unterschiede von dem Hinterwagen.


Vorderzahn (W3) [Adelung]


Der Vorderzahn, des -es, plur. die -zähne, die vorn im Munde befindlichen Zähne; zum Unterschiede von den Hinterzähnen.


Vorderzange (W3) [Adelung]


Die Vorderzange, plur. die -n, bey den Tischlern, die erste große hölzerne Schraube an einer Hobelbank; zum Unterschiede von der Hinterzange.


Vorderzeug (W3) [Adelung]


Das Vorderzeug, des -es, plur. die -e, das vordere Zeug. An dem Pferdegeschirre wird das Vordergeschirr auch das Vorderzeug genannt. An einem Pferdesattel ist es der Brustriemen mit seinem Zugehör.


Vordrängen (W3) [Adelung]


Vordrängen, verb. reg. act. vorwärts drängen. Jemanden vordrängen. Auch als ein Reciprocum, sich vordrängen. Daher die Vordrängung.


Vordringen (W3) [Adelung]


Vordringen, verb. irreg. neutr. ( S. Dringen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, vorwärts, nach dem vordern Raume zu bringen. Im Oberdeutschen gebraucht man es auch figürlich, die Oberhand bekommen, herrschend werden. Lauter schädliche Grundsätze vordringen lassen. Das Wohl des Reiches seinem eigenen Nutzen weit vordringen lassen. Daher das Vordringen und die Vordringung.


Vordruck (W3) [Adelung]


Der Vordruck, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten oder Quantitäten, die -e, in den Weinländern, Most von dem ersten Drucke, welcher auch Vorschuß heißt; zum Unterschiede von dem Nachdrucke. S. Vorlauf.


Voreid (W3) [Adelung]


Der Voreid, des -es, plur. die -e, an einigen Orten der Eid für die Gefährde, S. Gefährde.


Voreilen (W3) [Adelung]


Voreilen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert. 1. Vorwärts eilen; doch in dieser Bedeutung nur selten. 2. Einem voreilen, ihn in der Geschwindigkeit übertreffen, figürlich, ihm schnell zuvor kommen. Auf diese Weise gehet ein Dichter getreulich der Natur nach, bis dahin, wo er ihr voreilt, Jacobi. Der meinen Wünschen stets durch Liebe vorgeeilt, Weiße.


Voreilig (W3) [Adelung]


Voreilig, -er, -ste, adj. et adv. ungebührlich eilfertig, und darin gegründet, die Regeln der Klugheit in Eilen überschreitend; zuweilen auch vorschnell, im Nieders. frouriep, frühreif. Man ist voreilig, wenn man die rechte Zeit nicht erwarten kann. Eine voreilige Antwort. So auch die Voreiligkeit.


Voreltern (W3) [Adelung]


Die Voreltern, S. Vorältern.


Vorende (W3) [Adelung]


Das Vorende, des -s, plur. die -n, in der Landwirthschaft, das zunächst an den Weg, wo eine Viehtrift ist, stoßende Stück des Feldes, welches ungebauet liegen bleibt.


Vorenthalten (W3) [Adelung]


Vorenthalten, verb. irreg. act. ( S. Halten,) zurück, oder bey sich behalten, was man einem andern zu geben schuldig ist. Jemanden seinen Lohn, ihm etwas von seinem Eigenthume vorenthalten. So auch die Vorenthaltung. Vor hat hier oder die Bedeutung, wie in vorbehalten, oder das Zeitwort bedeutet auch so viel, als vor jemanden zurück behalten; daher es irrig ist, wenn einige es fürenthalten schreiben wollen, indem keine Bedeutung dieses Fürwortes sich dazu schickt. Übrigens wird dieses Zeitwort in den zusammen gesetzten Zeitwörtern häufiger gebraucht, als in den einfachen.


Vorerbe (W3) [Adelung]


Das Vorerbe, des -s, plur. ut nom. sing. ein nur in den Rechten einiger Gegenden übliches Wort, ein jemanden zum voraus vermachtes Erbe oder Erbtheil zu bezeichnen.


Vorerbe (W3) [Adelung]


Der Vorerbe, des -n, plur. die -n, eben daselbst, ein Erbe, welcher ein solches Erbtheil zum Voraus bekommt.


Vorerben (W3) [Adelung]


Vorerben, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, eben daselbst, zum voraus eben.


Vorerinnern (W3) [Adelung]


Vorerinnern, verb. reg. act. vorher erinnern, ein seltenes Wort, so wie Vorerinnerer, Vorerinnerung.


Vorernte (W3) [Adelung]


Die Vorernte, plur. die -n, in der Landwirthschaft, der Anfang der Ernte, die ersten Tage in derselben; im Gegensatze der Nachernte.


Vorerst (W3) [Adelung]


Vorerst, ein Nebenwort der Ordnung, zuvörderst vor allen andern Dingen zuerst. Ich will vorerst zu unsern Freunden gehen. Es kommt in der vertraulichen Sprechart am häufigsten vor, und kann so wohl eine Zusammenziehung, als auch eine Figur von der R. A. für das erste, was des erste betrifft, zum ersten, seyn; daher es auch von einigen fürerst geschrieben wird. S. Für II, 4.


Vorerwählen (W3) [Adelung]


Vorerwählen, verb. reg. act. vorher erwählen, oder auch vor andern erwählen. Vorerwählte Zeugen von Gott, Apost. 10, 14. Ihr vorerwählten Gerechte, Klopst. So auch die Vorerwählung, womit auch zuweilen die Prädestination, Vorherbestimmung der reformierten Kirche, ausgedruckt wird.


Vorerwähnt (W3) [Adelung]


Vorerwähnt, adj. et adv. im vorigen erwähnt; am häufigsten in den Kanzelleyen, wo man auch wohl das Zeitwort vorerwähnen, und das Hauptwort die Vorerwähnung gebraucht.


Voressen (W3) [Adelung]


Das Voressen, des -s, plur. ut nom. sing. ein Essen, d. i. ein Gericht, welches gleich nach der Suppe vor einem der Hauptgerichte aufgetragen wird, und von Vorkost noch verschieden ist. S. Vorgericht.


Voressen (W3) [Adelung]


Voressen, verb. irreg. et neutr. ( S. Essen,) welches als ein Neutrum das Hülfswort haben bekommt. 1. Als ein Neutrum. (1) Einem voressen, in seiner Gegenwart zum Muster der Nachahmung essen. (2) Einem voressen, ihm im vielen oder geschwinden Essen übertreffen, ihm im Essen zuvor kommen. 2. Als ein Activum, vorher essen, ingleichen vorweg essen, am häufigsten im Mittelworte und Infinitiv. Vorgegessenes Brot, alles, was man zu seiner Nothdurft von seinem künftigen Verdienste vorweg nimmt, als Vorschuß nimmt.


Vorfahr (W3) [Adelung]


Der Vorfahr, des -s, plur. die -en. 1. Der vor uns in unserm Amte oder in unserm gegenwärtigen Verhältnisse gewesen, er lebe noch, oder sey bereits gestorben; in welchem Falle man auch wohl, obgleich seltener, im Weiblichen Geschlechte Vorfahrinn gebraucht. Mein Vorfahr in dem Amte. Der Vorgänger, Vorweser, im Nieders. Vorsate. 2. Personen, welche vor und gelebt haben, im Gegensatze der Nachkommen, ehedem der Nachfahrer, in welcher Bedeutung es nur im Plural gebraucht wird. Gott hat dieß Reich uns und unsern Vorfahrern gegeben, St. Esth. 6, 10. Wie es ihre Vorfahren gehalten, 2 Marc. 11, 25. Vorältern sind unsere Vorfahren, so fern wir von ihnen abstammen.

Anm. Es ist von dem Zeitworte fahren, welches unter andern ehedem auch leben bedeutete, und diese Bedeutung scheinet auch in diesem Worte Statt zu finden, so das Vorfahr überhaupt jemanden bedeutet, der vor uns gewesen ist, es sey nun in einem Amte oder in dem Leben. ( S. 3 Fahren.) Wachter und andere legen in der zweyten Bedeutung ein Zeitwort fahren, zeugen zum Grunde, und erklären Vorfahren durch Vorältern. Allein, theils ist diese Erklärung wider den Sprachgebrauch, theils ist auch das Zeitwort fahren, zeugen, selbst so ausgemacht noch nicht. Über dieß schickt sich diese Bedeutung zu dem noch nicht ganz veralteten Gegensatze, Nachfahrer, nicht. Fahr stehet in beyden Bedeutungen für Fahrer, und der ersten lautet das Wort in einigen Gegenden ausdrücklich Vorfahrer. Übrigens heißen die Vorfahren in der zweyten Bedeutung im Isidor, bey dem Willeram, Notker u. s. f. Fordhron, Vorderon, Forderen, die Vordern, im neunten Jahrhunderte in der Fränkischen Mundart Forunsergiborana, vor uns geboren, in der Österreichischen Mundart noch jetzt Vorfordern, Altvordern. So fern die Vorfahren zugleich Ahnen oder Vorältern sind, heißen sie bey dem Ottfried Altmaga, und im Angels. Forefathers, Forthfaederar, Holländ. Veurvaeders. Das Wort Vorfahr kommt in dem Deutschen Livius 1514 vor.


Vorfahren (W3) [Adelung]


Vorfahren, verb. irreg. neutr. ( S. Fahren,) welches das Hülfswort seyn erfordert. 1. Einem vorfahren, ihm in geschwinden Fahren zuvor kommen. 2. Den Wagen vorfahren lassen, ihn vor die Hausthür oder vor den Thorweg fahren lassen. Daher das Vorfahren.


Vorfall (W3) [Adelung]


Der Vorfall, des -es, plur. die -fälle, von dem folgenden Zeitworte. 1. Was dem Orte nach vor ein anderes Ding fällt. In diesem Verstande gebraucht man es vornehmlich in der Medicin, wo der Vorfall derjenige Fehler der Bärmutter ist, wenn sie aus Erschlaffung ihrer Bänder oder der Mutterscheide in die letztere hinunter sinkt; der Mutterbruch, Procidentia oder Prolapsus uteri. 2. Eine jede unvermuthete Begebenheit, sie sey von welcher Art sie wolle, gleichsam etwas, was uns unvermuthet in den Weg fällt, wo es am häufigsten von kleinen, unerheblichen Begebenheiten dieser Art gebraucht wird; dagegen Zufall auch von wichtigern gebraucht wird. Ist wohl ein Vorfall in der Welt, welcher nicht in Ansehung Gottes für nichts zu rechnen sey? Ich habe einen unangenehmen Vorfall gehabt. Alle diese Vorfälle machten, daß ich ihm nicht mehr trauete. So auch Vorfallenheit und Vorgang.


Vorfallen (W3) [Adelung]


Vorfallen, verb. irreg. neutr. ( S. Fallen,) welches das Hülfswort seyn erfordert. 1. Vor ein anderes Ding, dem Orte nach fallen. So könnte man sagen, eine Fallthür vorfallen lassen, vor die Öffnung. 2. Unvermuthet geschehen, sich begeben, sich zutragen; am häufigsten von menschlichen Veränderungen und unerwarteten Begebenheiten, gleichsam uns in den Weg fallen, begegnen, aufstoßen. Es ist mir ein Hinderniß vorgefallen. Ist nichts neues vorgefallen? Wenn mir eine gute Gelegenheit vorfallen sollte. Bey vorfallender Gelegenheit. Bey Tische fiel nichts erhebliches vor. Wenn keine wichtigen Geschäfte vorfallen. Im Kriege fällt dergleichen gar oft vor. Sei Abrast im Hause ist, fallen zwischen ihm und Julianen dann und wann Blicke vor, Less. Siehe auch Vorgehen.


Vorfallenheit (W3) [Adelung]


Die Vorfallenheit, plur. die -en, welches zuweilen, obgleich ohne Noth, für Vorfall 2 gebraucht wird, eine jede zufällige, besonders menschliche Begebenheit zu bezeichnen.


Vorfechten (W3) [Adelung]


Vorfechten, verb. irreg. neutr. ( S. Fechten,) mit dem Hülfsworte haben. 1. Einem vorfechten, in seiner Gegenwart zum Muster der Nachahmung fechten, damit er nachfechten lerne. 2. Einem vorfechten, ihn im Fechten übertreffen.


Vorfechter (W3) [Adelung]


Der Vorfechter, des -s, plur. ut nom. sing. von vorfechten 1. auf dem Fechtboden, derjenige, der unter Aufsicht des Fechtmeisters im Fechten Unterricht gibt, eigentlich andern vorficht, in ihrer Gegenwart zum Muster der Nachahmung ficht; daher es von einigen irrig Fürfechter geschrieben und gesprochen wird. Vorvechte schon bey dem Strycker.


Vorfest (W3) [Adelung]


Das Vorfest, des -es, plur. die -e, an einigen Orten, der Abend vor einem Feste, der Festabend, im gemeinen Leben der heilige Abend.


Vorfeile (W3) [Adelung]


Die Vorfeile, plur. die -n, bey den Schlössern, eine Art Feilen, welche nach den gröbern Armfeilen und vor den feinern Schlichtfeilen gebraucht werden.


Vorfiedeln (W3) [Adelung]


Vorfiedeln, verb. reg. act. Einem etwas vorfiedeln, es ihm auf der Fiedel vorspielen.


Vorfinden (W3) [Adelung]


Vorfinden, verb. irreg. act. ( S. Finden,) vor sich finden, bey seiner Ankunft gegenwärtig finden. Bey seiner Ankunft viele Geschäfte vorfinden.


Vorflöße (W3) [Adelung]


Die Vorflöße, plur. car. das Recht, sein Holz auf einem Flusse vor andern, oder eher als andere, fortzuflößen. Zwickau hat die Vorflöße auf der Mulde vor Schneeberg.


Vorfluth (W3) [Adelung]


Die Vorfluth, plur. die -en, 1. Der erste Anlauf der Fluth, oder das erste Wasser, welches mit einer Fluth kommt; Nieders. Vörflood. 2. In Schlesien und andern Gegenden scheinet es auch die Ableitung dieser Vorfluth zu bezeichnen. Alle unterwärts liegende Herrschaften sollen sich nicht weigern, die Gräben durch ihre Gründe zu fahren, und solcher Gestalt die Vorfluth zu machen.


Vorfordern (W3) [Adelung]


Vorfordern, verb. reg. act. vor sich oder vor einen andern fordern, besonders vor Gericht fordern: vorladen, ehedem vorbiethen, vorheischen. Jemanden vorfordern lassen. Daher die Vorforderung.


Vorfrage (W3) [Adelung]


Die Vorfrage, plur. die -n, die vorläufige Frage.


Vorfröhner (W3) [Adelung]


Der Vorfröhner, des -s, plur. ut nom. sing. von fröhnen, die Execution verhängen, ein nur in einigen Gegenden übliches Wort, den vornehmsten Ständiger bey einer Schuldklage zu bezeichnen, welcher im Nahmen aller um die gerichtliche Hülfe ansucht; an andern Orten der Vormann.


Vorführen (W3) [Adelung]


Vorführen, verb. reg. act. vor jemanden führen. Einen Verbrecher vorführen lassen, vor Gericht, vor sich. Sich ein Pferd vorführen lassen, es zu besichtigen. In einem andern Verstande läßt man ein Reitpferd vorführen, wenn man es vor die Thür führen lässet, um sich darauf zu setzen. So auch die Vorführung.


Vorgang (W3) [Adelung]


Der Vorgang, des -es, plur. die -gänge, von vorgehen. 1. Die Handlung des Vorgehens. (1) Die Handlung, da man vor einem andern, eher als er gehet, und das Recht, ihm der Ordnung nach vorzugehen, ohne Plural; der Vortritt. Den Vorgang vor jemanden haben. Sich um den Vorgang streiten. Christus hat in allen Dingen den Vorgang, Col. 1, 18; wo es in nicht so üblichen weiterm Verstande für Vorzug überhaupt gebraucht wird. (2) In Oberdeutschland wird der Kirchgang der Sechswöchnerinnen, der Vorgang oder Hervorgang genannt, weil sie alsdann zum ersten Mahle wieder hervor, d. i. unter das Publicum, gehen. (3) Die Handlung, da man jemanden zum Muster der Nachahmung vorgehet, d. i. in seiner Gegenwart gehet; da denn Vorgang oft für Beyspiel, Muster, überhaupt gebraucht wird. Nach deinem Vorgange, Beyspiele. Sich nach jemandes Vorgange richten. 2. Dasjenige, was vorgehet. (1) Dem Orte nach. So werden in einigen Gegenden, z. B. am Niederrheine, dem Frisch zu Folge, die Waldgränzen Vorgänge genannt. (2) Bey dem Destillieren des Branntweines ist der Vorgang, ohne Plural, dasjenige, was zuerst übergehet. ( S. Vorlauf.) (3) Was vorgehet, eine Begebenheit, ohne zu bestimmen, ob sie wichtig oder nicht, schädlich oder nützlich u. s. f. ist. Es unterscheidet sich dadurch von Vorfall, daß dieses eigentlich von plötzlich sich ereignenden Umständen, Vorgang aber ohne diesen Nebenbegriff und nur von Begebenheiten gebraucht wird. Es ist dieser ohne Zweifel eine Figur des Hervorgehens. Ein angenehmer, unangenehmer Vorgang. Ein trauriger Vorgang. Ehedem bedeutete Vorgang und in der Oberdeutschen Mundart Fürgang auch eine Beförderung, promotio, in welchem Verstande es noch in dem 1514 gedruckten Deutschen Livius vorkommt.


Vorgänger (W3) [Adelung]


Der Vorgänger, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorgängerinn. 1. Eigentlich, eine Person, welche voran, vor andern her gehet. Judas war ein Vorgänger derer, die Jesum fingen, Apost. 1, 16; d. i. ein Anführer. In dieser eigentlichen Bedeutung wird es wenig mehr gebraucht, wohl aber, 2. in einigen figürlichen. (1) Eine Person, welche etwas vor uns gethan hat, und uns dadurch zum Muster der Nachahmung, zum Beyspiel dienet. Auch hierin hat die Kunst die Natur zur Vorgängerinn. Ich habe in dieser Sache keinen Vorgänger, es hat sie noch niemand vor mir gethan. (2) Im weitern Verstande, eine Person, welche vor uns in einem Amte, in einer Verbindung gewesen ist, wie Vorfahr, Antecessor.


Vorgängig (W3) [Adelung]


Vorgängig, adj. et adv. welches von einer veralteten Bedeutung des Hauptwortes Vorgang nur im Oberdeutschen und in den Hochdeutschen Kanzelleyen für vorläufig gebraucht wird. Ein vorgängiger, vorläufiger, Bericht. Etwas vorgängig berichten, vorläufig.


Vorgaukeln (W3) [Adelung]


Vorgaukeln, verb. reg. act. Einem etwas vorgaukeln, es als eine Gaukeley in dessen Gegenwart vornehmen.


Vorgebäude (W3) [Adelung]


Das Vorgebäude, des -s, plur. ut nom. sing. das vor einem andern Gebäude befindliche Gebäude, dagegen Vordergebäude auch den vordern Theil eines Gebäudes bezeichnet.


Vorgeben (W3) [Adelung]


Vorgeben, verb. irreg. act. ( S. Geben,) welches nach Maßgebung der Partikel vor in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. 1. Von vor, eher, der Zeit nach, wäre vorgeben, eher geben, im Gegensatze des nachgeben; welche Bedeutung aber wenig vorkommt, obgleich Frisch dieselbe anführet. 2. Von vor, voraus, gibt man in verschiedenen Spielen, z. B. dem Billard-Spiele, jemanden einen, zwey, drey Points vor, wenn man einem schwächern Spieler selbige voraus gibt, ihn von zwey, drey u. s. f. zählen lässet, da man selbst von eins an zählet. 3. Von vor, so fern es dem Orte nach von einem andern Dinge bedeutet. (1) Wir Vorlegen. Dem Viehe Futter vorgeben, vorlegen. Das Gesetz, das ich ihnen vorgegeben habe, verlassen sie, Jer. 9, 13; vorgeleget. In dieser Bedeutung wird es wenig mehr gebraucht. Daß ihr ob den Glauben kämpfet, der einmahl den Heiligen vorgegeben ist, Br. Jud. v. 3. (2) Im engern Verstande, zu thun vorlegen; wofür doch aufgeben üblicher ist. Jemanden etwas zu thun vorgeben. Er weiß allerley Dinge künstlich zu machen, welche man ihm vorgibt, 2 Chron. 2, 14. Manche wollen es in dieser Bedeutung fürgeben, geschrieben wissen, welches aber irrig ist, indem vor hier unläugbar den Begriff des Ortes hat. 4. Hervor geben, doch nur in figürlicher Bedeutung des Zeitwortes geben, andern durch Worte merklich machen, behaupten, sagen, äußern. (1) * Überhaupt, in welchem Verstande es doch veraltet ist. Was gilts, ob meine Zunge Unrecht habe, und mein Mund Böses vorgebe, Hiob 6, 30. Ihr haltet euch alle für klug, warum gebet ihr denn solche unnütze Dinge vor? Kap. 27, 12. Darum gibt Hiob stolze Theidinge vor mit Unverstand, Kap. 35, 16. Wo es überall so viel als vorbringen, bedeutet. (2) In einigen engern Bedeutungen, in welchen es den Nebenbegriff des ungegründeten hat. (a) Etwas ungegründetes behaupten, oder doch etwas behaupten, woran man zu zweifeln Ursache hat. Der Gerechte, sprechen die Gottlosen, gibt vor, daß er Gott kenne, Weish. 2, 13. Sie geben vor, man müsse allenthalben Gewinnst suchen, Weis. 15, 12. Theudas gab vor, er wäre etwas, Apost. 5, 36. Der Widerwärtige gibt vor, er sey Gott, 2 Thess. 2, 4. Jetzt gibt er bey meiner Nichte Heirathens vor, Weiße; welche Wortführung mit der zweyten Endung doch nur in einigen gemeinen Mundarten üblich ist. (b) Im noch engern Verstande, etwas, das nicht ist, als eine Ursache, eine Entschuldigung, anführen; wie vorwenden, vorschützen. Eine Krankheit vorgeben. Es wird in dieser ganzen vierten Bedeutung von einigen gleichfalls fürgeben geschrieben und gesprochen, als wenn hier der Begriff des anstatt der herrschende wäre; allein es ist wahrscheinlicher, daß vor hier für hervor stehet, welche Bedeutung auch in vorbringen, vorwenden, vorschützen u. s. f. herrschet.


Vorgeben (W3) [Adelung]


Das Vorgeben, des -s, plur. ut nom. sing. 1. Die Handlung des vorigen Zeitwortes in allen seinen Bedeutungen, und ohne Plural. 2. In der letzten vierten Bedeutung ist es auch eine behauptete ungegründete Sache. Ein Vorgeben widerlegen. Alle diese Vorgeben heißen nichts.


Vorgebiethen (W3) [Adelung]


* Vorgebiethen, verb. irreg. act. ( S. Biethen,) welches so wie vorbiethen nur im Oberdeutschen für vorfordern, vorladen üblich ist.


Vorgebirge (W3) [Adelung]


Das Vorgebirge, des -s, plur. ut nom. sing. 1. Der vordere Theil eines Gebirges, wo sich der Boden von einer Ebene zu erheben anfängt. Auf dieses folgt das Mittelgebirge, und auf dieses das hohe Gebirge, auf der andern Seite nimmt ein Gebirge wieder eben so ab, wie es auf der einen zugenommen hatte; daher auch eben dieselben Nahmen bleiben. 2. Derjenige Thril des festen Landes, welcher sich auf eine beträchtliche Weite in das Meer erstreckt, das Cap; wo es eine buchstäbliche Übersetzung des Latein. Promontorium ist, obgleich nicht ein jedes Vorgebirge aus Bergen bestehet. Die Schwedische, Isländische und Englische Sprache sind sehr reich an Wörtern, Vorgebirge von allen Arten und Gestalten mit einigen Nahmen zu belegen. Die Niedersachsen nennen ein Vorgebirge Hösd.


Vorgefaßt (W3) [Adelung]


Vorgefaßt, adj. et adv. welches eigentlich das Mittelwort des ungewöhnlichen Zeitwortes vorfassen ist. Eine vorgefaßte Meinung, eine Meinung, welche man angenommen, ehe man noch ihre Richtigkeit untersucht hat, ein Vorurtheil. So auch, eine vorgefaßte Liebe u. s. f. Es ist nach dem Latein. praeceptus, praeconceptus, gebildet.


Vorgefühl (W3) [Adelung]


Das Vorgefühl, des -es, plur. die -e, das vorläufige, vorhergehende Gefühl einer künftigen Sache. Das Vorgefühl der Thiere bey Änderung des Wetters. Das dunkele Gefühl seines Schicksales.


Vorgegessen (W3) [Adelung]


Vorgegessen, adj. S. Voressen.


Vorgehen (W3) [Adelung]


Vorgehen, verb. irreg. neutr. ( S. Gehen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, und nach Maßgebung der Partikel vor in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. 1. Von vor, vor einem andern, eher als derselbe. (1) Einem vorgehen, der Ordnung nach eher gehen, den Vorgang vor ihm haben, voran gehen. Das Volk, das vorging, Pred. 4, 16, Math. 21, 9. Am häufigsten mit der dritten Endung der Person. Einer will dem andern vorgehen. Er ging allen vor. Ingleichen figürlich, den Vorzug haben, an Wichtigkeit übertreffen. Pflichten müssen den Übungen vorgehen, den Vorzug vor ihnen haben. (2) Einem vorgehen, ihn im geschwinden Gehen übertreffen, ihm im Gehen zuvor kommen. (3) Zum Muster der Nachahmung in jemandes Gegenwart gehen; im Gegensatze des nachgehen. Einem vorgehen. Ingleichen figürlich. Andern mit einem guten Exempel vorgehen. Ich war in allen Dingen fröhlich, das machet, die Weisheit ging mir in denselbigen vor, Weish. 7, 12. 2. An der vordern Seite eines Dinges gehen; ein ungewöhnliche Bedeutung, in welcher man nur im figürlichen Verstande sagt, das gehet mir vor; wohl eigentlich, das schwebt dunkel vor meiner Seele. Das ist mit lange vorgegangen, hat mir lange geahndet. Dem guten Herrn ging wohl vor, was geschehen ist. 3. Hervor gehen, wiederum in verschiedenen Fällen. (1) Vorragen, ein anderes Ding an horizontaler Ausdehnung übertreffen, vorragen; wo es entweder absolute gebraucht wird. Das Futter des Kleides geht vor. Oder mit dem wiederhohlten Vorworte. Das Futter gehet vor dem Oberzeuge vor. Das Dach gehet eine Elle vor der Mauer vor. Mit der dritten Endung, das Dach gehet die Mauer vor, ist es hier ungewöhnlich. (2) * Unter die Leute, in das Publicum gehen; eine ungewöhnliche Bedeutung, in welchem Verstande man nur noch im Oberdeutschen sagt, eine Kindbetterinn gehe vor oder hervor, wenn sie nach zurück gelegten sechs Wochen das erste Mahl wieder öffentlich zur Kirche gehet. ( S. Vorgang und Kirchgang.) (3) Sich als eine Veränderung ereignen, zutragen, geschehen; fast wie vorfallen. Was ist vorgegangen? was ist geschehen? Ist nichts neues vorgegangen? Über der Tafel ging nichts merkwürdiges vor, Gell. Die Erhaltung der Geschöpfe gehet durch eine beständige Folge von innern Veränderungen derselben vor. Ich habe es lange an ihren Mienen gemerkt, was in ihrem Herzen vorgeht, Gell. Ich hätte nicht gedacht, daß mir noch so viel daran liegt, zu wissen, was in der Welt vorgeht, Weiße. Daher das Vorgehen, doch nur in einigen wenigen Bedeutungen; z. B. das Vorgehen des Futters, vor dem Oberzuge. In andern ist der Vorgang üblicher.


Vorgeher (W3) [Adelung]


Der Vorgeher, des -s, plur. ut nom. sing. ein nur in einigen Gegenden, z. B. zu Nürnberg, übliches Wort, wo die Geschwornen der Bierbrauerinnung diesen Nahmen führen. Vielleicht so viel wie Vorsteher.


Vorgeld (W3) [Adelung]


Das Vorgeld, des -es, plur. car. auch nur an einigen Orten, ein Nahme, welchen daselbst das Einstandsrecht oder Näherrecht führet. Geld ist in dieser Zusammensetzung nicht pecunia, sondern so viel als Geltung, indem dieses Recht an andern Orten auch die Nähergeltung heißt.


Vorgemeldet (W3) [Adelung]


Vorgemeldet, adj. welches eigentlich das Mittelwort das ungewöhnlichen Zeitwortes vormelden ist, im vorigen gemeldet, vorher gemeldet.


Vorgenannt (W3) [Adelung]


Vorgenannt, adj. gleichfalls von dem ungewöhnlichen Zeitworte vornennen, im vorigen genannt. Die vorgenannte Person. Beyde Wörter sind in den Kanzelleyen am üblichsten.


Vorgericht (W3) [Adelung]


Das Vorgericht, des -es, plur. die -e. 1. Ein Gericht, welches nach der Suppe vor einem der Hauptgerichte aufgetragen wird, ( S. Voressen.) 2. Ein Gericht, Judicium, welches vor einem Hauptgerichte gehalten wird.


Vorgeschmack (W3) [Adelung]


Der Vorgeschmack, S. Vorschmack.


Vorgesetzt (W3) [Adelung]


Vorgesetzt, S. Vorsetzen.


Vorgesperr (W3) [Adelung]


Das Vorgesperr, des -es, plur. die -e, an den Deutschen Cassen-Schlössern, der Deckel, welcher das Schlüsselloch verbirgt, und auf eine geheime Art geöffnet wird.


Vorgestern (W3) [Adelung]


Vorgestern, ein Nebenwort der Zeit, den Tag vor dem gestrigen zu bezeichnen, ehegestern. Ich sah ihn vorgestern. Schwedisch förgär, Dän. förgaars. Daher vorgestrig, adj. was vorgestern war oder geschahe, welches doch in der vertraulichen Sprechart am üblichsten ist. Der vorgestrige Schmaus.


Vorgethan (W3) [Adelung]


Vorgethan, S. Vorthun.


Vorgewächs (W3) [Adelung]


Das Vorgewächs, des -es, plur. inus. in der Bienenzucht einiger Gegenden, der Vorstoß, ( S. dieses Wort.) Gewächs ist hier das sonst ungewöhnliche Collectivum von Wachs.


Vorgiebel (W3) [Adelung]


Der Vorgiebel, des -s, plur. ut nom. sing. ein Giebel an dem vordern Theile eines Gebäudes, zum Unterschiede von dem Seitengiebel und Hintergiebel.


Vorglänzen (W3) [Adelung]


Vorglänzen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben. 1. Mit seinem Glanze andere um sich glänzende Dinge übertreffen. Der Diamant glänzet in einem Ringe unter allen übrigen Edelsteinen vor. 2. In jemandes Gegenwart zum Beyspiel der Nachahmung glänzen, doch nur im figürlichen Verstande. Jemanden mit seinem Beyspiele vorglänzen, im hohen Grade vorleuchten.


Vorgraben (W3) [Adelung]


Der Vorgraben, des -s, plur. die -gräben, ein Graben vor einem Dinge; besonders im Festungsbaue, der Graben vor dem Glacis, Franz. Avant fosse.


Vorgreifen (W3) [Adelung]


Vorgreifen, verb. irreg. neutr. ( S. Greifen,) welches das Hülfswort haben erfordert, und nur in einigen figürlichen Bedeutungen gebraucht wird. 1. Einem vorgreifen, etwas eigenmächtig thun, was dem andern zu thun gebührete. Jemanden in seinem Amte vorgreifen, etwas eigenmächtig thun, was doch zu dem Amte des andern gehöret. Man greift Gott in seinem Urtheile vor, wenn man über Dinge urtheilet, die nur Gott beurtheilen kann und darf. Daher das in den Kanzelleyen so häufige unvorgreiflich. 2. In der Jägerey wird dieses Wort in mehr als einer Bedeutung gebraucht. (a) Der Hirsch hat vorgegriffen, wenn er sich übereilet hat. (b) Ein Gehölz vorläufig durchsuchen, es geschehe nun mit dem Leithunde, oder ohne denselben. Den Leithund vorgreifen lassen. (c) Wenn der Leithund die Fährte verloren hat, und man läßt ihn selbige wieder suchen und finden, so heißt solches gleichfalls den Leithund vorgreifen lassen. In den beyden letztern Fällen ist dafür auch vorschlagen üblich. Daher die Vorgreifung in der ersten, und das Vorgreifen in der letztern Bedeutung. Der Vorgriff wird von einigen gleichfalls in der ersten Bedeutung gebraucht, ob es gleich im Hochdeutschen nur selten gehöret wird.


Vorgrund (W3) [Adelung]


Der Vorgrund, des -es, plur. die -gründe, bey einigen, wie Vordergrund, S. dasselbe.


Vorhaben (W3) [Adelung]


Vorhaben, verb. irreg. act. ( S. Haben,) vor sich haben. 1. Eigentlich, etwas als ein Kleidungsstück vor dem Leibe, besonders vor dem untern Theil des Leibes, haben, doch nur im gemeinen Leben. Eine Schürze vorhaben, damit bekleidet seyn. 2. Figürlich. (1) Jemanden vorhaben, im gemeinen Leben, ihn vor sich haben, entweder ihm einen Verweis zu geben, oder ihn zu examinieren; in welchem Verstande man auch vornehmen sagt. (2) In weiterer und gewöhnlicherer Bedeutung hat man etwas vor, wenn man eine beschlossene Sache auszuführen sucht, mit den Anstalten zur Ausführung beschäftiget ist; wodurch es sich von vornehmen und vorsetzen unterscheidet, welche auf die bloße Verschließung oder Entschließung gehen. Böses vorhaben, 2 Mos. 10, 10. Der Herr hat gethan, was er vorhatte, Klag. 2, 17. Den Zug, den Nikanor vorhatte, 2 Marc. 8, 12. Nachdem ich vorhatte euch zu schreiben, Br. Jud. v. 3. Etwas wichtiges vorhaben. Eine Reise vorhaben. Die vorhabende Reise, das vorhabende Geschäft, für das Geschäft, welches man vorhat, ist ein Oberdeutscher Sprachfehler, welcher wider den Gebrauch der thätigen Mittelwörter streitet. Zuweilen bedeutet dieses Zeitwort auch überhaupt, im Sinne haben, beschlossen haben, auch von einer künftigen Sache, deren Ausführung noch entfernt ist. Darf ich nicht wissen, was sie mit ihr vorhaben? Gell. Was sie in Ansehung ihrer beschlossen haben? Indessen wir dieses ganze Zeitwort am häufigsten in der vertraulichen Sprechart gebraucht; in der edlern und von wichtigen Dingen kommt es seltener vor. Vor hat hier seine eigenthümliche Bedeutung, so wohl des Ortes, als der Zeit, daher es sehr unschicklich ist, wenn einige Kunstrichter es in dieser letzten Bedeutung fürhaben geschrieben wissen wollen. Obgleich dieses Zeitwort als ein wahres Activum mit der vierten Endung verbunden wird, so ist es doch, so wie haben und seine meisten Zusammensetzungen, im Passivo nicht üblich.


Vorhaben (W3) [Adelung]


Das Vorhaben, des -s, plur. ut nom. sing. die beschlossene Sache, mit deren Ausführung oder Bewerkstelligung man umgehet. Jemandes Vorhaben billigen, hindern u. s. f. Von seinem Vorhaben abstehen. Sein Vorhaben ändern. Auf seinem Vorhaben bestehen. Um wieder auf mein Vorhaben zu kommen. Sein böses Vorhaben ist an den Tag gekommen. Sein Vorhaben in das Werk richten. Die Wortfügungen mit der zweyten Endung, Vorhabens seyn, Willens seyn, und Vorhabens werden, sich entschließen, sind im Oberdeutschen üblicher, als im Hochdeutschen, weichen auch von der gewöhnlichsten Bedeutung des Hauptwortes ab, indem sie mehr auf den Entschluß, als auf die beschlossene Sache gehen. Der Plural die Vorhaben ist zwar der Sache vollkommen gemäß aber auch nicht so üblich.


Vorhalten (W3) [Adelung]


Vorhalten, verb. reg. act. ( S. Halten.) 1. * Was einem andern gehöret, auf unbillige Art zurück behalten; eine veraltete Bedeutung, in welcher jetzt vorenthalten üblich ist. Jemanden seinen verdienten Lohn vorhalten, Tob. 4, 15. 2. Vor einem andern Dinge halten, d. i. in einiger Entfernung vor demselben. In diesem Verstande hält man mit einem Schießgewehre vor, wenn man auf ein im Laufe oder Fluge befindliches Thier anschlägt, und in einiger Entfernung vor demselben zielet, da es denn in den Schuß fährt; dagegen, wenn man dasselbe voll nimmt, der Schuß leicht hinter dasselbe fährt, oder es im Hintertheile verwundet. 3. Ohne den Begriff der Entfernung, überhaupt vor einem andern Dinge, vor dem Vordertheile desselben halten. (1) Eigentlich. Jemanden einen Spiegel, ihm das Licht, ein Buch vorhalten. Einem Schweine den Spieß vorhalten. Ingleichen absolute und elliptisch. Die Hand vorhalten, vor das Gesicht. In engerer Bedeutung, zur Darreichung vorhalten; doch nur noch im gemeinen Leben. Der jedermann vorhält den Glauben, Apost. 18, 31. (2) Figürlich, vorstellen, vorstellig machen. Bin ich denn also euer Feind worden, daß ich euch die Wahrheit verhalte? Gal. 4, 16. Besonders in engerer Bedeutung, jemanden an sein Versprechen erinnern. Mein Herz hält dir vor dein Wort, Ps. 27, 8. Noch häufiger, jemanden sein Vergehen vorstellen, ihm eine anschauende Erkenntniß desselben beybringen. Jemanden sein Vergehen, seine Fehler vorhalten. Ich will es ihm vorhalten. S. auch Vorrücken und Vorwerfen. Daher das Vorhalten und die Vorhaltung. Aber jemanden Vorhaltung thun, in des letzten figürlichen Bedeutung, wird nur in den Kanzelleyen und im gemeinen Leben gebraucht.


Vorhand (W3) [Adelung]


Die Vorhand, plur. die -hände, 1. Der vordere Theil der Hand, die Vorderhand, ( S. dieses.) 2. Bey den Pferdegelehrten wir der vordere Theil eines Pferdes bis an die Gruppe die Vorhand genannt, zum Unterschiede von der Nachhand oder dem Hintertheile. Man siehet leicht, daß Hand hier nicht manus bedeuten könne, sondern in einer von seinen veralteten Bedeutungen stehen müsse. 3. Die rechte Hand, doch nur so fern selbige das Merkmahl des Vorzuges, des Ranges ist; ohne Plural. Jemanden die Vorhand lassen, des Platz zur rechten Hand, den Rang. Im Nieders. die Vorderhand. Die Vorhand haben, jemanden zur rechten Hand sitzen; ob es gleich in diesem Verstande nur noch in den Kartenspielen am üblichsten ist, wo derjenige die Vorhand hat, oder an der Vorhand sitzet, welcher zuerst ausspielet. Im gemeinen Leben wird es oft für Vorzug überhaupt gebraucht. Wenn die verwirrten Sinnen Der leidenden Vernunft die Vorhand abgewinnen, Günth.


Vorhanden (W3) [Adelung]


Vorhanden, adj. et adv. 1. In der Nähe, gegenwärtig, bey der Hand, im Oberdeutschen obhanden; so wohl dem Orte, als der Zeit nach. Am häufigsten von Sachen. Es ist noch viel Getreide vorhanden, zum Gebrauche bey der Hand, gegenwärtig. Es ist kein Holz mehr vorhanden. Er siehet nicht, was vorhanden ist. Der vorhandene Vorrath. Das vorhandene Geld. Er denkt immer, die Zeit seines Unglücks sey vorhanden, Hiob 15, 12. Die Zeit ist nunmehr vorhanden, daß u. s. f. sie ist da. Seltener von Personen. Es waren viel Gäste, viel Leute auf dem Markte vorhanden. 2. In weiterer Bedeutung, wirklich seyn, sich unter der Reihe der wirklichen Dinge befinden, so wohl von Personen als von Sachen, daseyn. Es wird gefragt, ob wirklich Einwohner in dem Monde vorhanden sind? Nimm dem Weib und deine zwo Töchter, die vorhanden sind, 1 Mos. 19, 15; die du hast, die da sind. Joseph und Simeon sind nicht mehr vorhanden, Kap. 42, 13; sie sind nicht mehr am Leben. Unsere Väter sind nirgend mehr vorhanden, Klagel. 5, 7. Wo es wenn es so viel als am Leben bedeutet, nur als ein Adverbium gebraucht wird. 3. Nahe bevor stehend. Es ist gewiß ein Unglück vorhanden aber unsern Herrn, 1 Sam. 25, 17. Das Wetter, so vorhanden ist, merket kein Mensch, S. 16, 19. Man gebraucht es nur noch von sehr nahe bevor stehenden Dingen, deren Daseyn man gleichsam schon empfindet, von entferntern ist es veraltet, ob es gleich in diesem Verstande noch mehrmahls in der Deutschen Bibel vorkommt. Nachdem es nun vorhanden ist, Ebr. 4, 6; noch künftig, bevor stehend. Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes, V. 9.

Anm. Dieses Wort ist eigentlich ein Nebenwort, und es scheint erst in den neuern Zeiten in einigen Bedeutungen als ein Beywort gebraucht zu seyn. Bey vielen Oberdeutschen Schriftstellern, und selbst in den gemeinen Sprecharten der Hochdeutschen, lautet es häufig verhanden. Dasselbe Loch stund noch verhanden, Theuerd. Die Bücher sind verhanden, Opitz. Dieß und die ungewöhnliche Stellung des Tones macht es glaublich, daß vor hier aus ver verderbt ist, obgleich der Bedeutung nach vor hier sehr wohl Statt finden könnte, vor der Hand, d. i. bey der Hand, in der Nähe. Es wird nur mit dem Zeitworte seyn gebraucht, daher es ungewöhnlich ist, wenn es Pred. 9, 10 heißt: alles, was dir vorhanden kommt, das thue frisch, wo es so viel bedeutet, als vor die Hand. Aber auch mit dem Zeitworte seyn wird es im Hochdeutschen nur gebraucht, wenn die vorhandene Sache vermittelst eines Hauptwortes ausgedruckt wird; daher es ungewöhnlich klingt, wenn es Matth. 2, 12 heißt: es ist vorhanden, daß Herodes suche das Kindlein umzubringen. Im Oberdeutschen ist dafür auch obhanden üblich. S. Hand.


Vorhang (W3) [Adelung]


Der Vorhang, des -es, plur. die -hänge, ein Stück Zeug, oder dem Zeuge ähnliches Ding, welches als eine Decke vor etwas gehänget wird. Die Vorhänge vor einem Bette, vor dem Fenster, im gemeinen Leben, die Gardinen. Die Vorhänge zuziehen, aufziehen. Der Vorgang in der Hütte des Stifts, im Tempel. Der Vorgang auf der Schaubühne. Daher sagt man figürlich, der Vorhang werde aufgezogen, wenn eine bis dahin verborgene Sache öffentlich, jedermann deutlich, bekannt zu werden anfängt: der Vorgang werde zugezogen, so wohl, wenn eine Sache ein Ende hat, als auch, wenn sie wieder dunkel und verborgen zu werden anfängt; der Vorhang falle zu, wenn sie völlig aufhöret. Des Lebens Vorgang fällt, sein Schauspiel geht zu Ende, Weiße.


Vorhangen (W3) [Adelung]


Vorhangen, verb. irreg. neutr. ( S. Hangen,) mit dem Hülfsworte haben. 1. Vor etwas hangen, wie der Vorhang vor dem Fenster; eine seltene Bedeutung. 2. Vorwärts hangen. Der Felsen hängt vor, außer der senkrechten Linie herwärts. Ingleichen im Hangen vortragen. Die untere Decke hängt vor, wenn sie vor der obern vorraget. So auch das Vorhangen.


Vorhängen (W3) [Adelung]


Vorhängen, verb. reg. welches das Activum des vorigen ist, vor etwas hängen. Eine Decke vorhängen, vor das Fenster u. s. f. Daher das Vorhängen. Ingleichen das Vorhängeschloß, ein Schloß, welches nicht an der Thür fest ist, sondern, wenn es nöthig ist, vorgehänget wird, das Vorlegeschloß, im Oberdeutschen ein Mahlschloß.


Vorhäse (W3) [Adelung]


Das Vorhäse, im gemeinen Leben, wie Vordergehäse, S. Hasenklein und Gehäse.


Vorhauen (W3) [Adelung]


Vorhauen, verb. irreg. act. ( S. Hauen.) 1. Einem vorhauen, in seiner Gegenwart hauen, um ihm ein Beyspiel der Nachahmung zu geben. So hauet man einem ungeschickten Mähder vor. 2. Vor einem andern der Ordnung nach hauen. So hauet der Vormähder in der Ernte den übrigen vor. Beydes im Gegensatze des Nachhauens. 3. Einem vorhauen, ihn im geschwinden Hauen übertreffen. 4. Vorläufig, zur fernern Bearbeitung hauen. So hauen die Schlösser ein Loch mit dem Meißel vor, wenn sie das Loch, welches sie mit dem Bohrer durchbohren wollen, mit dem Meißel anfangen. So auch das Vorhauen.


Vorhaupt (W3) [Adelung]


Das Vorhaupt, des -es, plur. die -häupter. 1. Der vordere Theil des Hauptes, wie Vorderhaupt; im gemeinen Leben der Vorkopf. 2. In einigen Gegenden, z. B. im Altenburgischen, wird ein in den Dörfern vor den eigenthümlichen Häusern liegender gemeinschaftlichen Platz das Vorhaupt genannt. Da denn das Wort im Plural so wohl Vorhaupte als Vorhäupter lautet.


Vorhaus (W3) [Adelung]


Das Vorhaus, des -es, plur. die -häuser, der Platz in einem Hause, gleich an der Hausthür vor den Zimmern, welche in andern Gegenden die Hausflur genannt wird. ( S. Flur.) Vorderhaus wird in andern Bedeutungen gebraucht.


Vorhaut (W3) [Adelung]


Die Vorhaut, plur. die -häute, Diminut. das Vorhäutchen, Oberd. Vorhäutlein, die vorhergehende, hervor ragende Haut; besonders an dem männlichen Gliede, welche bey den Juden und verschiedenen Morgenländern in der Jugend weggeschnitten wird. Bey dem Notker heißt sie so wohl Kanzlidi als Furawahste, in Twingers altem Vocabulario bey dem Schilter Zagelshut, und in Lyrä Bibel in der Niederdeutschen Mundart Averwassinghe.


Vorher (W3) [Adelung]


Vorher, und zu Anfange eines Satzes Vorher, ein Nebenwort der Zeit, den Umstand zu bezeichnen, da etwas der Zeit nach eher geschehen ist; da es denn als ein Nebenwort nur alsdann gebraucht werden kann, wenn die Sache, welche der Terminus a quo ist, nicht unmittelbar mit demselben verbunden ist, sondern darunter verstanden wird; im Gegensatze des nachher. Der Kranke hat sich seit gestern gebessert; vorher aber war er sehr gefährlich, d. i. vor dem gestrigen Tage. Ein Jahr vorher, ehe es geschah. Kurz vorher, lange vorher, ehe er kam. So wohl vorher als nachher. Das ist mir vorher unbekannt gewesen, nähmlich, ehe ich es erfuhr. Vorher konnte ich das noch hoffen, aber jetzt ist alle Hoffnung verloren. So auch mit Zeitwörtern, vorher wissen, gehen (der Zeit nach), sehen, bestimmen, bedenken, sagen u. s. f. mit welchen es als ein Nebenwort nicht zusammen gezogen werden darf, obgleich solches bey ihren Hauptwörtern nothwendig ist: Vorherbestimmung, Vorhersagung. Bey manchen dieser Zeitwörter ist der Terminus a quo nicht deutlich bestimmt, sondern muß aus dem Zusammenhange ersehen werden. Vorher sagen, sehen, wissen, ehe etwas wirklich geschiehet. Vorher bestimmen, in der Theologie, ehe eine Sache zur Wirklichkeit kommt, u. s. f. Anm. Vorher ist in der Bedeutung von hervor wesentlich unterschieden. Zuweilen gebraucht men dafür nur das kürzere vor, vorgethan und nachgedacht. Man muß dieses Nebenwort nicht mit dem Vorworte vor vermengen, wenn es das her in seiner Gesellschaft hat; vor jemanden her gehen; was vor der Hochzeit ging. Wo der Dativ zeiget, daß vor die Präposition ist. Ehedem wurde vorher auch von dem Orte gebraucht, vorher gehen, dem Orte nach; wofür aber jetzt voran üblich ist. So auch Vorherig und Vorhin.


Vorherbestimmung (W3) [Adelung]


Die Vorherbestimmung, plur. die -en, von der R. A. vorherbestimmen, etwas bestimmen, so wohl, ehe es geschiehet, als auch, ehe es zur Wirklichkeit kommt. In der Theologie ist die Vorherbestimmung, so wohl im weitern Verstande, der ganze Rathschluß Gottes über die künftige Wirklichkeit einer Sache, als auch in engerm, der Rathschluß Gottes über den Menschen Seligkeit oder Verdammniß, die Prädestination, in der Lutherischen Kirche die Gnadenwahl.


Vorherig (W3) [Adelung]


Vorherig, adj. welches von einigen von dem Nebenworte vorher gebildet worden. Unser vorheriges Schreiben. Bey seinem vorherigen Aufenthalt. Im Hochdeutschen hat man dafür das bessere vorig, welches unmittelbar von vor gebildet ist.


Vorhersagung (W3) [Adelung]


Die Vorhersagung, plur. die -en, von der R. A. vorher sagen, sagen, daß eine Sache, welche noch nicht wirklich ist, wirklich werden werde, besonders, so fern es aus Erkenntniß der Ursachen und des Zusammenhanges der Dinge geschiehet, wodurch es sich von prophezeyen und weissagen im engern Verstande unterscheidet, welche eine unmittelbare Offenbarung voraus setzen. Die Vorhersagung der Witterung, des Ausganges einer Sache u. s. f. Ist die Vorhersagung mit einer Gewissen Feyerlichkeit verbunden, so heißt sie eine Vorherverkündigung.


Vorhersehung (W3) [Adelung]


Die Vorhersehung, plur. inus. von der R. A. vorher sehen, eine zukünftige Sache mit Überzeugung oder Gewißheit erkennen, besonders, so fern diese Erkenntniß sich auf die Einsicht in die Ge- setze der Veränderungen der Dinge gründet; wodurch es sich von muthmaßen unterscheidet. Die Vorsehung, welche von vielen mit der Vorhersehung verwechselt wird, bedeutet etwas anders.


Vorherverkündigung (W3) [Adelung]


Die Vorherverkündigung, plur. die -en, S. Vorhersagung.


Vorheucheln (W3) [Adelung]


Vorheucheln, verb. reg. act. einem etwas vorheucheln, ihn durch Heucheley in dessen Gegenwart zu gewinnen, zu hintergehen suchen.


Vorhieb (W3) [Adelung]


Der Vorhieb, des -es, plur. die -e, von dem Zeitworte vorhauen, doch nur in einigen Fällen. Bey den Fleischern, wenigstens in Obersachsen, ist der Vorhieb ein gewisses Kochstück von dem Rindfleische. Bey den Holzstößen ist der Vorhieb, eine durch gefällte und quer über einen Bach gelegte Bäume gemachte Anstalt, daß die Flößscheite bey großen Wassern nicht aus dem Bache getrieben werden. Bey den Schlössern ist der Vorhieb, die mit dem Meißel zu einem Loche vorläufig gemachte Vertiefung.


Vorhimmel (W3) [Adelung]


Der Vorhimmel, des -s, plur. ut nom. sing. nach der Meinung einiger Kirchenväter, ein geringerer vorbereitender Grad der künftigen Seligkeit, gleichsam der vordere Theil des Himmels, in welchen die Seelen der ohne Empfang der Taufe verstorbenen Kinder u. s. f. kommen sollen. S. Vorhölle.


Vorhin (W3) [Adelung]


Vorhin, ein Nebenwort, so wohl der Zeit, als des Ortes. 1. * Des Ortes, für vor sich hin, vor andern hin; eine im Hochdeutschen ungewöhnlich gewordene Bedeutung, wofür voran und voraus üblicher sind. Gehe vorhin vor dem Volke, 2 Mos. 17, 5. Wenn dirs gefiele, so wollen wir vorhin ziehen, Tob. 11, 3. Da lief der Hund vorhin, V. 9. In einigen Gegenden gebrauchen es noch die Jäger als ein Aufmunterungswort für den Leithund, voran oder voraus zu gehen. 2. Der Zeit, für vorher, eine im Hochdeutschen gleichfalls selten gewordene Bedeutung. Vorhin hieß die Stadt Lus, 1 Mos. 28, 19. Der Ochs ist vorhin stößig gewesen, 2 Mos. 21, 19. Hernach thun, wie vorhin, Ruth 3, 10. Und so in andern Stellen mehr, wo es auch noch unbestimmter für ehedem gebraucht wird. Du hast vorhin gegründet, Ps. 102, 26. Im gemeinen Leben der Ober- und Niedersachsen wird es in einem andern Verstande noch für vor, kurzem, eben jetzt, gebraucht. Ich habe es schon vorhin gesagt, vor kurzem, eben jetzt. Ich habe ihn erst vorhin gesehen. Herr Damis hat gleich vorhin das Gegentheil behauptet, Gell. 3. Für ohne dieß, eine nur im Oberdeutschen übliche Bedeutung. Ew. Königl. Maj. ist vorhin des mehrern bekannt, daß ec. Es sieht vorhin um uns so schlecht und windig aus, Günth. Wo dafür auch zuvorhin und vorhinaus gebraucht werden. Ew. - ist dieses vorhinaus bekannt.


Vorhof (W3) [Adelung]


Der Vorhof, des -es, plur. die -höfe. 1. Der vordere oder erste Hof bey einem Gebäude, im Gegensatze des Hinterhofes; wofür doch Vorderhof üblicher ist. 2. Ein eingefaßter, aber unbedeckter Platz vor einem Gebäude. In diesem Verstande kommen in der Deutschen Bibel der Vorhof des Tempels, des Gefängnisses, des Pallastes u. s. f. vor. Das Wort scheinet noch im Oberdeutschen gangbar zu seyn; im Hochdeutschen wird es nur noch in der höhern und edlern Schreibart gebraucht, indem man im täglichen Umgange einen solchen Vorhof, wenn er von einigem Umfange ist, nur den Hof schlechtweg nennet.


Vorhölle (W3) [Adelung]


Die Vorhölle, plur. inus. bey einigen Kirchenvätern, der äußere oder vordere Theil der Hölle, in welchem sich die Seelen der Verdammten befinden sollen, ehe sie in die Hölle kommen. Diese und der Vorhimmel machen den Limbus Patrum aus.


Vorholz (W3) [Adelung]


Das Vorholz, des -es, plur. die -hölzer, der vordere oder äußere Theil eines Waldes oder Gehölzes, welcher gemeiniglich aus Gebüsch oder Unterholz bestehet; in einigen Gegenden die Brahme. Auch der Hase flüchtet sich nun zum buschigen Vorholz, Zachar. In dem sonnichten Vorholz lauscht der schimmernde Rothschwanz, Und schießt nach dem bunten Insect, eben. ders. In einem etwas andern Verstande nennt man ein vor einem großen Walde liegendes Gehölz, besonders, wenn es durch eine Trift, einen Rasen, Acker u. s. f. davon abgesondert ist, ein Vorholz.


Vorhuth (W3) [Adelung]


Die Vorhuth, plur. die -en. 1. * Von Huth, ein zur Bedeckung der Haupt-Armee bestimmter Theil eines Kriegsheeres, ward die Avant-Garde oder der Vortrab eines Kriegsheeres ehedem die Vorhuth genannt; in welcher Bedeutung es aber veraltet ist, 2. Von Huth, Weide, ist es in der Landwirthschaft das Recht, das Weiderecht auf einem Grundstücke zuerst, vor andern auszuüben: der Vortrieb, die Vortrift. Die Vorhuth haben, im Gegensatze der Nachhuth.


Vorig (W3) [Adelung]


Vorig, ein Beywort von dem Nebenworte vor, so fern es eine Zeit bedeutet. 1. Was vor dem gegenwärtigen war, ohne zu bestimmen, ob es lange oder kurze Zeit vor demselben war. Das Nebenwort davon ist vorher. Sein voriger Wohlstand, sein ehemahliger, sein Wohlstand vor seinem gegenwärtigen Verfalle. Der vorige Zusand, im Gegensatze des gegenwärtigen. Es sind nicht mehr die vorigen Zeiten. In meinen vorigen Briefen. Bitte, daß dir die vorigen Sünden auch vergeben werden, Sir. 21, 1. Euer voriger Wandel, Ephes. 4, 21. Die Vorigen, d. i. die Vorfahren, Vorältern, 5 Mos. 19, 14 ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. 2. In engerer Bedeutung, das nächste vorher gegangene seiner Art. Voriges Jahr, im vorigen Jahre, im nächst vergangenen. Vorige Woche, vorigen Monath, vorigen Sommer, vorigen Winter, vorige Messe; wofür man auch das Mittelwort verwichen und im Niedersächs. verleden gebraucht. An selben Ort, da sie sich des vorigen Tages gerüstet hatten, gestern, Richt. 20, 22. Der vorige Landpfleger, Nehem. 5, 5.

Anm. Es ist wie hiesig, dasig, die mit -mahlig u. s. f. in der Adverbial-Form nicht üblich, statt, welcher vorher gebraucht wird. Im Oberdeutschen ist für vorig auch vorherig und vorhinnig gangbar.


Vorjagen (W3) [Adelung]


Vorjagen, verb. reg. welches in doppelter Gestalt gebraucht wird. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben. (1) Einem vorjagen, vorhin jagen, d. i. eher, als er das Jagdrecht ausüben darf; im Gegensatze des Nachjagens. (2) In einem andern Verstande jagt man jemanden vor, wenn man ihm im Fahren oder Reiten im vollen Galoppe zuvor kommt. 2. Als ein Activum, nach dem vordern Theile zu jagen oder treiben. In Jagdwesen werden die Hirsche oder Sauen vorgejagt, so wohl, wenn sie durch den Lauf bey dem Leibschirme vorbey gejaget werden, als auch überhaupt, wenn Wildbret aufgesprenget und vorwärts gejaget wird.


Vorjagen (W3) [Adelung]


Das Vorjagen, des -s, plur. inus. der Infinitiv des vorigen Zeitwortes, als ein Hauptwort gebraucht. Besonders wird eine Jagd, welche man Kraft seines Rechtes eher als andere hält, ein Vorjagen, eine Vorjagd genannt.


Vorjahr (W3) [Adelung]


Das Vorjahr, des -es, plur. die -e, in einigen Niederdeutschen Gegenden eine Benennung des Frühlinges, weil das Jahr ehedem mit dieser Jahreszeit angefangen wurde; eigentlich der Anfang, erste Theil des Jahres.


Vorjetzt (W3) [Adelung]


Vorjetzt, zwiefach anstatt für jetzt, S. Für II, 4.


Vorkammer (W3) [Adelung]


Die Vorkammer, plur. die -n, eine Kammer vor einem andern Zimmer. In der Anatomie werden die Herzohren, auriculae cordis, auch Vorkammern genannt, weil sie sich vor den Herzkammern befinden. S. auch Herzläppchen.


Vorkäuen (W3) [Adelung]


Vorkäuen, bey vielen auch vorkauen, verb. reg. act. Einem Kinde die Speise vorkäuen, sie käuen, und sie dem Kinde hernach zukommen lassen; im Gegensatze des Nachkäuens. Figürlich und im gemeinen Leben ist einem etwas vorkäuen, einem Einfältigen alle Worte, die er sagen soll, gleichsam in den Mund legen.


Vorkauf (W3) [Adelung]


Der Vorkauf, des -es, plur. die -käufe. 1. Die Handlung des Vorlaufens, d. i. da man eine Waare eher als andere kaufet; ohne Plural. den Höken den Verkauf der zu Markte kommenden Waaren zu verbiethen. 2. Das Recht, nach welchem man bey dem Verkaufe eines Dinges vor allen andern den Vorzug hat sie für eben denselben Preis vor allen andern kaufen kann; das Näherrecht, das Einstandsrecht, in manchen Gegenden der Kaufzug, der Näherkauf.


Vorkaufen (W3) [Adelung]


Vorkaufen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben. Andern vorkaufen, ihnen in dem Kaufe einer Waare zuvor kommen.


Vorkäufer (W3) [Adelung]


Der Vorkäufer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorkäuferinn, eine Person, welche andern in dem Kaufe einer Waare zuvor kommt, besonders, die eine Waare vor andern und zu ihrem Nachtheile in Menge aufkauft, um sie einzeln wieder zu verkaufen, ein Aufkäufer.


Vorkehren (W3) [Adelung]


Vorkehren, verb. reg. act. eigentlich vorwärts kehren oder wenden. Man gebraucht es nur figürlich mit einigen Hauptwörtern, für anwenden. Anstalten, Mittel vorkehren, gebrauchen, anwenden. Alles Nöthige vorkehren, veranstalten. Im Oberdeutschen sagt man auch, allen Fleiß, alle Vorsichtigkeit, ein Einsehen u. s. f. vorkehren.


Vorkind (W3) [Adelung]


* Das Vorkind, des -es, plur. die -er, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches, aber im Niederdeutschen gangbares Wort, die Kinder der ersten Ehe zu bezeichnen.


Vorkirche (W3) [Adelung]


Die Vorkirche, plur. die -n, ein Gebäude oder eingeschlossener und bedeckter Platz vor der Thür der Kirche, den Windzug abzuhalten u. s. f. an einigen Orten die Halle.


Vorklage (W3) [Adelung]


Die Vorklage, plur. die -n, 2. Eine vorläufige Klage, d. i. Klage über eine Sache, oder über ein Übel, ehe man noch darüber zu Rede gesetzt wird. Mit der Vorklage kommen, einen begangenen Fehler, ein erlittenes Unglück erzählen, ehe man noch darum besagt, oder zur Rede gesetzt wird. 2. In den Rechten ist die Vorklage, an einigen Orten die Conventions-Klage, zum Unterschiede von der Gegenklage, Nachklage oder Reconventions-Klage.


Vorkleben (W3) [Adelung]


Vorkleben, verb. reg. act. vor etwas kleben. Papier vorkleben, vor eine Öffnung.


Vorklingen (W3) [Adelung]


Vorklingen, verb. irreg. neutr. ( S. Klingen,) mit dem Hülfsworte haben, unter mehrern klingenden Dingen vor andern gehöret werden.


Vorkommen (W3) [Adelung]


Vorkommen, verb. irreg. neutr. ( S. Kommen,) mit dem Hülfsworte seyn. 1. Von vor, eher; einem vorkommen, eher kommen, als er. Ahimaatz kam Cust vor, 2 Sam. 10, 23. Wir werden denn nicht vorkommen, die da schlafen, 1 Thess. 4, 15. Ingleichen figürlich, wie vorbeugen. Einem Übel, einer Krankheit vorkommen. Der kann viel Böses (vielem Bösen) vorkommen, Sir, 30, 30. In dieser ganzen Bedeutung sagt man jetzt lieber zuvor kommen, vermuthlich die Verwechselung mit den folgenden Bedeutungen zu vermeiden. 2. Von vor, so fern es so wohl den fordern Theil eines Dinges, als auch die Gegenwart bedeutet. (1) Vor jemanden kommen, absolute und mit Verschweigung der Person. Ich suchte Gehör, konnte aber nicht vorkommen. Wir sind gestern vorkommen, vorgelassen worden. Die Sache ist noch nicht vorgekommen, noch nicht vorgenommen worden. (2) Vor jemanden kommen, d. i. bey ihm angebracht werden. Mir ist von euch vorkommen (vorgekommen), daß Zank unter euch sey, 1 Cor. 1, 11. Eine auch nur noch im gemeinen Leben übliche Bedeutung. (3) Figürlich bedeutet vorkommen oft so viel, las unvermuthet gegenwärtig werden, sich ereignen, zutragen, oft auch nur empfunden werden, begegnet; wie das ähnliche vorfallen. Jeder schlug, was ihm vorkam, 1 Kön. 20, 20; was ihm begegnete, ihm vor die Hände kam. Er ist alles, was ihm vorkommt. Das Wort kommt nicht oft vor, wird nicht oft gehöret, gebraucht. Der Fall ist mir noch nicht vorgekommen, ich habe ihn noch nicht erfahren. Wenn ihr etwa unterdessen eine gute Gelegenheit zu heirathen vorkäme, Less. Tatisend kleine Umstände, die immer von neuen vorkommen. Vorkommen bedeutet, daß ich die Sache uns gleichsam von selbst darstelle, hat aber doch den Nebenbegriff des Plötzlichen, nicht so, wie vorfallen. (4) Scheinen, mit der dritten Endung der Person. Es kam mir vor, als sähe ich ihn, als hätte ich es gehöret, es schien mir so. Das kommt mir wunderlich vor. Ich weiß gar nicht, wie sie mir heute vorkommen, Gell. Er kommt mir sehr bekannt vor. Du kommst mir ganz munter vor, Gell. Ich weiß nicht, daß (warum) ich heute allen so verdächtig vorkomme, eben ders. (5) Hervor kommen, nur im gemeinen Leben. Komm vor, besser hervor. Er wollte nicht vorkommen. Anm. In der ersten Bedeutung für zuvor kommen, bey dem Kero furichuueman, im Oberdeutschen in allen Bedeutungen fürkommen. Im Niederdeutschen bedeutet dieses Wort noch: 1. empor kommen, in mehr Ansehen, bessere Glücksumstände kommen. 2. Etwas bestreiten, demselben gewachsen seyn. Wir können es nicht alles vorkommen, ausessen, ingleichen bestreiten; in welchem Falle man in Obersachsen in den niedrigen Sprecharten verkommen braucht.


Vorkommenheit (W3) [Adelung]


* Die Vorkommenheit, plur. die -en, von vorkommen 2. (3) ein nur im Oberdeutschen übliches Wort, einen Fall, Verfall, etwas, das vorkommt, sich zuträgt, zu bezeichnen. Unangenehme Vorkommenheiten.


Vorkopf (W3) [Adelung]


Der Vorkopf, des -es, plur. die -köpfe, der vordere Theil des Kopfes, in der edlern Schreibart das Vorhaupt, Vorderhaupt; im Gegensatze des Hinterkopfes oder Hinterhauptes.


Vorkost (W3) [Adelung]


Die Vorkost, plur. car. im gemeinen Leben, besonders Niederdeutschlandes, Kost, d. i. Speise, welche nach der Suppe, vor dem Fleische gegessen wird, d. i. Gemüse.


Vorladen (W3) [Adelung]


Vorladen, verb. irreg. act. ( S. Laden), vor Gericht, vor die Obrigkeit laden, d. i. zu kommen befehlen, citieren. Die Gläubiger vorladen, ihre Forderungen zu bescheinigen. Daher die Vorladung, die Citation. Im Oberdeutschen auch vorbiethen, vorgebiethen, vorheischen; im Hannövr. vorabladen.


Vorlage (W3) [Adelung]


Die Vorlage, plur. die -n, von dem Zeitworte vorlegen, dasjenige, was vor ein anderes Ding geleget wird, doch nur in einigen einzelnen Fällen. Damit eine Tonne nicht fortrolle, werden Steine, als eine Vorlage unter dieselbe geschoben. Bey dem Destillieren ist die Vorlage ein Gefäß, welches vor die Retorte, den Kolben, Destillier-Blase u. s. f. gelegt wird, in welches dasjenige tröpfelt, was man destillieret oder übertreibt; der Recipient. Auch ein Gespann frisch vor. oder untergelegter Pferde, Französisch ein Relais, wird zuweilen eine Vorlage genannt.


Vorlallen (W3) [Adelung]


Vorlallen, verb. reg. act. Einem etwas vorlassen, es in seiner Gegenwart lallend vorbringen, damit er es höre. Daher das Vorlallen.


Vorland (W3) [Adelung]


Das Vorland, des -es, plur. die -länder, ein vorliegendes Land, das äußerste, vordere Land. Zu den Niederdeutschen Marschländern ist es das trockne oder feste Land vor einem Deiche, d. i. zwischen demselben und dem Wasser; der Groden. Auch an den Küsten, das vor dem höhern Lande liegende Land, eine Art eines Vorgebirges. In dem Deutschen Staatsrechte werden auch wohl die Österreichischen Ländern in Schwaben, oder die Vorderösterreichischen Provinzen, nach Oberdeutscher Art die Vorlande genannt.


Vorlangen (W3) [Adelung]


Vorlangen, verb. reg. act. welches nur im gemeinen Leben für hervor langen üblich ist. Etwas aus einem Kasten vorlangen. Daher die Vorlangung.


Vorlängst (W3) [Adelung]


Vorlängst, ein Nebenwort der Zeit, vor sehr langer Zeit; längst. Wie du unsern Vätern vorlängst geschworen hast, Mich. 7, 20. Ich habe es schon vorlängst gehöret. Das haben wir vorlängst gewußt. Im Oberdeutschen vor langen.


Vorlaß (W3) [Adelung]


Der Vorlaß, des -es, plur. inus. von dem Zeitworte vorlassen, die Handlung des Vorlassens, und dasjenige, was vorgelassen wird, doch nur in einigen einzelnen Fällen. 1. Die Handlung des Vorlassens. So sagt man in der Jägerey: einem Hühnerhunde den Vorlaß geben, wenn man denselben mit einem lebendigen Feldhuhne an einer Leine in einem Zimmer oder Garten abrichtet. 2. Dasjenige, was vorgelassen wird. In der Jägerey wird der Büschel Federn, mit welchen der Falke, wenn er nicht gefangen hat, zurück gelocket wird, das Federspiel, auch der Vorlaß genannt, da es denn auch den Plural leidet. Gemeiniglich lautet dieses Wort Vorlos, ( S. dasselbe.) Bey dem Keltern des Weines, auch bey dem Destillieren des Branntweins, wird dasjenige, was zuerst ausläuft oder übergeht, der Vorlaß, bey andern der Vorlauf, und bey dem Branntwein der Vorsprung genannt, S. Vorlauf.


Vorlassen (W3) [Adelung]


Vorlassen, verb. irreg. act. ( S. Lassen.) 1. Voran oder vorwärts lassen. Jemanden vorlassen. 2. In jemandes Gegenwart lassen. Er suchte Audienz, man ließ ihn aber nicht vor. Die Parteyen vorlassen, vor Gericht, vor den Richter. Zur Unterredung vorgelassen werden. In beyden Fällen nur in der vertraulichen Sprechart. So auch die Vorlassung.


Vorlastig (W3) [Adelung]


Vorlastig, -er, -ste, adj. et adv. an den Schiffen, wenn sie vorn schwerer gebauet, oder stärker beladen sind, als die Regeln des Gleichgewichtes es erfordern; zum Unterschiede von dem Hinterlastig.


Vorlauf (W3) [Adelung]


Der Vorlauf, des -es, plur. inus. von dem Zeitworte vorlaufen, dasjenige, was vorläuft, doch nur in einigen Fällen. Bey dem Destillieren des Branntweins ist der stärkste Branntwein, welcher zuerst übergehet, der Vorlauf, Vorlaß oder Vorsprung. In dem Weinbaue ist Vorlauf oder Vorlaß derjenige Most, welcher aus dem Zuber von den Trauben, ehe sie noch getreten oder gekeltert worden, von selbst abläuft, dagegen derjenige, welcher bey dem Treten zuerst abfließet, der Vorschuß genannt wird; dieser im Gegensatze des Nachschusses oder Nachdruckes, welcher durch die Presse daraus gebracht wird.


Vorlaufen (W3) [Adelung]


Vorlaufen, verb. irreg. ( S. Laufen,) welches in doppelter Gestalt üblich ist. 1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn. (1) Eher laufen, als ein anderes Ding; eine Bedeutung, welche wenig mehr vorkommt, wovon aber doch das vorige Hauptwort Vorlauf abstammet. (2) Voran laufen, vorwärts laufen, vor andere oder einen andern laufen. Einer lief vorn vor, Marc. 20, 17. Ingleichen nach dem Vordertheile eines Dinges laufen. So läuft man im Jagdwesen vor, wenn man vor einem Wilde, welches nicht recht anlaufen will, zu kommen sucht, damit es zum Schusse komme. (3) Im Laufen übertreffen, zuvor kommen. Einem vorlaufen; im Gegensatze des Nachlaufens. (4) Auch in jemandes Gegenwart laufen, ihm ein Muster der Nachahmung zu geben. Einem Vorlaufen. 2. Als ein Activum, doch nur im Bergbaue, von der bergmännischen Bedeutung des einfachen Zeitwortes laufen, Erz, Zuschläge, Kohlen u. s. f. vorlaufen, sie von der Schmelzofen schaffen. So auch das Vorlaufen.


Vorläufer (W3) [Adelung]


Der Vorläufer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorläuferinn. 1. Von der letzten thätigen Bedeutung des vorigen Zeitwortes, im Hüttenbaue, derjenige, welcher die zu dem Schmelzen nöthigen Dinge, als Erz, Kohlen, Zuschläge u. s. f. vor den Schmelzofen schaffet, welches in Obersachsen jetzt von dem Hüttensteiger geschiehet, welcher dazu seine Knechte hat. 2. Bey den Vogelstellen ist der Läufer oder Vorläufer, ein angefesselter Lockvogel, welcher auf oder vor dem Herde herum läufet. 3. Eine Person, welche vor der andern hergehet, und sie ankündiget, doch nur in der biblischen Schreibart, wo Johannes der Vorläufer Christi, und Ebr. 6, 19, 20. Christus der Vorläufer der Gläubigen genannt wird. In weiterer und figürlicher Bedeutung, ist der Vorläufer, wie Vorbothe, eine jede Sache, welche vor einer andern hergehet, und eine Anzeige derselben ist.


Vorläufig (W3) [Adelung]


Vorläufig, adj. et adv. 1. * Was vor einer Sache hergehet, und sie gleichsam verkündigt; eine veraltete Bedeutung. Das vorläufige Gerücht. Ein vorläufiger Brief. 2. Was vor der Hauptsache, doch in Beziehung auf dieselbe, überhaupt uns summarisch geschiehet. Sich vorläufig nach etwas erkundigen. Etwas vorläufig melden. Die vorläufige Nachricht. Vorläufige Abrede nehmen.


Vorlaut (W3) [Adelung]


Vorlaut, adj. et adv. 1. Vor der gehörigen Zeit laut. So sagt man in der Jägerey, ein Hund sey vorlaut, wenn er zu hitzig ist, und ehe anschlägt, als er das Wild siehet; fährtenlaut. Der Jäger ist vorlaut, wenn er voreilig im Angeben ist, welches auch freylaut heißt. Eben so sagt man auch in andern Fällen, jemand sey vorlaut, wenn er zu früh, zu voreilig, von einer Sache spricht. 2. Vorlaut werden, heißt zuweilen auch, obgleich seltener, vorlauten. Jemand wird in einer Gesellschaft vorlaut, wenn man seine Stimme vor allen andern höret.


Vorlegen (W3) [Adelung]


Vorlegen, verb. reg. act. vor ein anderes Ding legen. 1. Eigentlich. Ein Schloß vorlegen, ein bewegliches Schloß vor die Thür legen oder hängen; da denn ein solches beweglicher Schloß ein Vorlege- oder Vorhängeschloß genannt wird. Einen Recipienten vorlegen, vor den Brennkolben. Pferde vorlegen, sie vor den Wagen spannen. Soll das Ding, vor welches etwas geleget wird, ausgedruckt werden, so gebraucht man das einfache Zeitwort mit dem Vorworte. Ein Schloß vor die Thür, die Pferde vor den Wagen legen. 2. In engerer und figürlicher Bedeutung, ein Ding vor jemanden legen, damit er eine Veränderung damit vornehme, in welchem Falle die Person in der dritten Endung stehet. (1) Den Gästen die Speisen vorlegen. Jemanden Braten, ein Stück Fisch vorlegen. Wo man auch vorlegen absolute gebraucht, die Speisen bey Tische unter die Speisenden austheilen. Daher der Vorlegelöffel, ein großer Löffel, die Speisen damit vorzulegen. (2) Jemanden eine Frage, einen Zweifel vorlegen, zu Beantwortung, zur Auflösung. Ihm einem Aufsatz vorlegen, zur Durchsicht, zur Beurtheilung. (3) Zur Wahl, zur Annahme vorlegen. Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse, 5 Mos. 30, 15. Daher die Vorlegung und das Vorlegen.


Vorlegewerk (W3) [Adelung]


Das Vorlegewerk, des -es, plur. die -e, in den Uhren, ein Werk zwischen der Uhrscheibe und dem Rädergehäuse, welches das Geh- und Schlagewerk zur Zeigung der Stunden und Minuten bestimmt; die Anrichtung, Franz. Cadrature.


Vorleihen (W3) [Adelung]


* Vorleihen, verb. irreg. act. ( S. Leihen,) darleihen, vorstrecken, ein im Hochdeutschen ungewöhnliches Wort. Der müsse Hab und Güter ziehen, So ihm auf Wucher vorgeliehen, Opitz Ps. 109.


Vorleimen (W3) [Adelung]


Vorleimen, verb. reg. act. vor eine Öffnung leimen. So auch die Vorleimung.


Vorlese (W3) [Adelung]


Die Vorlese, plur. die -n, in dem Weinländern. 1. Der Anfang der Weinlese. 2. Das Recht seinen Wein eher als andere lesen zu dürfen, im Gegensatze der Nachlese; ohne Plural. Die Vorlese haben.


Vorlesen (W3) [Adelung]


Vorlesen, verb. irreg. act. ( S. Lesen.) 1. Von lesen, sammeln; lieset man andern vor, wenn man, z. B. den Wein, eher lieset, als andere. 2. Von lesen, legere, lieset man jemanden vor, wenn man etwas in seiner Gegenwart laut lieset, daß er es höre. Jemanden einen Brief, ein Buch vorlesen. So auch das Vorlesen.


Vorleser (W3) [Adelung]


Der Vorleser, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorleserinn, einer Person, welche andern vorlieset, in der zweyten Bedeutung des Zeitwortes. Im engern Verstande ist es eine Person, deren Geschäft oder Amt es ist, einer andern Bücher und Schriften vorzulesen. Sich einen Vorleser halten.


Vorlesung (W3) [Adelung]


Die Vorlesung, plur. die -en, von vorlesen 2. 1. Die Handlung des Vorlesens; gemeiniglich ohne Plural. Die Vorlesung eines Briefes. 2. Im engern akademischen Verstande ist die Vorlesung so wohl das Vorlesen einer gelehrten Abhandlung; sie werde nun wirklich abgelesen, oder aus dem Gedächtnisse hergesaget, als auch die auf solche Art abgelesene oder hergesagte Abhandlung selbst. Eine Vorlesung halten, drucken lassen. Daher dann auch die Collegia auf Universitäten Vorlesungen genannt werden. Die theologischen Vorlesungen besuchen. Baumgartens Vorlesungen über die christliche Moral.


Vorletzte (W3) [Adelung]


Vorletzte, adj. das nächste vor dem letzten zu bezeichnen. Die vorletzte Sylbe, die nächste Sylbe vor der letzten, penultima. Der vorletzte Tag im Jahre. In meinem vorletzten Briefe. Im gemeinen Leben drückt man dieses vorletzt auch wohl durch das letzte ohne eines aus. Im Oberdeutschen, besonders im Österreichischen, hat man auch vorverlegt, das antepenultimus auszudrücken, wofür man aber im Hochdeutschen der zweyte vom Ende, oder, wenn man das Ende mitzählet, der dritte vom Ende sagt.


Vorleuchten (W3) [Adelung]


Vorleuchten, verb. reg. act. 1. Jemanden vorleuchten, vor ihm her leuchten, damit er sehe, eine seltene Bedeutung. Üblicher ist es, 2. figürlich, andern ein sehr merkliches Beyspiel zur Nachahmung geben. Andern mit seinen Tugenden, mit seinen Verdiensten vorleuchten. Dir durch ihr Beyspiel vorzuleuchten, Weiße. 3. Der Hundsstern leuchtet vor andern Sternen vor, wenn sein Licht heller empfunden wird, als der übrigen ihres. Daher die Vorleuchtung, besonders in der zweyten Bedeutung.


Vorlieb (W3) [Adelung]


Vorlieb, adv. S. Fürlieb.


Vorliegen (W3) [Adelung]


Vorliegen, verb. irreg. neutr. ( S. Liegen,) welches das Hülfswort haben bekommt, vor einem andern Dinge liegen. 1. Überhaupt, wo es doch nur im gemeinen Leben gebraucht wird. Das Schloß liegt vor, vor der Thür. Bey den Jägern liegt der Dachshund vor, wenn er von dem innersten Baue des Dachses liegt und bellet. 2. In engern Verstande. (1) Vor uns liegen, wo doch nur das Mittelwort vorliegend üblich ist. Das vorliegende Hinderniß, das vor uns liegende. Das vorliegende Weltall, Herd. Es ist in dieser Bedeutung im Oberdeutschen am üblichsten. (2) Die vorliegenden Reichskreise, die vorn an der Gränze, zunächst an Frankreich liegenden Reichskreise; auch nur in diesem Mittelworte.


Vorlippe (W3) [Adelung]


Die Vorlippe, plur. die -n, die zwey rothen zarten Streifen an den Lippen des Mundes, Prolabia.


Vorlos (W3) [Adelung]


Der Vorlos, des -es, plur. die -e, bey den Falkenieren, das Federspiel, womit der Falke, wenn er nichts gefangen hat, zurück gelocket wird; bey einigen auch der Vorlaß. Bey der unbeständigen Schreib- und Sprechart dieses Wortes ist es noch ungewiß, ob es von vorlassen abstammet, oder von einem alten losen, werfen, so daß es eigentlich etwas bedeuten würde, was dem Falken vorgeworfen wird.


Vorlügen (W3) [Adelung]


Vorlügen, verb. reg. act. in jemandes Gegenwart lügen, damit er selbiges glaube. Einem etwas vorlügen.


Vormachen (W3) [Adelung]


Vormachen, verb. reg. act. welches, so wie das einfache machen, eine sehr unbestimmte Bedeutung hat, und daher in den meisten Fällen nur noch im gemeinen Leben gebraucht wird. 1. Vor etwas machen, d. i. vor etwas befestigen. Einen Zaun vormachen, vor eine Öffnung, vor einen Weg u. s. f. 2. Einem etwas vormachen, es in seiner Gegenwart zum Muster der Nachahmung machen, damit er es nachmachen lerne; es geschehe nun auf welche Art es wolle. 3. Jemanden einen Blauen Dunst vormachen, vor seinen Augen, die Wahrheit durch eine Erdrichtung vor ihm zu verderben suchen; in welcher Bedeutung man im gemeinen Leben auch absolute sagt, einem etwas vormachen, ihm vorlügen, vorheucheln u. s. f.


Vormähder (W3) [Adelung]


Der Vormähder, des -s, plur. ut nom. sing. von dem folgenden Zeitworte, der erste und vorderste unter den Mähdern, welchem die übrigen nachmähen. Wo das Getreide nicht gemähet, sondern geschnitten wird, heißt er der Vorschneider oder Vorschnitter.


Vormähen (W3) [Adelung]


Vormähen, verb. reg. act. 1. Absolute, der erste und vorderste unter den Mähdern seyn. 2. Einem andern vormähen, ihm in geschwinden Mähen zuvor kommen, ihn darin übertreffen. 3. Einem vormähen, in seiner Gegenwart zum Muster der Nachahmung mähen.


Vormahlen (W3) [Adelung]


Vormahlen, verb. reg. act. 1. Einem etwas vormahlen, es in seiner Gegenwart mahlen, damit er es sehe oder erkenne. Einem Kinde die Buchstaben vormahlen, sie ihm langsam und bedächtig vorzeichnen, damit er sie unterscheiden lerne. Figürlich ist vormahlen, wie vormachen 2. eine Unwahrheit als Wahrheit glauben machen. Er ist ein guter Narr, dem man leicht etwas vormahlen kann. 2. Einem etwas vormahlen, es in seiner Gegenwart zum Muster der Nachahmung mahlen, damit er es nachmahlen lerne. So auch das Vormahlen.


Vormahlen (W3) [Adelung]


Vormahlen, ein Nebenwort, S. Vormahls.


Vormahlig (W3) [Adelung]


Vormahlig, adj. was vormahls war oder geschahe, ehemahlig. Sich an die vormahligen Zeiten erinnern.


Vormahls (W3) [Adelung]


Vormahls, ein Nebenwort der Zeit, in den vorigen Zeiten, in einer unbestimmten vergangenen Zeit; ehedem, ehemahls. Nicodemus, der vormahls bey der Nacht zu Jesu gekommen war, Joh. 19, 39. Bileam ging nicht hin, wie vormahls, 4 Mos. 24, 1. Der du vormahls bist gnädig gewesen, Ps. 85, 2. Vormahls drang sie mit größerer Heftigkeit in mich. Freylich war ich vormahls Fräulein Malchen, Weiße.

Anm. Bey einigen vormahl und vormahlen; im Hochdeutschen am richtigsten vormahls, weil es eine unbestimmte Zeit bezeichnet, S. Mahl.


Vormann (W3) [Adelung]


Der Vormann, des -es, plur. die Vormänner und Vorleute. 1. * Der Zeit nach, derjenige, welcher vor uns in einem Amte oder in einer Verbindung gewesen, wie Vorfahr; eine im Hochdeutschen unbekannte Bedeutung. 2. Dem Orte und der Ordnung nach, ist der Vormann eines andern derjenige, der in der Reihe vor ihm stehet; in welchem Verstande es, wie Vordermann, be- sonders im gemeinen Leben, üblich ist. Der im ersten Gliede stehende Soldat, ist der Vormann des im zweyten Gliede stehenden oder seines Hintermannes. So auch bey Arbeitern u. s. f. Figürlich wird in der Seefahrt das vor einem andern Schiffe segelnde Schiff dessen Vormann, so wie dieses jenes Hintermann, genannt. Von den Beyständern, welche ien Flaggenmann oder Flaggenschiff bekommt, wird das vordere Schiff der Vormann, das hintere oder der Hintermann, genannt.


Vormars (W3) [Adelung]


Der Vormars, des -es, plur. die -e, in der Seefahrt, der Mars oder Mastkord am Feckemaste, oder vordersten Mastbaume nach dem Bugspriete. Daher das Vormarssegel, das zweyte Segel am Fockemaste von unter an, über dem Vormaste.


Vormaß (W3) [Adelung]


Das Vormaß, des -es, plur. die -e, ein obrigkeitliches Maß, welches den übrigen Maßen eben derselben Art zum Muster dienet. In diesem Verstande wird es auf den Blechhämmern gebraucht, das obrigkeitliche Maß zu bezeichnen, nach welchem die Bleche beschnitten werden müssen. In andern Fällen heißt es das Eichmaß.


Vormauer (W3) [Adelung]


Die Vormauer, plur. die -n, eine Mauer von einem Dinge, so fern sie demselben zum Schutze, zur Sicherheit dienet. Man gebraucht es am häufigsten im figürlichen Verstande von einer Sache, welche einer andern so wohl zur Sicherheit, zum Schutze, als auch zur Abhaltung, dienet. Die Gesetze sind eine Vormauer der Tugend, zum Schutze der Tugend; ingleichen die Gesetze sind eine Vormauer gegen das Laster, dasselbe abzuhalten.


Vormeister (W3) [Adelung]


Der Vormeister, des -s, plur. ut nom. sing. bey den Handwerkern einiger Gegenden, der vorsitzende Meister, der Älteste, Oberälteste, Handwerksmeister, Obermeister.


Vormessen (W3) [Adelung]


Vormessen, verb. irreg. act. 1. Einem etwas vormessen, es in dessen Gegenwart messen, damit er von dem Maße überzeugt werde. 2. Auch, etwas in jemandes Gegenwart messen, damit er nachmessen lerne. So auch die Vormessung.


Vormittag (W3) [Adelung]


Der Vormittag, des -es, plur. die -e, die letzte Hälfte der Zeit des Tages, von dem Morgen an bis zu Mittag, zum Unterschiede von dem Morgen, welcher die erste Hälfte dieses Zeitpunktes bezeichnet, und im Gegensatze des Nachmittages. Er ist uns noch diesen Vormittag begegnet. Drey Vormittage hinter einander. Heute Vormittag, d. i. heute den Vormittag.


Vormittägig (W3) [Adelung]


Vormittägig, adject. was den Vormittag ist oder geschiehet, im Gegensatze des nachmittägig. Der vormittägige Gottesdienst.


Vormittags (W3) [Adelung]


Vormittags, adverb. am Vormittage, zur Vormittagszeit. Vormittags spazieren gehen. In den gemeinen Sprecharten Obersachsens höret man dafür wohl vormittage, welches aber keine Analogie hat. Heute vormittage, Gell. Sie waren ja vormittage nicht so traurig, eben ders. Vormittags oder diesen Vormittag.


Vormund (W3) [Adelung]


Der Vormund, des -es, plur. die -münder, Fämin. die Vormünderinn. 1. Überhaupt, eine Person, welche für einer andern Bestes und Sicherheit sorget, es sey nun durch Vertheidigung mit Worten, durch Fürsprache, oder durch Verwaltung ihrer Angelegenheiten, oder endlich auch durch Gewährung thätigen Schutzes; in welcher sehr weiten Bedeutung es ehedem besonders in solchen Fällen gebraucht wurde, wo die andere Person, oder als eine Person betrachtete Sache, solches selbst zu leisten, fähig war. Es ist in dieser weitern Bedeutung, im Ganzen genommen, im Hochdeutschen veraltet, kommt aber hin und wieder in manchen einzelnen Gegenden und Orten vor. Die Vorsteher der Kirchen und milden Stiftungen werden noch an vielen Orten, so wohl Ober- als Niedersachsens, Vormünder genannt, weil sie nicht nur die Güter derselben verwalten, sondern auch für ihr Bestes sprechen, sie vertreten. Die Vögte oder Advocati der Stifter kommen ehedem gleichfalls unter dem Nahmen der Vormünder vor. Ein Advocat oder gerichtlicher Beystand hieß im Niedersächsischen ehedem Voremunt, Vormund, wovon in dem Brem. Nieders. Wörterbuch. v. Mund, mehrere Beyspiele angeführet werden. Eben diesen Nahmen bekamen ehedem die Syndici der Städte, und an vielen Orten werden auch die Heimbürgen auf den Dörfern, welche die Güte und das Beste der Gemeine handhaben, Vormünder genannt. Selbst in der Deutschen Bibel hat Luther es noch in einer dieser weitern Bedeutungen gebraucht. Jehu schrieb Briefe und sandte sie gen Samaria, zu den Obersten der Stadt Jesreel, zu den Ältesten und Vormünden (Vormündern) Ahabs, 2 Kön. 10, 1. 5. Und 2 Marc. 11, 1. Kap. 13, 2 heißt Lysias, des Königs Antiochus Vormund, Vetter und oberster Rath. 2. In engerer Bedeutung, welche jetzt im Hochdeutschen die gewöhnlichste ist, ist der Vormund, Fämin. Vormünderinn, eine Person, welche nach dem Tode der Ältern das Beste unmündiger Kinder besorgt, so wohl durch ihre Erziehung, als durch ihre Vertretung und Beschützung, als endlich auch durch die Verwaltung ihres Vermögens. Die unmündige Person heißt in Rücksicht ihres Vormundes, dessen Mündel. Der Vormund besorgt das Beste unmündiger, der Pfleger und Curator aber auch mündiger Personen. Jemandes Vormund seyn. Jemanden zum Vormunde haben.

Anm. Das Wort lautet schon in den Monseeischen Glossen Foramund, im Schwabenspiegel Vormunt, und im Nieders. gleichfalls Vormund. Da Fürsprache und Schutz die beyden wesentlichen Obliegenheiten eines Vormundes in dem ganzen Unfange der Bedeutung dieses Wortes ist, so lässet sich die letzte Hälfte desselben mit fast gleichen Grunde auf eine doppelte Art ableiten; entweder von dem veralteten munden, sprechen, wovon im Tatian noch das Intensivum muntigan, aussprechen, und die Zusammensetzung balmund, verleumden, vorkommt; oder auch von dem alten Mund, Schutz, und Munden, schützen. Mund, Schutz, kommt so wohl in der Alemannischen Mundart, als auch in der Angelsächsischen, Schwed u. s. f. häufig vor. Daher war im mittlern Lat. Mundium, der Schutz, Mundius, Mundualdus, ein Beschützer, Vormund, im Alemannischen Balmund, ein Schlechter Beschützer oder Vormund, und eine Menge anderer mehr. Man hatte davon auch das Zeitwort vormunden, welches beschützen überhaupt bedeutete, und wovon Frisch eine Stelle aus den Script. Brunsv. anführet. Mündel ist von eben diesem, oder dem vorigen Stamme, vermittelst des Endlautes -el, eine Person, welche den Schutz oder die Fürsprache anderer begießt, mündig, fähig, sich selbst zu schützen, oder für sich selbst zu sprechen. Im Italienischen heißt ein Vormund noch jetzt Mondualdo, im mittlern Lateine Mundualdus, eigentlich Mund - walt, der den Schutz handhabet. Da Mund, im mittlern Lateine Mundius, schon für sich allein einen Beschätzer, tutor, bedeutet, so scheinet das Vorwort vor hier eben so um des Nachdruckes willen vorgesetzt zu seyn, als pro in protegere, um dadurch näher zu bezeichnen, daß sich der Schutz auf einen andern beziehe. Unserm heutigen Gebrauche nach sollte das Wort billig Fürmund heißen, weil der Begriff des für hier sehr merklich ist: allein Vormund aht die Verjährung vor sich, läßt sich aber allenfalls auch eben so erklären, wie in Vorsteher, vorstehen, und andern. Von dem alten munden, schützen, vormunden, beschützen, war dieses Wort ehedem in einer doppelten Form üblich. Man sagt ohne Suffixum Vormund, plur. die Vormünde, (welcher noch in der oben angeführten Stelle, 2 Kön. 1. vorkommt,) und im Fämin. die Vormündinn, und mit der Endsylbe er, der Vormunder oder Vormünder, (im Deutschen Livius von 1514, Fürminder, Schwedisch Förmyndare, Dänisch Formynder,) da denn der Plural die Vormünder, und das Fämin. die Vormünderinn lautete. Die heutige Hochdeutsche Mundart hat beyde Formen zusammen genommen, und macht von der ersten, den männlichen Singular, von der zweyten aber den männlichen Plural des Fämininum Vormünderinn. Übrigens wird Vormund häufig von Personen beyderley Geschlechtes gebraucht. Gebraucht man aber das Fämin. Vormünderinn, so bezeichnet selbiges zwar eine weibliche Person, so fern sie wirklich die Vormundschaft eines Mündels verwaltet, aber nicht die Ehegattinn eines Vormundes, die man doch ine einigen Gegenden noch Vormündinn nennet. Ein Vormund in der zweyten Bedeutung hieß ehedem auch Vogt. Im Oberdeutschen wird er noch Gerhab und Treusträger genannt.


Vormundschaft (W3) [Adelung]


Die Vormundschaft, plur. die -en, 1. Das Amt eines Vormundes in engerer Bedeutung überhaupt, der ganze Umfang der einem Vormunde obliegenden Pflichten, ohne Plural. Den Pflichten der Vormundschaft eine Genüge thun. Unter jemandes Vormundschaft stehen. 2. Eben dieses Amt, diese Obliegenheiten in näherer Beziehung auf den Mündel, oder dieses Amt in einzelnen Fällen, da es denn auch den Plural leidet. Zwey Vormundschaften zu verwalten haben, zweyer Unmündigen Vormund seyn. Eine Vormundschaft übernehmen, sie niederlegen. Die Vormundschaft ist zu Ende.


Vormundschaftlich (W3) [Adelung]


Vormundschaftlich, adj. et adv. zur Vormundschaft gehörig, in derselben gegründet.


Vormundschaftsamt (W3) [Adelung]


Das Vormundschaftsamt, des -es, plur. die -ämter, ein obrigkeitliches Amt oder Collegium, welches die Aufsicht über die Vormünder und ihre Verwaltung führet; an einigen Orten die Vormundschaftsstube, welches eigentlich das Zimmer bezeichnet, in welchem sich dieses Collegium versammelt, im Preußischen das Pupillen-Collegium, an andern Orten das Curatel-Amt.


Vorn (W3) [Adelung]


Vorn, eine Nebenwort des Ortes, an dem ersten oder vordersten Orte an dem vordersten Theile eines Dinges, ingleichen im Accusativ an den vordersten Ort oder Theil; im Gegensatze des hinten. Vorn ist das Haus neu; hinten alt, am Vordertheile. Ich ging vorn hinein und hinten wieder hinaus. Die Spitze vorn abbrechen. Ein Pferd vorn und hinten beschlagen. Vorn lecken und hinten kratzen. Ingleichen mit einigen Vorwörtern. Von vorn. Er kommt von Vorn, von dem Vordertheile. So bald ich ihn von vorn erblicke, von dem Vordertheile. Nach vorn zu gehen. Vorn wird für sich allein und ohne Vorwort, so wie dessen Gegensatz hinten, nur im Stande der Ruhe gebraucht, oder doch, wenn die Bewegung oder Handlung, als im Staube der Ruhe gedacht wird. Sie lagerten sich vorn an den Wüsten, 2 Mos. 13, 20. Und sollt es heften vornen (vorn) an den Hut, Kap. 28, 37. Fallen ihm die Haare vornen (vorn) am Haupt aus, 3 Mos. 13, 41. Vorn sitzen, wohnen, liegen. Ist aber die Bewegung nach vorn zu gerichtet, so gebraucht man entweder vor, besonders in Zusammensetzungen, welches dem hinter entgegen stehet, vorlaufen, voreilen, u. s. f. oder in manchen Fällen auch voran, voraus, vorher. Voran lau- fen. Das biblische vorn an, vorne an, vornen an, und vorne vor, für voran, ist im Hochdeutschen veraltet. Sie sollen vorn na ziehen, 4 Mos. 2, 9. Und die vorne vor gingen, Marc. 11, 9. Eben so ungewöhnlich sind folgende Arten des Gebrauches: du sollt es gegen den Gnadenstuhl sprengen vornen an, 3 Mos. 16, 14; vorn an den Gnadenstuhl. Vornen an auf allen Gassen bautest du Altäre, Ezech. 16, 25; für vorn allein.

Anm. Vorn ist aus vor und der adverbischen Endung -en zusammen gezogen, vermittelst welcher auch hinten, oben, unten u. s. f. gebildet sind; voren, zusammen gezogen vorn. Es ist daher unnöthig, ja fehlerhaft, dieses en noch einmahl daran zu hängen, und vornen zu sprechen. Vorne hat gar keine Analogie, indem auch für das e euphonicum kein Grund vorhanden ist. Beyde Formen kommen indessen im gemeinen Leben, in der Deutschen Bibel und bey noch ältern Schriftstellern, z. B. im Schwabensp. häufig vor, wo die erste vornan, vorn an, lautet. Vorne schloß ein Gitterchen unser Haus, sagt selbst noch Geßner.


Vornächtig (W3) [Adelung]


Vornächtig, adj. et adv. von der vorigen Nacht her. Eine vornächtige Fährte, bey den Jägern, welche schon 24 Stunden alt ist, und folglich keine Witterung mehr in sich hat.


Vornagel (W3) [Adelung]


Der Vornagel, des -s, plur. die -nägel, der Nagel vorn an der Deichsel, welcher durch die Kappe gehet, und woran die Vorderwage gehängt wird.


Vornageln (W3) [Adelung]


Vornageln, verb. reg. act. vor etwas nageln. Ein Bret vornageln, vor eine Öffnung.


Vornahme (W3) [Adelung]


Der Vornahme, des -ns, plur. die -n, derjenige eigenthümliche Nahme einer Person, welcher vor dem Geschlechtsnahmen hergehet, und auch der Taufnahme genannt wird, weil er in der Taufe ertheilet wird. In dem Nahmen Johann Christian Wolf, machen die beyden ersten Wörter den Vornahmen aus.


Vorne (W3) [Adelung]


Vorne, S. Vorn.


Vornehmen (W3) [Adelung]


Vornehmen, verb. irreg. act. ( S. Nehmen,) vor sich nehmen, so daß vor die Bedeutung des Ortes hat, daher es von einigen sehr irrig fürnehmen geschrieben und gesprochen wird. 1. In mehr eigentlichem Verstande, eine Schürze, eine Serviette vornehmen, vor sich nehmen, an den vordern Theil des Leibes thun; am häufigsten im gemeinen Leben. 2. In etwas weiterer Bedeutung nimmt man eine Sache vor, wenn man sie vor sich nimmt, sich selbige unmittelbar gegenwärtig macht, sie genau zu besichtigen, zu untersuchen. Einen Aufsatz vornehmen, ihn zu untersuchen und zu verbessern. Eben so sagt man auch eine Person vornehmen, sie vor sich kommen lassen, entweder ihr einen Verweis zu geben, oder auch sie zu prüfen, zu examinieren. Wir wollen ihn deshalb vornehmen. 3. Nach einer andern Figur nimmt man etwas vor, wenn man den Anfang macht, sich damit zu beschäftigen, es zur Wirklichkeit zu bringen, wodurch es sich so wohl von dem folgenden Reciproco, sich vornehmen, als auch von vorhaben unterscheidet. Man nimmt sich eine Reise vor, wenn man sie beschließt, man hat sie vor, wenn man die Anstalten dazu macht, man nimmt sie vor oder unternimmt sie, wenn man sie wirklich anfängt. Daß Israel nicht mehr solch Übel vornehme unter euch, 5 Mos. 13, 11. Er wird segnen, was du vornimmst, Kap. 15, 10. Eine Arbeit vornehmen. Die Prüfung seiner selbst vornehmen. Eine Untersuchung, Hinrichtung u. s. f. vornehmen. 4. Als ein Reciprocum, sich etwas vornehmen, es zu thun beschließen, wie sich vorsetzen. Ich hatte mit vorgenommen, ein Haus zu bauen, 1 Chron. 29, 2. Sich eine Reise vornehmen, sie beschließen. Ich habe es mit selbst vorgenommen, ihn nie wieder zu sehen.


Vornehmen (W3) [Adelung]


Das Vornehmen, des -s, plur. ut nom. sing. der Infinitiv des vorigen Zeitwortes als ein Hauptwort gebraucht. 1. Die Handlung des Vornehmens, in allen Bedeutungen und ohne Plural. 2. In der dritten Bedeutung, die vorgenommene Sache, d. i. diejenige Sache, zu deren Ausführung man den Anfang macht. Von seinem Vornehmen abstehen. Auf seinem Vornehmen beharren. Das Vornehmen ist nicht gelungen. 3. In der vierten Bedeutung, der Entschluß, Beschluß, und die beschlossene Sache, in welcher Bedeutung es mehrmahls in der Deutschen Bibel vorkommt.


Vornehmlich (W3) [Adelung]


Vornehmlich, adj. et adv. welches in doppelter Gestalt gefunden wird. 1. * Als ein Bey- und Nebenwort, wie vornehm, da es denn auch die Comparation leidet. Die alle vornehmliche Männer waren unter den Kindern Israel, 4 Mos. 13, 3, 4; vornehme, angesehene. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet. 2. Als ein Nebenwort allein, vor andern Dingen seiner Art. Alle Dichter, vornehmlich aber Homer. Eine Kraft Gottes, die da selig macht, - die Jüden (Juden) vornehmlich und auch die Griechen, Röm. 1, 16. Die Häßlichkeit entstehet vornehmlich aus dem Widerspruche der Theile, die ein Ganzes ausmachen, vor andern, hauptsächlich, am meisten. Man lehre das Kind da vornehmlich erschrecken und sich schämen, wo es die Vernunft am meisten befiehlt, Gell. Du darfst dich deiner Armuth nicht schämen, vornehmlich da du sie nicht verschuldet hast. Wo es auch die Gestalt eines Bindewortes annimmt.

Anm. Es stammet nicht von vornehmen, sondern von vornehm ab, und ist nach dem Muster des Lat. praecipue gebildet, wie vornehm nach praecipuus.


Vornen (W3) [Adelung]


Vornen, S. Vorn.


Vornennwort (W3) [Adelung]


* Das Vornennwort, des -es, plur. die -wörter, ein ungewöhnliches, nur von Bödickern und einigen ältern Sprachlehrern gebildetes Wort, das Pronomen zu bezeichnen, wofür Fürwort schicklicher und üblicher ist.


Vorpfahl (W3) [Adelung]


Der Vorpfahl, des -es, plur. die -pfähle, Pfähle, welche vor dem Fuße eines Bollwerkes, Dammes oder Deiches eingeschlagen werden, damit er nicht ausweiche.


Vorpfeifen (W3) [Adelung]


Vorpfeifen, verb. irreg. act. ( S. Pfeifen.) Einem etwas vorpfeifen, es in seiner Gegenwart pfeifen, damit er es höre.


Vorplaudern (W3) [Adelung]


Vorplaudern, verb. reg. act. Einem etwas vorplaudern, es in seiner Gegenwart plaudern, damit er es höre.


Vorposten (W3) [Adelung]


Der Vorposten, des -s, plur. ut nom. sing. im Kriege, die äußern Posten von einem Lager oder in den Quartieren befindlichen Haufen Truppen; der Feldposten. S. Posten.


Vorpredigen (W3) [Adelung]


Vorpredigen, verb. reg. act. Einem vorpredigen, in dessen Gegenwart predigen, damit er es höre. Am häufigsten figürlich, einem etwas vorpredigen, es ihm mit vielen und nachdrücklichen Worten begreiflich machen.


Vorragen (W3) [Adelung]


Vorragen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, für hervor ragen, welches gewöhnlicher ist. Der Pfahl ragt aus dem Wasser vor, wenn er hervor ragt. So auch die Vorragung.


Vorrang (W3) [Adelung]


Der Vorrang, des -es, plur. car. der Rang vor einem andern oder von andern; auch nur der Rang schlechthin. Vor jemanden den Vorrang haben. Sich um den Vorrang streiten.


Vorrath (W3) [Adelung]


Der Vorrath, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten oder Quantitäten, die -räthe, eine unbestimmte Menge zum künftigen Gebrauche nöthiger Dinge. Vorrath an etwas haben, im gemeinen Leben von etwas. Vorrath von Speise, Öhl und Wein, besser an, 2 Chron. 11, 11. Vorrath des Brots, 3. Mos. 26, 26, für an Brot, ist im Hochdeutschen seltener. Allen Vorrath aufzehren, verbrauchen. Sich mit Vorrath auf den Winter versehen. Noch vielen Vorrath haben. Die Schiffe nehmen Vorrath ein, wenn sie die zum künftigen Gebrauche nöthigen Lebensmittel einnehmen. Anm. Es stammt von dem veralteten Rath, ein Ding, res, und Menge von Dingen her, welches außer diesem Worte noch in Hausrath, Unrath und Geräth üblich ist. S. Rath.


Vorräthig (W3) [Adelung]


Vorräthig, adj. et adv. als ein Vorrath vorhanden, zum künftigen Gebrauche vorhanden. Alles vorräthige Getreide verkaufen. Das vorräthige Geld. Es ist nichts mehr vorräthig.


Vorrathshaus (W3) [Adelung]


Das Vorrathshaus, des -es, plur. die -häuser, ein Haus, Vorräthe darin aufzubewahren; ein Magazin. So auch die Vorrathskammer, das Vorrathsgewölbe, eine Kammer, ein Gewölbe, Vorräthe darin aufzubehalten.


Vorrechnen (W3) [Adelung]


Vorrechnen, verb. reg. act. 1. Zum Muster der Nachahmung in jemandes Gegenwart rechnen. Einem ein Exempel vorrechnen. 2. Jemanden seiner Ausgaben vorrechnen, sie in seiner Gegenwart stückweise angeben und zusammen zählen.


Vorrecht (W3) [Adelung]


Das Vorrecht, des -es, plur. die -e. 1. Dasjenige Recht, nach welchem man befugt ist, etwas eher als ein anderer zu thun, das Befugniß, etwas vor dem andern zu thun. Wer befugt ist, in einem Jagdbezirke eher als andere zu jagen, oder wer in demselben das Vorjagen hat, hat das Vorrecht im Jagen. 2. Im weitern Verstande, ein jedes Recht, welches man vor einem andern, oder vor andern hat, besonders so fern es sich auf äußern Stand und Würde gründet. Die Vorrechte des Adels. Die Ertheilung des Adels ist ein Vorrecht der Krone.


Vorrede (W3) [Adelung]


Die Vorrede, plur. die -n, 1. Die Rede, d. i. das Reden anderer von einer Sache, vor derselben, vor ihrer wirklichen Vollziehung; doch nur noch zuweilen im gemeinen Leben. Sprichw. Vorrede macht keine Nachrede. 2. Eine Rede, durch welche man sich den Weg zur Hauptsache bahnet, eine Rede, welche vor dem Hauptvortrage hergehet. Eine lange Vorrede machen, vie- len Umschweif, ehe man zur Hauptsache kommt. Am häufigsten gebraucht man es von einer Rede vor dem Anfange eines Buches oder einer Schrift, worin ihre Veranlassung, Einrichtung und andere Umstände angegeben werden, und die, wenn sie kurz ist, auch wohl ein Vorbericht genannt wird. Die Vorrede vor einem Buche. Bey einer Predigt oder einer feyerlichen Rede heißt sie der Eingang. In Boxhorns Glossen heißt eine Vorrede noch Foraspracha, Vorsprache.


Vorreden (W3) [Adelung]


Vorreden, verb. reg. welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben. Einem vorreden, eher reden, als er, nur im gemeinen Leben. 2. Als ein Activum. Einem etwas vorreden, es in seiner Gegenwart reden, damit er es glaube, oder höre. Sie reden mir so viel von der Liebe vor, Gell.


Vorredner (W3) [Adelung]


Der Vorredner, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorrednerinn, von Vorrede; in der engern Bedeutung, eine Person, welche in der Vorrede eines Buches spricht, der Verfasser der Vorrede. Bey dem Opitz auch Vorreder.


Vorreiben (W3) [Adelung]


Vorreiben, verb. irreg. act. ( S. Reiben.) 1. Einem etwas vorreiben, es in seiner Gegenwart reiben, besonders damit er es nachreiben lerne. 2. Sich etwas vorreiben, es zum Voraus reiben, sich das Reiben zu ersparen. So reibst sich der Mahler die Farben vor. So such das Vorreiben.


Vorreiber (W3) [Adelung]


Der Vorreiber, des -s, plur. ut nom. sing. an dem Fensterbeschläge ein an Einem oder beyden Enden krummen gebogenes und um einen starken Nagel bewegliches Eisen, die Fensterflügel und Schößchen damit an den Rahmen anzuschließen; eigentlich ein Ding, welches vorgerieben, d. i. vorgedrehet wird.


Vorreichen (W3) [Adelung]


Vorreichen, verb. reg. 1. Als ein Activum, hervor reichen. Etwas aus einem Kasten vorrichten. 2. Als ein Neutrum mit haben, wie vorragen.


Vorreihen (W3) [Adelung]


Der Vorreihen, des -s, plur. ut nom. sing. von Reihen, der Tanz, in einigen Gegenden so viel, als der Vortanz; ohne Plural. Den Vorreihen haben, andern vortanzen. Ingleichen die unter mehrern in der vordersten Reihe tanzenden Personen, mit dem Plural.


Vorreißen (W3) [Adelung]


Vorreißen, verb. irreg. act. ( S. Reißen.) 1. Von reißen, zeichnen. (1) Einem etwas vorreißen, es in dessen Gegenwart reißen oder zeichnen, so wohl, damit er es sehe, sich einen Begriff davon mache, als auch, damit er es nachreißen lerne. (2) Eine Figur vorreißen, oder nur schlechthin vorreißen, den ersten Umriß einer Figur machen. Daher ist bey den Maurern u. s. f. der Vorreißer, ein Pinsel mit einem langen Stiele, womit sie sich die Linien vorreißen. 2. Von reißen, vi separare, kann einem etwas vorreißen, gleichfalls bedeuten, es in dessen Gegenwart reißen, damit er es nachreißen lerne.


Vorreiten (W3) [Adelung]


Vorreiten, verb. irreg. ( S. Reiten,) welches in doppelter Gestalt üblich ist. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn. (1) Einem vorreiten, vor ihm her reiten. Bey Durchführung vornehmer Personen reitet der Geleitsmann ihnen vor. (2) Einem vorreiten, ihm im Reiten zuvor kommen. Allen vorreiten. (3) Einem vorreiten, zum Muster der Nachahmung in dessen Gegenwart reiten, damit er nachreiten lerne. (4) Absolute reitet man vor, wenn man vorwärts, nach dem vordern Theile zu reitet. 2. Als ein Activum. Jemanden ein Pferd vorreiten, es in dessen Gegenwart reiten, damit er dessen gang u. s. f. erkenne und beurtheile.


Vorreiter (W3) [Adelung]


Der Vorreiter, des -s, plur. ut nom. sing. bey einem Gespanne von sechs Pferden, ein Reitknecht, welcher das vorderste Paar Pferde reitet, den üblichen gleichsam vorreitet.


Vorrennen (W3) [Adelung]


Vorrennen, verb. irreg. neutr. ( S. Rennen,) mit dem Hülfsworte seyn. 1. Vorwärts rennen, im gemeinen Leben. Geh und renne vor, nach dem vordersten Orte zu. 2. Einem vorrennen, ihm durch Rennen zuvor kommen.


Vorrichten (W3) [Adelung]


Vorrichten, verb. reg. act. Etwas vorrichten, es hervor richten, daß ist, zum Gebraucht in Bereitschaft legen; zuweilen auch vorbereiten. Den Bau vorrichten, im Bergbaue, ihn gehörig anstellen. In den Schmelzhütten richtet man vor, wenn man den Schmelzofen aufs neue zurichtet, zu einem neuen Schmelzen vorbereitet. S. auch die Vorrichtung.


Vorritt (W3) [Adelung]


Der Vorritt, des -es, plur. car. die Handlung des Vorreitens, doch nur in der ersten Bedeutung des Neutrius. Den Vorritt thun, einem Vornehmern vorreiten. Ingleichen das Recht, einem Vornehmern vorzureiten. Den Vortritt haben.


Vorrücken (W3) [Adelung]


Vorrücken, verb. reg. welches in doppelter Gestalt gebraucht wird. 1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, vorwärts rücken. Mit der Armee vorrücken. Der Feind ist vorgerückt. In der Mahlerey sagt man, eine Farbe rückt vor, wenn sie die Gegenstände dem Vorgrunde gleichsam nähert. Weiß rückt mit dem Braunen vor, und entfernt ohne dasselbe. Bloßes Schwarz rückt am stärksten vor. 2. Als ein Activum. (1) Vorwärts rücken, durch einem Ruck vorwärts bringen. (2) Vor etwas rücken. a. Eigentlich. Den Schrank, den Tisch vorrücken, vor eine Öffnung. b. Figürlich rückt man jemanden etwas vor, wenn man ihm etwas Vergangenes mit Bitterkeit wieder in das Andenken bringet; wodurch es sich von vorhalten unterscheidet, mit vorwerfen aber zum Theil gleichbedeutend ist. Jemanden die genossenen Wohlthaten vorrücken. Ihm ein begangenes Verbrechen vorrücken. Es war mir, als rückten mir alle, die mich sahen, mein Vergehen vor. Im weitern Verstande, überhaupt, als ein Vergehen, als eine Unvollkommenheit vorstellig machen, gebraucht man lieber vorwerfen. Ich habe mir dabey weiter nichts vorzurücken, las daß ich zu gutwillig gewesen, besser vorzuwerfen. Im Oberdeutschen sagt man für vorrücken auch vorrupfen. Daher die Vorrückung in allen Bedeutungen.


Vorrufen (W3) [Adelung]


Vorrufen, verb. irreg. act. hervor rufen; im gemeinen Leben. Jemanden vorrufen, hervor. So auch die Vorrufung.


Vorsaal (W3) [Adelung]


Der Vorsaal, des -es, plur. die -säle, Diminut. das Vorsälchen, in Obersachsen der Platz in einem Stockwerke vor den Zimmern, in welchen man, wenn das untere Stockwerk bewohnt ist, aus der Hausthür, in den übrigen Stockwerken aber von der Treppe tritt. Er behält diesen Nahmen, wenn er gleich klein ist, und eigentlich nicht den Nahmen eines Saales verdienet. In der Schweiz heißt er die Laube. Ein Vorsaal in dem untern Stocke heißt, besonders, wenn dieses nicht bewohnt wird, in den meisten Gegenden das Vorhaus, die Flur, in Franken die Tenne.


Vorsabbath (W3) [Adelung]


Der Vorsabbath, des -es, plur. die -e, in der Deutschen Bibel, Marc. 15, 42. der Tag unmittelbar vor dem Sabbath, d. i. der Freytag, welcher daselbst auch der Rüsttag genannt wird, S. dieses Wort.


Vorsagen (W3) [Adelung]


Vorsagen, verb. reg. act. Einem etwas vorsagen, es in dessen Gegenwart sagen. 1. Damit er es nachsagen lerne, vorsprechen, im gemeinen Leben auch vorbethen, und in der niedrigen Sprechart vorkäuen. Einem Kinde das Abc, das Vater unser vorsagen. 2. Damit er es höre, und sich darnach entschließe, in jemandes Gegenwart sagen, um seinen Willen dadurch zu lenken. Jemanden viel von der Annehmlichkeit eines Ortes vorsagen. Sie sagen ihr bey aller Gelegenheit tausend süße Sachen vor. Den Kindern vorsagen, wie schön es sey, andere zu übertreffen. Je mehr ich ihr von der Liebe vorsage, desto unempfindlicher wird sie, Gell. Vorsagen unterscheidet sich in dieser Bedeutung von vorreden, welches doch so, wie vorsprechen, zuweilen auch in eben demselben Verstande gebraucht wird. Vorschwatzen und vorplaudern beziehen sich zunächst auf der Fertigkeit der Zunge, mit welcher man jemanden etwas vorsagt.


Vorsänger (W3) [Adelung]


Der Vorsänger, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorsängerinn, eine Person, welche andern vorsingt, d. i. bey dem Singen mehrerer den Tact und den Ton führet, und sonst auch Cantor und Präcentor genannt wird.


Vorsatz (W3) [Adelung]


Der Vorsatz, des -es, plur. die -sätze, von dem Zeitworte vorsetzen, doch nur in einigen Bedeutungen desselben. 1. Im Bergbaue ist der Vorsatz so viel als Absatz, Erhöhung von der horizontalen Linie. Man läßt in einem Stollen einen Vorsatz stehen, wenn er nicht horizontal gehet, sondern einen Absatz bekommt, welches auch ein Gesprenge genannt wird. 2. Einige Sprachlehrer nennen die grammatische Figur, nach welcher ein Wort zu Anfange verlängert wird, Prosthesis, den Vorsatz; z. B. geseyn, für seyn, welches doch eigentlich keine Figur, sondern das Eigenthümliche einer gewissen Mundart ist. 3. Von dem Reciproco sich vorsetzt, ist der Vorsatz, der auf Überlegung gegründete Entschluß, eine Handlung zu vollziehen oder zu unterlassen; der Entschluß. Einen Vorsatz fassen. Bey einem Vorsatze bleiben. Von seinem Vorsatze abweichen. Ich hatte nicht den Vorsatz, dich zu beleidigen. Mit Vorsatz thue ich niemanden Unrecht. Einen guten Vorsatz haben. Seinen Vorsatz ändern. Einem Vorsatze entsagen. Weise Vorsätze auf die Zukunft fassen. Nach dem Vorsatz berufen seyn, Röm. 8, 28. Er hat uns selig gemacht - nach seinem Vorsatz, 2 Tim. 1, 9. In welchen biblischen Stellen den allgemeinen Willen Gottes, alle Menschen selig zu machen, bezeichnet. Vorsatz ist in dieser ganzen Bedeutung nach dem Lat. Propositum gebildet. S. Vorsetzen und Vorsetzlich.


Vorschanzen (W3) [Adelung]


* Vorschanzen, verb. reg. act. welches nur im Oberdeutschen für vorbauen im figürlichen Verstande üblich ist. Der Arglist vorzuschanzen, Günth.


Vorschauen (W3) [Adelung]


Vorschauen, verb. reg. act. welches nur in einigen Gegenden, z. B. in den Niederdeutschen Marschländern, üblich ist, vorläufig besichtigen, vor der Hauptschau oder Hauptbesichtigung in Augenschein nehmen. Daher die Vorschau oder Vorschauung.


Vorschein (W3) [Adelung]


Der Vorschein, des -es, plur. car. ein mangelhaftes Hauptwort, welcher nur in der Redensart gebraucht wird, zum Vorscheine kommen, und zum Vorscheine bringen, sichtbar werden, und sichtbar machen. Der Mond, welcher sich hinter den Wolken verborgen hatte, kommt zum Vorscheine, wenn er hinter denselben wieder vorkommt und sichtbar wird. So auch figürlich. Ein Schuldner, welcher sich vor seinen Gläubigen verborgen hatte, kommt wieder zum Vorscheine, wenn er sich wieder öffentlich sehen lässet. Eine verlorene Sache kommt zum Vorscheine, wenn sie wieder gefunden wird, wenn der Ort, wo sie sich befindet, bekannt wird. So auch etwas zum Vorscheine bringen, machen, daß eine verborgene Sache bekannt werde. Aber für: der Betrug ist zum Vorscheine gekommen, sagt man richtiger, ist an den Tag gekommen.


Vorscheinen (W3) [Adelung]


Vorscheinen, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, vor andern scheinenden Dingen vorzüglich empfunden werden. Der Hundsstern scheinet unter andern Sternen vor, leuchtet vor. Ingleichen auch von Dingen, welche kein eigentliches Licht haben. Das Unterfutter scheinet unter dem dünnen Oberzeuge vor, wenn es durch dasselbe gesehen wird. Daher das Vorscheinen.


Vorschicht (W3) [Adelung]


Die Vorschicht, plur. die -en, im Hüttenbaue, Ofenbrüche, geringhaltige Erze u. s. f. welche vor den beschickten Erzen in dem Schmelzofen geschmolzen werden, damit das frisch aufgestoßene Gestübe nicht so viel gutes Werk in sich ziehe.


Vorschicken (W3) [Adelung]


Vorschicken, verb. reg. act. vorwärts, nach dem vordern Theile zu schicken, im gemeinen Leben.


Vorschieben (W3) [Adelung]


Vorschieben, verb. irreg. act. ( S. Schieben.) 1. Vorwärts schieben. Den Wagen vorschieben, vor die Thür. Auch wohl so viel, als hervor schieben. 2. Vor etwas anders schieben. Den Kasten vorschieben, vor eine Öffnung. Den Riegel vorschieben, vor die Thür.


Vorschieber (W3) [Adelung]


Der Vorschieber, des -s, plur. ut nom. sing. ein Ding, welches vorgeschoben wird, in verschiedenen einzelnen Fällen. Ein senkrechtes Bret, welches vor einer Öffnung auf- und zugeschoben werden kann, heißt ein Vorschieber. In dem Bauwesen ist es eine Art Bauanker, welcher die Gestalt eines T hat, ( S. Anker.) An den Füllen werden die jungen Fürstenzähne, statt deren nach dem dritten Jahre die Mittelzähne kommen, Vorschieber genannt.


Vorschießen (W3) [Adelung]


Vorschießen, verb. irreg. ( S. Schießen,) welches in doppelter Gestalt üblich ist. 1. Als ein Neutrum, und zwar: (1) Von schießen, sich schell fortbewegen, mit dem Hülfsworte seyn. a. Vorwärts schießen. Der Strom schießt vor. Wo es zuweilen figürlich für weit vorragen gebraucht wird. Das Dach schießt eine Elle vor, vor der Mauer. (Siehe Vorschuß.) b. Hervor schießen, schnell hervor kommen; doch hier nur selten. Die Blume ist vorgeschossen. c. Vor etwas schießen. So schießt im Bergbaue das Gebirge vor, wenn die Erde plötzlich vor etwas schießt. (2) Von schießen, ein Feuergewehr losbrennen. a. Einem vorschießen, eher schießen, als er. b. Einem vorschießen, näher zum Ziele schießen, als er. c. In seiner Gegenwart schießen, damit er nachschießen lerne. d. Jemanden im Schießen übertreffen. 2. Als ein Activum, doch nur in einigen Bedeutungen des Zeitwortes schießen. (1) Schnell vorschieben. Den Riegel vorschießen. (2) Die Schneider schießen einen Saum, ein Gebräme vor, wenn sie denselben an einen Theil eines Kleidungsstückes setzen. (3) Von schießen, Geld zählen, eigentlich schußweise zählen, ist einem Geld vorschießen, es schußweise in seiner Gegenwart zählen, damit er von der Richtigkeit der Summe überzeugt werde. Vermuthlich ist das eine Figur von dieser Bedeutung, wenn (4) die Kosten vorschießen, so viel bedeutet, als sie für einen andern auslegen, Vorschuß thun. Ich kann nicht länger vorschießen, habe schon viel vorgeschossen. Ingleichen mit der dritten Endung der Person, einem Die Kosten, den Arbeitslohn, die Fracht, seinen Gehalt u. s. f. vorschießen, voraus bezahlen. (3) In noch weiterer Bedeutung schießt man jemanden Geld vor, wenn man ihm selbiges leihet oder borget, ohne zu bestimmen, ob es auf Zinsen geschehe oder nicht, wofür auch vorstrecken üblich ist. Vorgeschossenes Geld. Daher das Vorschießen, in einigen wenigen Fällen die Vorschießung, und in den letzten beyden Bedeutungen der Vorschuß, S. dasselbe.

Anm. In den beyden letzten Bedeutungen auch im Schwedisch. förskjuta. Da schießen hier ohne Zweifel Geld schußweise zählen bedeutet, so ist es allerdings richtig, daß es, wie Stosch bemerkt, nur von Geld und Geldsummen üblich ist. Eben daraus wird auch begreiflich, warum es nicht von kleinen unbedeutenden Posten, die nicht geschossen werden können, sondern nur von den ächtlichern geborgten Geldsummen gebraucht wird. Vier Groschen leihet oder borget man, aber zehn Thaler kann man auch vorschießen. Allein, daß vorschießen und vorstrecken den Begriff der Zinsen ausschließen, und den Begriff einer kurzen Zeit mit sich führen, daß vorstrecken nur allein in der Gegenwart geschehen, und ein geschwinderes und fertigeres Leihen bezeichnen soll, als vorschießen, wie gleichfalls Stosch will, zu allen diesen Bestimmungen finde ich in der Abstammung und Zusammensetzung keinen Grund, zweifele auch, ob sie sich aus dem Sprachgebrauche werden behaupten lassen. Eigentlich erfordern vorschießen und vorstrecken, so wie vorspielen, vortanzen u. s. f. eine persönliche Gegenwart; allein, nach einer sehr gewöhnlichen Figur können sie beyde auch von Abwesender gebraucht werden, so wie man einem Abwesenden schriftlich vorplaudern, vorschwatzen, vorlügen u. s. f. kann. Und warum sollte man jemanden nicht tausend Thaler auf zehn, zwanzig Jahr, auf Interessen u. s. f. wohl vorschießen als vorstrecken können? Zwischen beyden Zeitwörtern scheint mir dem Gebrauch nach kein anderer Unterschied Statt zu finden, als daß dieses im Hochdeutschen seltener gebraucht wird, als jenes. In manchen Gegenden sagt man sehr gewöhnlich, die Kosten vorstrecken, für auslegen, obgleich im Hochdeutschen vorschießen üblicher ist.


Vorschiffen (W3) [Adelung]


Vorschiffen, verb. reg. neutr. mit seyn, wofür doch vorsegeln üblicher ist, S. dasselbe.


Vorschimmern (W3) [Adelung]


Vorschimmern, verb. reg. neutr. mit haben, durch seinen Schimmer vor andern umstehenden Dingen merklich werden.


Vorschlag (W3) [Adelung]


Der Vorschlag, des -es, plur. die -schläge, von dem Zeitworte vorschlagen. 1. Die Handlung des Vorschlagens, doch nur selten und ohne Plural. So sagt man, wenn mehrere zugleich dreschen, und einer davon den Vorschlag führe, wenn er durch seinen Schlag, die Schläge der übrigen ordnet und leitet. 2. Was vorgeschlagen wird. (1) In mehr eigentlichem Verstande, da es als ein Kunstwort in verschiedenen einzelnen Fällen gebraucht wird. Bey den Maurern ist der Vorschlag, der Kalk, welcher bey den Ziegeldächern oben auf der Anlage des Ziegels von oben angeschmieret oder gleichsam vorgeschlagen wird. In der Artillerie wird das Heu, der Rasen u. s. f. welches bey dem Laden des groben Geschützes auf das Pulver gesetzt wird, der Vorschlag genannt. Ein Stück mit Pulver und einem Vorschlage von Heu gehörig laden. In dem Hüttenbaue und der Chymie ist es dasjenige, was zur Beförderung des Flusses einem Mineral vorgeschlagen, d. i. zugesetzt, wird, und auch der Zuschlag genannt wird. Bey der Bleyarbeit heißt die Glätte, welche zugesetzt wird, in engern Verstande der Vorschlag. Im Bergbaue ist der Vorschlag ein Stück Eisen, welches vor die Stämpel und Spreitzen geschlagen wird, damit sie nicht ausgeschoben werden können. In der Musik ist es eine kleine Note, welche man vor einer größern hören läßt, zum Unterschiede von dem Nachschlage. Und so in noch andern Fällen mehr. (2) In figürlichem Verstande von vorschlagen, so fern es ein mögliches Mittel zur Erreichung einer Absicht vorstellig machen bedeutet, ist der Vorschlag ein Mittel, welches man jemanden zur Erreichung einer Absicht, als möglich vorstellet. Jemanden einen Vorschlag thun. Sich einen Vorschlag gefallen lassen. Alle diese Vorschläge gefallen mir nicht. Besondere Redensarten sind, etwas in Vorschlag bringen, vorschlagen, und etwas im Vorschlage haben, einen Vorschlag in Gedanken haben. Im engern Verstande ist der Vorschlag, 1. ein mögliches, einem andern vorstellig gemachtes Mittel zur gütlichen Beylegung einer streitigen Sache. Friedensvorschläge thun. Alle Vorschläge von der Hand weisen. Aber ich werde den Vorschlag nicht eingehen, Gell. 2. Ein mögliches Mittel zu jemandes Versorgung, so fern es noch auf des andern freye Wahl ankommt. Ich habe noch ganz andere Vorschläge für dich, Weiße.


Vorschlage (W3) [Adelung]


Die Vorschlage, plur. die -n, bey den Schmieden und Schlössern, ein großer Hammer, den Meißel bey Zertheilung eines Stückes Eisen damit zu treiben, vielleicht auch, ein großes Stück Eisen vorläufig damit zu bearbeiten; die Kreuzschlage, der Vorschlaghammer, Kreuzhammer, Schrothammer.


Vorschlagen (W3) [Adelung]


Vorschlagen, verb. irreg. ( S. Schlagen,) welches nach Maßgebung der Partikel und des Zeitwortes schlagen in verschiedenen Bedeutungen üblich ist. Es ist überhaupt, I. Ein Neutrum, welches das Hülfswort haben erfordert. 1. Vorwärts schlagen, in verschiedenen Bedeutungen des Zeitwortes schlagen. Die Wage schlägt ein wenig vor, wenn sich die Zunge ein wenig vorwärts neiget. 2. Vor der gehörigen Zeit schlagen. In diesem Verstande gebrauchen das Wort die Jäger von allzu hitzigen Jagdhunden, wenn sie vor der Zeit anschlagen, ehe sie das Wild sehen. Der Hund schlägt vor, welches auch vorlaut, freylaut, fährtenlaut werden heißt. 3. In einiger Entfernung von einem andern Dinge schlagen oder einschlagen. In diesem Verstande schlagen die Jäger vor, wenn sie bey dem Dachsgraben hinter dem Schalle des Hundes einschlagen oder eingraben, um auf die Röhren des Fuchses oder Dachses zu kommen. Eben daselbst wird es auch von den Hunden gebraucht, wenn sie einen Bogen machen, um die verlorne Fährte wieder zu finden. Nach einer noch andern Schattirung der Bedeutung wird es in der Jägerey auch für vorgreifen gebraucht. In beyden Fällen leidet das vor auch noch eine andere Erklärung. 4. Schlagen, daß ein anderer es höre. Im Bergbaue schlägt man vor, wenn man den Arbeitern in der Grube durch Schlagen ein Zeichen der Schicht gibt. II. Ein Activum. 1. In Gegenwart eines andern schlagen, so daß er es höre. Die Nachtigall schlägt mir ihre sanften Lieder vor. Ingleichen zum Muster der Nachahmung. Den Sängern den Tact vorschlagen. 2. Vorwärts schlagen. Der Löwe schlägt die Zunge vor, wenn er sie aus dem Rachen strecket; ein besonders in der Wapenkunst üblicher Ausdruck, wo Löwen mit vorgeschlagener Zunge vorkommen. 3. An dem vordern Theile schlagen. In der Landwirthschaft werden die Garben, oder wird das Getreide vorgeschlagen, wenn man es nur leicht an den Ähren drischet, um reines Getreide zu bekommen, wo das Wort in Obersachsen in forscheln verderbt wird. ( S. auch Klopfe.) 4. Vorläufig schlagen. In dieser Absicht haben die Lederarbeiter eine Art Ahlen, welche sie Spehre nennen, sich die Löcher vorzuschlagen, wodurch der Riemen, Pechdraht Faden u. s. f. gezogen wird. Geschiehet es ohne Schlagen, so heißt es vorstechen. 5. Ein Ding vor ein anderes schlagen, mit Verschweigung dieses andern Dinges. (1) Eigentlich, und am häufigsten im gemeinen Leben. Ein Bret vorschlagen, vor eine Öffnung nageln. Einen Nagel, einen Pfahl, einen Pflock vorschlagen. Im weitern Verstande schlägt man in der Artillerie Heu, Rasen vor, wenn man es in dem groben Geschütze fest auf das Pulver stampfet, ehe man die Kugel darauf setzt. In dem Hüttenbaue schlägt man strengflüssigen Erzen Glätte, Kalksteine, Schlacken und andere Beförderungsmittel des Flusses vor. (2) Besonders in zwey figürlichen Bedeutungen. a. Im Handel und Wandel schlägt der Verkäufer vor, wenn er den wahren Preis der Waare, für welche er selbige zu lassen bedenkt, im Fordern willkührlich erhöhet. Ein Kaufmann schlägt nichts vor, wenn er den äußersten Preis, für welchen er eine Waare lassen kann und will, fordert. Manche Arten von Kaufleuten schlagen ein Drittel, oder wohl gar die Hälfte, vor. b. Einem etwas vorschlagen, es ihm als ein mögliches Mittel zur Erreichung einer Absicht vorstellig machen, übrigens aber dessen Gebraucht seiner Willkühr überlassen. Einem Kranken ein Arzeneymittel vorschlagen. Einer Person eine Heirath vorschlagen. Friedensbedingungen, Bedingun- gen zu einem Vergleiche vorschlagen. Jemanden zu einer Bedienung vorschlagen, in Vorschlag bringen. Daher das Vorschlagen, in einigen Fällen die Vorschlagung und in andern der Vorschlag.

Anm. In der letzten Bedeutung bedeutet vorschlagen eigentlich so viel, wie vorlegen, proponere, so daß schlagen hier das Intensivum von legen ist. In der vorletzten im Handel und Wandel üblichen Bedeutung scheinet vor so viel, als vor dem wahren Preise voraus, über denselben, zu bedeuten; schlagen aber scheint hier in der Bedeutung zu stehen, in welcher es noch zuweilen in kaufschlagen für handeln, in aufschlagen und abschlagen, active, den Preis steigern und vermindern, gebraucht wird. Im Schwed. bedeutet Förslag auch einen Überschlag, und första, einen Überschlag machen.


Vorschläger (W3) [Adelung]


Der Vorschläger, des -s, plur. ut nom. sing. eine Person, welche vorschlägt, doch nur in einigen Bedeutungen des Zeitwortes. So heißt bey den Schmieden derjenige, welcher den kleinen Hammer führet, und durch dessen Schläge die Stellen zeiget, wohin die andern schlagen sollen, so wohl der Vorschläger, als der Schirrmeister.


Vorschleppen (W3) [Adelung]


Vorschleppen, verb. reg. act. vorwärts, an den vordern Theil schleppen.


Vorschmack (W3) [Adelung]


Der Vorschmack, des -es, plur. inus. 1. Von vorschmecken, ein Geschmack, welcher deutlicher, als der wahre oder rechte Geschmack eines Dinges empfunden wird. Der Kaffeh hat einen Vorschmack, wenn z. B. Aloe in demselben vorschmeckt. 2. Von dem nicht so üblichen vorschmecken, vorher empfinden, ist der Vorschmack figürlich, die vorläufige Empfindung, oder vorläufige anschauende Erkenntniß einer künftigen Sache. Jemanden einen Vorschmack von etwas geben. Der Vorschmack einer Strafe, der Hölle. Am häufigsten gebraucht man es jedoch von der aufschauenden Erkenntniß eines künftigen Guten. Der Vorschmack des Himmels. In einigen Gegenden in beyden Bedeutungen Vorgeschmack.


Vorschmecken (W3) [Adelung]


Vorschmecken, verb. reg. 1. Ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, in der Vermischung mit andern Dingen deutlicher, als diese andern Dinge, durch den Geschmack empfunden werden. Rhabarbar schmeckt unter allen Mischungen vor. Ist ein Ingredienz darum nicht in einer Mischung, weil es nicht vorschmeckt? Lessing. 2. * Ein Activum. Etwas vorschmecken, figürlich eine anschauende Erkenntniß einer künftigen Sache haben; eine veraltete Bedeutung, wovon indessen noch Vorschmack üblich ist.


Vorschmid (W3) [Adelung]


Der Vorschmid, des -s, plur. die -schmiede, auf den Eisenhämmern, der vornehmste Arbeiter nach dem Meister bey dem Stabfeuer, welcher vorschmiedet.


Vorschneiden (W3) [Adelung]


Vorschneiden, verb. irreg. welches in gedoppelter Gestalt üblich ist. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben. (1) Vor andern schneiden, der Ordnung nach. So scheidet unter den Schnittern derjenige vor, welcher der erste in der Reihe derselben ist. Wo das Getreide gemähet wird, heißt es vormähen oder vorhauen. (2) In jemandes Gegenwart zum Muster der Nachahmung schneiden, damit er nachschneiden lerne. Zuweilen auch nur in jemandes Gegenwart schneiden, damit er einen Begriff davon bekomme. 2. Als ein Activum, die Speisen vorschneiden, sie für die Gäste zerschneiden, eigentlich wohl, sie für die Gäste zerschneiden und ihnen vorlegen, mit einem Französischen Kunstworte transchiren. Bey Tische vorschneiden. Einen Braten vorschneiden. Daher das Vorschneiden. Siehe auch Vorschnitt.


Vorschneider (W3) [Adelung]


Der Vorschneider, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorschneiderinn. 1. Von dem Neutro, derjenige, welcher in der Ernte den übrigen Schnittern vorschneidet, der erste unter ihnen ist, der Ordnung nach; in einigen Gegenden auch der Vorschnitter, wo das Getreide gemähet wird, der Vormähder. 2. Von dem Activo, eine Person, welche die Speisen vorschneidet, und an Höfen oft ein eigener Beamter, der dieses zu thun verbunden ist, im mittlern Lat. Dapiscida. In Pohlen hatte man einen Kron-Großvorschneider von Pohlen, und einen Großvorschneider von Litthauen.


Vorschnell (W3) [Adelung]


Vorschnell, -er, -ste, adj. et adv. aus Hitze oder Unbedachtsamkeit, vor der gehörigen Zeit schnell, im hohen Grade voreilig. Man ist Vorschnell, wenn man die gehörige oder schickliche Zeit nicht abwartet. Vorschnell mit dem Munde seyn. Eine vorschnelle Antwort. Ein vorschnelles Betragen. In einigen Gegenden vorschnellig.


Vorschnitt (W3) [Adelung]


Der Vorschnitt, des. -es, plur. inus. von vorschneiden, an einigen Orten das Recht, in der Ernte mit dem Schnitte den Anfang zu machen, und sich zu dem Ende der Schnitter vor andern zu bedienen.


Vorschnitter (W3) [Adelung]


Der Vorschnitter, S. Vorschneider.


Vorschoß (W3) [Adelung]


Der Vorschoß, des -es, plur. doch nur von mehrern Arten, die -e, ein ur in einigen Gegenden, z. B. in der Mark Brandenburg, übliches Wort, denjenigen Schoß zu bezeichnen, der von dem Vermögen der Unterthanen in den Städten gegeben wird, und der an andern Orten die Vermögensteuer heißt; zum Unterschiede von dem Pfundschosse, der von den Grundstücken gegeben wird. Beyde kamen daselbst schon im funfzehnten Jahrhunderte auf.


Vorschreiben (W3) [Adelung]


Vorschreiben, verb. irreg. act. ( S. Schreiben.) 1. Vor etwas schreiben, obgleich seltener. So könnte man sagen, einem Buche seinen Nahmen vorschreiben, ihn vorn in dasselbe schreiben. 2. Zum Muster der Nachahmung schreiben. (1) Eigentlich, wo man jemanden vorschreibt, in seiner Gegenwart schreibt, damit er nachschreiben lerne. Einem Kinde das Abc vorschreiben. (2) Figürlich, verbindliche Regeln des Verhaltens ertheilen, welches nur der thun kann, der uns zu befehlen hat; eigentlich, so fern es schriftlich geschiehet, in weiterer Bedeutung aber auch mündlich. Jemanden vorschreiben, was er sagen, thun, wie er handeln soll. Es ist ihm vorgeschrieben, was er thun soll. Ich habe ihm nichts vorzuschreiben. Ohne ihnen etwas vorzuschreiben. Im Oberdeutschen hat man daher das unvorschreiblich, d. i. ohne vorzuschreiben. Daher das Vorschreiben. S. auch Vorschrift.


Vorschreiten (W3) [Adelung]


Vorschreiten, verb. irreg. neutr. ( S. Schreiten,) mit dem Hülfsworte seyn. 1. Jemanden vorschreiten, ihm im Schreiten zuvor kommen. 2. Vorschreiten, absolute vorwärts schreiten. Daher auch im Oberdeutschen figürlich, zur Hauptsache vorschreiten, wo es denn auch für schreiten lautet.


Vorschreyen (W3) [Adelung]


Vorschreyen, verb. irreg. neutr. et act. ( S. Schreyen,) welches im ersten Falle das Hülfswort haben bekommt. 1. Einem vorschreyen, ihm etwas vorschreyen, es in seiner Gegenwart schreyen, damit er es höre. 2. Einem etwas vorschreyen, damit er es nachschreye. 3. Jemanden vorschreyen, ihn im Schreyen übertreffen, stärker schreyen, als er. 4. Unter mehrern Stimmen schreyet eine vor, wenn man ihr Schreyen vor allen andern Stimmen höret. So auch das Vorschreyen.


Vorschrift (W3) [Adelung]


Die Vorschrift, plur. die -en, von dem Zeitworte vorschreiben. 1. Im eigentlichen Verstande, dasjenige, was einem andern vorgeschrieben worden, damit er darnach schreiben lerne. Besonders gedruckte oder in Kupfer gestochene Muster, darnach schreiben zu lernen. 2. In figürlichen Verstande, eine verbindliche Regel des Verhaltens, sie werde nun schriftlich oder mündlich ertheilet. Sich nach seiner Vorschrift richten, nach der Vorschrift, die man erhalten hat. 3. Von einer ungewöhnlichen Bedeutung des Zeitwortes vorschreiben, ist die Vorschrift bey einigen, eine schriftliche Empfehlung eines andern; in welchem Falle es freylich Fürschrift lauten sollte. Indessen ist es in dieser Bedeutung im Hochdeutschen selten, wo man dafür lieber andere Ausdrücke gebraucht. Notker übersetzt Prophetia buchstäblich durch Forescrift.


Vorschub (W3) [Adelung]


Der Vorschub, des -es, plur. car. von dem Zeitworte vorschieben, doch nur in einigen und zum Theil veralteten Bedeutungen desselben. 1. Die Handlung des Vorschiebens, und der Zustand, da etwas vorgeschoben wird. (1) Der Zustand; in welchem Falle der Auslauf des Vorderstevens im Schiffsbaue, d. i. dessen vorwärts gehende Richtung, auch der Vorschub genannt wird. (2) Die Handlung; in welchem Verstande man im Billard, dem Kegelspielen u. s. f. sagt, es habe jemand den Vorschub, wenn er das Recht hat, vor dem andern zu schieben, der alsdann den Nachschub hat. In einigen Gegenden wird es auch der Vorschuß genannt. 2. Was vorgeschoben ist oder wird. (1) Eigentlich. In diesem Verstande nennt Fronsberg dasjenige, was auf des Pulver bey dem Laden eines Stückes gesetzt oder geschoben wird, den Vorschub, welcher jetzt unter dem Nahmen des Vorschlages am bekanntesten ist. (2) Figürlich. Jemanden Vorschub thun, ihm zu Erreichung seiner Absicht thätig beförderlich seyn, besonders durch Darreichung der dazu nöthigen Hülfsmittel. Man thut jemanden Vorschub, wenn man z. B. einem Landmanne das mangelnde Getreide zur Aussaat borget oder schenket, einem Handwerker die Kosten zur Auslage vorschießet, die Materialien darleihet u. s. f. Da es denn auch oft in weiterm Verstande von jeder Hülfe oder Unterstützung gebraucht wird. Indessen ist es in dieser ganzen Bedeutung in der ersten und vierten Endung am üblichsten. Ich habe es durch seinen Vorschub erhalten, durch seine Vermittelung. Und nennet kein Vergnügen eitel, Dem Wein und Liebe Vorschub thut, Haged. Das in dieser Bedeutung jetzt veraltete Zeitwort vorschieben, Hülfe, Unterstützung leisten, kommt dem Frisch zu Folge, noch bey dem Fronsberg vor. In einigen Oberdeutschen Gegenden ist für Vorschub auch Zuschub üblich. Wenn Frisch Vorschub für Aufschub anführet, so ist es alsdann Verschub verderbt.


Vorschuß (W3) [Adelung]


Der Vorschuß, des -es, plur. die -schüsse, von dem Zeitworte vorschießen. 1. Die Handlung des Vorschießens, ohne Plural. In diesem Verstande heißt in dem Billard- und Kegelspiele, der Vorschuß ds Recht, vor einem andern zu schieben oder zu schießen, im Gegensatze des Nachschusses. (Siehe auch Vorschub.) Auch bey den Scheiben- und Vogelschießen wird es in diesem Verstande gebraucht. 2. In dem Neutro vorschießen, was vorschießt, da der Plural nur von mehrern Arten oder Quantitäten gebraucht wird. In den Weinländern ist der Vorschuß derjenige Wort, welcher zuerst von den Trauben schießt, es geschehe nun ohne Treten, oder vermittelst des Tretens, da es denn sowohl von dem Vorlaufe, als auch von dem Vordrucke, gebraucht wird. 3. Was vorgeschossen wird. In diesem Verstande wird besonders vorgeschossenes oder dargeliehenes Geld ein Vorschuß genannt, in welchem Falle es im Plural gleichfalls nur von mehrern Geldsummen gebraucht wird. Vorschuß von jemanden verlangen. Einem einen Vorschuß thun. Den Vorschuß abarbeiten, wieder bezahlen. Da es denn oft auch den Zustand bedeutet, da man einem andern Vorschuß gethan nat. Bey jemanden im Vorschusse stehen, ihm Geld vorgeschossen haben. Sich wegen jemandes in starken Vorschuß setzen, ihm viel Geld vorschießen. S. Vorschießen.


Vorschutt (W3) [Adelung]


Der Vorschutt, des -es, plur. inus. bey den Jägern, dasjenige Futter, welches den wilden Schweinen im Walde vorgeschüttet wird.


Vorschütten (W3) [Adelung]


Vorschütten, verb. reg. act. vor einem Dinge schütten, besonders vor dem Viehe als Futter schütten. Dem Viehe Hafer, Eicheln u. s. f. vorschütten.


Vorschützen (W3) [Adelung]


Vorschützen, verb. reg. act. eigentlich, als einen Schutz, eine Schutzwehr vor sich her aufführen. Man gebraucht es am häufigsten im figürlichen Verstande, als eine Entschuldigung, als eine Rechtfertigung anführen, ohne zu entscheiden, ob sie gegründet ist oder nicht, wodurch es sich von vorgeben und vorwenden unterscheidet. Warum schützen sie ihre Umstände vor? Gell. Eine Krankheit vorschützen, warum man nicht kommen könne. So auch die Vorschützung.


Vorschwarm (W3) [Adelung]


Der Vorschwarm, des -es, plur. die -schwärme, der erste Bienenschwarm von einem Stocke in einem Jahre, zum Unterschiede von den Nachschwärmen.


Vorschwatzen (W3) [Adelung]


Vorschwatzen, verb. reg. act. Einem etwas vorschwatzen, es in dessen Gegenwart schwatzen, damit er es höre oder glaube.


Vorschwimmen (W3) [Adelung]


Vorschwimmen, verb. irreg. neutr. ( S. Schwimmen,) mit dem Hülfsworte seyn. Einem vorschwimmen, ihm im Schwimmen zuvor kommen; ingleichen, in dessen Gegenwart schwimmen, damit er nach schwimmen lerne.


Vorschwören (W3) [Adelung]


Vorschwören, verb. irreg. act. et neutr. ( S. Schwören,) im letztern Falle mit haben. 1. Einem vorschwören. als ein Neutrum, in dessen Gegenwart schwören, damit er es höre und glaube. 2. Bey den Zuchern schwöret man jemanden zehn, zwanzig Gläser vor, wenn man sie ihm vortrinket, sie in dessen Gegenwart trinket, und ihm dadurch die Verbindlichkeit auflegt, sie nachzutrinken Doch Raufbold schwur alsbald ihm zwanzig ganze vor, Zachar.


Vorsegel (W3) [Adelung]


Das Vorsegel, des -s, plur. ut nom. sing. in der Schiffahrt, die Segel an dem Vordertheile des Schiffes, d. i. die an dem Bogspriete und dem Fockemaste befindlichen Segel; zum Unterschiede von den Hintersegeln. Sie werden auch, und zwar richtiger, Vordersegel genannt.


Vorsehen (W3) [Adelung]


Vorsehen, verb. irreg. ( S. sehen,) welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Activum, für vorher sehen, eine nur noch hin und wieder im gemeinen Leben übliche Bedeutung. Wer konnte einen solchen Fall vorsehen? besser vorher sehen. 2. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben. (1) Einem Dinge vorsehen, alle mögliche Veränderungen desselben vorher sehen und bestimmen; eine jetzt größten Theils veraltete Bedeutung, von welcher indessen noch das Hauptwort die Vorsehung üblich ist. Nur in einigen Gegenden höret man noch zuweilen in engerer Bedeutung, ich habe der Sache schon vorgesehen, d. i. vorgebeuget, sie zum voraus veranstaltet. (Siehe Vorsehung.) (2) Sich vorsehen, als ein Reciprocum, eigentlich vor sich sehen, damit man im Sehen keinen Schaden nehme. Wenn die Sänftenträger in Oberdeutschland die vor ihnen hergehenden mit einem aufgeschaut!, warnen, so rufen sie in Obersachsen vorgesehen! Sich vorsehen bedeutet überhaupt aufmerksam seyn, daß man keinen Schaden oder Verlust leide. Darum hüthe dich und siehe dich wohl vor, Sir. 13, 17. Er hat sich schlecht vorgesehen, daß er dich zum Vorsprecher angenommen hat. Die Person, vor welcher man sich hüthet, bekommt das Vorwort vor. Sehet euch vor vor dem Sauerteige der "Pharisäer", Marc. 8, 15; für (vor) den falschen Propheten, Matth. 7, 15. Indessen gebraucht man vorsehen im Hochdeutschen am häufigsten mit dem Bindeworte daß. S. Vorsicht.


Vorsehung (W3) [Adelung]


Die Vorsehung, plur. inus. von vorsehen 2 (1), so wie von der folgenden Bedeutung Vorsicht üblicher ist. 1. Die Handlung, da man die künftigen Veränderungen eines Dinges vorher siehet und bestimmt. So heißt es noch oft in den Kanzelleyen, wegen einer Sache Vorsehung thun, sie anordnen, verbiethen u. s. f. 2. Im theologischen Verstande ist die Vorsehung Gottes, die Bestimmung aller nicht nur künftigen, sondern auch gegenwärtigen Veränderungen seiner Geschöpfe. Daher denn wohl Gott selbst, in Rücksicht auf diese Vorsehung, in der höhern Schreibart die Vorsehung genannt wird. Was die Vorsehung über uns beschlossen hat. S. auch Vorsicht.

Anm. Das Wort ist, besonders in der zweyten theologischen Bedeutung, nach dem Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - und Lat. Providentia gebildet. Schon Kero übersetzt daher providere durch forakisehen. Das pro in dem Lateinischen Worte hat vermuthlich diejenigen irre geführet, welche dieses Wort Fürsehung geschrieben und gesprochen wissen wollten, indem auch hier der Begriff des Vorhersehens sehr merklich hervor sticht. Pro und prae werden im Lateinischen eben so oft verwechselt, als im Deutschen vor und für.


Vorsetzen (W3) [Adelung]


Vorsetzen, verb. reg. act. 1. Vorwärts setzen, voran setzen, nur noch zuweilen. Den Stuhl vorsetzen, sich vorsetzen, vorwärts, voran. 2. Vor ein anderes Ding setzen. (1) Eigentlich, mit Verschweigung dieses andern Dinges. Einen Stein vorsetzen, vor ein Loch. Eine Thür vorsetzen, vor eine Öffnung. Daher ist im Hüttenbaue das Vorsetzblech, ein durchlöchertes Blech, welches vor das Pochgerinne gesetzt wird. Die Vorsetzwand, die Wand unten am Herde in dem Schmelzofen. Bey den Buchbindern ist das Vorsetzpapier, ein oder mehrere Blätter Papier, welche vorn und hinten an einem Buche mit angeheftet werden. (2) In einigen engern und figürlichen Bedeutungen, in welchen es zugleich die dritte Endung erfordert. a. Zum Genusse vorsetzen. Jemanden Speisen, zu Essen, zu Trinken vorsetzen, ihm ein Glas Wein, eine Tasse Kaffeh vorsetzen. b. * Vorziehen. Etwas allen andern Dingen vorsetzen, ein im Hochdeutschen ungewöhnlicher Gebrauch, wofür daselbst vorziehen üblicher ist. c. Jemanden andern vorsetzen, ihm die Aufsicht und Regierung über dieselben anvertrauen. Der Flotte, der Armee vorgesetzt werden. Jemanden einem Amte vorsetzen. Daher ist ein Vorgesetzter überhaupt, ein jeder, welcher andern zu befehlen hat, über sie gesetzt ist. Es ist in diesem Verstande von dem weitesten Umfange der Bedeutung, indem es von einem jeden gebraucht werden kann, dem die Leitung oder Regierung anderer aufgetragen ist. d. Sich vorsetzen, eine künftige Handlung fest bey sich beschließen, durch welches fest es sich von vornehmen unterscheidet. Ich setzte mir vor, nach der Weisheit zu thun, Sir. 51, 24. Ich habe mir oft vorsetzen, zu euch zu kommen, Röm. 1, 13. Sich eine Reise vorsetzen. Man setzt sich oft vieles vor, und führet wenig aus. Daher das Vorsetzen, in den meisten Bedeutungen, die Vorsetzung, in einigen, und der Vorsatz nur in der letzten.

Anm. Schon bey dem Kero furikesezzan, im Tatian furisetzan.


Vorsetzlich (W3) [Adelung]


Vorsetzlich, -er, -ste, adj. et adv. in der letzten Bedeutung des Zeitwortes, was mit einem Vorsatze geschiehet, in einem Vorsatze gegründet ist, mit Wissen und Genehmhaltung; im Gegensatze des unvorsetzlich. Den Nächsten nicht vorsetzlich schlagen, 5 Mos. 19, 4. Jemanden vorsetzlich beleidigen. Eine vorsetzliche Beleidigung. Vorsetzliche Sünden, in der Theologie, die mit Genehmhaltung und Vorsatz geschehen. Daher die Vorsetzlichkeit, die Eigenschaft einer Handlung, da sie mit Vorsatz geschiehet. Fehler der Kinder, welche Vorsetzlichkeit und Bosheit verrathen.


Vorseyn (W3) [Adelung]


Vorseyn, verb. irreg. neutr. ( S. Seyn,) welches sich selbst zum Hülfsworte erfordert, nur im gemeinen Leben gebraucht wird, aber auch alsdann richtiger getheilt vor seyn, oder noch besser davor seyn, lautet. Ich kann nicht durch, es ist etwas vor, davor. Wohin auch die R. A. gehöret, da sey Gott vor! wo vor zu da gehöret. Das wahre zusammen gesetzte Zeitwort vorseyn, für bevor stehen, ist nur im Oberdeutschen üblich, wo es auch fürseyn lautet. Die vorseyende, fürgewesene Kaiserswahl.


Vorsicht (W3) [Adelung]


Die Vorsicht, plur. inus. von vorsehen, doch nur in einigen Bedeutungen desselben. 1. In der vorletzten Bedeutung, wo es auch, besonders in der dichterischen Schreibart, für Vorsehung von Gott gebraucht wird. Die Vorsicht Gottes, dessen Vorsehung. Der Vorsicht vertrauen, der Vorsehung Gottes. Es ist in dieser Bedeutung so neu nicht, wie einige glauben, indem schon Notker die Vorsehung Gottes Foresiht nennet. 2. Von dem Reciproco sich vorsehen ist die Vorsicht, das Bemühen, sein gegenwärtiges Verhalten nach den Folgen desselben einzurichten, und alles schädliche auf das möglichste zu vermeiden. Mit vieler Vorsicht zu Werke gehen. Alle Vorsicht bey einer Sache anwenden, gebraucht. Da es denn auch oft von der Fertigkeit dieser Bestimmung, d. i. für Vorsichtigkeit gebraucht wird. Die Vorsicht ist eine Art der Klugheit, daher Kero diese auch Forascauunga nennet. Fürsicht für Vorsicht in beyden Bedeutungen läßt sich zwar erklären, ist aber wider die wahrscheinlichere Abstimmung so wohl, als wider den Hochdeutschen Sprachgebrauch, S. Vorsehen.


Vorsichtig (W3) [Adelung]


Vorsichtig, -er, -ste, adj. et adv. 1. Vorsicht anwendend, äußernd. Ein vorsichtiger Mann. Vorsichtig seyn, handeln, reden. 2. In der Vorsicht gegründet. Ein vorsichtiges Betragen. Luthers vorsichtiglich ist im Hochdeutschen veraltet. Vorsichtig lautet bey dem Kero forakesehantlihh, bey dem Notker aber versihtig.


Vorsichtigkeit (W3) [Adelung]


Die Vorsichtigkeit, plur. car. die Vorsicht, als eine Fertigkeit betrachtet, d. i. die Fertigkeit, sein gegenwärtiges Verhalten nach dessen Folgen einzurichten, und alles schädliche auf das möglichste zu vermeiden; da es denn auch häufig für Vorsicht oder der Äußerung dieser Fertigkeit in einzelnen Fällen gebraucht wird. Mit aller Vorsichtigkeit zu Werke gehen. Deine Vorsichtigkeit, o Vater, regieret das Schiff, Weish. 14, 3. Sein Zorn lehrt ihn die Vorsichtigkeit, Gell. die Vorsicht.


Vorsingen (W3) [Adelung]


Vorsingen, verb. irreg. act. ( S. Singen,) in Gegenwart eines andern singen, 1. das er es höre. Jemanden eine Arie vorsingen. 2. Daß er es nachsinge. Jonathas sang vor, die andern sprachen ihm nach, 2 Marc. 1, 23. ( S. Vorsänger.) Besonders, damit er nachsingen lerne. Einem eine Arie vorsingen. So auch das Vorsingen.


Vorsitz (W3) [Adelung]


Der Vorsitz, des -es, plur. inus. der Zustand, da man andern vorsitzet, den Rang im Sitzen über ihnen hat. Besonders, so fern mit diesem Range die oberste Handhabung, Leitung und Regierung einer Angelegenheit verbunden ist, da es denn das Lat. Praesidium ausdruckt. Den Vorsitz haben, so wohl überhaupt, oben an sitzen, als auch in engern Verstande, Präses seyn. Den Vorsitz bey einem Gerichte, bey einer Disputation haben, präsidieren. Unter jemandes Vorsitze disputieren, unter dessen Präsidio.


Vorsitzen (W3) [Adelung]


Vorsitzen, verb. irreg. neutr. ( S. Sitzen,) welches im Hochdeutschen das Hülfswort haben, im Oberdeutschen aber seyn bekommt. 1. Einem andern vorsitzen, im Sitzen den Rang vor ihm haben, über ihn sitzen; in welcher Bedeutung es doch wenig gebraucht wird. 2. Im engern Verstande, unter mehrern nicht allein oben an sitzen, sondern auch die Leitung, Handhabung oder Regierung der Angelegenheiten unter ihnen führen; in welchem Verstande doch nur das Mittelwort vorsitzend, und zuweilen auch der Infinitiv, obgleich seltener, üblich ist. Der Vorsitzende Richter, der das Präsidium in einem Gerichte führet. Der vorsitzende Lehrer bey einer Disputation, der Präses. Bey einer Disputation, bey einem Verhöre vorsitzen, besser den Vorsitz haben.


Vorsommer (W3) [Adelung]


Der Vorsommer, des -s, plur. ut nom. sing. in einigen Gegenden ien Nahme des Frühlinges.


Vorsorge (W3) [Adelung]


Die Vorsorge, plur. car. 1. Eigentlich, die vorher gehende Sorge, in Ansehung der klüglichen Einrichtung einer künftigen Sache. In dieser größten Theils veralteten Bedeutung sagt man nur noch sprichwortsweise, Vorsorge ist besser, als Nachsorge; Vorsorge verhütet Nachsorge. 2. Im weitern Verstande ist die Vorsorge die vorher gehende Sorgfalt für das Beste, und besonders für die Erhaltung einer Sache. Vorsorge tragen, Vorsorge für jemanden tragen, Sorgfalt für sein künftiges Bestes anwenden. Die ängstliche Fürsorge (Vorsorge) für ihren Jungen, Gell. Die Vorsorge Gottes für seine Geschöpfe. Es verhält sich mit diesem Worte, wie mit Vorsehung, indem in beyden die Bedeutung des vorher de herrschende ist, und die gangbare Bedeutung eine Figur dieses Begriffes ist; daher man auch hier lieber das vor behält, obgleich für stehen muß, wenn der Gegenstand der Vorsorge besonders ausgedruckt wird. Das Zeitwort vorsorgen ist nicht üblich.


Vorspann (W3) [Adelung]


Die Vorspann, plur. inus. Zugvieh, das ist, Pferde oder Ochsen, welche einem fremden Wagen vorgespannet werden. Vorspann fordern. Vorspann nehmen, geben. Mit Vorspann fahren. Daher Vorspannpferde, welche als Vorspann gebraucht werden.


Vorspannen (W3) [Adelung]


Vorspannen, verb. reg. act. vor etwas spannen. 1. Die Pferde vorspannen, sie vor den Wagen spannen. Ein Tuch vorspannen, vor eine Öffnung. 2. Einem vorspannen. seine Pferde vor dessen Wagen zu desto geschwinderm Fortkommen spannen, es geschehe nun aus Pflicht, oder aus Gefälligkeit, oder auch um Loh. Daher das Vorspann, und in der letzten Bedeutung auch zuweilen die Vorspannung.


Vorsparen (W3) [Adelung]


Vorsparen, verb. reg. act. zum voraus sparen, auf die Zukunft sparen. Sich einen Nothpfennig vorsparen. Wie mancher haut ihm (sich) nicht von Büchern eine Gruft. Um seines Nahmens Ruf der Nachwelt vorzusparen, Günth.


Vorspiegeln (W3) [Adelung]


Vorspiegeln, verb. reg. act. Einem etwas vorspiegeln, es als ein Blendwerk vormachen. Jemanden leere Hoffnung vorspiegeln, ihn mit einer leeren Hoffnung täuschen. Daher die Vorspiegelung, welches auch wohl das Blendwerk selbst bedeutet. Spiegeln stehet hier in seiner ersten eigenthümlichen Bedeutung, als das Intensivum von spielen. Siehe Spiegeln und Spiegelfechten.


Vorspiel (W3) [Adelung]


Das Vorspiel, des -es, plur. die -e, ein von dem Hauptspiele, oder, in weiterer Bedeutung, von der Hauptsache hergehendes Spiel, welches dasselbe gleichsam ankündigt. In der Schauspielkunst ist es ein kurzes Stück, welches vor dem Hauptstücke angeführet wird; im Gegensatze des Nachspieles. Daher es denn auch figürlich von einer kleinen Begebenheit gebraucht wird, welche vor der darauf folgenden größern her gehet und sie gleichsam ankündigt. Diese Feindlichkeit war das Vorspiel des Krieges.


Vorspielen (W3) [Adelung]


Vorspielen, verb. reg. act. 1. Einem etwas vorspielen, in dessen Gegenwart auf einem musikalischen Instrumente spielen, so- wohl, daß er es höre, als auch, damit er es nachspielen lerne. Jemanden etwas auf der Flöte, auf dem Flügel vorspielen. 2. Figürlich, als ein Spiel, zuweilen auch als ein Blendwerk vormachen. Das in eine andere Lage geworfene Kleid hatte meiner erregten Einbildungskraft das Bild eines menschlichen Körpers vorgespielet. S. Vorspiegeln.


Vorspitzen (W3) [Adelung]


Vorspitzen, verb. reg. act. vorn, an dem vordern Ende spitzig machen. Die Schäfte zu den Nadeln vorspitzen, bey den Nadlern.


Vorsprache (W3) [Adelung]


Die Vorsprache, plur. die -n. 1. * Die Vorrede vor einem Buche, ingleichen der Eingang einer Rede, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, in welche dieses Wort schon in Boxhorns Glossen Forasprache lautet. Im Oberdeutschen ist dafür noch Vorspruch üblich. 2. Die Rede in eines andern Nahmen, ingleichen zu eines andern Besten, S. Fürsprache, welches in dieser Bedeutung richtiger, auch bereits gewöhnlicher ist.


Vorsprechen (W3) [Adelung]


Vorsprechen, verb. irreg. ( S. Sprechen), welches in doppelter Gestalt üblich ist. 1. Als ein Activum. Einem etwas vorsprechen, es in dessen Gegenwart sprechen, damit er es nachsprechen lerne. 2. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben. Eine Orgelpfeife spricht vor, wenn sie zu laut vor andern gehöret wird. Figürlich sagen die Mahler, daß eine Farbe vorspreche, wenn die untere Farbe durch die obere durchscheinet. So auch das Vorsprechen. Vorsprechen in eines andern Nahmen, ingleichen zu dessem Besten sprechen, in welchem Falle es eigentlich fürsprechen heißen müßte, ist nicht üblich.


Vorsprecher (W3) [Adelung]


Der Vorsprecher, S. Fürsprecher.


Vorsprang (W3) [Adelung]


Der Vorsprang, S. Vorsprung.


Vorspringen (W3) [Adelung]


Vorspringen, verb. irreg neutr. ( S. Springen.) 1. Mit dem Hülfsworte haben. Einem vorspringen, in dessen Gegenwart springen, so wohl, damit er es sehe, als auch, damit er nachspringen lerne. 2. Mit dem Hülfsworte seyn. (1) Einem vorspringen, ihm durch Springen zuvor kommen, einen Vorsprung vor ihm gewinnen. Auch zuweilen figürlich, wo man jemanden vorspringet, wenn man schnell über ihn befördert wird. (2) Vorwärts springen, wo es am häufigsten figürlich für vorragen gebraucht wird. Die Ecke des Hauses springt ein wenig vor, raget vor. Vorspringende Winkel, Zierathen u. s. f.


Vorspruch (W3) [Adelung]


Der Vorspruch, S. Fürspruch.


Vorsprung (W3) [Adelung]


Der Vorsprung, des -es, plur. die -sprünge, von dem Zeitworte vorspringen. 1. Die Handlung, da man jemanden vorspringt, und ihm vorgesprungen ist, d. i. ihm durch einen Sprung zuvor gekommen ist; ohne Plural, wo man besonders im figürlichen Verstande sagt, einen Vorsprung vor jemanden haben, vor ihm voraus seyn, so wohl dem Raume nach, als auch der Zeit, dem Verzuge, dem Range nach. Man hat vor jemanden einen großen Vorsprung, wenn man mit seiner Arbeit schon viel weiter gekommen ist, als der andere, wenn man dem Range nach viel weiter befördert ist, als er u. s. f. 2. Was vorspringt, doch nur in einigen Fällen. (1) Vorspringende Theile, z. B. kleine Zapfen an den Stiften in den Schlössern, heißen in vielen Fällen Vorsprünge. (2) In der Landwirthschaft ist der Vorsprung, in einigen Gegenden Vorsprang, ohne Plural, dasjenige Getreide, welches bey Worfelung des Getreides vorweg springet, und allemahl das reinste und beste ist. Auch dasjenige Getreide, welches bey dem Aufbinden, Aufladen u. s. f. von selbst aus den Garben springt, heißt in einigen Gegenden Vorsprung oder Vorsprang. (3) Bey den Branntweinbrennern ist der Vorsprung dasjenige, was bey dem Läutern des Branntweins oder der zweyten Destillation zuerst übergehet, trübe und bläulich ist, und auch Vorlauf, Nieders. Vörloop, genannt wird.


Vorspuken (W3) [Adelung]


Vorspuken, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, welches nur im gemeinen Leben, besonders Niederdeutschlandes, üblich ist, zur Andeutung einer künftigen Begebenheit vorher spuken, und überhaupt, ein Vorbothe einer künftigen Begebenheit seyn; da dem ein solches Anzeichen, oder ein solcher Vorbothe, auch wohl ein Vorspuk genannt wird. Bysanz erschüttert sich, und kriegt ein tödlich Grausen, Es spukt sein Untergang in bösen Zeiten vor, Günth. S. Spuken.


Vorstadt (W3) [Adelung]


Die Vorstadt, plur. die -städte, die Sammlung von Einwohnern vor den Thoren einer Stadt. Die Vorstädte um die Städte herum, 4 Mos. 35, 3. In der Vorstadt wohnen. Da man denn bald die sämmtlichen vor allen Thoren einer Stadt, bald die vor jedem Thor befindlichen Gebäude, collective, die Vorstadt zu nennen pflegt. Im ersten Falle hat eine Stadt nur Eine Vorstadt im letzten aber so viele, als sie Thore hat.


Vorstädter (W3) [Adelung]


Der Vorstädter, des -s, plur. ut nom. sing. der Einwohner einer Vorstadt, so wie Städter den Einwohner einer Stadt bedeutet.


Vorstand (W3) [Adelung]


Der Vorstand, des -es, plur. die -stände, von dem Zeitworte vorstehen. 1. Die Handlung des Vorstehens, wo es doch nur gebraucht wird, das Stehen oder persönliche Erscheinen vor Gericht zu bezeichnen. Der gerichtliche Vorstand, der Vorstand vor Gericht. Einen Vorstand haben, so wohl sich persönlich vor Gericht stellen müssen, als auch von Seiten des Gerichtes, Parteyen persönlich, besonders zur Pflegung der Güte, zu vernehmen; in Sachsen der Vorbeschied. 2. Was vorstehet, oder zur Sicherheit für ein anderes Ding stehet. In dieser Bedeutung ist der Vorstand figürlich, bares Geld oder auch ein unbewegliches Gut, welche jemand zur Sicherheit des ihm anvertrauten fremden Gutes, übergibt; eine Art der Caution. Pachter oder auf Rechnung sitzende Beamte oder Bediente machen Vorstand, wenn sie bey dem, der ihren fremde Güter anvertrauet, zu deren Sicherheit ein hinlängliches Capital oder angemessene Hypothek niederlegen. Der Plural ist hier nicht üblich, außer etwa von mehrern Summen.

Anm. Ehedem bedeutete Vorstand auch eine vorstehende Person, d. i. einen Vorsteher, in welchem Sinne es aber im Hochdeutschen veraltet ist.


Verständer (W3) [Adelung]


Der Verständer, des -s, plur. ut nom. sing. gleichfalls von vorstehen, was vorstehet. 1. * Eine vorstehende Person, ein Vorsteher; in welcher Bedeutung es aber eben so sehr veraltet ist, als Vorstand. 2. Im Forstwesen werden die jungen Bäume Laubholz, welche man, bey Abtreibung des Schlagholzes, zum künftigen Anwuchse stehen lässet, Vorständer oder Oberständer genannt. Doch führen sie diesen Nahmen nur nach dem zweyten Umlaufe der Schläge; vorher heißen sie Laßreiser, Hegereiser, Samenreiser, nach dem dritten und vierten Schlage aber angehende Bäume. In andern Gegenden hingegen führen die alten Bäume oder Hauptbäume diesen Nahmen.


Vorstechen (W3) [Adelung]


Vorstechen, verb. irreg. ( S. Stechen,) welches in doppelter Gestalt vorkommt. 1. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, wo es doch nur in einigen besondern Bedeutungen gebraucht wird. (1) Man sagt, es steche etwas vor, wenn es von andern um dasselbe befindlichen oder damit vermischten, verbundenen Dingen mit vorzügliche Stärke empfunden wird, wo man es am häufigsten von der Empfindung durch das Gesicht gebraucht. Eine Farbe sticht vor, wenn sie stärker als andere, empfunden wird. Die Grundfarbe sticht vor, wenn sie durch die obere sichtbar wird. Ingleichen figürlich. Der Eigennutz sticht bey jemanden merklich vor, wenn er selbigen vor andern Neigungen deutlich äußert. (2) Im engern Verstande ist vorstechen zuweilen so viel, als vorragen; daher Goldmann das Maß, um welches ein krummes Glied in der Säulenordnung an einem Ende weiter hervor tritt, als an dem andern, die Vorstechung nannte, die also von der Ausladung und Auslaufung nach verschieden ist, obgleich andere alle drey Wörter als gleich bedeutend gebrauchen. 2. Als ein Activum, wo ein Loch vorstechen, oder nur vorstechen überhaupt ist, ein Loch mit einem spitzigen Werkzeuge stechen, um mit einem Faden, einer Nadel u. s. f. nachstechen zu können. In diesem Verstande stechen sich die Lederarbeiter die Löcher in dem Leder vor, welches bey den Schustern mit dem Vorstechorte geschiehet.


Vorstecken (W3) [Adelung]


Vorstecken, verb. reg. act. vor etwas stecken. Einen Nagel vorstecken, vor ein anderes Ding, damit es z. B. nicht abfalle. So steckt man einen Nagel vor das Rad, damit es nicht von der Achse laufe. Daher der Vorstecknadel, oder im gemeinen Leben Vorstecker, ein solcher vorgesteckter Nagel. Einen Latz vorstecken, ihn an den vordern Theil des Leibes stecken, daher eine Art Lätze bey der weiblichen Kleidung der Vorsteckelatz genannt wird. Vorsteckärmel, Ärmel mit Manschetten, welche an- oder vorgestecket werden; Halbärmel.


Vorstecker (W3) [Adelung]


Der Vorstecker, des -s, plur. ut nom. sing. ein Ding, welches vor ein anderes gesteckt wird, damit es nicht ablaufe oder abfalle, in vielen Fällen des gemeinen Lebens; ein Vorstecknagel, ein Vorsteckpflock u. s. f. S. auch Stößel.


Vorstehen (W3) [Adelung]


Vorstehen, verb. irreg. neutr. ( S. Stehen,) welches in den meisten Fällen mit seyn, bey einigen manchen Fällen auch wohl mit haben verbunden wird. 1. Vorwärts, hervor stechen; wo es im Hochdeutschen gemeiniglich mit haben gebraucht wird. Er stehet vor, raget vor. Das Haus stand zu weit vor, vorwärts. 2. Vor einem andern Dinge stehen. (1) Eigentlich, wo es doch seltener gebraucht wird. Man siehet nichts, es stehet etwas vor, besser davor. Im engern Verstande sagt man in der Jägerey, der Hund stehet vor, oder stehet dem Hasen, den Wachteln u. s. f. vor, wenn er so abgerichtet ist, daß er vor den aufgespürten Hasen oder Federwildbrete so lange stehen bleibt, bis sie geschossen oder gefangen werden, da denn ein solcher Hund ein vorstehender Hund genannt wird. Die Hühnerhunde und Wachtelhunde sind von dieser Art. In eben demselben Verstande sagt man, der Hund stehet den Hasen, wenn er vor demselben vorstehet. (2) Häufiger ist es in einigen figürlichen Bedeutungen, a) Vorstehen müssen, persönlich vor Gericht erscheinen müssen. Die Parteyen sind heute vorgestanden, vor Gericht. ( S. Vorstand.) b) Es stehet mir vor, es ahndet mir; ein nur im gemeinen Leben üblicher Gebrauch, in welchem auch vorgehen üblich ist. c) Einem Dinge vorstehen, die Aufsicht über die Bestimmung des Veränderlichen in demselben führen, doch nur von Menschen und noch häufiger von menschlichen Angelegenheiten. Abrahams Knecht stand allen Gütern seines Herren vor, 1 Mos. 24, 2. Jotham stand dem Hause des Königes vor, 2 Chron. 26, 1. So jemand seinem eigenen Hause nicht weiß vorzustehen, 1 Tim. 3, 5. Die Ältesten, die wohl fürstehen, Kap. 5, 17; für vorstehen, ob es gleich absolute, und mit Verschweigung der dritten Endung im Hochdeutschen ungewöhnlich ist. Einem Amte vorstehen. Seinem Geschäften nicht länger vorstehen können. Die Sonne dem Tage vorzustehen, den Mond und Sterne, der Nacht vorzustehen, Ps. 136, 8, 9. Daher das Vorstehen.


Vorsteher (W3) [Adelung]


Der Vorsteher, des -s, plur. ut nom. sing. 1. Eine Person, welche vorstehet, in der letzten Bedeutung des Zeitwortes, wo es doch nur in einigen Fällen gebraucht wird, eine Person zu bezeichnen, welche der Verwaltung der Güter eines andern vorstehet; Fämin. Vorsteherinn. Daher sind die Vorsteher oder Kirchenvorsteher, verpflichtete Personen in der Gemeinde, welche den Kirchengütern vorgesetzet sind. An manchen Orten werden auch die Heimbürgern Syndici eines Dorfes Vorsteher genannt. Vorstand oder Vorständer waren ehedem im weitern Verstande von einem jeden Aufseher üblich. 2. Ein Ding, welches vorstehet; doch nur in der Anatomie, wo die Vorsteher zwey kugelige Drüsen unter dem Halse der Harnblase sind; Latein. Prostatae.


Vorstellen (W3) [Adelung]


Vorstellen, verb. reg. act. vor etwas oder vor ein anders Ding stellen. 1. Eigentlich, wo es doch nur noch zuweilen gebraucht wird. Einen Stuhl vorstellen, vor das Bett. Du hättest mich, o Feind, gefället, Und stießest heftig zu mir ein; Doch hat der Herr sich vorgestellet, Opitz. er hat sich vor mir gestellet. 2. Figürlich. (1) Vor ein anderes Ding stellen, d. i. in dessen Gegenwart stellen, um etwas zu beurtheilen, zu betrachten, zu wählen u. s. f; wie vorlegen. Er hat die Feuer und Wasser vorgestellet, greif zu welchem du willt, Sir. 15, 16. Sie wandeln nicht in meinem Gesetz und Rechten, die ich euch vorgestellet habe, Jer. 44, 10; wofür man doch jetzt lieber gegeben, vorgeschrieben, sagen würde. Am häufigsten gebraucht man es noch von Personen. Herodes gedachte Petrum nach Ostern dem Volke vorzustellen, Apost. 12, 4. 6, ihn demselben als einen Verbrecher darzustellen. Jemanden dem Könige vorstellen, damit der König ihm kennen lerne. Sich bey Hofe vorstellen lassen. Ein Geistlicher, ein Beamter wird der Gemeine oder der Untergebenen vorgestellet, wenn er ihnen feyerlich, als ihr Prediger oder Vorgesetzter, dargestellt und gezeiget wird. (2) Die Gestalt eines Dinges kenntlich machen, eigentlich, einem andern die Gestalt eines Dinges kenntlich machen; wo es wieder in verschiedenen Fällen gebraucht wird. a. In mehr eigentlichen Verstande stellet man jemanden etwas vor, wenn man ihm die Gestalt eines Dinges anschauend erkennen macht, z. B. durch Abzeichnung u. s. f. In welcher Bedeutung es doch seltener gebraucht wird. b. In einer andern Einschränkung stellt man etwas vor, wenn man hinreichende Erkenntniß- und Bestimmungsgründe erhält, woraus die Beschaffenheit eines andern Dinges erkannt werden kann; zunächst auch von der äußern Gestalt, aber auch häufig in weiterer Bedeutung. Vorstellen ist in diesem Verstande dem wirklich seyn entgegen gesetzt. Der Schauspieler stellet auf der Bühne den König vor. Der Stein soll einen Käse vorstellen. Er stellet was großes vor, sagt man im gemeinen Leben, wenn sich jemand sehr vornehm beträgt. Es stellet jemand bey einer Hochzeit den Vater vor, wenn er dessen Stelle vertritt. Da es denn in der vertraulichen Sprechart auch oft für wirklich seyn gebraucht wird. Vergeben sie mir nur, daß ich noch immer den Zerstreueten vorstelle, Gell. Doch sie stellen einen sehr stummen Freund vor, eben ders. c. Einem etwas vorstellen, ihm eine anschauende Erkenntniß davon beyzubringen suchen. Die Furcht stellt Wölfe groß, als Stiere, Geschwader groß, wie Heere, vor, Lichtw. In weiterer Bedeutung stellet man jemanden etwas vor, wenn man ihm durch Worte eine thätige Erkenntniß von einer Sache nach allen ihren Theilen und Folgen beyzubringen sucht. Jeman- den sein Vergehen, die Unmöglichkeit einer Sache, den Nutzen einer Unternehmung vorstellen. Es ward ihm vorgestellet, wie viel er dabey verlieren würde. d. Sich etwas vorstellen, eigentlich, eine aufschauende Erkenntniß davon haben. Stellen sie sich mein Entsetzen vor. Aber auch überhaupt, sich einen Begriff von einer Sache machen. Das kann ich mir leicht vorstellen, das kann ich mir unmöglich vorstellen. Das hätte ich mir nicht vorgestellt. Man muß sich die Dinge so vorstellen, wie sie wirklich sind. Sich Gott in seiner Größe vorstellen. Ich stelle mir die Sache so vor.


Vorstellig (W3) [Adelung]


Vorstellig, adv. welches nur in Einer Bedeutung des vorigen Zeitwortes, und zwar auch hier nur mit dem Zeitworte machen gebraucht wird. Jemanden etwas vorstellig machen, ihm einen Begriff von den Umständen und den Folgen einer Handlung beyzubringen suchen, um dadurch auf seinen Willen zu wirken, eine thätige Erkenntniß der Beschaffenheit und Folgen einer Sache bey ihm zu erwecken suchen; wo es ein wenig nachdrücklicher ist, als vorstellen in eben derselben Bedeutung.


Vorstellung (W3) [Adelung]


Die Vorstellung, plur. die -en, von dem Zeitworte vorstellen. 1. Die Handlung des Vorstellens, in allen Bedeutungen. Die Vorstellung eines Predigers, eines Beamten, da er seinen Untergebenen vorgestellt wird. Die Vorstellung eines Schauspieles. 2. Was vorgestellet wird. (1) Die sinnliche Nachahmung menschlicher Handlungen auf der Schaubühne, und diese nachgeahmten Handlungen selbst, heißen oft eine Vorstellung. In die Vorstellung gehen. Eine Vorstellung mit ansehen. (2) In der vorletzten Bedeutung ds Zeitwortes ist die Vorstellung eine Rede, wodurch man bey jemanden eine thätige Erkenntniß der Umstände und Folgen einer Handlung zu bewirken sucht. Jemanden die nachdrücklichen Vorstellungen thun. Alle Vorstellungen waren fruchtlos. Ich habe ihm alle mögliche Vorstellungen gethan, Gell. (3) Von der letzten Bedeutung des Zeitwortes ist die Vorstellung in engerer und eigentlicher Bedeutung das Bild, welches man sich von einer Sache in Gedanken macht, in weiterer aber, ein jeder Begriff von einer Sache, die Idee. Vorstellungen haben, Begriffe, Gedanken. Unsere Empfindungen richten sich nach den Vorstellungen unsers Verstandes, Gell. Man gebraucht es indessen in dieser weitern Bedeutung am häufigsten im ganz allgemeinen Verstande, indem in einzelnen Fällen Begriff üblicher ist. Die Vorstellung von der Unendlichkeit der Welt, besser der Begriff. So bald es aber die bloße Handlung bedeutet, wird Vorstellung auch hier ohne Anstoß gebraucht. Daher die Vorstellungskraft, die Kraft eine anschauende Erkenntniß, und im weitern Verstande, Begriffe, zu haben.


Vorstenge (W3) [Adelung]


Die Vorstenge, plur. die -n, in dem Schiffsbaue, die vordere Stenge, d. i. die Stenge oder der erste Aufsatz des Fockemastes, welcher auch die Fockestenge heißt.


Vorstich (W3) [Adelung]


Der Vorstich, des -es, plur. die -e, im Hüttenbaue, der erste Stich, welcher nach der Wochenschicht vermittelst des Sticheisens gemacht wird.


Vorstopfen (W3) [Adelung]


Vorstopfen, verb. reg. act. vor etwas stopfen. Werk vorstopfen, vor eine Öffnung. So auch die Vorstopfung.


Vorstoß (W3) [Adelung]


Der Vorstoß, des -es, plur. die -stöße, was vorstößt, nur in einigen Fällen. Bey den Werkleuten ist es so wohl ein hervor ragender Theil, als auch die Hervorragung. In der Bienenzucht wird die zähe schwarzbraune Materie, womit die Bienen ihren Bau an den Seiten der Stöcke befestigen, die Öffnungen derselben verwahren u. s. f. der Vorstoß genannt, in welchem Falle es keinen Plural leidet. Bey andern heißt diese grobe Materie das Vorgewächs, das Stopfwachs, Beth u. s. f.


Vorstoßen (W3) [Adelung]


Vorstoßen, verb. irreg. ( S. Stoßen.) Es ist: 1. Ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn. (1) Vorragen, hervor ragen, eine seltene, nur in einigen Fällen übliche Bedeutung. (2) In manchen Gegenden gebraucht man es auch, wie aufstoßen, d. i. unvermuthet begegnen. Wenn ihm einige Gelegenheit vorgestoßen wäre, Gryph. 2. Ein Activum, vorwärts, nach dem vordern Theile zu stoßen. Jemanden vorstoßen.


Vorstrecken (W3) [Adelung]


Vorstrecken, verb. reg. act. 1. Vorwärts oder hervor strecken. Die Hand, die Zunge vorstrecken. 2. Leihen, doch nur in solchen Fällen, wo man jemanden etwas leihet, welches er in einem andern Dinge von eben derselben Art und eben demselben Werthe wieder gibt. Man strecket jemanden Geld vor, wenn man ihm selbiges vorschießt. Die Kosten vorstrecken. Aber man streckt ihm auch Getreide vor, so fern es der andere mit anderem Getreide eben derselben Art und Menge wieder erstattet. Im gemeinen Leben höret man auch oft, ein Brot, eine Mandel Eyer u. s. f. vorstrecken. Aber wenn eben dasselbe Ding wieder gegeben wird, z. B. ein Buch, ein Pferd, so wird dieses Zeitwort im Hochdeutschen nicht gebraucht. ( S. auch Vorschießen.) Im Oberdeutschen ist für vorstrecken auch darstrecken üblich. So auch die Vorstreckung. Anm. Strecken ist hier das Intensivum von reichen, daher es auch von andern Dingen als Geld gebraucht werden kann. Daß es aber im Hochdeutschen nicht in den Fällen üblich ist, wo man ein und eben dasselbe Ding leihet und wieder gibt, rühret bloß von dem Gebrauche her. Im manchen Provinzen gebraucht man es ohne Unterschied für leihen oder Borgen.


Vorstreichen (W3) [Adelung]


Vorstreichen, verb. irreg. act. ( S. Streichen.) 1. Vorwärts, nach vorn zu streichen. Die Haare vorstreichen. 2. In einem Buche, in einer Schrift etwas vorstreichen, es durch einen vorn, an dem vordern Ende gemachten Strich bezeichnen. So auch die Vorstreichung.


Vorstreuen (W3) [Adelung]


Vorstreuen, verb. reg. act. vor etwas streuen. Den Hühnern das Futter vorstreuen.


Vorstrich (W3) [Adelung]


Der Vorstrich, des -es, plur. die -e, ein vorn, an dem Vordertheile gemachter Strich. In diesem Verstande sind bey den Schlössern Vorstriche, die Striche, d. i. nicht tiefen Einschnitte, an den vordern Fläche eines Schlüsselbartes, daher auch derjenige Theil in dem Eingerichte eines Schlosses, um welchen sich ein Vorstrich drehet, der Vorstrich genannt wird.


Vorstricken (W3) [Adelung]


Vorstricken, verb. reg. act. Einem Strumpf vorstricken, ihn vorn neu stricken.


Vorsuchen (W3) [Adelung]


Vorsuchen, verb. reg. 1. Activum, hervor suchen, doch nur im gemeinen Leben. Etwas unter dem Tische vorsuchen. 2. Ein Neutrum mit haben, auf welche Art es bey den Jägern üblich ist, wenn sie mit dem Leithunde vor einem Holze hinziehen, um zu sehen, was für Wild im Felde gewesen. Daher das Vorsuchen, und bey den Jägern auch die Vorsuche.


Vorsumpf (W3) [Adelung]


Der Vorsumpf, des -es, plur. die -sümpfe, im Bergbaue, ein Sumpf, d. i. Vertiefung in einer Grube, wo sich das Wasser sammelt, welches man durch Röhren heraus ziehen will. 1. Voran tanzen, unter mehrern tanzenden Personen der erste, der Ordnung nach seyn. 2. Einem andern vortanzen, in dessen Gegenwart tanzen, so wohl, daß er es sehe, als auch, daß er darnach tanzen lerne. 3. Jemanden vortanzen, ihm durch geschwindes Tanzen zuvor kommen.


Vortänzer (W3) [Adelung]


Der Vortänzer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vortänzerinn. 1. Eine Person, welche unter mehrern tanzenden Personen die erste der Ordnung nach ist. Noch häufiger, 2. eine Per- son, welche die Tänze anderer angibt und leitet, ihnen gleichsam vortanzet. Bey dem großen Hausen heißt ein solcher Vortänzer der Platzmeister oder Platzknecht.


Vortheil (W3) [Adelung]


Der Vortheil, des -es, plur. die -e. 1. * Eigentlich, ein Theil, welchen jemand vor andern voraus hat oder bekommt; in welcher Bedeutung es ehedem ohne Zweifel von einem Erbtheile gebraucht wurde, welches jemanden zum voraus vermacht wurde. Im Schwed. ist Fördelsäker noch jetzt ein Acker, welchen sich jemand, wenn er seine Grundstücke unter seine Kinder vertheilet, zurück behält. Diese Ableitung wird auch durch das gleich bedeutende Franz. Avantage. und im mittlern Lat. Adevantagia, Advantagium, bestätiget, welches einen solchen Erbtheil bedeutete, welcher jemanden zum voraus vermacht wurde. In den For. Aaragon, ist ein Titel: De avantagiis, quas uxore praemortua, velipsa superstite, vir aut ejus successores habere debent; ingleichen, de adevantagiis, quas vir et ejus haeredes habere debent ante partem. Doch diese Bedeutung ist im Hochdeutschen veraltet, wo es, 2. nur noch in verschiedenen figürlichen Bedeutungen gebraucht wird. (1) Als ein Concretum. a. Im Handel und Wandel ist es der Überschuß, der nach Abzug der Kosten von einer Waare oder Arbeit übrig bleibt; der Gewinn, in manchen Fällen auch der Nutzen. Es ist hier eben so unbestimmt, als Gewinn, und kann so wohl von einem erlaubten und billigen, als unerlaubten und übertriebenen Überschusse gebraucht werden. Der Plural ist in dieser Bedeutung nicht üblich. Suche nicht Vortheil, wenn du opfern sollst, Sir. 35, 15. Auf seinen Vortheil sehen. Seine Waaren mit Vortheil verkaufen. Einen Vortheil verabsäumen, aus den Händen lasen. Etwas seines Vortheils wegen thun. Einen Vortheil machen, im gemeinen Leben, einen Gewinn an etwas haben. Stosch glaubt, das Wort Gewinn scheine mehr Wagen und Gefahr voraus zu setzen, als Vortheil; allein, dazu hat ihn wohl der Gewinn im Spielen verleitet, der doch nur eine engere und untergeordnete Bedeutung des Wortes Gewinn ist. Der Sprachgebrauch scheinet keinen Unterschied unter beyden Wörtern in dieser Bedeutung zu machen; außer, daß Vortheil mehr im gemeinen Leben, Gewinn aber mehr in der edlern Schreibart vorkommt. b. In weiterer Bedeutung, jede Art von Vollkommenheit, welche ein Ding vor dem andern voraus hat. 1. Im weitesten Verstande, wo es sehr unbestimmt ist, und alle Umstände unter sich begreifen kann, welche zur Vollkommenheit eines Dinges gereichen, oder zur Beförderung der Absicht einer Person dienen können. Etwas zum Vortheile des gemeinen Wesens thun, zu dessen Besten. Der Staat hat viele Vortheile von blühenden Colonien, zu welchen Vortheilen, denn so wohl die Beförderung der Macht, als auch des Ansehens, des Reichthums, des Fleißes u. s. f. gehören. Das wird zu deinem Vortheile gereichen. Was für Vortheil hast du davon? Ein Buch bringt uns Vortheile, wenn es unsere Erkenntniß erweitert. Ein Landgut hat viele Vortheile wenn es eine gute Lage und andere Umstände hat, welche bey einem jeden Landgute angetroffen werden. Den Vortheil eines Ortes in Acht nehmen, dessen zu unserer Absicht dienliche Beschaffenheit. Eine Armee hat viele Vortheile vor der andern voraus, wenn sie solche Umstände vor ihr voraus hat, welche ihr das Übergewicht geben können. Sich alle Vortheile zu Nutze manchen, alle günstige Umstände. Seinem Feinde den Vortheil abgewinnen, ablaufen, einen günstigen Umstand, welcher ihm das Übergewicht geben könnte. Seinen Vortheil in Acht nehmen, einen solchen günstigen Umstand. In dem Vortheil liegen, sich an einem vortheilhaften Orte, in einer vortheilhaften Lage befinden. Jetzt setzt ein kahler Troß, der in dem Vortheil liegt, Den besten Helden ab, Opitz. 2. In einigen engern Bedeutungen. aa. * Überlegenheit an Werth und Würde; eine jetzt veraltete Bedeutung, wofür Vorzug üblicher ist. Haben wir einen Vortheil? Gar keinen, denn ec. Röm. 3, 9; d. i. einen Vorzug. So auch v. 1. was haben denn die Jüden Vortheils? bb. Ein besonderer Handgriff, Zeit, Mühe und Kosten zu ersparen. Etwas mit einem gewissen Vortheile thun. Es gehöret zu allem ein Vortheil. Seine Vortheile geheim halten. (2) Als ein Abstractum, der Zusand, da ein Ding einen Vorzug vor andern hat; ohne Plural. Eine Schrift, welche sich vor andern sehr zu ihrem Vortheile auszeichnet. Wohin auch die R. A. gerechnet werden können, sich im Vortheile befinden, sich aus dem Vortheile begeben.

Anm. Im Niedersächsischen gleichfalls Voordeel, im Schwedischen Fördel. In einigen Oberdeutschen Gegenden ist es im ungewissen Geschlechte üblich, welches auch bey dem Opitz und in der Deutschen Bibel Sir. 20, 23. vorkommt, dagegen es in andern Stellen richtiger der Vortheil lautet. In einigen Niederdeutschen Gegenden ist für Vortheil Vorbate üblich, welches von Bate, Nutzen, Hochdeutsch, daß, besser, abstammet.


Vortheilen (W3) [Adelung]


* Vortheilen, verb. reg. neutr welches mit dem Hülfsworte haben gebraucht wird, aber nur im gemeinen Leben einiger Gegenden üblich ist, auf seinen Vortheil, d. i. Gewinn, Nutzen, bedacht seyn, besonders, so fern solches auf eine unerlaubte Art geschiehet. Bürger sind Füchse zum Schmeicheln und Schmiegen, Vortheln, Berücken, Finanzen und Lügen, Logau. Wer im Geringen bühelt, wo man nicht viel gewinnt, Wird mehr in Sachen vortheln, die mehr genießlich sind, eben ders. Im Hochdeutschen gebraucht man es nur in der Zusammensetzung bevortheilen und übervortheilen.


Vortheilhaft (W3) [Adelung]


Vortheilhaft, -er, -este, adj. et adv. 1. Von Vortheil, Gewinn, ist vortheilhaft. (1) Seinen Vortheil suchend, Fertigkeit besitzend, in allen Dingen vornehmlich auf seinen Vortheil zu sehen, und darin gegründet. Vortheilhaft seyn. Ein vortheilhafter Kaufmann. Die Vortheilhafte Stadt, wo Nahrung zu gewinnen, Fast jeder muß auf List, auf Tück auf Ränke sinnen, Logau. Im Hochdeutschen ist es in dieser Bedeutung nur noch in einigen niedrigen Sprecharten üblich, wo man es, so wie das edlere eigennützig, gemeiniglich nur im nachtheiligen Verstande, von der herrschenden unerlaubten Neigung zum Nutzen und Gewinn gebraucht. (2) Vortheil, Nutzen, Gewinn bringend, in welcher Bedeutung es zwar im Hochdeutschen sehr häufig ist, aber doch in derselben mit der folgenden, 2. weitern Bedeutung zusammen fließt, wo alles Vortheilhaft genannt wird, was unsere Absicht zu befördern geschickt ist, oft auch, was zur Vollkommenheit eines Dinges gereicht, kurz, was einen Vortheil in der weitern Bedeutung enthält und gewähret. Das wird die sehr vortheilhaft seyn, wird dir Nutzen bringen, deine Absicht befördern. Die vortheilhafte Lage eines Ortes. Der Ort ist sehr vortheilhaft gelegen. Ich habe in meinem Leben nichts vortheilhafteres für mich gehöret, nichts angenehmeres, schmeichelndes, Gell. Sie ist sehr vortheilhaft gewachsen. Das vortheilhafte Licht für Mahler und Kupferstecher ist das Licht von Norden, weil es ihrer Absicht am gemäßesten ist.


Vortheilisch (W3) [Adelung]


* Vortheilisch, -er, -te, adj. et adv. welches im Hochdeutschen unbekannt ist, und nur noch in der Deutschen Bibel für vortheilhaft in der ersten Bedeutung vorkommt. Verflucht sey der Vortheilische, Mal. 1, 14. Ein vortheilischer Mensch lässet ihm nimmer genügend an seinem Theil, Sir. 14, 9.


Vorthier (W3) [Adelung]


Das Vorthier, des -es, plur. die -e, ein nur bey den Jägern übliches Wort, bey dem Wildbret und den Gemsen dasjenige Thier zu bezeichnen, welches unter mehrern voran gehet, den Trupp gleichsam führet.


Vorthun (W3) [Adelung]


Vorthun, verb. irreg. act. ( S. Thun,) welches nur im gemeinen Leben üblich ist. 1. Vor etwas thun. Die Schürze vorthun, vor den Unterleib. Den Riegel vorthun, vor die Thür schieben. 2. Sich vorthun, wofür doch hervor thun üblicher ist.


Vortiegel (W3) [Adelung]


Der Vortiegel, des -s, plur. ut nom. sing. auf den Salgerhütten, der Tiegel, worin sich das Werk sammelt, und aus welchem es hernach in küpferne Pfannen gegossen wird.


Vortrab (W3) [Adelung]


Der Vortrab, des -es, plur. doch nur selten, und zwar von mehrern Haufen dieser Art, die -e, Ein Collectivum, denjenigen Haufen Menschen zu bezeichnen, welcher vor dem Haupt- oder vornehmsten Haufen herziehet, zum Unterschiede von dem Nachtrabe. Es war ehedem von den Armeen sehr üblich, ist aber nunmehr größten Theils veraltet, seit dem Vortruppen, und besonders das Französische Avant-Garde, üblicher geworden. Luther hat dafür das noch ungewöhnlichere Vortraber. Du sandtest vor dir her deine Vortraber, Weish. 12, 8. Ehedem war dafür auch Vorhuth und Vorzug üblich. Es ist von traben, in seiner veralteten weitern Bedeutung für gehen, ziehen.


Vortraben (W3) [Adelung]


Vortraben, verb. reg. act. mit seyn. 1. Einem vortraben, ihm im Trabe vorreiten, durch Traben zuvor kommen. 2. In dessen Gegenwart traben, damit er es sehe, und nachtraben lerne.


Vortrag (W3) [Adelung]


Der Vortrag, des -es, plur. car. -träge, von dem folgenden Zeitworte, doch nur in dessen letzter Bedeutung. 1. Die Handlung des Vortragens ohne Plural. So wohl in der weitern Bedeutung. Der Vortrag göttlicher Wahrheiten. Als auch in engerer Bedeutung. Dem Vortrag bey dem Fürsten haben, dazu verordnet seyn, dem Fürsten die vorkommenden Sachen vorzutragen. Eine Sache in Vortrag bringen, sie einem Obern oder einem obrigkeitlichen Collegio zur Überlegung oder Entschließung vortragen. 2. Die Art und Weise, wie man etwas vorträgt. Da denn nicht allein die Vorstellungen und Ausdrücke, sondern auch die Stellung des Redners und dessen Bewegungen mit zum Vortrage gehören, welche letztern man den äußern Vortrag nennet. Einen faßlichen, verständlichen Vortrag haben. 3. Dasjenige, was man vorträgt, eine Reihe zusammen hängender Ausdrücke, andern dadurch mit einander verknüpfte Vorstellungen beyzubringen; in gleichen die Sache, welche man auf diese Art zu des andern Kenntniß bringt. Mein Vortrag soll dieser seyn. Einen Vortrag abkürzen.


Vortragen (W3) [Adelung]


Vortragen, verb. irreg. act. ( S. Tragen.) 1. So fern vor vor einem andern her bedeutet, trägt man jemanden das Schwert, eine Laterne u. s. f. vor, wenn man selbige vor ihm her träget. 2. Vor einem andern tragen, d. i. es ihm unmittelbar gegenwärtig machen. (1) In mehr eigentlichen Verstande, wo es in der Deutschen Bibel mehrmahls von den Speisen für vor- setzen gebraucht wird. Esset, was euch wird vorgetragen, Luc. 10, 8. Und man trug ihnen Essen vor von seinem Tisch. 1 Mos. 43, 34. Im Hochdeutschen ist es in dieser Bedeutung veraltet. (2) Im figürlichen Verstande, durch eine Reihe zusammen hängender Ausdrücke, Vorstellungen bey andern zu erwecken suchen. a) Im weitern Verstande, wo es absolute und ohne Meldung der Person gebraucht wird. Die Sache haben, etwas deutlich vorzutragen. Er trug die Sache sehr rührend vor. Wo es überall gebraucht werden kann, wo eine Reihe zusammen hängender Ausdrücke oder Vorstellungen Statt finden. b) In engerer Bedeutung. Einem etwas vortragen, es durch eine Reihe zusammen hängende Vorstellungen zu dessen Beurtheilung oder Wahl, zu dessen Wissenschaft bringen. Der Gemeinde göttliche Wahrheiten vortragen. Eine Sache dem Landesherrn vortragen. Ihm eine Klage, eine Bitte vortragen. Seine Sache dem Rathe vortragen. So wohl die Reihe zusammen hängender Vorstellungen, als auch die Absicht, unterscheiden dieses Wort von vorstellen. Daher die Vortragung in der ersten und der Vortrag in der letzten Bedeutung.


Vorträglich (W3) [Adelung]


* Vorträglich, -er, -ste, adj. et adv. ein Oberdeutsches Wort für nützlich, heilsam, wofür im Hochdeutschen zuträglich üblich ist. Vermuthlich von einer veralteten Bedeutung des Zeitwortes vortragen, nach welcher es auch nützen, heilsam seyn, bedeutet hat.


Vortrefflich (W3) [Adelung]


Vortrefflich, -er, -ste, adj. et adv. andere Dinge seiner Art an Güte und Vollkommenheit weit übertreffend, im hohen Grade vorzüglich, wofür auch nur das einfache trefflich gebraucht wird. Ein vortrefflicher Mann. Eine vortreffliche Schönheit. Das siehet vortrefflich aus, klingt, schmeckt vortrefflich. Vortrefflich singen, tanzen u. s. f. können. Eine vortreffliche Natur habend. Jemanden einen vortrefflichen Dienst leisten. Die Natur hat dem Menschen nichts vortrefflichers, als den Verstand gegeben, Sonnenf. Er aß und fand die Frucht vortrefflich von Geschmack. Er läßt es sich vortrefflich schmecken. Da es oft auch in einem vorzüglich hohen Grade bedeutet. Vortrefflich schwören, fluchen, trinken können.

Anm. Von der Abstammung des Wortes ( S. Trefflich.) Da dieses allein schon so viel als vortrefflich bedeutet, das letztere auch wider der Natur der mit vor zusammen gesetzten Wörter den Ton auf der zweyten Sylbe hat, so scheint vor hier aus dem intensiven ver verderbt zu seyn. Ehedem war für vortrefflich auch übertrefflich üblich.


Vortrefflichkeit (W3) [Adelung]


Die Vortrefflichkeit, plur. die -en, 1. Die Eigenschaft, da ein Ding vortrefflich ist, ohne Plural. 2. Eine vortreffliche Eigenschaft oder Sache, mit dem Plural. In beyden Fällen zuweilen auch nur Trefflichkeit.


Vortreiben (W3) [Adelung]


Vortreiben, verb. irreg. act. ( S. Treiben.) 1. Vorwärts, hervor treiben. Das Wild vortreiben. 2. Vor einem andern treiben, d. i. treibend in dessen Gegenwart bringen, damit er es seht. Sich das Vieh vortreiben lassen, es zu besichtigen.


Vortreten (W3) [Adelung]


Vortreten, verb. irreg. neutr. ( S. Treten,) mit dem Hülfsworte seyn. 1. Vorwärts, hervor treten. Tritt vor. 2. Vor etwas treten, z. B. vor eine Öffnung, besser davor treten 3. Einem vortreten, feyerlich und langsam vor ihm hergehen. Zuweilen auch, obgleich seltener, dem Range nach vor oder über ihn gehen. S. Vortritt.


Vortrieb (W3) [Adelung]


Der Vortrieb, des -es, oder die Vortrift, plur. car. in einigen Gegenden das Recht, sein Vieh eher als andere, auf die Weide zu treiben; im Gegensatze des Nachtriebes oder der Nachtrift. Den Vortrieb, die Vortrift haben. S. Vorhuth.


Vortrinken (W3) [Adelung]


Vortrinken, verb. irreg. act. et neutr. ( S. Trinken,) welches im letztern Falle haben bekommt. Einem vortrinken, in dessen Gegenwart trinken, damit er nachtrinken lerne. Im gemeinen Leben auch, jemanden im Trinken übertreffen.


Vortritt (W3) [Adelung]


Der Vortritt, des -es, plur. car. von dem Zeitworte vortreten, das Recht, einem andern vorzutreten, d. i. dem Range nach vor ihm zu gehen; ein im Hochdeutschen seltenes Wort. Den Vortritt vor jemanden haben, den Rang.


Vortruppen (W3) [Adelung]


Die Vortruppen, sing. car. die ersten oder vordersten Truppen eines Kriegesheeres oder eines beträchtlichen Theiles desselben; Franz. die Avant-Garde. S. Vortrab.


Vorüben (W3) [Adelung]


Vorüben, verb. reg. act. vorläufig üben, durch vorher gehende Übung zu etwas geschickt werden; ein seltenes Wort. Ein wenig häufiger ist das Wort Vorübung, plur. die -en, so wohl die Handlung des Vorübens, als das dadurch erwachsene Product. Soll sich der Dichter nicht vorüben? Klopst. Vorübungen in der Beredsamkeit, wodurch man sich zu einem künftigen Redner zu bilden sucht.


Vorüber (W3) [Adelung]


Vorüber, ein Nebenwort, eigentlich des Ortes, figürlich aber auch der Zeit, vor einem andern Dinge über, d. i. an dem vordern Theile hin und weg; wo es in der edlern Schreibart gern für das im täglichen Umgange gewöhnlichere vorbey gebraucht wird. 1. Eigentlich, von dem Orte. Wenn denn nun meine Herrlichkeit vorüber gehet, - bis ich vorüber gehe, 2 Mos. 33, 22. d. i. vor dir vorbey. Da man vorüber ging, siehe, da war er dahin, Ps. 37, 36. Die aber vorüber gingen, lästerten ihn, Matth. 27, 39. So auch vorüber laufen, reisen u. s. f. Sogar der Mensch geht fühllos hier vorüber. Wo andere mit ekler Unempfindlichkeit vorüber gehen, da lächeln mannigfaltige Freuden um ihn her, Geßn. Wenn der Gegenstand, vor welchem etwas vorbey gehet, vermittelst eines Nennwortes ausgedruckt wird, so pflegt man im gemeinen Leben wohl das vorüber zu trennen, und alsdann das vor vor dem Nennworte zu setzen; welches auch sehr oft in der Deutschen Bibel geschiehet. Und da der Herr vor seinem Angesicht über ging, 2. Mos. 34, 6. Habe ich Gnade funden vor deinen Augen, so gehe nicht vor deinem Knecht über, 1 Mos. 18, 3. Meine Brüder gehen verächtlich vor mit über, Hiob 6, 15. Paulus hatte beschlossen, vor Epheso über zu schiffen, Apost. 20, 16. Den Übelklang, welchen dieses in der edlen Schreibart verursacht, vermeidet man am sichersten dadurch, daß man das Nebenwort ungetrennt lässet, und vor vor dem Nebenworte wiederhohlt. Er ging vor uns vorüber. Wie bitter ist der Tod dann, wenn er vor dem Unglücklichen vorüber geht! Wo man in der höhern Schreibart auch wohl das vor wegzulassen pflegt. Tiefsinnig ging mein Vater mir vorüber, Schleg. Da ging der holdselige West, zuerst gefühlt, mir vorüber, Zach. Wenn aber einige hier die vierte Endung gebrauchen, so scheinen sie theils durch die im Lateinischen mit praeter in eben demselben Verstande zusammen gesetzten Zeitwörter verleitet zu seyn, praeterire villam, praeterlabi aliquid u. s. f. theils durch die figürliche Bedeutung des vorbey, einen vorbey gehen, ihn übergehen. Der Schlaf wird mich vorüber gehen, Zach. Bald wird ein Mädchen hier den Pfad vorüber gehn, schön, wie eine der Grazien, Geßn. Die reinesten Freuden misset der, der nachlässig deine Schönheiten (Natur) vorüber geht, eben ders. In allen diesen Stellen empfindet schon das Ohr den Übellaut, der aus Verfehlung des rechten, dem vor gebührenden Endung entstehet. Hingegen, einen vorüber gehen, d. i. ihn übergehen, würde dem Sprachgebrauche nach richtiger in der vierten Endung stehen können, wenn es nur gebräuchlich wäre. 2. Figürlich, der Zeit nach, wie vorbey, gleichfalls nur in der edlern Schreibart, von einer verflossenen Zeit, noch mehr aber von eines zu Ende gegangenen, oder doch aus unserm Empfindungskreise gewichenen Wirkung oder Handlung. Das Jahr, die Woche, die Stunde, ist nun vorüber. Bis daß das Unglück vorüber gehe, Ps. 57, 2. Verbirge dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorüber gehe, Es. 26, 20. Die Schmerzen sind noch nicht vorüber. Ist der Zufall vorüber.

Anm. Die ältesten Deutschen Schriftsteller gebrauchen für dieses Nebenwort entweder furi allein, furifaren. Ottfried vorüber gehen, oder uvre allein, wie Willeram. Über wird noch im gemeinen Leben einiger Gegenden, besonders Niederdeutschlandes, für vorüber gebraucht. Ja wär der Thränen erster Ausbruch über, Schleg.


Vorübung (W3) [Adelung]


Die Vorübung, S. Vorüben.


Vorurtheil (W3) [Adelung]


Das Vorurtheil, des -es, plur. die -e, ein Urtheil, eine Meinung, welche man ohne gehörige Untersuchung für wahr hält, ein vorgefaßtes Urtheil, welches man über ein Ding fället, ehe man es gehörig untersucht hat, und im weitern Verstande, eine jede, ohne gehörige Prüfung angenommene Meinung. Vorurtheile hegen. Ein Vorurtheil ablegen. Sich von allen Vorurtheilen losmachen. Herrschende Vorurtheile, unerwiesene Sätze, welche uns dergestalt zur Gewohnheit geworden, daß wir auch ohne unser Wissen nach denselben urtheilen. Es ist ohne Zweifel nach dem Muster des Latein. Praejudicium gebildet.


Vorvieh (W3) [Adelung]


Das Vorvieh, des -es, plur. car. in der Landwirthschaft und denjenigen Schäfereyen, wo die Schäfer nicht auf der Anmenge stehen, diejenigen Schafe, welche dem Schäfer und dessen Leuten von der Herrschaft frey gehalten werden.


Vorwache (W3) [Adelung]


Die Vorwache, plur. die -n, die vorderste oder äußerste Wache eines Haufens Soldaten, wofür doch Vorposten üblicher ist.


Vorwachs (W3) [Adelung]


Das Vorwachs, des -es, plur. car. dasjenige klebrige Harz, womit die Bienen alle Öffnungen des Stockes zu verstopfen, und die Wände zu überziehen pflegen; Kitt; Propolis.


Vorwägen (W3) [Adelung]


Vorwägen, verb. reg. act. und Vorwiegen, verb. irreg. act. ( S. Wiegen.) Einem etwas vorwägen, im gemeinen Leben vorwiegen, es in dessen Gegenwart wägen, so wohl, ihn von dem Gewichte zu überzeugen, als auch, damit er nachwägen lerne.


Vorwalten (W3) [Adelung]


Vorwalten, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, durch überlegene Kraft sich vorzüglich äußern, vorzüglich von andern ähnlichen Dingen empfunden werden; ein besonders im Oberdeutschen übliches Wort, wo es gemeiniglich fürwalten lautet. Daß dero Nutzen hierunter vorwalte. Den Glimpf, die Gnade vorwalten lassen. Es waltet kein Zweifel vor. Das vorwaltende Hinderniß. Da es denn auch wohl von Hochdeutschen Schriftstellern nachgeahmet wird. Der Eigennutz waltet bey ihm besonders vor, sticht bey ihm vor, hat bey ihm die Oberhand. Es waltet noch ein anderer Grund vor, warum u. s. f.


Vorwand (W3) [Adelung]


Die Vorwand, plur. die -wände, von vor und Wand, die vordere Wand, die Vorderwand, zum Unterschiede von der Hinterwand. So nennen einige die äußere Seite eines Gebäudes, Franz. die Facade, die Vorwand. Im Hüttenbaue ist es die Wand vorn an dem Schmelzofen über dem Herde, wovon man daselbst auch das Zeitwort vorwänden hat, eine wandelbar gewordene Vorwand ausbessern oder neu aufführen. Im Forstwesen wird so wohl die Holzung vorn an den Bergen, als auch der Rand von Gehölz, welchen man vor einem Gehau stehen lässet, die Vorwand genannt. In einem andern Verstande ist die Vorwand in der Jägerey der erste Gang oder die erste Wand eines Klebegarnes.


Vorwand (W3) [Adelung]


Der Vorwand, des -es, plur. die -wände, von dem Zeitworte vorwenden, dasjenige, was vorgewendet wird, eine erdichtete, ungegründete, oder doch verdächtige Ursache. Unter dem Vorwande der Selbstbeschützung zu den Waffen greifen. Die Religion muß oft zum Vorwande des Müßigganges dienen. Jemanden allen Vorwand benehmen.


Vorwarten (W3) [Adelung]


Vorwarten, verb. reg. neutr. mit haben. Einem vorwarten, in den Rechten, auf dem Wege auf ihn lauern, in der Absicht, Rache an ihm zu üben. S. Wegelagerung.


Vorwärts (W3) [Adelung]


Vorwärts, ein Nebenwort des Ortes, die Richtung einer Bewegung nach vorn, oder dem Bordertheile zu, zu bezeichnen; im Gegensatze des hinterwärts und rückwärts. Vorwärts gehen, laufen. Wir kommen keinen Schritt vorwärts. Etwas vorwärts biegen. Sich vorwärts neigen. Zuweilen, obgleich seltener, auch von dem Stande der Ruhe für vorn. Den Feind vorwärts angreifen, von vorn. Es liegt vorwärts, vor dir hin.


Vorwaschen (W3) [Adelung]


Vorwaschen, verb. reg. act. Einem Vorwaschen, in dessen Gegenwart waschen, damit er es sehe, oder waschen lerne. Figürlich ist einem vorwaschen, ihm vorplaudern, im verächtlichen Verstande. Was für ein Gemisch von Heucheley und Unsinn waschen sie mir da vor?


Vorweg (W3) [Adelung]


Vorweg, ein Nebenwort, so wohl des Ortes, als der Zeit, vor einem andern weg. Es ist im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart am üblichsten. Vorweg gehen, voraus. Ich habe ihn nur vorweg geschickt, und komme bald nach, vor aus, Less. Etwas vorweg kaufen, es andern vorkaufen. Den Lohn vorweg nehmen, ihn vor der gehörigen Zeit nehmen, sich voraus bezahlen lassen. Er hat schon alles vorweg, hat es voraus bekommen. Es ist von vor und weg zusammen gesetzt.


Vorweinen (W3) [Adelung]


Vorweinen, verb. reg. act. et neutr. mit haben. Einem vorweinen, in dessen Gegenwart weinen, ihn dadurch zu rühren.


Vorweisen (W3) [Adelung]


Vorweisen, verb. irreg. act. ( S. Weisen,) hervor weisen. Etwas vorweisen, es andern weisen, es aufweisen. Einen Schuldschein vorweisen, vorzeigen, aufweisen. Brief und Siegel von jemanden vorzuweisen haben. So auch die Vorweisung.


Vorwelt (W3) [Adelung]


Die Vorwelt, plur. inus. die Welt vor uns, d. i. die Menschen, welche lange vor uns gelebt haben. Davon die Vorwelt nicht geredet noch gehöret, Opitz.


Vorwenden (W3) [Adelung]


Vorwenden, verb. reg. et irreg. act. ( S. Wenden,) welches nur im figürlichen Verstande gebraucht wird, zur Ursache, zum Bewegungsgrunde anführen, wo es alle Mahl den Nebenbegriff einer, entweder erdichteten oder verdächtigen, oder doch nicht hinlänglichen Ursache bey sich führet. (Siehe auch Vorgeben und Vorschützen.) Eine Unpäßlichkeit vorwenden, zur Entschuldigung anführen. Er wandte vor, die Zeit sey dazu zu kurz gewesen. Der machte sich bald auf, und wendete vor, er müßte Renten einnehmen, 2 Marc. 3, 8. Daher die Vorwendung. Siehe auch Vorwand. Anm. Es liegt hier eben die Figur zum Grunde, wie in vorschützen, daher es irrig ist, wenn einige es nach Oberdeutscher Sitte für wenden geschrieben und gesprochen wissen wollen.


Vorwerfen (W3) [Adelung]


Vorwerfen, verb. irreg. act. ( S. Werfen,) vor ein anderes Ding werfen. 1. Eigentlich, da denn dieses andere Ding in der dritten Endung stehet. Den Hühnern ihr Futter vorwerfen. Dem Hunde einen Knochen vorwerfen. Den wilden Thieren vorgeworfen werden. 2. Figürlich. Jemanden etwas vorwerfen, es ihm als eine Unvollkommenheit mit Heftigkeit, mit Ungestüm wieder in das Andenken bringen, wo die damit verbundene und in dem Worte werfen gegründete Heftigkeit es von vorrücken und vorhalten unterscheidet. Mit solchen Worten warf sie ihn sein Elend vor, Tob. 2, 19. Wenn mans ihm vorwirft, so thut es ihm im Herzen weh, Sir. 25, 24. Jemanden die genossenen Wohlthaten, seine Ungestaltheit, seine Armuth, seine Einfalt, ein begangenes Verbrechen u. s. f. vorwerfen. Daher das Vorwerfen. S. auch Vorwurf.


Vorwerk (W3) [Adelung]


Das Vorwerk, des -es, plur. die -e, ein von einem Landgute abgesondertes und vornehmlich zur Viehzucht bestimmtes Stück, welches als ein eigenes Werk, oder eine eigene Anstalt betrachtet wird. Ein Meierhof. Ein Vorwerk bestehet gemeiniglich aus einigen von einem Hauptgute abgesonderten und mit den dazu nöthigen wirthschaftlichen Gebäuden versehenen Ländereyen. Es führet den Nahmen ohne Zweifel daher, weil es sich gemeiniglich vor dem Hauptgute befindet; ob es gleich im Oberdeutschen Fuhrwerk lautet, und daher manche zu einer irrigen Ableitung veranlasset hat, als wenn das Vorwerk eine Anstalt wäre, wohin das Fuhrwesen von dem Hauptgute verleget worden, welches zwar in einigen, aber vielleicht nur in wenigen Fällen zutrifft. In Baiern heißt ein Vorwerk ein Schwaig.


Vorweser (W3) [Adelung]


Der Vorweser, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Vorweserinn, eine Person, welche vor uns in einem Amte, oder in einem gewissen Verhältnisse gewesen ist, wofür doch im Hochdeutschen Vorfahr gewöhnlicher ist.


Vorwiegen (W3) [Adelung]


Vorwiegen, verb. irreg. ( S. Wiegen.) 1. Als ein Activum, ( S. Vorwägen.) 2. Als ein Neutrum mit haben, andere Dinge an Gewicht übertreffen, eine Bedeutung, welche nur selten vorkommt.


Vorwimmern (W3) [Adelung]


Vorwimmern, verb. reg. act. et neutr. in jemandes Gegenwart wimmern, damit er es höre. Ich ermangelte auch nicht, die kleinen Seufzerlein meiner Schwester vorzuwimmern, Weiße.


Vorwind (W3) [Adelung]


Der Vorwind, des -es, plur. die -e, in der Schifffahrt, ein Wind, welcher dem Schiffe gerade im Rücken kommt, der mit dem Curs des Schiffes einerley Strich hat, so daß sich das Schiff gerade vor demselben befindet; der Rückenwind.


Vorwinseln (W3) [Adelung]


Vorwinseln, verb. reg. act. et neutr. in jemandes Gegenwart winseln, damit er es höre. Du sollst nichts dabey thun, als meiner Schwester deine Liebe vorwinseln, Weiße.


Vorwissen (W3) [Adelung]


Das Vorwissen, des -s, plur. car. der Infinitiv des veralteten Zeitwortes vorwissen, vorher wissen, als ein Hauptwort gebraucht, der Zustand, da man Kenntniß oder Wissenschaft von einer Sache hat, ehe sie gethan oder vollzogen wird; zuweilen auch der Vorbewußt. Es ist mit meinem Vorwissen geschehen, ich habe vorher darum gewußt. Etwas ohne jemandes Vorwissen thun.


Vorwitz (W3) [Adelung]


Der Vorwitz, des -es, plur. car. ein vorschneller, voreiliger Witz, in der weitern Bedeutung dieses Wortes, d. i. die ungeordnete Neigung, uns schädliche oder doch unnöthige Dinge zu wissen und zu erfahren, bloß, um sie zu wissen und zu erfahren. Einen Mann zu nehmen habe ich gewilliget, in deiner Furcht, und nicht aus Vorwitz, Tod. 3, 19. Was deines Amts nicht ist, da laß deinen Vorwitz, Sir. 3, 24. Der Vorwitz ist ein Werk, mit dem sich Narren plagen, Canitz. Der Fürwitz (Vorwitz) und der Geist der Liebe Fährt oftmahls schon ins Flügelkleid, Haged. Vorwitz ist es, die Rathschlüsse Gottes ergründen zu wollen. Anm. Schon bey dem Ottfried kommt siruwizzi für vorwitzig, nimis curiosus, vor; bey der Winsbeckinn lautet das Hauptwort Furwitz, und im Oberdeutschen noch jetzt Fürwitz, Schwed. und Isländ. Forvita, Angels. Fyrewitnesse. Es bedeutet ohne Zweifel zunächst das Verlangen, etwas vorher zu wissen, und in engerer Bedeutung, das voreilige Verlangen, schädliche oder doch unnöthige Dinge vor der Zeit zu wissen, daher sich die Schreibart Fürwitz mit nichts entschuldigen läßt. S. auch Wißbegierde und Neugier.


Vorwitzig (W3) [Adelung]


Vorwitzig, -er, -ste, adj. et adv. Vorwitz habend, äußernd, und darin gegründet. Vorwitzig seyn. Ein vorwitziger Mensch. Eine vorwitzige Frage. Daher die Vorwitzigkeit, der Zustand oder die Fertigkeit, da ein Ding vorwitzig ist, wofür doch Vorwitz gewöhnlicher ist.


Vorwort (W3) [Adelung]


Das Vorwort, des -es, plur. die -wörter. 1. Fürsprache, Fürbitte, ohne Plural; eine nur im Niederdeutschen übliche Bedeutung, wofür Fürwort richtiger ist, ( S. dasselbe.) 2. Bey den neuern Sprachlehrern werden die Präpositiones im Deutschen Vorwörter genannt, weil sie der Regel nach vor ihren Nennwörtern stehen, deren Verhältnisse sie ausdrucken.


Vorwurf (W3) [Adelung]


Der Vorwurf, des -es, plur. die -würfe, von dem Zeitworte vorwerfen. 1. In der Jägerey wird die Lockspeise, das Aas, welches man den Raubthieren leget, um sie damit zu fangen, der Vorwurf genannt, sonst auch die Luderung. 2. Eine mit Heftigkeit oder Bitterkeit verbundene Erinnerung an ein begangenes Vergehen, oder an eine Unvollkommenheit. Alle diese Vorwürfe treffen mich nicht. Machen sie mir noch so viele Vorwürfe, Gell. Jemanden einen Vorwurf über etwas machen. Da es denn noch häufiger in weiterer Bedeutung gebraucht wird, so wohl die Erinnerung an ein begangenes Vergehen, als auch das damit verbundene nachtheilige Urtheil anderer zu bezeichnen, so daß sich der mit dem Zeitworte vorwerfen verbundene Begriff der Heftigkeit verlieret. Ich habe mir deßwegen keine Vorwürfe zu machen, darf mich keines dabey begangenen Verbrechens beschuldigen. Ich quäle mich unaufhörlich mit den nagenden Vorwürfen, dich unglücklich gemacht zu haben, Dusch. Das gereicht dir zum Vorwurf, zum nachtheiligen Urtheile anderer über deine sittliche Beschaffenheit. Bey einigen Neuern ist dieses Wort so viel, als Gegenstand, dasjenige zu bezeichnen, wovon man spricht oder sprechen will, oder überhaupt, womit man sich beschäftiget, da es denn eine bloß buchstäbliche Übersetzung des Latein. Objectum, auch um der Zweydeutigkeit dieses Wortes Willen unschicklich ist, und daher von wenigen mehr gebraucht wird.


Vorzählen (W3) [Adelung]


Vorzählen, verb. reg. act. in jemandes Gegenwart zählen, so wohl, damit er von der Zahl überzeugt werde, als auch zuweilen, damit er nachzählen lerne. Einem etwas vorzählen. Daher die Vorzählung.


Vorzeichen (W3) [Adelung]


Das Vorzeichen, des -s, plur. ut nom. sing. ein Zeichen einer künftigen Sache; Omen. Das ist kein gutes Vorzeichen, das bedeutet nichts Gutes.


Vorzeichnen (W3) [Adelung]


Vorzeichnen, verb. reg. act. 1. Jemandes Gegenwart, oder doch in Rücksicht auf ihn zeichnen, so wohl, ihm einen Begriff von der Gestalt eines Dinges beybringen, als auch, damit er nachzeichnen lerne. Einem etwas vorzeichnen. 2. Vorläufig zur folgenden Bearbeitung zeichnen. So zeichnen die Schlösser ein Loch vor, wenn sie da, wo sie ein Loch in etwas schlagen wol- len, einen Hieb oder Einschnitte machen; welches auch körnen genannt wird.


Vorzeigen (W3) [Adelung]


Vorzeigen, verb. reg. act. hervor zeigen, durch Zeigen andern sichtbar machen. Einen Brief vorzeigen, so wohl, damit ihn ein anderer sehe, als auch, in engerer Bedeutung, zum Beweise einer Sache; auch vorweisen. Daher der Vorzeiger, Fämin. die Vorzeigerinn, besonders eine Person, welche einen Brief, oder ein schriftliches Zeugniß vorzuzeigen hat. Vorzeiger dieses, nähmlich Briefes oder Scheines.


Vorzeiten (W3) [Adelung]


Vorzeiten, richtiger vor Zeiten, S. Zeit.


Vorziehen (W3) [Adelung]


Vorziehen, verb. irreg. act. ( S. Ziehen.) 1. Hervor ziehen, ingleichen vorwärts ziehen. Etwas unter dem Bette vorziehem. 2. Vor etwas ziehen. Den Vorhang vorziehen, den Vorhang vor eine Sache ziehen. Einen Graben, einen Zaun vorziehen, vor etwas ziehen oder machen. 3. Mit der dritten Endung des Dinges, worauf sich das vor beziehet, höher schätzen, als ein anderes Ding, so wohl dem Urtheile, als auch der thätigen Erweisung dieses Urtheiles nach. Ich ziehe ihn seinem Bruder weit vor. Er wird allen vorgezogen. Das allgemeine Beste seinem eigenen Nutzen vorziehen. Man zog sein Urtheil dem meinigen weit vor. Es ist gewiß, daß er ihnen Lottchen weit vorziehet, Gellert. S. Vorzug.


Vorzimmer (W3) [Adelung]


Das Vorzimmer, des -s, plur. ut nom. sing. ein Zimmer vor den Hauptzimmern; das Vorgemach, S. dieses Wort, im Franz. Anti-chambre.


Vorzug (W3) [Adelung]


Der Vorzug, des -es, plur. die -züge, von dem Zeitworte vorziehen in dessen letzter Bedeutung. 1. Der Zustand, da man andern Dingen vorgezogen wird, oder vorgezogen zu werden verdienet; ohne Plural. Den Vorzug haben, andern vorgezogen werden. Ich gebe ihm den Vorzug, so wohl dem Urtheile, als dessen thätigen Erweisung nach. Er hat bey mir den Vorzug vor allen andern. 2. Eine Eigenschaft, um deren willen wir den Vorzug vor andern haben. (1) Äußere Umstände der Würde, des Ranges, des Ansehens u. s. f. heißen Vorzüge, so fern sie Beweise des Vorzuges sind, welchen ein Höherer uns gegeben hat. (2) Eine jede Eigenschaft, so fern sie uns in der Achtung anderer andern vorziehet. Äußere Vorzüge, dergleichen Schönheit, Reichthum, einnehmendes Betragen u. s. f. sind. Innere Vorzüge, alle schätzbare Fähigkeiten des Geistes und Herzens, so fern sie sich bey einem Dinge in einem merklichern Grade, als bey andern, bebefinden. Viele Vorzüge haben. Ich habe sonst keinen Vorzug, als meine Unschuld, Gell. Ein Gut hat viele Vorzüge, wenn es mehr Vortheile hat, als andere.

Anm. Der Vorzug, für Vortruppen, oder wie man auch ehedem sagte, Vortrab, ist im Hochdeutschen veraltet. Im Vorzuge waren die Schützen, 1 Macc. 9, 4.


Vorzüglich (W3) [Adelung]


Vorzüglich, -er, -ste, adj. et adv. 1. Als ein Nebenwort allein, mit Ertheilung des Vorzuges, mehr als andere. Ich liebe diesen Menschen vorzüglich. Am häufigsten im weitern Verstande, für vornehmlich, besonders. Ich liebe ihn vorzüglich darum, weil u. s. f. 2. Als ein Beywort, einen Vorzug vor andern habend, den Vorzug verdienend. Vorzügliche Eigenschaften besitzen. Eine vorzügliche Gelehrsamkeit. Daher die Vorzüglichkeit, der Zustand, da ein Ding andern vorgezogen zu werden verdienet.


Votieren (W3) [Adelung]


Votieren, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, von dem Lat. Votum, seine Stimme zu etwas geben. Votieren lassen.


Vulkan (W3) [Adelung]


Vulkan, genit. -s, plur. die -e, in der Mythologie, der bekannte Gott des Feuers und der Schmiede. Sehr unschicklich ist es, wenn einige einen Feuer speyenden Berg, nach dem Vorgange der Franzosen, einen Vulkan nennen wollen. Warum nicht lieber Feuerberg, wenn der gewöhnliche Deutsche Ausdruck zu lang scheinet. Das Wort hat wenigstens Analogie genug.


W

X

Y

Z